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Victoria Holt

Das Haus der sieben Elstern

Roman


Ins Deutsche übertragen von Margarete Längsfeld

Edel eBooks

Bald nachdem Frederica Hammond zu ihrer Tante Sophie nach Harper’s Green gezogen ist, macht sie die Bekanntschaft der sonderbaren Schwestern Flora und Lucy Lane, deren Behausung sie fortan das Haus der sieben Elstern nennt.

Zwei weitere Häuser in der Nachbarschaft wecken ihr Interesse: Das eine ist das Gutshaus St. Aubyn’s Park, wo Crispin St. Aubyn und seine jüngere Schwester Tamarisk wohnen. Das andere ist das sogenannte Bell House, das Heim von Mr. Dorian, einem frommen Fanatiker, seiner unterwürfigen Ehefrau und ihrer verwaisten Nichte Rachel. Rachel ist etwa im selben Alter wie Frederica und Tamarisk, und die drei Mädchen werden Freundinnen.

Frederica ist fasziniert von dem prähistorischen Wiltshire, insbesondere von Barrow Wood, einer Grabstätte der Druiden. Sie nimmt in Bell House eine unheimliche Atmosphäre wahr, die sich auf Rachel auswirkt, und Frederica selbst hat in Barrow Wood ein entsetzliches Erlebnis mit einem beängstigenden Höhepunkt.

Sie absolviert die Schulzeit in einem Pensionat. Als sie Jahre später zurückkommt, hat ihre Beziehung zu den St. Aubyns eine Veränderung erfahren, und von nun an spielt Crispin eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Als der welterfahrene, faszinierende Gaston Marchmont nach Harper’s Green kommt, entwickelt sich ein Drama, das in einem Mord gipfelt ...

Frederica sieht ihre Hoffnung auf Glück bedroht, und sie faßt den Entschluß, fortzugehen. Mit Tamarisk, die eigene Probleme zu lösen hat, schifft sie sich nach der fernen Insel Casker’s Island ein. Frederica ist aber entschlossen, die Lösung des Rätsels zu finden, das ihr Leben verfinstert hat. Crispin allein kann es ihr sagen – und von ihm erfährt sie schließlich, welches Geheimnis sich im Haus der sieben Elstern verbarg.

Als ich zu meiner Tante Sophie gezogen war, machte ich schon bald die Bekanntschaft der sonderbaren Schwestern Lucy und Flora Lane. Aufgrund meiner Entdeckung nannte ich ihr Häuschen fortan das Haus der sieben Elstern.

Oft denke ich verwundert, daß ich das Haus nie kennengelernt hätte, wenn der Ärger über den Kirchenschmuck für jenes weit zurückliegende Osterfest nicht gewesen wäre. Aber das mag vielleicht nicht ganz zutreffen: Es lag wohl nicht allein an den Blumen – durch sie ist es nur zum Ausbruch gekommen.

Tante Sophie war bei uns zu Hause ein seltener Gast gewesen; der Zwiespalt zwischen ihr und meiner Mutter wurde allerdings nie erwähnt. Sie wohnte in Wiltshire, eine lange Eisenbahnreise von London entfernt; von der Hauptstadt mußte sie nach Middlemore in Surrey fahren. Ich stellte mir vor, daß Tante Sophie es nicht der Mühe wert fand, uns zu besuchen, und meiner Mutter war die Fahrt nach Wiltshire zu anstrengend, zumal am Ende lediglich eine keineswegs erbauliche Begegnung mit Tante Sophie zu erwarten war.

Tante Sophie war in jenen frühen Tagen fast eine Fremde für mich.

Meine Mutter und Tante Sophie waren Schwestern, aber zwei unähnlichere Menschen konnte man sich kaum vorstellen. Mutter war groß und schlank, und schön war sie obendrein; ihre Gesichtszüge waren wie aus Marmor gemeißelt. Ihre hellblauen Augen konnten manchmal sehr eisig sein; sie hatte lange Wimpern, vollendet geformte Brauen, und das feine Haar trug sie stets adrett um den Kopf geschlungen. Ständig ließ sie jedermann wissen – selbst jene im Haus, denen es durchaus bewußt war –, sie sei für das Leben, das sie jetzt führte, nicht erzogen, sondern es sei ihr durch gewisse »Umstände« aufgezwungen worden.

Tante Sophie war die ältere Schwester meiner Mutter. Ich glaube, der Altersunterschied betrug zwei Jahre. Sie war mittelgroß, dabei korpulent, was sie kleiner wirken ließ; sie hatte ein rundliches, rosiges Gesicht und kleine, durchdringende Augen, die an Korinthen denken ließen. Sie wurden fast unsichtbar, wenn sie ihr lautes Lachen lachte, das meiner Mutter auf die Nerven ging, wie diese stets betonte. Es war kaum verwunderlich, daß sie einander mieden. Die wenigen Male, wenn meine Mutter von Sophie sprach, fügte sie unweigerlich hinzu, es sei erstaunlich, daß sie zusammen aufgewachsen waren. Wir lebten gewissermaßen in »vornehmer Bescheidenheit«, meine Mutter, ich und zwei Hausangestellte: Meg, ein Relikt aus »besseren Tagen«, und Amy, ein junges Mädchen, das hier in Middlemore beheimatet und in einem Cottage auf der anderen Seite des Angers aufgewachsen war.

Meine Mutter legte großen Wert darauf, den Schein zu wahren. Sie war in Cedar Hall aufgewachsen, und ich bedauerte, daß dieses Gutshaus so nahe gelegen und somit ständig im Blickfeld war.

Da stand es in seiner ganzen Pracht, die um so grandioser wirkte, wenn man es mit Lavender House, unserem bescheidenen Heim, verglich. Cedar Hall war das Haus in Middlemore. Kirchliche Wohltätigkeitsveranstaltungen fanden auf seinem Rasen statt, und im Bedarfsfall stand immer ein Raum für kirchliche Versammlungen zur Verfügung; die Weihnachtssänger versammelten sich jedes Jahr am Heiligen Abend im Hof und wurden nach ihrer Darbietung mit Glühwein und Hackfleischpasteten bewirtet. Personal war reichlich vorhanden; kurzum, das Gutshaus beherrschte das Dorf. Meine Mutter hatte zwei tragische Erlebnisse zu verkraften. Sie hatte nicht nur ihr früheres Heim verloren, das verkauft werden mußte, als ihr Vater starb und das Ausmaß seiner Schulden offenbar wurde; es war zudem von den Carters erworben worden, die mit dem Verkauf von Süß- und Tabakwaren in allen Städten Englands ein Vermögen verdient hatten. Sie waren ihr in zweifacher Hinsicht suspekt: Sie waren vulgär, und sie waren reich.

Jedesmal, wenn meine Mutter nach Cedar Hall hinübersah, verhärteten sich ihre Gesichtszüge; sie preßte die Lippen zusammen, und ihr tiefwurzelnder Zorn trat offen zutage. Dieser Anblick bot sich ihr ausgerechnet, wenn sie aus ihrem Schlafzimmerfenster sah. Wir waren alle an ihre tägliche Klagelitanei gewöhnt, die unser Leben ebenso beherrschte wie ihr eigenes.

Meg pflegte zu sagen: »Es war’ besser gewesen, wenn wir gleich weggezogen wären. Den ganzen Tag das frühere Heim im Blick, das tut nicht gut.«

Eines Tages sagte ich zu meiner Mutter: »Warum ziehen wir nicht fort? Irgendwohin, wo du es nicht die ganze Zeit sehen mußt?«

Ich sah ihr entsetztes Gesicht, und so jung ich auch war, erkannte ich doch: Sie will hierbleiben. Sie könnte es nicht ertragen, woanders zu sein. Damals verstand ich es noch nicht – ich begriff es erst später –, daß sie sich an ihrem Jammer und Groll weidete. Sie wollte so weiterleben, wie sie einst in Cedar Hall gelebt hatte. Sie befaßte sich liebend gern mit kirchlichen Angelegenheiten, sie spielte eine führende Rolle, wenn es galt, Basare und dergleichen zu organisieren. Es ärgerte sie, daß das Sommerfest nicht auf unserem Rasen veranstaltet werden konnte. Meg lachte darüber und sagte zu Amy: »Was! Auf diesem winzigen Stückchen Gras! Daß ich nicht lache!«

Ich hatte eine Gouvernante. Das sei in unserer gesellschaftlichen Stellung unumgänglich, sagte meine Mutter. Sie konnte es sich nicht leisten, mich auf eine Internatsschule zu schicken, und die Dorfschule kam für mich nicht in Frage. Es gab nur die eine Alternative, und so kamen die Gouvernanten ins Haus. Keine blieb lange. Hinweise auf vergangenen Glanz konnten sein Fehlen in Lavender House nicht ersetzen. Das Haus habe Cottage geheißen, als wir einzogen, erzählte mir Meg. »Ja, jahrelang hieß es Lavender Cottage, und davon, daß ›Cottage‹ mit ›House‹ übertüncht wurde, ist es auch nicht anders geworden.«

Meine Mutter war kein sehr mitteilsamer Mensch; wohl bekam ich eine Menge über vergangene Pracht und Herrlichkeit zu hören, doch über das Thema, das mich am meisten interessierte, sprach sie sehr wenig: meinen Vater.

Wenn ich sie nach ihm fragte, kniff sie die Lippen zusammen, und dann wirkte sie statuenhafter denn je – es war dieselbe Miene, die sie aufsetzte, wenn sie von den Carters in Cedar Hall sprach.

Sie sagte: »Du hast keinen Vater ... mehr.«

Die kleine Pause vor dem »mehr« klang bedeutsam, drum wandte ich ein: »Aber ich hatte einmal einen.«

»Sei nicht albern, Frederica. Jeder Mensch hatte selbstverständlich einmal einen Vater.«

Ich war Frederica getauft worden, weil es in der Familie von Cedar Hall viele Fredericks gegeben hatte. Von meiner Mutter wußte ich, daß in der Bildergalerie dort ihrer sechs vertreten waren. Ich hatte von Sir Frederick gehört, der auf Bonworth Field zum Ritter geschlagen worden war, von einem anderen, der sich bei Waterloo ausgezeichnet, und von einem, der sich im Bürgerkrieg als Königstreuer hervorgetan hatte. Wäre ich ein Junge geworden, so hätte ich Frederick geheißen. So aber hieß ich Frederica, was sich als umständlich erwies und zu Abkürzungen wie Freddie oder Fred führte, die mehr als einmal erhebliche Verwirrung stifteten.

»Ist er tot?« fragte ich.

»Ich sagte dir doch, du hast keinen Vater mehr. Damit ist der Fall erledigt.«

Da wußte ich, daß ein Geheimnis um ihn war.

Ich konnte mich nicht erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. Tatsächlich konnte ich mich nicht erinnern, woanders als in diesem Haus gelebt zu haben.

Der Anger, die kleinen Häuser und Cottages, die Kirche, alles im Schatten von Cedar Hall, waren stets Teil meines Lebens gewesen.

Ich hielt mich oft bei Meg und Amy in der Küche auf. Sie waren netter zu mir als die andern Leute.

Ich durfte mich nicht mit den Dorfbewohnern anfreunden, und den Carters im Gutshaus begegnete meine Mutter mit distanzierter Höflichkeit.

Mir wurde bald klar, daß meine Mutter eine unglückliche Frau war. Nun, da ich älter wurde, erzählte Meg mir eine ganze Menge.

»Das ist doch kein Leben«, sagte sie. »Lavender House, du meine Güte. Alle wissen, daß es früher Lavender Cottage hieß. Man kann ein Haus nicht herrschaftlich machen, indem man seinen Namen ändert. Ich will dir was sagen, Miß Fred ...« In Hörweite meiner Mutter wurde ich Miß Frederica gerufen, aber wenn Meg und ich allein waren, hieß ich schlicht Miß Fred, manchmal auch Miß Freddie. Frederica war einer von diesen »ausländischen« Namen, von denen Meg nicht viel hielt, und darum konnte man ihr nicht zumuten, ihn öfter als nötig zu gebrauchen.

»Ich will dir was sagen, Miß Fred. Ein Spaten ist ein Spaten, egal, was für einen Phantasienamen du ihm gibst, und ich schätze, wir wären besser dran in einem hübschen Häuschen in Clapham, wo wir sein könnten, was wir sind, und nicht, was wir scheinen wollen. Dort wär’ auch ein bißchen mehr los.«

Megs Augen trübten sich vor Sehnsucht. Sie war stolz darauf, im Londoner East End aufgewachsen zu sein. »Da war was los, Samstagabends auf dem Markt mit den erleuchteten Buden. Da gab’s Herzmuscheln und Miesmuscheln, Strandschnecken und Wellhornschnecken und Aal in Aspik. Köstlich, was? Und hier? Was gibt’s hier, frag’ ich dich?«

»Wir haben die Sommerfeste und den Gesangverein.«

»Daß ich nicht lache! Dieses hochnäsige Volk, lauter Leute, die mehr scheinen wollen, als sie sind. Da lob’ ich mir mein London!«

Meg erzählte gern von der großen Stadt. Von den Pferdebahnen, die die Leute bis zum West End beförderten. Sie war dabeigewesen, als das Jubiläum der Königin begangen wurde. Ein einmaliges Ereignis. Meg war damals noch ein Dreikäsehoch, und später war sie dann dummerweise auf dem Land in Stellung gegangen ... schon bevor sie den Dienst in Cedar Hall antrat. Sie hatte die Königin in ihrer Karosse gesehen, o ja. Nicht gerade eine Schönheit, aber sie war eine Königin ... und sie sorgte dafür, daß es niemand vergaß. »Ja, dort könnten wir leben statt hier. Ein Häuschen in einer hübschen Gegend, Bromley bei Bow vielleicht. Oder Stepney. Dort hätte man spottbillig etwas haben können. Aber wir mußten ja hierherkommen. Lavender House. Nicht mal der Lavendel ist besser als der, der in unserem Garten in Stepney wuchs.«

Wenn Meg Sehnsucht nach London hatte, wurde sie sehr gesprächig.

»Du bist schon lange bei meiner Mutter, Meg«, meinte ich.

»Ganze fünfzehn Jahre.«

»Dann hast du sicher meinen Vater gekannt.« Ihre Gedanken weilten noch bei den Londoner Märkten am Samstagabend, bei Aal in Aspik. Nur widerwillig riß sie sich von der ergötzlichen Szenerie los.

»Das war mir einer«, sagte sie und fing an zu lachen.

»Was für einer, Meg?«

»Ach, laß gut sein!« Ihre Mundwinkel kräuselten sich. Die Erinnerungen an meinen Vater erheiterten sie offensichtlich.

»Ich hätte es ihr gleich sagen können.«

»Was?«

»Daß es nicht lange gutgehen würde. Ich hab’ zu der Köchin gesagt – damals hatten wir noch eine Köchin, die war ein rechter Dragoner, und ich war bloß eine kleine Küchenmagd. Ich hab’ zu ihr gesagt: ›Das geht nicht lange gut. Der ist keiner von der häuslichen Sorte, und sie ist keine, die sich viel gefallen läßt.‹«

»Was mußte sie sich gefallen lassen?«

»Seine Marotten natürlich. Und er mußte sich ihre gefallen lassen. Ich hab’ zur Köchin gesagt ›Das kann nicht gutgehen‹, und ich hab’ recht behalten!«

»Ich kann mich nicht an ihn erinnern.«

»Du warst kaum älter als ein Jahr, als er wegging.«

»Wohin ist er gegangen?«

»Zu ihr, denk’ ich ... der andern.«

»Findest du es nicht an der Zeit, mich aufzuklären?«

»Je nun, du wirst’s schon erfahren, wenn es soweit ist.«

An jenem Morgen war mir eine gewisse Kühle zwischen Meg und meiner Mutter aufgefallen. Mutter meinte, das Fleisch sei zäh, und Meg entgegnete, da wir uns nicht das beste Fleisch leisten könnten, sei zu erwarten, daß es zäh sei, worauf Mutter erwiderte, es hätte eben etwas länger gekocht werden müssen. Meg war drauf und dran zu kündigen; dies war ihre stärkste Waffe bei derartigen Auseinandersetzungen. Woher hätten wir eine andere Meg nehmen sollen? Es war gut, einen Menschen zu haben, der schon seit Jahren in unserer Familie war. Allerdings vermutete ich, daß Meg die Mühe eines Stellungswechsels scheute. Es war lediglich eine Drohung, der sie sich in kritischen Augenblicken bediente, und keine von beiden konnte gewiß sein, daß die andere, bis zum Äußersten gereizt, nicht zur Tat schreiten und somit beide in eine Situation bringen würde, aus der es keinen würdevollen Rückzug geben konnte. Die Wogen waren geglättet worden, Meg aber grollte noch, und in solchen Augenblicken war es leichter, ihr etwas zu entlocken.

»Weißt du eigentlich, daß ich schon fast dreizehn bin, Meg?« fragte ich.

»Natürlich weiß ich das.«

»Ich denke, ich bin alt genug.«

»Du bist nicht auf’n Kopf gefallen, Miß Fred. Das muß ich dir lassen. Und du bist nicht nach ihr geraten.«

Ich wußte, daß Meg mir zärtlich gewogen war. Ich hatte sie zu Amy über mich sagen hören: »Das arme Dingelchen.«

»Ich finde, ich sollte über meinen Vater Bescheid wissen«, fuhr ich fort.

»Väter«, sagte sie, und dann kam sie, wie so oft, auf ihre eigene Vergangenheit zu sprechen. »Da gibt’s komische Gesellen. Liebevolle und solche, die schon beim geringsten Aufbegehren zum Riemen greifen. So einer war mein Vater. Ein Wort, das ihm nicht paßte, und schon löste er seinen Gürtel, und dann ging’s dir schlecht. Samstagabends ... er hat gern einen gehoben, und wenn er sternhagelvoll war, ging man ihm besser aus dem Weg. Jetzt weißt du, wie Väter sind.«

»Es muß schrecklich für dich gewesen sein, Meg. Jetzt erzähl mir von meinem Vater.«

»Er sah sehr gut aus. Das muß ich ihm lassen. Sie waren ein stattliches Paar. Sie haben immer die Regimentsbälle besucht. Bildschön sahen sie zusammen aus, die zwei. Deine Mutter hatte damals noch nicht diesen griesgrämigen Zug um den Mund – jedenfalls nicht ständig. Wir haben vom Fenster aus beobachtet, wie sie in die Kutsche stiegen, er in seiner Uniform ...« Ihre Augen leuchteten, und sie schüttelte den Kopf.

»Regimentsbälle?« fragte ich.

»Er war schließlich Soldat, oder? Die Köchin sagte immer, er wär’ ein hohes Tier beim Militär ... Offizier oder Major oder so was. Oh, und er war ein stattliches Mannsbild. Ein Kerl, der gern ein Auge riskierte.«

»Was bedeutet das?«

»Oh, er hat sich halt gern umgeschaut.«

»Wonach?«

Sie versetzte mir einen kleinen Stups, und da ich merkte, daß sie nicht gewillt war, das Gespräch auf dieser Ebene fortzuführen, sagte ich rasch: »Was ist aus ihm geworden? Ist er in den Krieg gezogen?«

»Nicht daß ich wüßte. Es gab doch keinen Krieg, nicht? In den Krieg konnte er also nicht ziehen. Aber wir sind ziemlich oft umgezogen. Das ist nun mal so beim Militär. Kaum hat man sich eingewöhnt, schon geht’s wieder woandershin. Es wird marschiert, Kapellen spielen und dergleichen mehr. Das war vielleicht ein Leben!«

»Und du bist mitgezogen?«

»O ja. Ich war schon bei ihr, bevor sie geheiratet hat. Eine Prachthochzeit war das ... in Cedar Hall. Ich sehe sie noch aus der Kirche kommen. Damals hatten wir noch nicht Hoch würden Mathers. Wie hieß der Pastor bloß?«

»Ist doch egal. Was geschah dann?«

»Sie gingen auf Hochzeitsreise ... und danach nahmen wir immer Quartier, wo das Regiment gerade war. Sie waren kaum drei Monate verheiratet, als dein Großvater starb. Und dann das ganze Trara mit dem Verkauf von Cedar Hall und dem Einzug der Carters. Tja, ich hab’ gleich gesehen, daß es nicht lange dauern konnte. Er war nicht für das Eheleben geschaffen. Da gab es eine Frau ...«

»Du meinst, als er schon mit meiner Mutter verheiratet war?«

»Das spielt bei manchen Männern keine Rolle. Sie können einfach nicht aus ihrer Haut.«

Das war ja wirklich ungemein interessant.

Ich fürchtete schon, es könnte etwas eintreten, das den Redestrom versiegen ließe, sie könnte sich plötzlich auf mein Alter besinnen und einsehen, daß sie zuviel redete.

»Tja, und dann warst du unterwegs, und da wurde so manches anders. Sie konnte schließlich nicht mehr tanzen gehen, oder?«

»Und dann?« wollte ich wissen.

»Es nahm seinen Lauf. Du kamst auf die Welt, aber irgendwas stimmte nicht. Es gab Gerüchte. Sie wollte nichts dagegen unternehmen. Ihr war immer daran gelegen, den Schein zu wahren.«

»Was bedeutet das, Meg?«

»Sie wußte von der andern. Die war fidel, eine von der koketten Sorte. Genau die Richtige für ihn. Aber sie hatte einen Mann. Der hat die zwei erwischt ... auf frischer Tat ertappt sozusagen. Es gab einen regelrechten Skandal. Sie wurden geschieden, und ich glaube, er hat später die andere geheiratet. Und sie lebten glücklich und zufrieden ... vielleicht.

Deine Mutter hat die Geschichte nie verwunden. Wäre Cedar Hall nicht verkauft worden, hätte sie dorthin zurückkehren können, und dann wäre es vielleicht nicht so schlimm gewesen. Aber es blieb nicht viel übrig von dem Erlös, nachdem die Schulden bezahlt waren. Das Wenige wurde zwischen ihr und Miß Sophie aufgeteilt. Miß Sophie hat sich davon ihr Haus gekauft, und deine Mutter bekam dieses hier. Sie kriegt zwar ein bißchen Geld von deinem Vater ... aber du siehst ja, wie die Dinge liegen.«

»Er lebt?«

»Springlebendig ist er, schätze ich. Deine Mutter spricht nicht darüber. Daß du mir kein Sterbenswörtchen davon verlauten läßt. Aber du hast nach deinem Vater gefragt, und ein Mensch hat das Recht zu wissen, wer sein Vater ist.«

»Ob ich ihn jemals sehen werde?«

Meg schüttelte den Kopf. »Er wird nicht hierherkommen, Liebes. Aber eins kann ich dir sagen, einen netteren Herrn könntest du dir nicht zum Vater wünschen. Es hat bloß nicht ... du weißt ja, wie das bei manchen Menschen so ist. Sie passen einfach nicht zusammen. Dann trennten sich ihre Wege, und wir saßen hier in Lavender Cottage ... o Verzeihung, in Lavender House.«

Nachdem Meg mir schon so viel erzählt hatte, hielt sie sich kaum mehr zurück, und wann immer ich meiner Gouvernante entkommen konnte, ging ich zu Meg. Sie hatte nichts dagegen. Sie liebte den Klatsch. Ich erfuhr, daß sie am liebsten in einem Haus mit viel Personal gedient hätte. Ihre Schwester war in einem solchen Haus in Somerset in Stellung. »Sie haben einen Butler, eine Haushälterin, mehrere Küchenmädchen, Stubenmädchen, alles. Und sie halten sich eine Kutsche, also haben sie auch Stallungen mit allem Drum und Dran. In so einem Haus ist viel los. Aber hier ... hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht.«

»Ich verstehe nicht, warum du dann hierbleibst, Meg.«

»Tja, man könnte auch vom Regen in die Traufe kommen.«

»Dann stehst du also hier im Regen!«

»Sozusagen, ja.«

»Erzähl mir von meinem Vater.«

»Ich hab’ dir doch alles erzählt, oder? Und sag deiner Mutter bloß nichts davon. Aber ich find’s trotzdem richtig, daß du Bescheid weißt ... ein bißchen. Eines Tages wird sie’s dir erzählen ... aus ihrer Sicht natürlich. Aber ich schätze, er hatte einiges auszuhalten, und eine Medaille hat immer zwei Seiten. Er liebte das Vergnügen. Die Dienstboten hatten ihn alle gern. Er hat immer mit ihnen gescherzt.«

»Mir scheint, du stehst auf seiner Seite.«

»Es ergab sich eigentlich von selbst. Die andere Frau und alles. Ich schätze, er fühlte sich irgendwie herausgefordert, so, wie deine Mutter nun mal ist ... und wie er selbst nun mal ist ...«

Einmal kam meine Mutter in die Küche, als ich mich mit Meg unterhielt. Sie machte ein erschrockenes Gesicht, als sie mich dort sah.

»Meg«, sagte sie, »ich möchte die Speisenfolge für heute abend mit dir besprechen.«

Meg verdrehte die Augen zur Decke, und ich entfloh. Gestern hatte es Rinderlende gegeben, also mußte heute kaltes Rindfleisch auf den Tisch, aber meine Mutter kam jedesmal in die Küche, um die Speisenfolge mit Meg zu besprechen. Sie hätte Meg ja am liebsten zu sich bestellt, aber außer Amy gab es niemanden, den sie hätte schicken können, und dann hätte sie Amy von ihrer eigentlichen Arbeit abhalten müssen, wo Amy doch ohnehin schon ziemlich langsam war. Klingeln gab es keine in Lavender House, und sie zu installieren wäre kostspielig gewesen. Und die Besprechungen auf einen festen Termin zu legen hatte keinen Zweck, denn Meg hatte oft alle Hände voll zu tun und war zeitweise schlichtweg unabkömmlich. So blieb meiner Mutter nichts anderes übrig, als sich in die Küche zu bequemen.

Ich überlegte mir immer wieder, ob es nicht möglich sein würde, meiner Mutter zu erklären, wie lächerlich es sei, sich wie die Herrin eines großen Anwesens aufzuführen, obwohl unser Haus alles andere war als grandios. Die Worte von Robert Burns fielen mir ein, der einmal gesagt hatte, es wäre eine große Gabe, wenn wir uns sehen könnten, wie andere uns sehen.

Eine große Gabe, fürwahr – insbesondere für meine Mutter. Wenn sie sie besessen hätte, würde ihr Ehemann sie vielleicht nicht verlassen haben, und ich würde meinen Vater kennen. Ich stellte ihn mir als fröhlichen Mann mit blitzenden Augen vor, der auf Menschen wie Meg eine anziehende Wirkung ausübte.

Einmal hatte ich Meg bei anderer Gelegenheit dieselbe begehrliche Miene aufsetzen sehen, die sie stets dann zur Schau trug, wenn sie von meinem Vater sprach. Es war im Schlachterladen, als Mr. Burr »Kauft, Leute, kauft« rief, während er auf seinem Hackklotz Fleisch zerkleinerte. Mr. Burr war ein leichtfertiger Mensch; er trug eine blauweiß gestreifte Schürze und einen Strohhut, der verwegen schräg auf seinem Kopf saß. Seine Augen schössen hin und her, wenn er mit der Kundschaft scherzte, die überwiegend aus Frauen bestand. Meg sagte, seine Bemerkungen seien »gewagt«, aber er bringe sie trotzdem zum Lachen.

Einmal hatte sie zu ihm gesagt: »Was Sie nicht sagen. Sehen Sie sich nur vor, junger Mann.«

Er hatte augenzwinkernd entgegnet: »Heut auf dem hohen Roß, Fräuleinchen? Kommen Sie mit mir ins Hinterstübchen, dann hol’ ich Sie im Nu da runter.«

»Unverschämter Teufel«, hatte Meg blinzelnd erwidert.

Und mein Vater gehörte zu jener Sorte von Männern, bei denen sie so ein Gesicht machte wie das, das sie in Gesellschaft des Schlachters Mr. Burr aufsetzte. Das gab mir zu denken.

Ich war auf dem Weg zum Pfarrhaus, um Hochwürden John Mathers einen Brief zu überbringen. Meine Mutter pflegte es ihm auf diesem Wege mitzuteilen, wenn sie etwas zu bemängeln hatte.

Diesmal ging es um den Blumenschmuck für die Kirche. Der sei, beklagte sie sich, im vergangenen Jahr recht kümmerlich ausgefallen. Mrs. Carter und Miß Allder hätten wirklich keine Ahnung. Was könne man auch schon von einer parvenühaften Kaufmannsfrau erwarten, die durch den Verkauf von Süß- und Tabakwaren ein Vermögen verdient hatte? Ihr Blumenschmuck sei ausgesprochen vulgär gewesen, und Miß Allder sei ein armes, affektiertes Wesen, das auf den Hilfspfarrer versessen sei und ganz eindeutig nach Mrs. Carters Pfeife tanze. Das sei absurd, wo doch meine Mutter große Erfahrung mit dem Schmücken der Kirche habe aus der Zeit, als sie in Cedar Hall gelebt und der Adel in Kirchenangelegenheiten ein Wort mitzureden hatte.

Ich wußte, daß meine Mutter wegen dieser Lappalie regelrecht litt; sie verstand es als Beleidigung ihrer Würde, und die war für sie von höchster Wichtigkeit. Sie hatte mehrere Entwürfe des Briefes an Hochwürden Mathers geschrieben, hatte sie zerrissen und sich immer mehr in Wut gesteigert. Diese Situation erzeugte in ihr eine Spannung, die in keinem Verhältnis zu dem Vorkommnis stand.

Seit meinem ersten Gespräch mit Meg über meinen Vater hatte ich sie immer wieder zu verleiten versucht, mir von ihm zu erzählen, doch konnte ich nicht viel mehr aus ihr herausbekommen. Ich gewann aber den Eindruck, daß sie eher auf seiner als auf meiner Mutter Seite stand.

Es war ein lieblicher Frühlingstag. Ich überquerte den Anger und kam an der Bank am Weiher vorbei, auf der zwei alte Männer saßen. Ich kannte sie vom Sehen, weil sie fast jeden Tag da waren. Es waren zwei ehemalige Bauernknechte. Jetzt waren sie zu alt zum Arbeiten und verbrachten ihre Tage mit Sitzen und Reden. Ich rief ihnen im Vorbeigehen »Guten Morgen« zu.

Ich bog in den Weg ein, der zum Pfarrhaus führte. Die Landschaft war sehr schön zu dieser Jahreszeit, wenn die Kastanien blühten und unter den Hecken wilde Veilchen und Sauerklee wuchsen. Welch ein Gegensatz zu dem Aal in Aspik auf dem Markt, von dem Meg so schwärmte!

Ich lachte vor mich hin. Ich fand es recht amüsant – meine Mutter, die so auf Vornehmheit bedacht war, und Meg, die sich nach den Straßen Londons sehnte.

Vielleicht neigten die Menschen dazu, sich zu wünschen, was sie nicht hatten.

Das Pfarrhaus war ein langgestreckter Steinbau mit einem hübschen Vorgarten. Hinter dem Haus erstreckte sich der Friedhof.

Hochwürden empfing mich in einem unaufgeräumten Wohnzimmer mit Sprossenfenstern, die auf den Friedhof hinaussahen. Er saß an einem mit Papieren übersäten Schreibtisch. »Ah, Miß Hammond«, sagte er, indem er seine Brille auf die Stirn schob. Sogleich gewahrte ich einen gespannten Ausdruck in den wäßriggrauen Augen dieses gütigen Mannes. Er war ein friedliebender Mensch, und er wähnte die glückliche Harmonie bedroht, was nach einer Mitteilung meiner Mutter häufig der Fall war. Als ich ihm sagte, daß ich einen Brief für ihn hätte, sah er seine Befürchtungen bestätigt.

Ich übergab ihm das Schreiben. »Ich glaube, sie erwartet Ihre Antwort«, sagte ich leise.

»O ja ... ja.« Er schob sich die Brille wieder auf die Nase und drehte sich ein wenig, damit ich seine Reaktion auf die Worte meiner Mutter nicht sähe.

»Ach du liebe Güte«, sagte er, und Besorgnis sprach aus seinen Augen. »Es betrifft den Osterschmuck. Mrs. Carter hat die Blumen zur Verfügung gestellt, und natürlich hat sie ... hm, sie hat Miß Allder gebeten, ihr zu helfen, den Schmuck zu arrangieren, und ich glaube, Miß Allder hat zugesagt. Du siehst ...«

»Ja, ich verstehe vollkommen.«

»Wenn du also deiner Frau Mutter meine Entschuldigung überbringen möchtest und ihr ... hm ... ausrichten, daß die Sache nicht in meiner Hand liegt, besteht, glaube ich, keine Notwendigkeit, ihr zu schreiben.«

Da ich meine Mutter kannte, hatte ich Mitleid mit ihm. »Ich werde es ihr ausrichten«, sagte ich.

»Danke, Miß Hammond. Bitte teile ihr mein Bedauern mit.«

»Gewiß«, versprach ich.

Ich verließ das Pfarrhaus, hatte aber keine Eile, nach Hause zu gehen. Ich wußte, es würde ein Donnerwetter geben, und Zorn überkam mich. War es nicht einerlei, wer den Blumenschmuck besorgte? Warum lag ihr soviel daran? Es ging gar nicht um die Blumen. Es ging um den ewigen Hader. In den Tagen, als sie noch mitzureden hatte, würde sie die Blumen zur Verfügung gestellt haben. Sie hätte entschieden, ob sie die Kanzel oder den Altar schmückten. Ich fand das alles schrecklich unwichtig. Ich ärgerte mich über sie, und zugleich tat sie mir leid.

So trödelte ich auf dem Heimweg und überlegte hin und her, wie ich ihr die Nachricht überbringen sollte.

Sie wartete auf mich. »Du bist lange fortgeblieben. Nun, hast du seine Antwort mitgebracht?«

»Es bestand keine Notwendigkeit, zu schreiben«, sagte ich. Und ich richtete ihr aus, was mir der Pastor aufgetragen hatte. »Mrs. Carter hatte die Blumen schon besorgt, und Miß Allder hilft ihr, sie zu arrangieren, weil sie es bereits verabredet hatten.«

Sie starrte mich an, als hätte ich von einer großen Katastrophe berichtet. »Nein!« rief sie.

»Das hat er gesagt. Er bedauert es sehr, und es scheint ihm aufrichtig leid zu tun, daß du dich so aufregst.«

»Oh, wie kann er es wagen!«

»Er hat gesagt, er konnte nichts machen, weil Mrs. Carter die Blumen zur Verfügung gestellt hat.«

»Diese vulgäre Person!«

»Der Pastor kann doch nichts dafür.«

»Ach, er kann nichts dafür?«

Ihr gewöhnlich blasses Gesicht war purpurrot angelaufen. Sie zitterte, und ihre Lippen zuckten.

»Wirklich, Mama«, sagte ich. »Es handelt sich doch nur um den Osterschmuck. Ist denn das so wichtig?« Sie hatte die Augen geschlossen. Ich bemerkte ein schnelles Pulsieren hinter ihrer Stirn. Sie stöhnte auf und schwankte. Ich lief zu ihr und fing sie auf, bevor sie umfiel. Sie hatte Schaum vor dem Mund.

Ich hätte am liebsten geschrien: Das ist absurd. Es ist lächerlich. Aber plötzlich bekam ich Angst. Dies hier war mehr als Wut.

Zum Glück stand nahebei ein großer Sessel. Ich half ihr hinein und rief nach Meg.

Mit Amys Hilfe brachten Meg und ich meine Mutter zu Bett. Der Arzt kam, Meg führte ihn zu ihr. Ich stand lauschend auf der Treppe.

Miß Glover, meine Gouvernante, kam aus ihrem Zimmer und sah mich. »Was gibt’s?«

»Mutter ist krank.«

Miß Glover bemühte sich, ein mitfühlendes Gesicht zu machen, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. Auch sie war eine von denen, die nur so lange blieben, bis sie etwas Besseres fanden.

Sie ging mit mir ins Wohnzimmer, wo wir auf den Arzt warteten.

Ich hörte ihn mit Meg die Treppe herunterkommen und sagen: »Ich schaue heute nachmittag wieder vorbei. Dann sehen wir weiter.«

Meg dankte ihm, dann kam sie zu uns ins Wohnzimmer. Sie sah mich an, ihre Augen waren von Sorge erfüllt. Ich wußte, daß sie mehr um mich bangte als um meine Mutter.

»Was ist geschehen?« fragte Miß Glover.

»Er sagt, es ist ein Schlaganfall.«

»Was ist das?« fragte ich.

»Es ist schlimm. Aber wir wissen noch nichts Genaues. Wir müssen abwarten.«

»Das ist ja furchtbar«, sagte Miß Glover. »Ist sie ... hm ...?«

»Er weiß es noch nicht genau. Er kommt später noch mal vorbei. Es steht ziemlich schlimm um sie.«

»Ist sie bei Bewußtsein?« fragte ich.

»Er hat ihr etwas gegeben. Er sagt, sie weiß nicht, was mit ihr geschehen ist ... noch nicht. Er will wiederkommen und den jungen Dr. Egham mitbringen.«

»Das hört sich schlimm an«, sagte ich. »Sie muß wirklich krank sein.«

Meg sah mich betrübt an. »Sieht ganz so aus«, meinte sie.

Miß Glover sagte: »Nun, wenn ich nichts tun kann ...« Sie ließ uns allein. Es interessierte sie nicht weiter. Mit der Morgenpost war ein Brief für sie gekommen. Ich vermutete, daß er ein Angebot für eine neue Stellung enthielt, die ihren Erwartungen mehr entsprach, als ein Mädchen in einem Cottage – auch wenn es sich House nannte – zu unterrichten und bei einer Frau in Diensten zu stehen, die sich wie eine große Dame gebärdete, ohne über die nötigen Mittel zu verfügen, um ihre Ansprüche zu verwirklichen. Ich lernte allmählich, die Gedanken der Menschen zu lesen.

Ich war froh, als Miß Glover hinausging. Meg war sehr ernst.

»Was hat das alles zu bedeuten?« fragte ich.

»Da bin ich auch nicht klüger als du, Liebes. Sie ist schwer krank, nehm’ ich an. Meine Tante Jane hatte mal einen Schlaganfall. Sie war auf einer Seite gelähmt. Sprechen konnte sie auch nicht, bloß murmeln. Ein Jahr ging das so mit ihr. Sie war wie ein Baby.«

»O nein, nein.«

»Es kommt halt manchmal vor, daß man sich nicht wieder erholt. Das kann jedem von uns passieren, jederzeit. Man geht seiner Arbeit nach, und der Herr hält es für richtig, daß einen der Schlag trifft.«

Ich mußte an meine Mutter denken, die so würdevoll war, so stolz auf ihre Herkunft, so zornig und verbittert wegen der Wende des Schicksals, und ich war von Mitleid mit ihr erfüllt. Jetzt verstand ich sie besser denn je, und ich wünschte es ihr sagen zu können. Mich überkam eine schreckliche Furcht, daß ich nie Gelegenheit dazu haben würde. Zorn wallte in mir auf. Der dämliche Osterschmuck war an allem schuld. Die Wut hatte Mutter dies angetan. O nein! Es waren nicht allein die Blumen. Es hatte sich in ihr aufgestaut – all die Wut, die Bitterkeit, der Groll. Die Blumen waren nur der Höhepunkt gewesen von jahrelangem Neid und unterdrücktem Zorn auf das Schicksal.

Der Arzt kam wieder und brachte Dr. Egham mit. Sie blieben sehr lange bei meiner Mutter. Meg begleitete sie, und hinterher gingen alle ins Wohnzimmer und schickten nach mir.

Dr. Canton sah mich dermaßen gütig an, daß ich das Schlimmste befürchtete.

»Deine Mutter ist sehr krank«, sagte er. »Es besteht die Möglichkeit, daß sie sich ein wenig erholt. Aber auch dann wird sie leider schwer behindert sein. Sie wird Pflege benötigen.« Er sah mich zweifelnd an, dann wandte er sich etwas zuversichtlicher an Meg. »Wir wollen ein paar Tage abwarten. Dann können wir klarer sehen. Gibt es irgendwelche Verwandte?«

»Ich habe eine Tante«, erklärte ich ihm. »Die Schwester meiner Mutter.«

Seine Miene hellte sich auf. »Wohnt sie weit entfernt?«

»In Wiltshire.«

»Du solltest sie umgehend verständigen.«

Ich nickte.

»Nun denn«, fuhr er fort, »wir werden abwarten ... sagen wir, bis Ende der Woche. Bis dahin dürften wir mehr wissen.«

Dr. Egham lächelte mir aufmunternd zu, Dr. Canton legte mir die Hand auf die Schulter und tätschelte mich begütigend. Ich war zu verwirrt für Tränen, obwohl mir zum Weinen zumute war.

»Wir wollen das Beste hoffen«, sagte Dr. Canton.

»Unterdessen verständige deine Tante.«

Er wandte sich an Meg. »Viel mehr kann ich nicht tun. Sollte eine Veränderung eintreten, geben Sie mir Bescheid. Ich schaue morgen wieder vorbei.«

Als er fort war, sahen Meg und ich uns stumm an. Wir fragten uns, was aus uns werden würde.

Ende der Woche kam Tante Sophie. So groß war meine Freude, sie zu sehen, daß ich mich in ihre Arme warf. Sie erwiderte meine Umarmung; ihre vor Rührung zusammengekniffenen Korinthenaugen waren ein wenig feucht. »Mein liebes Kind«, sagte sie. »So eine Bescherung. Deine arme Mutter. Wir werden abwarten müssen, was aus alledem wird.« Damit wandte sie sich an Meg. »Guten Tag, Meg. Ich weiß, es war für euch alle ein schwerer Schlag. Kopf hoch. Wir werden es schon schaffen.«

»Möchten Sie zuerst in Ihr Zimmer gehen, Miß Cardingham?« fragte Meg.

»Vielleicht. Nur schnell die Reisetasche abstellen. War das eine Fahrt!«

»Danach werden Sie wohl Mrs. Hammond sehen wollen.«

»Gute Idee. Wie geht es ihr jetzt?«

»Sie bekommt scheint’s nicht viel mit. Kann sein, daß sie Sie nicht erkennt, Miß Cardingham.«

»Jetzt gehe ich mir zuerst einmal die Hände waschen. In den Zügen ist es immer so schmutzig. Dann machen wir uns ans Werk. Du kommst mit mir, Frederica.«

Wir gingen in das Zimmer, das für sie hergerichtet worden war, und Meg ließ uns allein.

»Eine gute Seele«, sagte Tante Sophie, indem sie zu der Tür hin nickte, durch die Meg soeben verschwunden war.

»O ja.«

»Sie hat’s jetzt nicht leicht. Wir werden sehen, was zu tun ist. Was sagt der Arzt?«

»Er sagt, es besteht keine große Hoffnung, daß Mutter wieder ganz gesund wird. Sie wird wohl Pflege brauchen.«

Tante Sophie nickte. »Schön, jetzt bin ich ja da.« Sie lächelte mich wehmütig an. »Armes Schätzchen. So jung, und schon so eine Last auf den Schultern. Du mußt jetzt ... wie alt bist du?«

»Dreizehn.«

»Hm«, murmelte sie.

Amy brachte warmes Wasser, und Tante Sophie wusch sich. Ich setzte mich solange aufs Bett und sah ihr zu. Während sie sich die Hände abtrocknete, schaute sie aus dem Fenster und verzog das Gesicht. »Das alte Heim«, sagte sie. »Und sie hatte es die ganze Zeit im Blick!«

Ich nickte. »Es hat sie aufgeregt.«

»Ich weiß. Schade, daß sie nicht fortkonnte.«

»Sie wollte nicht.«

»Ich kenne meine Schwester. Nun ja, jetzt ist es zu spät.« Sie drehte sich mit einem zärtlichen Lächeln zu mir um. »Dreizehn. Zu jung für eine solche Bürde. Du solltest dich vergnügen. Man ist nur einmal jung.« Ich entdeckte bald, daß es eine Gewohnheit von ihr war, sprunghaft das Thema zu wechseln und die Gedanken schweifen zu lassen.

»Naja«, fuhr sie fort, »geschehen ist geschehen. Das Leben geht weiter. Keine Sorge. Die alte Tante Sophie findet eine Lösung. Meg ist schon lange bei euch.«

»Eine Ewigkeit«, erklärte ich ihr.

Sie nickte zum Fenster hin. »Sie war schon da drüben bei uns. Gute Seele. Solche gibt’s nicht viele.«

Ich brachte sie zu meiner Mutter. Ich wußte, daß sie sie nicht erkennen würde. Es war mir beinahe unerträglich, meine Mutter anzusehen. Ihre Augen starrten ausdruckslos vor sich hin; ihre Lippen bewegten sich. Ich dachte mir, sie versuche vielleicht, etwas zu sagen, aber niemand von uns konnte verstehen, was ihre Lippen murmelten.

Wir blieben nicht lange bei ihr. Es hatte keinen Sinn. »Arme Caroline«, sagte Tante Sophie. »Daß es so weit mit ihr kommen mußte. Hoffentlich spürt sie es nicht. Es würde sie sehr betrüben.« Dann drehte sie sich zu mir und legte ihren Arm um mich. »Laß dich nicht unterkriegen, liebes Kind. Es wird schon werden.«

Seit Tante Sophies Ankunft fühlte ich mich erheblich besser. Dr. Canton war sichtlich erfreut, sie hier zu sehen, und nachdem er meine Mutter untersucht hatte, führte er eine lange Unterredung mit Tante Sophie. Als er fort war, nahm sie mich mit auf ihr Zimmer, und dort erörterte sie mir die Lage. »Du bist noch sehr jung«, sagte sie, »aber manchmal werden uns solche Dinge eben aufgebürdet, einerlei, wie alt wir sind. Ich will offen zu dir sein. Deine Mutter ist in der Tat schwer krank. Sie braucht sachkundige Pflege. Meg ist eine gute Seele, und kräftig ist sie auch, aber allein könnte sie es nicht bewältigen. Ich habe gründlich darüber nachgedacht. Wir könnten eine Krankenschwester ins Haus nehmen. Das wäre nicht einfach. Sie müßte verköstigt werden. Es gäbe aber noch eine andere Möglichkeit. Deine Mutter könnte in ein Pflegeheim, wo sie aufs beste umsorgt würde. Ich kenne eins nicht weit von mir zu Hause entfernt. Wir könnten sie dort unterbringen.«

»Würde das sehr viel kosten?«

»Ah, du denkst an alles, wie ich sehe.« Tante Sophie lachte – das Lachen, das meiner Mutter auf die Nerven ging, mir aber wie tröstliche Musik erschien. Es war das erste Mal, daß ich es hörte, seit sie angekommen war.

»Ja, mein Liebes, es würde allerdings einiges kosten. Ich lebe nicht in so beschränkten Verhältnissen wie deine Mutter. Ich habe ein kleines Haus und ein Hausmädchen, meine gute, treue Lily. Ich muß keinen Schein wahren. Ich bin in meinem Häuschen zufrieden. Wir haben einen großen Garten und bauen unser Gemüse selbst an. Im Vergleich mit deiner Mutter – obwohl wir ein fast gleich hohes Einkommen haben, wir haben uns ja geteilt, was vom Vermögen unseres armen Vaters übriggeblieben ist – lebe ich in verhältnismäßigem Komfort. Nur bin ich leider nicht wohlhabend genug, um für deine Mutter im Pflegeheim aufzukommen, aber ich habe einen Plan.« Sie sah mich voller Zärtlichkeit an. »Ich hatte immer eine Schwäche für dich, Frederica. So ein würdevoller Name. Bezeichnend für deine Mutter, dich so zu nennen. Bei mir habe ich dich immer Freddie genannt.«

Ich sagte: »Das klingt freundlich.« Und ich dachte: Hoffentlich geht sie nicht fort. Ich hätte mich am liebsten an sie geklammert, sie gebeten zu bleiben.

Sie hatte die Hoffnung mit sich gebracht, daß alles nicht so schlimm wäre, wie es schien.

»Schön«, fuhr sie fort, »dann bleibt es bei Freddie. Jetzt hör zu. Du kannst hier nicht allein wohnen bleiben, das steht fest. Ich schlage vor – wenn dir die Idee zusagt –, daß du mit zu mir kommst. Ich bin der einzige Mensch, den du hast. Dir bleibt keine große Wahl, leider.«

Ich lächelte sie verzagt an.

»Hm, ich bin gar nicht so übel, und ich habe das Gefühl, daß wir uns verstehen werden.«

»Und was wird aus ...«

»Dazu komme ich jetzt. Meg und die Kleine werden sich nach einer neuen Stellung umsehen müssen. Das Haus könnte verkauft werden. Von dem Ertrag ließe sich die Pflege für deine Mutter bestreiten, und obendrein hat sie noch ihr kleines Einkommen. Das könnte genügen. Du kommst mit mir. Offen gestanden, Freddie, sehe ich keine andere Möglichkeit. Ich habe mit dem Arzt gesprochen. Er hält es für eine gute Idee. Zudem ist es das einzig Vernünftige.«

Ich konnte nicht sprechen. Mir war, als würde meine Welt rings um mich zusammenbrechen.

Tante Sophie sah mich eindringlich an. »Ich könnte mir vorstellen, daß du dich gar nicht unwohl fühlen wirst. Lily kann zuweilen aufbrausend sein, aber sie meint es gut. Sie ist eine brave Person, und ich bin auch nicht so übel. Ich hatte immer gern junge Menschen um mich.«

Ich klammerte mich an sie.

»Ist ja gut, ist ja gut«, murmelte sie beschwichtigend.

Meg sagte: »Es wird mir schwerfallen, nach all den Jahren, aber sie hat recht. Es ist das einzig Richtige. Ich könnte deine Mutter nicht ordentlich pflegen, und ich würde es nicht aushalten, Krankenschwestern im Haus zu haben. Die können so mäkelig sein – sie wollen mal dies, mal jenes, nicht nur für die Patientin, auch für sich selbst. Am schlimmsten wird die Trennung von dir, Miß Fred.«

»Aber du mußt dir eine neue Stellung suchen, Meg.«

»Ich hab’ schon meiner Schwester in Somerset geschrieben. Sie meint, in dem großen Haus wird immer Personal gebraucht. Keine Ahnung, welcher Posten gerade frei ist, aber für den Anfang ist mir jeder recht. Ich hab’ immer schon in so ein Haus wollen, seit ich nicht mehr in Cedar Hall bin. Und wer weiß, vielleicht kann Amy auch dort unterkommen.«

»O Meg, ich werde dich sehr vermissen!«

»Ich dich auch, Liebes. Aber so ist das Leben. Es ändert sich immerzu. Und ich denke, bei Miß Sophie wirst du’s gut haben. Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck. Bei ihr wird’s lebhafter zugehen als bei deiner Mama.«

»Hoffentlich wird alles gut.«

»Bestimmt. Kaum war sie hier, sah man schon Licht am Ende des Tunnels, wie es so schön heißt. Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen. Deine Mama wird nicht wieder gesund werden. Sie braucht anständige Pflege, und die bekommt sie im Heim. Du kannst sie oft besuchen. Das ist die beste Lösung. Auf Miß Sophie ist Verlaß. Sie war schon immer sehr praktisch veranlagt.«

Das Haus wurde zum Verkauf ausgeschrieben. Es war ein hübsches Anwesen, und es meldeten sich mehrere Interessenten. Tante Sophie war in der Tat ungemein praktisch. Sie verlangte, daß die Mädchen im Haus bleiben müßten, bis sie eine neue Stellung gefunden hätten. Man dürfe sie nicht hinauswerfen. Was dies betraf, hatten sie Glück. Megs Schwester schrieb, für Meg sei ein Posten frei. Zwar nur als Hausmädchen, aber besser als nichts, und es bestünde die Chance, sich »hochzuarbeiten«. Für Amy habe sich noch nichts gefunden, aber es gebe viele vornehme Häuser in der Gegend. Die Dienstboten seien untereinander befreundet, und sie habe gehört, daß in einem Haus ein Stubenmädchen gesucht werde. Sie wolle sich für Amy verwenden.

Wir waren zuversichtlich, und unsere Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Es war, als sei Tante Sophie als Märchenfee gekommen und habe mit ihrem Zauberstab gewinkt.

Eines Tages sagte ich zu ihr: »Was ist mit meinem Vater?«

Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich ein wenig, und sie setzte eine Miene auf, die ich nur als wachsam bezeichnen konnte.

»Was soll mit ihm sein?« fragte sie in ungewohnt scharfem Ton.

»Muß man ihn nicht verständigen?«

Sie überlegte eine Weile, dann schüttelte sie den Kopf.

»Immerhin ... er ist ihr Ehemann«, beharrte ich, »und ... mein Vater.«

»Das ist lange vorbei. Sie sind geschieden.«

»Schon, aber ... er ist und bleibt mein Vater.«

»Das ist alles so lange her.«

»Zwölf Jahre sind es wohl.«

»Er führt ein neues Leben.«

»Mit einer neuen Familie.«

»Vielleicht.«

»Meinst du, daß ich ihn nicht interessiere?«

Sie lächelte, und ihr Gesichtsausdruck wurde zärtlich. Ich sagte: »Du hattest ihn gern, nicht wahr?«

»Fast alle hatten ihn gern. Allerdings konnte er nie richtig ernst sein.«

Ich wartete, daß sie fortführe, und da sie schwieg, sagte ich: »Findest du nicht, er müßte es erfahren? Oder meinst du, er mag nicht an uns erinnert werden?«

»Es könnte ihm unangenehm sein. Leute, die sich scheiden lassen, werden manchmal zu Feinden. Er ist Unannehmlichkeiten immer aus dem Weg gegangen. Nein, Liebes, wir wollen das Ganze vergessen. Du kommst mit zu mir.«

Ich war nachdenklich; er ging mir nicht aus dem Sinn. Tante Sophie nahm meine Hand. »Es heißt, schlafende Hunde soll man nicht wecken«, sagte sie.

»Das habe ich schon mal gehört.«

»Ja, wenn man sie weckt, gibt es lautes Gebell und vielleicht Mißhelligkeiten. Laß uns nach Wiltshire fahren. Mal sehen, wie es dir dort gefällt. Du mußt zur Schule gehen. Deine Erziehung ist wichtig. Du und ich, wir werden eine Menge Entscheidungen treffen müssen. Wir wollen uns nicht belasten mit dem, was vorher war. Wir müssen vorwärtsschreiten. Das war das Problem deiner Mutter. Sie hat ständig zurückgeblickt. Das tut nicht gut, Freddie. Ich habe das Gefühl, wir zwei werden uns sehr gut verstehen.«

»O ja, Tante Sophie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Nach so vielen Jahren bist du hierhergekommen, und durch dich sieht auf einmal alles leichter aus.«

»So ist’s recht. Ich muß sagen, es freut mich, daß ich meine Nichte nun bei mir haben werde.«

»Liebste Tante Sophie, und ich bin sehr froh, daß ich meine Tante habe.«

Wir küßten und umarmten uns, und ein köstliches Gefühl der Geborgenheit hüllte mich ein.

Während der folgenden Wochen ereignete sich eine Menge. Die Versteigerung der Möbel erbrachte mehr, als wir erhofft hatten, denn es befanden sich darunter einige kostbare Stücke, die meine Mutter aus Cedar Hall mitgenommen hatte.

Meg und Amy reisten ab nach Somerset, und das Haus stand zum Verkauf. Meine Mutter wurde nach Devizes ins Pflegeheim gebracht, das nicht weit von Tante Sophies Wohnort entfernt lag, so daß wir sie wenigstens einmal in der Woche besuchen konnten. Tante Sophie erklärte mir, ihr stünde praktisch eine eigene Kutsche zur Verfügung. »Ist zwar nur ein Dogcart. Er gehört dem alten Joe Jobbings, der einmal in der Woche in unserem Garten nach dem Rechten sieht. Er kutschiert uns, wohin wir wollen.« Lavender House stand zum Verkauf. Ich warf einen letzten Blick auf Cedar Hall; ich tat es ohne Bedauern, denn seiner Nachbarschaft, der ständigen Erinnerung an verlorenen Glanz und an »bessere Tage«, gab ich die Schuld am Zustand meiner Mutter. Dann brach ich mit Tante Sophie zu meinem neuen Heim in Wiltshire auf.