Constanze Kleis
Männer könnten auch anders
Sachbuch
Fischer e-books
Constanze Kleis studierte Erziehungswissenschaften. Als freie Journalistin arbeitet die Frankfurterin für Zeitschriften wie »myself«, »Freundin«, »Bolero« und »Cosmopolitan«. Bekannt ist sie besonders durch ihre Glossen zum Thema Partnerschaft sowie ihr Buch »Ballgefühle. Wie Fußball uns den Mann erklärt«. Zusammen mit Susanne Fröhlich schrieb sie zuletzt die Bestseller »Runzel-Ich« sowie »Alles über meine Mutter«.
Covergestaltung: bürosüd°, München
Illustration: M. Oskui/bürosüd°
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2009
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ISBN 978-3-10-400139-5
Name geändert
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Dietrich Schwanitz: Männer, eine Spezies wird besichtigt, Frankfurt 2001
www.spiegelonline.de
Frank Schirrmacher: Männerdämmerung. In: FAZ, 1.7.2003
Freundin, 11.1.2008
Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches II, nachgelassene Fragmente. Berlin 1967, S.299
Sybil Gräfin Schönfeldt: Anstand, München, 2008, S.136
Friedrich Nietzsche: Morgenröte, Idyllen aus Messina, Berlin 1988, S.239
Lynne Truss: Für dich immer noch Sie Arschloch!, München 2007, S.158
Friedrich Hebbel in: Zeit, 29.3.1963, Nr. 13
www. RespectResearchGroup.org
Stern, 14/2007, S.250
Psychologie Heute, September 2008, S.27
www.zitate.de
Sybil Gräfin Schönfeldt: Anstand, München 2008, S.62
Welt, 17.1.1998
www.youtube.com / watch?v=jhtL-zU0Aqs
Wolfgang Sofsky in 3sat: Kulturzeit vom 3.3.2008)
Ebd.
Deutschlandradio Kultur, 4.3.2007
Charles Dickens: Martin Chuzzlewit, Augsburg 2004, 34. Kapitel
Lynne Truss: Für dich immer noch Sie Arschloch, München 2007, S.204
www.maclife.de, 25.4.2008
Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 25.5.2003
Christian Eichler: Lexikon der Fußballmythen, München 2005
Wikipedia
Günther Seidler: Der Blick der anderen, Stuttgart 2001, S.51
New York Times, 30.1.2008
Forsa Umfrage im Auftrag von Bild der Frau
Frankfurter Rundschau, 7.8.2008
Stern, 18.4.2002
Men’s Health, 4.9.2007
www.spiegelonline.de
www.wissen.de
taz, 7.3.2008
Berliner Morgenpost, 13.8.2006
http://www.brigitte.de/frau/familie/rollen_familie/ index.html
Brigitte Woman, 7/2007
www.deloitte.com
Albert Hauser: Das Sitzpinkel-Manifest, Frankfurt 1997, S.18
Alexander Kira, Forschungsprojekt bei der Zentrale für Wohnungs- und Umweltstudien an der Cornell-Universität.
Bettina Möllring: Toiletten und Urinale für Frauen und Männer, Als Dissertationsschrift eingereicht bei der Fakultät Bildende Kunst der Universität der Künste Berlin am 1.8.2003
Hademar Bankhofer: 50 einfache Dinge, die Sie über Ihre Gesundheit wissen sollten, Frankfurt, 2006, S.201
Wikipedia
Jurek Becker: Ihr Unvergleichlichen. Briefe. Frankfurt 2004
www.vorwerk.com
Martina Wimmer: Der Mann. Comeback eines Auslaufmodells, Berlin 2008, S.93
Süddeutsche Zeitung, 20.3.2007
Iris Radisch in: Zeit, 16.3.2006
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Isabelle Azoulay: Die Gewalt des Gebärens, München 1988
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Focus, 19/2008
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Karl Marx: Das Kapital I, 620
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Flic Everett: Der Sex-Guide für freche Frauen, München 2005
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Michael Mary: 5 Lügen die Liebe betreffend, Hamburg 2001
»Der ewige Verführer – Giacomo Girolamo Casanova«, MDR, Sendung vom 2.3.2003
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Süddeutsche Zeitung Magazin, 16/2008
www.pr-professional.de
Wirtschaftswoche, 29.8.2003
Für Ulli, weil er mir morgens stets Kaffee ans Bett bringt und überhaupt viel Schönes dafür tut, damit ich nicht auf die Idee komme, die Hemden zu zählen, die ich für ihn bügele. Natürlich für Susanne, weil sie so ist, wie sie ist: die Allerbeste! Für Irmtraud und Günther, die großherzigsten und gütigsten Menschen, die man sich vorstellen kann. Für meine Lieblingsgeschwister, Patricia und Sven. Und für Gunilla, Kirsten, Christiane, Elvira, Brigitte, Bianca, Petra, Claudia, die mit ihren Erfahrungsberichten aus den Manieren-Entwicklungsgebieten viel zu dem Buch beigetragen haben. Nicht zu vergessen: für Karin, die sowieso großartigste Lektorin.
Gewöhnlich handeln Benimmbücher für Männer davon, wie man im Fall der Fälle auch als Versicherungsvertreter oder Personalberater eine 707 so landet, dass die Dame in der First Class ihren Rosé-Champagner nicht verschüttet; wie man formvollendet ein Einstecktuch trägt oder die – selbstredend handgenähten – Schuhe dermaßen auf Hochglanz bringt, dass man in ihnen den Sitz des Kummerbundes kontrollieren kann. Das ist sicher gut gemeint, aber im Alltag eher unpraktisch. Vor allem, weil Frauen sich selten mit Sätzen wie: »Tut mir leid, Schatz, dass ich deinen Geburtstag vergessen habe und dir nicht im Haushalt helfe, aber dafür könnte ich dir fachgerecht einen Hummer zerlegen – falls du gerade einen zur Hand hast!« über Manieren-Mangel trösten lassen. Und es interessiert sie außerdem nur wenig, ob ein Mann in der Lage ist, einen ordentlichen Geschäftsbrief aufzusetzen, wenn sich seine schriftlichen Äußerungen daheim auf Sätze wie: »Hab keine Socken mehr!« oder: »Ich brauche neues Rasierwasser!« beschränken, in denen man das Wort »Bitte« vergeblich sucht.
Sicher kennen die meisten Männer die wichtigsten Manieren-Grundlagen und würden beispielsweise im Restaurant niemals einen Rotwein in ein Wasserglas füllen. Einige bringen es sogar zu wahren Meisterleistungen, sind versiert im Gebrauch von Messer und Gabel, können auch mal das Frühstücksgeschirr abräumen und sich mühelos an die Namen ihrer Kinder erinnern. Allerdings häufen sich gleichzeitig die Indizien, dass am Mann auf der Straße oder im Haushalt, bei der Arbeit, beim Sex – also im ganz alltäglichen Zusammenleben – vieles zu verbessern wäre. Vielleicht, weil die Benimm-Fachliteratur diese wenig prestigeträchtigen Bereiche weitgehend ignoriert. Oder weil sie zu 99 Prozent von Männern verfasst wird, die einfach voraussetzen, dass Männern die Basiskenntnisse guten Betragens wie etwa Türaufhalten, Vortrittlassen und herrliche Sätze wie: »Die Rechnung bitte!« oder: »Kann ich etwas für dich tun?« längst in Fleisch und Blut übergegangen sind und sie sich somit schon größeren Aufgaben wie dem Windsorknoten widmen können.
Bestimmt braucht man einem Mann etwa seit 1867 nicht zu sagen, dass er im Büro seinem Kollegen nicht mal eben vor die Füße spucken sollte. Trotzdem kann man noch im Jahr 2009 unentwegt beobachten, wie Männer, auch die tadellos gekleideten, damit beschäftigt sind, auf den Straßen Deutschlands die Stelle zu finden, auf der vor ihnen noch kein Mann seinen Speichel hinterlassen hat. Wie Männer ihr Gemächt so häufig von rechts nach links verlegen, bis es unter einem Schleudertrauma leidet, und in der U-Bahn mit nur zwei Beinen vier Sitze blockieren. Auch im Flugzeug müssen sich Männer meiner Erfahrung nach viel zu sehr darauf konzentrieren, gleich beide Armlehnen und die letzte Tageszeitung zu ergattern, um noch Energie für größere Heldentaten erübrigen zu können. Und sollte die Stewardess eines Tages tatsächlich über die Bordsprechanlage durchgeben, es seien gleich beide Piloten ohnmächtig geworden, und fragen, ob nicht einer der anwesenden Herren das Steuer übernehmen könnte, würde vermutlich ein Drittel behaupten, dass der Arzt ihm jede Aufregung verboten habe, das nächste Drittel würde ein Wachkoma vortäuschen und der Rest sagen: »Machen Sie es doch selbst. Ihr Frauen wollt doch immer so emanzipiert sein! Aber vergessen Sie nicht, mir vorher noch einen Kaffee zu bringen. Und diesmal heiß und nicht bloß lauwarm!«
So driften bei Männern und Manieren Anspruch und Wirklichkeit oft weiter auseinander, als einem gedeihlichen Miteinander zuträglich sein kann. Ganz einfach, weil die Bedeutung von Respekt, Höflichkeit, Achtung, Fürsorge und Aufmerksamkeit als Garant für Glück gerade im schnöden Alltag, besonders dem, den man mit Frauen teilt, gründlich unterschätzt wird. Das gilt übrigens auch für die Chancen, zum sozialen Totalversager zu mutieren.
Frauen wissen das. Wir leben mit Männern zusammen, die klug sind und gut aussehen, die Humor haben – jedenfalls solange man über ihre Witze lacht –, die im Prinzip zum Niederknien wären, wenn sie nicht nach jedem Schnäuzen ins Taschentuch schauten, um den Ertrag mit so viel Wohlgefallen zu betrachten, als habe sich dort gerade Schleim in Gold verwandelt – falls sie überhaupt ein Taschentuch benutzen und nicht etwa die Hand nehmen oder sich ein Nasenloch zuhalten, um das andere gründlich auf der Straße auszuleeren. Wir haben es täglich mit Männern zu tun, die wortlos in die Küche gehen und von ihrem anstrengenden Ausflug mit nur einem, nämlich ihrem vollen Glas zurückkehren. Mit Männern, wie ich sie hier jeden Tag am Zaun eines sehr großen Baugrundstückes vor dem Fenster meines Arbeitszimmers sehe. Bei Autofahrern ist dieses Grundstück anscheinend als »Letztes Pissoir vor der A3« bekannt. Täglich steigen hier durchschnittlich etwa drei Männer – übrigens aus sehr teuren Autos – aus, um sich mal eben breitbeinig – quasi mitten auf der Straße – zu erleichtern. Ungeachtet der unübersehbaren Tatsache, dass sich direkt hinter ihnen ein sechsgeschossiges Wohnhaus befindet, dessen Bewohner aller Wahrscheinlichkeit nach nicht alle erblindet sind.
Gut, man könnte ja einfach sagen: »Lass das!«, oder: »Das ist eklig!« Oder etwa beim Essen: »Ehrlich, wenn du deinen Kopf noch ein bisschen näher an den Suppenteller hältst, könntest du gleich deinen neuen Schnorchel ausprobieren!« Aber wieso sollen immer wir die Männer erziehen? Auch noch! Sie sind doch schon mal erzogen worden, und außerdem ist der Clou von Manieren ja gerade, eine stille Übereinkunft aller darüber zu sein, dass es nicht nur sehr viel netter, sondern auch viel klüger ist, anderen Aufmerksamkeit, Rücksichtnahme und Respekt entgegenzubringen, dass man eben nicht jahrelang predigen muss: »Wäre schön, du würdest das nächste Mal auch sprechen, wenn wir Gäste haben. Und sag jetzt nicht, du kannst das nicht.«
»Und die Frauen? Was ist mit deren Manieren?« War ja klar, dass diese Frage als Erstes kommt. Natürlich liegt bei den Frauen auch so manches im Argen. Allerdings muss man ja mal irgendwo anfangen, und dass die Männer an erster Stelle, also vor »Manieren für Frauen«, kommen, hat gute Gründe:
1. Frauen sind noch lange nicht so weit, sich auch nur in annähernd so großem Stil mit auch nur annähernd denselben gravierenden Konsequenzen wie Männer schlecht zu betragen. Dazu fehlen uns – leider – immer noch die Möglichkeiten. Frauen sind nicht in der Position, Männer im selben Job um bis zu einem Viertel schlechter zu bezahlen als sich selbst, Frauen ab 50 nicht mehr einzustellen, weil sie die Optik des Unternehmens verderben, mal eben ein millionenschweres Unternehmen und damit Hunderte von Arbeitsplätzen an die Wand zu fahren oder einfach nur zu behaupten, anatomisch nicht für den Gebrauch von Haushaltsgeräten geschaffen zu sein und damit durchzukommen.
2. Nur Männer unterliegen dem fundamentalen Irrtum, es handele sich bei Höflichkeit um ein Anerkennungshonorar, eine Art Gegengeschäft dafür, dass wir ihnen ein paar Jahrtausende lang das Herrschen und Lenken überlassen haben. Seit Frauen eigenes Geld verdienen, selbständiger und unabhängiger werden, sehen zunehmend mehr Männer den wichtigsten Umgangsformen schlicht die Geschäftsgrundlage entzogen und verweigern, was sie könnten: zum Beispiel kürzlich der jungen Bahnbediensteten mit ihrem bleischweren Kaffeekarren beim Aussteigen zu helfen. Sie hatte zwei tadellos gekleidete Männer, die auf dem Bahnsteig standen und darauf warteten einzusteigen (übrigens in der 1. Klasse), direkt angesprochen. Doch die drehten sich sofort um und betrachteten den ICE auf dem gegenüberliegenden Gleis so interessiert, als hätte sich dort gerade Sharon Stone entkleidet. Zweifelsohne hätten die beiden bei einem hochkarätigen Geschäftsessen mit den besten Manieren geglänzt. Doch hier, wo keiner zuschaut, wo nichts rumkommt? Da überließen sie die Arbeit lieber einer Schülerin, geschätztes Gewicht 48 Kilo, die sich schließlich erbarmte.
3. Viele Männer sind zwar im Prinzip guten Willens, haben aber nicht den Hauch einer Ahnung, wie wunderbar das Leben mit einer Frau und Manieren sein kann. Wie man beispielsweise ein Geschenk macht, eine Frau zum Essen einlädt, sich in der Liebe genauso wie im Beruf und im Rest des Lebens mit minimalem Aufwand größte Bewunderung verdient. Vielleicht sind sie etwas verstört durch Rollenvorbilder, wie sie einem nachmittags in den Talkshows präsentiert werden, die fürs Flegeln sogar noch bezahlt werden, und glauben deshalb, dass das ganze Leben eine Fernsehshow ist, voller williger Frauen mit Körbchengröße C oder mehr, die »Geil!« kreischen, wenn man ihnen sagt: »Warst du in der Kirche? Siehst so durchgeorgelt aus.« (Dieter Bohlen). Oder sie haben den Satz: »Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss«, einfach grundfalsch, nämlich mit Spucken, Rülpsen und Furzen, übersetzt.
4. Frauen fragen sich sowieso ständig: »Was mache ich falsch? Hat er mich noch lieb? Bin ich zu dick? Schmeckt, was ich gekocht habe? Sitzt die Frisur? Bin ich auch die Richtige für den Job? Ist es nicht meine Schuld, wenn meine Kinder später mal Flugzeuge entführen oder Investment-Banker werden?« Würden Selbstzweifel bezahlt, bräuchten Frauen überhaupt nicht mehr zu arbeiten und die Regierung könnte sich obendrein das Elterngeld sparen. Bis auf die zwei Monate natürlich, die dazu da sind, Männer wenigstens wochenweise mal an den Wickeltisch zu bringen. Auf die Idee, sich und seine Leistungen ständig der strengen Prüfung eines notorisch schlecht gelaunten und diktatorischen Über-Ich zu unterziehen, kommen Männer erst gar nicht. Dabei würde es ihnen – und übrigens auch ein paar sehr entscheidenden Bereichen unseres Daseins – Politik, Wirtschaft, Ökologie – sehr, sehr guttun, wenn auch Männer sich gleich nach dem Zähneputzen und noch vor dem Kaffee ein paar Fragen stellen würden. Zum Beispiel: »Wie wirkt sich das, was ich tue, auf andere aus?« Oder: »Sollte ich nicht jemanden um Rat fragen, der von der Materie mehr versteht als ich?« Oder: »Habe ich mich eigentlich ausreichend dafür erkenntlich gezeigt, dass meine Frau meiner Mutter so ein hübsches Geschenk besorgt hat?« Oder: »Sollte ich nicht erst einmal den Porsche abbestellen, bevor ich meinen Angestellten das Weihnachtsgeld streiche?«
Leider neigen gerade Männer – das ist wissenschaftlich belegt – zu vorzeitiger Selbstzufriedenheit. Sie übersetzten sich Sätze wie: »Wir können Freunde sein!« mit: »Sie will mich!« oder Vorwürfe wie: »Du könntest auch ruhig mal aufräumen!« mit: »Eigentlich läuft es doch ganz dufte mit uns.« Sie überschätzen sich, ihre Wirkung, ihre Fähigkeiten. Und sie unterschätzen umgekehrt, wie viel schöner nicht nur das Leben ihrer Frauen, sondern auch ihr eigenes wäre – mit Manieren. Es macht einen großen Unterschied, ob man weiß, dass ein Mann vielleicht nicht auf Dauer als Ehemann taugt, aber zuverlässig für sein Kind da sein wird. Auch und zuallererst finanziell. Und sogar beim Seitensprung liegen Welten zwischen einem, der so tut, als gebe es ein Menschenrecht darauf, seine ›Basisfrau‹ gegen ein Luxusmodell auszutauschen, und einem, der zumindest versucht zu verstehen, was man eben immer anrichtet, wenn man sich anderweitig verguckt. Letztlich entscheiden Manieren sogar über die Geburtenrate. So belegen Studien, dass immer mehr Männer heute die Verantwortung der Vaterschaft scheuen und also selbst bei der Fortpflanzung kaum bessere Kopfnoten verdienen als der Braunbär, der sich nach der Geburt seiner Jungen dünnemacht.
Warum nicht einfach bei Knigge nachschlagen? Weil der Freiherr zwar mit »Über den Umgang mit Menschen« die brillante Vorlage geliefert hat, aber wir uns selbst um die Details kümmern müssen. Also um das Phänomen, weshalb Männer in den ersten Jahren einer Beziehung niemals rülpsen müssen, um dann den Rest des gemeinsamen Beziehungslebens damit zu verbringen, in Sachen Methangasausstoß mit einer Rinderherde zu konkurrieren. Oder um mit Fragen wie denen, ob man eine Frau zum Besuch eines Swingerclubs überreden sollte und ob ein Mann weinen darf. Denn natürlich geht es hier nicht nur um das Große und Ganze – »Wieso Manieren? Ich hab doch schon eine Frau!« –, sondern auch um all die Kleinigkeiten, aus denen sich das Bild eines Mannes zusammensetzt, der wahrlich nicht perfekt sein muss. Es geht um einen Mann, der endlich nicht mehr jammert, was er denn noch alles machen muss, und sofort unter Kastrationsängsten leidet, wenn er sich seinen Kaffee selbst holen soll. Einen, der keine dämlichen Schwulenwitze erzählt und der sich einfach auch mal schämen oder sagen kann: »Ja, da habe ich einen Fehler gemacht!« Kein quengelndes Hasenherz, keinen Jammerlappen, keinen Emanzipations-Hypochonder, keine notorisch beleidigte Leberwurst, keinen Macho-Hohlkopf. Einen manierlichen Kerl eben.
Deshalb dieses Buch. Es stellt all die Fragen, die im täglichen Zusammenleben auftauchen können. Und es bietet die Gelegenheit, jene Teilbereiche, in denen noch Nachholbedarf besteht, etwas aufzuarbeiten. Es ist ja nicht so, dass da draußen nur Rohlinge und Flegel unterwegs wären. Es gibt sehr viel gute Absichten und ein paar Missverständnisse, die es auszuräumen gilt. Damit nachher keiner sagen kann, er habe keine Ahnung gehabt. Zum Beispiel, dass man sich nach dem Essen nicht seine Hand mal eben von rechts unten durch den Beinausschnitt in die Shorts schiebt, so wie der Mann, den ich kürzlich in einer – übrigens ziemlich exklusiven – Strandbar in Mandrago auf Mallorca beobachten durfte. Minutenlang arrangierte er das bisschen, das er dort fand, neu, um danach erst ausgiebig an der Hand zu schnuppern, bevor er dem Kellner mit derselben die Rechnung abnahm. Gut, dachte ich: Er ist ein Schwein, aber er lädt wenigstens seine Sippe – etwa zehn Anverwandte – zum Essen ein. Doch er reichte die Rechnung weiter, sodass jeder mal Gelegenheit hatte, dort anzufassen, wo vorher schon – na, Sie wissen schon – war. Danach zahlte jeder seinen Teil.
Es gibt also unendlich viel zu tun. Für Männer. Sie sollten es anpacken. Schon aus purem Eigennutz. Es ist ja nicht nur netter, sich gut zu betragen. Es ist klüger. Wir Frauen brauchen sie ja kaum noch als Ernährer und die Welt können wir uns längst selbst erklären. Es muss ganz andere Gründe geben, sie zu bewundern, ihnen zu vertrauen und ihnen Macht zu geben – daheim, beim Sex, in der Politik, in den Unternehmen: Respekt, Rücksichtnahme, Aufmerksamkeit, die Bereitschaft, Verantwortung für andere und nicht nur für den Glanz ihrer Autofelgen zu übernehmen, Mängel eingestehen zu können und bei der Vorstellung ihren Namen zu sagen, ohne dass wir rätseln müssen: Batman? Little Joe? Pu der Bär? Männer können das. Ich bin ganz sicher.
Manieren sind so universell und praktisch, dass sie eigentlich in jedem Baumarkt gleich neben den Schlagbohrern und Akkuschraubern stehen müssten. Versehen mit einem sehr langen Beipackzettel, auf dem steht:
Man kann sie überallhin mitnehmen, ohne dafür eigens einen Dachgepäckträger aufs Auto schrauben oder einen Sherpa beschäftigen zu müssen.
Von der Supermarktkassiererin über den Kellner bis zu Nachbarn, Kollegen, Chefs verwandeln sie alle Menschen, denen wir begegnen, zu willkommenen Gästen in unserem Leben, die sich für das Geschenk »Freundlichkeit« und für das Gefühl, geschätzt zu werden, gern ihrerseits mit Entgegenkommen revanchieren.
Manieren kosten nichts oder sehr, sehr wenig. Jedenfalls unendlich viel weniger als all die Schäden, die täglich durch schlechtes Betragen entstehen. Im Vergleich jedenfalls zu den 350 000 Euro, die allein in Frankfurt in öffentlichen Verkehrsmitteln durch Vandalismus anfallen, oder zu den Verkehrstoten, die sich auch der Selbstüberschätzung – »Ich fahr mit 2,5 Promille immer noch besser als meine Frau!« – verdanken.
Sie wirken wie ein Stimmungsaufheller, mit dem man sich weltweit Freunde machen kann, ohne Konflikte mit dem Betäubungsmittelgesetz zu riskieren.
Sie sind sozialer Dämmstoff. Denn sie versetzen uns in die angenehme Lage, auch mit jenen, die uns auf Anhieb nicht so sympathisch sind, auskommen zu können, ohne größere Mengen Energie sinnlos etwa mit der Frage zu vergeuden, wann genau man seinem blöden Kollegen wohl endlich eines in die Fresse haut.
Sie befreien uns von der aufreibenden Aufgabe, bei jedem Menschen aufs Neue Grenzen ausloten zu müssen und dabei verstärktes Beleidigtsein, lebenslanges Nachtragen und ausufernde Abneigungen zu riskieren.
Sie schaffen unverbindlich Verbindung. Das ist gerade da nützlich und sehr erleichternd, wo man sich sowieso nicht gern aus dem Fenster lehnt oder ohne größere Gesichtsverluste den Rückzug antreten will – beim Flirten beispielsweise.
Mit Manieren lassen sich zu vielen Menschen freundliche, aber lockere Verbindungen halten – ohne jede Beziehung gleich so zeitintensiv wie eine Orchidee pflegen zu müssen. Praktisch, wenn man mal eine Gefälligkeit – wie etwa einen neuen Job – braucht.
In heiklen Situationen wirken sie wie Haltegriffe und Landefeuer und man braucht sich nicht ständig zu fragen: »Warum glotzen die eigentlich alle?«, oder »Wieso werde ich eigentlich nicht mehr eingeladen?«, oder »Wieso ist deine Freundin sauer? Sie wollte doch wissen, ob ihr die neue Frisur steht!«
Sie geben einem die unschätzbare Sicherheit, dass man auch ganz ohne Druckmittel – Position, Macht, Stärke und Sätze wie: »Solange ich das Geld nach Hause bringe ...« – geliebt, geachtet und respektiert wird.
Manieren sind keine Zwangsjacke. Sie sind Schonraum. Mit ihnen darf man sich – entgegen anderslautenden Befürchtungen – viel, viel mehr erlauben als ohne. Man hat sozusagen einen höheren Dispo auf seinem Sympathie-Konto als andere, die dem Irrtum erliegen, sich ganz ohne Manieren das Maximum an Narrenfreiheit sichern zu können.
Kein Wunder, wenn die frühere Protokollchefin des Weißen Hauses, Letitia Baldrige, einmal meinte: »Manieren sind zwei Drittel Logik und guter Menschenverstand und ein Drittel Freundlichkeit.«
Im Prinzip ist diese Botschaft auch beim Mann angekommen. Während Männer früher Sätze wie: »Ich kann nicht mal ein Spiegelei braten« oder »Keine Ahnung, wo meine Socken liegen« oder »Leider schlafen meine Kinder immer schon, wenn ich von der Arbeit komme« als sekundäres Geschlechtsmerkmal betrachteten, kann der moderne Mann heute durchaus auch anders. Wie, das zeigen uns täglich die Medien. Dort wimmelt es nur so von aufgeschlossenen, modernen Männern, die all das liebend gern tun, wovon unsere Mütter nur träumen konnten. Sie kochen, sogar Bucatini mit Peperoncini aus dem Parmesanlaib (Grappa leicht erwärmen, den Parmesanlaib damit einpinseln und anzünden, Feuerlöscher bereithalten). Sie sind interessiert und können wie Reinhold Beckmann eine Frau wie Heidi Klum so intensiv nur dafür bestaunen, dass sie mit ihren Kindern den Atlantik überquert hat, als hätte die nicht im Flugzeug, Businessclass, sondern auf einem fliegenden Teppich gesessen. Ja, der moderne Mann kann sich tief in die Psyche von Frauen einarbeiten. Auch als Chefredakteur von Frauenmagazinen oder als Werber, wenn er uns Frauen mal wieder gründlich unsere Bedürfnisse erklärt. Heute sind Männer sogar fähig, für ihr Kind ihren Arbeitsplatz aufzugeben. Um danach lustige Bücher über ihre Erfahrungen als Hausmann zu schreiben,
Ganz dicht ist die Beweislage, dass Männer Manieren nicht nur vom Hörensagen kennen, vor allem im Job. Bis zum Dübelvertreter hat es sich mittlerweile herumgesprochen, dass, wenn zwei gleich qualifizierte Bewerber um eine Stelle buhlen, der mit dem besseren Benehmen höchstwahrscheinlich den Zuschlag bekommen wird.
Frei nach Gottfried Lichtwer: »Der Weltmann steigt empor, und der Pedant bleibt sitzen. Die Sitten können mehr als die Gelehrten nützen.«, können Männer am Wochenende nun schon deshalb nicht mehr am Hausputz teilnehmen, weil sie Benimmkurse besuchen. Sie lernen eifrig, wie man ein Rotwein- von einem Weißweinglas unterscheidet, beschäftigen sich mit »Soft Skills for Young Professionals« und dem optimalen Outfit für das Bewerber-Gespräch (»Sie werden positiv aufgenommen und bleiben in guter Erinnerung!«). Und würde ich jedes Mal, wenn irgendwo in Deutschland ein Rollladenverkäufer oder ein Gabelstaplerfahrer seine Fähigkeiten als Global Player unter Beweis stellt, indem er der staunenden Runde in »Evi’s Pilsstube« erklärt, dass man einem Japaner die Visitenkarte immer mit beiden Händen überreicht, zehn Euro bekommen, wäre ich schon lange finanziell saniert und könnte wie Angelina Jolie durch die Welt reisen und großzügigst spenden. Doch ist derselbe Mann, der gerade einen halbstündigen Vortrag darüber gehalten hat, was zu tun ist, wenn der Headhunter anruft, so hilflos wie ein Eskimo am Äquator, wenn die beste Freundin seiner Frau am Apparat ist und eine Nachricht hinterlassen will. Ja, er wird es sich merken. Natürlich – und dann hat er es fünf Minuten später doch wieder vergessen. Als Revanche kann man ihn ja fragen, wie viele Japaner er eigentlich kennt, denen er beidhändig eine Visitenkarte überreichen könnte! Nein, der Koch in der Sushi-Bar zählt nicht. Das ist ein Koreaner.
Keine Frage: Männer kennen und können Manieren. Das Problem ist allerdings, dass Männer vor allem dann Manieren zeigen, wenn es etwas bringt, wenn es wenig kostet, wenn jemand guckt, wenn man ihre Kreise nicht stört, wenn man sich – durch Position, Aussehen, Alter – in ihren Augen dafür qualifiziert, also entweder ganz jung und sehr attraktiv ist oder sehr bedeutend. Dann können sie, weil sie wollen. Dazwischen vergessen sie gern mal, wo ihre Manieren eigentlich sind. Im Wäschekorb? Unter den Manager-Magazinen? Im Kofferraum? Wo auch immer, oft stehen sie gerade dann nicht zur Verfügung, wenn man sie als Frau ganz dringend braucht. Zum Beispiel am Geburtstag der besten Freundin, wenn derselbe Mann, der gestern noch zehn Minuten über die Wahl seines Anzugs für das Kunden-Meeting gegrübelt hat, in seinem Sport-Shirt und Jeans erscheint, anstatt auch hier bestrebt zu sein, »positiv aufgenommen« zu werden und »in guter Erinnerung« zu bleiben.
Vielleicht denken Männer auch hier ökonomisch und daran, dass sie irgendwann auch mal Feierabend haben möchten. Fragt man nach, weshalb daheim, auf der Straße, in alltäglichen Situationen so wenig klappt, was doch andernorts klaglos funktioniert, dann wissen sie jedenfalls etwa zehn Argumente, die dagegen sprechen, aus Höflichkeit, Respekt, Fürsorge und Aufmerksamkeit eine Vollzeitbeschäftigung zu machen:
Ich habe schon eine Frau!
Dafür kann man sich nichts kaufen.
Was willst du denn noch? Genügt es nicht, wenn ich den Müll runterbringe und wir eine Kanzlerin haben?
Auf der Arbeit gern. Aber irgendwann will ich auch Feierabend haben.
Damit kann ich höchstens meine Oma beeindrucken.
Ich kann schon mit Messer und Gabel essen!
Können wir da nicht später drüber reden?
Was kommt als Nächstes? Fingerschalen bei McDonald’s?
Bin ich nicht Geschenk genug?
Ich brauche keine neuen Manieren, ich habe die alten noch nicht verbraucht.
Ist das die Rache dafür, dass Adam seine Rippe für uns opfern musste? Samson seine Haare für Delilah? Angela Merkel Kanzlerin wurde? Das Sportstudio nun von einer Frau moderiert wird? Freundlich ist es jedenfalls nicht, wenn unterschieden wird zwischen lohnenden und weniger lohnenden Anstrengungen für andere. Begegnen Männer der Aufforderung, sich mal ordentlich zu betragen, außerhalb jener Regionen, die sie dafür reserviert haben, kann es sogar ziemlich ungemütlich werden. Etwa wenn man die Männer, die regelmäßig auf den Frauenparkplätzen ihr Auto abstellen, freundlich fragt: »Warten Sie hier auf Ihre Geschlechtsumwandlung?« Dann reagieren etwa 99 Prozent aller Angesprochenen mit »Zicke!« oder »Verpiss dich doch!« Natürlich gilt das längst nicht für alle Männer. Nein, es gibt große Unterschiede. Gerade beim Umgang mit dem Thema »Manieren«.
Er weiß es schon seit 1968: Alles ist politisch. Sofort sieht er deshalb am gesamtgesellschaftlichen Horizont düstere Wolken auftauchen, die »Zwang«, »Konvention« und »Diktatur« heißen, sobald man auch nur sagt: »Könntest du bitte mal meine Schwester anrufen, die hat heute Geburtstag!« Gleich werden die ganz großen Geschütze in Stellung gebracht: Sind Manieren nicht einfach der Wolf im Schafspelz, eine freundliche Übersetzung jener (Un-)Tugenden, die unser Land schon mal in die tiefsten Abgründe der Unmoral gestürzt haben? Also Ordnungsliebe, Autoritätshörigkeit, Untertanenmentalität, Angepasstheit, Spießertum? Hatten und haben nicht die größten Charakterschweine der Weltgeschichte die besten Umgangsformen etwa auf großen Staatsbanketten zur Schau gestellt? Das spricht schon mal grundsätzlich dagegen, sein Frühstücksgeschirr selbst wegzuräumen oder seine schmutzigen Socken vom Boden aufzuheben. Und wer sagt eigentlich, dass »man« pünktlich zur Hochzeit der besten Freundin kommen sollte und zwar nicht in Gesundheitslatschen? Vor allem, wenn man gerade keine Lust dazu verspürt? Als Frau hat man dann den Salat: Gleich sitzen Adolf Hitler, Benito Mussolini, Idi Amin und Kim Jong II mit am Tisch und man hat sich mal eben für den Titel »Diktator des Monats« (www.dictatorofthemonth.com) qualifiziert, obwohl man ja eigentlich nur ein bisschen Mithilfe im Haushalt oder die Unterhaltszahlungen fürs Kind gefälligst pünktlich und nicht dem Biorhythmus des Vaters angepasst auf dem Konto wollte.
Er anerkennt immerhin die Notwendigkeit von Manieren, mit dem Hinweis, er habe doch schon welche. »Jedenfalls mehr als die anderen!« Mehr als Klaus Müller in Wanne-Eickel? Mehr als ein Meerschweinchen? Mehr als Pol Pot? Gibt es auch für Manieren wie für Bananen oder Kondome eine EU-Richtlinie, also eine Art Existenzminimum – ein Hartz IV des guten Betragens? Eine gefährliche Strategie. Vergleiche bieten sich ja nicht nur nach unten an, sondern auch nach oben. Da könnte man dann Richard Burton ins Feld führen, der Liz Taylor mit Schmuck im Wert von insgesamt 40 Millionen Euro erfreute oder Antonio Banderas, der Melanie Griffith einen wunderbar vollendeten Heiratsantrag machte. Auch in der unmittelbaren Nachbarschaft kämen sicher genug »andere« zusammen, die ihrer Frau die Tür aufhalten, sie zum Essen einladen, sich nicht nur an ihren Geburtstag erinnern, sondern auch an ihren Herzenswunsch. Ein Umstand, über den der Normalo von seiner Frau zwar in schöner Regelmäßigkeit informiert wird. Er aber orientiert sich weiterhin lieber an Männern, die sich schon für Kavaliere halten, wenn sie ihrer Frau eine Brustvergrößerung bezahlen.
Die Annahme: Es stecke den Männern eben nicht in den Genen, sich um andere und für andere zu bemühen. Es sei für das Überleben der Urhorde wenig sinnvoll gewesen, seine Zeit damit zu vergeuden, sich über anderer Leute Empfindlichkeiten, Schamgrenzen und Erwartungen den Kopf zu zerbrechen. Da machte der Mann eine Frau noch mit einem großen Stück Mammut oder mit einem neuen Faustkeil glücklich und nicht damit, dass man ihr die Höhle fegte, sich das Furzen verkniff und unter den Achseln wusch. Der Mann musste jagen und seinen Samen möglichst breit streuen. Und durfte sich dabei nicht von zeitraubenden Aktivitäten stören lassen, wie zum Beispiel sich dafür zu entschuldigen, dass er eine andere geschwängert hatte, oder intensiv darunter zu leiden, dass er gerade fünf in die Jahre gekommene Mitjäger in der Steppe aussetzen musste, um das Unternehmen »Horde« weiterhin wettbewerbsfähig zu erhalten. Eine gewisse Verständnislosigkeit gegenüber allem, was nicht unmittelbar der Selbstbehauptung, dem Fortkommen, der Fortpflanzung, dem Aufstieg aufs Siegertreppchen oder dem Winden von Lorbeerkränzen dient, wäre also angeboren, für alle Zeiten als schreibgeschützt im männlichen Erbgut abgelegt. Oder wie es der Kulturwissenschaftler und Autor Professor Dietrich Schwanitz in seinem Buch »Männer, eine Spezies wird besichtigt« schreibt: »Der Mann fühlt sich in der Zivilisation einfach nicht heimisch. Ihm das vorzuwerfen, hieße, einem Büffel darüber Vorhaltungen zu machen, dass ein Antiquitätenladen nicht seine natürliche Umwelt darstellt.« [1]Sollte ein Mann dennoch eines Tages mit dem Gedanken aufwachen, dass wir uns etwa im Jahre 12 000 nach dem letzten Säbelzahntiger befinden und er seine Fußnägel auch im Bad schneiden und entsorgen könnte, müsste er ihn gleich wieder verdrängen. Immerhin könnte so eine einfache Geste der Einsicht die gesamte Evolution auf den Kopf stellen.
Die Unfähigkeit, sich über sein Erbgut hinwegzusetzen – hier sind die Anhänger dieser Theorie durchaus mal bereit, partnerschaftlich zu teilen –, beträfe übrigens auch Frauen. Selbst Business-Kostüm, Laptop und Spitzensteuersatz änderten nichts daran, dass wir insgeheim immer noch nach Beschützern und Bestimmern, nach Ernährern, Lenkern, dem »statusüberlegenen« Mann gieren. Aber ehrlich, selbst wenn es so wäre, so ist die Zahl der Männer, auf die das heute noch zutrifft – zumal bei der wachsenden Zahl der gut ausgebildeten Frauen –, mittlerweile so gering, dass wir uns ja gleich vornehmen könnten, uns nur noch mit Keanu Reeves zu verabreden. Und wer kann es sich heute, bei den Preisen, bei den Löhnen und bei dem Scheidungsrecht noch leisten, auf einen Alleinverdiener zu bauen? Allerdings haben Fakten den Neandertaler-Typus noch nie davon abgehalten, sich kraft seines Seins für unverzichtbar zu halten. Das, so der amerikanische Komiker Jerry Seinfeld, erkläre auch, weshalb die Nachrichten für Männer so wichtig sind. Sie alle würden davon träumen, dass eines Tages die Regierung anruft und sagt: »Hören Sie zu – wir haben komplett die Kontrolle über die Situation im Mittleren Osten verloren. Sie haben die Nachrichten gesehen. Was glauben Sie, wie wir wieder Herr der Lage werden könnten?«
Er ist für höhere Aufgaben gemacht als den täglichen Kampf mit dem Haushalt. Dass in den aktuellen Ratgebern für den Mann Ratschläge gegeben werden, wie man einen Bären erlegt, ein Krokodil umbringt und das Tier danach ausstopft, bestätigt ihn in seinem Irrtum, es käme auch im Internetzeitalter vor allem auf jene Fähigkeiten an, mit denen man sich auch für eine Hauptrolle in »Indiana Jones«, »Tarzan« oder »Crocodile Dundee« qualifizieren könnte. Ungeachtet der Tatsache, dass 99,9 Prozent aller deutschen Männer allenfalls mal eine Spinne töten oder den Goldhamster ihrer Kinder präparieren könnten. Auch Hinweise, »Wie man der Folter widersteht«, findet der Abenteurer sehr nützlich und bedauert ein wenig, dass die Häftlinge in Guantanamo Bay vermutlich nicht an diese interessante Lektüre kommen. Sie hätte die Leidensfähigkeit der dorthin Verschleppten sicher enorm erhöht. Ein wenig beruhigt es zwar, dass dem Abenteurer kein Weg zu weit ist, wenn er in das Reich der Männerphantasien führt. In ein Land, in dem es nur so von Gelegenheiten wimmelt, sich als John-Wayne-Imitation hervorzutun. Andererseits wünscht man sich, er würde sich weniger für die brasilianische Wanderspinne (Sie erkennen sie übrigens an den vielen Haaren und an der gräulichen bis bläulichen Färbung, die mit vielen kleinen Lichtpunkten versehen ist) und dafür mehr für die Bodenpflege daheim interessieren.
Mit Manieren verhält es sich bei ihm wie mit einer Original Birkin-Bag: Es fallen enorme Anschaffungskosten an, ohne dass man auch nur den kleinsten Anspruch geltend machen könnte. Je nach Ausführung werden für so eine Tasche bis zu 50 000 Dollar fällig. Dennoch kann man die Lieferung nicht einfordern oder wenigstens auf lebenslange Dankbarkeit bei Hermès hoffen. Natürlich denkt bei Hermès auch keiner daran, einem wenigstens einmal im Jahr eine Karte mit dem Wortlaut zu schicken: »Wir sind echt froh, dass Sie sich für uns entschieden haben! Bleiben Sie bloß gesund und vor allem reich.« Im Gegenteil! Fragt man im Geschäft nach ein paar Monaten, wo denn die Bestellung bleibe, wird man belehrt, dass es sich mitnichten um eine verbindliche Abmachung handele. Die Kundin habe allenfalls »einen Wunsch« geäußert und so bestehe keinerlei Verpflichtung von Seiten des Herstellers. Weder zu überbordender Freundlichkeit noch dazu, die Tasche gefälligst pronto frei Haus zu liefern. Am besten zusammen mit einem Feuerwerk und mindestens 151 Rosen. Meint: Manche Männer glauben offenbar, an sich schon so beglückend zu sein, dass sie auch mit fortgeschrittener Stieseligkeit das weibliche Begehren dauerhaft auf höchster Stufe halten können. Aber nur weil es Flavio Briatore, Christian Wulff oder Joschka Fischer zu mehr als nur einer Frau gebracht haben, bedeutet das nicht, dass Fritz Müller aus Wanne-Eickel die gleiche Gunst vergönnt ist. Ihm fehlt einfach das nötige Kleingeld, seiner Freundin mal eben eine Armani-Abendgarderobe zu spendieren und sie über jeden roten Teppich der Republik zu führen. Ganz zu schweigen von der Beobachtungsgabe, die man braucht, um zu bemerken, dass die Paarung Müllkutscher und 20-jährige Blondine eher selten vorkommt.
Er ist sozusagen das männliche Äquivalent zur Energiesparlampe. Auch er versucht mit möglichst wenig Manieren-Verbrauch durchzukommen. Am Anfang einer Bekanntschaft, ja, da legt er sich noch ins Zeug. Denkt sich süße Überraschungen aus, sagt mindestens einmal die Woche: »Ich liebe dich!«. Er kann sich nicht nur daran erinnern, dass man vor fünf Minuten etwas gesagt hat, sondern auch was man gesagt hat. So legt er den Grundstein für ein Phänomen, das den Harvard-Professor und Verhaltensforscher Burrhus Frederic Skinner berühmt machte. Der hatte 1948 bei einem Experiment mit Tauben entdeckt, dass die Tiere, denen ein Automat in regelmäßigen Abständen einen Leckerbissen in ihre Kiste gab, merkwürdige Verhaltensweisen entwickelten. »Einige von ihnen drehten sich immer wieder im Kreis herum, andere streckten den Schnabel in regelmäßigen Abständen in eine bestimmte Ecke des Kastens und wieder andere machten schleudernde Bewegungen mit dem Kopf.« [2]Skinners Erklärung: Die Vögel hätten unbewusst ihr Verhalten in dem Moment, in dem die Leckerbissen kamen, mit der Zuwendung in Verbindung gebracht und versuchten also folgerichtig, weiteres Futter durch die gleichen Bewegungen herbeizuzaubern. Ein Effekt, der in Beziehungen dafür sorgt, dass Frauen sich noch Jahre nach dem letzten Blumenstrauß, nach der letzten süßen Überraschung und nach dem letzten Lob für ihr Aussehen (»Du bist die Schönste!«) weiterhin so ins Zeug legen, als könnte sich das Wunder männlicher Hingabe jede Minute wiederholen. Da fragt sich der Energiesparer natürlich, wozu sich abmühen, wenn ich doch alles einfach so gratis haben kann? Obwohl ich lieber vor dem Fernseher einschlafe, anstatt mit ihr ins Restaurant zu gehen oder all die Dinge durchzusprechen, die sie gerade beschäftigen, und ich Sachen trage, für die sich sogar Dirk Bach schämen würde. Obwohl ich am Samstag lieber daheim geblieben bin und mir noch mal »Der Pate« angeschaut habe, statt auf der Jahresfeier des Kindergartens den Kuchenstand zu betreuen, wie ich es eigentlich versprochen hatte, und obwohl ich ehrlich gesagt nicht den Hauch einer Ahnung habe, wie ihre Kollegen heißen oder was sie eigentlich bei ihrer Arbeit den ganzen Tag macht. Wird schon nicht so wichtig sein, denkt er sich. Wenn es nämlich so wichtig wäre, wie Frauen immer behaupten, müssten Männer ja viel mehr Abstriche beim Komfort machen.
Er fühlt sich schon lange ähnlich wie Ripley in Alien II, als sie entdeckt, dass es nicht nur einen Alien, sondern Abertausende gibt, der Fortbestand der Menschheit bedroht ist, ohne dass sie auch nur den Hauch einer Ahnung hätte, in welcher Gefahr sie schwebt. Ähnliches Entsetzen wie Ripley befällt den Emanzipationshypochonder, wenn er feststellt, dass Frauen bereits überall sind: in den Chefetagen, im Kanzleramt, in den Arztpraxen, und erst kürzlich musste er sich bei einer Urologin von hinten befummeln lassen. Nur noch eine Frage der Zeit, bis er eines Tages ins Büro kommt und da eine Frau sitzt, die ihn Kaffee holen schickt. Ganz intensiv spürt er ihn seit ein paar Jahren, diesen schrecklichen Phantomschmerz »Gleichberechtigung« – oder auch die »Männerdämmerung« wie Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, einen Artikel überschrieb. Er wollte glauben machen, dass Frauen sich im großen Monopoly schon längst die Schlossalleen der Republik unter die manikürten Nägel gerissen haben: »Insgesamt sind damit fast achtzig Prozent der Bewusstseinsindustrie in weiblicher Hand«, schrieb er. Und: »Eine Telefonistin, ein Kindermädchen, eine Schauspielerin und Schriftstellerin und eine Stewardess definieren das Land.« [3]Er meinte Sabine Christiansen, Liz Mohn, Friede Springer, Ulla Berkéwicz und Elke Heidenreich und ein bisschen abschätzig, dass sich nun offenbar sogar das Vorzimmer, die Kaffeeküche, das Spielzimmer und die Provinzbühne über die Chefetage erheben. Praktisch, dass Johannes B. Kerner (Studienabbrecher), Günther Jauch (Studienabbrecher) oder Jörg Pilawa (Studienabbrecher) vor ihrem Einstieg in die Medien gar nicht erst einen Beruf erlernt haben, den man ihnen später unter die Nase reiben könnte. »Typisch!«, würde der Emanzipationshypochonder jetzt sagen. »Hier sind die Frauen nur noch zickig!« Deshalb wendet er sich lieber Frauen zu, die es noch verstehen, das männliche Ego aufzurichten. Für fast gar keine Gegenleistung. Jedenfalls solange der thailändische Baht im Vergleich zum Euro so schlecht dasteht.
Haben Frauen nicht ein um fünf Jahre längeres Leben, die Wahl zwischen einer tollen Karriere und einem erfüllenden Dasein als Hausfrau und Mutter? Werden nicht schon die Mädchen so offensichtlich in der Schule bevorzugt, dass sie später die besseren Abschlüsse haben? Sind nicht 80 Prozent aller Obdachlosen in den westlichen Staaten männlich und laufen dort Männer nicht viermal mehr Gefahr, Selbstmord zu begehen, und zwanzigmal häufiger, im Gefängnis zu landen? Männer zahlen mehr Steuern und tragen das höhere Risiko, ermordet zu werden. Soll man Frauen dafür jetzt auch noch Türen aufhalten und Chefsessel zurechtrücken? Ihm fällt kein einziger Grund ein, weshalb Frauen sich benachteiligt oder schlecht behandelt fühlen sollten. Ginge es gerecht zu in der Welt, findet er, wären Männer als das schwächere Geschlecht längst anerkannt und diejenigen, denen in der Straßenbahn Plätze angeboten werden. Frauen sollten froh sein, mit warmen Mahlzeiten, gebügelten Unterhosen, Lob und Bewunderung Männern wenigstens ein bisschen von dem zurückgeben zu können, was die täglich für sie erleiden. Noch auf Manieren zu bestehen, geht da wirklich zu weit.
Er ist auf Augenhöhe mit den Anforderungen des Beziehungsalltags im Internetzeitalter. Ist sich nicht zu schade, auch mal die Waschmaschine auszuräumen oder ganze Nachmittage mit seinem Kind auf dem Spielplatz zu verbringen. Mit seiner Freundin, einem voll ausgebildeten »neuen deutschen Mädchen« teilt er gern seine Fußballleidenschaft für einen der kultigen Clubs, also den FC St. Pauli oder den FC Schalke 04, wo er andere moderne Jung-Männer mit anderen neuen deutschen Mädchen trifft, die selbstironische T-Shirts tragen und ihm bestätigen, dass die Zeiten des trostlosen Frauengejammers so gründlich vorbei sind wie der Vietnamkrieg. Müde winkt er ab, wenn mal wieder etwas Despektierliches über den Mann an sich gesagt oder geschrieben wird. Hier hat dann wohl einer die Zeichen der Zeit so gründlich verschlafen wie Alice Schwarzer. Der moderne Mann hat den Feminismus längst auf der Überholspur abgehängt. Man weiß nur nicht, ob links oder rechts. Jedenfalls sagt er nicht mehr »Frauen sollten« oder »Frauen können nicht«. Er sagt: »Ich fühle mich nicht gut dabei!« Oder: »Ich würde ja gern, aber sag mal, wäre das vernünftig? Ich habe da gerade einen Fuß in der Tür. Die lieben meine Kolumnen, weil da echt mal ein neues Männerbild transportiert wird, sagen sie!« Da kann mal wieder kein anderer tun, was ein Mann tun muss. Diesmal für die Frauen natürlich. Nun räumt der neue deutsche Junge die Vorschusslorbeeren ab, die das neue deutsche Mädchen ihm eingeräumt hat, und darf darauf bauen, dass seine Kalkulation aufgeht: Weil es doch extrem uncool wäre, auf Mitdenken, Mitfühlen, Teilen zu bestehen.
Er hält Bushido (»Nutte ich hab Hunger! Nimm dein Kochlöffel und koch mir endlich Hummer! Ich f ... dein A ... während du kochst! Wie siehst du eigentlich aus?«) für den größten Deutschen. Manieren, das ist für ihn wie eine Teilkastration. Bereits beim Nahkontakt mit Ratschlägen wie: »Bloß nicht im Stehen pinkeln!« oder: »Nein, man öffnet sein Bier im Restaurant nicht mit den Zähnen!« fürchtet er, könnten ihm größere Mengen Testosteron abhandenkommen und er müsste morgen den Subwoofer aus seinem Opel Corsa ausbauen. Allerdings – auch das muss man sagen – arbeitet der Macho intensiv an seiner Abschaffung. Machos trinken mehr Alkohol und neigen zum Drogenkonsum. Sie sind häufiger in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und sie haben Probleme, eine Frau zu finden, die bereit ist, sich mit einem Mann zu paaren, der Verhütung für Frauensache und Kondome für unmännlich hält und jenen Männergesetzen folgt, die sein Leben wie folgt zusammenfassen: