Friedrich Schiller


Wilhelm Tell

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-944869-36-0


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Erste Szene


Hohes Felsenufer des Vierwaldstättersees, Schwyz gegenüber.

Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Über den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwyz im hellen Sonnenschein liegen. Zur Linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur Rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Herdenglocken, welches sich auch bei eröffneter Szene noch eine Zeitlang fortsetzt.


Fischerknabe singt im Kahn:

Melodie des Kuhreihens
Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
Da hört er ein Klingen,
Wie Flöten so süss,
Wie Stimmen der Engel
Im Paradies.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spülen die Wasser ihn um die Brust,
Und es ruft aus den Tiefen:
Lieb Knabe, bist mein!
Ich locke den Schäfer,
Ich zieh ihn herein.

Hirte auf dem Berge:

Variation des Kuhreihens
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senn muss scheiden,
Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kuckuck ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fliessen im lieblichen Mai
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muss scheiden,
Der Sommer ist hin.

Alpenjäger erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen:

Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,
Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,
Er schreitet verwegen
Auf Feldern von Eis,
Da pranget kein Frühling,
Da grünet kein Reis;
Und unter den Füssen ein neblichtes Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,
Durch den Riss nur der Wolken
Erblickt er die Welt,
Tief unter den Wassern
Das grünende Feld.

Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend. Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte, Werni der Jäger steigt vom Felsen, Kuoni der Hirte kommt, mit dem Melknapf auf der Schulter. Seppi, sein Handbube, folgt ihm.

Ruodi:

Mach hurtig Jenni. Zieh die Naue ein.
Der graue Talvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,
Der Mythenstein zieht seine Haube an,
Und kalt her bläst es aus dem Wetterloch,
Der Sturm, ich mein, wird dasein, eh wir's denken.

Kuoni:

's kommt Regen, Fährmann. Meine Schafe fressen
Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.

Werni:

Die Fische springen, und das Wasserhuhn
Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug.

Kuoni zum Buben:

Lug Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.

Seppi:

Die braune Liesel kenn ich am Geläut.

Kuoni:

So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.

Ruodi:

Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.

Werni:

Und schmuckes Vieh – Ist's Euer eigenes, Landsmann?

Kuoni:

Bin nit so reich – 's ist meines gnädigen Herrn,
Des Attinghäusers, und mir zugezählt.

Ruodi:

Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht!

Kuoni:

Das weiss sie auch, dass sie den Reihen führt,
Und nähm ich ihr's, sie hörte auf zu fressen.

Ruodi:

Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft'ges Vieh –

Werni:

Ist bald gesagt. Das Tier hat auch Vernunft,
Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen,
Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,
'ne Vorhut aus, die spitzt das Ohr und warnet
Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.

Ruodi zum Hirten:

Treibt Ihr jetzt heim?

Kuoni:

Die Alp ist abgeweidet.

Werni:

Glücksel'ge Heimkehr, Senn!

Kuoni:

Die wünsch ich Euch,
Von Eurer Fahrt kehrt sich's nicht immer wieder.

Ruodi:

Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.

Werni:

Ich kenn ihn, 's ist der Baumgart von Alzellen.

Konrad Baumgarten atemlos hereinstürzend

Baumgarten:

Um Gottes willen, Fährmann, Euren Kahn!

Ruodi:

Nun, nun, was gibt's so eilig?

Baumgarten:

Bindet los!
Ihr rettet mich vom Tode! Setzt mich über!

Kuoni:

Landsmann, was hat Ihr?

Werni:

Wer verfolgt Euch denn?

Baumgarten zum Fischer:

Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!
De Landvogts Reiter kommen hinter mir,
Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.

Ruodi:

Warum verfolgen Euch die Reisigen?

Baumgarten:

Erst rettet mich, und dann steh ich Euch Rede.

Werni:

Ihr seid mit Blut befleckt, was hat's gegeben?

Baumgarten:

Des Kaisers Burgvogt, der auf dem Rossberg sass –

Kuoni:

Der Wolfenschiessen! Lässt Euch der verfolgen?

Baumgarten:

Der schadet nicht mehr, ich hab ihn erschlagen.

Alle fahren zurück:

Gott sei Euch gnädig! Was habt Ihr getan?

Baumgarten:

Was jeder freie Mann an meinem Platz!
Mein gutes Hausrecht hab ich ausgeübt
Am Schänder meiner Ehr und meines Weibes.

Kuoni:

Hat Euch der Burgvogt an der Ehr geschädigt?

Baumgarten:

Dass er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.

Werni:

Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?

Kuoni:

O lasst uns alles hören. Ihr habt Zeit,
Bis er den Kahn vom Ufer losgebunden.

Baumgarten:

Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt
Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.
"Der Burgvogt liegt in meinem Haus, er hab
Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten."
Drauf hab er Ungebührliches von ihr
Verlangt, sie sei entsprungen, mich zu suchen.
Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,
Und mit der Axt hab ich ihm 's Bad gesegnet.

Werni:

Ihr tatet wohl, kein Mensch kann Euch drum schelten.

Kuoni:

Der Wüterich! Der hat nun seinen Lohn!
Hat's lang verdient ums Volk von Unterwalden.

Baumgarten:

Die Tat ward ruchbar, mir wird nachgesetzt –
Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –

Es fängt an zu donnern

Kuoni:

Frisch Fährmann – Schaff den Biedermann hinüber.

Ruodi:

Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist
Im Anzug. Ihr müsst warten.

Baumgarten:

Heil'ger Gott!
Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tötet –

Kuoni zum Fischer:

Greif an mit Gott, dem Nächsten muss man helfen,
Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.

Brausen und Donnern

Ruodi:

Der Föhn ist los, ihr seht wie hoch der See geht,
Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.

Baumgarten umfasst seine Knie:

So helf Euch Gott, wie Ihr Euch mein erbarmet –

Werni:

Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.

Kuoni:

s'ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!

Wiederholte Donnerschläge

Ruodi:

Was? Ich hab auch ein Leben zu verlieren,
Hab Weib und Kind daheim, wie er – Seht hin
Wie's brandet, wie es wogt und Wirbel zieht,
Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.
– Ich wollte gern den Biedermann erretten,
Doch es ist rein unmöglich, ihr seht selbst.

Baumgarten noch auf den Knien:

So muss ich fallen in des Feindes Hand,
Das nahe Rettungsufer im Gesichte!
– Dort liegt's! Ich kann's erreichen mit den Augen
Hinüberdringen kann der Stimme Schall,
Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,
Und muss hier liegen, hülflos, und verzagen!

Kuoni:

Seht wer da kommt!

Werni:

Es ist der Tell aus Bürglen!

Wilhelm Tell mit der Armbrust

Wilhelm Tell:

Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?

Kuoni:

's ist ein Alzeller Mann, er hat sein Ehr
Verteidigt, und den Wolfenschiess erschlagen,
Des Königs Burgvogt, der auf Rossberg sass –
Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen.
Er fleht den Schiffer um die Ueberfahrt,
Der fürcht't sich vor dem Sturm und will nicht fahren.

Ruodi:

Da ist der Tell, er führt das Ruder auch,
Der soll mir's zeugen, ob die Fahrt zu wagen.

Wilhelm Tell:

Wo's not tut, Fährmann, lässt sich alles wagen.

Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf

Ruodi:

Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?
Das täte keiner, der bei Sinnen ist.

Wilhelm Tell:

Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt,
Vertrau' auf Gott und rette den Bedrängten.

Ruodi:

Vom sicheren Port lässt sich's gemächlich raten,
Da ist der Kahn und dort der See! Versucht's!

Wilhelm Tell:

Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,
Versuch es Fährmann!

Hirten und Jäger:

Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!

Ruodi:

Und wär's mein Bruder und mein leiblich Kind,
Es kann nicht sein, s'ist heut Simons und Judä,
Da rast der See und will sein Opfer haben.

Wilhelm Tell:

Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,
Die Stunde dringt, dem Mann muss Hülfe werden.
Sprich, Fährmann, willst du fahren?

Ruodi:

Nein, nicht ich!

Wilhelm Tell:

In Gottes Namen denn! Gib her den Kahn,
Ich will's mit meiner schwachen Kraft versuchen.

Kuoni:

Ha, wackrer Tell!

Werni:

Das gleicht dem Waidgesellen!

Baumgarten:

Mein Retter seid Ihr und mein Engel, Tell!

Wilhelm Tell:

Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich Euch,
Aus Sturmesnöten muss ein andrer helfen.
Doch besser ist's, Ihr fallt in Gottes Hand,
Als in der Menschen! Zu dem Hirten: Landsmann, tröstet Ihr
Mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet,
Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte.

Er springt in den Kahn

Kuoni zum Fischer:

Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich
Der Tell getraut, das konntet Ihr nicht wagen?

Ruodi:

Wohl bessre Männer tun's dem Tell nicht nach,
Es gibt nicht zwei, wie der ist, im Gebirge.

Werni ist auf den Fels gestiegen:

Er stösst schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer!
Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!

Kuoni am Ufer:

Die Flut geht drüber weg – Ich seh's nicht mehr.
Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich
Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.

Des Landvogts Reiter kommen angesprengt

Kuoni:

Weiss Gott, sie sind's! das war Hülf in der Not.

Ein Trupp Landenbergischer Reiter

Erster Reiter:

Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.

Zweiter:

Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn.

Kuoni und Ruodi:

Wen meint ihr, Reiter?

Erster Reiter entdeckt den Nachen:

Ha, was seh ich! Teufel!

Werni oben:

Ist's der im Nachen, den ihr sucht? – Reit zu!
Wen ihr frisch beilegt, holt ihr ihn noch ein.

Zweiter:

Verwünscht! Er ist entwischt.

Erster zum Hirten und Fischer:

Ihr habt ihm fortgeholfen,
Ihr sollt uns büssen – Fallt in ihre Herde!
Die Hütte reisset ein, brennt und schlagt nieder!

Eilen fort

Seppi stürzt nach:

O meine Lämmer!

Kuoni folgt:

Weh mir! Meine Herde!

Ruodi ringt die Hände:

Gerechtigkeit des Himmels,
Wann wird der Retter kommen diesem Lande?

Folgt ihnen

Dritte Szene


Öffentlicher Platz bei Altdorf. Auf einer Anhöhe im Hintergrund sieht man eine Feste bauen, welche schon so weit gediehen, dass sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vordern wird eben gebaut, das Gerüste steht noch, an welchem die Werkleute auf und niedersteigen, auf dem höchsten Dach hängt der Scheiferdecker – Alles ist in Bewegung und in Arbeit

Fronvogt. Meister Steinmetz. Gesellen und Handlanger.


Fronvogt mit dem Stabe, treibt die Arbeiter:

Nicht lange gefeiert, frisch! Die Mauersteine
Herbei, den Kalk, den Mörtel zugefahren!
Wenn der Herr Landvogt kommt, dass er das Werk
Gewachsen sieht – Das schlendert wie die Schnecken.

Zu zwei Handlangern, welche tragen:

Heisst das geladen? Gleich das Doppelte!
Wie die Tagdiebe ihre Pflicht bestehlen!

Erster Gesell:

Das ist doch hart, dass wir die Steine selbst
Zu unserm Twing und Kerker sollen fahren!

Fronvogt:

Was murret ihr? Das ist ein schlechtes Volk,
Zu nichts anstellig als das Vieh zu melken,
Und faul herumzuschlendern auf den Bergen.

Alter Mann ruht aus:

Ich kann nicht mehr.

Fronvogt schüttelt ihn:

Frisch Alter an die Arbeit!

Erster Gesell:

Habt ihr denn gar kein Eingeweid, dass ihr
Den Greis, der kaum sich selber schleppen kann,
Zum harten Frondienst treibt?

Meister Steinmetz und Gesellen:

's ist himmelschreiend!

Fronvogt:

Sorgt ihr für euch, ich tu was meines Amts.

Zweiter Gesell:

Fronvogt, wie wird die Feste denn sich nennen
Die wir da baun?

Fronvogt:

Zwing Uri soll sie heissen,
Denn unter dieses Joch wird man euch beugen.

Gesellen:

Zwing Uri!

Fronvogt:

Nun was gibt's dabei zu lachen?

Zweiter Gesell:

Mit diesem Häuslein wollt ihr Uri zwingen?

Erster Gesell:

Lass sehn, wieviel man solcher Maulwurfshaufen
Muss übereinander setzen, bis ein Berg
Draus wird, wie der geringste nur in Uri!

Fronvogt geht nach dem Hintergund

Meister Steinmetz:

Den Hammer werf ich in den tiefsten See,
Der mir gedient bei diesem Fluchgebäude!

Tell und Stauffacher kommen

Stauffacher:

O hätt ich nie gelebt, um das zu schauen!

Wilhelm Tell:

Hier ist nicht gut sein. Lass uns weitergehn.

Stauffacher:

Bin ich zu Uri in der Freiheit Land?

Meister Steinmetz:

O Herr, wenn ihr die Keller erst gesehn
Unter den Trümmern! Ja wer die bewohnt,
Der wird den Hahn nicht fürder krähen hören!

Stauffacher:

O Gott!

Meister Steinmetz:

Seht diese Flanken, diese Strebepfeiler,
Die stehn, wie für die Ewigkeit gebaut!

Wilhelm Tell:

Was Hände bauten, können Hände stürzen.

Nach den Bergen zeigend:

Das Haus der Freiheit hat uns Gott gegründet.

Man hört eine Trommel, es kommen Leute, die einen Hut auf der Stange tragen, ein Ausrufer folgt ihnen, Weiber und Kinder dringen tumultarisch nach

Erster Gesell:

Was will die Trommel? Gebet acht!

Meister Steinmetz:

Was für ein Fasnachtsaufzug und was soll der Hut?

Ausrufer:

In des Kaisers Namen! Höret!

Gesellen:

Still doch! Höret!

Ausrufer:

Ihr sehet diesen Hut, Männer von Uri!
Aufrichten wird man ihn auf hoher Säule,
Mitten in Altdorf, an dem höchsten Ort,
Und dieses ist des Landvogts Will und Meinung:
Dem Hut soll gleiche Ehre wie ihm selbst geschehn,
Man soll ihn mit gebognem Knie und mit
Entblösstem Haupt verehren – Daran will
Der König die Gehorsamen erkennen.
Verfallen ist mit seinem Leib und Gut
Dem Könige, wer das Gebot verachtet.

Das Volk lacht laut auf, die Trommel wird gerührt, sie gehen vorüber

Erster Gesell:

Welch neues Unerhörtes hat der Vogt
Sich ausgesonnen! Wir 'nen Hut verehren!
Sagt! Hat man je vernommen von dergleichen?

Meister Steinmetz:

Wir unsre Knie beugen einem Hut!
Treibt er sein Spiel mit ernsthaft würd'gen Leuten?

Erster Gesell:

Wär's noch die kaiserliche Kron! So ist's
Der Hut von Österreich, ich sah ihn hangen
Über dem Thron, wo man die Lehen gibt!

Meister Steinmetz:

Der Hut von Österreich! Gebt acht, es ist
Ein Fallstrick, uns an Östreich zu verraten!

Gesellen:

Kein Ehrenmann wird sich der Schmach bequemen.

Meister Steinmetz:

Kommt, lasst uns mit den andern Abred nehmen.

Sie gehen nach der Tiefe

Tell zum Stauffacher:

Ihr wisset nun Bescheid. Lebt wohl, Herr Werner!

Stauffacher:

Wo wollt ihr hin? O eilt nicht so von dannen.

Wilhelm Tell:

Mein Haus entbehrt des Vaters. Lebet wohl.

Stauffacher:

Mir ist das Herz so voll, mit Euch zu reden.

Wilhelm Tell:

Das schwere Herz wird nicht durch Worte leicht.

Stauffacher:

Doch könnten Worte uns zu Taten führen.

Wilhelm Tell:

Die einz'ge Tat ist jetzt Geduld und Schweigen.

Stauffacher:

Soll man ertragen, was unleidlich ist?

Wilhelm Tell:

Die schnellen Herrscher sind's, die kurz regieren.
– Wenn sich der Föhn erhebt aus seinen Schlünden,
Löscht man die Feuer aus, die Schiffe suchen
Eilends den Hafen, und der mächt'ge Geist
Geht ohne Schaden, spurlos, über die Erde.
Ein jeder lebe still bei sich daheim,
Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden.

Stauffacher:

Meint ihr?

Wilhelm Tell:

Die Schlange sticht nicht ungereizt.
Sie werden endlich doch von selbst ermüden,
Wenn sie die Lande ruhig bleiben sehn.

Stauffacher:

Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden.

Wilhelm Tell:

Beim Schiffbruch hilft der einzelne sich leichter.

Stauffacher:

So kalt verlasst ihr die gemeine Sache?

Wilhelm Tell:

Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst.

Stauffacher:

Verbunden werden auch die Schwachen mächtig.

Wilhelm Tell:

Der Starke ist am mächtigsten allein.

Stauffacher:

So kann das Vaterland auf Euch nicht zählen,
Wenn es verzweiflungsvoll zur Notwehr greift?

Wilhelm Tell gibt ihm die Hand:

Der Tell holt ein verlornes Lamm vom Abgrund,
Und sollte seinen Freunden sich entziehen?
Doch was ihr tut, lasst mich aus eurem Rat,
Ich kann nicht lange prüfen oder wählen,
Bedürft ihr meiner zu bestimmter Tat,
Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen.

Gehen ab zu verschiedenen Seiten - Ein plötzlicher Auflauf entsteht um das Gerüste

Meister Steinmetz eilt hin:

Was gibt's?

Erster Gesell kommt vor, rufend:

Der Schieferdecker ist vom Dach gestürzt.

Berta mit Gefolge

Berta stürzt herein:

Ist er zerschmettert? Rennet, rennet, helft –
Wenn Hilfe möglich, rettet, hier ist Gold –

Wirft ihr Geschmeide unter das Volk

Meister Steinmetz:

Mit eurem Golde – Alles ist euch feil
Um Gold, wenn ihr den Vater von den Kindern
Gerissen und den Mann von seinem Weibe,
Und Jammer habt gebracht über die Welt,
Denkt ihr's mit Golde zu vergüten – Geht!
Wir waren frohe Menschen eh ihr kamt,
Mit euch ist die Verzweiflung eingezogen.

Berta zu dem Fronvogt, der zurückkommt:

Lebt er?

Fronvogt gibt ein Zeichen des Gegenteils

O unglücksel'ges Schloss, mit Flüchen
Erbaut, und Flüche werden dich bewohnen!

Geht ab

Zweite Szene