Baupläne der Schöpfung

Baupläne der Schöpfung

Hat die Welt einen Architekten?

Johannes Huber

Walter Thirring

Seifert Verlag

Inhalt

Vorrede zu dieser Ausgabe

1. Teil

1. Die Vermessung der Transzendenz

2. Weltwissen und Weltanschauung

3. Glaube und Wissen, ­lange Zeit eine Einheit

4. Spekulative Physik und gläubige Vernunft

5. Die Unschärfe des Augenblicks

6. Reicht die Quanten­physik bis in die Biologie?

7. Feuerbach und die Brandstifter

8. Prägende Umstände

9. Gehirn. Genom. Geheim

10. Der epigenetische Code

11. Die Entstehung einer Religion

12. Inkarnation – der Mensch wird Teil der Offenbarung

13. Die Subjektivität der Transzendenz

14. Die Entstehung der ­heiligen Schriften

15. Paulus der Aufklärer

2. Teil

16. Ist Ethik noch zeitgemäß?

17. Das egozentrische Weltbild

18. Rückkehr der religiösen Melodien

19. Schuld und Sühne, ein ­europäisches Motiv

20. Das vierte Gebot

21. Das fünfte Gebot

22. Das sechste Gebot

23. Das siebente Gebot

24. Das achte Gebot

3. Teil

25. ­­Naturwissenschaftliche Weltbilder

26. Zufall oder Plan

27. Der Urknall

28. Die Geburt der Materie

29. Die Sterne

30. Die Planeten

31. Evolution der Materie

32. Von Naturgewalten zu Göttern

Nachwort

33. Literatur

Vorrede zu dieser Ausgabe

Im Jahre 2010 durfte ich mit dem international angesehenen Physiker Walter Thirring in einen Diskurs über die Rechtfertigung des Gottesglaubens treten. Die Frucht dieser Auseinandersetzung fand ihren Nieder­schlag in dem 2011 erschienenen Buch »Baupläne der Schöpfung. Hat die Welt einen Architekten?«, das sich vornehmlich an eine akademische Lesergemeinde wandte.

Seither hat sich die allgemeine Debatte zu diesem Thema womöglich noch zugespitzt. Gretchens Frage an Faust »Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?« scheint brennender denn je. Dies machte es notwendig, das Thema, ergänzt um jüngste Erkenntnisse und in allgemein verständlicher Sprache, einem breiten Leserkreis anschaulich vorzutragen.

Noch vor seinem Tod 2014 hatte Professor Thirring angeregt, dieses Buch einer ergänzten Ausgabe zuzuführen. Diesem Wunsch komme ich jetzt, wenn auch verspätet, nach.

Professor Thirring und ich waren immer der Meinung, dass Religion und Naturwissenschaft zwar getrennt bleiben mögen, jedoch es nicht widervernünftig ist, in Lebenssinn stiftenden Fragen an Inhalte zu glauben, die jenseits des menschlichen Erfahrungshorizontes liegen. Dies darzustellen war eine Intention des Buches, das mit einem von Professor Thirring verfassten Memorandum zu dieser Frage schließt.

Das Buch vertritt auch die Meinung, dass unser alteuropäisches Erbe aus einer weltgeschichtlich einzigartigen Symbiose jener Geistesrichtungen entstanden ist, die an den drei geistigen Metropolen Jerusalem, Athen und Rom festgemacht werden können. Die daraus entstandene Weltsicht hält auch modernen Diskursen statt. Das Christentum ist meines Erachtens die an Reflexion tiefste Religion und die Unkenntnis seines jahrtausendelangen gedanklichen Ringens darf nicht dazu führen, dass es in den Rang einer Märchenerzählung hinabgestuft wird. Deshalb muss das empfangende Subjekt in die Interpretationen von Offenbarungsinhalten eingebunden werden, wie es Peter Sloterdijk in seinem Buch »Nach Gott« fordert und wie es eigentlich auch in der sogenannten »Tradition« des Christentums als zweite Offenbarungsquelle vorgedacht ist.

Vielleicht ist es heute schwieriger, Christ zu sein – aber es ist unverändert aufregend und tröstend zugleich.


Johannes Huber

Wien, im März 2018

1. Teil

EIN BISSCHEN GLAUBE


See the great Newton, He who first Survey’d

The Plan, by which the Universe was made.


Seht den großen Newton, der als Erster den Plan vermaß,

der dem Universum zugrunde liegt.

1

Die Vermessung der Transzendenz

Der große Pan ist tot. So steht es geschrieben. Der griechische Schriftsteller Plutarch, an sich ein umtriebiges Kerlchen, war weniger an historischen Details oder religiösen Spitzfindigkeiten interessiert, vielmehr ging es ihm um Charakterstudien und grundlegende Moralvorstellungen. Plutarch unternahm viele Reisen, die ihn nach Kleinasien und Ägypten führten; mehrmals besuchte er Rom. Er lebte zu einer Zeit, als das Römische Reich am Höhepunkt war, und lief Nero über den Weg; es muss so um 66 nach Christus gewesen sein. Uns hinterließ Plutarch eine merkwürdige Geschichte, sie liest sich so:


Eines Abends, als sie schon auf der Höhe der Echinaden-Inseln waren, sei der Wind eingeschlafen und das Schiff sei treibend in die Nähe der Paxos-Insel gelangt. Die meisten seien noch wach, einige nach beendigtem Mahl beim Trinken gewesen. Plötzlich habe man von der Paxos-Insel her eine Stimme gehört, die laut »Thamus!« rief, so daß man sich verwunderte. Thamus war aber ein Ägypter und Steuermann des Schiffes, doch nicht vielen der Fahrgäste mit Namen bekannt. Beim ersten und zweiten Anruf habe er geschwiegen, beim dritten Mal aber dem Rufer geantwortet. Dieser habe nun seine Stimme noch mehr erhoben und gerufen: »Wenn du auf die Höhe von Palodes kommst, dann melde, daß der große Pan tot ist!«

Als sie das gehört hätten, so erzählte Epitherses, seien sie alle sehr erschrocken und hätten sich darüber unterhalten, ob es besser sei, den Auftrag auszuführen, oder sich nicht darum zu kümmern, sondern es auf sich beruhen zu lassen, und Thamus habe sich dahin entschieden, wenn Wind wäre, stillschweigend vorbeizufahren, wenn aber Windstille und glatte See in dieser Gegend wäre, das Gehörte auszurichten.

Als sie auf der Höhe von Palodes angelangt waren und weder Wind noch Wellengang war, habe Thamus, vom Heck nach dem Land hin blickend, gerufen, wie ihm gesagt worden war: »Der große Pan ist tot!« Kaum aber habe er diese Worte geendigt, so habe sich, nicht von einer, sondern von vielen Stimmen, ein lautes Wehklagen, vermischt mit Ausdrücken der Verwunderung, erhoben. Da nun viele Menschen dabeigewesen seien, so habe sich die Geschichte schnell in Rom herumgesprochen, und Thamus sei vom Kaiser Tiberius zur Audienz befohlen worden.

Pan ist der Gott der Natur und des Waldes. Er, Sohn des Hermes, trägt einen gekrümmten Hirtenstab bei sich, dazu eine siebenröhrige Flöte, die Panflöte. Pan hat Ziegenfüße. Trotzdem lässt er sich die Freude an der Musik und auch am Tanz nicht nehmen. Er umgibt sich mit Nymphen, heute würde man sagen Groupies. Ja, er ist ein Gott der Gaudi, leutselig im Umgang und friedlich von der Gesinnung. Nur um die Mittagszeit, da will er seine heilige Ruh. Stört man Pan beim Mittagsschlaf, scheucht er alle Herdentiere in der Umgebung auf und jagt sie zum Teufel, die Stampede rennt und rennt und rennt davon. Daher kommt übrigens der Ausdruck Panik.

Und dann schrieb Plutarch Düsteres: Der große Pan ist tot. Was ihn zum ersten und einzigen Gott macht, der in irdischen Zeiten starb. Oder totgesagt wurde. Da hat sich in der Erzählung sogar Kaiser Tiberius geschreckt und wollte wissen, was los ist.

Um das zu rekapitulieren: Der Mensch wird sich eines Gottes bewusst, berichtet von ihm, huldigt ihm. Und lässt ihn dann über die Klinge springen. Der große Pan ist tot, und das ist schrecklich. Sagt die Erzählung. Sagt die Moralvorstellung.

Zweitausend Jahre später hat sich das Blatt gewendet. Der große Pan ist tot, und das ist gut so. Sagt die Wissenschaft. Sagt die aufgeklärte Welt. Niemand braucht einen Glauben, der nicht beweisbar ist, die Naturwissenschaften am allerwenigsten. Der große Pan ist nicht belegbar. Es gibt keine Formel, die ihn beschreibt, kein Reagenzglas, das ihn untersucht, keine DNA, die seine Herkunft bestimmt. Die Wissenschaft geht in ihrer apodiktischen Denke einen Schritt weiter. Der große Pan ist nicht nur tot, es hat ihn nie gegeben. So will man es geltend machen. Die Vermessung der Transzendenz ist ein Hobby für Tölpel. Und jeder, der sich anschickt, zu diesem Thema Gedanken zu formulieren, und auch noch so dummdreist ist, sie auszusprechen, dem werden die Stimmbänder mit dem Skalpell des Hochmuts durchtrennt. Als Arzt weiß ich, wovon ich spreche. Als gläubiger Mensch sowieso.

Dabei wäre es nur recht und billig, die überdimensionale Frage des Seins zu stellen:

Hat die Welt einen Architekten?

Ich behaupte, ja.

Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land.

Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.

Die Genesis, eine Science-Fiction-Story? Steht man vor den Kathedralen Europas, in denen jahrhundertelang Menschen den Kontakt zum Transzendenten suchten, und hört man darin, was große Musiker zu Gottes Ehren komponierten, so ergreifend, dass die gotischen Säulen des Kircheninnenraumes mitzuschwingen versuchen, dann hat das eine Wirkung, die tief unter die Haut geht und direkt in die Seele. Bestaunt man klassische Bilder in den großen Galerien der Welt, die nur verständlich werden, wenn man das Christentum kennt, dann hat es einen tieferen Sinn, alles weiterzudenken. Transzendenz ist der Schlüssel zu neuer Erfahrung, vielleicht sogar zu allem.

Zwei Jahrtausende haben christliche Denker um Antworten auf die großen Fragen der Menschheit gerungen. Was ist Schuld? Gibt es eine Vergebung? Wie verteilen sich die Rechte des Einzelnen gegenüber jenen des Staates? Was ist der Sinn des Lebens, und warum gibt es das Böse in der Welt?

Die Antworten schwammig bis gar nicht zu vermitteln, ist einer der Gründe, warum die Kirche in der Krise steckt und den weltanschaulichen Amtsträgern das Vokabular fehlt. Vor allem das moderne Vokabular, mit denen alte Geschichten, etwa die aus der Bibel, neu interpretiert werden könnten.

Stattdessen reißen die Verfechter der Gottlosigkeit die Brücken zur Transzendenz ab, und zwar mit einer Leichtigkeit und Nonchalance, als würde man sich endlich längst veralteter Gesinnungen entledigen. Oder eine alte Socke wegwerfen. Die Abkehr vom Glauben fällt in jenen Erdteilen leicht, die sich trotz globaler Armut zu Genusstempeln umstrukturieren und deswegen dem Diesseits treu bleiben müssen. Ich denke, also bin ich – vermögend. Materiell wirkt schnell. Um das auch intellektuell rechtfertigen zu können, beginnen die Reichen und Satten, die Wissenschaft zu vergöttern. Sie bestätigt ihnen, dass der große Pan wirklich tot ist. Jawoll. Es braucht keinen Gott, wenn etwas anderes Anbetungswürdiges da ist. Reichtum. Eine Schatztruhe, auf der Freiheit steht. Als könnte man sich das Glück kaufen. Paradoxerweise hat diese Apotheose, diese götzenhafte Verherrlichung der mechanistischen Aufklärung, schon Nietzsche beklagt. Wissenschaft ist das, was Wissen schafft. Mit der Weisung zwischen den Zeilen: In einem wachen Geist hat der Glaube keinen Platz. Glauben sollen die Nicht-Intellektuellen. Die Armen und die simplen Gemüter.

Und so reduziert sich heute bei vielen Menschen das Grundwissen über christliche Offenbarung und Tradition im besten Fall auf einige Geschichten, die man noch aus der Volksschulzeit kennt. Ein Phänomen, das nicht nur die Theologie, sondern auch andere Wissensgebiete betrifft, man möge nur gelegentlich im österreichischem Hörfunk über jene Antworten meditieren, die der sogenannte Mikromann, ein lustiger Reporter, auf seine Fragen bekommt.

Rund um Weihnachten ging er durch die Straßen und fragte wahllos Passanten:

Wie heißt der Sohn von Maria und Josef?

Eine ältere Dame wusste sofort: Lukas!

Eine andere war sich nicht ganz sicher: Johannes?

Der Mikromann hakte nach: Die Eltern von Jesus sind Maria und Josef. Wie heißt dann der Sohn von Maria und Josef?

Und wieder kam: Lukas!

Für den Hörer ist die Crux mit dem Jesukindlein komisch, für die Kirche zutiefst traurig. Obwohl das Christentum die reflektorisch intensivste Religionsmacht der Welt ist, unterliegt sie dennoch einer kommunikativen Schwäche. Aufklärung passiert nicht. Heute würde man sagen: Die Basis kennt die Basics nicht. Kreuzweg, Tod und Auferstehung sind, wenn sie nicht gerade von Hollywood aufgegriffen werden, etwas, das die Menschen kennen oder zu kennen glauben. Der Rest ist Nebensache. Medien erklären, was es mit dem Eiersuchen zu Ostern auf sich hat, wieso Halloween heuer besonders gruselig wird oder warum Kim Kardashian eine durchsichtige Bluse am Strand trägt und dem Fotografen ihr phänomenales Gesäß in die Linse hält. Mein Gott, die Bibel sollen die Leute selber lesen oder in die Kirche gehen. Die Kirche allerdings, so meine ich, könnte sich ein bisschen mehr aufs Marketing konzentrieren und ihr Image aufpolieren. Glauben ist cool, ja warum denn nicht? Stattdessen geht man den anderen Weg. Den eigenen Canossagang. Aus der Versuchung heraus, ihren Exilgedanken – das Zentrum der Botschaft – in Sozialarbeit, Solidarität und Caritas umzukodieren, um ja nicht ironisiert zu werden. Aber Church ist nicht gleich Charity. Mildtätigkeit für die Medien bringt nur kurzen Applaus.

Manche christliche Kirchen haben sich immer mehr zu einem Funktionärsverband mit spiritueller Ausrichtung entwickelt, mit festen Sitzen in Kommissionen und Rundfunkräten. Funktioniert prächtig, bringt den Gläubigen null, aber macht nichts. Was fehlt, ist ein eigenes, aus dem Glauben geschweißtes Bekenntnis, das durchaus provokant sein darf. Ein Leitsatz, der vielleicht sogar mahnt und zum Denken anregt, etwas in der Art:

Wir können uns auf diesem Planeten nicht einrichten wie in einem ewigen Haus.

Wenn jemand im Wald einen Baum umarmt, um sich mit dem Transzendenten zu vereinen, finden das viele mannhaft. Manager schmusen mit Fichten, recht so, lass es raus. Besucht man dagegen sonntags die Kirche, muss man es möglicherweise verschweigen, um sich nicht einem Augenverdreher auszusetzen. Du gehst in die Kirche? Da schau her!

Dabei wird oft mit zweierlei Maß gemessen: Während die Toleranzgesellschaft buddhistische und islamische Glaubensinhalte kommentarlos oder wohlwollend zur Kenntnis nimmt, gibt man christliche Werte mühelos der Lächerlichkeit preis – und das noch unter der vermeintlichen Assistenz der Naturwissenschaft.

Den großen Pan wird das nicht kratzen.

2

Weltwissen und Weltanschauung

Es ist ein Zielgebot der Moderne und appelliert an die Vernunft weltlicher Geisteshaltung: Wissenschaft und Religion sollen strikt getrennt bleiben. Sonst wird die Religion nur die Lücken der Wissenschaft ausfüllen. Kein Glaube darf die weißen Flecken auf der Landkarte der Erkenntnis schwärzen. Kein Zauber soll den Scharfblick der Forschung trüben. Kein Gebet soll dem Denker auf der Suche nach der Wahrheit die Hände binden.

Der Grat ist freilich ein schmaler. Mir ist es nie darum gegangen, Fragen, bei denen die Wissenschaft vielleicht heute noch ansteht, schlicht und einfach durch die Allmacht der Religion zu beantworten. Religion soll keinesfalls als Lückenbüßer für theoretisches oder praktisches Unwissen daherkommen. Ein Joker, der einsagt und immer recht hat. Der deus ex machina einer Theorie. Es soll jedem Menschen erlaubt sein, Agnostiker, Atheist oder Theist zu sein. Den religiös Musikalischen wird trotzdem oft die Frage gestellt, ob sie es – unter Berufung auf die Naturforscher – als vernünftig einstufen, an transzendente Inhalte zu glauben.

Die große Frage, ob es jenseits unseres Mesokosmos, also unserer greifbaren Welt, transzendente Wirklichkeiten gibt, kann und darf die Naturwissenschaft nicht beantworten. Wie umgekehrt auch die Theologie naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht vereinnahmen soll.

Einverstanden. Allerdings muss sehr wohl ein Blick auf unseren derzeitigen (auch naturwissenschaftlichen) Erkenntnisstand erlaubt sein, wenn die Vernünftigkeit des Glaubens erklärt wird. Genau diese Vernünftigkeit des Glaubens ist es, worum es geht.

Obwohl nun Glaube und Wissenschaft getrennte Wege gehen sollen, idealerweise ohne sich jemals gegrüßt zu haben, wurde die Wissenschaft immer wieder missbraucht, um Jenseitigkeiten zu ironisieren. Gott zeigt sich nicht durchs Mikroskop? Dann kann er nicht real sein. Andererseits haben große Naturforscher die Entschlüsselung von physikalischen und biologischen Gesetzen als Erkenntnis einer großen Ordnung, die ein Weltenbaumeister etabliert hat, erlebt.

Heute zeigt uns die spekulative Physik des 20. Jahrhunderts ihre Grenzen des menschlichen Erkenntnishorizonts auf und lässt es zumindest nicht unvernünftig sein, jenseits und unabhängig dieser Welt unsere persönliche, sinnstiftende Antworten anzusiedeln. Was lange Zeit von den intellektuellen Mechanikern der Aufklärung so stupid abgetan wurde wie Gretchens Frage an Faust.

Margarete: Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?

Du bist ein herzlich guter Mann,

Allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon.

Faust: Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;

Für meine Lieben ließ’ ich Leib und Blut,

Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

Margarete: Das ist nicht recht, man muß dran glauben.

Faust: Muß man?

Faust windet sich aus dem Gespräch heraus, gibt keine konkreten Antworten auf die Frage nach der Religion. Und Goethe schweigt auch schon seit geraumer Zeit.

Eine naturalistische Weltanschauung, die sich über letzte Gründe ausschweigt, wird von vielen als glatt, steril und zumutungsreich empfunden. Wie ein Loft, das riesig, hip und noch nicht fertig eingerichtet ist. Eine Künstlerwohnung, die sich an der Kargheit der Erkenntnis orientiert. Minimalistisch zieht. Es ist eine Art Nirosta-Bekenntnis mit Teflon-Beschichtung. Einem Nichts kann nichts anhaften. An einem Nichts perlt alles ab. Wer an keinen Gott glaubt, kann nicht enttäuscht werden. Wer braucht Gott überhaupt? Immerhin haben wir Facebook.

Mit dem Atheismus ist das so eine Sache. Einer Studie zufolge sagen sechzehn Prozent der Befragten, dass sie nicht an Gott zu glauben, aber nur fünf Prozent bezeichnen sich als Atheisten. Paradox, nicht? Wo hört der Unglaube auf, wo beginnt der Atheismus? In Simmering?

Mir erscheint es trotzdem intellektuell redlich, an einer religiösen Interpretation unserer Existenz festzuhalten. Allerdings wird es zur Aufgabe jeder Theologie, die transzendentale Botschaft so zu verkünden, dass sie erstens in die heutige Zeit passen, zweitens sie jeder versteht und drittens sie auch in der Reflexion auf das Weltbild der modernen Naturwissenschaften stimmen.

Zentrale christliche Glaubensinhalte wie die Menschwerdung und die Auferstehung müssen in ihrer Kernaussage begriffen und dargestellt werden. Das metaphorische Vokabular der Vergangenheit kann man ruhig infrage stellen, ohne dass man gleich auf die Botschaft verzichten müsste. Es ist, wie das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die alten Geschichten werden nicht neu überarbeitet, sondern schlichtweg für falsch erklärt. Heute hieße das: Man hätte sich mehr um ein modernes Storytelling mit einer fetzigen Dramaturgie und coolen Charakteren kümmern sollen. Jede Zeit hat ihre Sprache. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Plot schlecht ist. Die Handlung stimmt.

Die Theologie braucht sich nicht von der naturwissenschaftlichen Weltbetrachtung zurückziehen und defensiv einstimmen, dass der Glaube eine schlechthin andere Wahrheitsform als das Wissen sei. Der Glaube kann Berge versetzen, heißt es. Heute vielleicht Bitcoins.

3

Glaube und Wissen, ­lange Zeit eine Einheit

Viele Naturforscher nährten ihren investigativen Ehrgeiz aus der Überzeugung, durch ihre Suche die Baupläne der Schöpfung besser verstehen zu können. Wissen und Existenzdeutungen waren keine Gegensätze, sie ergänzten einander.

In seinem Todesjahr 1543 publizierte Nikolaus Kopernikus, Astronom, Arzt und Domherr zu Frauenburg, sein Hauptwerk Über die Umschwünge der Himmlischen Kreise, lateinisch: De revolutionibus orbium cellestium. Dieses Buch, das die Umdrehungen der Hemisphären behandelt, hatte er dem damaligen Papst Paul III. gewidmet. Als Wissenschaftler erkannte Kopernikus, dass nicht die Erde im Mittelpunkt steht, also das geozentrische System, sondern die Sonne; um sie drehen sich die Planeten unseres heliozentrischen Systems. Als Theologe war Kopernikus der Meinung, mit seiner Theorie die Schöpfungsgeschichte besser interpretieren zu können.

Lange Zeit blieb seine Auffassung nur unter Astronomen ein Diskussionspunkt, die Kirche war noch nicht sensibilisiert. Erst als am Ende des 16. Jahrhunderts die heliozentrische Hypothese als naturwissenschaftliches Argument gegen die Schöpfungsgeschichte instrumentalisiert wurde, begann die Kirche – unklug ablehnend – zu reagieren.

Ähnlich war es beim Fall Galilei. Er machte dort weiter, wo Kopernikus mit seinem gewagten Vorpreschen begonnen hatte. Galileo Galileis Erkenntnisse wurden zunächst von der Amtskirche honoriert.

Zufällig hatte er 1610 von der Erfindung des Linsenfernrohres gehört, es nachgebaut und dann etwas gemacht, was vor ihm offensichtlich noch niemand getan hatte: Er richtete sein kleines Teleskop Richtung Himmel und machte Beobachtungen, die er zu deuten verstand. In seiner Schrift Sidereus Nuncius (Sternenbote) beschreibt er, wie sich die Milchstraße im Fernrohr in Myriaden einzelne Sterne auflöste und der Mond Gebirge und Täler besitzt, sprich dass der Himmel nicht ganz anders sein konnte als die Erde. Diese Ähnlichkeit, letztendlich zwischen Mond und Erde, machte für ihn ähnliche Gesetze im Himmel und auch auf Erden wahrscheinlich. Galilei knüpfte an die Theorien von Kopernikus an und erhärtete sie mit seinen Beobachtungen durch das Fernrohr. Wieder und wieder spähte er in den Nachthimmel und entdeckte die Jupitermonde, die ihm zeigten, dass das auf den Beobachtungen des antiken Astronomen Claudius Ptolemäus basierende geozentrische System nicht in allem stimmen konnte. Denn die Monde drehen sich nicht um die Erde, sondern um den Jupiter. Wenig später sah er mit seinem Teleskop, dass die Venus sich ähnlich verändert wie der Mond. Auch sie zeigt verschiedene Phasen, von der schmalen Sichel bis zur vollen Scheibe. Was nur damit zu erklären war, dass sie um die Sonne läuft.

Das heliozentrische System war mit dem Fernrohr bestätigt.

Quod erat demonstrandum.

Eine bahnbrechende Entdeckung. Ein Meilenstein in der menschlichen Forschergeschichte.

Galilei war in der Sekunde berühmt. 1611 wurde er von Papst Paul V. empfangen und vom Jesuitenkollegium, das sich sehr eindringlich mit der Astronomie befasste, ausgezeichnet. In allen Ehren. Kein Mensch dachte daran, dass es hier einen Widerspruch zur Bibel geben könnte. Der Papst nickte wohlwollend, die Jesuiten applaudierten.

Bis der Neid aufzog. In Form von lieben Kollegen. Es waren Physiker aus Mittelitalien, schmallippige Herren, die es nicht gerne sahen, dass Galileo Galilei mit seinen Fernrohren ein kleines Vermögen verdiente. Die Leute rissen sich um die Teleskope, kauften sie reihenweise und starrten in den Nachthimmel, als stünden dort die letzten Geheimnisse der Menschheit geschrieben. Galileo hatte sozusagen das iPhone seiner Generation entdeckt.

Den Physikern und Fachkonkurrenten stand der Schaum vor dem Mund. Sie waren es dann auch, die hergingen und sagten: Nein, die Jupitermonde gibt es doch gar nicht, und nein, die Phasenverschiebung der Venus gibt es auch nicht. Lug und Trug! Sie hielten am ptolemäischen System fest, als wäre es ihr letzter Wille.

Die verbohrten Professoren weigerten sich sogar, durch ein Fernrohr zu schauen. Geschweige denn den ganzen Humbug von wegen heliozentrischem Weltbild nachzubeten, nur weil dieser bärtige Geck Galilei antänzelte mit seinem ganzen Geld und die Leute irre machte. Galileo mochte diese Herren verständlicherweise nicht, er nannte alle, die Kopernikus und ihm widersprachen, »geistige Pygmäen, die es kaum verdienten, menschliche Wesen genannt zu, werden.«

Die geistigen Pygmäen antworteten mit einer Verschwörung. Sie drohten der römischen Inquisition, den rechten Glauben zu verlassen, wenn Galilei nicht verurteilt würde. Ketzer!

Dem Kardinal Großinquisitor Robert Bellarmin, einem Sympathisanten Galileis, blieb gar nicht anderes übrig, als ihn unter Hausarrest zu stellen. Für das Lehrgebäude war diese Auseinandersetzung wichtig, denn dadurch konnte die biblische Kosmologie neu verstanden werden.

Nach mehr als 20 Jahren der Auseinandersetzung mit der Inquisition hat man Galilei genötigt, seinen sogenannten Irrlehren abzuschwören. Sonst hätten sie ihn verbrannt. 1992 wurde er von der Kirche rehabilitiert. Manchmal braucht es eben 360 Jahre, um einen Fehler einzugestehen. Die Kirche ist kein Railjet.

Spannend war es auch, als Jahrzehnte später Isaac Newton die universalen Kraftgesetze mathematisch dokumentierte. Der Legende nach saß er anno 1666 in Cambridge unter einem Baum und ließ die Abendsonne auf sein Gemüt scheinen, als plötzlich Wind aufzog. Eine Bö erfasste die Äste und rüttelte an ihnen, bis ein Apfel herunterfiel, direkt vor Isaacs Füße, flop. Das gab ihm zu denken. Und zwar so sehr, dass sich aus der Idee ein Gesetz formte. Actio est reactio. Newton war desgleichen bewegt und der Meinung, Einblick in den großen Schöpfungsplan genommen zu haben. Daran erinnert heute noch die Gedenktafel in der Royal Society.


See the great Newton, He who first Survey’d

The Plan, by which the Universe was made.


So wie Galilei im Kulturkampf des 19. Jahrhunderts wurde auch Newton von den Enzyklopädisten als modernistische Ikone hochstilisiert, als Vordenker einer Welt ohne Schöpfer. Es war kein Unterschied mehr zwischen himmlischer und irdischer Physik. Das Zeitalter der mechanistischen Weltdeutung hatte begonnen.

Das Planetensystem geriet zu einem gigantischen Uhrwerk, das exakt nach bestimmten mathematischen Gesetzmäßigkeiten ablief. Und die Welt wurde zur Maschine erklärt, zur Weltmaschine, in der Wunder eigentlich nicht notwendig waren und in der immer weniger Menschen eine Notwendigkeit sahen, die Existenz Gottes anzunehmen. In einem Staubsauger liegt auch keine höhere Bedeutung.

Wissenschaft wurde also nicht nur benützt, um Gott zu beweisen, sondern auch im Gegenteil: seine Nicht-Existenz darzustellen und den Religiösen als »dummes Gretchen« abzuqualifizieren. Dass sich die moderne Physik von der mechanistischen Wirklichkeitsinterpretation verabschiedete, klingt aus dem Ruf Einsteins nach: »Newton verzeih mir«. Die spekulative Physik des 20. Jahrhunderts beweist zwar auch keinen Schöpfer, lässt es aber als nicht mehr so unvernünftig erscheinen, wenn jemand in einer persönlichen Entscheidung für Transzendentes stimmt und denkt: Vielleicht hält er sich doch irgendwo im Hintergrund, der große Pan.

4

Spekulative Physik und gläubige Vernunft

Um es nochmals in aller gebotenen Deutlichkeit zu sagen: Die Naturwissenschaft soll und kann Gott nicht beweisen. Sie möge es aber als vernünftig gelten lassen, wenn sich jemand für Glaubensinhalte jenseits des Greifbaren entscheidet.

Das bleibt nicht unwidersprochen: So vertritt Arwin Schönberg die Meinung, dass der Glaubensakt ein ausschließlich subjektives Entscheidungsgebäude ist, in dem alles, auch Aliens, angesiedelt werden darf, und der moderne Verfassungsstaat schützt das mit gefälliger Toleranz.

Dem steht eine andere Meinung gegenüber: Glaubensinhalte sollen vernünftig sein. Diesbezüglich war der Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie schmerzhaft, aber eigentlich erfolgreich. Die Offenbarungsinterpretation benötigt die Naturwissenschaft, um den Kern ihrer Botschaft der jeweiligen Zeit anzupassen, mithin in deren »Fleisch zu kriechen«, dem Begriff der »Inkarnation« entsprechend. So ist es mit der Kosmologie, mit Galilei, Darwin und all den anderen passiert. Die Theologie hat von ihnen, wenn auch mit Fehlern, gelernt und ihre Botschaft für die jeweilige Zeit ins richtige Kleid gepasst. Was früher ein Gleichnis war, bräuchte heute eine frischere Interpretation. Womöglich eine quantenphysikalische Entdeckung, die die Brücke zu früher schlägt. Das Ereignis von Bethlehem kann nicht jedes Jahrhundert neu stattfinden, es muss die Botschaft an das jeweilige »Fleisch« moduliert werden: alter Wein in neuen Schläuchen. Heute hieße das: Hey, Buddy, check ab, ob deine Message zum Story­telling passt, und mach ein gscheites Remake.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden alle Wissenschaften, ja alle Lebensbereiche von der mechanistischen, deterministischen Weltsicht erfasst, und damals erschien es als unvernünftig, an einen Weltenbaumeister zu glauben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts legte die Physik Erkenntnisse vor, die die nüchtern ausgerichtete Weltsicht, die sich seit Isaac Newton etabliert hatte, zu hinterfragen begann. Damit wurde Gott zwar nicht bewiesen, doch das Maß der Vernünftigkeit einer Glaubensentscheidung wuchs deutlich.

Der Mensch ist Bewohner des Mesokosmos, alle seine Sinne sind evolutionär durch die Umwelt geprägt, und seine Sinneswahrnehmungen beschränken sich darauf.

Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk sagt sehr treffend: »Der sichtbare und berechenbare Raum ist nur ein kleiner Schlitz der Wirklichkeit.« Hier das Auge und die Neuronen, die etwas bemerken, dort die Wellen, die durch das Unendliche vagabundieren. »Zwischen beiden besteht kaum eine Berührungsfrequenz.«

Ich behaupte: Es ist unrichtig, wenn Wissensgockeln verkünden, dass im Weltanschaulichen nur das Festgestellte zählt. Denn Nichtwissen ist kein Einwand gegen das Wirkliche. Da braucht man gar kein Pflichtverteidiger der Transzendenz zu sein.

Es ist seltsam, dass dieses Nichtwissen nicht mehr verlegen macht. Die Hardcore-Positivisten und Anthropomorphisten scheren sich nicht um eine Lösung von übergeordnetem Rang. Eine Theorie, die Denkbares übersteigt? Pah. Ein Dialog, theologisch verwässert? Geh bitte! Her mit den Fakten, Fakten, Fakten. Doch Transzendentes ist keine Gerichtsverhandlung, bei der mit Beweisen oder Indizien alles geklärt werden kann. Es gibt nur Hinweise. Die meisten liegen außerhalb unseres Frequenzbereichs.

Katzen können einzelne Farben kaum unterscheiden, die Analyse ihres Sehpigmentes bestätigt das. Sie sehen die Wirklichkeit nur in Grau; trotzdem würde niemand behaupten, dass es Farben nicht gäbe, nur weil das Sensorium der Katzen sie nicht wahrnimmt.

Zwar ist das menschliche Gehirn (bei den meisten Leuten) weiter entwickelt als das der Katzen, trotzdem kann es keineswegs den Anspruch erheben, endgültige Realitäten zu erkennen.

Der Feinsinn in den Antennen erstreckt sich bei Weitem nicht auf das, was um einen kreucht und fleucht. Riechen wir Handywellen? Sehen wir Bazillen? Hören wir Überschall? Ertasten wir Sauerstoff? Schmecken wir eine Idee?

Für die Denker: Schnurrt Schrödingers Katze auch noch, wenn sie tot ist, oder gerade erst dann?

Dem menschlichen Gehirn bleibt in den jetzigen, aber auch in den zukünftigen neuralen Vernetzungen – solange wir an Raum und Zeit gebunden sind – manches verborgen, was dennoch existiert.

Seit Einsteins Relativitätstheorie wissen wir, dass es keine Erfahrungsmöglichkeit der Gleichzeitigkeit gibt. Alles, was wir sehen, ist bereits vergangen. Das resultiert aus der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit. Das Universum ist ein virtueller Raum, der uns nur aus seiner Vergangenheit trägt und bestimmt – auch das kann als transzendent bezeichnet werden.

Im Verbund mit dem absoluten Limit der Lichtgeschwindigkeit, 300.000 Kilometer pro Sekunde, auf dem die Relativitätstheorie beruht, ergibt sich eine Sichtbarkeitsgrenze für das All, eine Art Welthorizont. Aber auch im Mikrokosmos stößt man zu immer kleineren Bereichen vor, bis schließlich mit der Quantenunschärfe ebenfalls eine limitierender Erkenntniswand erreicht wird. Der Welthorizont schützt uns vor den unendlich Großen genauso wie vor dem unendlich Kleinen.

Im Alltags haben wir es mit getrennten, kausal zusammenhängen Objekten zu tun, im Bereich der Quantenphysik sieht man, dass die Dinge ursachenlos miteinander verknüpft sind. Aber verknüpft ist alles. Alles scheint mit allem unauflöslich zusammenzuhängen.

Ein Orchester mit einem fast pantheistischen Klang.

Es muss nicht jede Regel, jede Lehre und jeder Leitsatz in Stein gemeißelt sein. Die Quantenmechanik räumte mit dem gesetzmäßigen Determinismus auf, in der Welt des ganz Kleinen gilt nur mehr die Wahrscheinlichkeit. Vor allem aber relativierte sich der Versuch, alles auf die Existenz und Wirkung kleinster Materieeinheiten zurückführen zu wollen. Denn von einer »festen« Materie kann man nach Meinung der modernen Physik nicht mehr sprechen. Sie hat sich förmlich in Luft, in Energie aufgelöst. Mit der revolutionierenden Perspektive, dass Subjekt und Objekt verbunden sind, ihre starre Trennung ist nicht mehr möglich.

Eindrücke sind letztendlich nichts anderes als elektronische Signale. Unsere Sinnesorgane erkennen sie und lösen Reaktionsketten aus, verbunden mit dem Objekt, von dem sie ausgehen. Der Beobachter selbst wird zu einer Funktion des Lichtes. Ein Botschafter der Sinne.

Und: Würde er versuchen, der Lichtgeschwindigkeit hinterherzulaufen so wird sich nicht der Abstand zu dem mit 300.000 Kilometer pro Sekunde eilenden Lichtkegel verkürzen, sondern die Masse und die Zeit des Beobachters würden sich ändern. Könnten wir eine Rakete von der Erde beobachten, die sich nahe an die Lichtgeschwindigkeit annähert, so würden in ihr die Borduhren fast still stehen, während sie auf der Erde weiterwandern, die Zeit passt sich der Geschwindigkeit an. Wenn die Astronauten wieder auf die Erde zurückkämen, wären alle ihre Freunde und Verwandte schon längst nicht mehr am Leben, weil seit ihrem Start Hunderte oder Tausende von Jahren auf der Erde verflossen wären. Allerdings gibt es in unserem Mesokosmos solche Experimente nicht.

Aber auch die Masse des Objekts ist von der Geschwindigkeit abhängig: Beträgt die Masse eines Steines in Ruhe 1 kg, so nimmt sie mit steigender Geschwindigkeit zu, bei halber Lichtgeschwindigkeit etwa beträgt sie das 1,155-Fache. Bei Lichtgeschwindigkeit hingegen würde die Masse so unglaublich groß sein, dass wir unendlich viel Energie aufbringen müssten, um sie dorthin zu beschleunigen. Prinzipiell kann nichts schneller sein als das Licht, obwohl die Energie genauso mit der Bewegung zunimmt wie die Masse.

Man berechnet, dass in einem ruhenden Körper latente Energie verborgen ist und dass umgekehrt Energie jeglicher Form eine gravitative Masse hervorbringen kann. Beides, Masse und Energie, sind von der Geschwindigkeit abhängig. Diese Ruheenergie ist das Produkt von Ruhe + Masse x Lichtgeschwindigkeit2. Sie gleicht einer extrem gespannten Feder, die in der ruhenden Materie schlummert, letztlich die Sonne zum Leuchten bringt und den Kosmos stabilisiert. Und es kann auch aus reiner Energie Ruhemasse erzeugt werden – darin liegt der Ursprung aller Materie.

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Die Unschärfe des Augenblicks

Tatsächlich kann man sich die Quantenzustände eines Atoms mit dem Bild des Sonnensystems erklären: im Zentrum sitzt der Atomkern als kleine Sonne, drumherum kreisen die Elektronen wie Planeten auf ganz bestimmten Bahnen, die von vornherein genau festgelegt sind. Die Bahnen unterscheiden sich um eine mathematisch definierte Energiedifferenz. Ein Elektron kann die Bahn wechseln, dabei wird die Energie, die der Energiedifferenz der beiden Elektronenbahnen entspricht, entweder emittiert oder absorbiert.

Zu dem repräsentieren die Elektronen um die Atome »stehende Wellen«. Sie können damit Teilchen, aber auch Welle sein, was durch die Teilchen-Welle-Dualität beschrieben wird. Auf diesen Ideen aufbauend, entwickelte Erwin Schrödinger die eigentliche Wellenmechanik, jedes Teilchen wird dabei durch die Wellenfunktion Psi beschrieben. Die Schrödinger-Gleichung bestimmt, wie sich die Wellenfunktion räumlich und zeitlich in einer gegebenen physikalischen Umwelt entwickelt. Dabei wurde die Wellenfunktion als »Wahrscheinlichkeitsverteilung« interpretiert; die Elektronen laufen nicht mehr auf definierten Bahnen um den Atomkern herum, sondern umgeben diesen Kern in einer Art Wahrscheinlichkeitswolke.

Der Beobachtungsaspekt ist deswegen von zentraler Bedeutung. Weil sich ohne Beobachtungen keinerlei Aussagen über ein System machen lassen. Ein unbeobachtetes System existiert gewissermaßen gar nicht. Diese Erkenntnis drückt sich in der Heisenberg’schen Unschärferelation aus.

Einfach gesagt: Schaut man auf ein Experiment drauf, ändert das schon das Experiment.

Werner Heisenberg war ein deutscher Wissenschaftler und Nobelpreisträger, er zählt zu den bedeutendsten Physikern des 20. Jahrhunderts. Er fand heraus: Jeder Beobachtungsakt muss ein Quantensystem notwendig stören, wenn man versucht, Ort und Geschwindigkeit eines Elektrons im Atom durch Bestrahlung, das heißt durch eine Art Abtastung mit einem Photon zu messen. Dann kommt es bei dieser Messung zu einer Wechselwirkung zwischen dem Photon und dem Elektron, das bedeutet: Der Messvorgang selbst ist schon die Wechselwirkung, die man berücksichtigen muss. Das Photon wird das Elektron stoßen, unberechenbar, weil der Zustand des Elektrons eben gerade nicht bekannt ist, und zwar umso stärker, je kleiner die Wellenlänge, das heißt, je größer die Energie des Photons ist. Das wiederum führt zu einer unbestimmten Geschwindigkeitsänderung des Elektrons, soll heißen: Es lassen sich nie alle Zustandsparameter eines Quantensystems genau bestimmen. Es bleibt eine fundamentale Restunbestimmtheit, eben eine Unschärfe, die prinzipiell nicht unterlaufen werden kann. Das ist das Wesen des Heisenberg’schen Unschärfeprinzips.

Und dabei wurde etwas Großartiges offenbar: Subjekt (Beobachter) und Objekt (Gegenstand) sind auf fundamentale Weise miteinander verknüpft. In der endgültigen Ausformulierung der Quantenmechanik schwebt sozusagen ein unbeobachtetes Quantensystem in einem unbeobachteten Zustand: Jeder Zustand ist im Prinzip möglich und wird mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angegeben. Erst durch die Beobachtung, beziehungsweise den Messvorgang, also durch den Eingriff des Subjekts, wird das System des Objekts in einen der vorher nur möglichen Zustände gedrückt und dadurch (aber nur in der gemessenen Größe) bestimmt. In einem gewissen Sinn wird es durch die Beobachtung erst real.

Angenommen, man wünscht sich etwas, und es geht in Erfüllung. Oder man denkt an jemanden, und kurz darauf ruft er an. Überspitzt formuliert, hieße das: Der Geist schafft die Materie. Formt sie erst, indem er Einfluss nimmt. Früher hat man es so erklärt: Der Glaube kann Berge versetzen.

Heute ist das halt der Heisenberg.

Das Elektron ist das älteste bekannte Elementarteilchen, dem im Atom ein sehr kompakter, schwerer, positiv geladener Atomkern gegenübersteht. Die Ladung eines darin enthaltenen Protons entspricht genau der des Elektrons, ist aber positiv, sodass es im Atom immer gerade so viele Protonen wie Elektronen gibt. Ihre Anzahl bestimmt das chemische Element des Atoms. Neutronen benötigt es, um die Protonen, die sich wegen der gleichen Ladung stark abstoßen würden, zusammenzuhalten.

Jetzt gibt es allerdings mehrere Sorten von Elektronen. Die Nyome, die zweihundertfach größer sind als die normalen Elektronen und Teilchen, mit einer dreitausendfachen Elektronenmasse. Die drei Sorten von Elektronen werden mit drei Sorten von Neutrinos verbunden. Neutrinos haben keine Ladung und fast keine Masse, ihre Wechselwirkung mit der übrigen Materie ist zu schwach, sodass sie, wenn sie im Sonneninneren bei der Kernfusion erzeugt werden, praktisch ungehindert und mit Lichtgeschwindigkeit durch die Erde hindurchfliegen. Diese sechs Teilchen bilden zusammen die Familie der sogenannten Leptone, Teilchen, die nicht der starken, sondern nur der schwachen Wechselwirkung unterliegen.

Denen gegenüber stehen die Hartrone, Teilchen wie das Proton und das Neutron, die der starken Wechselwirkung gehorchen. Die Unterelemente dieser Hartrone wurden als Quarks bezeichnet. Insgesamt gibt es, nach heutigem Erkenntnisstand der Physik, zwölf fundamentale Teilchen in der Natur: sechs Leptone und sechs Quarks. Allerdings müsste man die Botenteile der vier fundamentalen Wechselwirkungen hinzuzählen – bei der elektromagnetischen Wechselwirkung wäre es das bereits bekannte Photon.

Die Liste muss aber noch verdoppelt werden, denn zu jedem Teilchen gibt es auch noch ein Antiteilchen, das dieselbe Masse und denselben Spin besitzt, aber ansonsten in allen anderen Eigenschaften eine Spiegelversion des ursprünglichen Teilchens darstellt. Insbesondere trägt es die umgekehrte elektrische Ladung. So gehört zum negativ geladenen Elektron das positiv geladene Antielektron, das man Positron nennt (das einzige Antiteilchen mit einem eigenen Namen), zum positiven Proton das negative Antiproton, zum neutralen Neutron das ebenfalls neutrale Antineutron. Das Photon hingegen ist sein eigenes Antiteilchen.

Wenn ein Teilchen mit einem Antiteilchen zusammenstößt, kommt es zur völligen gegenseitigen Vernichtung, man nennt das auch Annihilation, bei der bloß Energie übrigbleibt, die durch Photonen weggetragen wird. Teilchen und Antiteilchen zerstrahlen sich. Dieser Prozess wird Paarvernichtung genannt, man kennt das von manchen Ehen, wobei es allerdings auch eine Paarerzeugung gibt. Wenn zwei Photonen mit genügend hoher Energie zusammenstoßen, kann ein Teilchen-Antiteilchenpaar erzeugt werden. Ein Prozess, aus dem die Materie des Universums hervorgezaubert wurde. Wobei in dieser Spiegelwelt auch stets Antiteilchen dafür notwendig sind.

Dieses Konzept der Teilchen-Antiteilchenerzeugung, beziehungsweise deren Vernichtung ist das Ende der atomistisch-reduktionistischen Sichtweise der Materie. Es gibt keine kleinsten unzerstörbaren Einheiten der Materie, jedes Teilchen kann erzeugt und vernichtet werden. Beim Versuch, ein Teilchen in seine Bestandteile zu zerlegen, indem man es etwa mit einem anderen Teilchen bombardiert, entstehen aus der Kollisionsenergie einfach noch mehr Teilchen. Jedes Teilchen kann so, im Prinzip, in jedes andere umgewandelt werden. Es stirbt nie, es verändert nur seine Form. Wie die Seele.

Aber auch im Makrokosmos scheint ein Übergang zwischen Energie und Materie sich ähnlich wie im Mikrokosmos abzuspielen. Würden wir unsere Milchstraße von außen betrachten, so befände sich die Sonne irgendwo am Rand, im Abstand von 25.000 Lichtjahren vom Zentrum entfernt. Obwohl sie sich mit einer unvorstellbar großen Geschwindigkeit von 220 km/Sekunde bewegt, benötigt sie für einen ganzen Umlauf ungefähr 230 Millionen Jahre. So lange dauert ein galaktisches Jahr. Aber auch alle anderen Sterne, man schätzt hundert Milliarden, werden in eine ähnliche Umlaufbahn gezwungen. Das ganze Sternensystem befindet sich dadurch in einer Rotation.

Galaxien sind die Bausteine des Universums und haben eine allgemeine Tendenz, sich in Galaxiegruppen oder Galaxiehaufen zusammenzutun. Auch unsere Milchstraße gehört, zusammen mit der Andromedagalaxie und 30 weiteren, viel kleineren Galaxien einer solchen Galaxiegruppe an. Dabei bleibt die Galaxiedichte annähern konstant.

Dann gibt es da noch das Phänomen der Rotverschiebung. Rotverschiebung heißt, dass die Wellenlänge des Lichts, das von einem Himmelskörper ausgestrahlt wird, dem Beobachter größer erscheint als bei der Ausstrahlung: Das Licht wird röter. Obwohl die Rotverschiebung den Beginn des Weltalls nahelegt, könnte das einfache Bild von der geplatzten Granate, sprich Urknall, durch ein neues ersetzt werden, das besser zur relativistischen Vorstellung von Raum und Zeit passt. Denn der Raum ist – entsprechend der Einstein’schen Gravitationstheorie – mehr als nur ein passives Gefäß für die Materie, die sich darin, von gewissen Kräften geschoben, ausweitet.

Der Raum selbst ist vielmehr eine dynamische Größe: Er kann sich krümmen und glätten, zusammenziehen und dehnen. Wahrscheinlich bleiben die Galaxien in all ihrer Galaxienflucht selbst mehr oder weniger in Ruhe, während sich bloß der Raum zwischen ihnen ausdehnt.

Dabei ist es wie der Luftballon, der Bemalungen trägt. Wenn man ihn aufbläst, wird sich der Raum gleichmäßig dehnen, und die darauf gemalten Punkte werden simultan auseinanderstreben. Damit kommt die Rotverschiebung einer Galaxie auch nur dadurch zustande, dass die Lichtwellen, die sie einst aussandten, während ihrer Reise durch den Weltraum zu uns kontinuierlich mitgestreckt wurden. Demnach hat sich bei der Weltschöpfung der Raum begonnen aufzublasen.

30 Prozent des Weltalls sind Materie, allerdings ist nur ein Prozent davon sichtbar, und 70 Prozent sind Energie. Das ist die kritische Größe des Universums.

Nach der gängigen Theorie der Strukturentstehung bildeten sich die ersten Galaxien dadurch, dass an Stellen geringer Überdichte die Expansion des Universums lokal abgebremst wurde, bis es schließlich zum Kollaps einer Gaswolke mit anschließender Sternbildung kam. Den Geburtsvorgang einer Galaxie kann man sich als ein Abschnüren vom kosmischen Hintergrund vorstellen.

Das frühe Universum war ein Plasma, eine Teilchensuppe von 3000 Grad Hitze. Dieser Zustand bedingt, dass Materie und Lichtteilchen, Photonen, miteinander in sehr engem Kontakt stehen und sich ständig stoßen, quasi anrempeln. Dadurch konnten sich die Atome noch nicht ausbilden. Als die Teilchensuppe unter 3000 Kelvin absank, entstand das atomare Gas, die Elektronen wurden dabei von den Protonen eingefangen, und es bildeten sich Wasserstoffatome. Gleichzeitig konnte sich die Strahlung im Universum erstmals frei ausbreiten, da die wichtigsten treuen Partner der Photonen, die Elektronen, jetzt wegfielen.

Ich muss mich entschuldigen, falls das alles einen Deut zu kompliziert rüberkommt, doch diese Dinge beschreiben das Wesen unseres Daseins im Kosmos. Physik im ganz Kleinen wie im ganz Großen. Die Basis von alldem, was wir im All sehen. Und darüberhinaus. Manchmal auch nur in uns selbst.