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Marion Zimmer Bradley – Der “Darkover”-Romanzyklus bei EdeleBooks:

ISBN 978-3-95530-591-8 Die Landung
ISBN 978-3-95530-598-7 Herrin der Stürme
ISBN 978-3-95530-597-0 Herrin der Falken
ISBN 978-3-95530-609-0 Der Untergang von Neskaya
ISBN 978-3-95530-608-3 Zandrus Schmiede
ISBN 978-3-95530-607-6 Die Flamme von Hali
ISBN 978-3-95530-594-9 Die Zeit der hundert Königreiche
ISBN 978-3-95530-592-5 Die Erben von Hammerfell
ISBN 978-3-95530-593-2 Die zerbrochene Kette
ISBN 978-3-95530-603-8 Gildenhaus Thendara
ISBN 978-3-95530-595-6 Die schwarze Schwesternschaft
ISBN 978-3-95530-596-3 An den Feuern von Hastur
ISBN 978-3-95530-588-8 Das Zauberschwert
ISBN 978-3-95530-599-4 Der verbotene Turm
ISBN 978-3-95530-589-5 Die Kräfte der Comyn
ISBN 978-3-95530-586-4 Die Winde von Darkover
ISBN 978-3-95530-601-4 Die blutige Sonne
ISBN 978-3-95530-602-1 Hasturs Erbe
ISBN 978-3-95530-585-7 Retter des Planeten
ISBN 978-3-95530-587-1 Das Schwert des Aldones
ISBN 978-3-95530-600-7 Sharras Exil
ISBN 978-3-95530-590-1 Die Weltenzerstörer
ISBN 978-3-95530-604-5 Asharas Rückkehr
ISBN 978-3-95530-606-9 Die Schattenmatrix
ISBN 978-3-95530-605-2 Der Sohn des Verräters

Marion Zimmer Bradley 






Die Weltenzerstörer

Ein Darkover Roman



Ins Deutsche übertragen von Rosemarie Hundertmarck


Edel eBooks

1

Schon wieder spürte er Schritte hinter sich.
Es war beunruhigend. Das waren nicht die Schritte und die vertraute Gegenwart seines Leibwächters Danilo. Dessen Schritte hörte er überall, wohin er ging. Er liebte Danilo, er hatte den Jungen als seinen Friedensmann und Knappen angenommen. Deshalb machte es ihm nichts aus, und er hielt deswegen auf seinem Weg nicht für einen Sekundenbruchteil inne. Dani würde auch nur dann einen mentalen Kontakt mit ihm aufnehmen, wenn Regis Gesellschaft wünschte.

Regis Hastur dachte: Ich bin zu empfindlich, und versuchte, die Schritte auszukoppeln. Wahrscheinlich hatten sie gar nichts mit ihm zu tun; wenn sie sich ihm ins Bewusstsein drängten, lag es vielleicht nur daran, dass der Besitzer der Füße und Verursacher der Schritte überrascht war, einen jungen Hastur vom Comyn-Rat zu dieser Stunde zu Fuß auf der Straße zu sehen. Regis ging unbeirrt weiter. Er war ein schlanker Mann Mitte Zwanzig von der großen körperlichen Schönheit, die alle Hasturs und Elhalyns vom Comyn auszeichnete, und sein schmales Gesicht war umso eindrucksvoller, als das zu einer Pagenfrisur geschnittene Haar nicht feuerrot war, wie sonst bei den Comyn, sondern schneeweiß.

Wenn Dani seinen Willen bekäme, würde ich niemals ohne bewaffnete Eskorte ausgehen. Was ist das für ein Leben!

Und doch musste er sich zu seinem Kummer eingestehen, dass es so war. Die alten Zeiten Darkovers, als die Comyn unangefochten durch Krieg, Aufstände und Straßenkämpfe schreiten konnten, waren für immer vorbei. Er war jetzt unterwegs, um einem Mann seiner Kaste die letzte Ehre zu erweisen, von Mörderhand gefallen in seinem siebenunddreißigsten Jahr: Edric Ridenow von Serrais. Ich habe Edric nie recht gemocht. Aber müssen wir alle sterben, wo schon so viele von uns tot oder im Exil sind? Die Häuser der Sieben Domänen stehen leer. Alle Altons sind fort. Valdir ist schon vor hundert Jahren gestorben, Kennard starb auf einer fernen Welt, Marius fiel in einem psychischen Kampf mit den Gewalten Sharras, Lew und Marja, sein letztes Kind, sind im Exil auf einem fremden Planeten. Die Hasturs, die Ridenows, die Ardais – dezimiert, verschwunden. Ich sollte ebenfalls gehen. Aber mein Volk braucht mich hier, einen Hastur von Hastur, damit es sich nicht völlig dem Terranischen Imperium ausgeliefert fühlt.

Ein Blasterschuss ist geräuschlos. Regis hörte ihn nicht, spürte jedoch die Hitze und fuhr herum. Ein Aufschrei, dem eine entsetzliche Stille folgte. Jemand rief seinen Namen. Danilo rannte auf ihn zu, den schussbereiten Blaster in der Hand. Ein Stück vor ihm blieb der junge Mann stehen und senkte die Waffe.

Stur und mit unterdrücktem Zorn erklärte Danilo: »Jetzt werdet Ihr vielleicht auf mich hören, Lord Regis. Wenn Ihr noch einmal ohne angemessene Eskorte ausgeht, dann werde ich, das schwöre ich bei allen Höllen Zandrus, die Verantwortung nicht übernehmen. Ich werde meinen Eid zurückverlangen und nach Syrtis heimreisen – falls der Rat mich nicht vorher bei lebendigem Leib schinden lässt, weil ich nicht verhindert habe, dass Ihr vor meinen Augen getötet wurdet!«

Regis fühlte sich schwach und krank. Der auf der Straße liegende Tote hatte keine gewöhnliche Waffe bei sich, sondern eine Nervenpistole, die ihn zu einem – nein, nicht zu einem Leichnam, sondern zu einem pflanzlichen Wesen gemacht hätte. Alle seine Nervenbahnen wären gelähmt worden. Er hätte, mit dem Löffel gefüttert, noch vierzig Jahre am Leben bleiben können, völlig ohne Verstand. Mit zitternden Lippen sagte er: »Sie werden frecher. Das ist der siebte Attentäter in elf Monden. Soll ich zum Gefangenen in der Verborgenen Stadt werden, Dani?«

»Wenigstens schicken sie keine Messerstecher mehr nach Euch aus.«

»Ich wünschte, sie täten es«, gab Regis zurück. »Ich kann es mit jedem Messerstecher auf dieser Welt aufnehmen, und du kannst es auch.« Er sah Dani scharf an. »Du bist nicht verletzt?«

»Ein Streifschuss. Meine Arme fühlen sich an wie in geschmolzenes Blei getaucht, aber die Nerven werden heilen.« Er wehrte Regis’ besorgte Fragen, sein Anerbieten, ihm zu helfen, ab. »Ich brauche nur eine Hilfe, Lord Regis, und das ist Euer Versprechen, nicht wieder allein in der Stadt herumzulaufen.«

»Ich verspreche es«, sagte Regis. Seine Augen waren hart. »Woher hast du die Waffe, Dani? Eine vom Vertrag verbotene Waffe? Gib sie mir.«

Der junge Mann lieferte den Blaster aus. »Die Waffe ist nicht illegal, vai dom. Ich bin in die Terranische Handelsstadt gegangen und habe einen Waffenschein beantragt, mit dem ich sie hier tragen darf. Und als man hörte, wessen Leibwächter ich bin, gab man ihn mir gern – und das ist auch ganz richtig so.«

Regis wirkte beunruhigt. »Ruf einen Gardisten, um das da zu begraben.« Er wies auf den verkohlten Leichnam des Attentäters. »Ich fürchte, es hat keinen Sinn, die Leiche zu untersuchen. Es wird wie in allen anderen Fällen sein, ein namenloser Mann, nichts über ihn bekannt. Trotzdem braucht er nicht auf der Straße liegen zu bleiben.«

Regis wartete, bis Danilo einen Mann in der grünschwarzen Uniform der Stadtgarde gerufen und ihm Befehle erteilt hatte. Dann wandte er sich Danilo zu und sagte streng:

»Du kennst den Vertrag.« Seit Generationen waren Kriege auf Darkover unbekannt. Das lag vor allem an dem Vertrag, dem Gesetz, nach dem alle Waffen, die über die Reichweite ihres Benutzers hinaus wirken, verboten waren. Der Vertrag erlaubte Duelle und Überfälle, hatte aber Schlachten und Massenmorden ein Ende bereitet. Die Frage, an Danilo gerichtet, war rein rhetorisch – jedes sechs Jahre alte Kind kannte den Vertrag!

Der junge Mann antwortete nicht. Nicht einmal vor Regis’ zornigem Blick – und der Zorn eines Hasturs kann töten – senkte Danilo Syrtis die Augen.

Dann erwiderte er: »Ihr lebt und seid unverletzt. Alles andere kümmert mich nicht, Lord.«

»Aber, im Namen jedes Gottes, den du anrufen möchtest, Dani, für was leben wir?«

»Ich lebe, um Euch am Leben zu erhalten.«

»Und warum bleiben wir am Leben? Unter anderem, damit der Vertrag auf Darkover eingehalten wird und die Jahre des Chaos und des feigen Tötens nicht zurückkehren.« Regis war außer sich vor Zorn und Verzweiflung, doch Danilo zuckte nicht unter seinem wilden Starren.

Er entgegnete: »Der Vertrag würde noch viel weniger eingehalten, wenn Ihr tot wäret, Lord Regis. Ich bin Euer treuester ...« Die Stimme des Jungen brach. »Ihr wisst, mein Leben gehört Euch, vai dom cario, aber ist Euch wirklich klar, was aus dieser Welt und Eurem Volk würde, wenn Ihr tot wäret?«

»Bredu.« Regis benutzte das Wort, das nicht nur Freund, sondern auch geschworener Bruder bedeutet, und fasste Danilos beide Hände – eine seltene Geste in der Telepathen-Kaste. »Wenn das wahr ist, mein liebster Bruder, warum haben mich dann sieben Attentäter töten wollen?«

Er erwartete keine Antwort und erhielt auch keine. Danilo verzog das Gesicht. »Ich glaube nicht, dass sie aus unserem Volk stammen.«

»Ist das ...« – Regis wies auf die Stelle, wo die Leiche gelegen hatte – »... ein Terraner gewesen? So einen habe ich noch nie gesehen.«

»Ich auch nicht. Aber seht den Tatsachen ins Gesicht, Lord Regis. Sieben Attentäter allein auf Euch angesetzt, Lord Edric mit einem fremdartigen Dolch getötet, Lord Jerome von den Elhalyns in seinem eigenen Arbeitszimmer ermordet und keine Fußabdrücke im Schnee, drei der Aillard-Frauen durch einen Kunstfehler im Kindbett gestorben und die Hebammen vergiftet, bevor sie befragt werden konnten, und – die Götter mögen mich strafen, dass ich davon spreche – Eure beiden Kinder.«

Regis’ Gesicht verlor seine Härte und nahm einen Ausdruck tiefen Kummers an. Denn obwohl er die Kinder gezeugt hatte, ohne ihre Mütter zu lieben, nur um eine beschworene Pflicht gegenüber seiner Kaste zu erfüllen, trauerte er doch sehr um seine beiden Söhne, die vor noch nicht drei Monaten tot in ihren Bettchen gelegen hatten – an einer plötzlichen Krankheit gestorben, hatte es geheißen. Seine gewaltsam beherrschte Stimme war schlimmer als Tränen. »Was kann ich tun, Dani? Muss ich in jedem Schicksalsschlag die Hand eines Mörders oder eine Verschwörung sehen?«

»Wenn Ihr es nicht tut, wird es umso gefährlicher für Euch werden, Lord Regis.« Das tiefe Mitleid in seiner Stimme strafte die Barschheit seiner Worte Lügen. Immer noch barsch setzte er hinzu: »Ihr habt einen Schock gehabt. Kehrt lieber nach Hause zurück. Eure Trauer beim Begräbnis Lord Edrics, wenn man um einen wie den überhaupt trauern kann, wird seinem Andenken weniger Gutes tun, als wenn Ihr am Leben bleibt, um für sein Weibervolk und seine Leute zu sorgen!«

Regis’ Lippen wurden schmal. »Ich bezweifele, dass man für den heutigen Tag noch Mörder in Reserve hat«, war alles, was er sagte. Aber er ging ohne weiteren Protest mit Danilo.

Dann war es also ein Krieg, eine komplizierte Verschwörung gegen die Telepathen-Kaste.

Doch wer war der Feind, und warum griff er an?

Vereinzelte Vorfälle wie dieser waren auf Darkover immer wieder einmal vorgekommen, obwohl der übliche Weg war, dass man gegen seinen Feind eine Tötungsabsicht eintragen ließ. Damit verhielt man sich entsprechend dem Jahrhunderte alten darkovanischen Duell-Kodex und genoss Straffreiheit. Tötung in einem fairen Duell war kein Mord.

Regis lächelte schwach. Er hatte es sorgfältig vermieden, sich in eine der sich bekämpfenden Richtungen und Fraktionen auf Darkover hineinziehen zu lassen, seit er erfahren hatte, dass Derik Elhalyn, der nächste Erbe der Herrschaft über den Comyn-Rat, wahnsinnig war und sein Amt niemals würde antreten können.

Deshalb konnte kein Mensch auf Darkover wahrheitsgemäß behaupten, Regis Hastur von Hastur habe ihm ein Unrecht angetan. Außerdem, wie er eben zu Danilo gesagt hatte, gab es wenige, die ihm in der Führung jeder legalen Duell-Waffe gewachsen waren.

Wer mochte es sein? Leute aus dem eigenen Volk, die die Comyn mit ihrer komplizierten Hierarchie von Telepathen und Psi-Talenten aus dem Weg räumen wollten?

Oder die Terraner?

Nun, das konnte er sofort nachprüfen.

Kurz nachdem er den Posten als Chef-Verbindungsmann zwischen den Terranern und seinem eigenen Volk angenommen hatte, war er in ein Haus in der Nähe der Terranischen Zone gezogen. Es war ein Kompromiss, den er verabscheute: weder eine terranische Wohnung, die, wenn auch eng und vollgestopft, doch wenigstens Komfort und Bequemlichkeit bot, noch eine darkovanische mit Raum und Luft und frei von Trennwänden, wenn auch im Wesentlichen ohne Komfort. Noch weniger ließ sich seine Behausung mit Burg Hastur vergleichen, wo er den größten Teil seiner Kindheit verbracht hatte.

Sein Abscheu vor allen Artefakten der terranischen Technologie war so völlig kulturgebunden, dass er fast angeboren war, und sie täglich benutzen zu müssen, gehörte zu den größten Unannehmlichkeiten seines Postens. Ein einfacher Visifon-Anruf war für ihn ein langwieriger Prozess, weil er erst seinen Widerwillen überwinden musste. Das Gespräch selbst hielt er so kurz wie möglich.

»Handelsstadt-Hauptquartier, Abschnitt acht, medizinische Forschung.«

Als der Bildschirm hell wurde, verlangte er: »Abteilung für Fremd-Anthropologie«, und damit verbunden fragte er nach Dr. Jason Allison. Schließlich nahm das Gesicht eines jungen Mannes, zurückhaltend, aber sympathisch, vor ihm Gestalt an.

»Lord Regis, welch unerwartetes Vergnügen! Was kann ich für Euch tun?«

»Zunächst einmal kannst du die Formalitäten vergessen«, antwortete Regis. »Dafür kennst du mich schon zu lange. Und dann – würdest du zu mir herüberkommen?«

Er hätte sich seine Frage leicht über den Apparat beantworten lassen können. Regis war jedoch Telepath und hatte schon in jungen Jahren gelernt, sich nicht auf die Worte oder das Gesicht des Sprechers, sondern auf das »Gefühl« einer Antwort zu verlassen. Er glaubte nicht, dass Jason Allison ihn belügen würde. So weit, wie er jemandem, der nicht seiner Kaste angehörte, Vertrauen und Sympathie entgegenbringen konnte, vertraute er dem auf Darkover geborenen Jason und mochte ihn. Aber auch wenn Jason nicht log, wich er ihm vielleicht aus, bemäntelte die Wahrheit, um ihn nicht zu verletzen, oder redete über etwas, von dem er nichts wusste.

Jason kam. Nach den ersten höflichen Worten der Begrüßung und Erkundigung sah Regis dem jungen Terraner gerade in die Augen und sagte:

»Du kennst mich seit langer Zeit und weißt, dass ich kein Dummkopf bin. Sei aufrichtig gegen mich, Jason. Herrscht irgendwo im Terranischen Imperium die Meinung, Telepathen machten mehr Ärger, als sie wert seien, und – auch wenn das Imperium nicht gerade einen Preis auf unsere Köpfe setzen wird – dass man offiziell keine Tränen vergösse, wenn wir einer nach dem anderen ausgelöscht würden?«

»Großer Gott, nein!«, rief Jason. Regis hörte die Worte nicht einmal. Was er hörte, war der vollkommen ehrliche Schreck, die Verneinung und die Entrüstung im Geist des jungen terranischen Mediziners.

Dann waren es also nicht die Terraner.

Er bohrte jedoch weiter, nur um sein eigenes Gewissen zu beruhigen.

»Ist es nicht möglich, dass du noch nicht davon gehört hast? Nicht in deinem Abschnitt? Ich weiß zufällig, dass die Fremd-Anthropologie versucht hat, mit einigen von uns zusammenzuarbeiten.«

»Auch nicht in den anderen Abschnitten«, erklärte Jason fest. »Die Raumhafen-Verwaltung interessiert sich überhaupt nicht dafür. Die wissenschaftlichen Abteilungen – nun, sie sind eifrig dabei, eure Matrix-Technik zu erforschen. Es ist ihnen klar, dass Darkover einzigartig ist, ein Reservoir von Psi-Talenten, wie es Ähnliches, soweit uns bekannt, in der ganzen Galaxis nicht wieder gibt. Ihnen wäre es eher zuzutrauen, dass sie euch alle zusammentreiben und in – nicht gerade in Käfige stecken, aber in Schutzhaft nehmen, damit sie euch nach Herzenslust studieren können.« Er lachte.

»Vielleicht wäre das gar keine schlechte Idee«, erwiderte Regis bitter. »Wenn es so weitergeht, bleibt auf Darkover kein einziger Telepath mit Laran-Gaben am Leben.«

Jasons Grinsen verblasste. »Ich habe vor Monaten ein Gerücht gehört, dass ein Attentatsversuch auf dich gemacht worden ist. Da es immerzu Duelle gibt, habe ich das nicht ernst genommen. Dann ist es wahr? Ist wieder so etwas vorgekommen?«

»Du weißt es also nicht.« Regis erzählte es ihm. Langsam wich die Farbe aus dem Gesicht des jungen Terraners. »Das ist schrecklich. Ich kann nur sagen, dass niemand von den Terranern dahinter steckt. Und wer sonst könnte denn einen Grund haben?«

Das war natürlich die Frage, dachte Regis. »Der mächtigste Geist im Universum, die größten Psi-Talente auf Darkover sind immer noch verwundbar gegen Messer, Kugel oder Laserstrahl. Ich könnte ein dutzend Namen nennen, angefangen mit der Bewahrerin Cleindori bis zu meinem Cousin Marius Alton, der vor zwei oder drei Jahren starb.«

»Und ohne die Telepathen«, sagte Jason langsam, »haben wir keinen Schlüssel zu den Matrix-Wissenschaften Darkovers und keine Hoffnung, jemals einen zu finden.«

»Außerdem fällt unsere Welt und unsere Ökonomie ohne Telepathen auseinander«, stellte Regis fest. »Wer profitiert davon?«

»Ich weiß es nicht. Viele Interessengruppen sähen es gern, wenn euer Planet für den kommerziellen Export und Import geöffnet würde. Aber der Kampf dauert schon drei oder vier Generationen, und das Terranische Imperium hat immer den Standpunkt vertreten, ein Planet habe das Recht, über seine Zukunft selbst zu entscheiden. Diese Leute haben nicht mal mehr eine Lobby auf Darkover. Schließlich gibt es andere Welten.«

Regis hörte auch den unausgesprochenen Teil des Satzes: Es gibt andere Welten, aber nicht mit einem großen Raumhafen und einer nennenswerten Terranischen Kolonie. Darkover war ein Kreuzungspunkt zwischen dem oberen und dem unteren Arm der Galaxis. Sein Raumhafen war doppelt so groß wie auf vergleichbaren Planeten, fünfmal so groß wie der einer gewöhnlichen Klasse-B-Welt, um das Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Ein Angelpunkt – und es gab Leute, die eine solche reife Pflaume nicht ungepflückt sehen konnten.

Dessen ungeachtet erklärte Jason: »Ehrlich, ich glaube nicht, dass es jemand im Imperium oder in der Zone ist, Regis. Dann würde die Sache nämlich anders angefasst. Wer einen Bulldozer besitzt, braucht keine Schneeschaufel. Das ist eine getarnte Aktion und ungewöhnlich ekelhaft.«

»Ich bin geneigt, dir zuzustimmen. Nun muss ich sehen, ob noch andere Strohhalme im Wind sind«, sagte Regis. »Die Ermordung sämtlicher Telepathen würde nichts an unserem Verhältnis zum Imperium ändern. Wir wollen nicht Teil davon sein, und wir wollen uns nicht von eurer Technik überschwemmen lassen. Dieser Meinung ist der größte Teil des Volkes. Wenn jemand versucht, es von dieser Meinung abzubringen, müsste es mir gelingen, das herauszufinden. Inzwischen ...«

»Inzwischen fällt es in meine Verantwortlichkeit, dafür zu sorgen, dass nicht noch mehr von euch ermordet werden. Schutzhaft mag keinen Sinn haben. Nicht bei euch ...« Jason lächelte und setzte hinzu: »Ihr verdammten, dickköpfigen Isolationisten, zu denen ich auch gehöre. Aber es wäre eine Hilfe, wenn wir für die zusätzliche Mühe, die es kosten wird, euer Verschwinden zu verhindern, etwas anzubieten hätten.«

»Ich kann etwas anbieten«, erwiderte Regis ernst, »und es ist etwas, das wir nicht gern geben. Doch die Matrix-Wissenschaften müssen auf jeden Fall davor bewahrt bleiben, dass sie aus Mangel an Telepathen aussterben. Ich gebe uns selbst, Jason. Auch da draußen gibt es Telepathen.« Seine Geste umschrieb den Nachthimmel und die unzähligen Sterne. »Vielleicht nicht so viele wie auf Darkover und nicht mit so vielen Talenten. Du weißt ja, dass wir die Laran-Gaben vor dem Zeitalter des Chaos gezüchtet haben. Wir sind damit zu weit gegangen; wir leiden unter Inzucht. Suche für uns andere Telepathen, Jason. Stelle fest, wie sich die darkovanischen Telepathen – wenn überhaupt – von denen auf Terra oder Vainwal oder dem vierzehnten Planeten von Bibbledygook unterscheiden. Wenn es uns gelingt, als Kaste zu überleben, und wenn es möglich ist, andere in unseren Fähigkeiten auszubilden – dann kann dieser Sache vielleicht Einhalt geboten werden. Wir allein halten Darkover aus dem Strom der Entropie heraus – und ob es dir gefällt oder nicht, das Imperium ist ein entropischer Prozess, und ich werde nicht noch einmal mit dir über ethische Fragen streiten – ja, und deshalb müssen wir auf unserem Posten bleiben. Wir haben unser Zeitalter des Chaos gehabt«, setzte er hinzu. »Ich kann dir die radioaktiven Krater in der Verbotenen Stadt zeigen. Unsere Welt ist nicht primitiv oder barbarisch, Jason. Sie ist das, was übrig geblieben ist, nachdem wir die Grenzen des so genannten Fortschritts erreicht hatten, und die wenigen, die es überlebten, haben gelernt, wovor man sich dabei zu hüten hat. Suche uns Telepathen, Jason, und du hast das Wort eines Hasturs, dass du erfahren wirst, was und warum wir sind!«

2

ABTEILUNG FÜR
FREMD-ANTHROPOLOGIE
COTTMAN VIER (Darkover)

An alle medizinischen Dienststellen des Imperiums auf offenen und geschlossenen Planeten: Sie erhalten hiermit Anweisung, Menschen mit telepathischen oder Psi-Talenten ausfindig zu machen, vorzugsweise solche, deren Fähigkeiten latent und unentwickelt sind. Nicht gemeint sind Personen, die des Profits wegen hellseherische Kräfte benutzen, da solche von einer fortgeschrittenen Technologie simuliert werden können. Sie haben die Vollmacht, ihnen Verträge des Medizinischen Dienstes, Klasse A, anzubieten ...

Wenn man ein großes Netz bis an die Enden des bekannten Universums auswirft, fangen sich seltsame Dinge in seinen Maschen ...

Rondo war ein kleiner, verhutzelter Mann unbestimmbaren Alters, und er hatte entsetzliche Angst. Er schmeckte diese Angst wie etwas Kaltes in seinem Mund, und er versuchte, sie abzuschütteln. Denn sie störte die Konzentration, die er für das, was er vorhatte, dringend brauchte.

Seine Augen waren nur ein Paar unter einigen fünfzig, die der Spiralbahn der Kugel folgten. In einem zunehmend exzentrischen Orbit sauste sie innerhalb der großen kristallenen Spielmaschine umher. Wenn sie gegen andere auf Zufallsbahnen wirbelnde Materiebröckchen stieß, änderte sich der Orbit, und langsam, langsam wanderte sie in der Gewichtslosigkeit abwärts, um endlich – endlich – in einen der Fangbecher zu fallen ...

Hier, hier. Das Etwas in seinem Geist – er hatte keinen Namen für die Gabe, die er schon immer besessen hatte – langte hinaus und berührte die Kugel behutsam. Wie ein weiteres treibendes Staubflöckchen dirigierte es die unvorhersehbare Bahn ganz leicht in Richtung der sich unaufhörlich drehenden Becher am Boden der Maschine. Langsamer, schneller – warte, warte, meiner ist noch nicht da ... jetzt, JETZT!

Die Kugel bewegte sich schneller, wie von einem Magneten angezogen, und fiel klick in einen Becher. Aus einigen fünfzig wartenden Kehlen und Mündern stieg der Seufzer nachlassender Spannung auf. Dann erhob sich ein unartikulierter Schrei der Enttäuschung.

Die Stimme des Croupiers verkündete: »Nummer acht-vierzwei gewinnt, sechs zu eins.«

Rondo zitterte so heftig, dass er seinen Gewinn kaum zusammenraffen konnte. Die Augen des Croupiers straften die leidenschaftslose Stimme Lügen. Sie sagten: »Warte nur, du Bastard. Sie kommen schon. Diesmal hast du dein Glück überstrapaziert, du kleiner Schurke ...«

So liefen seine Gedanken, während er weiterleierte: »Setzen Sie für die nächste Runde. Legen Sie das Geld hin.« Seine Hand drückte den Knopf, der die Kugel auf eine neue Reise schickte.

Rondo spielte mit seinem Gewinn herum und begann, alles wie hypnotisiert auf einen der Fangbecher zuzuschieben, der genau vor ihm gähnte – zwei Zoll im Durchmesser für jedes andere Auge, ein wartender Abgrund für ihn. Er hätte längst gehen sollen; er wusste es genau, und doch stand er unter einem Zwang, der wie eine Krankheit war, er sah einen Becher glänzen, leuchten, überlaufen von dem Gold, das ihm gehören konnte ...

Er schob die Münzen auf den Becher zu, der sich in seiner Phantasie wie ein großer Mund öffnete, und sah im Geist schon den goldenen Strom ...

Es war eine Krankheit. Das war ihm klar, während er die kreisende Kugel verfolgte, eine Krankheit, die vielleicht aus dieser ihm selbst unheimlichen Geschicklichkeit geboren war. Hilflos jetzt, wo die Wetten platziert waren, heftete er seinen Blick auf die Kugel und beschimpfte sich in Gedanken so laut, dass er meinte, die Männer neben ihm im Spielsalon müssten es hören:

Verdammter Idiot – Unverstand – nimm deinen Gewinn und verschwinde – gleich packen sie dich – gleich packen sie dich, nimm deinen Gewinn und laufe, LAUFE, LAUFE, SIE KOMMEN, KOMMEN JETZT ...

Trotzdem blieb er wie gelähmt stehen, bis die Hand auf seine Schulter fiel und eine ruhige Stimme den Aufstieg der kleinen goldenen Kugel mit den Worten anhielt:

»Die Einsätze gehen zurück, Ladies und Gentlemen. Das nächste Spiel beginnt in drei Megasekunden. Wir haben Grund zu der Annahme ...«

Rondo hörte nicht mehr, was danach kam. Er quietschte: »Ihr habt selbst gesagt, eure Maschinen seien nicht manipulierbar, ihr dreckigen Betrüger! Hat irgendwer gesehen, dass ich den Apparat auch nur mit einem Finger angefasst habe?«

Die Stimme war nicht laut, füllte den Spielsalon aber wie der Klang einer Glocke. »Keine Maschine ist sicher gegen einen Esper. Du hast verdammt oft gewonnen.« Der Griff um seinen Arm verstärkte sich, und Rondo ging ohne ein weiteres Wort. Er wusste, Protest war sinnlos, und seine Angst spielte dazu den Kontrapunkt: Meine eigene Schuld ... keine Zurückhaltung ... kein Beweis, kein BEWEIS ...

Draußen vor dem Spielsalon ließ der Druck auf seinem Arm erst ein bisschen nach, dann packte die Hand ihn um so fester. Der Mann, der über dem kleinen Spieler aufragte, sagte: »Wir haben keinen von einem Gericht anerkannten Beweis, und es gibt kein Gesetz, das das Espern einer Maschine auf Gewinn verbietet. Wenn du ein bisschen schlauer gewesen wärst – juristisch können wir dir nichts anhaben. Aber mach bloß, dass du wegkommst, und wenn wir dich hier drin noch einmal erwischen, wirst du nicht mehr lange genug leben, um deinen Gewinn zu genießen.«

Eine grobe Hand drehte seine Taschen nach außen. »Du hast schon genug eingesackt«, sagte der Mann. »Vergiss die heutige Ernte! Und nun hau ab!« Ein gut gezielter Tritt, und Rondo stolperte aus dem Gebäude auf die Straße, hinaus ins helle Licht des großen, künstlichen Mondes der Vergnügungswelt Keef.

Er zitterte wie ein geprügelter Hund und betastete seine leeren Taschen. Er hatte es wieder getan. Jetzt war er aus jedem Spielsalon auf Keef verbannt, wie es ihm schon auf vier oder fünf anderen Welten ergangen war. Früher oder später entdeckte man ihn. Es war die Sucht des krankhaften Spielers, die ihn immer wieder zurückholte, die es nicht zuließ, dass er kleine Summen, normale Gewinne einstrich und ging, um in ein paar Tagen oder einer Woche von neuem zu spielen.

Da stand er unter dem riesigen falschen Mond mit seinem rosenfarbenen Licht und hasste und hasste. Vor allem hasste er sich selbst. Er hatte sich das selbst angetan, das erkannte er in lichteren Momenten. Der Grund war tief in seinem Inneren vergraben, dort, wo auch die merkwürdige Fähigkeit lag, vorherzusagen, den Fall zu kontrollieren. Sie hatte ihn überall verhasst gemacht, sogar als er sie noch (eine kleine Weile, vor vielen, vielen Jahren) dazu benutzt hatte, zu warnen, zu helfen, zu heilen. Und jetzt zwang ihn die Sucht, die er nicht unter Kontrolle zu halten vermochte, immer weiter zurückzugehen, alles auszulöschen im Fieber darüber, wie eine Karte, eine Kugel fiel.

Was sollte er jetzt anfangen? In seiner Unterkunft war weniger Geld versteckt, als er brauchte, um den Planeten zu verlassen. Er war hier auf Keef gestrandet, und an diesem Ende des Imperiums ging die Raumpolizei nicht gerade sanft mit Bedürftigen um. Wer krank oder verarmt auf einem Planeten des Überflusses hängen blieb, wurde außer Sicht geschafft. Vielleicht fand er Arbeit als Badewärter in einer der großen Vergnügungsstätten, die euphemistisch Bäder genannt wurden. Für alles andere dort war er weder jung noch schön genug, auch wenn das Etwas in seinem Gehirn ihm ermöglicht hatte, annähernd so jung und schön wie ein durchschnittlicher Tourist auf einer Welt wie dieser auszusehen. Nur indem er alle seine Kräfte auf das Spiel konzentrierte, konnte er sich davor bewahren, krank zu werden ...

Und nun war er auch davon ausgeschlossen.

Sein Kiefermuskel spannte sich, und sein Gesicht wurde sehr hässlich. Er war hinausgeworfen worden, weil er zu oft gewann.

Nun gut, sollten sie einmal sehen, was sie damit angerichtet hatten, dass sie seinen Zorn erweckten! Die rote, überwältigende Wut des unbeherrschten Psychoten stieg in ihm auf. Der Schaden, den seine Sucht ihm zufügte, war ihm jetzt einerlei. Er sah nur noch, dass er von dem einen Spiel auf dem ganzen Vergnügungsplaneten ausgeschlossen war, das ihm Vergnügen machte, und das war das Fallen und Kreisen und Dahintreiben einer Orbit-Kugel. Es tat weh, und er wollte nur noch Rache.

Bewegungslos stand er da, seine Gedanken auf das eine Ding gerichtet, das ihn interessierte, die fallende Kugel, die fallende Kugel ...

Die Welt um ihn schwankte und blieb stehen. Das Etwas in dem halbpsychotischen Geist des Telepathen lähmte ihn und lähmte auch dies einzig interessante Ding ...

Drinnen in der Spielhalle starrten siebzig Spieler, ein Croupier und ein Manager ungläubig, als das kreisende, fallende Goldflöckchen in der Maschine mitten in der Luft hängen blieb und sich nicht mehr bewegte.

Es dauerte eine halbe Stunde, bis die verärgerten Spieler sich auf die Suche nach anderen Vergnügungen machten. Rondo kam wieder zu sich und erinnerte sich, dass er weglaufen musste. Doch da war es schon zu spät.

Sie ließen ihn schließlich blutend und zu mehr als neun Zehnteln tot im Rinnstein einer dunklen Sackgasse liegen. Eine Stunde darauf wurde der stöhnende Rondo von zwei Raumpolizisten gefunden. Sie wussten nicht, wer er war, und entschlossen sich, ihn auf alle Fälle in ein Krankenhaus zu bringen. Und da blieb er lange, lange Zeit ...

Als die Welt sich wieder unter ihm drehte, kamen ihn nacheinander zwei Männer besuchen.

»Darkover ...« Rondo wollte es nicht glauben. »Warum im Namen von allem, was unheilig ist, sollte ich Lust haben, nach Darkover zu gehen? Ich weiß über diesen Planeten nur, dass es eine höllisch kalte Welt am Rand des Universums ist und nicht einmal so viel Anstand hat, zum Imperium zu gehören. Andere Telepathen? Teufel, es ist schlimm genug, dass ich selbst eine Abnormität bin! Soll ich mich darüber freuen, dass es noch andere gibt?«

»Trotzdem, denken Sie darüber nach«, meinte der Mann neben seinem Krankenhausbett. »Ich möchte keinen Druck auf Sie ausüben, Mr. Rondo, aber wohin wollen Sie sonst gehen? Hier können Sie gewiss nicht bleiben. Und verzeihen Sie, wenn ich es erwähne, Sie sehen nicht so aus, als hätten Sie große Chancen, eine andere Beschäftigung zu finden.«

Rondo zuckte die Schultern. »Es wird sich schon etwas ergeben.« Das war sein Ernst. Immer trafen mit den großen Schiffen irgendwelche Trottel ein. Er war nicht auf dem ganzen Planeten ein geächteter Mann. Irgendwie würde er sich Geld erspielen und verschwinden; es gab immer noch Planeten, auf denen er es bisher nicht versucht hatte.

Doch dann tauchte ein zweiter Besucher auf, und er änderte seine Meinung. Der Plan klang ja recht verlockend. Nach den strengen Vorschriften des Imperiums waren alle Spielmaschinen von Kraftfeldern umgeben, die es unmöglich machten, sie zu manipulieren – aber, so redete ihm der Besucher zu, kein Kraftfeld konnte einen Esper ausschließen. Man würde für Verkleidungen sorgen und ihm einen großzügigen Anteil am Gewinn geben ...

Und bei allen schönen Reden nahm er das unmissverständliche Gefühl wahr, das ihm den Gangster verriet. Eine solche Gruppe hatte ihn fast totgeschlagen. Sollte er sich jetzt mit einer anderen einlassen?

Rondo war ein Einzelgänger, war es sein ganzes Leben lang gewesen, er hatte auch nicht die Absicht, sich zu ändern. Schlimm genug, dass er die eine Gang auf dem Hals hatte. Der Gedanke, zwischen zwei rivalisierende Gruppen zu geraten, ließ sogar ihn mit seiner selbstzerstörerischen Spielsucht zusammenzucken.

Wenn Darkover auch nicht der geeignete Ort für ihn zu sein schien, konnte man ihn doch nicht zwingen, dort zu bleiben. Der Planet musste einen großen Raumhafen haben, und wo es einen Raumhafen gab, wurde gespielt, und wo gespielt wurde, ließ sich Beute machen – und dann wartete von neuem eine ganze große Galaxis auf ihn.

Er rief die Nummer an, die ihm der erste Besucher dagelassen hatte.

Conner war bereit zu sterben.

Er schwebte wieder, wie er seit dem Unfall vor einem Jahr so viele Male geschwebt war: schwerelos, krank, desorientiert. Sterbend, und der Tod wollte nicht kommen. Nicht schon wieder. Ich war bereit, nach der Überdosis zu sterben. Ich dachte, damit würde es aufhören. Und nun fängt es von neuem an. Ist das meine Hölle?

Die Zeit verflog, wie sie es immer tat, ein paar Minuten, eine Stunde, fünfzig Jahre lang trieb er durch den Kosmos, und eine Stimme sagte laut und deutlich in seinem Gehirn, nicht in Worten: Vielleicht können wir helfen, aber du musst zu uns kommen. So viel Schmerz, so viel Entsetzen, dafür gibt es keinen Grund ...

Wo, wo? Seine ganze Welt, sein ganzes Sein war ein stummer Schrei. Wo kann ich dies abstellen?

Darkover. Habe Geduld, man wird dich finden.

Wo bist du, der du zu mir sprichst? Wo ist dieser Ort? Conner versuchte, in dem endlosen Drehen eine Richtung auszumachen.

Die Stimme verklang. Nirgendwo. Nicht im Körper. Hier ist nicht Zeit, nicht Raum.

Das unsichtbare Band des Kontakts wurde dünner, ließ ihn allein in seiner schwerelosen Hölle, und in seinem Inneren kreischte Conner: Geh nicht, geh nicht, du warst mit mir da draußen, geh nicht ...

»Er kommt zu sich«, bemerkte eine viel zu irdische Stimme, und Verzweiflung und Einsamkeit und Qual verschwanden vor der furchtbaren körperlichen Übelkeit. Conner öffnete die Augen und sah vor sich das muntere, durchaus nicht anklagende Gesicht von Dr. Rimini. Der Arzt gab beruhigende Laute von sich, die Conner nicht liebte, da er sie schon viel zu oft vernommen hatte. Conner hörte stumm zu, versprach mechanisch, es nicht wieder zu tun, und versank wieder in die leblose Apathie, aus der er nur zweimal aufgewacht war, um einen vergeblichen Selbstmordversuch zu machen.

»Ich verstehe Sie nicht«, erklärte Rimini. Er sprach freundlich und mitfühlend, aber Conner wusste jetzt, wie leer die Worte waren. Er war Rimini verdammt gleichgültig, nur dass man ihn hier als einen hartnäckigen und immer noch interessanten Fall ansah. Natürlich nicht als einen Menschen mit einer einmaligen und grauenhaften Art zu leiden. Nur als einen Fall. Er öffnete einen Spalt in seinem Geist, um den Arzt weiterquasseln zu hören: »Sie haben nach dem Unfall so viel Lebenswillen gezeigt, Mr. Conner, und nachdem Sie diese Tortur überlebt haben, wäre es doch unsinnig, wenn Sie jetzt aufgeben ...«

Conner jedoch hörte ein Gebrüll, das Riminis Worte auslöschte, und das war die eigene Todesangst des Arztes. Sie überfiel Conner wie ein ekelhaftes, kleines, schäbiges Ding, und die Angst des Arztes vor dem, was Conner geworden war – kann er meine Gedanken lesen, weiß er, dass ich ... und der Strom versickerte in einer Wildnis von Obszönitäten, die wenigstens teilweise der Grund für seinen Selbstmordversuch waren. Es war nicht der Arzt allein, zu viele waren wie er, so dass Conner das Krankenhaus mit dem animalischen Schaudern von Körper und Geist in Qualen immer noch erträglicher fand als die Welt draußen, wo in den Gehirnen der Menschen Begierden und Lüste vorherrschten. Er war im Krankenhaus in ein Loch gekrochen und hatte es hinter sich zugezogen, und er kam daraus nur zum Vorschein, wenn er es der Abwechslung halber mit dem Sterben versuchte, und Erfolg hatte er nie.

Rimini plapperte sich schließlich wieder davon, und Conner lag da und blickte zur Decke hinauf. Am liebsten hätte er gelacht. Nicht, dass er es lustig gefunden hätte.

Da sprachen sie von dem Lebenswillen, den er nach dem Unfall gezeigt habe! Es war ein schwerer Unfall gewesen. Eins der großen Schiffe war im Raum explodiert, und das Personal hatte kaum Zeit gehabt, sich in die Rettungsboote zu drängen. Vier Mann hatten sich stattdessen in die experimentellen Blasenanzüge gestürzt und waren damit in den Raum gefallen.

Die anderen waren nie aufgefischt worden. Manchmal überlegte Conner, was ihnen zugestoßen sein mochte: War gnädigerweise das Lebenserhaltungssystem ausgefallen, so dass sie schnell und bei Verstand sterben durften? Waren sie alle wahnsinnig geworden und hatten sich zu Tode getobt? Trieben sie immer noch irgendwo durch die endlose Nacht? Er zuckte vor dem Gedanken zurück. Seine eigene Hölle war schlimm genug.

Die Blasen waren dazu gedacht, ein paar Minuten lang Schutz zu bieten, bis ein Rettungsboot den Verunglückten aufnahm, nicht tage- oder wochenlang. Das Lebenserhaltungssystem war narrensicher, und es hatte sich nicht nur bewährt, es hatte zu gut funktioniert. Conner hatte endlos wiederaufbereiteten Sauerstoff geatmet, war von intravenös zugeführten Nährstoffen gefüttert worden und am Leben geblieben. Und immer weiter am Leben geblieben. Tagelang, wochenlang, monatelang, sich im freien Fall in einem unsichtbaren Blasenfeld drehend, und sonst nichts zwischen sich und den Trillionen und Abertrillionen von Sternen.

Er hatte die Zeit nicht messen können. Er wusste nicht oben von unten zu unterscheiden, hatte keine Orientierungshilfe. Es gab nichts anzusehen als die fernen flammenden Punkte der Sterne, die um ihn kreisten, während er in kurzen Tagen um seinen eigenen Mittelpunkt rotierte.

In der Vorgeschichte der Psychologie hatten Menschen nach fünf Stunden in einem Tank, der sie aller Sinneseindrücke beraubte, den Verstand verloren.

Etwa die ersten zehn Tage – das rechnete er sich später aus – verbrachte Conner in verzweifelter Hoffnung auf Rettung und in dem Bemühen, bei Verstand zu bleiben.

Dann wurde er in seinem ihn gefangen haltenden Privatuniversum wahnsinnig. Seinen eigenen Mittelpunkt kontemplierend, drehte er sich wie ein Gott und kam zu der Erkenntnis, dass es auch im Wahnsinn weder Schutz noch Tod gab. Es gab nicht einmal mehr Hunger, um sich daran zu orientieren.

Es gab nur seinen eigenen Geist und das Universum. Und so begann er, das Universum zu durchstreifen, ließ seinen Körper zurück, gab seinem Geist völlige Freiheit. Er besuchte tausend, tausend Welten, berührte tausend, tausend Gehirne und unterschied niemals Traum und Wirklichkeit.

Durch einen unglaublichen Zufall wurde er vier Monate nach der Explosion gerettet. Conner war wahnsinnig, aber auf seltsame Weise. Sein Gehirn, zu lange mit sich selbst allein gelassen, hatte gelernt, in die Ferne zu greifen, und nun war er zu etwas geworden, für das er keinen Namen hatte und das andere Leute sich nicht vorzustellen vermochten. Jetzt war er an einen Körper gefesselt, der Hunger, Durst, Schwerkraft und Druck unterworfen war, er konnte ihn nicht mehr zurücklassen, und er ertrug das Leben nicht, das er so gern wegwerfen wollte.

»Mr. Conner«, riss eine Stimme ihn aus seinen Gedanken, »Sie haben Besuch.«

Ohne Neugier hörte er dem Mann zu und wünschte, er würde weggehen, bis er den Namen Darkover vernahm.