Gotthold Ephraim Lessing


Fabeln

Impressum




Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-945667-42-2


Für Fragen und Anregungen: info@ruthebooks.de


RUTHeBooks
Am Kirchplatz 7
D 82340 Feldafing
Tel.   +49 (0) 8157 9266 280
FAX: +49 (0) 8157 9266 282
info@ruthebooks.de
www.ruthebooks.de

Zeus und das Pferd



"Vater der Tiere und Menschen", so sprach das Pferd und nahte sich dem Throne des Zeus, "man will, ich sei eines der schönsten Geschöpfe, womit du die Welt geziert, und meine Eigenliebe heißt es mich glauben. Aber sollte gleichwohl nicht noch verschiedenes an mit zu bessern sein?" "Und was meinst du denn, das an dir zu bessern sei? Rede, ich nehme Lehre an", sprach der gute Gott und lächelte.

"Vielleicht", sprach das Pferd weiter, "würde ich flüchtiger sein, wenn meine Beine höher und schmächtiger wären; ein langer Schwanenhals würde mich nicht verstellen; eine breitere Brust wurde meine Stärke vermehren; und da du mich doch einmal bestimmt hast, deinen Liebling, den Menschen, zu tragen, so könnte mir ja wohl der Sattel anerschaffen sein, den mir der wohltätige Reiter auflegt."

"Gut", versetzte Zeus, "gedulde dich einen Augenblick!" Zeus, mit ernstem Gesichte, sprach das Wort der Schöpfung. Da quoll Leben in den Staub, da verband sich organisierter Stoff; und plötzlich stand vor dem Throne, das häßliche Kamel.

Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor entsetzendem Abscheu.

"Hier sind höhere und mächtigere Beine", sprach Zeus; "hier ist ein langer Schwanenhals; hier ist eine breite Brust; hier ist der anerschaffene Sattel! Willst du, Pferd, daß ich dich so umbilden soll?"

Das Pferd zitterte noch.

"Geh", fuhr Zeus fort; "dieses Mal sei belehrt, ohne bestraft zu werden. Dich deiner Vermessenheit aber dann und wann reuend zu erinnern, so daure du fort, neues Geschöpf" Zeus warf einen erhaltenden Blick auf das Kamel "und das Pferd erblicke dich nie, ohne zu schaudern."

 

 

Inhalt




Das Geheimnis

Das Kruzifix

Das Muster der Ehen

Der Adler und die Eule

Der Eremit

Der Hirsch und der Fuchs

Der Löwe und die Mücke

Der Sperling und die Feldmaus

Der Tanzbär

Der über uns

Der Wunsch zu sterben

Die Bäre

Die Brille

Die eheliche Liebe

Die kranke Pulcheria

Die Nuß und die Katze

Die Sonne

Die Teilung

Faustin

Morydan

Nix Bodenstrom

Das Geschenk der Feien

Das Roß und der Stier

Der Affe und der Fuchs

Der Besitzer des Bogens

Der Esel mit dem Löwen

Der Esel und das Jagdpferd

Der Esel und der Wolf

Der Fuchs

Der Geizige

Der Hamster und die Ameise

Der Hirsch

Der Hirsch und der Fuchs

Der Knabe und die Schlange

Der Löwe mit dem Esel

Der Löwe und der Hase

Der Pelikan

Der Phönix

Der Rabe

Der Rabe und der Fuchs

Der Rangstreit der Tiere

Der Sperling und der Strauß

Der Strauß

Der Wolf auf dem Todbette

Der Wolf und der Schäfer

Der hungrige Fuchs

Der junge und der alte Hirsch

Die Eiche

Die Eiche und das Schwein

Die Erscheinung

Die Eule und der Schatzgräber

Die Furien

Die Gans

Die Geschichte des alten Wolfs

Die Nachtigall und die Lerche

Die Pfauen und die Krähe

Die Schwalbe

Die Sperlinge

Die Traube

Die Wasserschlange

Die Ziegen

Die eherne Bildsäule

Die junge Schwalbe

Jupiter und das Schaf

Merops

Minerva

Zeus und das Pferd

 

 

Das Geheimnis



Hans war zum Pater hingetreten,
Ihm seine Sünden vorzubeten.
Hans war noch jung, doch ohne Ruhm,
So jung er war, von Herzen dumm.
Der Pater hört ihn an. Hans beichtete nicht viel.
Was sollte Hans auch beichten?
Von Sünden wußt er nichts, und destomehr vom Spiel.
Spiel ist ein Mittelding, das braucht er nicht zu beichten.
"Nun, soll das alles sein?
Fällt", sprach der Pater, "dir sonst nichts zu beichten ein?"
"Ehrwürdger Herr, sonst nichts" "Sonst weißt du gar nichts mehr?"
"Gar nichts, bei meiner Ehr!"
"Sonst weißt du nichts? das wäre schlecht!
So wenig Sünden? Hans besinn dich recht."
"Ach Herr, mit Seinem scharfen Fragen,
Ich wüßte wohl noch was."
"Nu? Nur heraus!"

"Ja das,
Herr Pater, kann ich Ihm bei meiner Treu nicht sagen."
"So? weißt du etwa schon, worüber junge Dirnen,
Wenn man es ihnen tut, und ihnen nicht tut, zürnen?"
"Herr, ich versteh Euch nicht"

"Und desto besser; gut.
Du weißt doch nichts von Dieberei, von Blut?
Dein Vater hurt doch nicht?"

"O meine Mutter sprichts;
Doch das ist alles nichts."
"Nichts? Nu, was weißt du denn? Gesteh! du mußt es sagen!
Und ich versprech es dir,
Was du gestehest bleibt bei mir."
"Auf Sein Versprechen, Herr, mag es ein andrer wagen;
Daß ich kein Narre bin!
Er darfs, Ehrwürdger Herr, nur einem Jungen sagen,
So ist mein Glücke hin."
"Verstockter Bösewicht", fuhr ihn der Pater an,
"Weißt du, vor wem du stehst? daß ich dich zwingen kann?
Geh! dein Gewissen soll dich brennen!
Kein Heiliger dich kennen!
Dich kenn Maria nicht, auch nicht Mariens Sohn!"
Hier wär dem armen Bauerjungen
Vor Angst beinah das Herz zersprungen.
Er weint und sprach voll Reu: "Ich weiß"

"Das weiß ich schon,
Daß du was weißt; doch was?"

"Was sich nicht sagen läßt"
"Noch zauderst du?"

"Ich weiß"

"Was denn?" "Ein Vogelnest.
Doch wo es ist, fragt nicht; ich fürchte drum zu kommen.
Vorm Jahre hat mir Matz wohl zehne weggenommen."
"Geh Narr, ein Vogelnest war nicht der Mühe wert,
Daß du es mir gesagt, und ichs von dir begehrt."

Ich kenn ein drolligt Volk, mit mir kennt es die Welt,
Das schon seit manchen Jahren
Die Neugier auf der Folter hält,
Und dennoch kann sie nichts erfahren.
Hör auf, leichtgläubge Schar, sie forschend zu umschlingen!
Hör auf, mit Ernst in sie zu dringen!
Wer kein Geheimnis hat, kann leicht den Mund verschließen.
Das Gift der Plauderei ist, nichts zu plaudern wissen.
Und wissen sie auch was, so kann mein Märchen lehren,
Daß oft Geheimnisse uns nichts Geheimes lehren,
Und man zuletzt wohl spricht: War das der Mühe wert,
Daß ihr es mir gesagt, und ichs von euch begehrt?

Das Kruzifix



"Hans", spricht der Pater, "du mußt laufen,
Uns in der nächsten Stadt ein Kruzifix zu kaufen.
Nimm Matzen mit, hier hast du Geld.
Du wirst wohl sehn, wie teuer man es hält."
Hans kömmt mit Matzen nach der Stadt.
Der erste Künstler war der beste.
"Herr, wenn Er Kruzifixe hat,
So laß Er uns doch eins zum heilgen Osterfeste."

Der Künstler war ein schalkscher Mann,
Der gern der Einfalt lachte,
Und Dumme gern noch dümmer machte,
Und fing im Scherz zu fragen an:
"Was wollt ihr denn für eines?"

"Je nun", spricht Matz, "ein wacker feines.
Wir werden sehn, was ihr uns gebt."

"Das glaub ich wohl, allein das frag ich nicht.
Ein totes, oder eins das lebt?"

Hans guckte Matzen und Matz Hansen ins Gesicht.
Sie öffneten das Maul, allein es redte nicht.
"Nun gebt mir doch Bericht.