alexandra koehl

Sei mein Retter

- a tale of light and dark -

Inhaltsverzeichnis

Im Haus der Heilung

Der Auftrag

Ein unverhofftes Upgrade

Unterwegs zur Sonne

Die Entdeckung

Reparaturen

Zwischen Tag und Traum

Caitleen

Erste Schritte

Zwischen Abend und Morgen

Lichterfest

Gresunnarstyr, das Reich der Frauen

In der Dunkelheit

Vorbereitungen

Ein Versuch zur Rettung

Zurück ins Leben

Am Kamin

Ungeplanter Zwischenstop

Nicht mit mir!

Knappes Entkommen

Willkommen auf Elysia

Im ARCADIA

Lösung für ein Problem

Die Show beginnt

Zweikampf.

Audienz beim König

Fragen und Antworten

Im Schweif des Kometen

Der Große Leroy

Leroys Lehrmethoden

Was wirklich zählt

Unliebsame Überraschung

Zurück ins Licht

Hoher Besuch

Nächtliches Geständnis

Das Ziel der Reise

Abschied

Allein

XJ-612

Fingerspiele

Wiedersehen

Danksagung

Soundtrack

Im Haus der Heilung
oder
Make Me Feel Pure

„QUACKSALBEREI! ABERGLAUBE! FIRLEFANZ!“

Da stand doch tatsächlich jemand in meinem Wartezimmer und brüllte.

Eigentlich hatte ich mich gerade in aller Ruhe und mit einer kleinen Meditation auf meinen nächsten Patienten vorbereiten wollen, doch nun spitzte ich ungläubig die Ohren und lauschte durch die geschlossene Tür dieser völlig unerwarteten Schimpftirade.

Normalerweise herrschte in den Wartezimmern der Heiler nichts als erwartungsvolle Stille, höchstens unterbrochen durch eine leise geflüsterte Konversation. Also wer bei allen Göttern war so dreist, auf diese Weise meine Konzentration zu stören?!

Die Stimme klang nach einem ziemlich großen, ziemlich aufgebrachten Mann, und als ich die Tür des Behandlungsraumes einen Spaltbreit öffnete und hinausspähte, konnte ich seine in der Tat höchst imposante Rückseite in Augenschein nehmen.

Der Störenfried war wie vermutet groß, dazu grobschlächtig mit einem breiten Kreuz, kräftigen Armen und stämmigen Beinen. Dichtes schwarzes Haar krönte seinen Schädel und war ebenfalls an seinen Unterarmen zu erkennen, die aus seinem knapp sitzenden Hemd herausragten. Alles in allem erinnerte er mich spontan an einen gereizten Bären.

Was nun so gar nicht dazu passte, war seine Aufmachung – ein ultramodernes orangefarbenes Lytex-Shirt mit allerlei elektronischem Schnickschnack daran und eine ebensolche Hose, nur dass diese kobaltblau statt orange war. Auf Technologica Prime war das sicherlich der allerletzte Schrei, hier auf Rakuna allerdings wirkte ein solcher Aufzug inmitten der überwiegend ländlich und bescheiden gekleideten Einheimischen in höchstem Maße deplaziert.

Ebenso wie sein Besitzer.

Ein ‚Techno’ in einem Haus der Heilung – so etwas war schlicht und einfach undenkbar. Die Arroganz der Bewohner von Technologica Prime, die sich und ihr Planetensystem für so etwas wie den Nabel des Universums hielten, war in gleichem Maße wie ihr wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt gewachsen, und demgemäß hatten sie für uns Heiler bestenfalls Ignoranz und schlechtestenfalls Spott und Verachtung übrig.

Wie gerade eben lautstark zu hören war.

„Ihr solltet euch schämen, einem sogenannten Heiler auf dem Leim zu gehen!“ pöbelte der Mann jetzt. „Haus der Heilung, so ein Quatsch! Habt ihr kein Geld für anständige Ärzte, oder was? Das ist doch nichts als Humbug!“

Die Anwesenden behandelten das Problem auf typisch rakunianische Art, nämlich mit höflicher Zurückhaltung – wer sein Gesicht nicht hinter einem der üblichen buntbemalten Fächer versteckte, der starrte aus dem Fenster oder vor sich auf den Fußboden. Nur einer streifte mit einem gleichermaßen verlegenen wie hilfesuchenden Blick meine Tür, hinter der ich mich nach wie vor verborgen hielt.

An einem anderen Tag hätte ich wohl einfach abgewartet und den Stänkerer noch eine Weile lamentieren lassen, bis er der Sache überdrüssig geworden wäre und sich schließlich von selbst verzogen hätte, doch aus einem unerfindlichen Grund war mir heute nicht danach. Kurzentschlossen öffnete ich also die Tür.

„Dürfte ich wohl erfahren, was dieser Aufruhr in meinem Wartezimmer zu bedeuten hat?“ fragte ich so freundlich, wie es mir unter den gegebenen Umständen möglich war.

Bisher hatte der Mann mir ausschließlich seine Rückseite zugewandt, aber jetzt drehte er sich schweratmend zu mir um.

Wie ich mir fast gedacht hatte, gesellte sich zu seinem schwarzen Haar ein ebensolcher Vollbart, und aus einem kräftigen, momentan ziemlich roten Gesicht blitzten mir leuchtend blaue Augen entgegen. Überrascht starrte er mich an, denn ich war wohl nicht so ganz das, was er hier erwartet hatte.

Sein Blick fiel auf eine zierliche junge Frau, die ihm gerade mal bis zur Brust reichte und zugegebenermaßen in der traditionellen braunen Kutte der Heiler ein wenig verloren wirkte.

Sie hatte ein durchschnittliches, harmloses Mädchengesicht mit graublauen Augen, blass und ungeschminkt, dazu halblange dunkle Haare, die in der Gesamtheit ein wenig an ein heruntergefallenes Vogelnest erinnerten.

Bei weitem das Bemerkenswerteste an ihr war noch ein mattleuchtender Stein mit einem Spiralmuster, der an einer Kette um ihren Hals hing.

Das war ich.

Der Mann sah mich ungläubig an, dann zeigte er mit dem Finger auf mich und begann dröhnend zu lachen. „Eine Heilerin? Diese halbe Portion hier? Das ist ja zum Schießen!“

Ein halb empörtes, halb erschrecktes Aufseufzen ging durch die Reihe der Anwesenden, doch mir entrang diese verbale Attacke nicht mehr als ein nachsichtiges Lächeln.

Ja, äußerlich war ich vielleicht nur eine halbe Portion, aber meine Fähigkeiten machten das auf jeden Fall mehr als wett, soviel wusste ich. Hoheitsvoll richtete ich mich also zu meiner ganzen Größe von knappen 165 cm auf und blickte kühl zu ihm empor.

„Sogar Ihnen sollte eigentlich bewusst sein, dass es im Leben nicht immer die Größe ist, die zählt. Außerdem möchte ich Sie bitten, nicht meine Patienten zu diskriminieren, das zeugt von Intoleranz und keinem guten Stil. Von dem Bewohner eines der Techno-Planeten hätte ich ehrlich gesagt ein zivilisierteres Benehmen erwartet.“

Noch etwas röter im Gesicht als zuvor starrte er zu mir hinunter, während ich tatsächlich ein oder zwei der Wartenden verhalten hinter ihren Fächern glucksen hören konnte. Diese Runde ging dann wohl an mich.

Und nun gehen Sie bitte, damit ich mich wieder Quacksalberei und Firlefanz widmen kann; wie Sie sehen können, warten noch eine Menge Patienten auf mich. Genau das war es, was mir schon auf der Zunge gelegen hatte.

Aber als ich meinen Mund öffnete, kam zu meinem Erstaunen etwas gänzlich anderes heraus.

„Und nun kommen Sie bitte herein“ hörte ich mich statt dessen sagen, und mein Arm, der eigentlich in Richtung Ausgang hätte weisen sollen, hielt nunmehr die Tür zum Behandlungszimmer auf.

Es war schwer zu sagen, wer von uns beiden im ersten Augenblick überraschter darüber war.

Immerhin schaffte ich es, mir nichts weiter anmerken zu lassen, sondern einladend zu lächeln. Der Mann brauchte ein paar Herzschläge länger, um diese unerwartete Wendung zu verdauen, doch dann gab er sich einen Ruck und stapfte hinein.

Leise schloss ich die Tür hinter uns.

Skeptisch sah er sich in dem so gut wie leeren Raum um.

Das Behandlungszimmer war groß, hell und freundlich; das Licht des Vormittages strahlte durch ein rundes Glasmosaikfenster in warmen Gelbtönen. Ein kleiner Tisch mit einem Stuhl stand an der Wand, und in der Mitte des Raums lagen mehrere Sitzkissen auf dem Boden. Das war alles, was es an Einrichtung gab, aber mehr war auch gar nicht nötig.

Ich setzte mich in aller Ruhe auf eines der Kissen und deutete auf das mir gegenüberliegende. Wieder zögerte der Mann, doch dann ließ er sich ebenfalls schnaufend auf dem Kissen nieder und zwang seine kräftigen Beine in einen unbequem aussehenden Schneidersitz.

Ich sagte nichts, sondern sah ihn nur an, und er starrte, halb feindselig, halb abwartend, zurück. Ja, er hatte einen mehr als guten Grund hierher zu kommen, das wusste ich inzwischen so genau, als wäre es ihm auf die Stirn geschrieben.

Aber so wie ich ihn einschätzte, hätte er sich wahrscheinlich eher die Zunge abgebissen, als mir davon zu erzählen, geschweige denn, mich um Hilfe zu bitten. Also war ich es, die das Schweigen brach.

„Ich weiß, weshalb Sie hergekommen sind. Es tut mir leid.“

Bei meinen Worten war er zwar zuerst kaum merklich zusammengezuckt, doch dann schüttelte er eigensinnig den Kopf. „Keinen blassen Schimmer, was Sie meinen. Was bitte soll Ihnen denn leid tun?“

„Dass Ihnen nicht mehr Zeit bleibt.“

„Sagen Sie das jedem Ihrer Patienten?“ In gespielter Verachtung rümpfte er die Nase. „Damit alle ihre Geldbörsen auch schön weit aufmachen? Ich muss schon sagen, ein wirklich gelungener Schachzug. Bei den Hinterwäldlern da draußen wirkt das bestimmt ganz ausgezeichnet.“

Dennoch ließ ich mich nicht beirren. „Nein, das sage ich nicht jedem. Nur Ihnen.“

„Und warum?“ Misstrauisch und wütend starrte er mich an. „Wollen Sie sich so an mir rächen, für meinen kleinen Auftritt von eben? Ist es das?“

„Nein, vernimft noch mal! Wofür halten Sie mich eigentlich?!“

Jetzt ging mir bei allem Mitleid doch so langsam die Geduld aus. „Hören Sie endlich auf, vor der Wahrheit davonzulaufen. Sie wissen ganz genau, dass die Mittel, die Sie seit einigen Monaten nehmen, nicht mehr als die Symptome Ihrer Krankheit lindern können. Aber den Zersetzungsprozess halten Sie nicht auf. Und er schreitet schneller fort als Sie befürchtet hatten.“

Bis zu Ihrem nicht mehr allzu fernen Ende, doch das fügte ich nicht mehr hinzu.

Bei jedem meiner Worte war der Mann blasser geworden, und jetzt erschienen Schweißtropfen auf seiner Stirn. Von seiner Überheblichkeit war nun nicht mehr allzu viel zu spüren.

„Woher wollen Sie das alles wissen, he?“ fragte er mich keuchend. „Von wem haben Sie das erfahren? Haben Sie etwa mit meinen Ärzten, diesen Kurpfuschern und Nichtskönnern, über mich gesprochen? Ich werde…“

Was er zu tun beabsichtigte, ging in einem Hustenanfall unter, und er presste ein rotgesprenkeltes Taschentuch gegen seinen Mund. Als er es wegnahm, waren zwei neue tiefrote Flecken hinzugekommen.

Ich wartete ab, bis er ausgehustet und sich wieder halbwegs beruhigt hatte. „Hören Sie, ich habe mit niemandem über Sie gesprochen. Was mir auch ehrlich schwergefallen wäre, da ich bis jetzt immer noch nicht Ihren Namen weiß, geschweige denn auch nur ahnen konnte, dass Sie jemals hierher kommen und ausgerechnet mich hier antreffen würden. Wie also um alles in der Galaxis hätte ich das anstellen sollen?“

Nachdenklich blinzelte er ein paarmal und schwieg. „Ich habe keine Ahnung“ gab er letztendlich zu.

Ich seufzte. Auf den Planeten der Techno-Liga glaubte man nicht mehr an die alten Götter, schon lange nicht mehr, und ebenfalls nicht mehr an die Fähigkeiten der Heiler. Wissenschaft und Technik war alles, was dort in Ehren gehalten wurde, die zugegebenermaßen Lösungen für vieles boten, aber eben nicht für alles.

Jedenfalls nicht in diesem Fall.

Es war eine seltene Krankheit, an welcher mein Besucher litt, so vernimft selten, dass sich die Forschung für ein Heilmittel dagegen bedauerlicherweise nie gelohnt hatte. Denn bei allem Stolz auf Fortschritt und Wissenschaft war es doch auch hier das Geld, das die Welt regierte, so wie an den meisten anderen Orten im Universum, unseren Orden einmal ausgenommen.

Kein Wunder, dass ihn die Hoffnung der Menschen, die hier saßen und auf Heilung warteten, während für ihn beides unerreichbar schien, mit nichts als Wut erfüllt hatte.

„Die Ärzte haben mich schon seit langem aufgegeben“ sagte er schließlich so leise, dass es kaum zu verstehen war. „Die Medizin könne nichts weiter für mich tun, haben sie gesagt. Ich sei ‚austherapiert’, haben sie gesagt.“ Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn.

„Vernimft, ich will noch nicht sterben“ brach es aus ihm heraus. „Nicht jetzt! Nicht so.“ Er fuhr sich noch einmal über das Gesicht, aber diesmal waren es Tränen, die er sich abwischte.

„Das müssen Sie auch nicht.“

Der Mann bedachte mich mit einem mehr als zweifelnden Blick. „Ausgerechnet Sie wollen etwas gegen dieses… Monstrum von einer Krankheit etwas ausrichten können?“

Ich ließ mich nicht beirren. „Ja, allerdings. Ich halbe Portion. Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe auf diesem Gebiet schon ganz andere Gegner erledigt.“

„Tja, glauben oder nicht.“ Er lächelte gequält. „Genau das ist doch der springende Punkt.“

„???“

„Wenn ich nur glauben könnte, aber ich kann es nicht“ gab er niedergeschlagen zu. „Nicht einmal, wenn es um mein Leben geht. Wir Technianer glauben an nichts außer an Zahlen und Fakten, das wissen Sie doch wohl am besten. Also, wie wollen Sie mir dann helfen?“

Jetzt verstand ich. „Sie haben gedacht, Sie müssten an mich und meine Kräfte glauben, damit es funktioniert?“ Ich schüttelte den Kopf. Da musste ich wohl erst mal eine Kleinigkeit klarstellen.

„Ich will Ihnen jetzt keinen Vortrag halten, aber die Kräfte der Heiler existieren seit Anbeginn der Zeit, so wie jede andere bekannte Kraft im Universum. Und so wenig Sie an Mikrowellen glauben müssen, um eine heiße Mahlzeit zu bekommen, oder an Elektrizität, wenn Sie das Licht einschalten, so wenig müssen Sie an meine Heilkräfte glauben, um selbst geheilt zu werden.“

Tatsächlich flackerte bei diesen meinen Worten so etwas wie eine winzigkleine Hoffnung in seinen Augen auf. „Ist das wirklich wahr?“

„Yep, so ist es. Sie dürfen es nennen, wie Sie wollen. Quacksalberei. Aberglauben. Humbug. Firlefanz. Völlig egal. Es wirkt trotzdem.“

Er lachte ein wenig schuldbewusst, als ich die von ihm zuvor geäußerten Worte zitierte, und fuhr sich durch die Haare. „Tut mir leid. Da hab ich wohl völlig meine Manieren vergessen. Weiß auch nicht, was da in mich gefahren war… “

Aber ich winkte ab. „Nicht der Rede wert. Ich nehme das eher von der sportlichen Seite. War ein ganz gutes Training.“

Wir lachten noch einmal gemeinsam, dann schwiegen wir und er sah mich erwartungsvoll an. Da war wohl noch etwas, das ich klarstellen musste. Er als Technianer konnte das natürlich nicht wissen.

„Es gibt nur noch eins, was Sie tun müssen.“

„Und das wäre?“ Für einen Moment blitzte noch einmal das Misstrauen in seinen Augen auf. „Natürlich habe ich einen Scheck bei mir, falls es das ist… “

Entnervt schüttelte ich den Kopf. „Nein, das habe ich nicht gemeint! Oh dieser vernimfte Materialismus! Dass Ihr Technos aber auch immer nur an die Kredits denkt. Tun Sie mir einen Gefallen, und stecken Sie Ihren Scheck dorthin, wo es am dunkelsten ist.“

Natürlich konnte auch unser Orden nicht gänzlich ohne Kredits existieren, aber das stand hier momentan nicht zur Debatte.

Verblüfft sah er mich an. „Hey, ich wollte Sie nicht kränken. Dann weiß ich aber wirklich nicht, was Sie noch von mir wollen.“

„Tut mir leid. Es ist nur… Sie müssen mich um die Heilung bitten.“

Er schwieg einen Moment, als könne er es nicht fassen. „Kein Scherz? So wahr ich, John MacIntosh, hier sitze, das ist alles?“

„Kein Scherz. Das ist alles, Mr. John MacIntosh.“

Nicht viel. Nur eine Bitte.

Und doch war es mehr, als den meisten bewusst war.

Die Regeln unseres Ordens verboten nämlich aufs strikteste, sich ungebeten in ein fremdes Leben einzumischen und irgend jemanden ohne direkte Aufforderung zu heilen.

Das war die oberste Direktive, die für alle Heiler galt; so schmerzlich es auch manchmal war, dem Leben seinen Lauf zu lassen und nicht Gott zu spielen, sich stets demütig daran zu erinnern, dass auch wir nur Mittler für unsere Kräfte waren und nicht die Entscheidung über Leben und Tod innehatten. Es war hart für jeden Heiler, mit dieser Regel und allen ihren Konsequenzen zu leben, aber das war die Bedingung.

Und wer sich nicht daran hielt, nun…

Zu meinem Erstaunen hatte sich John MacIntosh vor mir auf ein Knie niedergelassen, griff nach meiner Hand und schaute mir so fest in die Augen, dass ich eine Schrecksekunde lang versucht war zu denken, er würde mir auf der Stelle einen Heiratsantrag machen.

„Heilen Sie mich von meiner Krankheit. Tun Sie es. Bitte.“

Selten hatte ich eine entschlossenere Bitte um Heilung gehört, und das noch dazu von einem Mann, für den meine Kräfte nicht mehr waren als ein Mythos, verbunden mit einer vagen Hoffnung.

Ein Gefühl von Demut und Glückseligkeit durchströmte mich.

Ich war auserwählt zu helfen, zu heilen, ausgerechnet ich, und für einen Augenblick lang spürte ich nichts außer dem mir wohlvertrauten Prickeln in meinen Fingerspitzen, das Zeichen meines Talentes, meiner Gabe, die mich seit nunmehr so vielen Jahren begleitete, und still dankte ich der Großen Göttin für ihr wundervolles Geschenk. Wenn es auch manches gab, auf das ich als Mitglied des Ordens verzichten musste, so wurde ich doch überreichlich dafür entlohnt.

Sanft drückte ich seine Hand und räusperte mich. „Ich werde tun, was immer ich vermag, Mr. MacIntosh. Und nun setzen Sie sich wieder. Ich muss nur noch eine Kleinigkeit vorbereiten.“

Erwartungsvoll ließ er sich zurück in die Kissen sinken, während ich eine bauchige honigfarbene Kerze auf dem kleinen Tisch entzündete und mich für ein paar Sekunden konzentrierte, um meine Kräfte zu sammeln.

Schließlich setzte ich mich ihm gegenüber und nickte.

„Alles, was Sie jetzt tun müssen, ist, mir Ihre Hand zu geben“ sagte ich leise. „Sind Sie bereit?“

Er nickte ebenfalls und streckte seine Hand aus, die ich behutsam ergriff, dann schloss ich die Augen.

Im gleichen Moment waren wir eins, verbunden mit dem lebendigen Qi selbst, der göttlichen Kraft, die jedem Leben im Universum innewohnt, und meine wunderbaren Energien flossen wie ein goldener Strom durch mich, durch meine Finger hinüber in seine, in jede Faser seines Körpers, reinigend und heilend, bis sein Körper wieder so rein sein würde wie ein neugeweihter Tempel.

Wie lange wir auf diese Art verbunden waren, wie lange es letztendlich dauerte, bis sich auch die letzte der kranken, zerstörerischen Zellen aufgelöst und aus seinem Körper verflüchtigt hatte, verriet mir nur die Kerze, die ein kleines Stück heruntergebrannt war, als ich meine Augen wieder öffnete.

Ich holte tief Luft und ließ seine Hand los. „Nun, Mr. MacIntosh, wie fühlen Sie sich?“

Er blinzelte und sah sich um. Wieder erinnerte er mich an einen Bären, diesmal allerdings an einen, der gerade aus dem Winterschlaf erwacht ist. Zuerst gähnte und streckte er sich, dann schüttelte er verwirrt den Kopf. „Ich weiß nicht… Gut. Ich glaube, ich fühle mich gut. Vernimft, es ist schon so lange her, ich weiß kaum noch, wie sich das anfühlt.“

Prüfend und vorsichtig zog er Luft in seine Lungen. Versuchsweise hustete er, aber von dem furchtbaren Röcheln war nichts mehr zu hören, und auf dem neuen weißen Taschentuch, das er dabei vor seinen Mund hielt, erschien kein frisches Blut. Schließlich sprang er auf und streckte sich, als würde er seinen Körper von neuem in Besitz nehmen. „Bin ich jetzt geheilt?“

Ich grinste. „Das kann man wohl sagen. Aber lassen Sie sich ruhig noch einmal durchchecken, dann haben Sie es schwarz auf weiß.“

Er grinste zurück und zwinkerte mir zu. „Sie meinen, ich soll noch einmal bei den Kurpfuschern vorstellig werden und ihnen sagen, wohin sie sich ihre Mittelchen stecken können? Na, denen werde ich im wahrsten Sinne des Wortes was husten, darauf können Sie sich verlassen.“

Jetzt lachte ich. „Sie haben mich durchschaut“ gab ich zu.

John schüttelte den Kopf. „Sieht so aus, als müsste ich das eine oder andere Vorurteil doch noch einmal überdenken. Und Sie sind wirklich ganz anders, als ich mir einen Heiler vorgestellt hatte. Das ist jetzt übrigens ein Kompliment.“

Ich deutete eine Verneigung an. „Na dann, vielen Dank.“

„Apropos Dank.“ Er wurde nun wieder ernst. „Ich weiß, was ich mit meinem Scheck machen soll, aber ich möchte mich meiner Retterin gegenüber auf jeden Fall erkenntlich zeigen. Gibt es irgend etwas, das ich für Sie tun kann?“

„Auch wenn es vielleicht nicht so aussieht,“ ich blickte an meiner schlichten braunen Kutte hinunter, „ich habe alles, was ich brauche. Der Orden sorgt für mich.“

„Na, dann werde ich wohl ein wenig für den Orden sorgen.“ Er warf sich in die Brust und hakte die Daumen in seinen Gürtel. „Und Johnston MacIntosh Willbury III. wird sich dabei sicherlich nicht lumpen lassen.”

Bei dem Namen stutzte ich. „Sie sind nicht zufällig DER Johnston Willbury III.? Inhaber der Willbury-Minen auf Technologica Prime?“

„Genau ebendieser.“ Zufrieden schnalzte er mit der Zunge. „MacIntosh war der Name meiner Mutter. Ein gutes Inkognito, wenn ich mal nicht als ‚Schwimmt-in-Kredits-Willbury’ unterwegs sein will. Na, wollen Sie es sich nicht doch noch einmal überlegen?“

Willbury. Sogar mir war der Name ein Begriff, er stand für nahezu beispiellosen Reichtum, wobei die Willbury-Minen nur die Spitze des Eisberges darstellten. „Die Versuchung ist groß“ gab ich unumwunden zu, „aber danke, ich bleibe dabei.“

„Schön, ich will mich nicht aufdrängen.“ Johnston hob bedauernd die Schultern, dann griff er in die Tasche und zog ein bronzefarbenes Kärtchen heraus, das er mir in die Hand drückte. „Falls Sie es sich einmal anders überlegen sollten, rufen Sie einfach diese Nummer über skywave an. Vielleicht kann ich Ihnen ja irgendwann doch mal helfen.“

„Na gut.“ Kapitulierend steckte ich die Karte in die Tasche meiner Kutte, dann streckte ich ihm die Hand zum Abschied hin. „Gute Reise, Mr. Johnston MacIntosh Willbury III. So gern ich auch noch ein wenig plaudern würde, ich glaube, ich muss mich jetzt mal wieder meinen übrigen Patienten widmen.”

Johnston nahm meine Hand und drückte sie kräftig. „Sie haben recht, ich werde mich auch mal auf den Weg machen. Die Minen leiten sich schließlich nicht von allein. Dank Ihnen kann ich mich endlich wieder richtig in die Arbeit stürzen. – Aber eins hätte ich tatsächlich fast vergessen!“ Er schlug sich mit seiner freien Hand vor die Stirn.

„Und das wäre?“

„Nach Ihrem Namen zu fragen! Ich will doch wissen, wem ich mein Leben nun eigentlich verdanke. Schließlich möchte ich irgendwann meinen Enkelkindern erzählen, wie ihr Großvater gerade noch mal dem Tod von der Schippe gehüpft ist.“

Ich lachte. „Mein Name ist Inara. Und übertreiben Sie in Ihren Erzählungen nicht zu sehr.“

„Nur ein bisschen. Ehre, wem Ehre gebührt.“ Johnston wandte sich bereits zur Tür, als ihm noch etwas einfiel. „Darf ich Sie zum Abschluss noch etwas fragen?“

Ich nickte. „Natürlich.“

„Konnten Sie bisher eigentlich allen Menschen helfen? Oder gab es auch einmal jemanden, den Sie nicht heilen konnten?“

Für einen kurzen Moment schob sich ein Bild vor mein inneres Auge, ein Bild, das ich schon fast vergessen hatte.

Ja, ein einziges Mal hatte es jemanden gegeben, vor langer Zeit… doch dieser Kampf war bereits verloren gewesen, bevor er überhaupt hatte beginnen können. Deshalb schüttelte ich nun den Kopf.

„Bisher konnte ich jedem helfen, der mich um Heilung gebeten hat. Und ich hoffe sehr, dass die Große Göttin mir gnädig ist und es so bleibt.“

„Das hoffe ich auch.“ Er tippte sich noch einmal grüßend mit zwei Fingern an die Schläfe. „Miss Inara.“

Dann war er fort und die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

Der Auftrag
oder
With All Due Honours

„Und vielen Dank noch einmal, Heilerin.“

Unter Verbeugungen verabschiedete sich mein letzter Patient des Tages, und ich lächelte und winkte, bis sich die Tür hinter ihm schloss und ich mich erschöpft auf einen der Wartezimmerstühle fallen ließ.

Geschafft!

Es waren eine ganze Menge Patienten, die an diesem Tag seit Mr. Willbury noch meine Dienste in Anspruch genommen hatten, und wenn auch keiner der übrigen auch nur annähernd so spektakulär gewesen war, so wusste ich doch, was ich geleistet hatte.

Ich gähnte und sah auf die Uhr. Tatsächlich war die offizielle Konsultationszeit bereits seit fast anderthalb Stunden vorbei.

Mein Besuch auf Rakuna war also hiermit erledigt; morgen früh würde ich dann wie geplant mein Raumschiff aus dem Reparaturdock abholen und mich in aller Ruhe zum nächsten Haus der Heilung auf den Weg machen.

Der Planet Tavaria Prime stand ganz oben auf meiner Liste, gelegen in einem kleinerem Sonnensystem sozusagen um die Ecke, denn meiner alten Rostlaube von Schiff konnte ich größere Strecken nicht mehr guten Gewissens zumuten, und auch diese Reise würde nicht wirklich ein Vergnügen werden.

Seufzend erhob ich mich und suchte meine wenigen Habseligkeiten zusammen. Es hätte gewiss nur eine kleine Andeutung gegenüber dem guten Johnston gebraucht, und er hätte mir ohne weiteres ein neues Schiff spendiert – aber dann hätte ich nach meiner Rückkehr nach Porthos wahrscheinlich dem Ältestenrat Rede und Antwort stehen müssen, denn die Ordensregeln waren in punkto Zuwendungen relativ streng. Wenn ich es recht bedachte, war unter diesem Aspekt mein altes Schiff doch gar nicht so übel, noch tat es ja tapfer seine Pflicht, und wer weiß, was sich irgendwann ergeben würde…

Ein abruptes Klopfen an der Tür riss mich unsanft aus meinen Träumereien, so dass ich zusammenschrak. „Einen Moment bitte!“

Trotz dieser ungewöhnlichen Uhrzeit würde ich natürlich niemanden abweisen, der an diese Tür klopfte, denn solange ein Heiler die Kutte trug, war er oder sie im Dienst. Also drehte ich schicksalsergeben den Schlüssel herum und öffnete.

Zu meiner nicht gelinden Überraschung war es ein Palastsoldat.

Und nicht nur das, es war sogar einer aus der persönlichen Leibwache von Lord Matsumito, wie an seinem Ornat unschwer zu erkennen war. Ernst und schweigsam stand er vor der Tür, bis ich ihn aufforderte, hereinzukommen.

„Seid gegrüßt. Womit kann ich Euch helfen?“ fragte ich ihn höflich und verneigte mich.

Er verneigte sich ebenfalls. „Geehrte Heilerin, ich bin froh, Euch zu dieser späten Stunde noch hier anzutreffen. Lord Matsumito bittet Euch darum, sobald wie möglich im Palast zu erscheinen.“

Erstaunt starrte ich ihn an.

Es war äußerst ungewöhnlich und entsprach so gar nicht dem Protokoll – auf welches man hier auf Rakuna den allergrößten Wert legte – dass ich ohne zuvor überbrachte schriftliche Einladung gebeten wurde, im Palast zu erscheinen und den obersten Herrscher Lord Matsumito höchstselbst aufzusuchen.

„Ich hoffe, der Gesundheitszustand Eures höchst ehrenwerten Herrschers lässt nichts zu wünschen übrig?“ fragte ich deshalb.

Der Soldat schlug verlegen die Augen nieder. „Nicht, soweit es mir bekannt ist, Heilerin“ antwortete er steif. „Wäre es Euch möglich, gleich mit mir zu kommen?“

„Aber ja, selbstverständlich.“ Ich verneigte mich erneut. „Bitte nehmt einen Augenblick Platz, ich werde sofort bei Euch sein.“

Für große Gala war allem Anschein nach keine Zeit mehr, jedoch wusch ich mir schnell noch Gesicht und Hände und sortierte meine Haare mit den Fingern, bis ich einigermaßen passabel aussah. Dann griff ich nach meinem braunen Umhang und wir machten uns auf den Weg.

Schweigend gingen wir nebeneinander her durch die kleineren und größeren Straßen, die vom Haus der Heilung zum Palast von Lord Matsumito führten. Wir hatten zwar zuerst noch versucht, eine unverbindliche Unterhaltung zu führen, aber die Antworten waren von jeder Seite so einsilbig gewesen, dass wir es schließlich in stiller Übereinkunft aufgegeben hatten und ohne jedes weitere Wort unseren Weg fortsetzten.

Vielleicht wäre ich gesprächiger gewesen, wenn ich wenigstens einen blassen Schimmer von dem gehabt hätte, was wohl Lord Matsumitos Anliegen sein würde.

Ich hatte ihn erst wenige Male getroffen, und wir hatten kaum mehr als ein paar Worte miteinander gewechselt. Dass ich jetzt so unvermutet und unvorbereitet zu einer Audienz gebeten wurde, stimmte mich doch ein wenig nachdenklich. Aber alles Grübeln half nichts, ich würde einfach abwarten müssen.

Überall, wo wir vorbeikamen, nickten uns die Leute zur Begrüßung zu. Rakuna-Shí war für eine Hauptstadt und Regierungssitz eine äußerst ruhige und fast provinzielle Stadt. Obwohl die Straßen und Plätze fast rund um die Uhr vor Menschen wimmelten, war der Geräuschpegel gedämpft, und kaum jemand bewegte sich mit unangemessener Eile.

Das Technologiezeitalter hatte zwar inzwischen auch auf Rakuna Einzug gehalten, aber im täglichen Leben war davon kaum etwas zu merken. Immer noch sah man unterwegs Ochsen- und Eselskarren, Bauern mit der traditionellen Tragstange über der Schulter und Rikschas, in denen die Damen ihre Gesichter hinter großen bunten Fächern verborgen hielten.

Tradition und Etikette waren hier nach wie vor wichtiger als alle technischen Neuerungen, und würden es wohl noch eine lange, lange Zeit bleiben. Vielleicht erklärte dies auch, weshalb es hier immer noch die Häuser der Heilung gab, die an anderen Orten mehr und mehr von der modernen Medizin verdrängt wurden.

Schließlich waren wir am Palast angekommen.

Es war ein großes, ehrfurchteinflößendes Gebäude, einem Tempel nicht unähnlich, welches schon seit über tausend Jahren an diesem Platz stand, und in dem nahezu absolute Stille herrschte.

Nur wenigen Menschen war es gestattet, den Palast zu betreten, und diese bewegten sich noch zurückhaltender und geräuschloser, als es bereits allgemein üblich war.

Die große Eingangshalle war abgesehen von einigen Feuerschalen so gut wie leer; allein die Wände zierten ein paar prunkvolle Wandteppiche, die Szenen aus der kaiserlichen Geschichte Rakunas darstellten und allem Anschein nach bereits seit Hunderten von Jahren an ihrem Platz hingen.

Beeindruckt schritt ich mit meiner Eskorte durch die riesige Halle und einige weitere spärlich, jedoch kostbar möblierte Räume, stets bemüht, auf dem schweren Steinboden genauso leise aufzutreten wie mein Begleiter.

Überraschenderweise wurde ich jedoch nicht zu dem offiziellen Audienzsaal, sondern zu einem kleineren und augenscheinlich privateren Empfangszimmer von Lord Matsumito geführt, und gleich nachdem ihm sein Leibwächter meine Ankunft angekündigt hatte, wurde ich auch schon in das Allerheiligste gebeten.

Was hatte das wohl zu bedeuten?

Zu meinem Erstaunen saß der Lord an einem Computerterminal und studierte etwas auf einem überdimensionalen Bildschirm, der auf einem kostbaren, mit Intarsien eingelegten Schreibtisch stand und nirgendwo einen deplatzierteren Eindruck hätte machen können.

Als Lord Matsumito mich erblickte, nahm er seine Brille ab und erhob sich. Fast hätte ich vergessen, mich vorschriftsmäßig zu verneigen, doch ich erinnerte mich gerade noch rechtzeitig daran.

„Seid willkommen, Heilerin, und Dank, dass Ihr Unserem Wunsch so schnell entsprochen habt.“

Lord Matsumito lächelte sanft, und seine Stimme war mild wie ein Frühlingsregen. Er war ein älterer, vogelgleich zerbrechlich wirkender Herr mit einem schmalen silbernen Bart, dessen Augen jedoch immer noch Jugend und Stärke ausstrahlten. Auch wenn er mittlerweile eine Lesebrille benötigte.

Mein fassungsloser Blick war ihm offensichtlich nicht entgangen, und sein Lächeln vertiefte sich. „Ja, auch Wir können Uns den neuen Technologien nicht verschließen, wenn Wir Unser Volk angemessen regieren wollen. Wer nicht mit der Zeit geht, wird mit der Zeit untergehen.“

Damit setzte er sich wieder und deutete auf einen Stuhl gegenüber seinem Schreibtisch. „Bitte nehmt Platz, Heilerin. Ein Glas von Unserem besten Tee zu Eurer Erfrischung?“ Ohne meine Antwort abzuwarten goss der Lord aus einer kostbar verzierten Kanne eine dunkle Flüssigkeit in ein farbig schillerndes Glas und reichte es mir.

Der Tee war traditionsgemäß kalt, aromatisch und köstlich, umso mehr, als der allerhöchste Würdenträger selbst ihn mir eingeschenkt hatte. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Lord Matsumito warf mir einen langen prüfenden Blick zu. „Ihr fragt Euch sicherlich, weshalb Ihr hierher gebeten wurdet.“

„Um ganz ehrlich zu sein, Eure Lordschaft, das tue ich.“

Der Lord zögerte. „Es ist eine etwas… nun, delikate Angelegenheit.“

Ich hielt seinem Blick stand und nickte. „Womit immer ich Euch dienen kann, Eure Lordschaft. Ihr könnt mir vertrauen.“

„Das wissen Wir, Heilerin, deshalb wenden Wir uns an Euch.“

Er machte eine kleine Pause, als müsste er sich erst dazu durchringen, mir sein Anliegen anzuvertrauen, und war mit einem Mal sehr ernst. „Es ist folgendes: ein höchst ehrenwertes Mitglied Unserer hochgeschätzten Familie ist kürzlich verstorben. Sein letzter und geheiligter Wille war es, dass seine Überreste dem reinigenden Feuer Unserer Sonne übergeben werden sollen.

Nun ist es leider so, dass Wir derzeit weder Unseren obersten Ritualmeister noch eines Unserer Raumschiffe für diese Zeremonie entbehren können, und die Zeit drängt. Wir können diese Verpflichtung keinesfalls noch länger aufschieben, und möchten daher Euch, Heilerin, bitten, diese Aufgabe zu übernehmen.“ Lord Matsumito schwieg und blickte mich erwartungsvoll an.

Ich lächelte freundlich und versuchte, meiner Verblüffung nicht allzu deutlich Ausdruck zu verleihen. Es ging hier um nicht mehr und nicht weniger als eine Art Bestattungszeremonie?!

Das war bisher wirklich noch nicht von mir verlangt worden. Nicht, dass mir als Heilerin der Umgang mit Toten irgend etwas ausgemacht hätte, aber es gab doch sicher geeignetere Leute dafür.

Als ich nicht gleich antwortete, fuhr Matsumito fort. „Nur ungern bitten Wir Euch darum, da Wir wohl wissen, dass so etwas nicht zu Euren üblichen Pflichten gehört. Es steht Euch frei, diese Aufgabe abzulehnen, und Euch wird kein Nachteil daraus erwachsen, wenn Ihr dies tut. Ihr würdet Uns jedoch von einer großen Last befreien, und die Dankbarkeit Unseres Hauses wäre Euch ewig gewiss.”

Er neigte leicht den Kopf, und ich konnte seine Besorgnis fast greifbar spüren. Das waren nicht nur dahingesagte Floskeln, der Lord meinte es tatsächlich so. Ich verstand zwar nicht ganz, weshalb er sich solche Sorgen machte, und vor allem, wieso ausgerechnet ich ihm bei der Erledigung dieses Problems würde helfen können, aber sicherlich hatte er seine Gründe dafür.

„Eure Lordschaft, ich fühle mich zutiefst geehrt, dass Ihr mich für diese Aufgabe ausgewählt habt.” erwiderte ich und deutete eine Verbeugung an. „Gern werde ich alles tun, um Euch in dieser Angelegenheit zu helfen. Sagt mir, was ich für Euch tun kann.”

Lord Matsumito wirkte nun schon etwas weniger sorgenvoll. „Es freut Uns sehr, dies zu hören. Da Euer Weg zum nächsten Planeten Euch direkt an Unserer Sonne vorbeiführen wird, ist es nur ein kleiner Umweg zu den Koordinaten, ab denen die Reise des Toten in das reinigende Feuer beginnen soll. Ich lasse Euch einige Schriftrollen mit Gebeten mitgeben, die Ihr dann bitte für die Seele Unseres Angehörigen sprechen mögt.“

Nachdrücklich fügte er hinzu „Es ist von allerhöchster Wichtigkeit, dass der Leichnam Unseres Familienmitglieds tatsächlich seinen Weg zur Sonne findet. Nichts darf Euch davon abhalten. Es wäre für Uns unerträglich zu erfahren, dass das reinigende Ritual nicht vollzogen werden konnte.“

„Ich kann Euch in diesem Fall vollkommen beruhigen, Eure Lordschaft“ versicherte ich ihm. „Es ist mir eine hohe Ehre, einem Angehörigen Eurer Familie den letzten Dienst zu erweisen, und Ihr könnt gewiss sein, dass alles genauso ablaufen wird, wie Ihr es wünscht.“

Lord Matsumito schien nun sichtlich erleichtert. „Dies hatten Wir gehofft, Heilerin. Wir stehen dafür in Eurer Schuld.“

Er griff in ein Fach seines Schreibtisches und übergab mir eine Schriftrolle. „Diese Schriftrolle trägt Unser Siegel. Es berechtigt Euch, auf Unsere Kosten ein angemessenes Schiff für diese Reise zu erwerben.“

Ein neues Raumschiff!

Mir verschlug es glatt die Sprache. Davon hatte ich nur wenige Stunden zuvor noch geträumt… und jetzt war es bereits das zweite Mal an einem Tag, dass es in greifbare Nähe gerückt war.

Dennoch schüttelte ich bedauernd den Kopf. „Ich danke Euch vieltausendmal, Eure Lordschaft, aber Ihr kennt die Regeln unseres Ordens. Ein derart großzügiges Geschenk kann ich unter keinen Umständen annehmen.“

„Oh, ich denke, der Orden wird unter diesen Umständen gewiss eine Ausnahme zulassen.“ Obwohl Lord Matsumito bei diesen Worten lächelte, sagte mir ein Blick in seine Augen, dass es nicht ratsam wäre, ihm in diesem Punkt weiterhin zu widersprechen.

Also ergab ich mich in mein Schicksal und verbeugte mich tief. „Wie Eure Lordschaft wünschen. Seid versichert, dass alles Euren Anweisungen entsprechend geschehen wird.“

Jetzt lächelten auch Lord Matsumitos Augen. „So soll es sein. Wir danken Euch, Heilerin, und werden dies nicht vergessen.“

Er griff nach einer goldfarbenen Klingelschnur und zog daran. „Eine Rikscha wird Euch umgehend zum Raumflughafen bringen, denn Eure Abreise muss bereits morgen früh bei Sonnenaufgang stattfinden. Findet Euch bitte heute zur elften Abendstunde wieder im Palast ein. Über die weiteren Einzelheiten wird Euch Unser Ritualmeister Hokaru unterrichten.“

„Sehr wohl, Eure Lordschaft.“ Ich ließ mir mein Erstaunen über die Eile, die höchst unüblicherweise in diesem Fall an den Tag gelegt wurde, nicht anmerken.

„Und sprecht bitte mit niemandem sonst über diese Dinge.“

„Selbstverständlich nicht, Eure Lordschaft.“ Gehorsam nickte ich und gab es auf, mich zu wundern. Mal sehen, was Ritualmeister Hokaru mir noch darüber erzählen würde.

Es pochte leise an der Tür, und der eintretende Bote gab unter Verbeugungen bekannt, dass nun die Rikscha für mich bereitstünde.

„Ausgezeichnet.“ Lord Matsumito nickte mir zu als Zeichen, dass die Audienz nun beendet sei, und ich machte mich, die Schriftrolle sorgsam in einer Tasche meines Umhangs verwahrt, auf den Weg zu meiner Rikscha.