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Aus den Tiefen

der Sieg

Maria Reinartz

Krimi

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Die Handlung in diesem Krimi ist erdacht. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Ereignissen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, an denen die Geschichten spielen, dienen lediglich der Illustration und stehen in keinem tatsächlichen Zusammenhang zu den geschilderten Vorfällen.

Maria Reinartz

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Titelfoto von Bruno Reinartz

Impressum

eISBN 978-3-939829-98-0

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Inhalt

Prolog

1: Dienstag, früher Morgen

2: Dienstag, 9:30 Uhr

3: Spurensicherung und Kriminaltechnik

4: Lissy

5: Shukran und Tina

6: Troisdorfer Kommissariat, 12 Uhr

7: Dienstag, 20 Uhr, Beim „Schorsch“

8: In der Wohngemeinschaft

9: Die Botschaft

10: Tina unterwegs nach Bonn

11: Tina trifft Peter

12: Dienstag, später Abend, Kaspars Gedanken

13: Lissy am Mittwochmorgen

14: Kommissariat Troisdorf, Poststraße

15: Auf dem Weg zur Siegfähre

16: Ungewissheit

17: Aufgeregte Fahrt nach Hause

18: Fahndung

19: Mittwochmittag in der Wohngemeinschaft

20: Tina entführt?

21: Marlenes Troosdorfer Kiosk

22: Marlenes Statement

23: Mittwoch, 14 Uhr, Wohngemeinschaft

24: Mittwoch, 14:30 Uhr, Peters Info

25: Zweite Botschaft

26: Mittwoch, 15 Uhr

27: Dienstag, Tinas Höllentour

28: Mittwoch, 16 Uhr

29: Spurensuche in Marlenes Kiosk

30: Recherche

31: Mittwoch, 18 Uhr

32: Mittwoch, 19 Uhr

33: Mittwoch, 19:30 Uhr

34: Kommissariat

35: Neuer Verdacht

36: Überprüfung der Jäger

37: Burg Wissem

38: Kommissariat: Verdächtiger

39: Die Natur und der Schäfer

40: Michels Jagdseminar

41: Kaspar und Justus im Hause von Berg

42: Justus Recherchen

43: Kunsttransport

44: Shukran

45: Endzeitstimmung

46: Jagdinstinkt

47: Auf der Spur zum Täter

48: Beim Schäfer

49: Kaspars Bericht

50: Das neue Leben

51: Das Vermächtnis

52: Einführung als Kommissarin

Danksagung

Abraham Lincoln, 16. Präsident der USA:
„Halte Dir jeden Tag dreißig Minute für
Deine Sorgen frei, und in dieser Zeit mache
ein Nickerchen.“

… oder lese einen Krimi

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Maria Reinartz, hier geboren und geblieben, in Troisdorf-Bergheim an der Sieg.

Inspiriert von der Kraft der Mythen der Natur ihrer Heimat, aufgewachsen mit sagenumwobenen Erzählungen.

Widmet auch diese Geschichte den Freunden der Siegaue und der Spurensuche für die Wahrheit.

www.siegauenkrimi.de

Prolog

Es war die Sieg, mit ihrem dunkelsilbrigen Wasser. Mit ihren verborgenen Strudeln, wo es, wie abgeschnitten, in die Tiefe ging, dort wo sie ihre Todesstrudeln verbarg. Die Mystik dieses Flusses, der über dicke Basaltsteine übermütig floss und an seichtem Auenufer liebenswürdig plätscherte, verzauberte ihn. Er starrte auf das Gesicht, dass sich im Wasser spiegelte. Eine Mischung aus Hass und Ablehnung wallte in ihm auf. Das Wasser gurgelte. Kleine Strudeln, wie mit einem Kreisel, zerrten sein Gesicht in den Abgrund, bis es nicht mehr erkennbar war. Aus seinem Mund rauchte der schwere Atem. Unheimlich, im Nebel des Morgengrauens kreiste der Bussard mit seinen weiten Schwingen über ihm. Er verfolgte einen Augenblick diesen Flug.

Sein Atem beruhigte sich. Er musste zurück zum Ufer. Mit jedem Schritt, den er auf die mächtigen Bäume zuging, löste Wut und Enttäuschung sich auf, als höre er der Bäume Stimme. Er kletterte rutschend über die nassen Steine. Jetzt fühlte er es. Endlich. Unter einem überirdischen Schutz zu stehen. Stolz und Macht waren seine Brüder.

Plötzlich beugten sich die mächtigen Baumkronen der Halbinsel Kemper Werth. Der wilde Wind rauschte darüber hinweg und der Sturm quoll hervor aus den tiefen Gründen der Sieg. Alles mysteriöse sog er auf. Das Wasser schäumte. Die Halbinsel stemmte sich dagegen, um das Geheimnisvolle umzuwandeln und in einer Brise dem Rhein zu übergeben. An der magischen Mündung der Sieg in den Rhein. Die Zeit war reif. Er fühlte jetzt die Kraft der Mächtigen aus den Tiefen der Sieg und würde entscheiden über Leben und Tod. Endlich würde man ihn respektieren. Seine Wahrheit als die richtige erkennen.

1: Dienstag, früher Morgen

Es war Dienstag, ein trüber Himmel verdrängte die Morgensonne dieses Junitages. Die Bonner Leitstelle nahm den Notruf entgegen. Ein Mann soll an einem Pfeiler unter der Brücke der L 269 liegen, ca. zehn Meter von der Siegfähre Bergheim entfernt. Es sei Blut zu sehen und er bewege sich nicht. Der Eingang dieses Anrufs wurde mit 7:50 Uhr protokolliert. Eine Streifenwagenbesatzung und ein Rettungswagen trafen um 7:55 Uhr am Tatort ein. Die Erstmeldung des Polizeihauptmeisters, Gerd Knecht, über Funk lautete: „Tod einer männlichen Person, liegt auf dem Rücken, komplett bekleidet. Außer einem Schuh, der am rechten Fuß fehlt, dieser liegt ca. einen Meter entfernt. Verkrustetes Blut unterhalb einer Kopfwunde. Entstellte Gesichtszüge. Der Melder, Wirt des Restaurant ‚Siegfähre‘, kennt ihn persönlich. Informiere den Leiter/KK 1.“

Der leitende Kriminalhauptkommissar Willi Röttgen im Bonner Präsidium informierte umgehend den Kommissar der Tagesbereitschaft Troisdorf, Kaspar Heimberg.

„Kaspar in Deinem Einzugsgebiet, Bergheim, unter der Brücke L 269, Nähe Siegfähre, liegt eine männliche Leiche. Mordkommissions-Bereitschaft mit Spurensicherung und Gerichtsmedizin sind alarmiert, bin mit der Staatsanwältin in 30 Minuten vor Ort. Bringe Deine Jungs mit.“

„Nach telefonischem Kontakt des L/KK Röttgen und den Polizisten vor Ort, sei kein Menschenauflauf am Fundort, nur Angestellte des Restaurants und zwei Hundebesitzer. Die weiträumige Absperrung erfolgt um 8:05 Uhr. Um 8:15 Uhr wird mit der Aufnahme der Personalien der anwesenden Personen begonnen“, stand später im Einsatzprotokoll.

„An der Siegfähre? Eine Leiche? Do wollt ich eijentlich erst zum Ovendesse hin“, murmelte Kriminalhauptkommissar Kaspar Heimberg und zog seine Augenbrauen zusammen. Fast gleichzeitig nahm er seine, in die Jahre gekommene schwarze Lederjacke von der Stuhllehne, fuhr mit seinen gespreizten Fingern durch sein volles, weißes Haar und rief zu Frank und Guido: „Kollejen, schnell, wir haben Arbeit und fahren mit zwei Autos. Mir reicht der Fiesta, die Leich jeht net loove.“

Kaspar gab die Code-Nummer ein und die Tür zum Fuhrpark öffnete sich.

„Geht es dir nicht gut, Kaspar?“, wollte sein Kollege Frank Junk wissen.

„Een Leiche an der Siegfähre und hück Ovendesse zum 70. Jeburtstag vom Heinrich von Berg, do widd wohl nix us däm jemütliche Ovend.

Seine Stimme klang ungewöhnlich nervös.

„Wenn es spät wird heute Abend, regeln wir das schon, genieße Deine Einladung“, meinte der junge Kollege Guido mit einem Augenzwinkern.

Die kleinen hellblauen Augen unter den buschigen Brauen sandten Blitzpfeile. Das faltenreiche Gesicht seines Chefs, Kaspar Heimberg, veränderte sich in eine furchige Mondlandschaft und ein Blick auf den augenrollenden Kollegen, Frank, zeigten ihm blitzschnell: Falsch gedacht.

„Frank, erzähl mal dem Kommissaranwärter Guido, MK ist eine Mordkommission im Teamwork und der Chef kommt erst zur Ruhe, wenn der Mörder gefasst ist und gönnt sich dann einen gemütlichen Abend mit Herrengedeck in der Kneipe beim Schorsch!“ „Und redet fast nur noch Hochdeutsch, denkt aber im Dialekt“, schmunzelte Frank.

„So isset. Also los!“

Frank grinste und warf Guido den Schlüssel für den Audi zu. Den er mit seinen 1,90 m entspannt aufschnappte.

Kaspar fuhr mit seinem Dienstauto voraus Richtung Neubau Einkaufscenter, das frühere Bürgerhaus, rechts auf den Williy-Brandt-Ring. Guido, wie ein neugieriger großer Junge, spürte die innere Spannung auf diesen neuen Fall und wunderte sich, warum Frank so lange schwieg.

„Wie lange bist Du schon mit dem Alten in der Abteilung?“

„Fünf Jahre arbeiten wir zusammen“, erwiderte Frank ohne seine Augen von der Fahrbahn zu lassen.

„Nervt der Dialekt nicht manchmal?“, meinte Guido und schaute Frank schief an.

„Nä“, versicherte Frank mit einem Lächeln, „es gehört zu ihm.“ Frank schüttelte unmerklich den Kopf. Guido wusste noch nicht so recht, wie er Kaspar Heimberg einordnen sollte. „Hey, neben uns fährt der Sommer“, scherzte er und meinte die junge Frau, die mit fröhlichem Gesicht sich des Lebens zu erfreuen schien. Ihr rotes, langes Haar hatte die gleiche Farbe wie ihr Cabriolet.

„Mensch Guido, Am Autobahnkreuz rechts Dreieck Beuel und rechts den Schildern Richtung Koblenz folgen.“

„Erschrecke mich doch nicht“, entfuhr es Guido und atmete durch.

„Dann fahre bei der Ausfahrt Beuel Richtung Niederkassel und konzentriere dich auf die Siegaue.“ Für die Schönheit der weitläufigen Siegaue mit ihrer urwüchsigen Natur hatten jetzt beide keinen Blick.

„Der Chef hat aber ein Tempo drauf, er biegt bereits von der Oberstraße ab.“

„Tja, Du solltest ihn nie unterschätzen“, meinte Frank dazu.

Als Kaspar in die Siegfährenstraße einbog, spürte er, wie tief im Innern seines Körpers eine ihm wohlbekannte Unruhe aufzog. Heinrich von Berg hat ihm die Siegaue ans Herz gelegt. Jeden Meter weiter bis unter der Brücke L 269 war ihm alles so wohl vertraut. Ein großes Aufgebot an Polizeiwagen war vom Dorf aus zu sehen. Das Dorf lag erhöht hinter ihm und vor sich der Beginn der urwüchsigen Siegauenlandschaft. Kaspar fragte sich, ob das Wirklichkeit sei, eine Leiche an der Siegfähre.

„Die Halunke losse sich noch net mol von der wunderbaren Natur ablenke.“

Die Dammwege kreuzten die Siegfährenstraße. Sie parkten vor den Absperrungen, hinter dem Streifenwagen von Gerd Knecht. 08:35 Uhr wurde im Protokoll festgehalten, als die Troisdorfer Tagesbereitschaft vor Ort eintraf.

„Hier ist es“, wies Willi Röttgen hin, der bereits am Tatort eingetroffen war. Kaspar sah ungläubig auf die leblose Gestalt, ein beängstigendes Zittern seiner Lippen ließen keinen Laut heraus. Sein Atem stockte, seine Gesichtshaut glich einem weißen Blatt. Für einen kurzen Moment schwammen seine Augen wie in einem schwarzen Vulkansee. Frank und Guido hatten ihn noch nie so erregt gesehen.

„Kaspar, was ist los“, wollte Frank wissen und zupfte ihn behutsam am Ärmel.

Kaspar war irritiert über die Ungeheuerlichkeit dieses Geschehnisses und fragte sehr leise „Was ist hier passiert?“ Mehr bekam er nicht raus.

„Ich bin Dr. Tim Baltes und der diensthabende Pathologe“, stellte sich ein jugendlich, sympathisch wirkender Mann vor. Seine auffallend hellblauen Augen waren auf Kaspar gerichtet.

„Das ist Heinrich von Berg, sein Personalausweis war in seiner Geldbörse. Er war wohl eine bekannte Persönlichkeit, bekundete der Wirt.“

„Seine Einladung“, hauchte Guido Frank ins Ohr.

„Ich kenne ihn“, brachte Kaspar mühsam heraus.

„War es ein Unfall oder ein Tötungsdelikt?“, stellte Willi Röttgen die Frage mit einem besorgtem Blick auf den Troisdorfer Kollegen Kaspar Heimberg.

„Auf den ersten Blick könnte man von einem Unfall ausgehen, vielleicht ein Herzinfarkt und das Opfer schlägt unglücklich auf einen Stein.“

„Und der zweite Blick?“ Frank wurde ungeduldig. Tim Baltes holt tief Luft.

„Eine Atemlähmung wie bei einer Vergiftung führte wahrscheinlich zum Tod. Getrockneter Schaum ist an seinen Mundwinkeln und ich rieche säuerlich erbrochenen Tabak. Der Wirt gab zu Protokoll, dass er Nichtraucher war.“

Kaspar nickte. Das Handy von Willi Röttgen meldete sich und er ging ein paar Schritte seitwärts bis zur Absperrung. Kaspar trug bereits seine Handschuhe.

„Was ist mit der Kopfwunde, durch einen Sturz entstanden?“, wollte Kaspar wissen.

„Nein, die muss ihm vom Täter zugefügt worden sein, so wie die liegt. Du kennst doch die Hutkrempenregel, oder? Der Schlag war kräftig, aber nicht tödlich. Diente wohl zur Ablenkung.“

Kaspar schaute sich die Wunde am Hinterkopf an.

„Ja, klar kenn‘ ich die Regel. Verletzungen über der gedachten Hutkrempe stammen in den allermeisten Fällen von Schlägen und nicht von Stürzen.“

„Und er wurde gefesselt, ich erkenne Druckstellen wie ein Armband an den Handgelenken“, gab Guido zu bedenken, der mit flinken Augen die Leiche begutachtete.

„Ja, genau“, nickte Baltes zu Guido.

„Wie lange ist Heinrich von Berg tot?“, erkundigte sich Kaspar, der zuvor ein lobendes Nicken Guido zeigte.

„Ungefähr 10-12 Stunden“, antwotete Baltes.

„Tod am späten Abend, vor Mitternacht. Heinrich wat wollste he um die Zigg?“, murmelte Kaspar vor sich her und rieb sich das Kinn. Die Staatsanwältin sah ihn erwartungsvoll an.

„Das wusste man nie so genau bei ihm, wenn ihn ein Thema packte, war er unterwegs“, sagte er zu ihr.

„Herr Heimberg, auf ein Wort“, unterbrach Frau Dr. Blum und ging mit ihm zu Willi Röttgen.

„Es wurde soeben ein weiteres Tötungsdelikt mit zwei Messerstichen im Brustbereich in der Bonner Innenstadt gemeldet. Herr Röttgen muss gleich an den Tatort. Wir bilden zwei MKs, Herr Röttgen übernimmt Bonn, weil es in seinem Einzugsgebiet liegt und Herr Heimberg übernimmt das Tötungsdelikt Bergheim. Bitte meine Herren!“

Über Funk gab Polizeihauptmeister Gerd Knecht an die Leitstelle durch: „9:05 Uhr Tatort an die MK übergeben.“

Frau Dr. Blum drückte ihre modische Duttfrisur zurecht und wandte sich dem Pathologen zu.

„Herr Dr. Baltes bitte zum nächsten Tatort in Bonn.“ Die Staatsanwältin war bereits auf dem Weg zu ihrem Auto. Willi Röttgen warf noch einen Blick auf seinen Kollegen. „Ist das in Ordnung für dich, Kaspar?“

„Ja, Willi, die Mordkommission ‚Bergheim‘ führe ich.“ Mord an Heinrich von Berg kam ihm noch nicht über die Lippen. Frank reichte Kaspar das bisherige Einsatzprotokoll. 7:50 Uhr hatte der Wirt die Meldung gemacht. Sein aufgeschlagenes kleines Notizbuch erhielt alle möglichen Informationen.

„Wie weit sind die Kollegen mit der Aufnahme der Personalien?“, fragte Kaspar nach.

„Darum kümmere ich mich“, beeilte sich Guido zu sagen.

Kaspar stand aufgewühlt bei seinen Kollegen. Guido kannte noch nicht das mystische Ufergelände der Sieg und orientierte sich über Fluchtwege.

„Hinter dem Damm ist man ja flugs auf der L 269 in Richtung Bonn oder Niederkassel.“ Frank nickte und schob seine randlose Brille auf der Nase zurecht.

„Oder er könnte mit dem Fahrrad über die Dammwege schnell verschwinden. Entweder Richtung Müllekoven, Eschmar, Sieglar, oder die andere Richtung an der Sieg vorbei bis zur Siegmündung, um den Mondorfer Hafen und alle Richtungen stehen ihm offen.“

Plötzlich krachte über Guido ein Riesenvogel in einen morschen Ast. Schweiß trat ihnen aus allen Poren.

„Genauso könnte er hier in der Gegend sein. Das unwegsame Gelände für sich zu nutzen, wenn er sich auskennt“, meinte Kaspar und straffte sich.

„Was denkst Du, ist es ein geplanter Mord?“, thematisierte Frank ernst.

„Sieht auf den ersten Blick so aus“, meinte Kaspar angespannt. „Den Mord an mingem Fründ Heinrich nämme ich persönlich.“

Umständlich holte er ein Taschentuch aus seiner Lederjacke und schnäuzte sich sehr laut. Frank rieb nachdenklich über seinen Dreitagebart. Seine großen braunen Augen zeigten Mitleid für den Chef und er klopfte ihm leicht auf die Schulter. Guido, der bereits wieder neben ihnen stand, erkannte die emotionale Situation, schob motiviert sein kantiges Kinn vor und zupfte an seiner modisch sportiven schwarze Fleecejacke ein paar Staubpartikel weg.

„Die Personalien sind alle aufgenommen, wir beginnen gleich mit der Befragung.“ „Gut.“

Kaspar hielt sein Handy unschlüssig in der Hand und steckte es gleich wieder in seine Brusttasche. „Zentraler Erkennungsdienst – ZED“ stand auf dem Koffer, den Otto öffnete. „Otto, Deine Spusi-Kollegen sollen jeden Stein umdrehen, jede nur so kleinste Spur ist wichtig. Denkt auch an einen Stein, der blutverschmiert sein könnte. Draht, Kordel oder Ähnliches, alles, womit der Täter sein Opfer gefesselt haben könnte.“

Otto nickte. „Kollejen, lasst uns keine Zeit verlieren.“

Wer Guidos Anruf mit der Ermittlungsabteilung verfolgte, würde sich wundern. „Kriminalkommissariat Troisdorf, Nikki Schneyder.“

„Nikki, überprüfe bitte folgende Adressen, die ich dir jetzt durchsage. Das sind Mitarbeiter des Restaurants und zwei Hundebesitzer und überprüfe die Daten des Wirtes. OK ist mit seiner Spusi-Mannschaft hier. WW rufe ich selber an, der Bonner Pathologe musste zum Tatort Bonn weg.“

„Klar Guido.“

Kaspar schüttelte den Kopf. Wie würden die Kollegen wohl seinen Namen abkürzen? Otto Knopp als OK und Dr. Wilfried Winkler als WW hatte Nikki erfunden. Frank und Guido schauten ihm nach, als er mit hängenden Schultern zum Auto ging.

„Was geht in ihm vor?“, raunte Guido.

„Es ist katastrophal, den Mord eines Freundes aufklären zu müssen“, sprach Frank sehr ernst.

Kaspar drehte sich nicht mehr um und fuhr weg in Richtung Dorf.

Frank erklärte zu Guido gewandt: „Und was den Ablauf betrifft, sich hineinversetzen, erfassen, ermessen, Parallelen ziehen, haben eine große Bedeutung bei der berufspraktischen Zeit als Kommissaranwärter.“

„Bin wohl zu impulsiv“, lächelte Guido Frank breit an.

„Mensch Guido das ist mein Ernst, sonst schmeißt dich der Chef aus der Abteilung. Lass dich nicht von seinem gutmütigen Dialekt täuschen!“ Guido nickte übereifrig.

2: Dienstag, 9:30 Uhr

Kaspar hielt nach zwanzig Meter an. Bergheim, das Dorf lag erhöht. Unmittelbar rechts vor ihm im Hang, das Haus derer von Berg, Heinrichs Haus. Schweißtropfen standen auf seiner kalten Stirn. Er griff wie automatisch zu seinem Handy. Lissy musste er anrufen, bevor sie sich auf den Weg zur Vorbereitung der Geburtstagsfeier ihres Vaters machte.

„Hier ist der AB von Lissy von Berg, bitte sprechen sie.“

Kaspar schluckte trocken. Einen kurzen Augenblick Ratlosigkeit drückte sich ihm auf die Luftröhre. Er machte die Autotür auf.

„Wo finge ich dat Lissy?“, beunruhigte er sich.

Lissy hatte ihre kriminalistische Ausbildung in Wiesbaden mit Bravour beendet und im Dienstaustausch bei ausländischen Behörden Erfahrungen gesammelt.

„Sie ist noch auf einen Kurztripp nach Ägypten und ist pünktlich an meinem Geburtstag zurück“, berichtete ihm Heinrich von Berg vor ein paar Wochen, als er ihm telefonisch die Einladung zu seinem Geburtstag mitteilte.

In einer Woche war Dienstbeginn in ihrem neuen Job, als Hauptkommissarin für Kunstraub Bonn/Rhein-Sieg im Troisdorfer Polizeigebäude. Als das vorbeifahrende Taxi um Haaresbreite seine Autotür gerammt hatte, klopfte sein Herz bis zum Hals. Er hatte das Auto nicht kommen sehen, aber in einem Sekundenbruchteil die Beifahrerin. Lissy!

„Verdamp, verdamp, wer hat Lissy informiert?“, schrie er dem Taxi hinterher und riss sein Steuer herum, um sein Auto in Richtung Siegfähre zu drehen und fuhr hinterher.

Vor dem rot-weißen Absperrband zwischen den Brückenpfeilern standen Frank und Guido.

„Hast Du die Informationen des Arztes notiert?“, befragte Frank den Jüngeren.

„Ja“, erwiderte Guido, der dem herannahenden Taxi neugierig entgegensah.

„Ist wohl schon die Presse vor Ort“, meinte er höhnisch.

„Der Dame zeige ich gleich die rote Karte“, schimpfte er.

Lissy sprang aus dem Auto, bückte sich unter dem Band her und lief zur Leiche. Alles Rufen von Kaspar, der mit einer scharfen Bremsung sein Auto hinter dem Taxi zum Stehen brachte, nutzte nichts mehr.

„Schnauze halten“, zischte Frank zwischen geschlossenen Zähnen, um Guido abzublocken, der im Begriff war, Lissy zu stoppen. Mit eisenhartem Griff hielt Frank Guidos Arm fest. Und mit der anderen Hand fühlte er den dicken Kloß in seinem Hals. Die plötzliche Erinnerung an Rosenmontag vor einigen Jahren, schnürte Frank die Luft ab. Als er angetrunken mit der beschwipsten Lissy ein paar Stunden an der Theke verbrachte. Sie warf bei einem Telefonat nach den Karnevalstagen Frank vor, dass er ihren Heimaturlaub ausgenutzt habe, um sie mit Alkohol abzufüllen. Frank zog den Reißverschluss seiner braunen Lederjacke zu, als ob er sich verschanzen wollte und bemühte sich, Lissy nicht anzusehen.

„Vater“, flüsterte sie und hielt beide Hände vor ihren Mund, um nicht laut loszuschreien.

„Wieso ist er tot?“, heulte Lissy und schaute mit verzweifelten Augen auf den Arzt. Sie starrte auf die geschlossenen Augenlidern.

„Was ist ihm passiert? Wieso hat er eine Kopfwunde?“

„Lissy, das Unglück muss untersucht werden, Dein Vater ist vermutlich keines natürlichen Todes gestorben. Es gibt Anzeichen, dass sich Gift in seinem Körper befindet“, wählte Kaspar sorgfältig seine Worte.

„Vergiftet? Mord?“, stieß sie hervor.

„Ja, dass wird untersucht, sie dürfen ihn nicht berühren, wegen der Spuren die noch gesichert werden müssen“, befahl Guido in einem rauen Ton.

Lissys erstaunter Blick auf Frank, sah niemand. Kaspars Gesicht lief tomatenrot an. „Guido wir sprechen uns später.“

In diesem Moment wusste Guido, als er den Chef in reinem Hochdeutsch hörte, dass er wieder unsensibel vorgegangen war. Mit seinen 24 Jahren fehlte ihm auch noch eine Menge Lebenserfahrung. Kaspar berührte Lissy leicht am Arm.

„Komm mit, lass uns zum Siegufer gehn.“

Widerwillig ging Lissy mit ihm. An diesem besonderen Fleck, vor der Einmündung der Sieg in den Rhein, einer der ältesten und letzten Gierseilfähren Deutschlands. Das Vorgängermodell „Sieglinde“ der jetzigen Gierponte war abgelegt am Flussufer und diente als Pflanzkübel. Mit ihrem Rücken lehnte Lissy sich an einem Buchenstamm und schaute Kaspar mit großen ungläubigen Augen an. Der Morgenwind raschelte in den Wipfeln. So viele Antworten wollte sie finden.

„Was hat er am Kopf? Und wieso vergiftet? Das kann nicht wahr sein, wieso liegt mein Vater dort im Dreck und ist tot?“ Mit einem mulmigen Gefühl fragte Kaspar: „Was wollte er gestern Abend hier? Hatte er einen Ortstermin?“

„Ich bin erst gestern zurückgekommen und hatte ihn noch nicht gesprochen. Das ist so unglaublich“, schnäuzte sich Lissy.

„Ich muss mit dem Wirt reden, willst Du dabei sein?“

„Ja Kaspar, ich muss wissen, was Alex weiß. Aber ich will auch gleich wieder zurück zu meinem Vater“, stöhnte Lissy leise. Obwohl sie sich schwindelig fühlte, als ob sie angetrunken wäre, gewann das Drängen einer Klärung in ihrem Bewusstsein.

Der Wirt, Alex, kam auf Lissy zu und schloss sie in die Arme. Sie waren Schulfreunde. „Wann haben sie gestern Schluss gemacht?“, sondierte Kaspar seine Ermittlung.

„Montag ist Ruhetag, da fahre ich abends nur mal hierhin, um nach dem Rechten zu schauen. Das war gestern ca. 20 Uhr.“

„Und sie gehen auch um die Pfeiler, das sind doch ein paar Meter weg vom Restaurant?“

„Mit der Taschenlampe leuchte ich die direkte Umgebung aus, ob es sich jemand hier gemütlich gemacht hat, oder ob tote Tiere hier liegen. Inmitten der Natur ist man einigem ausgeliefert, da muss ich schon selber kontrollieren.“

„Wann machen sie an den anderen Tagen Schluss?“

„Dienstag und Mittwoch so ca. 22 Uhr und zum Wochenende hin wird es später.“ „Abends ist es unter den Pfeilern doch absolut dunkel?“

„Ja, meine Angestellten und ich parken direkt neben dem Restaurant, um nicht im Stockdunklen ins Auto zu steigen.“

„Wann sind sie heute Morgen hier angekommen?“, erkundigte sich Kaspar bei dem Wirt.

„Um 8 Uhr bin ich als erster hier. Mein Personal trifft um 8:30 Uhr ein, um das Frühstücksbüfett herzurichten, dass ab 10 Uhr beginnt. Aus einem Gefühl heraus, bin ich zum Parkplatz unter den Pfeilern gegangen und fand Heinrich dort liegen. Ich sah ihn unbeweglich liegen und getrocknetes Blut neben seinem Kopf, da habe ich sofort den Notruf gewählt.“

„Haben sie ihn in der Stellung gefunden, wie er dort liegt?“

„Ja, ich habe nichts verändert“, beantwortete er die Frage. Kaspar winkte Frank und Guido dazu.

„Als erstes müssen wir klären, was der Heinrich von Berg gestern Nacht hier gemacht hat. Und mir stellt sich die Frage, warum in der Montagnacht? Am Ruhetag des Restaurants und der Gierponte. War das ein Zufall?“

Kaspars hellblaue Augen schienen auf einen Punkt fixiert. Ein Windstoß raunte durch die mächtigen Baumkronen. Alle wurden einen Augenblick von Unbehagen erfasst.

„Ist Heinrich hierhin gelockt worden?“ Frank schaute nachdenklich auf Kasper.

„Dies herauszufinden ist unsere dringlichste Arbeit. Wenn er keinen Terminkalender führte, müssen wir Zeugen suchen.“

„An die Arbeit. Heute Mittag Treffen im Kommissariat. Um zwölf. Informiert die Staatsanwältin über diesen Termin“, bestimmte Kaspar. „Blümchen sage ich Bescheid“, meinte Guido. „Natürlich, Frau Dr. Blum.“

„Bitte keine Respektlosigkeit gegenüber der Frau Dr. Blum, die möchte ich nicht als Feindin haben“, argwöhnte Kaspar und ging mit Lissy in das Restaurant. Alex stellte eine große Tasse Kakao vor Lissy hin.

„Danke Alex, was machen wir mit Deinen Vorbereitungen für Vaters Fest?“

„Mach dir keinen Kopf, dass Essen kann ich einfrieren. Justus bringt den Kuchen in die Altentagesstätte.“

„Justus weiß Bescheid?“, fragte Lissy erwartungsvoll.

„Ich habe ihn angerufen“, berichtete Kaspar.

„Er kommt gleich. Justus brauche ich unbedingt als Psychologen, Journalist und als Heinrichs Freund.“

„Justus kenne ich auch so lange ich denken kann, er ist mein väterlicher Freund“, äußerte sich Lissy und schloss für einen Moment die Augen.

„Justus hat sich vor Kurzem im Obergeschoss des Hauses von Berg in Bergheim eingemietet, er müsste über die Gewohnheiten der letzten Tage meines Vaters Bescheid wissen.“

Diesen guten, alten, weisen Freund brauchte sie jetzt unbedingt an ihrer Seite.

3: Spurensicherung und Kriminaltechnik

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