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Sophienlust Bestseller
– 14 –

Ein Waisenkind, ein Hund und die Liebe

Dich will ich nicht auch noch verlieren!

Aliza Korten

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-871-7

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Der Junge hockte auf dem Fußboden und hatte den Arm fest um den Hals seines Hundes gelegt. Gesine Olsen trat näher und strich über Jochens helles Haar. Immer, wenn sie in die ernsten Augen des Kindes blickte, tat ihr das Herz weh.

Der jungen Anwältin war von Amts wegen die Aufgabe zugefallen, den Nachlaß des Ingenieurs Raimund Heller zu ordnen. Noch wohnte dessen Sohn Jochen in der geräumigen Wohnung und wurde von der Haushälterin betreut. Ja, der kleine Jochen war tatsächlich ein armer Bursche. Erst vor einem Jahr hatte er seine Mutter verloren, und nun ruhte auch sein Vater in der kühlen Erde. Ohne weitere Angehörige war das Kind zurückgeblieben.

Gesine Olsen war sogleich bereit gewesen, sich des Falles anzunehmen. Inzwischen kannte sie Jochen schon besser und fühlte sich stark zu dem Jungen hingezogen.

»Wie geht’s?« fragte sie und durfte nun sogar Domo, seinen Hund streicheln.

Domo war Jochens treuester Freund. Er erlaubte durchaus nicht jedem, sich dem Jungen auch nur zu nähern. Seit dem Tod Raimund Hellers fühlte sich der kluge Hund sozusagen für das Kind verantwortlich, und das warf einige Probleme auf. Wie groß diese Schwierigkeiten werden sollten, ahnte Gesine Olsen an diesem Morgen allerdings nicht.

»Ganz gut«, antwortete Jochen leise. »Stimmt es, daß Frau Gläser nächste Woche fortgeht?«

Gesine senkte unwillkürlich die Lider. »Ja, Jochen. Frau Gläser hat eine andere Tätigkeit gefunden und muß dort anfangen. Ich werde dich übermorgen ins Kinderheim bringen. Sie freuen sich dort schon auf dich.«

Jochen schluckte einmal. »Und was wird aus Domo?« fragte er unsicher. »Ich will ihn mitnehmen.«

Gesine kauerte sich auf den Teppich. »Schau, Jochen, ich habe es dir schon ein paarmal erklärt. Im Kinderheim sind ungefähr achtzig Buben und Mädchen. Stell dir bitte vor, wie es zuginge, wenn jedes Kind einen Hund oder eine Katze mitbringen wollte! Es ist einfach unmöglich, und du bist ja auch schon groß genug, um das zu verstehen.«

Jochen schüttelte den Kopf. »Nein, Tante Gesine, das verstehe ich überhaupt nicht. Domo muß bei mir bleiben. Er bekommt Heimweh bei fremden Leuten.«

Gesine stiegen Tränen in die Augen. Auch Jochen würde sich nach seinem treuen Begleiter und Spielgefährten sehnen! Aber sie war machtlos gegen die Vorschriften des Heims, deren Notwendigkeit sie einsah. Ausnahmen konnte man dort kaum machen, denn es gab sicherlich noch andere Waisenkinder, die ebenfalls gern einen Vierbeiner mitgebracht hätten.

»Herr Adam ist ein großer Hundefreund, Jochen. Wenn du willst, bringen wir Domo zusammen zu ihm. Domo wird es gut bei ihm haben, denn dort ist ein großer Garten.«

Domo braucht keinen Garten. Tante Gesine. Er will bei mir bleiben.«

Die Anwältin unterdrückte einen Seufzer. Es war sehr schwer, Jochen dies alles verständlich zu machen. Der arme kleine Kerl hatte schon so viel verloren. Es erschien ihr schrecklich grausam, ihm jetzt auch noch die Trennung von seinem Hund zuzumuten. Aber es gab keine andere Lösung.

Gesine kam sich schäbig vor, aber was sollte sie tun? Sie zog Jochen an sich und küßte ihn aufs blonde Haar. »Es tut mir selbst so leid, Jochen«, flüsterte sie. »Aber mir fällt keine andere Lösung ein. Du darfst Herrn Adam vielleicht manchmal besuchen und Domo wiedersehen. Ich weiß allerdings nicht, ob er damit einverstanden ist.«

»Ich finde es gemein, einen Hund zu verkaufen. Ich habe ihn lieb, Tante Gesine, und Domo hat mich natürlich auch lieb.«

Gesine drückte einen zweiten Kuß in das dichte helle Haar des Kindes. »Wenn ich könnte, würde ich Domo zu mir nehmen, Jochen. Aber leider geht das nicht. In meinem Haus sind Hunde nicht erlaubt.«

Jochen wischte sich eine Träne von der Wange. »Ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll, Tante Gesine.«

Frau Gläser kam herein. Sie brachte etwas zu essen für Jochen, doch der Bub wollte nichts haben. »Er hat schon gestern nichts angerührt, Fräulein Dr. Olsen«, sagte die Haushälterin besorgt. »Ich wünschte, ich könnte noch ein paar Wochen hierbleiben.«

»Das würde nichts ändern oder bessern«, erwiderte Gesine betrübt. »Es ist richtiger, wir bringen es hinter uns.«

Frau Gläser nickte. »Ich habe schon alles verpackt im Haushalt. Am Dienstag kommen die Leute, um die Sachen abzuholen. Die Inventarlisten sind auch fertig. Ihre Sekretärin kann sie abschreiben.«

Gesine dankte der tüchtigen, umsichtigen Frau, die in dieser Zeit eine wertvolle Helferin für sie gewesen war. Sie blieb, bis Jochen sich schließlich in ein Spiel vertiefte, so daß er ihren Aufbruch nur so nebenbei zur Kenntnis nahm.

Ein Segen, daß der Bub seinen Kummer wenigstens hin und wieder vergessen konnte. Der Hund wich keinen Augenblick von seiner Seite. Gesine nahm sich vor, trotz allem noch einmal im Kinderheim anzufragen, ob man Domo nicht aufnehmen könne. Das Tier war überaus fügsam und störte fast gar nicht...

In ihrem kleinen Wagen fuhr Gesine zu dem modernen Häuserblock in der Innenstadt, in dem sie ihre Kanzlei und auch ihre kleine Wohnung hatte. Sie übergab Frau Heinrich, der Sekretärin, die Inventarliste des Haushalts Heller und wählte anschließend die Nummer des städtischen Kinderheims, dessen Leiterin, eine freundliche Dame, ihr auch diesmal eine Absage erteilte.

»Ich sehe ein, daß es für den Jungen schmerzlich ist, sich von dem Hund trennen zu müssen«, sagte sie, »aber Sie müssen sich bitte auch in unsere Situation hineindenken, Fräulein Dr. Olsen. Für Tiere gibt es bei uns keinen Platz, so sehr wir das bedauern.«

Gesine bedankte sich und legte auf. Es führte kein Weg daran vorbei, daß sie Domo zu Herrn Adam bringen mußte.

*

Roland Adam begrüßte die hübsche Anwältin freundlich. Auch Jochen reichte er die Hand. Er hatte für den wertvollen Hund einen guten Preis bezahlt.

»Da ist er also, mein Domo«, sagte er und ergriff die Leine.

Domo knurrte feindselig.

»Du mußt bei Herrn Adam bleiben, Domo«, redete Jochen ihm mit tränenerstickter Stimme zu. »Es geht nicht anders. Sei ein braver Hund.«

So leicht ließ sich Domo jedoch nicht umstimmen. Herr Adam, der sich mit Hunden auskannte, forderte Gesine und Jochen auf, ins Haus zu kommen. Er bewirtete seine Gäste mit Fruchtsaft und Gebäck. Dabei bemühte er sich, mit Domo Freundschaft zu schließen, was ihm allmählich sogar gelang.

»Hast du seine Schlafdecke und seinen Futternapf mitgebracht?« wandte er sich an Jochen. »Dann fühlt er sich hier gleich zu Hause.«

Jochen holte Domos gepolsterte Decke und zwei Näpfe sowie eine Packung seines Lieblingsfutters aus dem Auto. Gemeinsam richteten sie unter der Treppe zum oberen Stockwerk des schönen Hauses einen Platz für Domo her, und Jochen versorgte seinen Frend zum letztenmal mit Wasser und Futter.

Als Gesine jedoch zusammen mit Jochen aufbrechen wollte, gesellte sich Domo sogleich wieder an die Seite des Buben. Es blieb nichts anderes übrig, als das Tier fest anzubinden. Jochen schluchzte, Domo winselte, und Gesine stolperte im Garten, weil ihre Augen von Tränen blind waren.

»Er gewöhnt sich bestimmt rasch ein«, sagte Roland Adam beruhigend. »Ich hatte früher einen anderen Hund, und das wird Domo bald spüren.« Er verschloß das Gartentor sorgsam, so daß Domo gewiß keine Chance hatte auszureißen.

Jochen hockte auf dem Rücksitz des Autos und war so verzweifelt, daß er nicht mehr weinen konnte. Gesine führte ihn in eine Eisdiele, aber der Bub ließ den herrlich mit Sahne und Früchten dekorierten Becher stehen.

Abends weinte Jochen haltlos und verzweifelt. Neben seinem Bett wartete schon der gepackte Koffer. Gesine ging erst, nachdem der Junge eingeschlafen war. Sie haßte sich selbst, weil sie dem Kind so viel Schmerz zufügen mußte.

*

»Ich werde die Vormundschaft für Jochen übernehmen«, erklärte Gesine und legte die Akte auf den Tisch ihrer Mitarbeiterin. »Stellen Sie bitte den Antrag, Frau Heinrich. Ich möchte diesen armen Jungen nicht gänzlich aus den Augen verlieren.«

Ella Heinrich nickte. »Ich bin erleichtert darüber, daß Sie sich dazu entschlossen haben«, sagte sie. »In den letzten Tagen habe ich immer an das Kind denken müssen. Wie war es denn gestern im Kinderheim? War Jochen sehr traurig?«

Gesine strich sich über die Stirn.

»Eigentlich ist dieses Kapitel schneller zu Ende gegangen, als ich geglaubt hatte. Jochen sagte kaum ein Wort. Es schien ihm sogar ein bißchen in dem Heim zu gefallen. Dieses Heim ist besonders gut eingerichtet. Die Kinder haben kleine Zimmer, jeweils zu zweit oder zu dritt. Es gibt viel Platz zum Spielen, und auch der Garten gefällt mir. Ein paar Kinder haben Jochen gleich mitgenommen zum Spielen. Natürlich hat er nicht sofort gelacht, aber er scheint sich einzufügen. Ich hatte mir das ärger vorgestellt. Bevor ich wegging, versprach ich ihm, ihn bald zu besuchen. Darüber schien er sich ein bißchen zu freuen. Deshalb will ich nun auch die Vormundschaft übernehmen. Er braucht einen Menschen, der für ihn da ist, meine ich.«

Das Telefons surrte, und Frau Heinrich hob ab. »Kanzlei Dr. Olsen«, meldete sie sich.

Aus dem Apparat erklang eine laute, ärgerliche Männerstimme. Gesine konnte zwar kein Wort verstehen, aber sie hörte, daß da jemand eindeutig schimpfte.

»Einen Augenblick, ich verbinde Sie weiter«, sagte die Sekretärin und schaltete auf Gesines Apparat um.

»Dieser Hund ist schrecklich«, erklang nun die zornige Stimme von Roland Adam. »Ich hätte nicht für möglich gehalten, daß er über den Zaun springen könnte, aber er ist weg, und nun weiß ich nicht, wie ich ihn wiederfinden soll. Ich kann mir nur denken, daß er zur Wohnung des früheren Besitzers gelaufen ist. Gefressen hat er übrigens auch nicht. Es ist höchst unerfreulich, Fräulein Dr. Olsen.«

Gesine entschuldigte sich, um ihn zu besänftigen. Natürlich war sie für Domos Eigenmächtigkeit in keiner Weise verantwortlich zu machen, und irgendwo in einem Winkel ihres Herzens empfand sie sogar ein wenig Schadenfreude. Das war allerdings ungerecht, denn Herr Adam hatte für Domo bezahlt, und alles war in Ordnung mit diesem Kauf.

Gesine versprach, sich bei Frau Gläser zu erkundigen, die an diesem Tag zum letzten Mal in der Wohnung war. Doch die Haushälterin hatte den Hund nicht gesehen. Dafür kam wenig später ein Anruf aus dem Kinderheim.

»Es ist schlimm, Fräulein Dr. Olsen«, beklagte sich Frau Odenreich, die Heimleiterin. »Der Hund ist irgendwie zusammen mit dem Brötchenlieferanten ins Haus gekommen. Nun sitzt er vor Jochens Bett und knurrt jeden an, der sich dem Jungen auch nur nähern will. Der andere Junge, der mit im Zimmer schläft, hat Mühe gehabt, zum Frühstück zu kommen. Jochen weigert sich, etwas zu essen oder zu trinken. Können Sie uns diesen Hund wieder vom Leibe schaffen?«

»Herr Adam, der Käufer, hat sich eben gemeldet. Domo ist ihm weggelaufen. Ich frage mich nur, wie der Hund den Weg zum Heim finden konnte.«

Frau Odenreich seufzte vernehmlich. »Es scheint sich um einen außergewöhnlich intelligenten Hund zu handeln. Hoffentlich wiederholt sich das nicht! Für Jochen bedeutet das Ganze eine schwere seelische Belastung. Gestern sah es so aus, als könnte er sich bei uns rasch einleben. Jetzt hege ich in dieser Beziehung einige Befürchtungen.«

Gesine rief bei Herrn Adam an. Dieser bestand darauf, daß sie ihn begleiten müsse, wenn er Domo abhole. Also sagte Gesine einen Besprechungstermin ab und fuhr zum Kinderheim, wo Roland Adam sie bereits erwartete.

Die Lage hatte sich geändert. Domo spielte mit Jochen und einigen anderen Kindern im Garten. Die Kleinen empfanden keine Furcht vor dem Tier. Doch sowie sich ein Erwachsener Jochen nähern wollte, nahm Domo eine drohende Haltung an und zeigte knurrend seine Zähne. Kein Zweifel, Domo wollte bei Jochen bleiben!

Gesine mußte all ihre Überredungskünste aufbieten, um Jochen klarzumachen, daß Domo leider wieder zu Herrn Adam zurückkehren mußte. Da der Hund durch Worte kaum zu überzeugen war, erklärte sich der unglückliche Junge schließlich bereit, ein zweites Mal mit zum Hause Roland Adams zu fahren, um seinen vierbeinigen Freund dort abzuliefern.

Gesinde folgte dem Wagen, in dem Domo und Jochen auf dem Rücksitz untergebracht waren. Ab und zu winkte Jochen traurig durchs hintere Fenster.

»Ich komme mir wie der Bösewicht im Märchen vor«, erklärte Roland Adam, als sie am Ziel waren und Jochen mit dem Hund durch den schönen Garten ging. »Würde eine Möglichkeit bestehen, Domo in dem Heim zu lassen, würde ich von meinem Kauf zurücktreten.«

Gesines Augen leuchteten auf. »Das ist wirklich nett von Ihnen, Herr Adam. Leider scheint die Heimleiterin aber nicht geneigt zu sein, eine Ausnahme von den strengen Regeln zu machen. Fragen werde ich sie trotzdem.«

Roland Adam lächelte. »Ich bin kein Unmensch, wenngleich ich an Domo schon so etwas wie einen Narren gefressen habe. Dieser Hund hat Charakter. Das imponiert mir. Wahrscheinlich wird er dem Jungen auch weiterhin die Treue halten.«

Gesine nickte. »Ich... ich könnte Ihnen den Preis zurückerstatten, Herr Adam. Nur fürchte ich, daß unser schöner Plan von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.«

»Ich trenne mich ungern von Domo. Nun, warten wir ab, was Sie erreichen.«

Es wurde ein herzzerreißender Abschied, schlimmer noch als beim erstenmal. Domo winselte kläglich und schnappte nach der liebkosenden Hand seines neuen Herrn. Jochen war blaß wie eine Kalkwand, und Gesine kämpfte mit den Tränen.

Sie brachte Jochen zurück ins Heim und legte sich bei Frau Odenreich ins Mittel, als gelte es einen Verbrecher vor dem Gericht zu verteidigen. Es war sicherlich eines der besten Plädoyers, die sie jemals gehalten hatte, noch dazu ohne jede Vorbereitung. Trotzdem blieb Frau Odenreich bei ihrem Nein. Sie hatte ihre guten Gründe, und das mußte Gesine sogar einsehen.

So fuhr sie in ihre Kanzlei zurück, um den Besprechungstermin nachzuholen, erledigte einige wichtige Schriftsätze und wunderte sich kaum, als Domo gegen Abend erneut bei Jochen im Heim eingetroffen war. Der Hund hatte sich losgerissen und war durch ein Fenster im Erdgeschoß in den Garten gesprungen, und diesmal hatte er den Weg zum Kinderheim mühelos gefunden.

Allmählich wurde die Anhänglichkeit des Hundes zur Plage. Frau Odenreich reagierte verärgert, und Roland Adams Stimmung war auch nicht gerade rosig zu nennen. Beide beklagten sich temperamentvoll bei der absolut schuldlosen Gesine. Es endete damit, daß Gesine Olsen und Roland Adam Domo aus dem Heim abholten. Jochen mußte zurückbleiben, und Domo benahm sich wie ein Tiger. Immerhin wurde Gesine einigermaßen mit ihm fertig, weil er sie kannte und wenigstens nicht nach ihr schnappte.

Roland Adam schlug einen gemeinsamen Spaziergang vor, um auf diese Weise besseren Kontakt zu Domo zu finden. Gesine wanderte also mit ihm am Fluß entlang und brachte es fertig, daß Domo sich von seinem neuen Herrn an der Leine führen ließ.