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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

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14.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2016

 

Die Einsamen der Zeit

 

Die SOL funkt SOS – 18 Millionen Jahre in der Vergangenheit

 

von Andreas Findig

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Wohl kaum ein Raumschiff ist mit derart viel Mythen verbunden wie die SOL. Mit ihr startete Perry Rhodan von der Erde im Mahlstrom der Sterne, um über vierzig Jahre hinweg die Rückkehr in die heimatliche Milchstraße zu finden. Mit ihr irrte Atlan durch das Universum. Als »Fliegender Holländer« der terranischen Raumfahrt geisterte das hantelförmige Raumschiff durch die Geschichte der Menschheit.

Zuletzt hatte Shabazza das Raumschiff in seiner Gewalt. In der Kosmischen Fabrik MATERIA wurde die SOL umgestaltet, vergrößert und mit einer Carithülle umgeben. Auf dem Planeten Century I in der Galaxis DaGlausch konnte Perry Rhodan sein uraltes Raumschiff zurückerobern, um es erneut in den Dienst der Menschheit zu stellen.

Doch jetzt ist die SOL so weit von dieser Menschheit entfernt wie noch nie zuvor in ihrer Geschichte. Sie wurde 18 Millionen Jahre in die Vergangenheit geschleudert. Dort, in der gigantischen Kugelgalaxis Segafrendo, soll ihre Besatzung einen mehr als seltsamen Auftrag der Superintelligenz ES erfüllen. Gelingt dies nicht, so lautet die Prophezeiung, droht das Ende der Menschheit.

Die Besatzungsmitglieder der SOL sind in fernen Zeiten gestrandet. Sie sind DIE EINSAMEN DER ZEIT …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide kämpft gegen die Mundänen – und mit seinem Extrasinn.

La-Pharoke – Ein Tharoidoner erkennt die Zeichen der Zeit.

Ru Ri-Garriott – Die Kronefin von Orllyndie liebt den Mann, der den Morgen macht.

Zeiban Vit-Terous – Der politische Führer des »Blauen Blond« sieht rot.

Angusarath – Der Pilzer von Uum feiert das Fest der dreifaltigen Sonne.

1.

Atlan: Das Kuckucksei

 

Aus!, signalisierte der Extrasinn. Der Fuchs ist umstellt, und die Hunde heulen.

»Narr!«, sagte ich laut und ignorierte den prüfenden Seitenblick Ronald Tekeners.

Meine Augen begannen zu tränen. Meine Blicke huschten über die holographischen Statusanzeigen, irrten zu Roman Muel-Chen unter seiner SERT-Haube, wanderten zum Feuerleitstand, zur Orterzentrale und fraßen sich in den Außenholos der Rundumgalerie fest, als ob sie einen Fluchtkorridor durch die Mundänenschiffe bohren könnten.

Der Fuchs sollte aufhören zu rennen. Er sollte sich verstecken.

Diesmal fand ich die Bemerkung meines Extrasinns durchaus vernünftig. Halblicht konnten wir nicht mehr erreichen, dafür waren die Mundänenschiffe zu nahe und zu zahlreich in der Flugbahn der SOL materialisiert. Hunderte von ihnen. Dann Tausende.

Es war innerhalb von Sekunden passiert.

Wir hatten kaum Fahrt aufgenommen, mit einem Kursvektor, der uns schräg über das aus Zehntausenden Raumschiffswracks bestehende Trümmerfeld im Torm-Karaend-System führen sollte, als sie in den Orterholos aufgetaucht waren: klobige Zackenzylinder mit einer rissig-rauen, tiefschwarzen Außenhülle.

Es war ein abgründiges Schwarz, nicht das unverfälschte Schwarz des Weltalls, dessen Sterne die Zylinderschiffe verdunkelten. Dieses Schwarz wirkte auf eine bedrohliche Art aktiv. Es war das Schwarz von Lavaklumpen, die das zähflüssige Feuer planetarer Magmamäntel in sich trugen. Oder das düstere Schwarz riesiger, augenloser Tiefseeungetüme, wie ich sie vor Jahrtausenden auf dem Grund des irdischen Atlantik kennengelernt hatte.

Allerdings waren die lichtscheuen Gigant-Geschöpfe der Tiefsee nicht annähernd so hässlich gewesen.

Die mundänischen Kriegszylinder strahlten jene geometrisch exakte Hässlichkeit aus, die ein unweigerliches Nebenprodukt einer auf bloße Zweckmäßigkeit ausgerichteten Konstruktionsweise ist.

Und über Strahlengeschütze hatten die maritimen Monster meiner Vergangenheit auch nicht verfügt …

»Die Mundänen verlangen eine Antwort!«, drängte Viena Zakata, der Leiter der Abteilung Funk und Ortung, der wegen seiner vorspringenden Zähne meist »Pferdegesicht« genannt wurde. »Sofortige Kapitulation oder Vernichtung der SOL. Das Ultimatum wird über Hyperfunk alle 23 Sekunden wiederholt.«

»Das sieht ihnen gar nicht ähnlich«, überlegte ich laut. »Vor Hesp Graken haben sie uns ohne Vorwarnung unter Dauerfeuer genommen. Sie wollten uns definitiv vernichten.«

»Möglicherweise neue Befehle«, mutmaßte Ronald Tekener und setzte jenes berüchtigte undurchschaubare Lächeln auf, das ihm den Beinamen »Smiler« eingetragen hatte und seinem von Lashat-Narben entstellten Gesicht einen dämonischen Zug verlieh. »Der mundänische Heerführer Cugarittmo hat etwas von einem S-Zentranten KOMOKO erwähnt. Das scheint eine Art Basisschiff zu sein. Gut möglich, dass das Oberkommando der Janusköpfe inzwischen neue Pläne mit uns hat.«

»Aber weshalb?«, fragte ich.

Das Carit, Narrenprinz!, meldete sich im selben Moment mein vorlauter Logiksektor. Die SOL ist nicht nur goldfarben, sie ist wahrscheinlich mit allem Gold dieser Galaxis nicht aufzuwiegen.

»Ich sehe, du hast begriffen«, sagte der Smiler, der meine Miene richtig gedeutet hatte. »Oder war's dein Lästersektor? Also ich würde wer weiß was anstellen, um ein Material in die Hände zu bekommen, das dem konzentrierten Punktbeschuss Tausender Schiffsgeschütze und den geballten Ladungen dieser … dieser Hyperkatapulte standhält.«

»Mun-Katapulte«, korrigierte ich automatisch und spielte, den Blick auf die Außenholos gerichtet, fieberhaft unsere Optionen durch.

Es stimmte. Wir waren bei unserem zweiten Austritt aus der Stromschnelle – oder dem »Feuer von Hesp Graken«, wie die Mundänen den 1099 Lichtjahre entfernten Hyperdim-Tunnel in die NACHT nannten – nur durch die Carit-Ummantelung der SOL unserer sicheren Vernichtung entgangen. Das goldglänzende Material aus den Arsenalen der Kosmischen Fabrik MATERIA hatte selbst dann noch standgehalten, als unsere Paratron- und HÜ-Schirme unter dem Salvengewitter der mundänischen Wachflotte bereits zusammengebrochen waren.

Wie es aussah, hatten wir es tatsächlich dem mit winzigen Mengen des Ultimaten Stoffes angereicherten Carit zu verdanken, dass wir Halblicht erreicht hatten und in den Hypertaktflug entkommen waren.

Nach allem, was wir wussten, war diese »Pulsatorschwelle« von 50 Prozent Lichtgeschwindigkeit für den Eintritt in den Hypertakt unumstößlich.

Aber was wissen wir schon wirklich über Shabazzas Umbauten in der SOL?, meldete sich mein Extrasinn. Denk nur an die psionische Aufladung beim Transfer durch den Mega-Dom.

Ich schob den mentalen Einwand meiner »besseren Hälfte« beiseite. Im Augenblick hielt ich ihn für wenig relevant.

Jedenfalls konnte eine – scheinbar! – so überlegene Materialtechnik, wie sie die Carithülle eindrucksvoll demonstriert hatte, für die Mundänen durchaus ein Grund gewesen sein, ihre Taktik zu ändern.

Die schwarzen Zylinderschiffe zogen ihre tief gestaffelte Kesselschale um die beinahe antriebslos auf das ausgedehnte Feld der Raumschiffswracks zutreibende SOL zwar laufend enger, hatten aber noch immer nicht das Feuer eröffnet.

Laut SENECA zählte die mundänische Feindflotte exakt 7509 Schiffe – hauptsächlich schwerstbewaffnete Kriegsleichter mit einem Durchmesser von 200 und einer Höhe von 120 Metern sowie die gewaltigen Kriegstürme, die es bei einer Höhe von 1800 Metern auf einen Durchmesser von drei Kilometern brachten. Ein größerer Durchmesser also, als ihn die beiden kugelförmigen SOL-Zellen erreichten, die immerhin auf den größten je von Terranern in Serie gefertigten Schiffsriesen basierten, den Trägerschlachtschiffen der GALAXIS-Klasse.

Und da draußen standen Hunderte dieser schrundigen schwarzen Riesenraumer mit den je sechzehn wie Sägeblattzähne herausragenden Triebwerkszacken auf ihren oberen und unteren Zylinderflächen.

Und sie warteten auf eine Antwort. Auf die bedingungslose Kapitulation der SOL.

Nach SENECAS vorläufiger Auswertung ihrer energetischen Signaturen waren es nicht nur die gleichen Schiffe, mit denen wir es vor Hesp Graken zu tun gehabt hatten, sondern dieselben. Die minimalen Schwankungsbreiten und charakteristischen »Ausreißer« der Energieemissionen eines Raumschiffs waren für die Nahortung der SOL so unverkennbar wie Hirnwellenmuster oder Zellmembranschwingungen für einen Individualtaster. Offenbar hatte das mundänische Oberkommando seine Wachflotte vor Hesp Graken, der wir so knapp entkommen waren, der SOL hinterhergeschickt.

Wir hatten uns zu lange im Orbit von Pragaend, der Hauptwelt des Torm-Karaend-Systems, aufgehalten – auf der Suche nach Hinweisen auf einen ominösen Ort namens Auroch-Maxo-55 und ein noch viel ominöseres Ding namens Kym-Jorier.

Wir saßen in der Falle. Und die Schlinge zog sich immer enger zu.

Wir konnten das System der blassgelben Sonne Torm nicht mehr verlassen. Im Rücken und an den Flanken lauerten die mundänischen Kriegszylinder, die jederzeit bereit waren, auf Rammkurs zu gehen, und »bugwärts« erstreckte sich ein chaotisches Trümmerfeld aus Zehntausenden Raumschiffswracks, das uns unmöglich genügend Spielraum für eine Beschleunigung auf Halblicht bot.

»Verschärfung des Ultimatums«, meldete Viena Zakata und fuhr sich nervös durch die langen, ungepflegten Haare. »Beschuss der SOL steht unmittelbar bevor!«

Manchmal sieht der Fuchs den Wald vor lauter Bäumen nicht, sinnierte mein Extrasinn und schickte mir eine mentale »Nahaufnahme« des Trümmerfelds, in dessen Ausläufer die SOL bereits eingedrungen war. Nicht genug damit, dass mein Extrasinn einen abscheulichen Hang zum Sarkasmus hatte, ab und zu fand er auch noch Gefallen daran, sich in kryptischen Andeutungen zu ergehen.

Ich wusste, was wir vor uns hatten.

Der unüberschaubare Schiffsfriedhof, in dessen Randzonen wir hineinsteuerten, war das traurige Vermächtnis einer gigantischen Raumschlacht, die vor 22 Jahren – oder 251 Segaf – im Torm-Karaend-System stattgefunden hatte. Wie wir von Cart Mantoroka, dem serimischen Regierungschef von Pragaend, wussten, hatte die Schlacht mit einer vernichtenden Niederlage der Flotten der Galaktischen Krone gegen eine mundänische Übermacht geendet.

Die einst stolzen Blüten-, Blatt- und Doppelkelchschiffe trieben nun seit über einer Serimer-Generation als Totenschiffe durch die Kälte des Alls und wurden von der Bevölkerung der drei bewohnten Torm-Welten als makabre Rohstoffquellen genutzt.

Ein Fuchs im Wald sieht mehr als tausend Hunde …

Halt's Maul!

Ein Verwundeter zwischen Toten rettet vielleicht sein Leben …

Ich sagte: Halt's …

»Was soll ich den Mundänen antworten?«, unterbrach Viena Zakata meinen lautlosen Schlagabtausch mit dem Extrasinn, und im selben Moment teilte Oberstleutnant Don Kerk'radian, Leiter der Abteilung Schiffsverteidigung, mit, dass die ersten Strahlensalven in die hochgefahrenen Paratrons der SOL einschlugen.

»Impuls- und Desintegratorbeschuss«, meldete der blonde Hüne mit den hellblauen Augen und dem marinefarbenen Sweater, der die Aufschrift »TERRA – NATION ALASHAN« trug. Seit er bei der Verteidigung Alashans gegen die Dscherroburg TUROFECS seinen Zwillingsbruder verloren hatte, wurde ihm eine Tendenz zum Militarismus nachgesagt. »Außerdem erster Einsatz von Mun-Katapulten und Mun-Mörsern. Ich empfehle massiven Gegenschlag mit allen Transformkanonen.«

Allem Anschein nach hatte der mundänische Heerführer Shriftenz nun doch die Geduld verloren und ging dazu über, die SOL auf die harte Tour »weichkochen« zu wollen.

»Sperrfeuer!«, kommandierte ich, nicht ohne Kerk'radian einen rügenden Blick für seine »Empfehlung« zugeworfen zu haben. »Transformsalven vor die mundänischen Angriffsspitzen!«

Major Lene Jeffer, die Feuerleitchefin, bestätigte mit einem knappen Nicken, während sie über ihre samtgraue Kommunikationskappe bereits die Einsatzbefehle an die Waffenabteilungen weiterleitete.

Eine sonnenheiße, wie aus dem Nichts entstandene Feuerwalze raste auf die Phalanx der Zylinderschiffe zu. Einige der vordersten Kriegsleichter vergingen in Explosionen, die sich nur als ein kurzes Zucken aus dem energetischen Inferno herausfiltern ließen, das die lichtschnell abgestrahlten Fusionsbomben der SOL im Weltraum entfesselt hatten.

Die Antwort der schwarzen Kriegszylinder war ein wütender Beschuss mit Hyperkatapulten, deren Aufgabe war, die Feldlinienstruktur der SOL-Schirme so stark zu schwächen, dass sie bei einem anschließenden Punktbeschuss zusammenbrachen. Wie schnell dieser Punktbeschuss brandgefährlich werden konnte, hatten wir vor Hesp Graken erfahren müssen.

Der geballte Einsatz der Mun-Katapulte zeigte Wirkung.

An einigen Stellen wurden unsere mehrfach gestaffelten Paratronschirme, die sich zu einem alarmierend dunklen Blau verfärbt hatten, bereits durchschlagen, und Impuls- und Desintegratorsalven trafen auf das grelle Grün der darunterliegenden HÜ-Schirme. Schwarze Aufrissblitze durchzuckten die Schirme wie klaffende Wunden, schlossen sich viel zu langsam für das Punktfeuer der nachsetzenden Mun-Mörser.

Zeit abzutauchen, meinte der Extrasinn. Die wollen bestimmt nicht mehr reden.

Ich hatte inzwischen begriffen, worauf mein Logiksektor hinauswollte. Manchmal machte sich meine über zwölftausend Jahre zurückliegende ARK SUMMIA ja doch bezahlt.

Freut mich, das zu hören, Narrenprinz. Das Hirn eines alten Arkoniden ist eben kein Sportgleiter.

Allmählich begann ich zu vermuten, dass bei unserem Transport durch den Mega-Dom nicht nur alle Syntroniken, sondern auch mein Extrasinn irreparabel beschädigt worden waren.

Dieser Gedanke wird nicht einmal ignoriert. Kommentar überflüssig.

»Feuer einstellen!«, befahl ich kurz entschlossen. Wie es aussah, würden wir jedes bisschen Energie für die Schirme benötigen. »Wir setzen uns ab.«

»Wohin?«, entfuhr es Tek, dem Galaktischen Spieler, dessen sprichwörtliches Pokerface in den letzten Minuten ein wenig gelitten hatte.

»Ins Trümmerfeld«, sagte ich. »Bring uns rein, Roman! Bring uns so tief wie möglich zwischen die Wracks!«

»Ins Trümmerfeld?«, vergewisserte sich Roman Muel-Chen, der Erste Pilot der SOL, und schürzte die vollen, zynisch geschwungenen Lippen. Der junge Emotionaut vom Freihandelsplaneten Olymp war über seine SERT-Haube auf eine Art und Weise direkt mit dem Bordgehirn SENECA vernetzt, die vielen Besatzungsmitgliedern Unbehagen einflößte. Dass bei der gedankenschnellen Kommunikation mit dem biopositronischen Schiffsrechner auch Roman Muel-Chens dunkle Koteletten als Synapsen für die Simultane Emotio- und Reflex-Transmission dienten, war einer der Scherze, mit denen versucht wurde, dieses Unbehagen zu überspielen.

»Richtig«, sagte ich. »Dort können wir uns besser halten.«

Das Trümmerfeld der ausgeglühten Totenschiffe stellte vielleicht unsere einzige Chance dar. Zwischen den kilometergroßen Wracks konnten wir die überlegene Manövrierfähigkeit der SOL im Unterlichtbereich ausspielen. Und wir konnten die weiträumige Geisterflotte als Schild gegen die nur zögerlich nachrückenden Mundänenschiffe nutzen.

»Für wie lange?«, fragte Ronald Tekener aus dem Sessel des stellvertretenden Expeditionsleiters heraus, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.

Ich hätte ihm auch keine geben können.

Fee Kellind zog es weiter vor, einfach zu schweigen, während die SOL unter Roman Muel-Chens paramechanischer Steuerung mit einigen verwegenen Blitzmanövern wie ein hakenschlagender Hase in den treibenden Schiffsfriedhof eintauchte.

Nominell war Fee Kellind die Kommandantin der SOL, nicht aber die Leiterin des Verbands, der in diesem Fall lediglich aus dem riesigen Hantelraumer und seiner Beibootflotte bestand. In kritischen Phasen überließ sie die Befehlsgewalt klaglos mir und dem narbengesichtigen Smiler.

Allerdings hatte es seit unserer ungewöhnlichen Ankunft in Segafrendo kaum Situationen gegeben, die nicht kritisch gewesen waren …

In der Mitte der Zentrale schwebte der Kokon, den Lotho Keraete, der neue Bote von ES, eine »hyperenergetisch programmierte Plombe« genannt hatte.

Der Kuckucks-Kokon. Das Ding, dem wir unsere aussichtslos erscheinende Mission zu verdanken hatten.

Dass das achtzig Zentimeter hohe, von einem silbrigen Gespinst überzogene Energieei erst in Gegenwart der Mom'Serimer von Nacht-Acht eine Reaktion gezeigt hatte, gehörte zu den zahlreichen Rätseln, die es zu lösen galt.

Schließlich verehrten sowohl die Mom'Serimer von Nacht-Acht als auch die Serimer aus dem Torm-Karaend-System ESTARTU als ihre Patronin und hatten von ES noch nie etwas gehört.

Andererseits war es ES gewesen, der aus dem Kokon zu uns gesprochen hatte – wenn auch unter dem Zeichen der ESTARTU, einem Dreiecks-Hologramm mit drei aus der Mitte in die Ecken weisenden Pfeilen als Symbol des Dritten Weges.

Was hatte die Superintelligenz aus dem Virgo-Haufen, die bei der Entstehung von Thoregon nicht dabei gewesen war, mit unserer Mission zu tun?

Was hatte ES mit der riesigen Kugelgalaxis Segafrendo zu tun? Wo lag Auroch-Maxo-55? Und was war ein Kym-Jorier?

Wie entkamen wir der Mundänenflotte, die ihre Kesselschale um das Trümmerfeld beharrlich enger zog und damit begann, die Kronenwracks durch systematischen Desintegratorbeschuss aus dem Weg zu räumen?

Und besonders: Wie sollten wir je in unsere Gegenwart zurückkehren?

Wir hätten einen Rat von ES gut brauchen können. Aber sein Kuckucksei schwieg.

2.

Die Stadt in der Gischt

 

Die Stadt in der Gischt war schwer zu entdecken.

Von weitem, vom offenen Meer aus, wirkten ihre Wohntrauben und Hauskokons wie die Lichtreflexe und Wasserwirbel eines fünf Kilometer breiten Stroms.

Nur, dass der Strom senkrecht floss.

Der Strom hieß Pur und stürzte vom Gipfelplateau einer gebirgshohen Steilküste über Felsenterrassen, Steinkaskaden und Sinterbecken mehr als 1700 Meter in die Tiefe, wo sich sein schäumendes Wasser mit den Brechern des Ozeans vereinigte.

Darüber, inmitten der mächtigen Wasserfälle, nicht mehr an Land und noch nicht im Meer, nicht in der Luft und dennoch dem Himmel näher als der Erde, lag Pur Straviente, die Regenstadt, die Stadt in der Gischt.

Eine Stadt, deren verwegene, den Elementen trotzende Architektur zugleich ihre beste Tarnung war.

Erst wenn man näher kam, schälten sich die Konturen so filigraner wie tragfähiger Gitterstrukturen aus den Fluten des stürzenden Stroms. Die Trägerskelette aus durchsichtigem Morphit überwucherten die gesamte Höhe der Steilküste und stemmten sich gegen die tonnenschweren Wassermassen, die über sie hinwegtosten.