cover.jpg

img1.jpg

 

Band 238

 

Die neun Türme

 

Rainer Schorm

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1. Halycon Faulkner: Karambolage

2. Perry Rhodan: Der Wächter

3. Kavvam jad Chi: Gescheiterte Flucht

4. Chronophasenlinie: Initiation

5. Perry Rhodan: Das Licht der Welt

6. Kavvam jad Chi: Gefangen

7. Perry Rhodan: Flug und Begleiter

8. Chronophasenlinie: Sukzession

9. Perry Rhodan: Glas und noch eine Kugel

10. Kavvam jad Chi: Gesprächsverlust

11. Perry Rhodan: Viele Wirbel

12. Chronophasenlinie: Prä-Klimax

13. Koggs: Aussichtslosigkeit trotz Transparenz

14. Perry Rhodan: Die Eigenheiten von Schlüsseln

15. Kavvam jad Chi: Missliebiger Besuch

16. Perry Rhodan: Zur Neunturmanlage

17. Perry Rhodan: Greifbare Ergebnisse?

18. Chronophasenlinie: Peripetie

19. Perry Rhodan: Am Ende

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Gut fünfzig Jahre nachdem die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, bildet die Solare Union die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs. Aber die Sicherheit der Menschen ist immer wieder in großer Gefahr. Eine unheimliche Bedrohung sucht die Galaxis heim – das Dunkelleben. Es scheint seinen Ursprung im Zentrum der Milchstraße zu haben.

Deshalb bricht Perry Rhodan mit der CREST II in den Sagittarius-Sektor auf. Die Terraner erreichen das Compariat in der galaktischen Kernregion, das von den Omniten beherrscht wird. Ihre Suche nach Informationen führt sie bis zum Omnitischen Herzen, wo sie in eine Revolte geraten: Die Shafakk, die Soldaten des Compariats, lehnen sich gegen die Herrscher auf.

Als die CREST II von gegnerischen Kampfschiffen verfolgt wird, fliehen die Terraner in ein Schwarzes Loch, das den Zugang zur Heimstatt der Omniten ermöglicht. Aber noch sind die Menschen nicht am Ziel – als besondere Herausforderung erweisen sich DIE NEUN TÜRME ...

1.

Halycon Faulkner: Karambolage

 

Perry Rhodan betrat den Hangar.

Halycon Faulkner beobachtete, wie sich der ehemalige Protektor ruhig und gelassen umsah. Er zeigte weder Anspannung noch Unruhe, und das, obwohl auf der CREST II Alarmzustand herrschte.

Das Raumschiff hatte das Schwarze Loch Almonidra II angeflogen, das – wie der Omnit Bingdu behauptet hatte – ein Tor vom Omnitischen Herzen in den Gadenhimmel darstellte, dem Ziel der terranischen Expedition. An diesem mysteriösen Ort hatten sich die Menschen zum einen Hilfe für den Oproner Merkosh erhofft, dessen Verwandlung in einen Omniten nur im Gadenhimmel gefahrlos vollendet werden konnte. Vor allem aber wollten sie dort Unterstützung im Abwehrkampf gegen das weltenzerstörende Dunkelleben finden, das die Solare Union und weitere Teile der Milchstraße heimsuchte.

Ob die CREST II den Ereignishorizont des Schwarzen Lochs nun durchbrochen hatte oder ob etwas komplett anderes abgelaufen war, wusste weder Faulkner noch sonst jemand von der Besatzung. Das Raumschiff hing seit über sieben Stunden im Nirgendwo. Die Außenbeobachtungssensoren nahmen nichts wahr, eine Ortbestimmung war unmöglich; es schien, als habe sich die Welt um die CREST II aufgelöst und nur wesenlose Schwärze hinterlassen. Die größte Aufregung hatte sich mittlerweile gelegt, geblieben war Ratlosigkeit. Wenn eine unmittelbare Gefahr bestand, hatte sie sich bisher nicht gezeigt.

Faulkner sah Rhodan auf sich zukommen. Der Expeditionsleiter hatte mit der Schiffsführung im engeren Sinne nicht viel zu tun, also nahm er sich häufig die Freiheit, andere Sektionen des riesigen Kugelraumers aufzusuchen. Dennoch wunderte sich Faulkner, dass Rhodan von der Zentrale hierhergekommen war.

Faulkner war Pilot. Zusammen mit Connor Lamondt und Morena Quispe bildete er das Team, das die BOUDICCA flog, eine Space-Disk vom Typ E – das »E« stand für »Explorer«. Diese Art Kleinstraumschiffe war mit einer Sonderausstattung für wissenschaftliche Aufgaben ausgerüstet. Eins dieser Fahrzeuge, die CREST-SD 64E, wurde gerade für den Einsatz vorbereitet. Da anscheinend etwas die CREST II von ihrer Umgebung isolierte, sollte das Beiboot einen Erkundungsflug unternehmen und im wahrsten Sinne des Wortes Licht ins Dunkel bringen.

Wahrscheinlich ist Rhodan deshalb hier vor Ort, dachte Faulkner. Er ist ebenfalls Pilot. Vielleicht fühlt er sich in dieser Umgebung ähnlich wohl wie wir.

Der obere Haupthangar der CREST II war eine gigantische Halle. In diesem Areal parkte der Großteil der Beibootflottille, wurden die an Bord mitgeführten Raumfahrzeuge und ihre Maschinen gewartet, aufgetankt oder repariert. Es war nicht einfach nur ein Abstellplatz, sondern zugleich ein hochtechnologisches Industrie- und Werftgelände. Zurzeit herrschte im Hangar ein Vakuum, weshalb Faulkner und Rhodan ebenso wie das restliche Personal ringsum leichte Raumanzüge trugen.

Rhodan hob grüßend den Arm. Faulkner hatte Rhodan bis dahin nie persönlich getroffen. Seine direkte und unkomplizierte Art überraschte und beeindruckte ihn. Eine hohe gesellschaftliche Stellung schlug sich meist schnell im Verhalten nieder, bei Rhodan war das nicht der Fall.

»Sie sind Mister Faulkner«, sagte Rhodan. »Sie fliegen eine Space-Disk des gleichen Typs wie die 64E, richtig?«

Wieso weiß er solche Dinge?, dachte Faulkner. Informiert er sich über alle, mit denen er zu tun haben könnte?

»Das ist korrekt, Sir«, antwortete Faulkner. »Die CREST-SD 66E. Wir nennen sie BOUDICCA.«

Rhodan stutzte. »Die keltische Kriegskönigin? Ein ziemlich martialischer Name für ein Forschungsschiff.«

Faulkner seufzte unhörbar. »Sie sind nicht der Erste, der das merkwürdig findet.«

»Die CREST-SD 64E fliegt unbemannt«, sagte Rhodan, als wolle er die Diskussion abbiegen.

»Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass der Einsatz uns weiterhilft?«, fragte Faulkner.

»Vielleicht stecken wir in einem Kokon?«, sagte Rhodan nachdenklich. »Vielleicht umgibt uns eine höherdimensionale Hülle? Anders ist diese undefinierbare Schwärze um die CREST II kaum zu erklären. Wir befinden uns im Zentrum der Milchstraße. Hier gibt es mehr elektromagnetische Strahlung als irgendwo sonst. Wenn die Space-Disk die Trennschicht durchdringen kann, die uns vermutlich isoliert, sind wir möglicherweise in der Lage, uns zu befreien. Sofern tatsächlich eine Trennschicht ist. Sie glauben nicht an einen Erfolg?«

»Halycon, bist du da?«, erklang eine weitere Stimme in dem offenen Helmfunkkanal, über den Faulkner und Rhodan kommunizierten.

Faulkner bestätigte. Sein Teamkollege Lamondt hielt sich näher an der Hangarsektion drei auf. Dort würde die Space-Disk ausschleusen.

»Sprichst du mit Rhodan?«, erkundigte sich Lamondt verblüfft. Da sie sich nur über eine akustische Verbindung unterhielten, hatte er Rhodans Anwesenheit erst bei dessen Worten bemerkt.

Faulkner grinste. »Eindeutig ja.«

»Was macht der denn ... Frag ihn doch mal, was das für eine absurde Finsternis ist dort draußen. Wir sind nah bei Sagittarius A*. Das Licht sollte uns eher die Augen ausbrennen ...«

Etwas gequält verzog Faulkner das Gesicht. »Connor Lamondt, Sir. Mein Zweiter Pilot.«

Rhodan übernahm die Antwort. »Hallo, Mister Lamondt. Darüber streiten sich die Wissenschaftler und SENECA in genau diesem Moment. Wüssten wir, was mit der CREST II nicht stimmt, wäre dieser Start nicht nötig.«

Sie wurden unterbrochen. Überall flammten gelbe Warnlichter auf. Die Akustikfelder im Innern von Faulkners Helms reproduzierten die zugehörigen Alarmtöne nur gedämpft, aber doch laut genug, dass er sie nicht überhören konnte.

Die Stimme der Hangarleitstelle lieferte die Begründung für die Erhöhung des Alarmstatus. »Schleusensequenz beginnt. Sicherheitsstufe eins!«

Unruhe breitete sich in der gewaltigen Halle aus. Der zentrale Kontrollturm ähnelte nun einem Weihnachtsbaum in voller Beleuchtung. Die positronische Überwachung sicherte die im Hangar untergebrachten Beiboote mit Prallfeldern und zusätzlichen Schwerkraftankern. Hangartechniker hasteten über die ausgewiesenen Sicherheitsrouten. Der Hangar war so groß, dass man unmöglich bei jedem Start- oder Landevorgang den ganzen Bereich evakuieren konnte. Warnlichter flackerten über die Kerzenbäume, an denen die geparkten Space-Disks hingen wie hochtechnologische Früchte.

»Schleusenareal frei halten! Verlassen Sie die markierten Sicherheitsbereiche nicht. SD 64E wird in den Schleusungskanal bewegt.«

Rhodan sprach mit der Zentrale, während sich eins der gigantischen Außenschotten des Hangars öffnete. Eine Space-Disk näherte sich dem Ausflugtor von links. Traktorfelder lenkten das kompakte, kleine Diskusboot zielsicher durch den Hangar.

Ich weiß nicht, warum, aber ich bin froh, dass das nicht unser Schiff ist, dachte Faulkner. Die BOUDICCA war gleichartig ausgestattet wie die CREST-SD 64E, vollgestopft mit Sensoren und wissenschaftlichen Messgeräten. Ein Spezialboot, das maximal vier Besatzungsmitgliedern Platz bot.

Die Space-Disk schwebte in den gekennzeichneten Schleusenkorridor ein. Prallfelder sicherten den Ausflugkorridor und übernahmen die Funktion von Schleusenschotten – obwohl das bei der aktuell im Hangar herrschenden Luftleere nicht unabdingbar war.

Wie gebannt starrte Faulkner in das scheinbare Nichts hinaus. Das Schwarz, welches das 1500 Meter durchmessende Raumschiff einhüllte, war ihm unheimlich. Wenn man es mit eigenen Augen sah, schien das Nichts den Betrachter verschlucken zu wollen. Der Anblick hatte etwas Hypnotisches.

»Es fühlt sich ... falsch an, nicht?«, fragte Rhodan, ohne Faulkner anzusehen. »Gerade im Zentrum der Galaxis ist dieses absolute Nichts ein absurder Widerspruch.«

»Kommt zu uns ins Schwalbennest«, hörte Faulkner Lamondt sagen. »Die Zeit habt ihr noch. Die Abtastung der unmittelbaren Umgebung läuft gerade an. Die Kommandantin will nicht, dass die Space-Disk in irgendwas hineinfliegt.« Er räusperte sich. »... das wir nicht erkennen können. Wir sind in Kontrollkabine sechsundzwanzig.«

Faulkner war bereits auf dem Weg zu den Kontrollkabinen gewesen, die wie Schwalbennester überall an den Hangarwänden oder Wartungsgerüsten hingen, daher ihr bei der Besatzung gebräuchliche Spitzname. Viele davon waren mobil und verankerten sich jeweils dort, wo die Hangartechniker gerade arbeiteten. Rhodans Ankunft hatte Faulkner jedoch abgelenkt.

Irritiert registrierte er, dass sich Rhodan an den Unterarm griff, als habe er Schmerzen in der Hand. Rhodan war relativ unsterblich, und soweit Faulkner wusste, waren normale Krankheiten für ihn keine Gefahr, Verletzungen heilten schnell und unkompliziert.

»Alles in Ordnung, Sir?«, erkundigte er sich.

Rhodan lächelte schief. »Ja. Danke. Ich wurde gebissen und offenbar dauert die Heilung etwas länger.«

»Gebissen, Sir?« Faulkner glaubte, sich verhört zu haben.

»Sie erinnern sich bestimmt an unseren Kontakt mit der DONDERVAND, dem Loowerraumschiff?«, fragte Rhodan. »Das Loowerkind, das wir dort angetroffen haben, fand meine Hand wohl appetitlich. Der Biss war kräftig. Dass die Regeneration so lange benötigt, ist ungewöhnlich. Aber danke der Nachfrage, Mister Faulkner.«

»Leitstrahl für die CREST-SD 64E steht. Externer Fernlenkflug, positronische Vollkontrolle!«, meldete die Flugleitung.

»Start!«, verkündete die Positronik einen Moment später.

Übergangslos machte sich in Faulkner ein übles Gefühl breit. Die Space-Disk passierte eine dieser Sektion zugeordnete Korvette sowie die Prallfeldschleuse und verließ den Hangar. Sofort wurde sie unscharf. Als das Beiboot den Hangar komplett verlassen hatte, erloschen die beschleunigenden externen Traktorfelder. Stattdessen zündeten die bordeigenen Triebwerke. Faulkner sah die Korrekturdüsen kurz aufflammen, dann erloschen sie bereits wieder. Die Haupttriebwerke glühten lediglich. Sonst geschah nichts.

Die Space-Disk verharrte regungslos, als sei sie in einem unsichtbaren Spinnennetz hängen geblieben. Etwas flackerte.

Rhodan reagierte früher als alle Warnsysteme. »Sie kommt zurück! Deckung!«

Faulkner spürte, wie sich seine Schultermuskeln zusammenzogen, als direkt nach Rhodans Warnung überall rote Alarmleuchten aufleuchteten. Wie kann jemand derart schnell reagieren?, schoss es Faulkner durch den Kopf.

»Kommen Sie!«, rief Rhodan.

Die Sensoren hätten jede Abweichung vom Standardablauf eigentlich sofort registrieren müssen. Der Alarm war jedoch mit einer unerklärlichen Verzögerung erfolgt.

Faulkner rannte bereits. Aus dem verschwommenen Schwarz draußen raste das gerade ausgeschleuste Raumfahrzeug in den Hangar zurück.

»Deckung!«, hörte Faulkner auch Lamondt brüllen.

Das gibt's doch nicht!, dachte Faulkner fassungslos. Die schützenden Prallfelder, die nach dem Start desaktiviert worden waren, bauten sich nur erschreckend langsam wieder auf. Dadurch waren alle und alles in Gefahr.

Rhodan ließ sich instinktiv fallen.

Die Space-Disk kollidierte mit dem ersten Prallfeldsegment und wurde aus der Bahn geschleudert. Damit mussten später entstehende Schirme sich auf die neue Bahn einrichten – und auch dies dauerte viel zu lange. Was sonst in Bruchteilen einer Sekunde geschah, benötigte nun gefühlt eine ganze Sekunde.

Das Raumboot kippte und schrammte an einem Kerzenbaum entlang, der normalerweise nicht in der Einflugschneise lag. Container und mobile Systeme wurden davongeschleudert. Mikrofone aus der Umgebung nahmen die damit einhergehenden Vibrationen reißenden Metalls von Boden und Wänden auf und leiteten sie als kreischendes Geräusch in die Hangarfunkkanäle weiter. Ein Feuer brach nicht aus, das Vakuum hatte seine Vorteile, aber aus zerfetzten Leitungen schoss Hydraulikflüssigkeit und verdampfte. Gase strömten aus, einige glühend heiß, andere eiskalt.

»Wo bleiben die Prallfelder, verdammt noch mal?«, brüllte Faulkner.

Aus dem Helmfunk drang Geschrei.

Ein Metallschrapnell verfehlte Faulkner knapp, dann folgten weitere und kerbten sich tief in eine Trennwand. Faulkner ließ sich neben Rhodan fallen und rutschte in Deckung. Er prallte gegen eine Leitschiene und stöhnte dumpf auf. Als Mensch war er viel zu langsam, um einer abstürzenden Space-Disk oder umherfliegenden Metallteilen auszuweichen. Es war reines Glück, dass ihn die scharfkantigen Splitter nicht filetiert hatten.

Rhodan mag biologisch unsterblich sein, aber wenn ihn die Metallfetzen in Stücke schneiden, ist trotzdem auch für ihn alles vorbei.

Hochenergetische Individualschirme waren im Hangar untersagt. Die Gefahr, etwas durch den Kontakt damit zu beschädigen, war zu groß. Die einfachen Prallfelder reagierten nach wie vor wie in Zeitlupe.

Immerhin waren Faulkner und Rhodan nun in Deckung und einigermaßen sicher. Trotzdem schlug Faulkner eine Fontäne aus Stickstoff gegen den Helm. Ein Schrapnell hatte eine Kühlleitung gekappt. Er rollte sich weg. Das Gas-Eis-Gemisch war unterkühlt. Die Temperatur betrug etwa 63 Kelvin, und obwohl der Schutzanzug ihn isolierte, war ihm das Risiko zu groß. In seinem linken Bein pochte Schmerz. Wahrscheinlich hatte er zumindest eine kräftige Prellung erlitten, aber auch einen Bruch schloss er nicht aus. Es tat höllisch weh.

Er sah, dass Rhodan mit jemandem sprach.

»Halycon!«, drang Lamondts Stimme aus den Hörfeldern. Faulkners Schädel brummte, und ihm war schwindlig.

Hätten wir daran gezweifelt, dass das, was die CREST II gefangen hält, gefährlich ist: Jetzt wüssten wir's besser, dachte Faulkner.

Nicht weit entfernt lag das zerfetzte Wrack der SD 64E. Offenbar war in ihrem Innern etwas in Brand geraten, Risse in den Sauerstofftanks hielten die Flammen am Leben. Allerdings wurden sie bereits schwächer, im gleichen Maße, in dem das Gas sich im Vakuum des Hangars verflüchtigte.

Ein naher Tank explodierte. Eine expandierende Welle aus Helium-3 drückte Faulkner erneut gegen die Schiene. Funken und Rußpartikel hüllten das Wrack ein wie ein Leichentuch.

Rhodan aktivierte einen Magnetanker. »Kommen Sie her!«, schrie er.

Faulkner winkte Rhodan zu. »Mir geht's gut!«, rief er und erschrak, wie seine Stimme klang. Ein heiseres Krächzen, mehr war es kaum.

»Verdammt, was war das?«, fragte Lamondt entsetzt. »Ich messe eine Signalverzögerung von vier bis zehn Millisekunden bei den Hangarsystemen an. Kein Wunder, dass die Sicherungsfelder zu spät dran waren. Bist du wirklich okay? Und Rhodan?«

»Ich bin in Ordnung, Mister Lamondt«, versicherte Rhodan. Er war weder außer Atem noch zeigte er Zeichen von Furcht oder Unsicherheit.

Faulkner rappelte sich mühsam auf. Das Chaos ringsum hatte sich bereits verändert. Die Katastrophe war der routinierten Hektik der Sicherheitsabläufe gewichen. Feuerwehrroboter dämmten die Schäden ein. Nun standen die Prall- und Schutzfelder.

Nur zu spät!, dachte Faulkner verbissen.

Er humpelte an den Absperrbereichen vorbei auf Rhodan zu. Der löste den Magnetanker bereits wieder. Die unmittelbare Gefahr war vorbei.

»Suchen wir Ihre Kollegen auf«, schlug Rhodan vor. »Hier sind wir nur im Weg.«

Faulkner nickte und deutete auf die mobile Kontrolleinheit, in der sich sein Partner aufhielt. Keine Minute später betraten er und Rhodan durch eine Personenschleuse das mit Innenatmosphäre versehene Schwalbennest.

Connor Lamondt stand auf. Dünn und etwas fahrig wirkend, erinnerte er Faulkner immer an eine große, nervöse Spinne. Dazu kamen die kurzen, borstigen Haare, die ihn an eine Tarantel denken ließen. Mit ihm zu fliegen, war jedoch eine schiere Freude. Connors Reaktionszeiten waren unglaublich.

»Alles okay?«, fragte Lamondt. »Du siehst aus, als solltest du einen Arzt aufsuchen.« Dann blickte er zu Rhodan. »Sir? Geht's Ihnen wirklich gut?«

Rhodan nickte nur.

Faulkner winkte ab. »Geht schon. Ich kann gehen, gebrochen ist das Bein wohl nicht. Wie sieht's bei den anderen aus?«

»Wir haben drei Verletzte«, sagte Morena Quispe. Neben Faulkner und Lamondt war sie die Dritte Pilotin der BOUDICCA. Sie war stämmig, das pechschwarze Haar hatte einen seidigen Glanz. »Nichts Schwerwiegendes. Aber das hätte übel ausgehen können, verdammt noch mal. Warum haben die Schutzsysteme so langsam reagiert?«

Faulkner schlüpfte aus seinem Raumanzug, dann atmete er tief durch. In der Kontrollkabine war von den Schäden nichts zu spüren. Er setzte sich ächzend. Der Schmerz im linken Bein ließ etwas nach, als er es entlastete.

»Du bist blass«, konstatierte Quispe besorgt.

Faulkners Mutter war Schottin, sein Vater war Ferrone. Deshalb hatte er kupferrote Haare, und seine Haut zeigte einen leichten Blauton.

»Dir geht's gut?«, erkundigte sich Lamondt stirnrunzelnd. »Da lachen ja die Hühner.«

»Welche Hühner?«, fragte Faulkner trocken zurück. Ihm war nicht danach, seinen Zustand zu diskutieren. Die Schmerzen im Bein waren bereits erträglicher geworden.

»Er meint mich, der alte Charmebolzen!« Quispe vergrößerte ein Hologramm und aktivierte eine Reihe von Prüfroutinen. Tausende von Daten erschienen und verschwanden wieder. »Ich sehe hier Abweichungen im Zeitablauf«, sagte sie. »Ich verstehe nicht viel davon. Es war wohl ein temporales Phänomen, das wirksam wurde, nachdem wir das Außenschott geöffnet hatten.«

»Wir haben unsere eigenen Systeme geschädigt?«, erkundigte sich Faulkner. »Indem wir die Tür aufgemacht haben? Das ist verrückt. Was hat ein offener Hangar mit dem Zeitablauf zu tun?«

Quispe lachte. »Die Hyperphysiker bombardieren alle Abteilungen mit Memos. Die Zwillinge drehen völlig durch – warum auch immer. Die sind in Sphären zu Hause, die wir nicht mal erkennen würden, wenn wir davorstünden.«

Sie sprach von den Brüdern Sianuk und Bumipol na Ayutthaya, dem getrennten, siamesischen Zwillingspaar aus Bangkok. Sie waren wahrscheinlich die fähigsten irdischen Hyperphysiker seit Eric Leyden.

Faulkner deutete auf ein Datenholo, das ein wenig abseits schwebte. »Die Space-Disk hat jede Menge Messwerte gesammelt. Ihre Datenspeicher sind wohl nicht beschädigt, oder die Informationen wurden bereits während des katastrophalen Einflugs übermittelt. Vielleicht hilft das den Hyperphysikern weiter.«

Lamondt starrte abwechselnd auf die Zahlenkolonnen und das Wrack, aus dem nun fetter, schwarzer Qualm ins Vakuum des Hangars wallte. Roboter hatten den gesamten Bereich abgesperrt. Dort hatten nun ausschließlich Spezialisten des Katastrophenschutzes Zugang.

Etwas flimmerte. Quispe trat überrascht einen Schritt zurück, als Gucky materialisierte.

Der Ilt hob die Hand. »Keine Panik. Das bin nur ich. Ich soll den großen Meister in die Zentrale bugsieren.«

Rhodan grinste. »Ich dachte, ich hätte Freischicht?«

Gucky pfiff. »Das könnte dir so passen. Deine Göttergattin will dich sehen. Und ich widerspreche Frauen in Führungspositionen grundsätzlich nicht. Bringt nur Ärger. Kommst du?«

Rhodan winkte Faulkner und den anderen zu. Der Ilt und er verschwanden. Draußen im Hangar erloschen die roten Warnleuchten.

Dann zuckten Quispe und die beiden Männer zusammen. In der Weite des Hangars entstand ... etwas.

Quispe stieß ein helles Kieksen aus. »Was ... Was ist das denn, bei Illap'u?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, murmelte Lamondt.

Direkt vor dem Großschott, durch das die Space-Disk ausgeflogen und wieder zurückgekehrt war und das sich längst wieder geschlossen hatte, schien es, als zöge sich Dunkelheit zusammen. Ein riesiger, finsterer Fleck formte sich und hing reglos in der Luft. Für einen Augenblick glaubte Faulkner, der fette, rußige Qualm aus dem Wrack balle sich dort zu einer Wolke, aber das war eine Täuschung.

Quispe löste manuell den Sicherheitsalarm aus. »Warum reagieren die Sensoren der Sicherheitssysteme nicht auf das verdammte Ding?«

Der schwarze Fleck bewegte sich leicht hin und her.

»Sprecht mit mir!«, forderte Lamondt. »Was zum Teufel ist das?«

»Schirmfeld steht!«, meldete Morena Quispe. »Was auch immer es ist ... Hier kommt es nicht rein!«

Faulkner fühlte sich nicht erleichtert. »Na, hoffen wir's. Immerhin ist es ohne Probleme schon ins Schiffsinnere eingedrungen.«

»Danke für die gute Nachricht«, fuhr Lamondt ihn an. »Ich hatte gerade beschlossen, mich zu entspannen.«

Faulkner kniff die Augen zusammen, aber er hatte sich nicht getäuscht. Das schwarze Ding bewegte sich langsam vorwärts, weg von der Außenwand des Hangars. Als es einen der Parkbäume erreichte, an dem einige Space-Disks hingen, glitt es durch die Beiboote hindurch.

»Substanzlos«, sagte Faulkner. »Wenigstens wird es keine Schäden anrichten. Ist das ebenfalls ein Zeitphänomen?« Er bemerkte ein Signal des Sicherheitsdienstes. Die Beobachtungskameras erfassten die Erscheinung.

»Sie haben's endlich mitgekriegt«, sagte Lamondt leise.

Faulkner spürte, wie sich die Haare auf seinen Armen aufrichteten. Die Gänsehaut war so stark, dass sie unangenehm war.

Es ist nicht das, was man sieht ... Es ist das, was es symbolisiert, dachte er. Alles, was es tut, bedeutet nur eins: Ihr könnt mich nicht aufhalten. Keine Wand kann das und kein Prallfeld. Wenn ich will, kriege ich euch! Ist es Zufall, dass es auftauchte, gerade als Rhodan verschwand?

Es war reine Spekulation, aber Faulkners Intuition ließ keinen Zweifel zu. Dieses Ding suchte nach etwas ... und das waren gewiss nicht er und seine Kollegen.

Der Fleck war riesig. Er veränderte sich ständig, wenn auch nicht stark. Er behielt im Wesentlichen die Form einer Halbkugel bei, die man etwas in die Länge gezogen hatte. Sie hatte eine kaum erkennbare Struktur.

Unten im Hangar öffneten sich zwei interne Personalschleusen, und Sicherheitskräfte stürmten heraus in die Halle. Eine der Gruppen bestand nur aus Boden- und Flugrobotern. Sie schwärmten sofort aus und bildeten einen Absperrriegel. Schüsse fielen keine. Für Faulkner sah es aus, als registriere das schwarze Etwas die Anwesenheit der Sicherheitsgruppen. Und es ignorierte sie.

Dann zuckte das Ding zusammen. Mit einem Ruck schob es sich in Richtung der Kontrollkabine, in der sich Faulkner und seine zwei Kollegen aufhielten.

Mist, es kommt auf uns zu!, dachte Faulkner alarmiert. Lamondt und Quispe hatten sichtlich Angst. Sie verkrampften sich. Wahrscheinlich sah er genauso aus.

»So ein verdammter Mist!«, flüsterte Lamondt mit leiser Panik in der Stimme. »Geh bloß weg ... weg ... weg. Hau ab!«

Sein Wunsch erfüllte sich nicht. Direkt vor den Beobachtungsscheiben aus dickem Glassit verharrte das unheimliche Ding.

Gerade so, als beobachte es uns!, dachte Faulkner. Er krallte sich an einer Strebe fest.

»Es sieht aus, als starre es genau an die Stelle, von der Rhodan gerade eben verschwunden ist«, bemerkte Lamondt krächzend. »Es ist hinter ihm her ...«

Im nächsten Augenblick war das Ding fort, als sei es niemals da gewesen. Die Roboter und die Männer des Sicherheitsdienstes waren erkennbar ebenso überrascht wie Halycon Faulkner, Morena Quispe und Connor Lamondt.

Letzterer holte tief und leicht zittrig Atem. »Ich würde sagen: Zumindest wir haben Glück gehabt.«

Faulkner wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn. Er war ein wissenschaftlich ausgebildeter Technospezialist und ein ausgezeichneter Pilot, aber diese Erfahrung hatte seine Nerven strapaziert. Zuerst ein Unfall, bei dem wir beinahe draufgegangen wären, dann dieser unheimliche Besuch. Der Tag fängt ja gut an.

»Ich frage mich allerdings«, sinnierte Faulkner. »Warum ist es hinter Perry Rhodan her, und wo ist das Ding jetzt?«

2.

Perry Rhodan: Der Wächter

 

In der Zentrale der CREST II war es ungewöhnlich still. Technische Geräusche hörte man nach wie vor, aber die Gespräche waren verstummt. Der Holodom war unverändert pechschwarz.

Perry Rhodan fühlte sich stärker irritiert, als das im Hangar der Fall gewesen war. Dort war die Schwärze dem Betrachter zwar näher, aber nur ein externes Panorama wie durch ein offenes Fenster. Der Holodom indes simulierte die Realität um das Raumschiff sehr überzeugend – und absolut. Es wirkte wie ein Blick in einen unheimlichen Abgrund, der einen zu verschlingen drohte.

Vor dem Einflug in das Schwarze Loch – das laut Merkosh und Bingdu ein Tor zur Heimstatt der Omniten war, der Herrscher des Compariats – hatte die Lichtfülle der galaktischen Kernzone die Zentrale durchflutet. Die Sicherheitssysteme hatten das Sternengleißen auf ein für menschliche Augen unschädliches Maß heruntergerechnet. Nun war da ... nichts. Eigentlich aber sollte der Gadenhimmel vor dem Schiff liegen.

Vielleicht tut er das sogar, überlegte Rhodan. Vielleicht können wir ihn bloß nicht sehen ... Deshalb wirkt es, als steckten wir im Nichts fest.

Vollständige Schwärze war für einen Raumfahrer selten, und sie hatte, wenn sie einmal auftrat, meist unangenehme Nebenwirkungen. Rhodan erinnerte sich an den Flug der MAGELLAN nach Andromeda. Der Leerraum zwischen den Galaxien war eine Belastung für alle Besatzungsmitglieder gewesen, für Körper und Geist gleichermaßen. Nah bei Sagittarius A*, wo die Sterne extrem dicht standen, war diese Finsternis umso unheimlicher.

Thora Rhodan da Zoltrals Stimme durchschnitt die Stille. »Wir sind uns einig, dass diese Schwärze nicht Drem-Doreus sein kann.« Der Arkonidin war nicht anzumerken, was in ihr vorging. Das schmale Gesicht war kontrolliert wie immer.

Mentro Kosum fühlte sich angesprochen. Die schlanken Finger, die jedem Pianisten zur Ehre gereicht hätten, trommelten einen komplizierten Rhythmus auf der Armlehne seines Pilotensessels. »Drem-Doreus heißt so viel wie Lichtwelt. In diesem Fall wäre es wohl eher eine Nicht-Welt.«

Von Sarah Maas' Arbeitsstation ertönte ein gepresstes Geräusch. Die 1,80 Meter große Kampfsportexpertin hatte sich üblicherweise gut im Griff. Kosum allerdings brachte sie häufig aus der Fassung. Der Emotionaut genoss das immer wieder aufs Neue.

»Mister Kosum«, tadelte Thora. »Sie wissen, dass ich Sie schätze. Aber bitte in Krisensituationen keine Wortspiele dieser Qualität. Verstehen wir uns?«

»Ja, Ma'am!«, sagte Kosum artig.

»Was haben Sie für mich, Miss Maas?«, fragte die Kommandantin.

Die Ortungschefin versteifte sich. »Nichts.«

»Nichts?« Thoras Stimme war scharf. »Das ist nicht viel ...«

»Nein, Ma'am.«

Selten hatte Rhodan in Maas' Tonfall eine derartige Hilflosigkeit gehört.

»Also, was ist los?«, fragte er.

»Die Sensoren erfassen nichts«, antwortete Maas. Sie sprach etwas zu schnell. »Keine Partikel, keine Strahlung, keine Felder irgendeiner Art. Das elektromagnetische Spektrum ist wie leer gefegt.«

Thora stand auf. »Das bedeutet, Sie sind unverändert blind, Mister Kosum, sehe ich das richtig?«

Der Emotionaut zwinkerte nur.

Die Erste Offizierin Gabrielle Montoya deutete auf eine Leistungsanzeige. »Der Libraschirm ist weg.«

»Daran hat sich nichts geändert«, bestätigte die Waffenchefin Siobhan O'Sullivan. »Die Projektoren arbeiten, aber das Feld entsteht nicht. Die Prallfelder dagegen funktionieren ... momentan.«

Thora aktivierte eine Kommunikationsverbindung zum Chefingenieur der CREST II. »Mister Darnell. Warum hat mein Schiff noch immer keinen Schutzschirm? Die Prallfelder helfen uns bei hochenergetischen Phänomenen nicht weiter.«

Das Gesicht von Rufus Darnell erschien im zentralen Komholo. Zwar zeigte er seine großen, vorstehenden Zähne, wie bei einem Lächeln, wirkte aber verkniffen. »Das ist mir bekannt. Ich habe eine Reihe von Funktionsprüfungen veranlasst. Die Projektoren sind in einwandfreiem Zustand. Die Energiebeschickung funktioniert ebenfalls. Ich kann ein interntechnisches Problem ausschließen.«

»Damit bin ich nicht zufrieden, Mister Darnell«, beschwerte sich Thora.

»Das dachte ich mir.«

Rhodan hatte sich bisher nicht eingemischt. Gucky spitzte die Ohren.

»Nicht lauschen, Kleiner!«, warnte Rhodan und blickte Maas fragend an. »Wäre es möglich, dass das, was wir als Schwärze wahrnehmen, unser Libraschirm ist? Dass das umgebende Medium oder das Tor selbst ihn auf diese Weise modifizieren, um uns zu isolieren?«

»Ich vermute, die Hyperphysikalische Abteilung kann uns weiterhelfen ... zumindest unsere Lage zu verstehen«, meinte Darnell. »Ich habe bereits zehn Memos von Sianuk na Ayutthaya vorliegen. Er liebt das, weil er sich so die Erklärungen schenken kann.«

Thora dachte kurz nach und kontaktierte Itai Levy, den Kommandanten der Beibootflottille.

»Mister Levy. Wo bleiben die Messdaten der Space-Disk? Oder sind die Speicher beschädigt worden?«