Maigret und das Gespenst

Die seltsamen Nächte des Inspektor Lognon und Solanges Leiden

Es war kurz nach ein Uhr nachts, als das Licht in Maigrets Büro ausging. Der Kommissar, dem vor Müdigkeit fast die Augen zufielen, öffnete die Tür zum Büro der Inspektoren, in dem der junge Lapointe und Bonfils Dienst taten.

»Gute Nacht, Kinder«, murmelte er.

In dem breiten Flur fegten die Putzfrauen, und er winkte ihnen rasch zu. Wie immer um diese Zeit zog es hier, und das Treppenhaus, durch das er mit Janvier hinunterging, war eisig und feucht.

Es war Mitte November. Den ganzen Tag hatte es geregnet. Seit acht Uhr morgens war Maigret nicht aus seinem überheizten Büro herausgekommen, und ehe er den Hof betrat, schlug er seinen Mantelkragen hoch.

»Soll ich dich irgendwo absetzen?«

Ein telefonisch bestelltes Taxi wartete vor dem Portal am Quai des Orfèvres.

»An irgendeiner Metrostation, Chef.«

»Gute Nacht, Chef.«

»Gute Nacht, Janvier.«

Es war ein Augenblick, wie sie ihn schon Hunderte von Malen zusammen erlebt hatten, ein Augenblick, in dem sie beide die gleiche ein wenig trübe Befriedigung spürten.

Wenige Minuten später ging Maigret leise die Treppe am Boulevard Richard-Lenoir hinauf, holte den Schlüssel aus seiner Tasche, drehte ihn vorsichtig im Schloss und hörte gleich darauf, wie Madame Maigret sich im Bett umdrehte.

»Bist du’s?«

Auch das hatte er schon Hunderte oder gar Tausende Male erlebt: Wenn er mitten in der Nacht nach Hause kam, stellte sie ihm mit verschlafener Stimme diese Frage, tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe, setzte sich im Nachthemd auf und warf ihrem Mann einen Blick zu, um zu sehen, wie seine Laune war.

»Ist es vorbei?«

»Ja.«

»Der Junge hat endlich ausgepackt?«

Er nickte.

»Hast du Hunger? Soll ich dir nicht etwas zu essen machen?«

»Ist noch Bier im Kühlschrank?«

Beinahe hätte er das Taxi an der Place de la République halten lassen, um in einer noch geöffneten Brasserie ein Bier zu trinken.

»War es so, wie du gedacht hast?«

Ein banaler Fall, soweit man einen Fall, der das Schicksal mehrerer Menschen betrifft, banal nennen kann. Die Zeitungen hatten eine Sensation daraus gemacht, unter der Schlagzeile Die Motorradgang.

Beim ersten Mal hatten am helllichten Tag in der Rue de Rennes zwei Motorräder vor einem Juwelier gehalten. Zwei Männer waren vom ersten und einer vom zweiten abgestiegen; sie hatten sich rote Schals vors Gesicht gebunden, waren in dem Laden verschwunden und wenige Augenblicke später, jeder eine Pistole in der Hand, mit Schmuckstücken und Uhren herausgekommen, die sie im Schaufenster und auf der Theke zusammengerafft hatten.

Die Menge draußen hatte zunächst nicht reagiert, und als ein paar Autofahrer, nachdem sie sich von dem ersten Schock erholt hatten, die Verfolgung aufnahmen, war es zu einem solchen Verkehrschaos gekommen, dass die Täter hatten flüchten können.

Die Beute war mager gewesen, denn in dem Geschäft, das von einer Witwe geführt wurde, gab es nur Billigware.

»Die wollten ihre Methode erproben.«

Nie zuvor waren Motorräder bei einem Überfall zum Einsatz gekommen.

Der Kommissar täuschte sich nicht. Denn schon drei Tage später spielte sich die gleiche Szene ab. Diesmal bei einem Luxusjuwelier am Faubourg Saint-Honoré. Das Resultat war das gleiche, mit dem Unterschied, dass die Banditen Schmuck im Wert von mehreren Millionen alter Franc ergatterten, im Wert von zweihundert Millionen, wie die Zeitungen schrieben, während die Versicherung den Schaden auf hundert Millionen schätzte.

Allerdings hatte einer der Diebe auf der Flucht seinen Schal verloren, und man verhaftete ihn zwei Tage später in einer Schlosserei in der Rue Saint-Paul, wo er arbeitete.

Am selben Abend saßen alle drei hinter Schloss und Riegel. Der Älteste war zweiundzwanzig Jahre alt, der Benjamin, Jean Bauche, genannt Jeannot, hatte gerade erst das achtzehnte Lebensjahr erreicht. Ein blonder, langhaariger Junge, Sohn einer Putzfrau aus der Rue Saint-Antoine, und ebenfalls in der Schlosserei beschäftigt.

›Hör mal, Jeannot. Du markierst hier den starken Mann. Sie haben dir eingeredet, du seist einer. Aber die Idee mit den Überfällen ist nicht von dir und auch nicht von deinen beiden Kumpels. Da steckt jemand anders dahinter, jemand, der das alles eingefädelt hat und darauf bedacht war, sich die Finger nicht schmutzig zu machen. Er ist vor zwei Monaten aus dem Gefängnis Fresnes entlassen worden und will nicht wieder dahin zurück. Gib zu, er war ganz in der Nähe, in einem gestohlenen Auto, und hat eure Flucht gedeckt, indem er absichtlich ungeschickt durch den dichten Verkehr manövriert hat …‹

Maigret zog sich aus, trank hin und wieder einen Schluck Bier und erstattete seiner Frau in knappen Worten Bericht.

»Solche Burschen sind sehr zäh … Man hat ihnen ein besonderes Ehrgefühl eingeimpft …«

Er hatte drei Wiederholungstäter verhaften lassen, darunter einen gewissen Gaston Nouveau. Wie nicht anders zu erwarten, hatte der ein stichhaltiges Alibi: Zwei Personen gaben an, zum Zeitpunkt des Überfalles habe Nouveau sich in einer Bar in der Avenue des Ternes aufgehalten.

»Janvier und ich haben uns auf den jungen Bauche konzentriert. Wir haben seine Mutter kommen lassen. Sie hat ihn angefleht:

›So gesteh doch, Jeannot! Du siehst ja, dass die Herren dir nichts Böses wollen. Sie verstehen, dass man dich da in etwas hineingezogen hat …‹«

Zwanzig unangenehme Stunden, in denen sie dem Jungen unbarmherzig zugesetzt hatten. Mindestens ebenso unangenehm war es gewesen, seinen Widerstand plötzlich zusammenbrechen zu sehen.

›Na gut, ich werde alles sagen. Ja, es ist Nouveau, der uns im Lotus aufgetan und für seinen Plan gewonnen hat …‹

Eine kleine Bar in der Rue Saint-Antoine, wo junge Männer und Mädchen den Klängen der Musikbox lauschten.

›Wenn ich aus dem Gefängnis herauskomme, werden mich seine Leute umbringen, und das nur Ihretwegen.‹«

Nun denn, das Tagwerk war vollbracht. Maigret legte sich mit schwerem Kopf schlafen.

»Um neun.«

»Kannst du nicht etwas länger schlafen?«

»Weck mich um acht.«

Es gab sozusagen keinen Übergang. Er hatte das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben. Ihm war, als hätte es, nur wenige Minuten nachdem er die Augen geschlossen hatte, an der Wohnungstür geklingelt und seine Frau wäre aus dem Bett geschlüpft.

Im Flur wurde geflüstert. Er glaubte die Stimme zu erkennen, sagte sich aber, er träume gewiss, und vergrub seinen Kopf im Kissen.

Wieder die Schritte seiner Frau, die sich dem Bett näherten. Wollte sie sich noch einmal hinlegen? Hatte sich jemand in der Tür geirrt? Nein. Sie berührte ihn an der Schulter, zog die Vorhänge auf. Ohne dass er die Augen aufzuschlagen brauchte, merkte er, dass es heller Tag war. Mit pappiger Stimme fragte er: »Wie spät ist es?«

»Sieben.«

»Ist jemand gekommen?«

»Lapointe wartet im Esszimmer auf dich.«

»Was will er?«

»Ich weiß nicht. Bleib noch einen Moment im Bett. Ich mache dir eine Tasse Kaffee.«

Warum sprach seine Frau mit ihm, als gäbe es schlechte Neuigkeiten? Warum hatte sie gezögert,

Maigrets erster Gedanke war, dass Jean Bauche sich nach seinem Geständnis in der Zelle erhängt hatte. Ohne auf den Kaffee zu warten, erhob er sich, schlüpfte in seine Hose, fuhr sich mit dem Kamm durchs Haar und öffnete, noch ganz benommen, die Tür zum Esszimmer.

Lapointe stand in einem schwarzen Mantel am Fenster, einen dunklen Hut in der Hand, das Gesicht mit Bartstoppeln bedeckt, da er die ganze Nacht Dienst gehabt hatte.

Maigret blickte ihn nur fragend an.

»Entschuldigen Sie, dass ich Sie geweckt habe, Chef … Heute Nacht ist etwas passiert … Es geht um jemanden, den Sie sehr mögen.«

»Janvier?«

»Nein … Niemand vom Quai.«

Madame Maigret brachte zwei große Tassen Kaffee.

»Lognon …«

»Ist er tot?«

»Schwer verletzt. Man hat ihn ins Krankenhaus Bichat gebracht. Seit drei Stunden operiert ihn Professor Mingault … Ich wollte nicht früher kommen. Nach dem Tag gestern und dem Abend brauchen Sie Ruhe … Am Anfang sah es auch nicht so aus, als würde er durchkommen.«

»Zwei Kugeln, eine in den Bauch, die andere in den Rücken, etwas unterhalb der Schulter…«

»Wo?«

»In der Avenue Junot, auf dem Gehsteig …«

»War er allein?«

»Ja. Seine Kollegen vom 18. Arrondissement haben die Ermittlungen aufgenommen.«

Der Kaffee schmeckte Maigret nicht so gut wie sonst.

»Ich habe gedacht, Sie möchten vielleicht bei ihm sein, wenn er wieder zu sich kommt. Der Wagen steht unten.«

»Weiß man Näheres über die Sache?«

»Kaum etwas. Man weiß nicht mal, was Lognon in der Avenue Junot gemacht hat. Eine Concierge hat die Schüsse gehört und die Polizei informiert. Eine Kugel ist durch ihren Fensterladen gedrungen, hat die Scheibe zerschlagen und ist dann in der Wand über ihrem Bett stecken geblieben.«

»Ich ziehe mich rasch an.«

Er ging ins Badezimmer, während Madame Maigret den Tisch für das Frühstück deckte.

Lapointe hatte seinen Mantel ausgezogen und wartete.

Inspektor Lognon gehörte zwar nicht, wie er es sich gewünscht hätte, zum Quai des Orfèvres,

Er war ein sogenannter Zivilist, einer der zwanzig Inspektoren in Zivil, die ihr Büro in der Mairie von Montmartre, an der Ecke Rue Caulaincourt und Rue du Mont-Cenis hatten.

Manche nannten ihn Inspektor Griesgram, seiner mürrischen Miene wegen. Maigret nannte ihn Inspektor Pechvogel, und tatsächlich könnte man sagen, dass der arme Lognon die Gabe hatte, alles nur denkbare Unglück auf sich zu ziehen.

Er war klein und mager und das ganze Jahr über erkältet, weshalb er immer eine rote Nase und die tränenden Augen eines Trinkers hatte, und dabei war er gewiss der enthaltsamste Polizeibeamte von allen.

Er war mit einer kranken Frau geschlagen, die sich nur mühsam von ihrem Bett zu einem Sessel am Fenster schleppen konnte, sodass Lognon nach Dienstschluss die Wohnung sauber machen, die Einkäufe erledigen und das Essen kochen musste. Für das große Reinemachen einmal die Woche konnte er sich immerhin eine Putzfrau leisten.

Viermal hatte er sich bei der Kriminalpolizei beworben, und jedes Mal hatte er die Prüfung wegen irgendwelcher dummer Patzer nicht bestanden,

»Und? Kommt er durch? Was sagen die Ärzte?«

»Die Chancen scheinen drei zu zehn zu stehen.«

Bei einem Mann, der den Namen Inspektor Pechvogel zu Recht trug, war das nicht gerade ermutigend.

»Konnte er sprechen?«

Maigret, seine Frau und Lapointe aßen die Croissants, die der Bäckerjunge vor die Tür gelegt hatte.

»Dazu haben seine Kollegen nichts gesagt, und ich habe lieber keine Fragen gestellt …«

Lognon war nicht der Einzige, der unter einem Minderwertigkeitskomplex litt. Die meisten der Inspektoren der einzelnen Kommissariate schielen neidisch zu dem »großen Haus« hin, wie der Quai des Orfèvres auch genannt wird, und wann immer sie in einem interessanten, schlagzeilenträchtigen Fall ermitteln, ärgert es sie, wenn man ihnen diesen wegnimmt.

»Gehen wir«, seufzte Maigret und zog seinen vom Vortag noch feuchten Mantel an.

Sein Blick begegnete dem seiner Frau, und er merkte, dass sie ihm etwas sagen wollte, erriet,

»Kommst du zum Mittagessen nach Hause?«

»Höchstwahrscheinlich nicht.«

»Wäre es nicht vielleicht …«

Sie dachte an Madame Lognon, die hilflos und allein in ihrer Wohnung war.

»Zieh dich schnell an. Wir setzen dich an der Place Constantin-Pecqueur ab.«

Die Lognons wohnten dort schon seit über zwanzig Jahren in einem roten Backsteinhaus, dessen Fenster mit gelben Ziegeln eingefasst waren. Die Hausnummer hatte sich Maigret nie merken können.

Lapointe setzte sich ans Steuer des kleinen Wagens der Kriminalpolizei. Es war das zweite Mal in all den Jahren, dass Madame Maigret mit ihrem Mann in einen solchen Wagen stieg.

Sie fuhren an überfüllten Bussen vorbei. Auf den Gehsteigen eilten die Leute dahin, nach vorn gebeugt und krampfhaft ihre Schirme festhaltend, die der Wind ihnen zu entreißen versuchte.

Sie erreichten Montmartre, die Rue Caulaincourt.

»Hier ist es … Ruf mich im Büro an. Ich denke, ich werde gegen Mittag dort sein.«

Kaum war ein Fall abgeschlossen, da begann schon der nächste, von dem er noch nichts wusste.

»Zunächst mal ins Bichat …«

Eine Treppe. Flure. Offene Türen, durch die man aufgereihte Betten sah und Patienten, die die vorbeigehenden Männer neugierig musterten.

Man schickte sie in die falsche Richtung, und sie mussten wieder zum Hof hinunter und eine andere Treppe hinauf, ehe sie endlich vor einer Tür mit der Aufschrift Chirurgie standen und einen ihnen bekannten Inspektor vom 18. Arrondissement fanden, einen gewissen Créac, der eine unangezündete Zigarette im Munde hatte.

»Ich glaube, Sie tun gut daran, Ihre Pfeife auszumachen, Herr Kommissar. Es gibt hier einen Drachen, der sich prompt auf Sie stürzen wird. So ist es mir ergangen, als ich meine Zigarette anstecken wollte …«

Krankenschwestern hasteten vorbei, mit Schüsseln, Eimern, Tabletts voller Flaschen und vernickelter Instrumente.

»Ist er immer noch drin?«

Es war Viertel vor neun.

»Seit vier Uhr operiert man ihn schon.«

»Und? Neuigkeiten?«

Es war die Oberschwester, die Créac den Drachen genannt hatte. Maigret klopfte. Eine wenig liebenswürdige Stimme rief:

»Herein! Was gibt’s?«

»Entschuldigen Sie die Störung, Madame. Ich bin Kriminalkommissar Maigret …«

Der kalte Blick der Frau schien zu sagen:

»Na und?«

»Können Sie mir etwas über den Zustand des Inspektors sagen, den man gerade operiert.«

»Erst wenn die Operation beendet ist … Ich weiß bloß, dass er nicht tot ist, denn der Professor ist noch nicht herausgekommen.«

»Konnte er sprechen, als man ihn hergebracht hat?«

Sie sah ihn an, als hätte er eine blöde Frage gestellt.

»Er hatte sehr viel Blut verloren, wir mussten ihm sofort eine Transfusion geben.«

»Wann, glauben Sie, wird er das Bewusstsein wiedererlangen?«

»Das müssen Sie Professor Mingault fragen.«

»Falls Sie ein Einzelzimmer haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie es für ihn reservieren würden. Es ist wichtig. Ein Inspektor wird an seinem Bett wachen …«

»Herr Professor, hier ist jemand, der …«

»Kommissar Maigret.«

»Angenehm.«

»Lebt er?«

»Ja, noch lebt er … Sofern keine Komplikationen auftreten, dürfen wir hoffen, dass er durchkommt.«

Seine Stirn glänzte von Schweiß, er sah erschöpft aus.

»Noch etwas … Es wäre wichtig, dass er ein Einzelzimmer bekommt …«

»Kümmern Sie sich darum, Madame Drasse … Gestatten Sie?«

Mit großen Schritten ging er zu seinem Büro. Die Tür öffnete sich von Neuem. Ein Krankenpfleger schob ein fahrbares Bett heraus, auf dem sich unter einem Laken ein Körper abzeichnete. Von dem steif daliegenden Lognon sah man nur den oberen Teil des Gesichts.

»Bringen Sie ihn in Nummer 218, Bernard …«

»Sehr wohl, Madame.«

Sie folgte dem Bett. Maigret, Lapointe und Créac schlossen sich ihr an. Eine düstere Prozession: In fahlem Licht, das durch die hohen

Ein Assistenzarzt, der aus dem Operationssaal kam, schloss sich ebenfalls dem Zug an.

»Sind Sie ein Angehöriger?«

»Nein … Kommissar Maigret …«

»Ach! Sie sind das?«

Er warf ihm einen neugierigen Blick zu, als wollte er sich vergewissern, dass Maigret dem Bild entsprach, das er sich von ihm gemacht hatte.

»Der Professor sagt, er könnte durchkommen.«

Es war eine Welt für sich, in der die Stimmen nicht den gleichen Klang hatten wie anderswo und die Fragen ohne Echo blieben.

»Wenn er das gesagt hat …«

»Wissen Sie vielleicht, wie lange es dauern wird, bis er wieder bei Bewusstsein ist?«

War Maigrets Frage derart absurd, dass man ihn so ansehen musste? Die Oberschwester ließ die Polizeibeamten nicht in das Zimmer eintreten.

»Nein. Noch nicht.«

Man musste den Verletzten ins Bett legen und zweifellos behandeln, denn zwei Schwestern brachten Verschiedenes, darunter ein Sauerstoffzelt.

»Bleiben Sie hier im Flur, wenn es unbedingt

Maigret sah auf die Uhr.

»Ich glaube, ich lasse Sie jetzt allein, Créac. Versuchen Sie, bei ihm zu sein, wenn er das Bewusstsein wiedererlangt. Falls er in der Lage ist, zu sprechen, notieren Sie sich genau, was er sagt …«

Er fühlte sich nicht gedemütigt, nein, das nicht, aber er spürte ein gewisses Unbehagen, denn er war es nicht gewohnt, so unfreundlich behandelt zu werden. Seine Bekanntheit machte keinen Eindruck auf die Menschen hier, für die Leben und Tod eine andere Bedeutung hatten als für gewöhnliche Sterbliche. Er war erleichtert, als er sich im Hof seine Pfeife anstecken konnte, während Lapointe sich eine Zigarette anzündete.

»Du solltest schlafen gehen. Fahr mich nur noch zur Mairie des 18

»Kann ich nicht bei Ihnen bleiben, Chef?«

»Du hast die ganze Nacht …«

»In meinem Alter, wissen Sie …«

Die Mairie war ganz in der Nähe. Im Büro der Inspektoren saßen drei Beamte in Zivil über ihre Schreibmaschinen gebeugt und verfassten Berichte, was sie wie gewissenhafte Angestellte aussehen ließ.

»Guten Tag, Messieurs … Wer von Ihnen weiß etwas über den Fall?«

»Jeder von uns und niemand …«

»Hat jemand Madame Lognon benachrichtigt?«

»Durantel ist zu ihr gegangen.«

Auf dem Fußboden sah man die Spuren feuchter Sohlen, es roch nach kaltem Rauch.

»War Lognon mit einem bestimmten Fall befasst?«

Sie blickten sich zögernd an. Schließlich begann einer von ihnen, ein kleiner Dicker:

»Das haben wir uns auch gerade gefragt … Sie kennen ja Lognon, Herr Kommissar … Er tat meistens sehr geheimnisvoll, wenn er meinte, eine Spur entdeckt zu haben … Manchmal war er wochenlang mit einem Fall beschäftigt, ohne uns ein Wort davon zu sagen.«

Weil der arme Lognon es gewohnt war, dass andere an seiner Stelle den Ruhm ernteten!

»Seit mindestens zwei Wochen tat er wieder einmal geheimnisvoll, und manchmal, wenn er ins Büro zurückkam, machte er ein Gesicht, als hätte er eine große Überraschung auf Lager.«

»Und er hat kein Wort darüber verlauten lassen?«

»Nein. Aber er hat sich ständig für den Nachtdienst einteilen lassen.«

»Die Streifen haben ihn mehrmals in der Avenue Junot gesehen, unweit der Stelle, wo auf ihn geschossen wurde … Aber in letzter Zeit nicht mehr … Er verließ das Büro um neun Uhr abends und kam um drei oder vier Uhr morgens wieder … Manchmal tauchte er die ganze Nacht nicht mehr auf.«

»Hat er keine Berichte geschrieben?«

»Ich habe im Register nachgesehen. Da steht nur ein Wort: ›Nichts.‹«

»Sind Männer von hier am Tatort?«

»Drei, unter Chinquiers Leitung.«

»Journalisten?«

»Ein Anschlag auf einen Inspektor lässt sich schlecht verheimlichen … Möchten Sie den Kommissar sprechen?«

»Im Augenblick nicht.«

Maigret ließ sich von Lapointe zur Avenue Junot fahren. Die Bäume hatten bereits alle ihre Blätter verloren, die auf dem feuchten Pflaster klebten. Obwohl es noch immer in Strömen regnete, standen etwa fünfzig Personen auf halber Höhe der Avenue herum.

Uniformierte Polizisten hatten vor einem vierstöckigen Haus einen Teil des Gehwegs abgesperrt. Als Maigret aus dem Wagen stieg und sich zwischen den Schaulustigen und ihren Schirmen

»Noch einmal, Kommissar … Gehen Sie noch einmal ein paar Schritte durch die Menge …«

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