image

Dr. Michael Neumann

ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Andreas Hartmann M. A.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Alte Geschichte der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Zum Buch

»Innerhalb einer Epoche gibt es keinen Standpunkt, eine Epoche zu betrachten.«

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

Vom Barock zur Aufklärung verschiebt sich die Gesellschaft langsam, aber stetig weg von der göttlichen Übermacht gegenüber hilflosen Menschengestalten hin zum rational-kritisch voranschreitenden Denker, der sich der kantischen Maxime bedient und über die Zuhilfenahme seines eigenen Verstandes die Welt als erklär- und durchschaubar wahrnimmt. Auch während dieser gesamtgesellschaftlichen Wandlung haben sich Menschen hervorgetan, deren eigene Person oder deren (literarisches) Schaffen mythologisiert und deren Verhalten zur Norm oder allgemein zu epochalen Schlüsselbegriffen werden.

Mit Texten u. a. zu Don Quijote, James Cook, Daniel Defoe und Katharina der Großen.

Menschen, die
Geschichte schrieben

Betsy van Schlun
Michael Neumann (Hrsg.)

Menschen, die
Geschichte schrieben

Vom Barock zur Aufklärung

image

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Alle Rechte vorbehalten

© by marixverlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2014 Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014 Covergestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH Hamburg Berlin Bildnachweis: Porträt der Großfürstin Katharina Alexejewna, Gemälde, um 1758, von Pietro Antonio Rotari (1707–1762), akg-images GmbH Berlin eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0456-1

INHALT

Einleitung

von Andreas Hartmann

Gustav II. Adolf

Vom „Löwen aus Mitternacht“ zum „schwedischen Herkules“

von Bernhard R. Kroener

Johannes von Nepomuk

Vom politischen Mordopfer zum barocken Musterheiligen

von Franz Matsche

Hernán Cortés, Eroberer von Mexiko

„Nur ein Räuberhauptmann war er“

von Verena Dolle

James Cook als Heros der Aufklärung

von Karl-Heinz Kohl

Daniel Defoes Robinson Crusoe

Der einsame Held

von Oliver Lindner

Katharina die Große

Herrscherin zwischen Aufklärung und Despotie

von Alexei Rybakov

Don Quijote und Sancho Pansa

von Alexander Honold

Die Verfolgte Unschuld

von Ina Schabert

Magie und Leidenschaft

Torquato Tassos Armida in der Barockoper

von Silke Leopold

Isaac Newton

und der Mythos des Naturwissenschaftlers im England der Frühen Neuzeit

„And all was light“

von Richard Nate

Abbildungsverzeichnis

Autorinnen und Autoren

Editorische Vorbemerkung

Die mittlerweile rund 90 Bände umfassende Buchreihe marixwissen, in der nun Menschen, die Geschichte schrieben – Vom Barock zur Aufklärung vorliegt, steht seit vielen Jahren für Publikationen, die aus kompetenter Hand komplexe Zusammenhänge einer breiten Leserschaft zugänglich macht. Aus diesem besonderen Grund legen wir nun eine siebenbändige Reihe wieder auf, die vormals im Pustet Verlag erschienen ist und seinerzeit leider nur einem kleinen Publikum zugänglich war. Die diesen Bänden zugrundeliegende Ringvorlesung Die Mythen Europas fasziniert durch ihre thematische Breite und löst darüber hinaus das Ziel unserer marixwissen-Reihe ein, humanistische Bildung und das Wissen Europas lebendig zu halten. Die zentralen Begriffe „Mythen“, „Europa“ und „Schlüsselfiguren“ sind heute von einer ebenso großen, wenn nicht noch größeren Bedeutung getragen. Wir legen Ihnen die Bände in ihrer Textgestalt unverändert vor, lediglich die Titel wurden der Reihe marixwissen angepasst.

EINLEITUNG

von Andreas Hartmann

Der hiermit vorgelegte fünfte Band der Reihe Mythen Europas beschäftigt sich mit Barock und Aufklärung, die sich als Epochenbegriffe schon deshalb nicht klar differenzieren lassen, weil sie ganz unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln entnommen sind – hier die Kunstgeschichte, dort die Literatur- und Philosophiegeschichte. Diese begriffliche Inkonsequenz verweist freilich im vorliegenden Fall auf den interdisziplinären Ansatz der Reihe, die den Spiegelungen von Schlüsselgestalten der europäischen Imagination eben gleichermaßen in Literatur, Bildender Kunst und Musik, aber auch abseits der Elitenkultur etwa in Volksbrauchtum und Flugblattliteratur nachgehen will.

Wie die bereits erschienenen Bände versucht auch dieser, durch die Untersuchung der Vorstellungswelten jener Zeit Schlaglichter auf die sie bedingenden, aber auch von ihnen bedingten historischgesellschaftlichen Kontexte fallen zu lassen.1 Wie sehr solche kulturhistorischen Fragen nach dem Imaginären mittlerweile auch im Mainstream der geschichtswissenschaftlichen Forschung angekommen sind, zeigt die Tatsache, dass sich im Herbst des Jahres 2006 der 46. Deutsche Historikertag in Konstanz – immerhin einer der weltweit größten Wissenschaftskongresse überhaupt – mit dem Thema „Geschichtsbilder“ beschäftigte, worunter die meisten Beteiligten eben nicht optische Bilder und Visualisierungen, sondern mehr oder minder imaginative Vorstellungen von und Erzählungen über Vergangenheit verstanden.

Die im Folgenden vorgestellten Figuren gehören in die Zeitspanne von 1600 bis 1789 – eine Zeit also, in der in vielerlei Hinsicht die Grundlagen dessen gelegt wurden, was sich im 19. Jahrhundert zur „Moderne“ entwickelte. Dies gilt in besonderer Weise für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, die der Historiker Reinhart Koselleck deshalb mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts unter dem Begriff der „Sattelzeit“ zusammenfasste.2 Nicht von ungefähr ist daher bei der Auswahl der Figuren auch ein gewisser Schwerpunkt auf diese Jahrzehnte gelegt. Vieles Wichtige musste übergangen werden: Man denke etwa an ein für die Zeit so charakteristisches Phänomen wie die Hexenverfolgung, die hier aus rein pragmatischen Gesichtspunkten deshalb ausgeklammert bleibt, weil „die Hexe“ als Typus bereits in einem früheren Zyklus der diesem Band zugrunde liegenden Eichstätter Wintervortragsreihe behandelt wurde.3 Es bleibt die Hoffnung, wenn schon keine repräsentative, dann doch eine instruktive Auswahl getroffen zu haben, die Einsichten in einige zentrale Aspekte der behandelten Zeitspanne zu geben vermag.

Das einschneidende politische Ereignis des 17. Jahrhunderts stellt zweifellos der Dreißigjährige Krieg dar, der das Auseinanderbrechen der universalen mittelalterlichen Christianitas in unterschiedliche christliche Konfessionen blutig besiegelte. Wenn es der Schwedenkönig GUSTAV II. ADOLF ist, dem Bernhard R. Kroener den ersten Beitrag des Bandes widmet, dann vor allem deshalb, weil sich hier einmal ein subliterarischer, gerade deshalb aber extrem breitenwirksamer „Vertriebskanal“ politischer Propagandamythen studieren lässt: die Bildpublizistik. Die Umsetzung auch komplexer politischer Zusammenhänge in bildliche Formen mittels Personifikation und Allegorie ist uns weitgehend fremd geworden, ebenso die typologische Deutung der eigenen Gegenwart als Antitypus mythologischer bzw. biblischer Vorbilder. Die Darstellung des charismatischen Gustav Adolf in der hoch entwickelten protestantischen Bildpublizistik bietet diesbezüglich reiches Anschauungsmaterial. Die katholische Seite hatte dem nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Es wird freilich auch deutlich, wie die messianische Übersteigerung der schwedischen Propaganda zunehmend in Widerspruch zu der unerbittlichen Wirklichkeit des Krieges geriet. So gesehen verhinderte nur der frühe Tod des Königs in der Schlacht einen Kollaps der aufgebauten Erwartungshaltungen und Projektionen.

Im Gegensatz zu Gustav Adolf gehört JOHANNES VON NEPOMUK zu jenen Gestalten, die ihre entscheidende imaginative Ausgestaltung erst lange nach ihrem Tod in einer späteren Epoche erfuhren: Als historische Gestalt gehört Nepomuk noch dem Mittelalter an, doch als Heiliger ist er ganz wesentlich ein Produkt der Barockzeit. Franz Matsche verfolgt zunächst den Lebenslauf des Johannes von Nepomuk und analysiert die Ursachen seiner Tötung, die tatsächlich im Rahmen kirchenpolitischer Auseinandersetzungen zwischen König Wenzel IV. und dem Prager Erzbischof zu suchen sind. Diese Realität wird freilich bald von einer wuchernden Legendenbildung verdeckt, die losgelöst von den historischen Tatsachen einen Musterheiligen der katholischen Reform kreiert, der als Verteidiger des Beichtgeheimnisses und Marienverehrer, als gelehrter Prediger, Almosenspender und Wundertäter hervorragt. Als Patron gegen die Gefahren des Wassers und gegen üble Nachrede vermag Nepomuk zudem bis dahin bestehende Lücken im Kreis der himmlischen Nothelfer zu füllen.

Für die jeweiligen Identitätskonstruktionen einer Gesellschaft stets besonders aufschlussreich sind die Bilder vom Anderen, die als positive oder negative Folie dienen können, vor der sich Stärken und Schwächen des Eigenen besonders plastisch darstellen lassen. Die Entstehung der europäischen Kolonialreiche und die Aktivitäten der Handelskompanien gaben genügend Anlass zu solcher Auseinandersetzung. Verena Dolle behandelt in diesem Zusammenhang die Darstellung der Eroberung Mexikos – fokussiert auf das Zusammentreffen zwischen dem Eroberer HERNÁN CORTÉS und dem Aztekenherrscher MOCTEZUMA – in der Literatur des 18. Jahrhunderts, insbesondere auch den Opernlibretti dieser Zeit. Damit ist auch eine Kunstgattung berührt, die eine der genuinsten Leistungen des Barock darstellt. Gerade der freie Umgang mit den historischen Fakten lässt die jeweiligen Intentionen der Autoren deutlich hervortreten. Zwar wird die Person des Cortés vielfach von Schuld reingewaschen, doch wird das Thema durchaus zu einer deutlich auf die Werke der Aufklärer zurückgreifenden Auseinandersetzung mit dem Problem des Kulturkontakts im Allgemeinen, sowie dem Alleinvertretungsanspruch des Katholizismus im Besonderen genutzt. Schon in ihren Titeln, die stets auf die Gestalt Moctezumas Bezug nehmen, zeigen diese Werke, dass die Perspektive des als „edler Wilder“ aufgefassten Opfers eingenommen wird. Erst Spontinis Cortés bricht zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter den Vorzeichen des napoleonischen Empire mit dieser Tradition – und weist in seiner Perhorreszierung der aztekischen Opferpraktiken und der damit einhergehenden Stilisierung des Cortés zum zivilisatorischen Kulturbringer auf die imperialistischen Ideologeme der folgenden Jahrzehnte voraus.

In eine ähnliche Richtung weist auch die Vorstellung JAMES COOKS als Heros der Aufklärungszeit durch Karl-Heinz Kohl. Was ihn vor allem zu einem Faszinosum für seine Zeitgenossen werden ließ, waren weniger seine beachtlichen, aber doch ihre Parallelen findenden nautischen Leistungen, sondern die Tatsache, dass er, der aus kleinen Verhältnissen mit unerschütterlichem Fleiß und Disziplin aufgestiegen war, dem aufstrebenden Bürgertum als eine ideale Identifikationsfigur dienen konnte. Abrücken von überkommenen Traditionen, Pragmatismus und Humanität waren die als bürgerlich empfundenen Tugenden, die Cook in den Augen seines Biografen Forster vor allem auszeichneten. Tatsächlich bedeutete die Bekämpfung des Skorbut durch Mitführung von Sauerkraut als Proviant einen erheblichen Fortschritt für die Seefahrt. Sicher verklärt die Darstellung Forsters im Rückblick manches, doch insgesamt hat Cook als Typus des Entdeckers wenig mit den Kolonialheroen des 19. Jahrhunderts gemein.

Dieselben Werte verkörperte, wie der Beitrag von Oliver Lindner zeigt, auch ROBINSON CRUSOE. Wie sehr Defoe mit dieser Gestalt den Zeitgeist getroffen hatte, zeigt der enorme Erfolg des Werkes im Buchhandel ebenso wie die zahlreichen Nachahmungen. Was Robinson von den zahlreichen Helden anderer Abenteuerromane und Seefahrerberichte unterschied, war seine ausgeprägte Leistungsethik, die es ihm erlaubt, die Insel, auf der er gestrandet ist, in eine Welt im Kleinen umzugestalten. Allein dieses Inseldasein Robinsons hielt auch Rousseau für pädagogisch wertvoll und trug so wesentlich dazu bei, dass der zweite und dritte Teil der Robinson-Trilogie aus dem literarischen Kanon verschwanden. Neben der geradezu obsessiven Fokussierung Robinsons auf materiellen Erwerb, der den Wertkanon einer bürgerlichen Mittelschicht reflektiert, spiegelt der Roman ein kolonialistisches Paradigma, in dem es zwar in Gestalt des Freitag auch einen „edlen Wilden“ gibt, die Wilden aber ansonsten ihrem Namen alle Ehre machen und schließlich der verdienten Vernichtung anheimfallen. Selbst die uralte chinesische Hochkultur findet vor den Augen Robinson/ Defoes keine Gnade mehr.

Die Aufklärung findet sich repräsentiert durch die Gestalt des aufgeklärten Monarchen, speziell diejenige der Zarin KATHARINA DER GROSSEN. Ihre im vorrevolutionären Frankreich verbotene Große Instruktion, die auf eine tiefgreifende Reform des russischen Staates nach den Prinzipien der Aufklärung zielte, begründete ihren Ruf in Westeuropa, der auch durch das tatsächliche Scheitern des Projektes kaum zu erschüttern war – auch wenn er durch wenig schmeichelhafte Gerüchte über das Sexualleben der Kaiserin begleitet wurde. Diesen Konflikt zwischen idealem Wollen des aufgeklärten Absolutismus und der daran gemessenen oft unzureichenden und inkonsequenten Umsetzung in der politischen Praxis beleuchtet Alexei Rybakov, der die Gestalt Katharinas darüber hinaus in den Kontext der russischen Geschichte bzw. der Geschichte des Verhältnisses zwischen Russland und (West-)Europa einordnet. Unter diesem Blickwinkel steht Katharina paradigmatisch für das europäische Gesicht Russlands.

Schließlich folgen zwei Beiträge zu fiktionalen Gestalten: Vielleicht die erfolgreichste literarische Figurenschöpfung der Barockzeit stellt DON QUIJOTE dar. Der „Ritter von der traurigen Gestalt“ entwickelte bis in die Gegenwart ein Eigenleben, das sich von seinem Ursprungstext weitgehend abzukoppeln vermochte. Im Mittelpunkt der Überlegungen Alexander Honolds steht die Erzählstruktur von Cervantes’ Roman, die in ihrer vexierbildhaften Verschachtelung verschiedener Autorinstanzen das der Gattung Roman inhärente Fiktionalitätsproblem thematisiert. Der Ritter aus La Mancha wird somit als eine Vorreitergestalt in einem abendländischen Prozess der Selbstvirtualisierung interpretiert.

Eine bezeichnende Wandlung macht im 18. Jahrhundert schließlich auch das uralte literarisch-religiöse Motiv der VERFOLGTEN UNSCHULD durch. Die Figur an sich steht als das Genre konstituierendes Erzählmuster bereits im Zentrum der antiken Romanliteratur und geht von dort in die christliche Hagiographie ein. Ina Schabert zeigt, wie im 18. Jahrhundert die klaren ethischen Aussageabsichten des Motivs zunehmend prekär werden: Ist Samuel Richardsons Clarissa noch eine heiligmäßig Reine, deren Standhaftigkeit wenigstens im Jenseits belohnt wird, huldigen die Liaisons dangereuses des Choderlos de Laclos einem selbstzweckhaften Sport der Verführung. In aller Brutalität führt den verlorenen Glauben an eine letzte, göttliche Gerechtigkeit dann De Sades Justine vor Augen, in der die Titelheldin nicht nur fortwährend in Bedrängnis gerät, sondern für ihre Tugend am Ende sogar vom Himmel selbst durch einen grässlichen Tod durch Blitzschlag abgestraft wird.

In den Bereich der Musikgeschichte führt uns Silke Leopold mit ihrem Beitrag zu ARMIDA, die nicht ohne ihren Geliebten RINALDO zu denken ist. Um das Jahr 1600 war mit der Oper ein trotz aller Berufung auf die Antike letztlich neues Medium erfunden worden, welches in seiner – um ein Schlagwort unserer Tage zu bemühen – multimedialen Ausprägung bald eine erhebliche Eigendynamik entwickelte. Den Grundsätzen der aristotelischen Poetik folgend hatte im Mittelpunkt der opera seria eine azione ilustre zu stehen, also eine Handlung mit Personen hohen Standes. Entsprechend waren es immer wieder die Gestalten des Mythos, auch die der antiken wie mittelalterlichen Geschichte, welche die Opernbühne bevölkerten. Auch die damals jüngere Literaturgeschichte bot freilich den Librettisten reiches Material: etwa mit Ariosts Orlando furioso oder eben Torquato Tassos Kreuzzugsepos La Gerusalemme liberata, dem die Gestalten Rinaldo und Armida entnommen sind. Beide Vorlagen boten eine – im Falle Rinaldos und Armidas gar ins Ambivalent-Tragische zu wendende – Liebesgeschichte und genügend Gelegenheit, die barocke Theatermaschinerie auszulasten. Sie riefen geradezu nach der Oper zum Buch. Leopold verfolgt die Bearbeitung des Themas von den Madrigalkompositionen Jacques de Werts und Monteverdis über die maßstabsetzende Bearbeitung durch Quinault/Lully bis hin zu Haydns Armida und verschafft so einen Überblick über zweihundert Jahre Rezeptionsgeschichte.

Den Mythos des Naturwissenschaftlers bespricht am Beispiel ISAAC NEWTONS Richard Nate. Die naturwissenschaftliche Forschung erlebte im 17. Jahrhundert einen großen Aufschwung, der sich nicht zuletzt in der Gründung der königlichen Akademien niederschlug. Dass Newton es nicht für opportun hielt, seine umfänglichen alchemistischen Manuskripte zu publizieren, wirft ein bezeichnendes Licht auf den rationalistischen Geist der Epoche. In scheinbarem Gegensatz zu dieser vernunftbetonten Abgeklärtheit steht die bereits im 17. Jahrhundert einsetzende Mythisierung naturwissenschaftlichen Forschens durch die Heranziehung tradierter biblischer und mythologischer Bilder. Eine Gegenbewegung lässt sich dann im 18. Jahrhunderts, verstärkt an dessen Ende greifen, wenn vermehrt auf die Beschränkungen eines naturwissenschaftlich-mechanistischen Weltbildes hingewiesen wird. Hier deutet sich bereits die Dämonisierung des Naturwissenschaftlers an, wie sie die Romantik weiter vorantrieb.

Was also lässt sich diesen imaginationsgeschichtlichen Sondagen am Ende abgewinnen? Kaleidoskopartig reflektieren sie wichtige Ereignisse und Prozesse des thematisierten Zeitraumes, wie z. B. Konfessionalisierung und Katholische Reform, Absolutismus und Aufklärung, Aufstieg des Bürgertums und koloniale Expansion, das Zerbrechen des überkommenen christlichen Weltdeutungsmodelles und das Aufblühen der Naturwissenschaften. Dennoch soll hier nicht versucht werden, im Sinne einer Summe ein geschlossenes Epochenprofil zu skizzieren. Ein solches nämlich stellt keine unabhängig vom Betrachter existierende objektive Realität dar, die aus den Einzelbeispielen erkannt werden könnte, sondern es kann erst in der abstrahierenden, das Besondere zu Gunsten des Allgemeinen relativierenden Sichtweise des Historikers entstehen. Schon die Auswahl der behandelten Personen legt nicht zuletzt auch davon Zeugnis ab, welche Vorstellung wir uns vom 17. und 18. Jahrhundert machen, was wir für wichtig und bedeutsam an dieser Zeit halten. Auch hierin liegt ja der Reiz einer imagologischen Betrachtungsweise: Sie erschließt nicht nur neue kulturgeschichtliche Themenfelder und schlägt eine Brücke zwischen den verschiedenen historischen Wissenschaften, sondern sie impliziert stets auch ein Nachdenken darüber, was Geschichte eigentlich ist bzw. sein kann.

Die hier publizierten Beiträge gehen zurück auf eine Vortragsreihe, die im Wintersemester 2006/07 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt durchgeführt wurde. Konzeption und Organisation lagen dabei in Händen von Verena Dolle, Andreas Hartmann, Michael Neumann, Alexei Rybakov, Betsy van Schlun, Almut Schneider, Christine Strobl und Angela Treiber. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle der Sparkasse Eichstätt und dem Katholischen Bildungswerk im Landkreis Eichstätt, ohne deren finanzielle Unterstützung die Durchführung dieser Reihe nicht möglich gewesen wäre.

ANMERKUNGEN

1Vgl. dazu ausführlich Neumann 2003, 7–17.

2Koselleck 1972, XV.

3Segl 2000.

LITERATUR

Koselleck, Reinhart 1972: Einleitung, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 1, hg. v. Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck, Stuttgart, S. XIII–XXIII.

Neumann, Michael 2003: Einleitung, in: Mythen Europas. Schlüsselfiguren der Imagination. Antike, hg. v. Andreas Hartmann u. Michael Neumann, Regensburg, S. 7–26.

Segl, Peter 2000: Die Hexe, in: Der neue Mensch. Perspektiven der Renaissance, hg. v. Michael Schwarze, Regensburg, S. 117–157.

image

Porträt Gustav II. Adolf, Winter 1631/32
Gemälde von Matthäus Merian d. Ä. (Schloss Skokloster, Schweden)

GUSTAV II. ADOLF

von Bernhard R. Kroener

VOMLÖWEN AUS MITTERNACHTZUMSCHWEDISCHEN HERKULES

Jahre mögen kommen, gehen,

Erdenruhm wie Rauch verschwinden,

Doch Dein Name wird bestehn,

Allen Zeitlauf überwinden.

Ja, du Leu aus Mitternacht:

Ewig Ruhm hast Du zum Lohne,

Über Tod und Grabesnacht

Leuchtet deine Siegerkrone!1

Keines der gekrönten Häupter Europas, keiner der Feldherrn des Dreißigjährigen Krieges hat einen derartigen Nachruhm erfahren, geradezu einen Mythos entstehen lassen wie König Gustav II. Adolf von Schweden, der „Löwe aus Mitternacht“.2

Die Menschen der Frühen Neuzeit verwendeten Sprachbilder, die sie den antiken Mythen, dem Alten und Neuen Testament entlehnten, um ihre als spannungsvoll, häufig als krisenhaft bedrohlich empfundene Wirklichkeit zu erklären. Mythen gewinnen also ihre Form, Bedeutung und Strahlkraft aus den Sinnbedürfnissen ihrer jeweiligen Gegenwart. Entsprechend verblassen sie, geraten bald in Vergessenheit, wenn der unmittelbare Anlass, dem sie ihre Entstehung verdanken, nicht mehr gegeben ist. Mythen zählen zur Kategorie der Wahrnehmungsmuster. Sie stellen einen kulturellen Code dar, mit dessen Hilfe sich die Zeitgenossen über Normen, Werte und Einstellungen verständigen.3

Die Propaganda nutzt den Mythos, um aktuelle politische Interessen und Ziele massenwirksam zu verbreiten. Der Dreißigjährige Krieg stellt jene epochale Auseinandersetzung in Europa dar, in der erstmals ein Konflikt gleichermaßen mit dem Schwert und der Feder ausgetragen wurde.4 Nicht von ungefähr entstand der Begriff der Propaganda, wenngleich in anderem Zusammenhang, in den Anfangsjahren dieses Krieges. 1622 begründete Papst Gregor XV. die Congregatio de propaganda fide (die Kongregation zur Verbreitung des Glaubens) als Instrument der Heidenmission und Waffe im Kampf gegen die Ketzer. Die Durchsetzung politischer Interessen erfuhr im Zeitalter der Konfessionalisierung durch eine gezielte religionspolitische Aufladung eine zusätzliche Dynamik.

Das zentrale Element jeder Propaganda ist die Schaffung eines Feindbildes.5 Es dient als einheitlich dunkle Hintergrundfolie, vor der sich sinnbildlich oder personifiziert das eigene Anliegen als gerecht, gottgewollt und letztlich siegreich entfaltet. Der Begriff des Feindbildes weist auf das Bild als zentrales Medium der frühneuzeitlichen Propaganda, auf die Verbildlichung, das Sinnbild hin. Die Verbindung von Bild und Text, die Reduzierung des politisch-konfessionellen Anliegens auf verkürzte, plakativ präsentierte Aussagen leistet das Flugblatt.6 Seit der Reformation bildeten Einblattdrucke neben Flugschriften das geeignete Medium, um mit geringem Aufwand eine möglichst große Leserschaft zu erreichen. Die Massenwirksamkeit wurde durch die graphische Umsetzung kollektiver Wahrnehmungsmuster in Kombination mit umgangssprachlichen Deutungsangeboten erreicht. Auf Messen und Jahrmärkten boten reisende Händler Flugblätter an. Die Bilder zogen die Kunden werbewirksam an die Stände. Die Texte wurden noch zusätzlich ausgesungen oder vorgelesen, um den nicht schriftmächtigen Interessenten mit dem Bild zugleich die Botschaft nahe zu bringen. Ereignisse von überregionaler Bedeutung, wie etwa die Zerstörung Magdeburgs durch kaiserlich-ligistische Truppen 1631, haben Hunderte von Flugschriften und Flugblätter erscheinen lassen. Sie wurden zum Teil in einer Auflage von mehreren tausend Exemplaren verbreitet. Weitere Nach- und Raubdrucke waren üblich.7

Dieser Medienkrieg im Krieg hat zumindest bis 1635 einen Mobilisierungsschub bewirkt, der kriegsverschärfend, vielleicht sogar kriegsverlängernd gewirkt hat. Das Schicksal des unglücklichen „Winterkönigs“, Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz – eine ursprünglich verächtliche Charakterisierung seiner kurzen Herrschaft, die sich allerdings bis heute gehalten hat – kennzeichnet die erste Phase der publizistischen Auseinandersetzung. Die Katastrophe von Magdeburg bildete einen weiteren Schwerpunkt. Diese Schreckensmeldung, die die Menschen erregte und ihre Phantasie beflügelte, wurde durch die Verwendung konfessioneller Feindbilder zusätzlich verschärft.8

Einen in Vorbereitung, Durchführung und Wirkung erstaunlichen Höhepunkt der zeitgenössischen Propaganda stellt die Konstruktion des Gustav Adolf-Mythos dar.9 Bevor wir uns den einzelnen Phasen dieses Prozesses während des Dreißigjährigen Krieges widmen, werfen wir zunächst einen Blick auf die schwedische Außen- und Sicherheitspolitik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

POLITISCHE HINTERGRÜNDE

1628 erschienen in der mecklenburgischen Hanse- und Hafenstadt Wismar mehrere spanische Seeoffiziere. Die exotischen Gäste aus der Flottenbasis Dünkirchen erweckten Aufmerksamkeit und Verdacht zugleich. Seit die Armeen des Kaisers, die die Truppen des Dänenkönigs Christian IV. und seiner protestantischen Verbündeten im Reich geschlagen hatten, unaufhaltsam nach Jütland vorrückten und inzwischen weite Teile der Ostseeküste in Besitz genommen hatten, fragten sich die politischen Kommentatoren, ob hinter dem Titel des Generalissimus Wallenstein, „des ozeanischen und baltischen Meeres General“, nicht handfeste habsburgische Seeinteressen verborgen sein könnten. Seit Jahrzehnten führte Spanien einen verlustreichen Kleinkrieg gegen die abtrünnigen Niederlande, den die europäische Supermacht der Epoche offenbar nicht gewinnen konnte. Was lag näher als der Versuch, aus den Häfen der Ostseeküste den niederländischen Heringsfang und die Getreideimporte der Generalstaaten aus Polen zu unterbinden. Damit wäre die Lebensader zu den dicht besiedelten holländischen Provinzen unterbrochen gewesen, ein spanischer Sieg wäre in greifbare Nähe gerückt. Diese Vorstellung löste Beunruhigung aus, da damit auch Schwedens Sicherheitsinteressen massiv bedroht wurden. Der Friede von Lübeck, das Restitutionsedikt, das eine dauerhafte Rekatholisierung Norddeutschlands befürchten ließ, und schließlich noch eine spanische Flotte in der Ostsee –, dieser Entwicklung konnte und wollte man in Stockholm nicht tatenlos zusehen.

Das skandinavische Königreich mit kaum mehr als einer Million Einwohnern vermochte einer Invasion keinen größeren Widerstand entgegenzusetzen. Umso wichtiger schien es, rechtzeitig das strategische Glacis, das heißt die Ostseeküste, in die Hand zu bekommen. In der Vorstellung der Zeitgenossen glich Schweden einer Festung, ihren Burggraben bildete die Ostsee und die deutsche Gegenküste die äußeren Verteidigungswälle. Diese primär militärisch-strategischen Überlegungen verbanden sich mit handfesten ökonomischen Erwägungen. Das Land vermochte einen längeren Militäreinsatz finanziell nur dann zu verkraften, wenn die Flusszölle der in die Ostsee mündenden großen Ströme in die schwedische Kriegskasse gelenkt werden konnten. Das Gebiet, in dem die schwedischen Armeen operieren würden, musste den Krieg ernähren. Auf eine Unterstützung durch die protestantischen Reichsfürsten konnte man angesichts der überwältigenden Erfolge der kaiserlich-ligistischen Waffen zunächst nicht rechnen. Nach den vorangegangenen Erfahrungen mit den Armeen Tillys würden sie den Erfolg nicht auf dem Schlachtfeld suchen wollen.

Der schwedische König hatte folglich denkbar ungünstige Voraussetzungen für einen Propagandafeldzug. Gustav II. Adolf suchte daher bereits im Vorfeld seines Eingreifens auf dem europäischen Kriegsschauplatz seine Herrscherpersönlichkeit, die Rechtmäßigkeit seiner Politik und die damit verbundenen Erwartungen zielgerichtet, breitenwirksam und kontrolliert in die Öffentlichkeit zu bringen. Er bediente sich dabei seit 1627, also bereits mehrere Jahre vor seinem militärischen Eingreifen, der Unterstützung schwedenfreundlicher protestantischer Intellektueller, die etwa von Hamburg aus die medialen Verbreitungswege antikatholischer Publizistik im Reich zu nutzen verstanden. Dabei kam ihm zugute, dass er auf eine in ihren drucktechnischen Möglichkeiten hoch entwickelte und in ihrer Argumentationsweise versierte protestantische Propaganda zurückgreifen konnte, die sich gerade im deutschen Sprachraum seit der Reformation entwickelt hatte und die über ein eingespieltes Netz von Kupferstechern, Druckern und Verlegern verfügte. Ihr Text- und Bildprogramm war der anzusprechenden Zielgruppe durchaus vertraut. Sie war hinsichtlich ihrer Effizienz und Methodik der katholischen Kriegspropaganda weit überlegen.10 Der Schwedenkönig besaß zudem medienpolitisches Gespür. Er vermochte Einsatzmöglichkeiten und Wirkung seiner Propagandainstrumente recht genau einzuschätzen und geschickt einzusetzen.

Gerade weil die Legitimität seines Königtums zu Anfang durchaus nicht unbestritten war, bedurfte sie einer besonderen medialen Inszenierung. Im Vergleich zu den großen europäischen Herrscherfamilien, wie etwa den Habsburgern, stellte das Geschlecht der Vasa eine junge Dynastie dar. Mit Gustav II. Adolf bestieg erst der Enkel des ersten Königs den Thron. Der noch junge König – er war bei Regierungsantritt erst 16 Jahre alt – hatte von Anfang an mit den durchaus berechtigten Thronansprüchen seines katholischen Onkels, Sigismund III. von Polen zu kämpfen. Die habsburgische Unterstützung Polens, die Präsenz kaiserlicher Truppen an der Ostseeküste und die zu erwartende Anwesenheit spanischer Flotteneinheiten mussten dem König daher wie eine indirekte Kriegserklärung erscheinen. Die ständigen Kämpfe gegen Russland und Polen um das Baltikum als der strategischen Vormauer Schwedens und die Konkurrenz mit Dänemark luden der Bevölkerung dieses dünn besiedelten, landwirtschaftlich geprägten Landes nur schwer zu tragende Lasten auf. Dem daraus resultierenden innenpolitischen Druck vermochte Gustav Adolf nur in einem engen Schulterschluss mit den einflussreichen Ständen, vor allem dem Adel, zu begegnen. Während sich der König im eigenen Lande als friedliebender lutherischer Landesfürst, als Adelskönig stilisierte, der gegen seinen Willen zur Existenzsicherung seines Territoriums zu ständigem Kriegführen gezwungen war, trat er im Reich als kriegerischer Volkskönig auf.11 Daraus entstand eine nicht unproblematische Spannung innerhalb der propagandistischen Inszenierung. Nur durch die militärischen Erfolge und den frühen Tod des Herrschers in der Schlacht bei Lützen wurde letztlich ein Zusammenbruch der medialen Selbstinszenierung des Königs vermieden.

Bevor wir uns den verschiedenen Darstellungen Gustavs Adolfs während des Dreißigjährigen Krieges zuwenden, deren Bildprogramm die Konstruktionsprinzipien des überzeitlichen Mythos vom Schwedenkönig anschaulich widerspiegelt, sollen an dieser Stelle die politisch-programmatischen Voraussetzungen seines Eingreifens in den Dreißigjährigen Krieg kurz skizziert werden.

DAS EINGREIFEN IN DEN DREISSIGJÄHRIGEN KRIEG – DER „LÖWE AUS MITTERNACHT

Bereits 1627 hatte Gustav Adolf werbewirksam verbreiten lassen, Schweden biete allen verfolgten deutschen Protestanten Zuflucht. Der König wurde damit langfristig als Beschützer seiner bedrängten Glaubensgenossen popularisiert. Er sei der protector, nicht aber der proditor Germaniae (der Bewahrer, nicht der Räuber Germaniens).12

Mit dem Hinweis auf den uneigennützigen Schutz der „teutschen Libertät“ gegenüber einer tyrannischen Aneignungspolitik, die in einer habsburgisch-katholischen Universalreichsbildung zu kumulieren drohte, begründete der König seinen Anspruch, einen gerechten Krieg zu führen. Die Besetzung der Ostseeküste würde der Sicherheit Schwedens ebenso dienen wie dem Schutz des Protestantismus. Machtpolitik und Religionspolitik, diplomatisches Kalkül und Glaubenstreue lassen sich im Handeln eines frühneuzeitlichen Herrschers nicht voneinander trennen. Sie bedingen sich, sie verstärken sich wechselseitig. Gustav Adolfs Eingreifen in den „teutschen Krieg“ entsprang daher weder ausschließlich kaltrationalem Machtstaatsdenken noch einem idealistischen Glaubenseifer. In seinem Handeln verbanden sich beide Antriebskräfte und bildeten so die Grundlage seiner medienpolitischen Inszenierung. Eine geschickt betriebene Popularisierung seiner Politik bettete die religionspolitischen und machtpolitischen Argumente in einen übergeordneten Deutungszusammenhang ein. Der König war, anders als der Dänenkönig, nicht zugleich deutscher Reichsfürst. Er war ein landfremder Herrscher, den niemand, noch nicht einmal die bedrängten protestantischen Fürsten, gerufen hatte. Es bedurfte also neben der aktuell politischen Befreiungsapologetik einer von langer Hand vorbereiteten mystischen Überhöhung seines Handelns, die ihn zum Vollstrecker göttlichen Wirkens stilisierte.

In der Atempause, die der Krieg nach dem Frieden von Lübeck einlegte und die der Landung Gustav Adolfs auf der Insel Usedom voranging, erschienen überall im Reich Hinweise auf absonderliche Himmelszeichen, die die Menschen beunruhigten und auf zu erwartende Ereignisse von dramatischer Bedeutung einstimmten. Aus Pommern wurde berichtet, man habe am Himmel die Erscheinung eines mächtigen Kriegsvolkes aus dem Norden beobachtet. In Tübingen beschrieb ein Gelehrter ein Nordlicht, das er als Abbild einer Schlacht deutete. Es sei begleitet gewesen von einem Brausen „wie eines starken Nordwinds“.13 Allenthalben brachte man diese Erscheinungen mit Aussagen der Heiligen Schrift in Verbindung.

Besonders wirkungsmächtig wurde das Bild des Löwen aus Mitternacht, auch als Löwe aus dem Norden bezeichnet, das eindeutig mit der Person des Schwedenkönigs verknüpft wurde. An diesem Beispiel lässt sich die durch Gustav Adolf betriebene propagandistische Selbststilisierung eindeutig nachweisen. Noch vor seinem Aufbruch nach Deutschland ließ der König Gedenkmünzen prägen, die dieses Motiv zeigten und die nach seiner Landung unter der Bevölkerung verteilt wurden.14 Mit dem Auftreten des Löwen aus Mitternacht verband sich seit dem Spätmittelalter die Vorstellung von dem nahenden Weltenende, durch das der Antichrist auf Erden besiegt und ein goldenes Zeitalter eingeläutet werde. Damit wurden gleichsam messianische Vorstellungen verknüpft, in denen der Löwe aus Mitternacht mit Christus gleichgesetzt wurde.15 Geschickt verstand es Gustav Adolf, populäre Weissagungen auf seine Person zu beziehen. Dadurch verlieh er seinem politischen Handeln eine Rechtfertigung aus göttlichem Willen, gegen die es auf Erden keine Berufung geben konnte.

Das Flugblatt (S. 23) ist in unmittelbarem Zusammenhang mit der Landung des Königs im Sommer 1630 entstanden. Es zeigt, wie ein bekrönter und mit einem Schwert bewaffneter Löwe von einem Schiff an Land springt. Das Steuer des Schiffes hält ein Engel, der durch eine Posaune an den Lippen als Engel der Verkündigung ausgewiesen ist. Einen Schiffer kennzeichnen Attribute einer holländischen Seemannstracht, dazu ein gezogener Degen. Auf dem Deck lagert ein kleinerer Löwe, der auf seinem Haupt eine Mitra trägt. Ein Hahn mit einem Beutel, der offenbar Geld enthält, sitzt auf dem Mast unter dem Wimpel, der die schwedischen Nationalfarben trägt.

Der große Löwe reckt sein Schwert einem siebenköpfigen apokalyptischen Drachen entgegen, der die Insignien der katholischen Kirche, unter anderem die Tiara des Papstes, trägt. Dieses Ungeheuer hat aus dem im Hintergrund sichtbaren Gebäude der Kirche offensichtlich bereits fünf Säulen herausgebrochen, deren Inschriften auf die Unterdrückung des evangelischen Glaubens hindeuten. Die auf den ersten Blick mystisch-allegorische Darstellung weist bei näherer Betrachtung handfeste politisch-programmatische Aussagen auf, die sich den mit der zeitgenössischen Bildprogrammatik vertrauten Betrachtern ohne weiteres erschlossen.

image

Schwedische Rettung der Christlichen Kirchen/Anno 1630, Ulm, 163019

Der wehrhafte Löwe, der an Land springt, um die wahre Kirche aus den Fängen des Antichrists und seiner Helfershelfer zu befreien, ist der König von Schweden, der hier aber noch nicht in der Ikonographie Gustav Adolfs auftritt. Der Verkündigungsengel steuert die Wege des Herrn. Der König von Schweden fungiert in diesem Zusammenhang als vicarius Dei (Stellvertreter Gottes). Der bewaffnete Schiffer in holländischer Tracht verdeutlicht demgegenüber das realpolitische Interesse der Generalstaaten an einem ungestörten Ostseehandel. Der kleine Löwe, der in entspannter Haltung den Erfolg seines großen Artgenossen erwartet, steht für den protestantischen Administrator von Magdeburg, Wolfgang von Brandenburg, der sich nach Schweden geflüchtet hatte und nun mit den Truppen Gustav Adolfs zurückkehrte. Der Hahn auf der Mastspitze kann dagegen unterschiedlich gedeutet werden. Er ist zweifellos das Symbol Christi, das Sinnbild des Lichts und der Auferstehung. Er mag aber auch für die Unterstützung der Hansestädte, allen voran Hamburgs, stehen. Demnach ist er auch ein wichtiges propagandistisches Argument im Bemühen Schwedens, sich der Unterstützung der Hafenstädte an der Ostsee zu versichern.16

image

Schwedischer Hercules/ das ist: Trost vnd Frewde der Frommen/ vnd getroste Zuversicht der Göttlichen instehenden Errettung, 1630

Neben der Bildpublizistik waren es vor allem Volks-, Soldaten- und geistliche Lieder, Sinnsprüche und Gedichte, die die religiöse und mystische Legitimation der schwedischen Kriegführung als eines gerechten Krieges mit unzweifelhaft siegreichem Ausgang verbreiteten.

Ich bin der Löw von Mitternacht

Gottlob, es ist erwachet

Mit Dir will ich frisch fechten,

Der Leu von Mitternacht

Ich streite ja durch Gottes Krafft,

Gott helfe dem Gerechten.

Der Anfang ist gemachet, Glück zu

 

Dem königlichen Blut Per Diu

 

Es wird noch werden gut.17

Die Interpretation des Löwen aus Mitternacht als sich erfüllende Prophezeiung und Repräsentation göttlichen Wollens entzog den schwedischen König jeglicher Kritik an seinem Handeln. Sie sollte in erster Linie dazu dienen, dem vergleichsweise kleinen schwedischen Expeditionskorps von etwa 16000 Mann einen möglichst starken Rückhalt in der Bevölkerung zu verschaffen. Auch zielte sie auf eine breite Unterstützung, die nicht von einer Legitimation durch die protestantischen Fürsten abhängig war, zumal deren Mitwirkung an der schwedischen Expansionspolitik nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden konnte. Sie richtete sich im Besonderen auf das Rekrutierungspotential der schwedischen Armee in Norddeutschland. Gustav Adolf vermochte den kaiserlich-ligistischen Truppen nur dann erfolgreich entgegenzutreten, wenn es ihm rasch gelang, durch umfangreiche Werbungen deutscher Söldner seine Armee erheblich zu verstärken.

Der Löwe als Sinnbild von Kampfesmut, Stärke und Macht, wurde zum Symbol des charismatischen Herrschers, dessen göttliche Sendung den Sieg über die Feinde versprach und damit seinen Soldaten Lohn in Aussicht stellte.

Und so sangen die Soldaten wenig später:

Der Schwede führt einen praven Krieg

Er thut richtig auszahlen

Das ihm ein jeder Soldat gut Zeugnis gibt

Er hat ihm Lust zu dienen.18

Erst mit dem Tod Gustav Adolfs verlor dieses Motiv seine Wirksamkeit, da das Bildprogramm so eindeutig auf den König bezogen war, dass es auf keinen der schwedischen Befehlshaber der zweiten Kriegshälfte übertragen werden konnte.

ERFOLGE GEGEN DIE KAISERLICHEN – SCHWEDISCHER HERKULES UND PROTESTANTISCHER MESSIAS

Das Bild vom Löwen aus Mitternacht, das zunächst der politisch-konfessionellen Legitimation des schwedischen Kriegseintritts diente, wurde im Zusammenhang mit den kriegerischen Erfolgen Gustav Adolfs umgedeutet in eine Personifikation des Schwedenkönigs als eines von Gott gesandten Heilsbringers. Diesen Übergang markiert anschaulich der typologisch seltene Einblattdruck des „Schwedischen Herkules“ (S. 27).

Gustav Adolf ist hier als Herkules abgebildet. Die ikonographischen Besonderheiten der Physiognomie des Königs sind deutlich erkennbar; dennoch verzichtet der Künstler zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf eine zusätzliche Darstellung des Löwen auf der Schulter des Helden, um dem Betrachter die Zuordnung zu erleichtern. Das Handeln des Herrschers wird aus der Hand Gottes gelenkt: Drei Schnüre verbinden Gustav Adolf mit dem himmlischen Lenker, während der König selbst als Medium Gottes durch eben diese drei Schnüre seine bewaffneten Feinde aus der Dunkelheit ihres Verstecks ans Licht zieht. Die Gestalt des antiken Helden eignete sich wie keine andere zur Verbildlichung der deificatio (Vergottung) des Herrschers, war doch auch Herkules als Mensch wegen seines tugendhaften Handelns vergöttlicht worden. Gott wirkt durch den Helden, der in seinem Handeln der Verehrung durch die Menschen empfohlen wird – hier versinnbildlicht durch die Dreiergruppe Mann, Frau, Kind.20

Das der antiken Mythologie entlehnte Bild des Herkules am Scheidewege war bereits in der reformatorischen Propaganda verbreitet gewesen. Herkules, der auch als Sinnbild des miles christianus, d. h. des christlichen Soldaten, gedeutet wurde, steht mit der Wahl zwischen Tugend und Laster in einer Entscheidungssituation, die jedem Christen vertraut ist.21 In seiner Gestalt vereinigen sich ebenso die Tugenden des Herrschers, der seine Macht und Stärke Gott wohlgefällig einzusetzen weiß. Der Held, der als Mensch durch seine Taten unsterblich wurde, wird im Spiegel des christlich tugendhaften Herrschers zu einem Werkzeug Gottes auf Erden. Er darf sich einer Verehrung durch die Menschen gewiss sein, die in propagandistischer Überhöhung bereits Züge einer Vergöttlichung annimmt.22

Wenngleich das Herkulesmotiv in erster Linie eine begrenzte intellektuelle Käuferschicht anzusprechen verstand, so verstärkte sich nach den unerwarteten Siegen Gustav Adolfs in breiten Bevölkerungsschichten das Bild des Schwedenkönigs als eines Werkzeuges Gottes für die bedrängte protestantische Christenheit. Die mystischen Deutungen des Löwen aus Mitternacht schienen in den schwedischen Waffenerfolgen ihre realpolitische Bestätigung zu finden. In diesem Sinne reimte ein 1632 in Franken entstandenes Lobgedicht:

Deus heißt auf deutsch Gott und aus den vier lateinischen

Buchstaben kommt sued.

So ist nun Deus Gott und Sued

Buchstäblich Königl. Majestät.23

Der Einzug Gustav Adolfs in die protestantischen Reichsstädte Nürnberg und vor allem Augsburg im Frühjahr 1632 markiert nach dem Sieg bei Breitenfeld im vorausgegangenen Jahr (September 1631) den Höhepunkt des zeitgenössischen Gustav Adolf-Mythos. Die Menschen der Frühen Neuzeit waren überzeugt, dass Jubiläen, also die Erinnerung an Ereignisse im Abstand eines Jahrhunderts gleichsam auch Zeitenwenden bedeuteten, an denen Gott den Menschen einen Weg im irdischen Jammertal weise.

So hatte man sich, wenige Tage nachdem das schwedische Expeditionskorps 1630 auf Usedom gelandet war, in Stralsund daran erinnert, dass Seine Majestät nur einen Tag vor der feierlichen Erinnerung an die vor einhundert Jahren beschlossene Confessio Augustana, die gültige evangelische Bekenntnisschrift, an der Küste Pommerns gelandet sei. Das durchaus zufällige Zusammentreffen der Ereignisse wurde von Gustav Adolf sogleich medienpolitisch virtuos genutzt, um sich zum auserwählten Verteidiger der protestantischen Freiheit zu stilisieren.24 Als die schwedischen Truppen am 11. April 1632 schließlich in Augsburg „der Hauptstadt der evangelischen Christenheit“25 einrückten, schien die Mission des Schwedenkönigs durch Gottes Fügung erfüllt.

Im Bildmittelgrund eines Flugblattes von 163226 (S. 31) liegt eine von Schmerzen gepeinigte Frauengestalt, in der der Betrachter die Personifikation der Confessio Augustana erblicken soll. Sie weist mit ihrem rechten Arm auf die im Hintergrund erkennbare Stadtsilhouette Augsburgs. Gustav Adolf im Halbharnisch mit Feldherrnstab und Degen blickt zum Himmel, von wo aus ihn die Strahlen der göttlichen Gnade erreichen. Im Vordergrund links ein Kirchengebäude, das durch den katholischen Ritus dem wahren Glauben entfremdet ist. Eine Anspielung auf die konfessionelle Situation in Augsburg vor der Besetzung durch schwedische Truppen.

Gustav Adolf hatte nicht nur die Protestanten politisch befreit, er hatte die Grundlagen des Glaubens und damit das Seelenheil der Menschen gerettet. Jetzt begann die mythische Überhöhung des Königs. Gustav Adolf war nicht mehr nur das Werkzeug Gottes, er wurde zunehmend zur Personifikation eines protestantischen Messias. Damit wurde ihm eine Rolle übertragen, von welcher der König selbst wusste, dass er ihr politisch und spirituell nicht gerecht werden konnte. Er wollte ein protestantischer Volkskönig, nicht aber ein mystisch überhöhter Gottkönig sein. Die von ihm bewusst ins Werk gesetzte Selbststilisierung in Verbindung mit den unerwarteten militärischen Erfolgen konfrontierte ihn mit der durchaus unangenehmen öffentlichen Erwartung, dass seine Herrschaft nicht von dieser Welt sei, er also auch keine diesseitigen machtpolitischen Ambitionen hege. Genau das Gegenteil war der Fall. Seine Siege ließen ihn hoffen, dass es ihm gelingen könne, auch für Schweden eine universalistische kontinentaleuropäische Herrschaft zu realisieren.

image

Flugblatt von 1632

DIE REALITÄT VERDRÄNGT DEN MYTHOS

Blenden wir an dieser Stelle noch einmal zurück auf die mythischen Grundlagen seines Königtums. Der schwedische König sah sich in der Tradition eines skandinavischen Gotizismus und bezeichnete sich selbst als „Suecorum, Gothorum et Vandalorum rex“. Die Vasakönige betrachteten sich als legitime Nachfolger der sagenhaften Gotenkönige, deren Ursprünge über die Königreiche der Völkerwanderung und die römische Kaiserzeit bis zum alttestamentlichen Weltanfang zurückverfolgt werden konnten. Damit war ein Geschichtsbild konstruiert, das unter günstigen machtpolitischen Bedingungen auch dazu berechtigte, die Kaiserkrone anzustreben.27 Das entsprechende Bildprogramm findet sich bereits im reichen Skulpturenschmuck der „Vasa“, des Flaggschiffes der schwedischen Flotte, das auf seiner Jungfernfahrt 1628 aufgrund erheblicher Konstruktionsmängel bereits im Hafen von Stockholm gekentert war. Erst vor wenigen Jahrzehnten wurde das Schiff gehoben und inzwischen restauriert.28

Daher lässt sich auch der Lauf des mitternächtlichen Löwen durch die reiche Pfaffengasse, die geistlichen Stifter an Rhein und Main in diesem Kontext deuten. Er diente eben nicht der Befreiung der dort kaum anzutreffenden protestantischen Glaubensverwandten, sondern in erster Linie der Kriegsfinanzierung, der Versorgung der deutschen Verbündeten des Schwedenkönigs mit Landbesitz, der Einschüchterung Frankreichs und möglicherweise der machtpolitischen Vorbereitung eines schwedischen Kaisertums.

Als die Protestanten im Reich nach dem Sieg von Breitenfeld den Ausgleich mit den katholischen Reichsständen und damit ein Ende des Krieges erhofften, spielte der König bewusst die machtpolitische Karte und ließ keinen Zweifel, dass der Krieg noch nicht gewonnen sei.29

Die proschwedische Propaganda setzte nach der Besetzung Bayerns und der Münchener Residenz Kurfürst Maximilians, den Gottes Gerechtigkeit nun ebenso behandelte wie Friedrich V. von der Pfalz, dessen Kurhut er zu Unrecht trug, verstärkt auf die Popularität des leutseligen Schwedenkönigs. Die Vergöttlichung Gustav Adolfs, die bereits Züge kollektiver Hysterie zeigte, begann jedoch den Plänen des Königs zu schaden, zumal die schwedisch-deutsche Armee Bayern systematisch ausplünderte. Die Realität begann den Mythos zu verdrängen, zumal auch in den protestantischen Territorien die Kosten der schwedischen Kriegführung zunehmend als Belastung empfunden wurden.

Wallenstein, der nach Übernahme seines zweiten Generalats zum zentralen Gegenspieler Gustav Adolfs aufrückte, suchte mit seinen Operationen an der Alten Feste bei Nürnberg weniger einen spektakulären Sieg über den Schwedenkönig zu erringen, als vielmehr durch eine Zermürbungstaktik dessen Nimbus öffentlichkeitswirksam zu beschädigen. Der Abzug der schwedischen Armee erschien nach der vorangegangenen Siegesserie schmählicher als eine Niederlage in offener Feldschlacht.