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Buch

Maz Harwood ist Tierärztin mit Leib und Seele! Und ihre Entscheidung, das Stadtleben in London hinter sich zu lassen, um in dem kleinen Dorf Talyton St. George eine Praxis zu übernehmen, hat sie bisher keine Sekunde bereut. Auch wenn das Landleben anfangs noch ein paar Tücken für sie bereithielt. Doch nun scheint alles gut: Sie ist mit dem umwerfenden Alex zusammen, die beiden haben einen hinreißenden kleinen Sohn, und schon bald sollen die Hochzeitsglocken läuten – an Weihnachten will sie ihrem Traummann endlich das Jawort geben. Doch mit Baby George und ihren Hochzeitsplanungen sind die Tage ziemlich ausgefüllt. Sehr zum Leidwesen von Alex. Also beschließt Maz, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen – mit furchtbaren Konsequenzen für alle Betroffenen. Als Weihnachten näher rückt, merkt Maz, dass es mehr als ein Wunder braucht, damit sie und Alex wirklich vor dem Traualtar landen …

Autorin

Cathy Woodman ist Autorin mehrerer Romane und ausgebildete Tierärztin. Sie hat ein ganzes Haus voller Haustiere, auch wenn sie sich mittlerweile ausschließlich dem Schreiben widmet. Vier Pfoten für die Liebe ist Cathy Woodmans vierter Roman um die quirlige Tierärztin Maz Harwood.

Von Cathy Woodman bei Blanvalet bereits erschienen:

Schnupperküsse

Cathy Woodman

Vier Pfoten
für die Liebe

Roman

Aus dem Englischen von Barbara Müller

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Die Originalausgabe erschien 2011

unter dem Titel »It’s a Vet’s Life« bei Arrow Books,
a division of Random House, London

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe November 2014 bei Blanvalet Verlag,

einem Unternehmen der

Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © 2011 by Cathy Woodman

Copyright © 2014 für die deutsche Ausgabe

by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München

Umschlaggestaltung und -motiv: © www.buerosued.de

Redaktion: Angela Kuepper

LH ∙ Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-11236-3

www.blanvalet.de

Für Jess, in Liebe

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Für jeden Topf den passenden Deckel

»Maz? Maz, es ist so weit.« Alex, mein Verlobter, erscheint im Türrahmen. Hinter ihm fällt strahlender Sonnenschein in die Scheune, sodass sich sein Schatten dunkel auf dem Steinboden abzeichnet. »Beeil dich!«

»Pst!«, flüstere ich, während sich George beim Klang der Stimme seines Vaters in meinen Armen bewegt. »Nicht so laut. Er ist gerade erst eingeschlafen.« Ich presse meine Lippen auf Georges Scheitel. Er scheint auch mit einundzwanzig Monaten noch nicht begriffen zu haben, wie das mit dem Mittagsschlaf funktioniert. Tatsächlich habe ich den Eindruck, als würde das Schlafgen, falls es so etwas denn gibt, bei ihm ganz und gar fehlen.

»Aber Maz, es ist unterwegs.« Alex senkt die Stimme, während er näher zu unserem Sofa kommt.

»Das hast du schon mal gesagt.« Ich lächle. Alex sitzt mindestens seit einer Woche wie auf glühenden Kohlen. »Bist du dir sicher, dass es sich nicht wieder um falschen Alarm handelt?«

»Absolut. Einhundert Prozent.« Alex’ tiefblaue Augen blitzen ungeduldig. Sein kurzes dunkles Haar ist grau gesprenkelt, was seiner Meinung nach eine Folge unserer Beziehung und nicht seines fortschreitenden Alters ist. Liebend gern ziehe ich ihn damit auf, schließlich bin ich jünger als er. Im Moment ist seine Haarpracht auch noch mit Hobelspänen geschmückt.

Wir sind seit drei Jahren ein Paar, haben gute und schwierige Zeiten durchlebt, und er wirkt auf mich immer noch so anziehend wie ganz am Anfang unserer Beziehung. Heute trägt er ein Karohemd und eng anliegende Jeans, die sich an seine schlanken und doch muskulösen Oberschenkel schmiegen. Fast jeden Tag danke ich meinem Glücksstern, dass ich das Angebot meiner Freundin Emma angenommen habe, mich um ihre Praxis zu kümmern, damit sie Urlaub machen konnte. Wenn ich die Gelegenheit hätte verstreichen lassen, nach Talyton St. George zu kommen und hier zu arbeiten, wäre ich wahrscheinlich immer noch Tierärztin in einer Londoner Stadtpraxis, und Alex und ich wären einander nie begegnet.

»Komm schon, oder du wirst es verpassen. So etwas sieht man nicht jeden Tag«, sagt Alex. »Nimm George mit.«

Ich wecke unseren Sohn mit einer kaum merklichen Berührung seiner Wange. Er hebt den Kopf, blinzelt und starrt mich stirnrunzelnd an.

»Hallo, kommst du mit raus, um deinem Daddy zu helfen?«

»Nein«, murmelt George.

»Ich glaube, du meinst ja«, sage ich.

»Nein.« Georges Mund verzieht sich zu einem sabbernden Lächeln. Sein Haar, dunkel und glänzend wie das eines Flat-Coated Retriever, steht feucht von seiner Stirn ab, und winzige Schweißperlen bedecken seinen Nasenrücken.

Ich nehme ihn auf den Arm, tapse über den kühlen Boden und schlüpfe in ein Paar Hippie-Clogs, die dort herumstehen, wo ich sie ausgezogen habe – hinter der Haustür neben Georges Spielsachen und einem Stapel von Zeitschriften, darunter Horse & Hound, Veterinary Times und Mother & Baby. Ich bin mir nicht sicher, warum wir sie beziehen – wir haben nicht gerade viel Zeit, um uns hinzusetzen und sie zu lesen.

»Alex, warte auf uns!«, rufe ich, doch er ist längst vorausgegangen und verschwindet gerade in einem der Ställe in dem Gebäude auf der linken Seite des Hofes. Das Erdgeschoss besteht aus einer Reihe einzelner Laufboxen, während eine Treppe zu dem alten Heuboden hinaufführt, der jetzt die Tierarztpraxis Talyton Manor beherbergt.

Gegenüber der Scheune, in der wir wohnen, hat eine Ansammlung von Fahrzeugen auf dem Kies geparkt: Geländewagen, ein uralter Bentley und ein lilafarbener Pferdeanhänger. Dahinter befindet sich die Rückseite des Herrenhauses, wo Alex’ Eltern mit ihren Hunden und einem Shetlandpony wohnen, das oft im Wohnzimmer anzutreffen ist. Das klingt unglaublich prachtvoll, doch das Gebäude droht in Wahrheit um sie herum einzustürzen. Die Fensterrahmen sind rissig, die Dachziegel locker, und die Wände bröckeln. Wäre es ein Tier, so wäre der Tierschutzverein schon längst zur Stelle, um es zu retten.

Rechts vom Hof erstrecken sich grüne Wiesen, die mithilfe von Elektrozäunen in einzelne Weiden unterteilt sind, auf denen Pferde grasen, mit den Ohren zucken und mit dem Schweif die Fliegen verjagen, die in der Junihitze zur Hochform auffliegen.

Ich erreiche den Stall und blicke über die halbhohe Tür. Alex steht am Kopf seiner schönen kastanienbraunen Stute und hält sie am Strick, der an einem ledernen Halfter mit Messingbeschlägen angebracht ist. Die Stute liegt auf einer mit frischen Hobelspänen ausgestreuten Gummimatte.

Allmählich ersetzt der Geruch nach Pferd und Desinfektionsmittel den süßen Duft nach Babyschaumbad und Weichspüler in meiner Nase. Die Flanken der Stute sind dunkel vor Schweiß, und Alex’ Stirn glänzt. Auch George scheint immer heißer zu werden – und schwerer. Ich setzte ihn mir auf die Hüfte.

»Nein!« George zappelt, um runtergelassen zu werden, während die Stute sich anspannt und stöhnt und mich in eine schmerzhafte und nicht allzu ferne Vergangenheit zurückversetzt, als der River Taly über die Ufer getreten war und ich vorzeitig mit George in den Wehen lag. Ich erschaudere selbst jetzt noch bei dem Gedanken an das eisige schwarze Wasser, an den immer kleiner werdenden Erdflecken, auf dem ich stand, und an die Wellen des Schmerzes, die meinen Körper durchfuhren. Ich erinnere mich an die Erleichterung, die ich verspürte, als Alex auftauchte, sich aus der Dunkelheit löste, um mich zu retten, und an meine Panik, als das Baby leblos und fleckig zur Welt kam, und ich glaubte, wir hätten es verloren. Ich entsinne mich auch an meine Angst, die ich durchlebte, weil ich mir einredete, niemals Liebe für mein eigenes Kind empfinden zu können. Jetzt kann ich darüber nur lächeln. Ich hatte nie vorgehabt, Mutter zu werden, und schon gar nicht, eine solche Wassergeburt zu erdulden.

»Sollen wir dich damit allein lassen, Alex?« Ich möchte nicht, dass Georges Kleinkindgeräusche Liberty stören und sie womöglich mitten in der Geburt innehalten lassen. Ich habe größtes Mitgefühl für sie und das, was sie gerade durchlebt.

»Bleibt!«, sagt Alex. »Du und George habt schon das letzte Mal verpasst.«

Das hier ist Libertys zweites Fohlen – Hero wurde im letzten Mai geboren. Alex’ Stute war ein vielversprechendes Springpferd, bis eine Kolik und die darauffolgende Notoperation ihre Karriere zu einem vorzeitigen Ende brachten – und damit auch Alex’ Ambitionen, für die britische Nationalmannschaft der Springreiter ausgewählt zu werden.

»Ich hoffe, du hast nicht vor, unseren Sohn einer Gehirnwäsche zu unterziehen, damit er in unsere Fußstapfen tritt. Sind drei Tierärzte in der Familie nicht genug?«, sage ich leichthin.

»Ich denke nur an die Zukunft der Praxis.« Alex grinst.

»Meinst du nicht vielmehr Praxen?« Alex unterhält mit seinem Vater Talyton Manor Vets, eine Nutztierpraxis mit einigen wenigen Klienten, die ihre Haustiere zu ihnen bringen, während Emma und ich gemeinsam das Otter House betreiben. »Außerdem dachte ich, Seb würde dazu erzogen, einmal deine Praxis zu übernehmen, wenn du dich irgendwann zu alt und schwach fühlst, um mit dieser Der-Doktor-und-das-liebe-Vieh-Geschichte weiterzumachen.«

»Heutzutage ist das schon ein bisschen anspruchsvoller.«

»Du verbringst immer noch viel Zeit damit, den Arm in eine Kuh zu stecken«, gebe ich zu bedenken. »Deine Nachkommen könnten möglicherweise diesen Lebensstil nicht zu würdigen wissen.« Alex hat neben George noch zwei Kinder aus einer gescheiterten Ehe. Seb ist erst fünf. Lucie ist fast neun, und ich nehme an, dass sie von den dreien diejenige ist, die noch am ehesten in die Fußstapfen ihres Vaters treten wird. »Wie geht es ihr?«

»Liberty geht’s gut. Nicht wahr, mein Mädchen?« Alex lässt sich neben ihr in die Hocke nieder, die Augen auf die Region unter ihrem Schweif gerichtet, wo gerade die Fruchtblase erscheint. Und da platzt sie auch schon, sodass sich das Fruchtwasser über den Boden ergießt, bevor Liberty sich noch ein-, zwei-, dreimal anspannt. »Ah, ich kann schon die Hufe sehen. Es ist unterwegs.«

»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich in Sorge um beide, Stute und Fohlen, und auch um Alex, als eine Weile nichts weiter passiert.

»Sie ruht sich aus.« Alex blickt auf seine Uhr. »Das ist ziemlich normal.« Trotzdem rückt er näher an sie heran und untersucht die Hufe des Fohlens, die jetzt deutlich zu sehen sind. Ich sehe, wie Alex’ Körper sich versteift, als die Stute wieder presst.

Irgendetwas stimmt nicht.

Alex stößt einen lauten Fluch aus, woraufhin George zusammenzuckt und mit der Hand nach meiner Bluse greift, um sich zu beruhigen.

Meine Gedanken jagen voraus. Es ist zu spät, Liberty in die nächste Pferdeklinik mit einem OP zu schaffen, und es ist unmöglich, einen der Operationssäle vom Otter House zu nutzen, weil sie für kleine Tiere gedacht sind und nicht für Pferde. Der größte Patient, den wir einmal operiert haben, war eine Deutsche Dogge, und selbst für sie mussten wir unseren OP-Tisch mit einem Rollwagen verlängern.

»Es kommt verkehrt herum.« Alex’ Stimme klingt dumpf und sachlich.

»Soll ich deinen Vater holen?«

»Dafür ist es zu spät. Halt du sie für mich fest.«

Ich frage mich, was ich mit George machen soll, und beschließe, ihn weiter auf dem Arm zu halten. Wenn nicht genug Zeit ist, um Hilfe zu holen, dann ist auch keine Zeit, um Georges Buggy heranzuschaffen. Ich öffne die Stalltür und nehme Libertys Halfter, halte sie fest, während George versucht, sich nach unten zu beugen und ihre Ohren zu streicheln, und Alex den Großteil einer Flasche Gleitmittel auf seinen Händen verteilt und herauszufinden versucht, wie er das Fohlen holen kann.

»Ich wünschte, es würde nicht ausgerechnet so herum liegen. Es muss jetzt sofort herauskommen.«

Ich weiß, was er meint. Vage kann ich mich an meine Notizen aus dem Tiermedizinstudium über eine Fohlengeburt erinnern. Wenn das Fohlen mit den Hinterbeinen voran kommt, wird die Nabelschnur an das Becken der Stute gedrückt und die Sauerstoffzufuhr gedrosselt, sodass das Fohlen verfrüht zu atmen beginnt. Wenn es seinen ersten Atemzug nimmt, solange sein Kopf noch in der Gebärmutter der Stute steckt, atmet es Flüssigkeit ein und ertrinkt.

»Liegt es mit der richtigen Seite nach oben?«, frage ich.

»Ja«, bestätigt Alex.

Wenigstens etwas, denke ich, während Alex die Hinterhufe des Fohlens packt und mit aller Kraft zieht. Er stemmt die Füße gegen Libertys Kruppe, seine Armmuskeln spannen sich an und treten vor, seine Haut glänzt vor Schweiß und Anstrengung. Es sieht brutal aus, doch es gibt keine andere Möglichkeit.

»Press, Libs«, brummt er mit zusammengebissenen Zähnen. »Du musst mir hier verdammt noch mal helfen. Kannst du auf die Uhr sehen, Maz? Fünf Minuten. Wenn es bis dahin nicht draußen ist, muss ich …« Seine Stimme verklingt, als er ein weiteres Mal zieht, aber ich weiß auch so, was er sagen wollte: dass er es zerteilen muss.

Mir wird schlecht bei dem Gedanken daran, dass das Fohlen vielleicht nicht an einem Stück geboren werden kann, doch wenn das der einzige Weg ist, die Stute zu retten … Mein Blick fällt auf die Spinnweben und den Staub im Gebälk über mir, und ich frage mich, ob wir nicht doch die mobile Anästhesiestation hereinschaffen und einen Kaiserschnitt versuchen könnten, aber das Infektionsrisiko ist einfach zu hoch. Stute oder Fohlen? Es gibt keine echte Alternative, und ich bin froh, dass ich das nicht zu entscheiden habe.

Anscheinend ist es jedoch zu spät, über Alternativen nachzudenken. Ich muss Liberty nicht länger festhalten. Sie gibt auf. Ihr Blick ist stumpf, und ihr Körper zittert, als sie den Kopf auf den Boden legt. Ich sehe auf die Uhr und höre meinen Herzschlag in den Ohren pochen, während Liberty noch einmal schwach presst, und Alex flucht, und die Zeit verrinnt.

»Alex, der Countdown hat begonnen. Vier Minuten sind um. Ich gehe deine Tasche holen«, sage ich und fürchte, dass er beide verliert, wenn er nicht bald eine Entscheidung trifft.

»Einmal noch«, murmelt Alex. Er klatscht Liberty auf die Flanke. »Komm schon, Mädchen. Du schaffst das.« Wieder packt er die Hinterbeine des Fohlens, Liberty presst ein letztes Mal, und das Fohlen gleitet in einer Flut blutiger Flüssigkeit aus ihr heraus. Vor Erleichterung schnaufend, zieht Alex das Fohlen ganz heraus, sodass es neben der Stute auf der Matte liegt. Es ist nass und glänzend – und reglos. Und die Stute will sich auf die Beine kämpfen, sodass ich mich in Sorge um Georges Sicherheit zurückziehe. Immerhin wirft sich hier eine Dreivierteltonne verzweifeltes Pferd von einer Seite auf die andere.

George ist still geworden; er scheint von der Bedeutung dieses Augenblicks wie gebannt. Er sieht zu, wie Liberty aufsteht, ins Gleichgewicht kommt und dann nach ihrem Fohlen sieht. Sie schnüffelt an seiner Kruppe, während Alex die Haut von den Nüstern des Fohlens streicht. Er packt es um die Hinterbeine und hebt es mit übermenschlichen Kräften hoch, sodass sein Kopf herabbaumelt und Flüssigkeit aus seiner Nase und dem Maul tropft. Er legt es wieder hin und zieht es am Ohr, um es so dazu zu bringen, seinen ersten Atemzug zu tun.

»Bitte …«, murmele ich und erinnere mich selbst daran, wieder zu atmen. »Bitte sei gesund.«

Alex reibt und stößt gegen den Brustkorb des Fohlens, aber nichts passiert. Während Liberty dem Fohlen das dunkle, nasse Fell leckt, streckt Alex seinen Kopf und Hals geradeaus, verschließt ihm Mund und eine Nüster mit der Hand, beugt sich hinab und bläst in die andere. Ich sehe, wie sich der Brustkorb des Fohlens hebt und senkt und wieder hebt und wieder senkt, aber es hilft alles nichts, wenn es nicht alleine atmet.

»Alex.« Ich gehe zu ihm und berühre seine Schulter. »Alex, ich glaube, es ist Zeit aufzuhören.« Ein Kloß, so groß wie ein Tumor, bildet sich in meiner Kehle bei dem Gedanken, dass wir etwas verlieren sollten, auf das wir uns so lange gefreut haben – elf Monate, um genau zu sein. »Es hat zu lange gedauert. Es wird es nicht schaffen …« Ich ziehe fest an seinem Hemd. »Alex, du kannst keine Wunder vollbringen.«

Er murmelt etwas. Ich kann die Worte nicht genau verstehen, aber ich glaube, er will andeuten, dass er es sehr wohl kann.

Plötzlich hustet das Fohlen. Alex hält inne, und während er seinen Brustkorb im Auge behält, legt er die Wange dicht an das Maul des Fohlens. Er blickt auf, und ein leises Lächeln huscht über sein Gesicht. Das Fohlen hustet noch einmal, dann hebt es den Kopf und schaut sich unsicher in der Laufbox um.

Tränen der Erleichterung brennen in meinen Augen. Ich kenne meinen Alex. Er schafft fast alles, was er sich einmal in den Kopf gesetzt hat. Ich hätte mehr Vertrauen in ihn haben sollen.

Sofort richtet Alex seine Aufmerksamkeit auf die Stute, prüft den Puls an der Unterseite des Kieferastes und die Farbe ihres Zahnfleisches. Kurz reibt er ihren Hals, dann geht er nach hinten, um unter ihrem Schweif nachzusehen. Offensichtlich zufrieden, dass es keine Zeichen einer Blutung gibt, die auf einen Riss infolge der doch eher traumatischen Geburt hindeutet, wendet er sich wieder dem Fohlen zu.

»Das war großes Glück«, sagt er und schaut zu mir rüber. »Wenn sie mit den Hinterhufen voran kommen, gebe ich ihnen üblicherweise eine Chance von eins zu eins. Höchstens. Ich dachte, das wäre ihr Ende.«

»Ihres?«

Alex hebt einen Hinterhuf an und nickt.

»Ja. Dieses Mal ist es ein hübsches Stutfohlen. Eine Schönheit.«

Sie ist dunkelbraun, fast schwarz, und hat leuchtende, kluge Augen mit einem weißen Stern dazwischen. Ich bin mir nicht sicher, wie Alex so schnell ihre Eigenschaften erkennen kann, obwohl ich mich daran erinnere, dass es bei George ähnlich war. Ganz der stolze Papa.

»Und was jetzt?«, frage ich.

»Wir lassen Mama und Baby sich erst einmal kennenlernen. Das Fohlen sollte innerhalb der nächsten halben Stunde oder so aufstehen und anfangen zu saugen. Wir lassen die Nabelschnur von selbst brechen, und dann kümmere ich mich um den Nabel.« Alex zögert, während er aufsteht und sich den Rücken reibt. »Tut mir leid, Maz, ich rede mit dir, als wärst du einer meiner Klienten.«

»Das macht mir nichts aus. Das hast du schon immer getan.« Kichernd nähere ich mich ihm und küsse seine Wange. »Ich liebe es, wenn du dich so gebieterisch gibst …« Liberty streckt den Hals und leckt das Fell ihres Fohlens. »Wie willst du sie nennen?«

»Hast du einen Vorschlag?«, fragt Alex.

»Ich weiß nicht – sie ist dein Baby. Du entscheidest.« Immerhin ist es ja nicht so, als würde man ein Kind taufen. Ein Tier muss sich nicht darum sorgen, in der Schule gehänselt oder wegen seines Namens für vornehm oder prollig gehalten zu werden.

»Ich dachte an Scheherazade, nach der persischen Prinzessin.« Alex streckt eine ziemlich klebrige und blutverschmierte Hand aus, als wollte er meine ergreifen.

»Damit nimmst du den Mund ganz schön voll, meinst du nicht? Stell dir bloß vor, an der Weide zu stehen und nach ihr zu rufen. Es ist zwar ein schöner Name, aber …«

»Er wird den Kommentatoren etwas zum Nachdenken geben.«

»Wenn du mit ihr springst, meinst du? Alex, du bist so ungeduldig als Dad!« Es würde noch ewig dauern, bis es einmal so weit wäre. Erst in drei oder vier Jahren würde er anfangen können, sie einzureiten.

»Dann nehme ich Shezza als Kurzform.«

»Oh, das wird deiner Mutter nicht gefallen. Sie wird sagen, dass es das Niveau senkt. Hey, wasch dich erst mal«, sage ich und drücke ihn von mir weg. »Du bist dreckig.«

»Früher hat dir das nichts ausgemacht«, sagt er grinsend.

»Wegen George«, sage ich leichthin. »Ich will doch nicht, dass er sich irgendwelche ekligen Bakterien einfängt. Morgen muss ich arbeiten, und die Krippe nimmt ihn nicht, wenn er nicht fit ist.«

Liberty verliert die Nachgeburt. Ihr Fohlen hebt den Kopf, streckt die Vorderhufe aus und versucht aufzustehen, indem es sich nach vorn wirft – und landet dabei bloß mit der Nase auf der Matte. Beim zweiten Versuch schafft es die kleine Stute und steht mit gespreizten Beinen da, schwankt für einen kurzen Moment, bevor sie die ersten vorsichtigen Schritte direkt auf ihre Mutter zumacht, an deren Flanke sie schnuppert. George gluckst, als das Fohlen wieder hinfällt. Er ist ganz schön schadenfroh.

»Warum konntest du eigentlich nicht so schnell auf deinen zwei Füßen stehen?«, sage ich zu George. Er war ein faules Baby.

»Er muss nicht vor Raubtieren fliehen«, bemerkt Alex. »Er hat zwei Elternteile, die ihn beschützen.«

Der Kopf der kleinen Stute verschwindet oben zwischen Libertys Hinterbeinen, wo sie eine Zitze findet und lautstark zu saugen beginnt.

»Sie klingt wie dein Vater, wenn er seinen Tee aus seiner Untertasse schlürft, Alex.«

»Wenigstens werden wir uns keine Gedanken darüber machen müssen, sie zu füttern. In dieser Hinsicht ist sie genau wie George. Ich sehe mir die Nachgeburt an, und dann lassen wir die beiden in Ruhe. Ich schaue in etwa einer Stunde noch mal nach ihnen.«

Alex nimmt die Nachgeburt, diese rötlich graue Membran, die von der Plazenta übrig geblieben ist, welche das Fohlen in der Gebärmutter versorgt hat, und breitet sie auf dem Boden aus. Sie erinnert mich an einen von Georges Strampelanzügen, nur ein bisschen größer und an der Taille abgeschnitten, aber mit den Füßen noch dran.

»Es ist alles da«, sagt Alex und meint damit, dass nichts in der Gebärmutter der Stute zurückgeblieben ist, was sie krank machen könnte. »Ich bin vielleicht ein bisschen paranoid – ich habe schon viele Fohlengeburten erlebt, aber es ist doch etwas anderes, wenn es das eigene Tier ist.«

Ich lasse zu, dass Alex den Arm um meine Schultern legt und mir einen Kuss auf die Wange gibt.

»Ich nehme an, ich sollte es meinen Eltern sagen. Mutter war wie immer sehr gereizt.«

Alex hat immer behauptet, seine Mutter hätte ihn wohl mehr geliebt, wenn er als Fohlen auf die Welt gekommen wäre, sinniere ich, während er mich erwartungsvoll anblickt und mir klar wird, dass er hofft, ich würde gehen, damit er bei der jungen Mutter und ihrem Fohlen bleiben kann. Er will sie noch nicht wirklich allein lassen.

»Na schön, ich gehe«, seufze ich.

»Kannst du mir auf dem Rückweg vielleicht einen Beutel für Klinikmüll mitbringen?«

»Dann solltest du mir aber besser einen Tipp geben, wo ich einen finde«, sage ich amüsiert. Weder Alex noch sein Vater sind besonders ordentlich.

»Sie sollten da sein, wo sie immer sind. In einer Schachtel auf dem Regal neben dem Heizkörper.«

Ich nehme George mit hinaus, gehe die Treppe hoch und in die Praxis. Ich brauche keinen Schlüssel – die Tür ist nicht verschlossen. Drinnen zögere ich kurz und blicke mich in dem Raum um, den sie ihr Büro nennen und der durch eine weitere Tür mit dem Behandlungszimmer und einem Lager verbunden ist, in dem ein paar alte Käfige und furchtbar viel Müll herumstehen. Eine Fliege brummt wie wahnsinnig hinter einer der Jalousien. Ich öffne ein Fenster und lasse sie hinaus und damit auch den Geruch nach Kuh und Mottenkugeln. Ich finde den Heizkörper und das Regal daneben, aber keine Schachtel mit den organgefarbenen Müllbeuteln. Ich mustere das restliche Chaos.

»Es ist an der Zeit, dass dein Daddy und dein Großvater hier einmal ordentlich aufräumen«, sage ich zu George. Er will runter, aber ich traue mich nicht, ihn abzusetzen. Die Schrotflinte vom alten Fox-Gifford liegt auf dem Schreibtisch, quer über Alex’ Laptop. Das Gewehr sollte im Waffenschrank im Haus eingesperrt sein, wenn Alex’ Vater es nicht benutzt, aber er zieht es vor, es in Reichweite zu haben, falls ihm ein ahnungsloses Eichhörnchen oder eine Elster über den Weg laufen, die er beide als Ungeziefer betrachtet.

Ich gebe die Suche nach einem Müllbeutel auf und nehme George mit quer über den Hof zum Hintereingang des Herrenhauses, den Sophia den Dienstboteneingang nennt und aus dem ein Rudel jaulender und bellender Hunde herausstürmt, als hätten sie uns nie zuvor gesehen. Als ich diesem zusammengewürfelten Haufen aus Labradoren und Spaniels zum ersten Mal begegnete, wurden meine Knie weich wie Pudding, aber jetzt kenne ich sie besser. Sie sind die sprichwörtlichen bellenden Hunde, die nicht beißen.

»Ach, stellt euch doch nicht so an«, knurre ich und imitiere meinen zukünftigen Schwiegervater. Sogleich beruhigen sie sich, streichen mir um die Beine und beschnüffeln Georges Füße. Ich sehe nach unten auf einen Kübel voller magerer Geranien, wo einer der Spaniels gerade das Bein hebt. Mein Blick fällt auf etwas Weißes, einen Briefumschlag, der zwischen den roten Blüten steckt. Vorsichtig ziehe ich ihn heraus. Er ist nicht geöffnet. Der Absender ist das Royal College of Veterinary Surgeons, und er ist an Alex’ Vater adressiert.

»Der Briefträger muss ihn fallen gelassen haben«, sage ich zu George, während ich ihn auf dem Boden absetze, damit er laufen kann. Zusammen bahnen wir uns unseren Weg durch die rückwärtige Diele, wo wir über ausgezogene Schuhe und grüne Gummistiefel steigen. Es ist ziemlich kühl im Haus, beinahe kalt, bis wir zur Küche gelangen, wo uns eine Wand aus heißer Luft entgegenschlägt.

Alex’ Mutter, gekleidet in eine eisblaue Bluse, schmuddelige cremefarbene Hosen und flache Schnürschuhe, nimmt gerade einen Kessel vom gusseisernen Herd, der den Raum im Winter gemütlich, aber im Sommer viel zu warm macht.

Es gab eine Zeit, da konnte ich mir nicht vorstellen, eine wie auch immer geartete Beziehung zu Sophia zu haben. Doch inzwischen hat sie aufgehört, mich Madge zu nennen, und sie kümmert sich an ein oder zwei Tagen die Woche um George. Seit wir beide mit Fox-Gifford’schen Männern zusammenleben, kommen wir besser miteinander aus. Ich kann nicht behaupten, dass wir Freundinnen sind – wir sind sehr verschieden und stammen aus gegensätzlichen Milieus –, aber wir sind beide selbstständig und teilen die Liebe zu Tieren, ausgenommen Füchse. Sophia hasst Füchse über alles.

Neben dem riesigen Eichentisch zögere ich. Mehrere mit Kutteln und Hundekuchen gefüllte Fressnäpfe stehen in einer Reihe darauf. Der Gestank verschlägt mir den Atem.

»Hi, Sophia!«

Sie drehte sich zu mir um, groß und schlank, mit Falten im Gesicht und grauem Haar, das vom Haarspray ganz steif ist.

»Hallo, Maz und George, mein Schatz. Ich weiche gerade die Zuckerrüben für die Pferde ein.« Sie gießt das Wasser aus dem Kessel in einen am Boden stehenden Eimer. Eine Pfanne voller Leinsamen blubbert auf dem Herd vor sich hin. Sie hält nichts davon, vorgefertigtes Futter zu verwenden. »Kann keine Pause machen. Alle wollen gefüttert werden.«

»Das ist eine Schande. Ich dachte, du würdest dir vielleicht gerne unseren Neuankömmling ansehen.«

»Liberty hat ihr Fohlen bekommen.« Sophias müdes Gesicht leuchtet auf. »Ach, warum hast du nicht eher etwas gesagt?«

»Wir hatten ein kleines Problem – es kam mit den Hinterhufen zuerst. Alex musste es ziemlich schnell rausziehen.« Ich sehe zu, wie sie sich die Hände an einem zerschlissenen Geschirrtuch abtrocknet und es auf den Tisch wirft, wo es in den Kutteln landet. Sie lässt es dort liegen, schnappt sich auf dem Weg durch die Diele einen alten Mantel von einem der Haken, während der alte Fox-Gifford mit seinem Stock aus dem dahinterliegenden Flur heranhumpelt. Er trägt ein gestreiftes Hemd und eine Cordhose, die zu einem seltsamen Rotton ausgeblichen ist und jetzt die Farbe eines Jagdjacketts angenommen hat.

»Was ist hier los?«, fragt er barsch.

»Maz sagt, Liberty habe ihr Fohlen bekommen«, antwortet Sophia.

»Gut. Gut. Aber warum ist niemand gekommen und hat es mir gesagt?« Der alte Fox-Gifford schlägt mit dem Stock auf den Boden.

»Maz hat gerade erklärt, dass es Probleme gab.«

»Umso mehr Grund, mir Bescheid zu geben«, murmelt der alte Fox-Gifford verärgert. »Ich hätte es holen können.«

»Wir hatten keine Zeit«, erkläre ich erneut, aber der Alte hört mir wie üblich nicht zu.

»Das Abfohlen ist meine Stärke«, fährt er fort, während sein Gesicht immer düsterer und roter wird und seine Koteletten sich sträuben. »Alexander weiß das. Was hat er sich nur dabei gedacht?«

Ob Notfall oder nicht, ich bezweifle, dass Alex dieses Mal seinen Vater zu Hilfe gerufen hätte. Als Libertys erstes Fohlen, Hero, im letzten Jahr geboren wurde, konnte der alte Fox-Gifford nicht an sich halten und kritisierte Alex bei allem, was er tat.

»Das war kein persönlicher Affront«, sagt Sophia leicht schnippisch. Mir ist aufgefallen, dass sie in letzter Zeit die Launen des alten Fox-Gifford mit viel weniger Geduld erträgt als in der Vergangenheit. »Alexander ist damit fertig geworden.«

»Ach, den hier habe ich draußen im Blumenkübel gefunden«, erinnere ich mich an den Briefumschlag in meiner Hand. »Ich weiß nicht, wie er dahin gekommen ist … Ein Brief vom Royal College. Wofür bringen sie dich vor den Kadi?«, füge ich hinzu, denn ich weiß, dass diese erlauchte Institution eine Rolle bei der Kontrolle der tierärztlichen Zunft spielt.

»Für gar nichts.« Der alte Fox-Gifford reißt mir den Umschlag aus der Hand und stopft ihn, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, in seine Hosentasche. »Ich bin nicht in Schwierigkeiten. War es nie und werde nie in welche kommen.«

»Maz will nicht andeuten, dass du es bist«, verteidigt mich Sophia.

»Es sollte ein Scherz sein«, sage ich, überrascht von seiner Reaktion.

»Nicht witzig«, schnaubt er.

Hal, der alte schwarze Labrador, den ich vor einigen Sommern operiert habe, nachdem ihm der alte FoxGifford beim Putzen seines Gewehrs aus Versehen in den Lauf geschossen hat, steckt mir die Schnauze in den Schritt.

»Geh weg«, befehle ich ihm. Er ist blind und stocktaub, was eine perfekte Ausrede dafür ist, nicht auf mich zu achten, nehme ich an. »Geh weg! Hau ab!«

»Lass den armen Hund in Ruhe.« Der alte Fox-Gifford lächelt, als er fortfährt: »Das ist eine der wenigen Freuden, die ihm geblieben sind.« Trotzdem stupst er den Hund mit der Spitze seines Stockes an, und Hal, inzwischen lahm auf allen vier Beinen, humpelt davon. Irgendwie kann ich nicht glauben, dass er so lange durchgehalten hat. Wie der alte Fox-Gifford, der inzwischen in den Siebzigern ist, ist er offenbar unverwüstlich.

Wieder draußen, stehen wir bewundernd vor dem Neuankömmling, und die Situation erinnert mich daran, wie wir auf ganz ähnliche Weise George bewundert haben. George will auf dem Hof herumrennen, aber ich lasse ihn nur ungern los, wenn alle Hunde draußen sind. Er will jedoch partout nicht bei uns bleiben, während wir über Pferde fachsimpeln.

»Lass mich George nehmen«, sagt Sophia und streckt die Hand aus. »Komm zu Humpy.« Die Kinder nennen sie Humpy. Mir wäre es lieber, George würde »Granny« zu ihr sagen, um ihn vor zukünftigen Peinlichkeiten zu bewahren, doch sie weigert sich, mich darin zu unterstützen. »So, mein Schatz …«

George nimmt willig ihre Hand und begleitet sie über den Hof. Dort zeigt er ihr die Reifen von Alex’ Auto und klopft auf ihnen herum, woraufhin er mit schwarz verschmierten Wangen zurückkehrt. Trotzdem bin ich Sophia dankbar. Ohne sie wäre ich nicht in der Lage, so viele Stunden zu arbeiten. Meine Mutter wohnt zu weit entfernt, um als Babysitter einzuspringen. Sie hat uns ein paar Mal besucht, aber ihr Leben spielt sich in London ab, nicht hier. Auch ich habe mich früher als Londoner betrachtet – ich bin dort in einer Sozialwohnung aufgewachsen, einer ganz anderen Welt als Talyton St. George.

Wir hatten ein Kindermädchen – für ganze zwei Wochen. Sie schien mir perfekt, aber Sophia drückte von Anfang an ihre Missbilligung aus. Aus ihrer Sicht hätte ich ein einfaches Mädchen auswählen sollen, um Alex nicht in Versuchung zu führen; vollkommen lächerlich, muss ich rasch hinzufügen, und ganz und gar nicht der Grund für ihr Gehen. Es lag eher daran, dass die Scheune für uns alle zu klein war und dass das Kindermädchen eher Peyton Flanders in Die Hand an der Wiege ähnelte als der zauberhaften Nanny McPhee. Ich hatte angenommen, dass sie als ausgebildetes Kindermädchen mehr von Säuglingen verstünde als ich, hatte mich jedoch geirrt.

»Ich sollte besser in der Küche weitermachen«, sagt Sophia, als das Pferd in der Box neben der von Liberty anfängt, gegen die Tür zu treten.

»Die Hunde wollen auch ihr Fressen«, bemerkt der alte Fox-Gifford.

Darüber lächelnd, wie die Tiere im Fox-Gifford’schen Haushalt den Takt vorgeben, greife ich nach Georges heißer, klebriger Hand und will ihn gerade ins Haus bringen, als ein Handy klingelt. Der alte Fox-Gifford, den Gehstock über einen Arm geklemmt, müht sich, das Handy aus der Hosentasche zu ziehen. Es könnte eins der ersten Geräte sein, ein schwarzes, brikettähnliches Teil, das er da ans Ohr hält.

»Mach schon! Ich sage, mach schon!« Er starrt auf das Gerät und hämmert willkürlich auf einige Tasten. »Was ist mit dem verdammten Ding bloß los?«

»Ich habe dir gesagt, du brauchst ein neues«, sagt Alex, und ich kann nur amüsiert zusehen, wie anders Alex und sein Vater ihre Praxis führen als meine Partnerin Emma und ich unsere, während der alte Fox-Gifford plötzlich ziemlich abrupt die Person am anderen Ende der Leitung anbellt.

»Was ist los?«, fragt Alex, als der alte Fox-Gifford sein Handy anstarrt, um herauszufinden, wie man es ausschaltet. Ich bin mir sicher, dass er eine Brille braucht, aber er würde niemals eine tragen.

»Das war Jim von Sandy Down drüben.«

»Was will er denn dieses Mal?« Sophia zieht eine dünne Augenbraue hoch. »Du warst doch erst heute Morgen bei ihm, oder nicht?«

»Ich habe mir ein paar Kälber angesehen. Er will, dass ich noch mal einen Blick auf sie werfe, damit er heute Nacht gut schlafen kann.« Der alte Fox-Gifford grinst. »Ich habe ihm gesagt, er soll sich ein warmes Bad und einen Whiskey genehmigen – das wird ihm beim Einschlafen helfen. Blödmann.«

Sophia schaut ihn böse an. »Nicht in Anwesenheit von George.«

»Ich sehe nach den Kälbern«, sagt Alex.

»Warum?«, knurrt sein Vater ihn an, und sein Ton wird sogleich defensiv.

»Um dir zu ersparen, dass du noch einmal dorthin fahren musst.« Alex sieht hinab auf die Füße seines Vaters. Es ist mir bisher noch nicht aufgefallen, aber er trägt Hausschuhe – graue Mokassins. »Du siehst aus, als hättest du mit dem Tag bereits abgeschlossen«, fährt er leichthin fort.

»Ich bin herausgerannt, als deine Mutter mir von dem Fohlen erzählte. Nein, Alexander, ich fahre.«

»Willst du nicht erst die Hausschuhe ausziehen?«

»Ich habe immer ein Paar Stiefel im Auto.«

»Wir können zusammen fahren«, schlägt Alex vor.

»Ich komme schon zurecht. Ich bin doch …« Er öffnet den Mund, um einen Fluch auszustoßen, doch angesichts von Sophias Miene besinnt er sich eines Besseren. »… noch nicht tot.«

»Ich habe nicht …«, erwidert Alex, doch der alte Fox-Gifford schneidet ihm das Wort ab.

»Zu meiner Zeit hatte ich keinen freien Tag in der Woche, um bei meiner Familie zu sein.«

»In der Tat. Du warst nie da, als Alexander ein Baby war«, erwidert Sophia, doch er zieht es vor, sie zu ignorieren.

»Du kommst ohne mich nicht zurecht, Alexander, also wäre ich dir dankbar, wenn du endlich aufhören würdest, mich zu bevormunden, und mich stattdessen meine Arbeit machen ließest. Jim ist mein Klient. Er hat nach mir gefragt, also bringt es nichts, wenn du dort auftauchst.« Mit diesen Worten dreht sich der alte Fox-Gifford um und schlurft zu seinem verbeulten Range Rover, der schon bessere Tage gesehen hat, klettert hinein – noch immer in Mokassins –, lässt den Motor an und setzt dermaßen schnell zurück, dass der Kies aufspritzt. Er legt den Vorwärtsgang ein, gibt Gas und hinterlässt uns eine Spur aus öligem Qualm.

Als George später oben in seinem Bettchen im Kinderzimmer schläft, sitzen Alex und ich zusammen auf dem Sofa. Der alte rote Kater, der auf der Armlehne liegt, streckt eine Pfote aus und gräbt seine Krallen ins Leder. Versuchsweise werfe ich ihm einen mahnenden Blick zu, doch er nimmt keine Notiz davon. Es ist ohnehin zu spät, die Überreste des Sofas zu retten, und wahrscheinlich sollte ich anbieten, ein neues als Ersatz zu kaufen – Ginge ist meine Katze, und das Möbelstück gehört Alex.

»Alex, sag mir, warum hast du angeboten, für deinen Vater einzuspringen? Es ist dein freies Wochenende. Zeit für uns.« Ich strecke die Hand aus und streichle sein Knie. »Ich will nicht meckern, aber ich mache mir Sorgen um dich. Du reibst dich auf.«

»Maz, bitte jammere nicht.« Alex massiert meinen Nacken und löst die Verspannungen, die sich während der vergangenen Woche dort gebildet haben. »Du weißt doch, wie es ist.« Er lächelt reuevoll. »So ist nun mal das Leben eines Tierarztes.«

»Ich weiß eben nicht, wie es ist. Wir betreiben unsere Praxen auf unterschiedliche Art. Wir haben Angestellte. Herrgottnochmal, wir haben sogar einen zusätzlichen Tierarzt.«

»Aber das ist teuer, wie du sagst. Und du verlierst ein gewisses Maß an Kontrolle.«

»Es geht nicht um Kontrolle, Alex. Es geht um Teamwork. Im Otter House sind wir ein Team.« Ein tolles Team, denke ich, und vor Zuneigung und Stolz wird mir ganz warm ums Herz.

»Die Leute entscheiden sich für Talyton Manor, weil sie wissen, dass sie persönlich betreut werden. Sie können sichergehen, entweder mich oder meinen Vater zu bekommen.«

»Aber wie kannst du deine Arbeit gut machen, wenn du andauernd gerädert bist, weil du ständig Rufbereitschaft hast?«

»Ich mache dich doch trotzdem glücklich?«, flüstert Alex, lässt den Arm um meine Schultern gleiten und zieht mich eng an sich.

»Ja, das machst du …« Ich drehe mich um und küsse ihn auf den Mund. Er macht mich sehr glücklich, aber wir sind wie zwei Seiltänzer, die ständig darum bemüht sind, das Gleichgewicht zu halten. Privatleben und Arbeit in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen war bereits schwierig genug, aber als wir ungewollt ein Kind hinzufügten, haben Alex und ich das Leben noch komplizierter gemacht, als es schon war.

»Es wird leichter werden, Maz.« Alex drückt mich, und ich spüre, wie ich in seiner Umarmung dahinschmelze. »Weißt du, eines Tages wirst du jemandem eine fantastische Ehefrau sein.« Seine Stimme ist warm und neckend. »Wenn du dich je dazu entschließen könntest zu heiraten«, fügt er etwas schärfer hinzu.

»Ist das ein Wink, dass ich mit den Vorbereitungen vorankommen sollte?«

»Das wäre gut.«

»Wir haben noch keinen Termin festgelegt.«

Alex hat mir nach Georges Geburt einen Antrag gemacht, nach der Überschwemmung, und wir beschlossen so bald wie möglich zu heiraten. Bisher ist es jedoch noch nicht dazu gekommen – das Leben übernahm die Regie. Alex hat Tag und Nacht gearbeitet, ich war vollauf mit George und meiner Rückkehr in die Praxis beschäftigt, dann das Fiasko mit dem Kindermädchen … Eigentlich gibt es keine Entschuldigung dafür, aber wir haben es einfach nicht geschafft. »Wie wäre es mit nächstem Sommer?«, fahre ich fort und denke im Stillen, das würde mir genügend Zeit geben, eine Hochzeit zu organisieren.

»Ich finde, wir sollten an Weihnachten heiraten«, sagt Alex.

»Dieses Weihnachten?« Ich schaue auf den Ring an meinem Finger. Er ist aus antikem Gold mit einem Saphir und zwei Diamanten. Alex hat ihn mir gekauft, als wir einige Tage in London waren und mit George meine Mutter besuchten.

»Warum nicht?«

»Weil es nur noch … sechs Monate bis dahin sind?« Ich halte inne. »Das ist kein besonders guter Zeitpunkt, oder? Die meisten Leute – unsere Gäste – sind in der Adventszeit ziemlich beschäftigt.«

»Na ja, es hat keinen Sinn, auf einen guten Zeitpunkt zu warten, denn es wird niemals einen geben. Wir sind immer im Stress.« Alex schnuppert an meinem Haar. »Maz, ich liebe dich …«

»Ich dich auch …«, murmele ich, und mein Herz macht vor sehnsüchtigem Verlangen einen Satz. Wir sagen uns längst nicht oft genug, dass wir einander lieben. »Wie wäre es mit nächstem Frühjahr?«

»Ablammsaison. Kein guter Zeitpunkt für mich«, gibt Alex zu bedenken. »Und den ganzen Sommer über hast du viel zu tun.«

Er hat recht. Da die Leute ihre Haustiere gewöhnlich in letzter Minute impfen lassen, um sie in Tierpensionen unterbringen und selbst in Urlaub fahren zu können, und durch die zusätzlichen Termine für Urlaubsgäste, die mit ihren Tieren unterwegs sind, ist der Sommer die Jahreszeit, in der wir im Otter House am meisten zu tun haben.

»Dann also im Dezember«, sagt Alex. »Wie wäre es mit dem dritten Samstag im Monat? Ich habe den Termin im Kalender überprüft. Das würde heißen, dass wir Weihnachten mit den drei Kindern feiern und danach in die Flitterwochen fahren könnten. Noch Einwände?«

»Es wird ganz schön kalt sein …«, sage ich leichthin, denn ich kann nicht glauben, dass wir endlich einen Termin festgelegt haben. Bis Alex mir einen Antrag machte, hatte ich nie gedacht, dass ich der Typ fürs Heiraten wäre, aber mein Puls beschleunigt sich bei dem Gedanken, bald Mrs. Fox-Gifford zu sein …

»Du kannst dir einen von Mutters Pelzmänteln ausleihen.« Alex zieht mich auf. Er weiß, dass ich niemals echten Pelz tragen würde. Aus Prinzip nicht. »Komm schon, Maz. Es wäre etwas ganz Besonderes.«

»Weihnachtlich, meinst du«, sage ich lächelnd.

»Tja, warum nicht. Wir können Kerzen haben, Ilexzweige, Weihnachtslieder … Schnee.«

»Schnee?« Ich gebe Alex einen Stoß in die Rippen. »Schneit es jemals in Talyton?«

»Talyton ist nicht gerade berühmt für weiße Weihnachten. Genau genommen kann ich mich an kein einziges erinnern.« Alex grinst reuevoll und zieht mich so dicht an sich, dass ich kaum atmen kann. »Also, Maz, es tut mir leid, wenn du das Gefühl hast, dass ich dich und George vernachlässige, und da Vater nicht mehr so fit ist, wie er es einmal war, kann ich nicht viel an meiner Arbeitszeit ändern, aber eins verspreche ich dir …« Er drückt seine Lippen auf meine. »An Weihnachten werden wir verheiratet sein.«

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Vor George

VG – Vor George – war alles so … geordnet. Unter den gegebenen Umständen habe ich das Gefühl, als ränne ich ständig wie ein kopfloses Huhn durch die Gegend. Ich binde mein Oberteil zu, eines dieser lustigen mit Zeichentricktieren auf einem lilafarbenen Hintergrund, lasse einen nur zur Hälfte ausgetrunkenen Becher mit schwarzem Kaffee im Personalraum des Otter House zurück und begebe mich ins Behandlungszimmer, wo ich den Computer einschalte und die Terminliste hochlade. Ich hatte gehofft – nein, ich hatte darauf gebrannt, korrigiere ich mich selbst –, Emma anzutreffen, um ihr meine Neuigkeiten zu erzählen, aber ich werde damit warten müssen. Sie ist noch nicht da.

Wenn man Frances, unserer Empfangssekretärin, glauben darf, steht sie im Stau, aber das muss ein Euphemismus sein und heißt eigentlich, dass sie verschlafen hat. Es gibt keinen Verkehr um diese Zeit montagmorgens in Talyton, es sei denn, es sind Schulferien – dann bringen ganze Schlangen von Fahrzeugen die Urlauber zu jeder Tageszeit an die Küste und führen in den engen Einbahnstraßen zu einem totalen Verkehrskollaps.

Mir fällt auf, dass ich immer noch meinen Verlobungsring anhabe. Ich lasse ihn vom Finger gleiten und schiebe ihn auf meine Kette, eine diskrete Goldkette, die ich extra zu diesem Zweck gekauft habe. Da ich weiß, wie gut ich darin bin, mein Stethoskop zu verlegen, mache ich mir berechtigte Sorgen über etwas, was so klein ist wie mein Ring.

Ich rufe den ersten Patienten des Tages vom Empfang zu mir herein. Es ist Clive, der mit seiner Frau Edie den Talymill Inn unten am Fluss betreibt. Er ist Ende fünfzig, sieht aber älter aus. Er stellt eine Kunststoffbox auf die Gummimatte des Behandlungstisches, als wäre es eine Stiege Eier, öffnet das Gitter und ruft nach der Katze, die darin hockt.

»Cassandra, komm raus! Cassandra … Cassie, Liebes …« Seine Stimme, die noch immer eine Spur seines Ost-Londoner Akzents verrät, wird unnatürlich hoch, doch auch die Süßholzraspelei veranlasst Cassandra nicht dazu, sich herauszutrauen. Clive hebt die Transportbox an und hält sie sanft schräg, damit die Katze herausrutscht, aber sie bleibt entschlossen drinnen. Er versucht es mit einer anderen Taktik, nimmt eine kleine Packung mit Katzenleckerli aus der Hosentasche und schüttelt sie, doch keine Reaktion. Cassie ist nicht dumm.

»Das ist der Unterschied zwischen Katzen und Hunden«, bemerke ich. »Einem Hund kann man sagen, was er tun soll, aber eine Katze kann man nur darum bitten.« Clive hat vorher immer Hunde gehabt: den ehemaligen Polizeihund Robbie und eine Tierheimhündin namens Petra, die Alex und ich vor einigen Jahren einschläfern mussten, als sie ohne ersichtlichen Grund Edie angegriffen hat. »Soll ich sie für Sie herausholen?«, fahre ich amüsiert fort, doch Clive nimmt gerade die Transportbox auseinander.

Er hebt das Dach ab und gewährt mir so einen Blick auf die Katze, die eingeschüchtert und argwöhnisch auf einem lila Kissen sitzt. Als Clives große Hände nach unten greifen, um sie zu packen, springt sie auf den Rand des Tisches, doch es ist zu spät. Clive nimmt sie hoch und drückt sie an seine Brust.

»Das reicht jetzt«, rügt er sie.

Klient und Haustier sind ein unpassendes Paar: ein stämmiger Expolizist mit einem freundlichen Lächeln und zwinkernden Augen und eine flauschige blau-cremefarbene Perserkatze mit ziemlich mürrischer Miene. Clives Kopfhaut ist straff und glatt, und sein schwarzes Hemd spannt über seinem Bauchansatz. Cassie, die mehr als genügend Haare für sie beide hat, trägt ein Strasshalsband und sieht aus, als würde sie fast zu Tode gebürstet.

»Was führt Sie zu mir? Ich habe Sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«

»Sie haben mich vermisst, nicht wahr, Maz?« Clive lächelt und hält Cassie fest, die darum kämpft, sich aus seinem Griff zu befreien. »Sie hätten ruhig zu mir kommen können. Sie wissen ja, wo ich wohne.«

Es ist ein unbeschwertes Geplänkel. Ich kenne ihn jetzt seit drei Jahren, als ich damals Robbie operierte, und bin eine bald verheiratete Frau, und er tut so, als wäre er ein gelangweilter Ehemann, aber das ist er nicht. Er würde alles für Edie tun.

»Wie geht es Edie?«, frage ich. »Ich dachte, sie würde auch mitkommen.«

»Ach, sie hat eine harte Nacht hinter sich. Hatte viel zu tun. Am Tresen, meine ich.«

»Tja, schön zu hören, dass ihr immer noch so beliebt seid«, sage ich und überspiele so die etwas unangenehme Stille, während Clive anscheinend überlegt, ob er sich etwas von der Seele reden soll oder nicht. Ich mag Clive, und ich habe großen Respekt vor ihm und Edie und davor, wie sie den Talymill Inn restauriert haben, aber ich bin Tierärztin, keine Kummerkastentante.

»Um ehrlich zu sein, haben wir zu viel zu tun«, sagt Clive. »Manchmal habe ich das Gefühl, wir wären die Opfer unseres eigenen Erfolges. Wir wollten uns hier eigentlich zur Ruhe setzen, ein stilleres Leben führen, doch so ist es nicht gekommen. Wir arbeiten mehr als je zuvor, und ich denke daran, alles aufzugeben.« Ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch. »Sie wissen ja, wie das ist«, fährt er fort. »Man bekommt keine Mitarbeiter. Oder man kriegt sie, aber sie schaffen den Job nicht. Was ist mit Ihnen und Emma?«

»Wir nehmen im Augenblick keine neuen Patienten an. Unser Assistenzarzt fängt heute an, aber es wird eine Weile dauern, bis er sich eingearbeitet hat. Er hat gerade erst sein Studium abgeschlossen. Ich hoffe, es wird ihm hier gefallen.«

»Sie haben einiges verändert, seit ich zum letzten Mal hier war.«