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Deutsch – leichter lesen

Anne Frank
Aus dem Tagebuch

Bearbeitet von:
Angelika Lundquist-Mog

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Deutsch – leichter lesen

1. Auflage     1     Version 1 | 2020

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags.

© Anne Frank Tagebuch. Einzig autorisierte und ergänzte Fassung

Diese Ausgabe wurde entwickelt in Zusammenarbeit mit dem
ANNE FRANK FONDS Basel.

Textbearbeitung und Didaktisierung: Angelika Lundquist-Mog

eISBN 978-3-12-909063-3

Inhalt

Einführung

Text 1: 14. Juni 1942

Text 2: 20. Juni 1942

Text 3: 21. Juni 1942

Text 4: 8. Juli 1942

Text 5: 9. Juli 1942

Text 6: 11. Juli 1942

Text 7: 14. August 1942

Text 8: 21. August 1942

Text 9: 27. September 1942

Text 10: 29. September 1942

Text 11: 9. November 1942

Text 12: 10. November 1942

Text 13: 17. November 1942

Text 14: 19. November 1942

Text 15: 28. November 1942

Text 16: 23. Juli 1943

Text 17: 26. Juli 1943

Text 18: 16. September 1943

Text 19: 8. November 1943

Text 20: 2. Januar 1944

Text 21: 28. Januar 1944

Text 22: 18. Februar 1944

Text 23: 23. Februar 1944

Text 24: 4. März 1944

Text 25: 7. März 1944

Text 26: 17. März 1944

Text 27: 5. April 1944

Text 28: 11. April 1944

Text 29: 16. April 1944

Text 30: 19. Mai 1944

Text 31: 25. Mai 1944

Text 32: 6. Juli 1944

Text 33: 1. August 1944

Begriffe zur Zeitgeschichte

Präteritumformen

Übungen zum Leseverstehen

Lösungen

Einführung

Anne Frank und ihr Tagebuch

Anne Franks Tagebuch ist eines der berühmtesten Dokumente des Holocausts. Anne Frank wurde am 12. Juni 1929 als Tochter einer jüdischen Familie in Frankfurt geboren. Nachdem Hitler 1933 an die Macht kam, wurden Juden in Deutschland viele Rechte weggenommen und sie wurden immer mehr diskriminiert. Deshalb und aus wirtschaftlichen Gründen ging Familie Frank 1933 in die Niederlande. Anne lebte mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester Margot in Amsterdam. 1940 besetzten die Nazis auch die Niederlande und nun wurde es für Juden auch dort gefährlich. Es gab viele antijüdische Gesetze.

Anne wünschte sich zum 13. Geburtstag, also zum 12. Juni 1942, ein Tagebuch und bekam es auch. Sie fing sofort an zu schreiben. In ihrem Tagebuch schrieb Anne Briefe an „Kitty“ – die Freundin, die sie sich wünschte, aber nicht hatte. Zuerst schrieb sie über Themen wie Schule, Freunde und Freundinnen und das schwierige Alltagsleben von Juden. Am 5. Juli 1942 kam dann mit der Post ein „Aufruf“ für Margot. Die Schwester sollte nach Deutschland geschickt werden. Deshalb versteckte sich Familie Frank im Hinterhaus der Firma des Vaters. Dort schrieb Anne Frank ihr Tagebuch zwei Jahre lang weiter, bis die Nazis die Versteckten fanden und am 4. August 1944 verhafteten. Vermutlich wurden sie verraten. Den letzten Tagebucheintrag schrieb Anne am 1. August 1944. Dann wurde die Familie mit den anderen Hinterhausbewohnern deportiert.

Anne Franks Schicksal berührt die Menschen bis heute. Das Tagebuch verrät ihre geheimen, intimen Gedanken, Wünsche, Träume und Ängste. Es zeigt Anne einerseits als eine ganz normale Jugendliche. Sie beschäftigt sich mit Themen wie Freundschaft, Liebe, Berufswünschen und dem Konflikt mit der Mutter. Andererseits ist ihre Lebenssituation keineswegs normal. Sie ist in ihrem Versteck mit anderen Menschen auf engstem Raum gefangen. Sie kann nicht nach draußen, hat keine Intimsphäre und keine Freunde. Und es gibt immer die Angst und die Gefahr, dass die Nazis sie entdecken könnten. Diese Situation führt vielleicht dazu, dass sie ihre enge Welt und die politischen Ereignisse so genau beschreibt und reflektiert.

Anne Frank konnte gut beobachten und schreiben; sie war begabt, ehrgeizig und hatte Humor. Sie wollte Journalistin oder Schriftstellerin werden.

Dass dieses junge Mädchen, das wir so intensiv durch ihr Tagebuch kennenlernen, Opfer der Nazis wurde, zeigt die unmenschliche Grausamkeit der Nazizeit.

Das Versteck

Im Hinterhaus von Otto Franks Firma Opekta in der Prinsengracht 263 versteckten sich acht Personen. Anne veränderte die Namen in ihrem Tagebuch. Familie van Daan hieß in Wirklichkeit van Pels und Albert Dussel hieß Fritz Pfeffer. Das Überleben in dem Versteck war nur möglich, weil Mitarbeiter von Otto Frank in allen möglichen Situationen halfen. Auch für die Helfer war das gefährlich. Die Versteckten mussten im Hinterhaus vorsichtig und leise sein, denn in der Firma arbeiteten noch Angestellte, die nichts von ihnen wussten.

Die Versteckten

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Otto Frank

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Edith Frank

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Margot Frank

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Anne Frank

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Fritz Pfeffer (alias Albert Dussel)

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Familie van Pels (alias van Daan)

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Peter

Die Helfer

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Johannes Kleiman

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Victor Kugler

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Miep Gies

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Jan Gies

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Bep Voskuijl

Was passierte nach dem letzten Tagebucheintrag?

Am 4. August 1944 verhafteten die Nazis alle acht Versteckten. Am 8. August brachten sie sie nach Westerborg (Niederlande). Von da aus wurden sie am 3. September 1944 nach Auschwitz (Polen) deportiert, wo Hermann van Pels und Annes Mutter ermordet wurden. Die anderen wurden in unterschiedliche Konzentrationslager deportiert, wo sie starben oder getötet wurden. Anne Frank und ihre Schwester Margot starben in Bergen-Belsen (Norddeutschland) kurz vor Kriegsende 1945 an Typhus.

Nur Annes Vater Otto Frank überlebte.

Die Veröffentlichung

Miep Gies, eine Helferin, übergab Otto Frank nach dem Krieg das Tagebuch. Otto Frank veröffentlichte 1947 die niederländische Ausgabe Het Achterhuis (Das Hinterhaus). Bekannt wurde das Tagebuch vor allem durch das Theaterstück (1955) und die Verfilmung der Geschichte (1959). Das Tagebuch wurde bisher in mehr als 70 Sprachen übersetzt.

Otto Frank engagierte sich für den Dialog, die Menschenrechte und Versöhnung. 1963 gründete er den Anne Frank Fonds in Basel und setzte ihn als Universalerben ein. Er ist Inhaber und Herausgeber des Tagebuchs seiner Tochter. Am 19. August 1980 starb Otto Frank.

Zu dieser Textausgabe

Diese sprachlich vereinfachte und bearbeitete Ausgabe Anne Frank: Aus dem Tagebuch auf dem Sprachniveau A2/B1 richtet sich vor allem an Leserinnen und Leser, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Sprachliche Vereinfachung bedeutet: Diese Ausgabe gibt den Tagebuchtext nicht Wort für Wort wieder. Trotzdem bleibt diese Version so nah am Text wie möglich und versucht, den besonderen Stil von Anne Frank zu erhalten und mit ihrer Stimme zu sprechen.

Grundlage für die hier ausgewählten Tagebuchtexte ist die weltweit verbindliche Lesebuchausgabe des Fischer Verlags Anne Frank Tagebuch (1991), aus dem Niederländischen übersetzt von der 2019 verstorbenen Schriftstellerin und Übersetzerin Mirjam Pressler.

Zu Textauswahl und Aufbau

Es handelt sich um eine Auswahl von 33 Tagebuchtexten. Die Texte sind so gewählt, dass darin die wichtigen Themen des Tagebuchs vorkommen. Manchmal wurde leicht gekürzt. Wenn eine längere Passage weggelassen wurde, ist dies mit (…) gekennzeichnet.

Jeweils am Seitenende werden mit Sternchen markierte Wörter erklärt.

Zu den grau markierten Begriffen gibt es auf den Seiten 94–98 Informationen zur Zeitgeschichte.

Anne Frank verwendet im Tagebuch viele Präteritumformen. Die unregelmäßigen Formen befinden sich alphabetisch geordnet auf den Seiten 99–101.

Zusätzlich gibt es zu den Texten Übungen zum Leseverstehen ab Seite 102 und dazu Lösungen auf Seite 119/120. Die Übungen sind mit diesem Symbol gekennzeichnet:     image   Übungen

Text 1

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Sonntag, 14. Juni 1942

Ich beginne mit dem Augenblick, als ich dich bekommen habe. Das heißt, als ich dich auf meinem Geburtstagstisch gesehen habe (beim Kaufen war ich auch dabei, aber das zählt nicht).

Am Freitag, dem 12. Juni, war ich schon um sechs Uhr wach. Das ist doch klar! Ich hatte schließlich Geburtstag. Aber um sechs Uhr durfte ich noch nicht aufstehen, auch wenn ich schrecklich neugierig war. Bis Viertel vor sieben habe ich gewartet. Länger habe ich es nicht geschafft. Ich lief ins Esszimmer. Da begrüßte mich gleich unsere Katze Moortje mit einem Salto1.

Kurz nach sieben ging ich zu Papa und Mama und dann ins Wohnzimmer. Dort wollte ich meine Geschenke auspacken. Zuerst sah ich dich und du bist wohl eines von meinen schönsten Geschenken. Es gab viele Blumen. Von Papa und Mama habe ich eine blaue Bluse bekommen, ein Spiel, eine Flasche Traubensaft, die nach Wein schmeckt (klar, Wein ist ja aus Trauben), ein Puzzle, Creme, Geld und einen Gutschein2 für zwei Bücher. Da war noch ein Buch, aber das hat Margot schon. Darum habe ich es getauscht. Dann gab es noch Kekse3, die ich selbst gebacken habe (das kann ich nämlich zurzeit sehr gut), viele Süßigkeiten und eine Erdbeertorte4 von Mutter. Von Omi gab es einen Brief, der ganz pünktlich kam, aber das ist natürlich ein Zufall.

Meine Freundin Hanneli holte mich ab. Wir gingen zur Schule. In der Pause verteilte ich Butterkekse an die Lehrer und Schüler. Dann haben wir wieder gearbeitet.

Ich kam erst um fünf Uhr nach Hause, weil ich noch beim Sport war (obwohl ich nie mitmachen darf, weil ich mir leicht Arme und Beine verletze). Für meine Mitschüler habe ich Volleyball als Geburtstagsspiel ausgesucht. Sanne war schon da. Ilse, Hanneli und Jacqueline sind mit mir gekommen. Hanneli und Sanne waren früher meine besten Freundinnen. Jacqueline habe ich erst auf dem Jüdischen Lyzeum kennen gelernt. Sie ist jetzt meine beste Freundin. Sanne geht in eine andere Schule und hat dort ihre Freundinnen.

image   Übungen

1der Salto: ein sportlicher Sprung in der Luft

2der Gutschein: Stück Papier, mit dem man etwas kaufen kann

3der Keks: kleines, süßes Gebäck

4die Erdbeertorte: Torte mit roten Früchten

Text 2

Samstag, 20. Juni 1942

Für mich ist Tagebuch schreiben seltsam. Nicht nur, weil ich noch nie Tagebuch geschrieben habe. Ich denke auch, dass ich und andere Menschen sich später nicht für die intimen1 Gedanken und Gefühle eines dreizehnjährigen Schulmädchens interessieren. Aber das ist nicht so wichtig. Ich habe Lust zu schreiben. Und ich brauche jemanden, dem ich alles erzählen kann.

Man sagt „Papier ist geduldiger als Menschen“. Daran dachte ich, als ich an einem meiner eher traurigen Tage Langeweile hatte. Ich saß am Tisch, den Kopf auf den Händen, und ich hatte keine Energie. Weggehen oder zu Hause bleiben? Ich wusste es nicht. So blieb ich sitzen und dachte weiter nach. Genau, Papier ist geduldig. Und weil niemand dieses Tagebuch irgendwann lesen darf, ist es auch egal. Einzige Ausnahme: Vielleicht gibt es später in meinem Leben „die“ Freundin oder „den“ Freund.

So hatte ich die Idee mit dem Tagebuch: Ich habe keine Freundin. Das muss ich wohl erklären, denn niemand kann verstehen, dass ein Mädchen mit dreizehn ganz allein auf der Welt ist. Das ist auch nicht wahr. Ich habe liebe Eltern und eine Schwester, die sechzehn ist. Ich habe mindestens dreißig Bekannte; manche würden sagen: Freundinnen. Und ich habe viele männliche Bewunderer2. Sie lesen mir alle Wünsche von den Augen ab. Manchmal wollen sie sogar in der Klasse meinen Blick mit einem kaputten Spiegel fangen. Ich habe Verwandte und ein gutes Zuhause. Nein, es fehlt mir nichts, außer „die“ Freundin. Mit meinen Bekannten kann ich Spaß machen. Ich kann über alltägliche Dinge sprechen, aber es geht nie tiefer und nie werde ich intimer mit ihnen. Das ist das Problem. Vielleicht liegt das ja auch an mir. Jedenfalls ist es leider so und nicht zu ändern. Darum dieses Tagebuch.

Ich will nicht einfach so Tagebuch schreiben. Ich will meiner Freundin schreiben, die ich ja so gerne haben möchte. Deshalb soll dieses Tagebuch selbst meine Freundin sein. Und diese Freundin heißt „Kitty“.

Niemand versteht das, was ich Kitty erzähle, wenn ich einfach so losschreibe. Ich mache das nicht gern, aber ich muss wohl kurz meine Lebensgeschichte aufschreiben.

Mein allerliebster Schatz von einem Vater heiratete erst mit 36 Jahren meine Mutter. Sie war damals 25 Jahre alt. Meine Schwester Margot wurde 1926 in Frankfurt am Main in Deutschland geboren. Am 12. Juni 1929 kam ich. Bis zu meinem vierten Lebensjahr wohnte ich in Frankfurt. Weil wir Juden sind, ging dann mein Vater 1933 in die Niederlande. Er wurde Direktor3 der Niederländischen Opekta Gesellschaft zur Marmeladenherstellung4. Meine Mutter, Edith Frank-Holländer, fuhr im September auch nach Holland. Margot und ich gingen nach Aachen in Deutschland, wo unsere Großmutter wohnte. Margot ging im Dezember nach Holland und ich im Februar. Da haben mich meine Eltern als Geburtstagsgeschenk für Margot auf den Tisch gesetzt.

Ich ging bald in den Kindergarten der Montessorischule. Dort blieb ich, bis ich sechs Jahre alt war. Dann kam ich in die erste Klasse. In der 6. Klasse kam ich zu der Direktorin Frau Kuperus. Am Ende des Schuljahres nahmen wir Abschied und weinten beide fürchterlich. Dann besuchte ich das Jüdische Lyzeum, wo Margot auch war.

In unserem Leben gab es viele Sorgen, denn unsere Familie in Deutschland litt unter Hitlers Judengesetzen. Nach den Pogromen 1938 flohen meine beiden Onkel nach Amerika, und meine Großmutter kam zu uns. Sie war damals 73 Jahre alt.

Ab Mai 1940 waren die guten Zeiten bei uns vorbei: erst der Krieg, dann kapitulierten die Niederländer und die deutschen Soldaten kamen ins Land. So begann das Elend5 für uns Juden. Es gab ein Judengesetz nach dem anderen. Jetzt hatten wir kaum noch Freiheiten. Juden müssen einen Judenstern tragen; Juden müssen ihre Fahrräder abgeben; Juden dürfen nicht mit der Straßenbahn fahren; Juden dürfen nicht mit einem Auto fahren, auch nicht mit einem privaten; Juden dürfen nur von 3–5 Uhr einkaufen; Juden dürfen nur zu einem jüdischen Friseur; Juden dürfen zwischen 8 Uhr abends und 6 Uhr morgens nicht auf die Straße; Juden dürfen nicht in Theater, Kinos und an andere Orte gehen, die für das Vergnügen gedacht sind; Juden dürfen nicht ins Schwimmbad, und auch nicht auf Sportplätze; Juden dürfen nicht rudern6; Juden dürfen in der Öffentlichkeit keinen Sport machen; Juden dürfen nach acht Uhr abends nicht in ihrem Garten oder im Garten von Bekannten sitzen; Juden dürfen nicht zu Christen ins Haus kommen; Juden müssen auf jüdische Schulen gehen und so weiter. So war unser Leben nun und wir durften dies und das nicht. Jacque sagt immer zu mir: „Ich habe nicht den Mut, irgendetwas zu machen, ich habe immer Angst, dass es nicht erlaubt ist.“