Cover

Angela Luppen • Harlich H. Stavemann

Und plötzlich aus der Spur …

Leben nach Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma und anderen neurologischen Erkrankungen

Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige

2., überarbeitete Auflage

Angela Luppen, Dipl.-Psych., Klinische Neuropsychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin. Seit 1992 in der neurologischen Rehabilitation tätig, seit 2012 in eigener Praxis für Neuropsychologie und Kognitive Verhaltenstherapie in Bad Oeynhausen.

Harlich H. Stavemann, Dr. rer. soc., Dipl. Psych., Dipl. Kfm., Ausbildung in VT, GT, KVT, RET; Psychotherapeut seit 1979, Approbation für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Einzel- und Gruppenbehandlung. Kognitiver Therapeut, Kognitiver Verhaltenstherapeut, Associate Fellow of the Institute for Rational Therapy, seit 1984 Fortbildungsleiter, Lehrtherapeut und Supervisor für VT/KVT, Dozent und Selbsterfahrungsleiter an diversen für die Approbation in VT staatlich anerkannten Instituten, diverse Publikationen zur Integrativen KVT. Mitbegründer und Leiter des Instituts für Integrative Verhaltenstherapie (IVT) in Hamburg (seit 1986).

Inhalt

Vorwort

Was ist bloß passiert?

1.1 Das Gehirn

1.2 Häufige Erkrankungen des Gehirns

Bleibt das jetzt so? Möglichkeiten der Genesung und der Therapie

2.1 Neurologische Rehabilitation in Kliniken

2.2 Neurologische Rehabilitation in ambulanten Praxen

Akzeptieren, nicht resignieren: zusätzlicher Belastung durch unrealistische Genesungsziele vorbeugen

3.1 Wozu braucht man Ziele?

3.2 Was haben Ziele mit meinem Problem zu tun?

Wo ist mein altes Ich? Unfall- oder krankheitsbedingte bleibende Änderungen von Persönlichkeit und Verhalten

4.1 Krankheitsbedingtes Aktualisieren des Selbstbilds

4.2 Persönlichkeits- und Verhaltensänderungen

4.3 Weshalb kann ich mich nicht an den Unfall erinnern?

Ängstlich, ärgerlich oder verzweifelt? Unnötig belastende Gefühle loswerden

5.1 Welche Gefühle gibt es?

5.2 Wodurch entstehen Gefühle?

5.3 Psychisch krank machende Denkmuster

Leiste ich nicht (mehr) genug?

Ich bin nicht mehr wie früher – und nun? Alte Lebensziele an die neue Situation anpassen

Schuldgedanken oder -vorwürfe

Hilfe – mein*e Partner*in ist nicht mehr die-/derselbe! Unterstützung für Angehörige

9.1 Aufklärung über die Folgen der Erkrankung

9.2 Erwartungen an die Betroffenen

9.3 Umgang mit kognitiven Defiziten

9.4 Wie viel Hilfestellung brauchen die Betroffenen?

9.5 Umgang mit veränderten Rollen

9.6 Wie viel Reha braucht der Mensch?

9.7 Mein*e Partner*in zieht sich aus dem Freundeskreis zurück

9.8 Mein*e Partner*in setzt nicht die richtigen Prioritäten

10 Umgang mit Fachchinesisch: medizinische und psychologische Fachbegriffe verständlich gemacht

11 Hier finden Sie Hilfe

Sozialverbände

Wo bekomme ich Adressen von niedergelassenen (Neuro-)Psychologen?

Interessenvertretung neurologischer Patienten

Ausbildung

Weiterführende Literatur

Vorwort

Dieses Buch ist für Menschen mit neurologischen Erkrankungen und deren Angehörige geschrieben. Zu diesen Erkrankungen gehören Diagnosen wie Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutung, Multiple Sklerose, Parkinson, Hirntumore.

Betroffene. Die hiervon Betroffenen wurden von einer Sekunde zur anderen, gewissermaßen »aus heiterem Himmel«, aus dem normalen Leben gerissen. Zunächst waren Sie hauptsächlich damit beschäftigt, zu überleben und möglicherweise das Essen, Laufen, Sprechen und Denken neu zu »erlernen«. Erst danach wird das Ausmaß der möglicherweise bleibenden Einschränkungen deutlich. Viele reagieren dann mit tiefer Verunsicherung und manche entwickeln in der Folge auch psychische Probleme.

In diesem Buch informieren wir über Therapiemöglichkeiten neurologischer Erkrankungen und deren mögliche Folgen auf die geistige Leistungsfähigkeit, auf das Erleben und Verhalten. Wir zeigen Wege auf, wie man vermeidbaren psychischen Problemen vorbeugen kann. Hierzu werden typische Fragen von Betroffenen beantwortet, wie zum Beispiel:

Unser Ziel ist es, Sie darin zu unterstützen, unvermeidbare Folgen Ihrer Erkrankung zu akzeptieren und dennoch im Rahmen Ihrer persönlichen Möglichkeiten und Ihrer persönlichen erreichbaren Ziele ein Leben zu führen, das von größtmöglicher Lebensqualität geprägt ist. Hierzu werden Sie angeleitet, Eigenverantwortung zu übernehmen und den Mut zur Selbstbestimmung aufzubringen.

Im Text werden auch einige Fachbegriffe benutzt, die in der neurologischen Rehabilitation häufig verwendet werden. Diese sind durch einen Pfeil (→) gekennzeichnet. Eine Übersicht und Erklärung dieser Fachbegriffe finden Sie in Kapitel 10 am Ende des Buchs.

Angehörige. Auch Angehörige von neurologisch Erkrankten profitieren von diesem Buch. Es verhilft Ihnen zu mehr Wissen über die Erkrankung und den sinnvollen Umgang damit. Zusätzlich beschäftigen wir uns in Kapitel 9 speziell mit den belastenden Auswirkungen auf die Angehörigen, weil sich meist auch deren Leben grundlegend verändert: Der/die Betroffene braucht Ihre Hilfe und Unterstützung für die Rückkehr in einen veränderten Alltag. Viele lieb gewordene Gewohnheiten, wie zum Beispiel gemeinsame sportliche Aktivitäten oder die Pflege eines gemeinsamen Freundeskreises können nicht mehr im gleichen Maße wie früher stattfinden. Sie haben möglicherweise zu verkraften, dass Ihr*e Partner*in sich anders verhält als früher und müssen Aufgaben übernehmen, die früher der/die Partner*in ausgeführt hat.

Wir erörtern dazu in Kapitel 9 typische Fragestellungen von Angehörigen und möchten damit dazu beitragen, dass auch diese die neue Situation psychisch gesund meistern.

Bad Oeynhausen und Hamburg,

Angela Luppen

im Sommer 2021

Harlich H. Stavemann

1Was ist bloß passiert?

Alle neurologischen Erkrankungen, mit denen wir uns in diesem Buch beschäftigen, haben eines gemeinsam: Sie betreffen in mehr oder weniger intensivem Ausmaß die Funktionsfähigkeit des Gehirns. Schauen wir zunächst, was das bedeuten kann.

1.1 Das Gehirn

Das Gehirn ist die Kommandozentrale des Körpers, hier kommen alle Informationen an, die über die verschiedenen Sinnesorgane aus der Umwelt oder aus dem eigenen Körper aufgenommen werden. Hier werden sie weiterverarbeitet und führen zu entsprechenden Reaktionen, wie zum Beispiel zur Flucht vor einer Gefahr oder zum Lachen über einen Witz.

Das Gehirn ist unter anderem zuständig für unser Denken, unser Gefühlsleben und für unser Verhalten. Ein Großteil der Hirntätigkeit bezieht sich auch auf Vorgänge, die unbewusst ablaufen, wie zum Beispiel das Regulieren unseres Stoffwechsels und der Herzschlagfrequenz.

Um diese vielfältigen Aufgaben zu bewältigen, ist das Gehirn mit seinen 100 Milliarden Nervenzellen darauf angewiesen, jederzeit mit ausreichend Sauerstoff versorgt zu werden. Hierfür sind eine permanente Sauerstoffzufuhr durch die Atmung und ein funktionierender Kreislauf, also ein reibungsloser Transport des Sauerstoffs zum Gehirn über das Blut, notwendig.

Bei einem Kreislaufstillstand, der zum Beispiel bei einem schweren Herzinfarkt vorkommen kann, wird kein Sauerstoff über das Blut zum Gehirn transportiert. Schon nach wenigen Minuten kommt es dann zu einem Sauerstoffmangel und in der Folge zum Absterben von Gehirnzellen. Je mehr Gehirnzellen dabei absterben, umso größer sind die Konsequenzen in Form von Ausfallerscheinungen. Diese können sich zum Beispiel in Gedächtnis-, Sprach- oder Bewegungsstörungen zeigen oder auch in Wesensveränderungen.

Mögliche Beeinträchtigungen bei Hirnschädigungen

Bei jeder Erkrankung oder Verletzung des Gehirns kann es zu typischen Beeinträchtigungen kommen:

  • Halbseitenlähmung des Arms, des Beins (→ Hemiparese) oder des Gesichts (→ Facialisparese)

  • Störungen der Bewegungsabläufe (→ Apraxie)

  • Empfindungsstörungen (z. B. Kribbeln in klar umgrenzten Körperpartien → Sensibilitätsstörung)

  • Sprach- und Sprechstörungen (→ Aphasie, → Dysarthrie)

  • Schluckstörungen (→ Dysphagie)

  • Dreh- oder Schwank-Schwindel, verbunden mit Übelkeit und Erbrechen

  • Sehstörungen (z. B. Doppelbilder oder Gesichtsfeldeinschränkungen, → Diplopie, → Hemi- und Quadrantenanopsie)

  • Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit in den Bereichen Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis, Wahrnehmung/räumliche Leistungen, Denken, Planen und Handeln

  • psychische Veränderungen (z. B. → Depressionen)

1.2 Häufige Erkrankungen des Gehirns

Nachfolgend betrachten wir die häufigsten Schädigungen des Gehirns, die zu neurologischen Störungen führen und die oben aufgeführten Konsequenzen nach sich ziehen können.

1.2.1 Schlaganfall

Beim Schlaganfall führen plötzlich auftretende Durchblutungsstörungen im Gehirn zu einem Sauerstoffmangel in den Nervenzellen. Es gibt verschiedene Formen von Schlaganfällen.

Hirninfarkt. Am häufigsten, in ca. 85 Prozent der Fälle, sind es Hirninfarkte, bei denen die Adern, die das mit Sauerstoff angereicherte Blut transportieren, verengt sind oder sich ganz verschließen. So kann das Blut nicht mehr zu bestimmten Hirnregionen gelangen. Die Nervenzellen dieser Hirnregion werden nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, können deshalb nicht mehr reibungslos funktionieren und beginnen abzusterben. Abhängig davon, welche Hirnregion nicht versorgt wird, führt dies zu ganz typischen Ausfallerscheinungen (s. Übersicht S. 12).

Hirnblutung. Seltener kommt es zu Hirnblutungen, weil ein Blutgefäß im Gehirn einreißt oder platzt und Blut ins umliegende Hirngewebe sickert. Dadurch erhöht sich einerseits der Druck im Schädel und andererseits werden bestimmte Hirnregionen nicht mehr richtig mit Blut versorgt, weil die geplatzte Ader nicht mehr ihre ursprüngliche Aufgabe erfüllen kann. Auch hier können in den betroffenen Hirnregionen Nervenzellen ihre Funktion nicht mehr reibungslos erfüllen und beginnen, wegen mangelnder Sauerstoffversorgung abzusterben.

Fazit • Schlaganfälle sind Notfälle!

Um die Chance auf eine komplette Genesung zu erhöhen und den im Gehirn verursachten Schaden möglichst gering zu halten, sollten die medizinische Untersuchung und Behandlung der Betroffenen zügig beginnen.

Vorgehen bei Schlaganfällen

In manchen Krankenhäusern gibt es Stationen, die auf das Behandeln von Schlaganfällen spezialisiert sind (→ Stroke-Unit). Zunächst geht es darum, die Atmung und damit einen ausreichenden Sauerstoffgehalt im Blut zu gewährleisten. Der direkte Nachweis des Schlaganfalls erfolgt über eine → Computertomographie (CT) oder Kernspintomographie (→ Magnetresonanztomographie [MRT]) des Kopfes.

Bildhafter Nachweis von Schlaganfällen

→ Computertomographie (CT). Eine Computertomographie liefert Schichtaufnahmen des Kopfes, die mithilfe von Röntgenstrahlen und eines Computertomographen erstellt werden. Ein Computertomograph ist ein röhrenförmiges Gerät, in das Betroffene auf einer speziellen Liege hineingeschoben werden. Die einzelnen Aufnahmen gibt das Gerät an einen Computer weiter, der sie auswertet und als Bild anzeigt. Um die Organe und Blutgefäße besser darzustellen, kann ein Kontrastmittel gespritzt werden.

→ Magnetresonanztomographie (MRT). Die Magnetresonanztomographie kommt ohne Röntgenstrahlen aus. Auch mit der MRT kann man Schnittbilder des menschlichen Körpers erzeugen. Betroffene werden auf einer Liege in eine Röhre geschoben, die von einem starken Magnetfeld umschlossen wird. Die physikalischen Grundlagen dieses Verfahrens sind für Laien sehr kompliziert und werden daher an dieser Stelle nicht erläutert. Auch bei dieser Untersuchungsmethode wird häufig ein Kontrastmittel gespritzt. Es gelangt über das Blut in den ganzen Körper. In den Schichtaufnahmen ist es wegen seiner helleren Farbe gut zu erkennen. So ist es möglich, Blutgefäße vom umliegenden Gewebe abzugrenzen. Das Kontrastmittel sammelt sich oft vermehrt in Tumoren. Diese kann man auf den Aufnahmen dann gut erkennen. Häufig eingesetzt wird die MRT beim Verdacht auf Entzündungen, Geschwulste oder Verletzungen am Gewebe.

Behandeln des Schlaganfalls

Auf den durch diese Untersuchungsmethoden erstellten Bildern des Gehirns kann man genau sehen, wo der Schlaganfall passiert und wie groß das geschädigte Gebiet ist. Sollte eine Ader teilweise oder ganz durch ein Blutgerinnsel verstopft sein, kann dieses möglicherweise durch ein Medikament, das in den Blutkreislauf gespritzt wird, aufgelöst werden (→ Lysetherapie). Wenn sich das Blutgerinnsel in einem der großen Hirngefäße befindet, kommt auch eine Operation zur Entfernung des Blutgerinnsels in Frage (→ Thrombektomie). Beide Therapien sind nur innerhalb der ersten Stunden nach dem Hirninfarkt möglich und nur durch Fachleute durchführbar.

Bei Hirnblutungen wird operiert, wenn der Druck im Schädel zu sehr steigt. Wenn möglich, wird die Blutungsquelle durch verschiedene Operationstechniken verschlossen.

Außerdem geht es auch immer darum, einen weiteren Schlaganfall zu verhindern. Deshalb wird im Krankenhaus nach Risikofaktoren gesucht: In Frage kommen zum Beispiel Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, verengte Arterien (das sind die Adern, die das mit Sauerstoff angereicherte Blut transportieren) im Hals oder Kopf, Herzfehler, Veränderungen der Gefäßwände und Diabetes mellitus (»Zuckerkrankheit«).

Doppler-Sonographie

Mithilfe einer Ultraschalluntersuchung der Adern (Doppler-Sonographie) lässt sich untersuchen, ob die Gefäße im Hals oder Gehirn verengt sind. Die Doppler-Sonographie ist eine spezielle Ultraschall-Untersuchung, mit der die Fließgeschwindigkeit des Blutes in den Gefäßen gemessen wird. So lassen sich Gefäßverengungen entdecken.

Ist eine Ursache für den Schlaganfall gefunden, wird diese entsprechend behandelt, zum Beispiel, indem Betroffene einen »Blutverdünner« einnehmen. Häufig findet man aber auch keinen konkreten Auslöser des Schlaganfalls.

1.2.2 Schädel-Hirn-Trauma (SHT)

Ein Schädel-Hirn-Trauma wird durch äußere Gewalteinwirkung auf den Schädel herbeigeführt, etwa durch einen Sturz oder einen Verkehrsunfall. Durch diese Gewalteinwirkung prallt das Gehirn gegen die Innenseite des Schädels. An dieser Aufprallstelle und an der genau gegenüberliegenden Seite entstehen Hirnprellungen (→ Kontusionen), die sich auch bei der Untersuchung mit den oben beschriebenen bildgebenden Verfahren CT und MRT zeigen.

Folgen des Schädel-Hirn-Traumas

Wenn Adern verletzt werden, treten an einzelnen Stellen Blutungen auf. Stoffwechselprodukte, die weitere Hirnsubstanz schädigen können, werden freigesetzt. Neben diesen klar umgrenzten Verletzungen können auch ungeordnete, nicht scharf begrenzte Nervenfaserverletzungen im Inneren des gesamten Gehirns auftreten. Man spricht dann von diffusen Schädigungen. Die Verletzungen sind nur leicht und fast nicht sichtbar, aber über das gesamte Gehirn verteilt. Sie kommen dadurch zustande, dass beim Aufprall des Kopfes Rotations- und Beschleunigungskräfte entstehen, die dazu führen, dass einzelne Teile des Gehirns gegeneinander rotieren. So kommt es zu Zerreißungsverletzungen. Diese Schädigungen kann man in der CT in der Regel nicht erkennen. Hierfür ist eine MRT notwendig.

Eine häufige Komplikation, die meist erst nach einigen Stunden auftritt, ist das Anschwellen des Gehirns. Das ist deshalb gefährlich, weil das Gehirn aufgrund des knöchernen Schädels keinen Platz hat, sich auszudehnen. Durch die Raumverengung im Kopf entsteht ein erhöhter Druck. Dies führt zu schlechterer Durchblutung und Sauerstoffversorgung des Gehirns, weil die Nervenzellen und die Adern zusammengepresst werden. In solchen Fällen wird häufig entschieden, ein Stück der Schädeldecke (vorübergehend) zu entfernen, um ein lebensbedrohliches Ansteigen des Hirndrucks zu verhindern. Bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma liegen Betroffene meist einige Tage bis Wochen in einer tiefen Bewusstlosigkeit, aus der sie nicht erweckbar sind (→ Koma).

Behandeln des Schädel-Hirn-Traumas

Die eigentlichen Verletzungen durch das Schädel-Hirn-Trauma sind zunächst nicht zu behandeln. Vielmehr geht es darum, Komplikationen zu vermeiden. Deshalb werden Betroffene genauestens auf der Intensivstation überwacht. Der Kreislauf muss stabilisiert werden und eine Beatmung kann notwendig werden. Der Hirndruck wird beobachtet, um im Notfall eine Operation zum Druckabbau vorzunehmen.

1.2.3 Hirntumor

Hirntumore sind Geschwülste oder Gewebswucherungen innerhalb des Schädels. Sie können von unterschiedlichen Gewebearten im Schädelinneren, zum Beispiel von den Hirnhäuten ausgehen. Entsprechend gibt es verschiedene Arten von Hirntumoren. Sie bleiben oft über lange Zeit unbemerkt, weil sie keine oder keine typischen Symptome hervorrufen.

Folgen von Hirntumoren

Der Hirntumor nimmt im Schädel (zusätzlich zum Gehirn) Platz weg und verdrängt Teile des Gehirns. Hierdurch erhöht sich der Druck innerhalb des Schädels, weil der Schädelknochen nicht nachgeben kann. Etwa die Hälfte der Betroffenen mit einem Hirntumor klagen über Kopfschmerzen beim Bücken, Aufrichten oder Pressen. Diese Kopfschmerzen entstehen dadurch, dass der Druck im Gehirn so noch weiter verstärkt wird. Kopfschmerzen sind aber kein typischer Hinweis auf einen Hirntumor. Sie können aus unterschiedlichsten Gründen auftreten und in den allerseltensten Fällen ist die Ursache ein Hirntumor.

Das wichtigste Frühsymptom bei Hirntumoren sind → epileptische Anfälle. Ein Drittel der Hirntumor-Betroffenen bekommt solche Anfälle. Tritt ein epileptischer Anfall im Erwachsenenalter zum ersten Mal auf, ist ein Hirntumor die häufigste Ursache. Es kann aber auch zu Verhaltens- oder Wesensänderungen bei den Betroffenen kommen. Manche zeigen kein Interesse mehr an Dingen, die sie sonst interessiert haben. Sie sind antriebslos und wirken abgestumpft oder reagieren schnell gereizt und aggressiv. Irgendwann im späteren Verlauf kommt es zu typischen Symptomen, die auf eine Erkrankung des Gehirns hinweisen, wie beispielsweise Gangunsicherheit, Gleichgewichtsstörungen, Lähmungen, Sehstörungen, Sprachstörungen, räumlichen Orientierungsstörungen, Verlangsamung, Schläfrigkeit.

Behandeln von Hirntumoren

Ist der Tumor gut zugänglich, das heißt, befindet er sich an einer Stelle im Gehirn, wo durch eine Operation keine größeren Ausfallerscheinungen zu erwarten sind, wird meist der gesamte Tumor chirurgisch entfernt. Wenn das nicht möglich ist, kann es auch sinnvoll sein, lediglich Teile davon operativ zu entfernen. Das Ziel solcher Operationen ist ein Lindern der Symptome und hierdurch ein Verbessern der Lebensqualität für Betroffene.

Meistens wird für die Operation der Schädel geöffnet (→ Kraniotomie): Ein Teil des Schädelknochens wird entfernt, um das Operationsfeld freizulegen und um den nötigen Platz für das teilweise oder vollständige Entfernen des Tumors zu verschaffen. Anschließend wird das Knochenstück ersetzt.

Manchmal reicht es auch aus, nur ein kleines Loch in die Schädeldecke zu bohren, um Instrumente ins Gehirn einzuführen. Oder es wird über die Nase ein Zugang zum Gehirn hergestellt. Oft wird die Operation mit Bestrahlung und Chemotherapie kombiniert.

1.2.4 Multiple Sklerose (MS)

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine der häufigsten organischen (körperlich bedingten) Nervenkrankheiten. Sie beginnt typischerweise zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr; es gibt aber auch Neuerkrankungen bei Jüngeren oder Menschen zwischen 40 und 60 Jahren. Frauen erkranken etwa im Verhältnis 3:2 häufiger als Männer. Die Multiple Sklerose ist eine Entmarkungskrankheit: Die Nervenbahnen im zentralen Nervensystem sind von Markscheiden umgeben, um Informationen schneller weiterleiten zu können. Die Nervenbahnen sind vergleichbar mit Nachrichtenkabeln, die Markscheiden mit Isoliermaterial. Bei der Multiplen Sklerose wird dieses Isoliermaterial an den verschiedensten Stellen im Körper durch Entzündungen angegriffen. Man nennt diese Stellen »Herde«.

Folgen der Multiplen Sklerose

Durch die Entzündungsherde kommt es zu einer Unterbrechung der zügigen Weiterleitung von Nervenimpulsen, was ganz unterschiedliche Symptome auslöst, je nachdem, wo die Weiterleitung unterbrochen wird. Die Herde können sich völlig zurückbilden. Es kann aber auch sein, dass die Markscheiden dauerhaft vernarben. Dann kommt es zu einer → Sklerose.

Es gibt keine feststehende Symptomentwicklung, vielmehr kann der Verlauf der Multiplen Sklerose sehr unterschiedlich sein. Man unterscheidet zwei Verlaufsformen: »schubweise« und »chronisch-progredient« (progredient = voranschreitend).

(1)

Schubweiser Verlauf. Beim schubweisen Verlauf bilden sich innerhalb weniger Tage Symptome, die über Tage bis Wochen bestehen bleiben, sich dann aber wieder (manchmal unvollständig) zurückbilden. Die Abstände zwischen den Schüben betragen mehrere Monate oder Jahre.

(2)

Chronisch-progredienter Verlauf. Beim chronisch-progredienten Verlauf gibt es schubartige Verschlimmerungen. Dabei kommt es zwischen den Schüben zu keiner (teilweisen) Erholung der beeinträchtigten Funktionen.

Typische Funktionsstörungen sind Augenmuskellähmungen mit Doppelbildern oder Entzündungen des Sehnervs (→ Optikusneuritis), die dazu führen, dass man vorübergehend wie durch einen Schleier sieht. Gelegentlich kommt es zu Blickbewegungsstörungen. Es können Lähmungen oder Beeinträchtigungen der Feinmotorik, Steifigkeit des Ganges, allgemeine Mattigkeit und rasche Ermüdbarkeit (→ Fatigue-Syndrom), Missempfindungen wie zum Beispiel Taubheit, Pelzigkeit, oder Kribbeln in Händen und Füßen auftreten. Häufig kommt es auch zu Blasenstörungen. All diese Symptome können auch bei anderen Erkrankungen auftreten und sind daher nicht spezifisch für die Multiple Sklerose.

Die Entmarkung kann auch das Gehirn betreffen und dann ähnliche Symptome verursachen wie die bisher beschriebenen Hirnerkrankungen.

Behandeln der Multiplen Sklerose

Die Ursachen der Multiplen Sklerose sind bisher nicht vollständig geklärt. Daher gibt es auch noch keine Therapie, die die Ursachen bekämpft und damit heilend wirkt. Dennoch besteht Konsens darüber, dass möglichst zügig eine medikamentöse Therapie begonnen werden sollte, um den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen. Grundsätzlich werden zwei medikamentöse Therapieformen unterschieden, die in der Regel miteinander kombiniert werden:

(1)

Schubtherapie. Im akuten Schub werden in der Regel über wenige Tage Infusionen mit hochdosierten Kortikosteroiden (das sind künstlich hergestellte Kortisonpräparate) gegeben. Diese »Stoßtherapie« führt dazu, dass die Entzündung eingedämmt wird. Sie hat keinen Einfluss auf den langfristigen Verlauf der MS-Erkrankung.

(2)

Langzeittherapie. Mit Hilfe von »Immunmodulatoren« soll das fehlgeleitete Immunsystem reguliert werden. Man nennt diese Therapieform daher auch »immunmodulatorische Basistherapie«. Durch diese Präparate (z. B. Interferone) wird das Ausschütten bestimmter entzündungsfördernder Botenstoffe gedrosselt. Dies führt dazu, dass die Bildung weiterer Entzündungsreaktionen im Gehirn gehemmt wird. Es treten weniger Schübe auf, wodurch das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt wird.

Betroffene reagieren sehr unterschiedlich auf verschiedene Medikamente. Daher ist es wichtig, persönliche Therapiestrategien zu entwickeln.

Symptomatische Therapie. Im Rahmen der symptomatischen Therapie sollen verschiedene Beschwerden (Symptome) gelindert werden. Bei eingeschränkter Gehfähigkeit ist möglicherweise eine krankengymnastische Behandlung sinnvoll, bei Gedächtnisstörungen eine neuropsychologische Vorstellung usw. So vielfältig wie die Symptome der Multiplen Sklerose sind auch die Behandlungsmethoden (s. Kap. 2).

1.2.5 Entzündungen des Gehirns

Die Ursache für Entzündungen des Gehirns sind in den allermeisten Fällen Infektionen mit Viren (z. B. Herpes- oder Grippeviren), in selteneren Fällen Infektionen mit Bakterien (z. B. Staphylokokken oder Streptokokken) oder Parasiten (z. B. Pilze).

Folgen von Entzündungen des Gehirns

Die Betroffenen leiden unter grippeähnlichen Symptomen (z. B. Kopfschmerzen, Fieber und Mattigkeit). Hinzu kommen, je nachdem welche Hirnregionen betroffen sind, die oben beschriebenen neurologischen Ausfälle (z. B. Sprach- oder Sehstörungen, Lähmungen, Bewusstseinsstörungen).

Behandeln von Entzündungen des Gehirns

Es gilt, möglichst schnell herauszufinden, welcher Erreger die Entzündung verursacht, um die Betroffenen gezielt medikamentös behandeln zu können. Hierzu werden Blut und Gehirnflüssigkeit (Liquor) untersucht. Virusinfektionen werden medikamentös mit Virustatika, bakterielle Infektionen mit Antibiotika behandelt. Wenn der Keim nicht eindeutig bestimmt werden kann, bekommen die Betroffenen eine Kombination dieser Medikamente.

In den meisten Fällen erholen sich die Betroffenen innerhalb weniger Wochen wieder vollständig. In seltenen Fällen können dauerhafte Schädigungen des Gehirns entstehen, die dann ähnlich behandelt werden, wie zum Beispiel die Schäden nach einem Schlaganfall.

1.2.6 Parkinson-Syndrom (Morbus Parkinson)

Das Parkinson-Syndrom gehört, wie die MS, zu den häufigsten Erkrankungen des Nervensystems. Es beginnt typischerweise zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr, bei etwa 10 % der Erkrankten vor dem 40. Lebensjahr. Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betroffen.

Folgen von Parkinson

Mehrere Symptome ergeben das typische Krankheitsbild:

Die Ursache der Erkrankung ist unbekannt; im Gehirn kommt es zu einem vermehrten Absterben bestimmter Zellen in der Substanzia nigra und in der Folge zu einem Dopaminmangel. Dopamin ist ein Nervenbotenstoff, der an der Bewegungssteuerung beteiligt ist.

Neben den oben beschriebenen typischen Symptomen kommt es im Einzelfall auch zu einem Nachlassen der geistigen Fähigkeiten, Veränderungen des Gefühlslebens und (in 20 bis 40 % der Fälle) zu einer depressiven Grundstimmung. Hier können eine neuropsychologische Therapie und/oder eine Psychotherapie sinnvoll sein.

Behandlung von Parkinson

Die Behandlung erfolgt typischerweise medikamentös: Das wirksamste Medikament ist Levodopa: Der Wirkstoff L-Dopa erreicht über das Blut das Gehirn und wird dort in Dopamin umgewandelt. Es gibt noch weitere Medikamente (z. B. Dopamin-Agonisten, COMT-Hemmer, MAO-B-Hemmer), auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll.

Eine weitere Behandlungsmöglichkeit ist die Tiefe Hirnstimulation (THS), hierbei werden Elektroden in tiefe Hirnregionen implantiert. Mit Hilfe eines Impulsgenerators erfolgt eine individuell steuerbare, elektrische Stimulation in den entsprechenden Regionen. Die Aktivität der betroffenen Nervenzellen wird dadurch beeinflusst und die Krankheitssymptome werden reduziert.

Die medikamentöse Therapie begleitende Behandlungsmöglichkeiten sind Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie mit dem Ziel, die Selbstständigkeit möglichst lange zu erhalten und Pflegebedürftigkeit zu verhindern. Der Krankheitsverlauf ist langsam und schleichend und bringt keine Minderung der Lebenserwartung mit sich.

2Bleibt das jetzt so? Möglichkeiten der Genesung und der Therapie

Nach der Akutbehandlung im Krankenhaus stellen sich Betroffene in der Regel zwei wesentliche Fragen:

(1)

»Wie kann ich das Risiko einer erneuten Erkrankung oder eines schnellen Verschlechterns meines Zustands gering halten?« Mit dieser Frage beschäftigen wir uns in den Kapiteln 3, 5, 6 und 7.

(2)

»Welche Therapiemöglichkeiten gibt es zum Verringern der (Rest-)Defizite?« Dieser Frage gehen wir in diesem Kapitel nach.

In der Regel ist nach einem der Vorfälle, die in Kapitel 1 beschrieben wurden, eine neurologische Rehabilitationsbehandlung angezeigt. Das Ziel der Reha besteht darin, den Betroffenen die Rückkehr in ihr gewohntes privates Umfeld (Wohnung, Familie, Freundeskreis, Hobbys) und eventuell auch in den alten Beruf zu ermöglichen.