Das Haus der Seide

Erst als ich der Kindheit entwuchs, dämmerte es mir, daß meine Anwesenheit im Haus der Seide ziemlich mysteriöse Gründe hatte. Ich gehörte nicht richtig zum Haushalt, und doch hing ich leidenschaftlich an ihm. Das Haus der Seide war für mich eine Quelle der Verwunderung; ich träumte von den Geschehnissen, die sich dort abgespielt, und den Menschen, die im Laufe der Jahrhunderte dort gelebt haben mochten.

Natürlich hatte sich im Laufe der Jahre einiges verändert. Die Sallongers hatten das Gebäude umgebaut, als ein Vorfahre von Sir Francis es vor über hundert Jahren erwarb. Er hatte es Haus der Seide genannt – ein höchst unpassender, wenngleich begründeter Name. In den alten Urkunden, die Philip Sallonger mir gezeigt hatte, wird das Gebäude als königliche Jagdhütte in Epping Forest aufgeführt.

Stolz stand es da, als seien die Bäume zurückgewichen, um ihm Platz zu machen. Der Garten muß in der Tudorzeit angelegt worden sein; der ummauerte Teil mit den von roten Ziegelsteinen umschlossenen Kräuterbeeten rings um den Teich, an dem die Hermesstatue stand, als wolle sie jeden Augenblick wegfliegen, war typisch für jene Epoche.

Dichter Wald umgab das Anwesen, und von den Fenstern des obersten Stockwerks aus konnte man die majestätischen Bäume sehen, Eichen, Buchen und Kastanien, schön im Frühling, prachtvoll im Sommer, herrlich im Herbst mit den bunten Blättern, die, wenn sie herabfielen, einen Teppich bildeten, durch den wir so gerne geräuschvoll schlurften; aber auch im Winter waren die Bäume schön, wenn sie, ihres Laubes entkleidet, vor dem grauen und oft stürmischen Himmel reizvolle Strukturen bildeten.

Als die Sallongers das geräumige Haus übernahmen, vergrößerten sie es noch. Es diente ihnen als Landsitz. Sie besaßen auch ein Stadthaus, wo Sir Francis sich die meiste Zeit aufhielt; und wenn er nicht dort war, reiste er durch das Land, denn neben dem Hauptwerk in Spitalfields besaß er Fabriken in mehreren Gegenden Englands. Den Sprung in den Adel hatte sein Großvater geschafft, der als einer der größten Seidenfabrikanten des Landes eine Stütze der Gesellschaft darstellte.

Seide war für Sir Francis wichtiger als alles andere, und er hoffte, daß es bei seinen Söhnen Charles und Philip ebenso sein werde, wenn sie ihm einmal bei der Herstellung des schönsten aller Stoffe zur Hand gingen. Wegen dieser Hingabe der Familie an dieses Erzeugnis und in völliger Mißachtung der historischen Zusammenhänge waren die Worte HAUS DER SEIDE in großen Bronzelettern über dem alten Eingangstor angebracht worden.

Ich konnte mich nicht erinnern, daß ein anderer Ort als das Haus der Seide je mein Heim gewesen wäre. Ich befand mich in einer merkwürdigen Situation, und ich wunderte mich über mich selbst, daß mir das nicht früher aufgefallen war. Kinder halten wohl fast alles für selbstverständlich. Sie kennen nichts anderes als ihre unmittelbare Umgebung.

Ich wuchs in der Kinderstube mit Charles, Philip, Julia und Cassandra, gewöhnlich Cassie genannt, auf. Es war mir nicht bewußt, daß ich wie ein Kuckuck im Nest war. Für sie waren Sir Francis und Lady Sallonger Papa und Mama, für mich waren sie Sir Francis und Lady Sallonger. Nanny, die Herrscherin über die Kinderstube, musterte mich oft mit geschürzten Lippen, denen leise Luft entwich, was auf eine kritische Einstellung hindeutete. Ich wurde schlicht Lenore gerufen, nicht Fräulein Lenore. Bei den anderen hieß es stets Fräulein Julia und Fräulein Cassie. Auch die Haltung des Kindermädchens Amy, die mich bei den Mahlzeiten immer zuletzt bediente, brachte diese Einstellung zum Ausdruck. Ich spielte mit den abgelegten Spielsachen von Julia und Cassie, nur dann und wann bekam ich eine eigene Puppe oder dergleichen zu Weihnachten. Miss Everton, die Erzieherin, betrachtete mich zuweilen mit einer Miene, die an Verachtung grenzte, und es schien ihr gegen den Strich zu gehen, daß ich eine schnellere Auffassungsgabe besaß als Julia und Cassie. Ich hatte also gewarnt sein müssen.

Der Butler Clarkson übersah mich, aber die anderen Kinder übersah er genauso. Er war ein sehr bedeutender Herr, der mit Mrs. Dillon, der Köchin, im Parterre regierte. Sie waren die Aristokraten der Dienstbotenquartiere, wo die Klassenunterschiede strikter beachtet wurden als in den oberen Etagen. Alle Bediensteten hatten ihren festen Platz in der Hierarchie, von dem sie nicht abrücken konnten. Clarkson und Miss Dillon wachten so streng über das Protokoll, wie es am Hofe der Königin Viktoria angemessen gewesen wäre. Bei Tisch hatte jeder der Dienstboten seinen bestimmten Platz, Clarkson am oberen Ende, Miss Dillon am unteren. Rechter Hand von Miss Dillon saß der Lakai Henry. Wenn Miss Logan, Lady Sallongers Zofe, in der Küche aß, was sie nicht oft tat, da sie sich ihre Mahlzeiten aufs Zimmer bringen lassen konnte, saß sie an der Seite von Clarkson. Das Stubenmädchen Grace hatte seinen Platz neben Henry. Ferner waren da noch die Dienstmädchen May und Jenny, das Kindermädchen Amy und das Hausmädchen Carrie. Kam Sir Francis ins Haus der Seide, nahm der Kutscher Cobb an den Mahlzeiten des Personals teil, aber die meiste Zeit blieb er in London, wo er über dem an die Stadtresidenz angrenzenden Kutschhaus eine eigene Unterkunft bewohnte. Dann gab es noch etliche Stallburschen, die ihre Quartiere über den Stallungen hatten. Diese waren sehr geräumig, denn außer den Reitpferden beherbergten sie ein Gig und einen Dogcart. Und natürlich wurde dort auch Sir Francis’ Kutsche abgestellt, wenn er ins Haus der Seide kam.

Soweit das Parterre. Und im Niemandsland zwischen den oberen und unteren Rängen der Gesellschaft schwebte gleichsam Miss Everton, die Erzieherin. Ich dachte oft, sie müsse sehr einsam sein. Sie nahm die Mahlzeiten, die ihr von mürrischen Mädchen hinaufgebracht wurden, in ihrem Zimmer ein. Nanny aß natürlich in ihrem an die Kinderstube angrenzenden Zimmer; sie hatte dort einen Spirituskocher, auf dem sie sich selbst etwas zubereitete, wenn sie nicht mit dem vorliebnehmen wollte, was in der Küche aufgetischt wurde. Und stets brannte in ihrem Zimmer ein Feuer im Kamin, der einen Vorsprung für den Wasserkessel besaß, aus dem sie sich ihre unzähligen Tassen Tee aufbrühte.

Julia war ein gutes Jahr älter als ich; die Jungen waren uns um etliche Jahre voraus, Charles war der älteste. Sie wirkten über alles erhaben und sehr erwachsen. Philip übersah uns hauptsächlich, Charles dagegen drangsalierte uns, wenn ihn die Lust ankam. Julia neigte zur Hochnäsigkeit; sie war von hitzigem Temperament und erging sich dann und wann in unbeherrschten Wutausbrüchen. Ich zankte mich ziemlich oft mit ihr. Dann pflegte Nanny zu sagen: »Also, Fräulein Julia! Also, Lenore! Schluß jetzt! Ihr geht mir auf die Nerven.« Nanny machte viel Aufhebens um ihre Nerven. Man mußte stets Rücksicht auf sie nehmen.

Cassie war etwas Besonderes. Sie war die jüngste von uns allen. Ich hatte munkeln hören, daß sie es bei ihrer Geburt Lady Sallonger »sehr schwergemacht« habe und daß die Lady »keine Kinder mehr« bekommen könne. Das war wohl die Erklärung für Cassies Behinderung. Ich hatte die Dienstboten, wenn sie Cassie erspähten, von »Instrumenten« flüstern hören, was mich an die Folterinstrumente und Daumenschrauben der Inquisition denken ließ. Sie spielten jedoch auf Cassies rechtes Bein an, das kürzer geraten war als das linke, weswegen sie hinkte. Sie war klein und blaß und galt als »zart«. Sie besaß dafür ein sanftes, liebenswürdiges Naturell, und ihre Behinderung hatte sie nicht im geringsten verbittert gemacht. Sie und ich liebten einander innig. Wir lasen gemeinsam und nähten oft gemeinsam, denn wir waren beide geschickt im Umgang mit der Nadel. Ich glaube, mein Geschick hatte ich Grandmère zu verdanken.

Grandmère war die wichtigste Person in meinem Leben. Sie war der einzige Mensch im Hause, zu dem ich wirklich gehörte. Wir waren beide vom übrigen Haushalt abgesondert. Sie sah es gern, wenn ich die Mahlzeiten mit den anderen Kindern einnahm, obwohl ich lieber mit ihr gegessen hätte, und sie sah es gern, wenn ich mit ihnen Reitstunden nahm. Vor allem aber wünschte sie, daß ich mit ihnen lernte. Grandmère war ein Teil meines Geheimnisses. Sie war meine Grandmère und nicht die ihre.

Sie bewohnte das oberste Geschoß des Hauses mit dem großen Raum, den ein Sallonger ausgebaut hatte. Dieser Raum hatte hohe Fenster und ein Glasdach, um das Licht einzulassen. Grandmère brauchte das Licht. Hier hatte sie ihren Webstuhl und ihre Nähmaschine, und hier arbeitete sie tagsüber. Neben der Maschine standen die Schneiderpuppen, die wie Abgüsse lebendiger Menschen aussahen: drei wohlgestaltete Damen unterschiedlicher Größe, oft mit erlesenen Kleidungsstücken angetan. Ich hatte ihnen Namen gegeben: Die kleine hieß Emmelina, die mittlere Lady Ingleby, und die größte war die Herzogin von Malfi. Von Spitalfields wurden Stoffballen angeliefert. Grandmère entwarf zunächst die Kleider, dann machte sie sich an die Fertigung. Den Geruch der Stoffballen werde ich nie vergessen. Ich merkte mir ihre exotischen Namen. Neben feinen Seiden, Satins und Brokaten gab es Lustrine, Alamode, Paduasoie, Samt und Duchesse. Oft saß ich da, lauschte auf das Surren der Nähmaschine und beobachtete, wie Grandmères kleiner schwarzer Pantoffel den Tritt bediente.

»Reich mir die Schere, ma petite! « sagte sie. »Bring mir die Stecknadeln! Ah, was täte ich nur ohne meinen kleinen Lehrling.« Dann war ich glücklich.

»Du arbeitest sehr schwer, Grandmère«, sagte ich eines Tages zu ihr.

»Ich hab’s gut getroffen«, erwiderte sie. Sie sprach eine Mischung aus Französisch und Englisch. Im Schulzimmer lernten wir ein etwas gekünsteltes Französisch, indem wir uns als Besitzer eines Federhalters, eines Hundes oder einer Katze auswiesen und uns nach dem Weg zum Postamt erkundigten.

Julia und Cassie hatten es weitaus schwerer dabei als ich, die ich durch die Nähe zu Grandmère die Worte mühelos und mit einem anderen Akzent als Miss Everton aussprechen konnte, was dieser gar nicht behagte.

Grandmère fuhr fort: »Ich bin mit meiner Kleinen in diesem schönen Haus. Ich bin glücklich, sie ist glücklich. Sie wächst zu einer begabten Dame heran. Hier wirst du dir aneignen, was dich in der Welt voranbringt. Wir haben hier ein gutes Leben, mon amour

Ich liebte es, wie sie mon amour sagte. Das bedeutete, daß sie mich herzlich liebte, mehr als irgend jemand sonst.

Sie war nie mit den anderen beisammen. Nur wenn sie Kleider für die Familie schneiderte, kam sie in den Salon zu Lady Sallonger hinunter, weil Lady Sallonger zu gebrechlich war, um zur Anprobe die Treppen hinaufzusteigen.

Jeden Nachmittag machte Grandmère einen Spaziergang im Garten. Dabei leistete ich ihr oft Gesellschaft, und wir setzten uns an den Gartenteich und plauderten. Mit Grandmère gab es immer viel zu bereden. Zum großen Teil drehte sich unsere Unterhaltung um die Stoffe und ihre Webart und für welchen Schnitt sie sich am besten eigneten. Wenn der von zwei Pferden gezogene Lastkarren die fünfundzwanzig Kilometer von Spitalfields nach Epping Forest gefahren kam und die Stoffballen ins oberste Geschoß gebracht wurden, flitzte ich hinauf, um sie sofort mit Grandmère in Augenschein zu nehmen.

Dabei geriet sie ganz außer sich. Sie war sehr leicht erregbar. Sie hielt sich den Stoff an die Wange und seufzte. Dann drapierte sie ihn um mich und klatschte verzückt in die Hände, ihre großen braunen Augen strahlten dabei vor Begeisterung. Wir freuten uns beide jedesmal auf die Ankunft der Stoffballen.

Grandmère war im Hause durchaus eine wichtige Persönlichkeit. Sie stellte ihre eigenen Regeln auf. Ich nehme an, sie hätte die Mahlzeiten mit der Familie einnehmen können, wenn sie gewollt hätte. Aber sie war auf ihre Art so aristokratisch wie Clarkson und Mrs. Dillon.

Die Mahlzeiten wurden ihr ins oberste Stockwerk gebracht, und kein Mädchen wagte es, auch nur eine Spur von Unwillen zu äußern, denn Grandmère strahlte große Würde und Autorität aus. Sie nahm diese Dienste anders entgegen als Miss Everton, die sich stets der ihr gebührenden Ehre versichern mußte. Grandmère dagegen drückte mit ihrem Verhalten aus, daß sie es nicht nötig hatte, auf ihre Wichtigkeit hinzuweisen, da diese ohnehin allen klar war.

Als ich entdeckte, daß ich anders war als die anderen Kinder, war es eine große Erleichterung zu wissen, daß Grandmère und ich zusammengehörten. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn Sir Francis ins Haus der Seide kam, stattete er Grandmère jedesmal einen Besuch ab. Sie unterhielten sich stets über die Stoffe und besprachen alles mögliche. Aus diesem Grunde besaß sie bei den übrigen im Hause ein gewisses Ansehen.

Wir bewohnten das obere Geschoß. Es waren vier Räume: das große, helle Atelier, unsere Schlafzimmer – zwei kleine Kammern mit schmalen Fenstern und einer Verbindungstür – sowie ein kleines Wohnzimmer. Die Kämmerchen gehörten zum alten Teil des Hauses, das Atelier freilich hatte ein Sallonger ausgebaut.

»Dies ist unser Reich«, sagte Grandmère, »unser kleines Königreich. Es gehört dir und mir, hier sind wir Könige in unserem Schlößchen, oder sollte ich lieber Königinnen sagen, hm«

Sie war eine zierliche Frau. Ihre üppige Haarpracht war einst schwarz, nun aber mit weißen Strähnen durchzogen. Sie trug die Haare hochgesteckt, von einem funkelnden spanischen Kamm gehalten. Sie war sehr stolz auf ihr Haar.

»Die Frisur muß stets elegant sein«, sagte sie. »Der feinste Satin und die beste Seide der Welt nützen dir nichts, wenn dein Haar keine Fasson hat.« Ihre großen Augen strahlten vor Freude oder blitzten vor Entrüstung, sie konnten kalt vor Verachtung sein oder vor Liebe aufleuchten. Sie verrieten stets Grandmères jeweilige Stimmung. Augen und Haare machten ihre große Schönheit aus. Sie hatte lange, schlanke Finger, und ich werde mich immer an ihre flinken Bewegungen erinnern, wenn sie auf dem großen Tisch im Atelier die Kleider nach selbstentworfenen Schnittmustern zuschnitt. Sie war so leicht, daß ich zuweilen fürchtete, sie würde davonschweben. Einmal sagte ich es ihr und fügte hinzu:

»Was soll ich machen, wenn das passiert«

Gewöhnlich lachte sie über meine Phantastereien, aber diesmal wurde sie sehr ernst. »Dir wird es nicht schlechtgehen... nie, so wie es mir nie schlechtging. Seit meinen Mädchentagen stehe ich fest auf zwei Beinen. Das ist so, weil ich mein Handwerk beherrsche. So muß es auch sein. Wenn du etwas besser kannst als andere, wird in der Welt immer ein Platz für dich sein. Siehst du, ich schaffe mit einem Stoffballen, einer Nähmaschine und einer Schere ein Kunstwerk, aber es ist noch mehr. Den Tritt bedienen können alle, und alle können schneiden und schnippeln. Doch das gewisse Etwas, die Inspiration, ein Hauch von Genie für das Handwerk, das ist es, was zählt. Wenn du das hast, wirst du deinen Platz stets behaupten. Du, meine Kleine, wirst in meine Fußstapfen treten. Ich zeige dir den Weg. Und dann hast du nichts zu befürchten, was auch immer geschieht. Ich werde stets über dich wachen.«

Ja, das wußte ich.

Es fiel mir nicht schwer, von ihr zu lernen. Wenn die Stoffballen kamen, fertigte sie Skizzen an und fragte mich nach meiner Meinung. Als ich einmal einen eigenen Entwurf zeichnete, war sie entzückt. Sie zeigte mir, wo ich etwas falsch gemacht hatte, und fügte geschickt ein paar Striche hinzu; der Entwurf wurde am Ende verwirklicht. »Lenores Kleid« nannte sie das Modell. Es war in einem lieblichen Lavendelton gehalten. Später erzählte mir Grandmère, daß sich Sir Francis sehr zufrieden geäußert habe. Es war das richtige Kleid für diesen Stoff.

Wenn Sir Francis und seine Angestellten die Kleider begutachtet hatten, wurden sie verpackt und fortgebracht, um in einem überaus exklusiven Salon in London verkauft zu werden. Auch dieser gehörte zum Sallongerschen Seidenimperium.

Ich erinnere mich gut an den Tag, als sie mir erzählte, wie es dazu gekommen war, daß wir im Haus der Seide lebten. Ich war nach dem Reiten verstört zu ihr gekommen. Wir hatten jeden Tag Reitunterricht. Ein Stallbursche begleitete uns dabei. Zu Beginn ritten wir immer rund um die Koppel, auf der auch ein Hindernis aufgebaut war. Julia war eine gute Reiterin. Ich war auch nicht schlecht. Nur Cassie kam nicht recht mit. Sie fürchtete sich vor Pferden, obwohl man ihr das frommste Tier im Stall gab. Ich behielt sie stets im Auge, wenn wir um die Koppel galoppierten, und ich glaube, daß sie das beruhigte.

Nach dem Ritt sagte Julia: »Es riecht so gut aus der Küche.« Also gingen wir hinein.

»Habt ihr schmutzige Stiefel« wollte Mrs. Dillon wissen.

»Nein, Mrs. Dillon«, erwiderte Julia.

»Da bin ich aber froh, denn ich dulde keinen Schmutz in meiner Küche, Fräulein Julia.«

»Die Plätzchen riechen aber gut«, sagte Julia.

»Das will ich meinen, bei all den guten Zutaten.«

Wir setzten uns an den Tisch und sahen flehend Mrs. Dillon an,

noch sehnsüchtiger aber auf das Blech mit Plätzchen, das frisch aus dem Ofen gekommen war.

»Na gut«, sagte Mrs. Dillon widerwillig. »Aber Miss Everton wäre das gar nicht recht. Und Nanny auch nicht ... Zwischen den Mahlzeiten essen, na, so was! Ihr solltet bis zum Tee warten.«

»Das dauert ja noch Stunden«, sagte Julia. »Ich will das da.«

»So ein kleiner Nimmersatt«, sagte Mrs. Dillon. »Das ist das größte.«

»Mach Mrs. Dillon ein Kompliment«, ermahnte ich sie.

»Ich brauch’ keine Komplimente, danke, Lenore. Ich weiß, wie meine Plätzchen sind. Sie sind gut. Hier! Eins für Fräulein Julia, eins für Fräulein Cassie und eins für dich, Lenore.«

Da fiel es mir auf. Fräulein Julia. Fräulein Cassie. Und Lenore. Ich sann eine Weile darüber nach, und als ich mit Grandmère am Gartenteich saß, nahm ich die Gelegenheit wahr und fragte sie, warum man mich nie Fräulein nannte, sondern nur einfach beim Vornamen rief wie Grace oder May oder die anderen Bediensteten.

Grandmère schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Das Personal ist sehr – wie soll ich sagen – genau. Sie achten auf jede Kleinigkeit, etwa wer so oder so genannt wird, wem dieser oder jener Platz zukommt. Du bist meine Enkeltochter. Das ist nicht dasselbe wie die Tochter von Sir Francis und Lady Sallonger. Daher sagen Leute wie Mrs. Dillon eben nicht Fräulein zu dir.«

»Du meinst, ich gehöre zur selben Kategorie wie Grace oder May«

Sie schürzte die Lippen, hob die Hände und wiegte sich von einer Seite zur anderen. Sie machte in Gesprächen ausgiebig Gebrauch von Händen und Schultern, was sehr ausdrucksvoll war.

»Was kümmern uns die Ansichten von Leuten wie Mrs. Dillon Wir lächeln und sagen: Ach so ist das, ja Nun gut. Was bedeutet es schon für mich, daß man mich nicht Fräulein nennt Was heißt überhaupt Fräulein Nichts. Du bist ohne Fräulein genausoviel wert.«

»Ja schon, aber warum, Grandmère«

»Ganz einfach. Du bist keine Tochter des Hauses, darum kann Mrs. Dillon dich nicht Fräulein nennen.«

»Wenn die Dallington-Mädchen zum Tee kommen und mit uns spielen, werden sie auch Fräulein genannt, und sie sind keine Töchter des Hauses. Sind wir hier Dienstboten, Grandmère«

»Wir dienen... wenn einen das zu Dienstboten macht, dann vielleicht. Aber wir sind zusammen, du und ich, wir haben ein gutes, friedliches Leben. Warum soll uns das kleine Wörtchen Fräulein Kummer machen«

»Ich will es bloß wissen, Grandmère. Was tun wir in diesem Haus, wenn wir nicht dazugehören«

Sie zögerte einen Moment, dann schien sie einen Entschluß zu fassen. »Wir kamen hierher, als du acht Monate alt warst. Du warst so ein süßes Baby. Ich dachte, es sei gut für dich. Hier konnten wir Zusammensein, Grandmère und ihr Kleines. Ich dachte, wir könnten hier glücklich sein, und man versprach mir, dich wie eine Tochter des Hauses zu erziehen. Aber von ›Fräulein‹ war dabei keine Rede. Und deshalb nennt man dich nicht so. Wer will schon ein Fräulein sein Du doch nicht! Weißt du, Kleines, das Leben hat mehr zu bieten als das Wörtchen Fräulein.«

»Erzähl mir, wie wir hierhergekommen sind! Warum habe ich keinen Vater und keine Mutter«

Sie seufzte. »Einmal muß es ja sein«, sagte sie mehr zu sich selbst.

»Deine Mutter war das schönste und reizendste Mädchen, das je gelebt hat. Sie hieß Marie Louise. Sie war mein Kind, meine Kleine, mon amour. Wir lebten im Dorf Villers-Mûre. Schön war es dort. Wir hatten viel Sonnenschein, und es war warm. In Villers-Mûre ist der Sommer ein richtiger Sommer. Da wacht man auf und weiß, daß die Sonne den ganzen Tag scheinen wird. Nicht wie hier, wo sie hervorlugt und wieder verschwindet und nicht weiß, was sie will.«

»Möchtest du lieber in Villers-Mûre sein«

Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein, ich gehöre jetzt hierher. Und du auch, ma petite. Du wirst hier glücklich sein, und eines Tages wird es dich nicht mehr kümmern, ob man dich Fräulein nennt oder nicht.«

»Es kümmert mich auch jetzt nicht, Grandmère. Ich wollte es bloß wissen.«

»Villers-Mûre ist weit entfernt von hier, am anderen Ende von Frankreich, und du weißt ja, nicht wahr – die brave Miss Everton hat es dir gewiß beigebracht –, daß Frankreich ein großes Land ist, größer als diese kleine Insel. Von Villers-Mûre ist es nicht weit bis zur italienischen Grenze. Die Maulbeeren gedeihen gut, und das bedeutet Seide. Die kleinen Raupen, die für uns die Seide spinnen, lieben die Maulbeerblätter, und wo die gedeihen, gibt es Seide.«

»Dann hast du dich schon immer mit Seide ausgekannt«

»In Villers-Mûre ist die Seidenraupe zu Hause, und Seide war unser Leben. Ohne Seide gäbe es kein Villers-Mûre. Die Saint Allengères haben immer dort gelebt, und möge es dem lieben Gott gefallen, daß es so bleibt. Die Saint Allengères bewohnen ein herrliches Haus, ähnlich wie dieses, nur gibt es dort keinen Wald, sondern Berge. Es ist ein vornehmes Anwesen und seit Jahrhunderten das Heim der Saint Allengères. Es gibt dort Rasenflächen, Blumen und Bäume, und mitten hindurch fließt ein Flüßchen. Ringsum stehen die kleinen Häuser, in denen die Arbeiter mit ihren Familien wohnen. Das große Fabrikgebäude ist sehr schön, weiß mit Farbtupfern an den Mauern, denn dort gedeihen Oleander und Bougainvillea. Und dann die mûraies, die Maulbeerhaine. Sie haben die besten Seidenraupen der Welt. Und die besten Webstühle, besser als alles, was es in Indien oder China gibt, wo die Seide herkommt. Einige der feinsten Seidensorten der Welt werden in Villers-Mûre hergestellt.«

»Und du hast dort gelebt und für die Saint Allengères gearbeitet« Sie nickte. »Wir hatten ein hübsches kleines Haus, das schönste von allen. Die Mauern waren mit Blumen überwachsen. Es war herrlich, und meine Tochter, meine Marie Louise, war sehr glücklich. Sie war zum Glücklichsein geschaffen. Sie hatte immer etwas zu lachen. Sie war schön. Du hast ihre Augen; sie können tanzen, sie können lachen, aber ihre waren nie so wild, wie deine sein können, meine Kleine. Sie waren tiefblau wie deine, und ihre Haare waren fast schwarz, noch dunkler als deine, weich und wellig. Sie war eine Schönheit. Sie dachte nie an etwas Böses. Sie war arglos... Und dann ist sie gestorben.«

»Wie starb sie«

»Sie starb bei deiner Geburt. Aber sie ließ mir dich zurück, und das macht mich froh.«

»Und mein Vater«

Sie schwieg. Schließlich sagte sie: »So etwas kommt zuweilen vor. Später wirst du es verstehen. Manchmal wird ein Kind geboren... und wo ist der Vater«

»Du meinst, er hat sie verlassen«

Sie ergriff meine Hand und küßte sie. »Sie war wunderschön«, sagte sie. »Doch was immer geschah, sie ließ mir dich zurück, mein Kind, und das war das schönste Vermächtnis, das sie mir hinterlassen konnte. Statt ihrer hatte ich ihr Kind, und seither warst du meine ganze Freude.«

»Ach, Grandmère, es ist so traurig!«

»Es war Sommer«, sagte sie. »Sie hat zu lange auf der süß duftenden Wiese getändelt. Sie war ganz unschuldig. Vielleicht hätte ich sie warnen sollen.«

»Und mein Vater hat sie im Stich gelassen«

»Ich weiß nicht. Ich war so besorgt um sie. Ich wußte nicht, daß du unterwegs warst. Ich erfuhr es erst kurz vor der Niederkunft. Dann war es soweit... und sie starb. Ich saß an ihrem Bett und war von Verzweiflung übermannt, bis die Hebamme dich in meine Arme legte. Du warst meine Rettung. Ich hatte meine Tochter verloren, aber dafür hatte ich ihr Kind. Seitdem warst du mein ein und alles.«

»Ich würde gerne wissen, wer mein Vater ist.«

Sie schüttelte den Kopf und hob die Schultern.

»Und so kamst du hierher« drängte ich weiter.

»Ja, es schien mir das beste. Es ist immer schwierig, wenn solche Dinge sich in einer kleinen Gemeinde abspielen. Es wird geflüstert und geklatscht. Ich wollte nicht, daß du so aufwächst.«

»Du meinst, die Leute hätten mich verachtet, weil meine Eltern nicht verheiratet waren«

Sie nickte. »Die Saint Allengères sind reich... eine mächtige Familie: Sie sind Villers-Mûre. Alle arbeiten für sie. Sie vertreten die große Seidenmarke in Frankreich und auch Italien. Monsieur Saint Allengère, das Oberhaupt, und die Seidenfamilien in aller Welt stehen miteinander – wie sagt man – in Verbindung. Sie kennen sich alle. Sie wetteifern miteinander. Sie sind Konkurrenten. ›Meine Seide ist besser als deine.‹ So ist das bei denen.«

»Ja.« Ich dachte an meine Mutter, den Mann, der sie im Stich ließ, und den Skandal, den es in Villers-Mûre gegeben hätte.

»Sir Francis besucht die Saint Allengères dann und wann. Die zwei Familien demonstrieren Freundschaft, aber ist es wirklich Freundschaft Jede möchte die beste Seide produzieren. Sie haben Geheimnisse. Sie zeigen hier ein bißchen und dort ein bißchen, aber mehr nicht, nichts von Bedeutung.«

»Ja, Grandmère, aber ich möchte mehr von meiner Mutter hören.«

»Sie ist bestimmt glücklich, wenn sie vom Himmel herabschaut und uns beide zusammen sieht. Sie weiß, was wir einander bedeuten. Sir Francis kam nach Villers-Mûre. Es besteht eine Verbindung zwischen den Familien, mußt du wissen. Sie sollen vor vielen Jahren ein- und dieselbe Familie gewesen sein. Hör mal auf die Namen: abgekürzt St. Allengère. Und auf englisch wurde dann Sallonger daraus.«

»Ja wirklich«, rief ich aufgeregt. »Dann ist die hiesige Familie mit der in Frankreich verwandt«

Wieder hob sie die Schultern. »Sicher hast du von Miss Everton vom Edikt von Nantes gehört.«

»O ja. Es wurde von Heinrich IV. von Frankreich im Jahre, ich glaube, es war 1598, erlassen.«

»Ja, richtig, und was hatte es damit auf sich Es gab den Hugenotten Religionsfreiheit.«

»Ja, ich erinnere mich. Der König war damals Hugenotte, und die Pariser wollten keinen protestantischen König, deshalb sagte er: ›Paris ist eine Messe wert‹ und wurde katholisch.«

Grandmère lächelte erfreut. »Ah, es geht doch nichts über eine gute Schulbildung! Aber dann haben sie es geändert.«

»Ludwig XIV. hat das Edikt wieder aufgehoben.«

»Ja, und die Hugenotten wurden zu Tausenden aus Frankreich vertrieben. Ein Zweig der Saint Allongères ließ sich in England nieder. Sie errichteten in verschiedenen Orten Seidenfabriken.

Sie brachten das Wissen mit, wie man diese herrlichen Stoffe webt. Sie arbeiteten hart und hatten Erfolg.«

»Das ist ja hochinteressant! Und Sir Francis besucht manchmal seine Verwandten in Frankreich«

»Sehr selten. Man erinnert sich nicht gern an die Familienverbindungen. Zwischen den Sallongers in England und den Saint Allengères in Frankreich herrscht Rivalität. Wenn Sir Francis nach Frankreich kommt, zeigen sie ihm nur wenig und versuchen herauszubekommen, woran er arbeitet. Sie sind Konkurrenten. So ist das nun mal im Geschäftsleben.«

»Hast du Sir Francis in Frankreich schon gesehen«

Sie nickte. »Ich habe dort gearbeitet, wie ich es hier tue. Ich hatte meinen Webstuhl. Ich kannte eine Menge Geheimnisse und werde sie immer bewahren. Ich war eine gute Weberin. Alle, die dort lebten, hatten mit der Seidenproduktion zu tun, ich also auch.«

»Und meine Mutter«

»Sie natürlich auch. Monsieur Saint Allengère ließ mich kommen und fragte mich, ob ich gern nach England gehen würde. Ich sah gleich, daß es das beste für dich war, und was für dich gut war, mußte auch für mich gut sein. Deshalb nahm ich das Angebot an, in dieses Haus zu kommen, am Webstuhl zu arbeiten, wenn etwas Besonderes verlangt wird, und die eleganten Kleider zu machen, die den Verkauf unserer Seide fördern.«

»Du meinst, Sir Francis hat uns hier ein Heim angeboten«

»Es war zwischen ihm und Monsieur Saint Allengère abgesprochen. Ich sollte meinen Webstuhl und meine Nähmaschine bekommen und hier leben, um für Sir Francis dasselbe zu tun, was ich in Frankreich tat.«

»Und dafür hast du deine Heimat verlassen und die weite Reise in ein Land mit lauter fremden Leuten angetreten«

»Heimat ist, wo man seine Lieben hat. Ich hatte mein Baby, und solange ich mit dir zusammen war, war ich’s zufrieden. Du wirst mit den Töchtern des Hauses erzogen, und ich glaube, du kommst in der Schule gut mit, hm Ist Fräulein Julia nicht ein wenig neidisch, weil du klüger bist als sie Sir Francis ist ein guter Mensch. Er hält sein Wort, und Lady Sallonger... Sie ist anspruchsvoll, aber nicht unfreundlich. Wir haben viel und müssen dafür auch etwas geben. Ich vergesse niemals, dem lieben Gott dafür zu danken, daß er mir einen Ausweg gewiesen hat.«

Ich schlang meine Arme um ihren Hals und klammerte mich an sie. »Uns kann nichts passieren«, sagte ich. »Solange wir zusammen sind.«

So erfuhr ich etwas über meine Vorgeschichte, aber ich hatte das Gefühl, daß es noch viel mehr zu erfahren gab.

Grandmère hatte recht, das Leben war schön. Ich beruhigte mich, und der geringfügige Unterschied in der Art, wie sie mich behandelten, bekümmerte mich nicht sehr. Ich gehörte eben nicht zu ihnen. Aber sie waren gut zu uns gewesen. Sie hatten uns ermöglicht, das Nest zu verlassen, in dem alle wußten, daß meine Mutter mich geboren hatte, ohne verheiratet zu sein.

Ich dachte viel über meinen Vater nach. Manchmal fand ich es recht romantisch, nicht zu wissen, wer mein Vater war. Man konnte sich ein Wunschbild formen, und ich nahm mir vor, mich eines Tages auf die Suche nach ihm zu machen. Nach dem Gespräch mit Grandmère hatte ich eine Menge imaginärer Väter. Natürlich konnte ich nicht erwarten, wie Fräulein Julia oder Fräulein Cassie behandelt zu werden, aber wie uninteressant war ihr Leben im Vergleich zu meinem! Sie waren nicht von dem schönsten Mädchen der Welt geboren worden, und sie hatten keinen mysteriösen, anonymen Vater.

Mir war nun klar, daß wir gewissermaßen Bedienstete des Hauses waren. Grandmère stand freilich auf einer höheren Stufe – vielleicht auf derselben wie Clarkson oder zumindest wie Mrs. Dillon; sie war wegen ihrer Tüchtigkeit hochgeschätzt, und ich war ihretwegen hier. Somit akzeptierte ich mein Los.

Es stimmte, Lady Sallonger war anspruchsvoll. Von mir wurde erwartet, daß ich ihr als Zofe diente. Sie mußte in ihrer Jugend sehr schön gewesen sein, Spuren davon waren noch vorhanden. Sie lag auf dem Sofa im Schlafzimmer, stets in ein feines, mit Bändern versehenes Negligé gehüllt, und Miss Logan mußte viel Zeit darauf verwenden, sie zu frisieren und ihr bei der Toilette behilflich zu sein. Dann begab sie sich langsam, schwer auf Clarksons Arm gestützt, vom Schlafzimmer in den Salon, während der Lakai Henry den Beutel mit ihrem Stickzeug trug und sich für weitere Hilfsdienste bereithielt. Sie rief mich oft zu sich, um sich vorlesen zu lassen. Es schien ihr zu gefallen, mich zu beschäftigen. Sie war stets sanft und sprach mit müder Stimme, die einen Vorwurf zu enthalten schien – wohl gegen das Schicksal, das es ihr bei Cassies Geburt so schwergemacht hatte und sie zur Invalidin werden ließ.

Es hieß etwa: »Lenore, bring mir ein Kissen! Oh, so ist es besser. Setz dich hierher, ja, mein Kind Bitte lege die Decke über meine Füße, sie werden langsam kalt. Läute, daß man noch Kohlen aufs Feuer legt! Bring mir mein Stickzeug! Oje, ich glaube, das ist ein falscher Stich. Du kannst ihn aufmachen. Vielleicht kannst du ihn berichtigen. Aber mach es später! Lies mir jetzt vor...«

Sie ließ sich, wie mir schien, stundenlang vorlesen. Oft döste sie vor sich hin, und in dem Glauben, sie schlafe, hielt ich mit Lesen inne. Doch sofort wurde ich getadelt und aufgefordert fortzufahren. Lady Sallonger sagte, ich hätte eine beruhigendere Stimme als Miss Logan.

Während ich meine Aufgaben verrichtete, dachte ich die ganze Zeit daran, wieviel Dank wir den Sallongers schuldeten, die es uns ermöglicht hatten, hierherzukommen und der Schande zu entfliehen. Es war genau wie in den Romanen, und ich fand es natürlich aufregend, im Mittelpunkt eines solchen Dramas zu stehen.

Wenn man eine niedere Stellung bekleidet, ist man vielleicht rücksichtsvoller gegen andere. Cassie war immer meine Freundin gewesen; Julia war zu hochnäsig und herablassend, um mir eine richtige Freundin zu sein. Cassie war anders. Sie verließ sich auf meine Hilfe, und für jemanden von meinem Naturell war das sehr angenehm. Es gefiel mir, Autorität auszuüben. Ich kümmerte mich gern um andere Menschen. Ich war mir durchaus im klaren darüber, daß meine Gefühle nicht gänzlich uneigennützig waren. Ich kam mir wichtig vor, wenn ich anderen beistand, deshalb half ich Cassie gern bei den Hausaufgaben. Wenn wir spazierengingen, paßte ich meine Schritte den ihren an, während Julia und Miss Everton vorauseilten. Cassie lohnte mir meine Fürsorge mit stummer Bewunderung, die mir große Befriedigung verschaffte. Noch jemand erregte mein Mitgefühl: Willie. Mrs. Dillon bezeichnete ihn nur als »Minnie Wardles Überbleibsel.« Nach allem, was man so hörte, war Minnie Wardle ein flatterhaftes Ding gewesen. Sie hatte mit Willie ihren »gerechten Lohn« und ihre »wohlverdiente Strafe« empfangen. Das Kind entstammte ihrer Liebschaft mit einem Pferdehändler, der sich in der Nachbarschaft herumgetrieben hatte und, als Minnie schwanger wurde, verschwand. Minnie Wardle glaubte zu wissen, wie man mit so einer Situation fertig wurde, und suchte die weise alte Frau auf, die in einer Hütte im Wald lebte, gut anderthalb Kilometer von Epping Forest entfernt. Aber diesmal war sie nicht weise genug, denn ihre Hilfe funktionierte nicht, und als Willie geboren wurde, war er, wiederum nach Mrs. Dillons Worten, »nicht ganz richtig im Kopf«. Lady Sallonger hatte das Mädchen nicht hinauswerfen wollen und ließ es mitsamt Willie bleiben. Doch ehe das Kind ein Jahr alt war, tauchte der Pferdehändler wieder auf. Minnie verschwand mit ihm und ließ den Lohn ihrer Sünde zurück, auf daß jemand anders sich damit belade. Das Kind wurde von Mrs. Carter, der Frau des Stallmeisters, aufgezogen. Sie hatte trotz gehöriger Anstrengungen keine eigenen Kinder und nahm gern das fremde an. Doch kaum hatte sie Willie bei sich aufgenommen, setzte bei ihr die Fruchtbarkeit ein, und jetzt nannte sie sechs Kinder ihr eigen und hatte nicht mehr viel für Willie übrig, zumal bei ihm »eine Schraube locker« war.

Armer Willie, er gehörte nirgends richtig hin, niemand machte sich etwas aus ihm. Ich dachte oft, er sei nicht so dumm, wie es den Anschein hatte. Er konnte weder lesen noch schreiben, aber das konnten ja viele nicht. Er hatte einen Mischlingshund, der ihm auf Schritt und Tritt folgte und den Mrs. Dillon »dieser verdammte Köter« nannte. Es freute mich, den Jungen mit einem Geschöpf zu sehen, das ihn liebte und dem er seine Zuneigung schenken konnte. Willie wirkte heiterer, seit er den Hund hatte. Gern saß er, das Tier an seiner Seite, an dem See, der nicht weit vom Haus der Seide entfernt im Wald lag. Zwischen den Bäumen war eine Lichtung, dort stieß man unvermittelt auf das Wasser. Kinder fischten darin. Man sah sie mit ihren Eimerchen und hörte sie freudig kreischen, wenn sie eine Kaulquappe erwischten. Weiden hingen ins Wasser hinab, und der Feiberich mit seinen sternförmigen Blüten wuchs zwischen Helmkraut und dem üppig wuchernden Wundkraut. Immer wieder staunte ich über die Wunder des Waldes. Er war voller Überraschungen. Wenn man zwischen den Bäumen ritt, konnte man plötzlich auf eine Häusergruppe, einen kleinen Weiler oder einen Dorfanger stoßen.

Die Verständigung mit Willie war nicht leicht. Wenn man ihn ansprach, machte er ein Gesicht wie ein verschrecktes Reh; er hielt still, wie zur Flucht bereit. Er traute niemandem.

Merkwürdig, wie es manche Menschen freut, die Schwachen zu quälen. Tun sie es, um ihre eigene Stärke zu demonstrieren Mrs. Dillon gehörte zu ihnen. Sie war es ja auch, die darauf hingewiesen hatte, daß ich nicht von demselben Stand war wie meine Gefährtinnen. Und nun wollte mir scheinen, daß sie, statt Willie zu helfen, es auf seine Unzulänglichkeiten abgesehen hatte.

Es wurde natürlich von ihm erwartet, daß er im Haus half. Er holte Wasser vom Brunnen oder fegte den Hof. Diese Aufgaben verrichtete er ganz munter, sie waren ihm zur Gewohnheit geworden. Eines Tages sagte Mrs. Dillon: »Geh in die Vorratskammer, Willie, und hol mir ein Glas Pflaumen! Und sag mir dann, wie viele Gläser noch da sind.«

Sie hoffte natürlich, daß Willie ohne Pflaumen und mit bestürzter Miene zurückkäme, so daß sie Gott oder wer von seinen Engeln auch zuhörte, fragen konnte, was sie verbrochen habe, daß sie mit so einem Idioten geschlagen sei.

Willie war ratlos. Er konnte nicht wissen, wie viele Gläser da waren. Es war nicht einmal sicher, daß er die mit den Pflaumen heraussuchen konnte. Ich witterte eine Chance. Ich winkte ihm und ging mit ihm in die Vorratskammer. Ich holte die Pflaumen und hielt sechs Finger in die Höhe; schließlich erhellte ein Lächeln sein Gesicht.

Er ging wieder in die Küche. Ich glaube, Mrs. Dillon war enttäuscht, weil er das Gewünschte brachte. »So«, fragte sie, »und wie viele sind noch da« Ich stand in der Tür und hielt hinter Mrs. Dillons Rücken sechs Finger in die Höhe. Willie tat desgleichen.

»Sechs«, rief Mrs. Dillon, »so wenig! Meine Güte, was habe ich getan, daß ich mit so einem Idioten geschlagen bin.«

»Es stimmt schon, Mrs. Dillon«, sagte ich. »Ich habe nachgezählt. Sechs sind noch da.«

»Ach du bist es, Lenore. Du mußt deine Nase aber auch überall reinstecken!«

»Aber Mrs. Dillon, ich dachte, Sie wollten es wissen.«

Ich marschierte aus der Küche, würdevoll, wie ich hoffte, und kam an Willies Hund vorbei, der geduldig auf sein Herrchen wartete. Ich versuchte Willie zu helfen, wann immer ich konnte. Oft schaute er mich von der Seite an, wandte aber hastig die Augen ab, wenn ich ihn dabei ertappte.

Ich unterhielt mich mit Cassie über ihn, die sich sehr leicht zu Mitleid rühren ließ, und auch sie bemühte sich, ihm kleine Gefälligkeiten zu erweisen. So zeigte sie ihm etwa, wo die besten Kohlköpfe im Küchengarten zu finden waren, wenn Mrs. Dillon ihm auftrug, ihr einen zu holen.

Ich interessierte mich sehr für menschliches Verhalten und fragte mich, warum Mrs. Dillon, die es doch recht behaglich hatte, soviel daran gelegen war, jemandem wie Willie das Leben noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon war. Willie war ein verängstigter Junge. Zu Cassie sagte ich: »Wenn er nur diese Angst vor den Menschen los würde, dann wäre er gleich viel normaler.«

Cassie pflichtete mir bei. Das tat sie immer. Vielleicht war ich deswegen so gern mit ihr zusammen.

Mrs. Dillon war unbarmherzig. Sie sagte, Willie gehöre »fortgeschafft«, denn es schicke sich nicht, daß sich in einem Anwesen wie dem Haus der Seide Idioten herumtrieben. Wenn Sir Francis komme, wolle sie mit ihm darüber reden. Es sei sinnlos, sich mit Lady Sallonger darüber zu unterhalten, und Mr. Clarkson habe keine Befugnis, Willie fortzuschicken.

Ich glaube, sie hielt den Hund für ein geeignetes Mittel, um Willie zu kränken. Eines Tages behauptete sie, der Hund habe eine Lammkeule vom Tisch gestohlen und sei damit davongerannt. Ich war dabei, als sie deswegen forderte, der Hund müsse getötet werden.

Clarkson war sehr würdevoll. Er saß am Tisch wie ein Richter.

»Haben Sie gesehen, wie der Hund das Fleisch nahm, Mrs. Dillon«

»So gut wie«, erwiderte sie.

»Dann haben Sie es also nicht gesehen«

»Ich habe den Köter da draußen gesehen. Es ließ die Augen kreisen, was er stehlen könnte, und als ich ihm den Rücken zukehrte, war er drinnen wie der Blitz, stibitzte die Keule vom Tisch und rannte mit ihr weg.«

»Es könnte auch einer von den anderen Hunden gewesen sein«, meinte Clarkson.

Aber davon wollte Mrs. Dillon nichts wissen. »Ich weiß, wer es war. Mir macht man nichts vor. Ich hab’ ihn mit meinen eigenen Augen gesehen.«

Ich konnte mir nicht verkneifen zu sagen: »Aber Sie haben nicht gesehen, wie der Hund das Fleisch genommen hat, Mrs. Dillon.« Sie drehte sich ärgerlich zu mir um. »Was machst du hier Du mischst dich aber auch überall ein! Man könnte meinen, du gehörst zur Familie...«

Ich sah sie fest an. Clarkson wurde verlegen. Er sagte: »Das gehört nicht zur Sache. Wenn Sie nicht wirklich gesehen haben, wie der Hund das Fleisch nahm, können Sie nicht behaupten, daß er es war.«

»Ich hole einen Holzfäller. Er soll dem Köter mit einem Gewehr den Garaus machen. Ich will nicht, daß er sich hier herumtreibt und das Essen klaut, das ich gekocht habe. Das ist ja nicht zum Aushalten! Das lass’ ich mir nicht bieten!«

Die Angelegenheit zog Kreise, und die Leute ergriffen Partei: Der Hund muß erledigt werden; er ist ohnehin bloß ein elender kleiner Köter. Nein, laßt dem armen Kerl doch seinen Hund, er hat sowieso nicht viel vom Leben.

Der arme Willie war verzweifelt. Er lief mit seinem Hund davon. Es war Winter, und alle fragten sich, wie er wohl allein durchkommen würde. Mrs. Carter träumte, daß er irgendwo erfroren im Wald liegt. May sagte, sie vernehme seltsame Geräusche im Haus; sie glaube, einen Hund heulen zu hören. Jenny glaubte sich von jemandem verfolgt, als sie durch den Wald ging. Sie sah sich um und vermeinte, Willie mit seinem Hund zu sehen, zwei geisterhafte Gestalten, die plötzlich verschwanden.

Mrs. Dillon wurde unruhig. Sie war es ja, die Willie drangsaliert hatte. Sie war sich wegen der Lammkeule gar nicht mehr so sicher. Es hätte auch ein anderer Hund sein können. Sie wünschte, sie hätte nicht gesagt, der Mann solle das Tier erschießen. Sie habe es nicht ernst gemeint. Es sei sinnlos, ihr Vorwürfe zu machen, sie habe nur ihre hausfrauliche Pflicht erfüllt.

Die Erleichterung war groß, als Willie zurückkam; zerzaust und halb verhungert. Mrs. Dillon kochte ihm Haferschleim und sagte, er solle nicht mehr solche Dummheiten machen, einfach so davonzulaufen. Niemand werde seinen Hund erschießen. Das habe sie bloß so dahergeredet.

Danach waren alle etwas netter zu Willie. So hatte der Vorfall auch sein Gutes. Willie und sein Hund erholten sich rasch.

Das Leben nahm seinen gewohnten Gang. Julia war manchmal freundlich, doch plötzlich konnte sie hochmütig werden, als falle ihr gerade ein, daß ich nicht richtig zur Familie gehörte. Sie wurde ungeduldig mit Cassie, die rasch ermüdete, war sich jedoch nicht zu schade, im Schulzimmer von mir abzuschreiben und mich nach den Lösungen der Aufgaben zu fragen, die Miss Everton uns stellte. Im großen und ganzen kamen wir recht gut miteinander aus, und ich glaube, sie war im Grunde ganz froh, daß sie mich hatte. Ich war ihr eine bessere Gefährtin als Cassie. Wir übten auf der Koppel springen, und zwischen uns bestand eine gewisse freundschaftliche Rivalität.

Mit Cassie war es anders. Sie mußte sich nachmittags oft hinlegen. Dann zog ich ihr die Stiefel aus, setzte mich zu ihr, und wir unterhielten uns. Wir spielten Ratespiele, und manchmal erzählte ich ihr von den Kümmernissen und Leiden der Frauen in den Romanen. Sie genoß unsere Gespräche und weinte still über die Drangsal dieser unglücklichen Damen.

Die Jungen waren die meiste Zeit im Internat. Wir alle freuten uns, wenn sie in den Ferien nach Hause kamen, aber wenn sie dann da waren, war es nie ganz so, wie wir es uns vorgestellt hatten, und ich fühlte mich oft erleichtert, wenn sie wieder abreisten – vor allem Charles.

Bei Philip war es anders. Er hatte ein ähnlich sanftes Naturell wie Cassie. Ich nahm an, die beiden waren nach Lady Sallonger geraten, die wohl früher so gewesen sein mochte.

Charles war etwa sechs Jahre älter als ich. Er war sehr herrisch und stolzierte durchs Haus, als gehöre es ihm – was auch eines Tages der Fall sein sollte. Er behandelte Bruder und Schwester von oben herab, und da war es kein Wunder, daß er mich verachtete.

In den Ferien verbrachten die Jungen die meiste Zeit beim Reiten, oder sie angelten im Fluß. Sie hatten offenbar viele aufregende Djnge zu tun, von denen wir ausgeschlossen blieben. Ich beneidete sie um ihre Freiheit. Philip ritt jedoch manchmal mit uns aus. Er erkundigte sich bei mir interessiert nach Grandmères Arbeit. Zuweilen besuchte er sie. Sie mochte ihn gern und sagte mir, Philip habe ein echtes Gefühl für Stoffe und wisse eine gute Seide auf Anhieb zu erkennen. »Sein Vater wird mit ihm zufrieden sein, wenn er ins Geschäft einsteigt«, meinte sie.

»Charles dagegen interessiert sich anscheinend überhaupt nicht dafür«, bemerkte ich.

»Das kann noch kommen. Im Augenblick fühlt er sich als der große Herr und macht sich wichtig. Jedenfalls hier vor seinen jüngeren Geschwistern. Vielleicht ist er bei anderen nicht so, wer weiß Wir werden sehen. Nur gut, daß es Philip gibt, er wird ein Segen für seinen Vater sein.«

Mir fiel auf, daß Charles großes Interesse an dem hübschen Stubenmädchen Grace bekundete. Einmal sah ich sie miteinander plaudern. Grace kicherte und wurde ganz rot, er wiederum war gönnerhaft vergnügt und freundlich. Offensichtlich verachtete er nicht alle weiblichen Wesen.

Als Charles die Ferien bei einem Freund verbrachte, verbrachten wir eine sehr angenehme Zeit mit Philip.

Einmal saß ich mit ihm, Julia und Cassie am See. Er erzählte von der Familie und meinte, wie wunderbar es sich doch gefügt habe, daß die Vorfahren sich vor vielen Jahren hier niedergelassen hatten, als sie aus religiösen Gründen aus ihrer Heimat vertrieben worden waren. »Wir konnten nichts anderes als Seide weben und kamen mit nichts hier an, denn wir mußten alles zurücklassen. Wir begannen hierzulande mit der Seidenproduktion. Findet ihr nicht, daß das eine großartige Tat war« Ich bejahte begeistert. Er lächelte mich an und fuhr fort: »Binnen weniger Jahre produzierten wir Stoffe, die ebenso gut waren wie die aus Frankreich. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber wir wollten ja arbeiten. Wir waren lange Zeit sehr arm, aber dann kam der Erfolg.«

»Da bin ich aber froh«, sagte Julia. »Arm sein wäre mir zuwider.«

»Es ist wirklich eine aufregende Geschichte, findest du nicht, Lenore«

»O ja«, versicherte ich ihm.

»In ein fremdes Land zu kommen mit nichts als Zuversicht und Hoffnung und dem Willen, Erfolg zu haben.« Sein Gesicht glühte vor Begeisterung. Ich fand Philip sehr nett. Ich bedauerte, daß er bald wieder zur Schule mußte. »Aber es gab endlose Schwierigkeiten«, fuhr er fort. »Als das Land begann, französische Seide zu importieren, waren die Arbeiter von Spitalfields dem Verhungern nahe. Die Leute wollten französische Seide, obwohl unsere genauso gut war. Sie fanden einfach, französische Seide höre sich besser an als Spitalfields-Seide. Unsere Leute waren verbittert. Es kam zu Unruhen. Die Arbeiter zogen durch die Straßen. Es gab keine Arbeit für ihre Webstühle. Wenn sie eine Frau in einem Kattunkleid sahen, rissen sie es ihr vom Leibe. ›Seide! Seide!‹ brüllten sie. ›Alle sollen Spitalfields-Seide tragen!‹ Sie kämpften um ihr Leben. Sie waren hierhergekommen und hatten alles zurückgelassen, was sie besaßen, sie hatten ihre Webstühle aufgestellt, sie hatten schöne Stoffe produziert, und gerade, als der Erfolg sich einstellte, erlaubte die Regierung den Import französischer Seide. Die törichten Leute glaubten, diese sei besser, und brachten unsere Arbeiter an den Rand des Ruins. Aber so sind die Engländer eben. Sie meinen immer, die Ausländer produzieren bessere Ware als ihre eigenen Landsleute. Jedenfalls war unser Geschäft damals fast am Ende.«

»Warum regst du dich jetzt noch so darüber auf« fragte ich. »Das ist doch längst vorbei.«

»Ich fühle mit den armen Menschen, weil ich weiß, wie sie gelitten haben. Und es könnte wieder passieren.«

»Die ärmsten«, sagte Cassie. »Es muß furchtbar sein zu hungern. Vor allem für die kleinen Kinder.«