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Cover

Vorwort

Nr. 1 – Die neue Menschheit

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

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7.

8.

9.

10.

Glossar

Nr. 2 – Das Amöbenschiff

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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13.

Glossar

Nr. 3 – Marhannu die Mächtige

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Glossar

Nr. 4 – Die Ruinenstadt

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

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10.

Glossar

Nr. 5 – Kommando Virenkiller

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Epilog

Glossar

Nr. 6 – Whistlers Weg

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Glossar

Nr. 7 – Die Pahl-Hegemonie

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Glossar

Nr. 8 – Anthurs Ernte

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

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Epilog

Glossar

Nr. 9 – Das Seuchenschiff

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Glossar

Nr. 10 – Allianz der Verlorenen

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Glossar

Nr. 11 – Verwehendes Leben

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Glossar

Nr. 12 – TALIN erwacht

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Klassische Space Opera mit viel Action und einem »kosmischen Hauch«

 

Millionen von Lichtjahren von der Erde entfernt, in einer unbekannten Sterneninsel: Das Stardust-System ist Heimat von rund einer Milliarde Menschen, die es dorthin verschlagen hat. In einer fremdartigen Umgebung kämpfen die Menschen um ihre Zukunft. Zwischen den Sternen lauern zahlreiche Gefahren auf sie, aber auch kosmische Wunder und ein Rätsel aus tiefster Vergangenheit ...

 

PERRY RHODAN-Stardust: Das ist klassische Space Opera mit viel Action und einem »kosmischen Hauch« – zwölf Romane ergeben ein abgeschlossenes Epos.

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Nr. 1

 

Die neue Menschheit

 

Sie sind die TALIN-Jäger – und suchen eine Superintelligenz

 

Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Im Mai 1513 Neuer Galaktischer Zeitrechnung bricht Perry Rhodan zu einer diplomatischen Mission auf: Mithilfe der exotischen Technik des Polyport-Systems reist er in die ferne Galaxis Anthuresta. Dort will er die Nachkommen jener Menschen besuchen, die einst in das Stardust-System ausgewandert sind.

Die Stardust-Terraner, wie sich die Menschen in Anthuresta nennen, haben bereits ein kleines Sternenreich aufgebaut. Ihre Raumschiffe erforschen die nähere Umgebung, ihre Abgesandten treten in Kontakt zu außerirdischen Völkern. In schier unglaublicher Ferne entwickelt sich eine neue Menschheit mit eigenen Visionen und Träumen.

Doch was wie eine Routinemission begonnen hat, wird rasch zu einem gefährlichen Trip. Perry Rhodan trifft auf einen Netzweber, er erfährt mehr über die gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre, und er muss feststellen, dass eine Gefahr aus der Vergangenheit erwacht. Der Terraner aus der »alten Heimat« wird Zeuge, wie eine Bedrohung entsteht und wächst.

Nur Perry Rhodan und eine Handvoll von Helfern steht gegen die Gefahr – er kämpft für DIE NEUE MENSCHHEIT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Polyport-Präfekt besucht die neue Menschheit.

Tetsuro Corris – Der Administrator der Stardust-Union lädt zur großen Feier.

Eritrea Kush – Die Admiralin der Stardust-Union freut sich über den Besuch aus der Ferne.

James Birungi – Der TALIN-Jäger baut eine harte Landung und wird ausgewählt.

Der Generex – Ein Wesen erwacht und kennt sich selbst nicht mehr.

1.

Stardust-System

1. Mai 1513 NGZ

 

Perry Rhodan warf einen Blick auf das Hologramm in der Zentrale des Shuttles, das ihn nach Aveda bringen sollte – und da war er. Unvermittelt, ohne Vorwarnung.

Ein Netzweber.

Rhodan hätte ihn fast nicht bemerkt. In der dreidimensionalen Darstellung wirkte die Struktur seines Netzes fast so dunkel wie das kalte, schwarze All, das sie umgab. Rhodan erkannte das feine Netzwerk nur, weil es vom fernen Licht der vier Millionen Sonnen des Kugelsternhaufens Far Away erhellt wurde, sodass es sich schwach als Silhouette abzeichnete.

Die Maschenweite des Netzes war sehr eng, betrug nur wenige Meter. Aber der ausgebreitete Netzkörper war gewaltig, füllte allmählich das komplette Holo aus.

Das sind bestimmt zwanzig Kilometer, dachte Rhodan, wenn nicht sogar mehr. Der Netzweber ist ganz nah.

Die Netzfasern selbst schienen auf den ersten Blick hauchdünn zu sein. Rhodan wusste aber aus Erfahrung, dass es sich bei ihnen nur um eine Projektion handelte. Die Hyperstruktur des Wesens sah ganz anders aus. Rückschlüsse auf die wirkliche Erscheinung konnte man aus der optischen Darstellung nicht ziehen.

»Ruf die Hyperortung auf!«, sagte er. »Schnell!«

»Was?« Mehul Tondesi sah ihn verwirrt an. Der Pilot seines Shuttles war ein lächerlich junger Mann, der zu dem Routineauftrag abkommandiert worden war, ihn nach Aveda zu bringen.

Rhodan konnte sich vorstellen, welche Befehle er von Admiralin Eritrea Kush bekommen hatte. Wir erwarten sehr hohen Besuch. Den Polyport-Präfekten. Den Sonderbeauftragten des Galaktikums für die Polyport-Domäne. Sorge dafür, dass er pünktlich und sicher nach Stardust City kommt.

Endlich schaltete Tondesi. Er stellte keine weiteren Fragen, nickte und aktivierte die Hyperortung. Ein zweites Holo bildete sich.

Darin wirkten die Netzfasern wie golden leuchtende, engmaschige Fäden.

Der junge Pilot überwand seine Erstarrung und riss die Augen auf. »Das ist doch nicht möglich! Ein Netzweber? Ist das ein Netzweber? Seit fast fünfzig Jahren ist im Stardust-System keiner mehr gesichtet worden!«

»Ich weiß«, sagte Perry Rhodan. Er überlegte fieberhaft. Die Netzweber stellten eigentlich keine Bedrohung dar. Sie waren intelligente Wesen, deren Körper in Gestalt großer fliegender Netze aus hyperenergetischen Strukturen bestanden und die sich von derselben Strahlung ernährten.

Und sie waren natürliche Teleporter, konnten mit der Kraft ihres Geistes bis zu 50.000 Lichtjahre überwinden. In Anthuresta hatten sie Transportfunktionen übernommen, forderten dafür aber einen Preis. Sie verlangten, an der Gedankenwelt derjenigen, die sie transportierten, teilhaben zu können. Weigerten sich ihre Partner, ihre Gedanken zu öffnen, nahmen sie sie mitunter ungefragt.

Die Netzweber labten sich an den Gedanken ihrer Passagiere, verschmolzen mit ihnen. Ihre Kunden hatten mitunter den Eindruck, ihre Gedanken und Gefühle würden von innen nach außen gekehrt und aufgesogen, in einem gewaltigen Treibsand versickern, der sie gierig aufnahm.

Die Passagiere trugen keine Schäden davon, aber ...

Rhodan sah wie gebannt auf das Holo der Hyperortung. Die goldenen Fäden schienen sich immer enger zusammenzuziehen.

Der Netzweber will uns teleportieren!

»Vollen Schub!«, sagte er. »Versuch ... Ach, lass es!« Rhodan verstummte.

Mehul Tondesi sah ihn fragend an. Der junge Pilot mochte sich auf seinen Beruf verstehen, war aber von der Situation eindeutig überfordert.

Doch Mehul wollte das Unausweichliche nicht akzeptieren. Er hantierte an seinen Kontrollen, versuchte Manöver, die er auf der Akademie trainiert hatte, hoffte darauf, dem Netzweber entrinnen zu können.

Irgendwie erinnerte dieser blutjunge Vertreter der neuen Menschheit, der Stardust-Menschheit, Perry Rhodan an die Terraner, die er gekannt hatte, als er selbst jung gewesen war. An Menschen, die niemals aufgegeben hatten, die notfalls bis zum letzten Tropfen Blut dafür gekämpft hatten, einem anscheinend unausweichlichen Schicksal zu entrinnen.

Die neue Menschheit ist nicht mit der alten vergleichbar!, mahnte sich Rhodan. Zum Glück nicht. Seinen Aufbruch in den Kosmos hatte er mit Soldaten begonnen, die noch im Kalten Krieg zwischen den terrestrischen Atommächten aufgewachsen waren und sich dann von dem ersten Schritt aus dem Solsystem hinaus überlegenen Gegnern gegenüber gesehen hatten.

Dieser junge Pilot hatte niemals Krieg miterlebt, Atlans Sternengöttern sei Dank. Die gesamte Stardust-Menschheit war eine junge und friedlich expandierende Gesellschaft. Vor fast fünfzig Jahren, bei den Kämpfen in der Stardust-Galaxis, war vielleicht ein Drittel der heutigen Bevölkerung noch gar nicht geboren.

Nein, die ersten Terraner hatten sich grundlegend von den Stardust-Menschen unterschieden. Bei aller Erinnerung an den vergleichbaren Schwung, die Tatkraft und Kreativität, die die neue Menschheit an den Tag legte, fielen Rhodan stets die Unterschiede ins Auge. Hier kamen junge Soldaten nicht von einem harten Kampfeinsatz nach Hause, sondern gut ausgebildet von der Akademie.

»Gib es auf.« Rhodan atmete tief durch und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Es ist sinnlos. Wir haben keine Chance.«

Tondesi konnte den Blick nicht von ihm lösen. »Aber ich muss doch ...«

»Es gibt kein Entrinnen«, sagte Rhodan ruhig. »Wir können dem Netzweber nicht entkommen. Aber uns wird nichts passieren.«

Seine Gelassenheit beruhte auf Erfahrungswerten. Er hatte schon einmal engeren Kontakt mit zwei Netzwebern namens Radyl und Felna gehabt. Das war schon einige Zeit her ...

»Er will uns nichts Böses. Ich weiß nicht, was er von uns will, aber eine Flucht vor ihm ist unmöglich.« Rhodan warf einen Blick auf das Holo. Der Netzweber kam dem Shuttle rasch näher, umschloss es mit einem immer festeren Griff.

Der unsterbliche Terraner wusste, was nun geschehen würde.

Das Netz zog sich enger.

Immer enger.

Dann sprang der Netzweber mit dem Shuttle in die Transition.

 

*

 

Einen Moment lang waren Perry Rhodans Gedanken noch völlig klar.

Er wusste, wer er war und weshalb er hier war.

Hier, in der fernen, nur über das Polyport-System erreichbaren Galaxis Anthuresta, über 660 Millionen Lichtjahre von der heimischen Milchstraße entfernt. Oder genauer gesagt, in dem lebensleeren Kugelsternhaufen Far Away, in dem eine neue Menschheit ihr Zuhause gefunden hatte.

Die Stardust-Menschheit. 804 Millionen Menschen, die ausgewandert waren, als eine unglaubliche Bedrohung die heimatliche Milchstraße an den Rand der Auslöschung gebracht hatte.

Auf der Reise durch das Polyport-System hatte Rhodan lange über die neue und die alte Menschheit nachgedacht. Die erste Generation der Stardust-Terraner hatte die Heimat verlassen, weil unglaublich viele feindliche Raumschiffe über eineinhalb Jahre lang das Solsystem belagert hatten. Wie setzten sich die heutigen Folgegenerationen mit dieser Abstammung eigentlich auseinander? War diese Frage bei der Stardust-Jugend vielleicht schon kein Thema mehr?

Er hatte in der Milchstraße das Distribut-Depot ITHAFOR betreten und war von dort aus mithilfe einer uralten Technik zum Transport-Hof NEO-OLYMP im Stardust-System gereist. Gute vier Stunden hatte er dafür gebraucht, diese unfassbare Entfernung zurückzulegen.

Eine Routinereise. Nichts Außergewöhnliches. Als Polyport-Präfekt war er nach Far Away gereist, um Repräsentationspflichten zu erfüllen. Die Bevölkerung des Stardust-Systems, die neue Menschheit, sollte über eine Verfassungsänderung und einen neuen Namen für den Kugelsternhaufen Far Away abstimmen. Eine große Feier war angesagt, zu der er selbstverständlich eingeladen worden war. Tetsuro Corris, der aktuelle Administrator der Stardust-Menschheit und sein Gastgeber, fieberte dem Ende des Tages und der Abstimmung entgegen.

Doch dann war der Netzweber gekommen. Er hatte ... er hatte ...

Der Entzerrungsschmerz brandete in Rhodan empor. Er begann peinigend und stechend in Kopf und Nacken, dehnte sich dann auf den Rücken, schließlich den gesamten Körper aus.

Rhodan fiel auf, dass seine Gedanken immer unklarer wurden, verschwommener. Er versuchte, sich zu konzentrieren, doch es gelang ihm nicht. Er spürte, wie etwas an seinem Denken nagte, es zu vereinnahmen drohte.

»Krian«, murmelte er. »Krian ...« Der Mond des Planeten Zeus. Im Stardust-System. In Krians geostationärem Orbit befand sich NEO-OLYMP. Der Polyport-Hof. Dorthin war er gereist, und ... Ein Shuttle hatte ihn nach Aveda bringen sollen, der Hauptwelt des Stardust-Systems.

Ein Shuttle ...

Instinktiv wehrte er sich, als er spürte, wie etwas an seinen Gedanken zerrte, sie geradezu gierig aufsog. Der Vorgang war nicht mit Schmerzen verbunden, doch Rhodan war trotzdem nicht bereit, sich seine Gedanken nehmen zu lassen, seine Gefühle und Erinnerungen.

Es war ... unnatürlich.

Etwas labte sich an seinen Gefühlen und Erinnerungen, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Er fühlte sich, als würde jemand sein Innerstes vergewaltigen.

Doch dann kamen die Träume.

 

*

 

Rhodan sah unverständliche Bilder. Etwas sickerte aus ihm hinaus, doch er erhielt dafür etwas zurück.

Er hatte nicht danach verlangt, konnte es aber nicht verhindern.

War das ein luzider Wachtraum, wie die Netzweber sie einem manchmal vermittelten? Es war ihre Art der Kommunikation.

Zwei Wesen schlurften unter einem fahlroten Himmel zwischen Ruinen hindurch, die sich wie zerschmetterte Skelette von Dinosauriern emporreckten. Sie kamen ihm verschwommen bekannt vor, erinnerten ihn an ... an Jaranoc!

Selbstverständlich! An Jaranoc, diese Bewohner der Galaxis Anthuresta, die entfernt aussahen wie längst ausgestorbene Urweltechsen der Erde.

Aber das war nur eine entfernte Ähnlichkeit. Jaranoc waren stolze, kriegerische Geschöpfe von zweieinhalb Metern Größe mit breiten Schultern, die leicht ein Gewicht von 600 Kilogramm und mehr auf die Waage brachten. Die beiden Wesen waren deutlich kleiner. Sie sahen keineswegs so martialisch aus wie die Jaranoc, die Rhodan kennengelernt hatte, und schwächlicher. Ihnen sprossen keine spitz zulaufenden Hörner aus dem Schädel, und sie hatten keinen mit Stacheln besetzten Nackenschild.

Trotzdem war eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden: der gedrungene Körperbau, der dem eines Triceratops nicht unähnlich war, der rudimentäre, gebogene Schnabel, der kurze Schwanz.

Rhodan konnte sich keine weiteren Gedanken machen, ob er Jaranoc sah oder nicht, denn ein dunkler Schatten fiel über die Ruinen. Ein Raumschiff warf ihn, aber eins, wie er es noch nie gesehen hatte, unregelmäßig geformt und ...

Geschöpfe regneten aus dem Himmel, viele, ein Meer von ihnen. Sie sahen aus wie graue, hochgewachsene, aufrecht gehende Beuteltiere, Humanoide mit Känguruköpfen und Beuteln, die sich deutlich unter ihren Raumanzügen abzeichneten. Ihre Antigrav-Generatoren bewirkten, dass sie nicht stürzten, sondern schwebten, langsam, kontrolliert, zur Oberfläche des Planeten sanken.

Sie waren bewaffnet, eröffneten das Feuer. Rhodan sah, wie sie auf die Dinosaurierähnlichen schossen, sie jagten und verfolgten.

Ein Traum, dachte er. Das ist nur ein Traum. Ich träume von einem Krieg. Der Netzweber zeigt mir Bilder von Tod und Vernichtung. Das alles ist nicht wirklich.

Aber er wusste gleichzeitig, dass es wahre Bilder waren. So war es geschehen. Irgendwann, wahrscheinlich vor langer Zeit.

Pahl, dachte er, ohne zu wissen, was dieser Begriff bedeutete. Niemand hatte zu ihm gesprochen, auch die Bildszenen hatte er ohne ein Geräusch erlebt. Erlebt, nicht mit seinen Augen gesehen.

Die Traumbilder wurden undeutlich, verschwommen. Sie verschmolzen miteinander, ergaben keinen Sinn mehr. Rhodan sah, wie Echsen und Beuteltiere starben, sich mit schrecklicher Inbrunst umbrachten.

Langsam lösten sich die Bilder auf. Mit ihnen verschwand der Entzerrungsschmerz der Transition.

Rhodan rang nach Atem. Schweiß perlte auf seiner Stirn, tropfte aufs Gesicht. Sein Puls raste.

Die Traumbilder wirkten einen Augenblick lang nach, lösten ein verstörendes Echo in seinem Inneren aus. Sie hatten einen konkreten Ursprung, davon war er überzeugt. Aber sie waren zugleich verfremdet, nicht für bare Münze zu nehmen.

Sie verblichen endgültig. Langsam nahm das Innere der Zentrale des Shuttles wieder konkrete Züge an.

»Eine Warnung«, flüsterte er. Er war auf einmal felsenfest davon überzeugt, dass der Netzweber ihm eine Warnung hatte zukommen lassen wollen.

Doch wovor?

Rhodan sah, dass Mehul Tondesi mit weit aufgerissenen Augen in seinem Pneumosessel lag. Der junge Pilot starrte ins Leere. Äußerlich fehlte ihm nichts, doch sein Gesicht war bleich und verzerrt. Sein Atem ging unnatürlich schnell.

Der Kontakt mit dem Netzweber hatte Tondesi viel stärker zu schaffen gemacht als ihm, dem Aktivatorträger mit der Mentalstabilisierung.

Rhodan zitterte plötzlich. Nicht nur wegen des Nachhalls der Furcht und des Schreckens, der seine Gedanken noch hartnäckig überlagerte. Es war merklich kühler in der Zentrale des kleinen Raumschiffs geworden.

Ein leises Zischen zerrte ihn endgültig in die Wirklichkeit zurück.

Mehul Tondesis Raumanzug wies mehrere kleine Lecks auf, durch die langsam, aber stetig Sauerstoff ausströmte.

 

*

 

Rhodan schüttelte sich, um die letzten Eindrücke des hartnäckig verharrenden Traums zu beseitigen, und griff nach der Schulter des Piloten. Er zerrte daran. »Der Netzweber hat das Shuttle freigelassen und ist verschwunden.«

Der junge Mann öffnete die Augen, doch Rhodan erkannte, dass Tondesi nicht sah, was um ihn herum vorging. Es würde noch eine Weile dauern, bis er sich vollends erholt hatte.

Rhodan wandte sich den Kontrollen hinter dem Sitz des Piloten zu. »Ortungsholo!«, forderte er.

Er verharrte inmitten der Bewegung. Die angeforderte dreidimensionale Darstellung bildete sich nicht. Offensichtlich war das kleine Shuttle beschädigt worden. Es war auf Transitionen nicht ausgelegt. Vielleicht war die Energieversorgung ausgefallen, als der Netzweber es freigegeben hatte, und mit ihr der Prallschirm. Winzige Gesteinsbrocken waren wie Geschosse durch das Shuttle geknallt ...

Aber das bedeutete ... Rhodan lauschte, hörte aber nichts.

Er rief die Positionsanzeige manuell auf.

Das Shuttle trieb ganz außen im Stardust-System, fast auf Höhe der Umlaufbahn des 22. und äußersten Planeten, eines mondlosen Eisbrockens. Derzeit war er fast hundert Milliarden Kilometer von seiner Sonne entfernt.

Sehr, sehr weit entfernt von Aveda und den anderen Planeten in der Lebenszone des Stardust-Systems.

Rhodan versuchte, die Funkanlage zu aktivieren, um einen Notruf zu senden. Es gelang ihm nicht. Ein kurzer Check zeigte ihm, dass auch das Triebwerk und die Lebenserhaltung ausgefallen waren.

Sie trieben am Rand des Systems hilflos durchs All.

Rhodan atmete tief durch.

Der Ausfall der Lebenserhaltung bedeutete, dass die Temperatur unaufhaltsam sinken würde. Das war wahrscheinlich noch schlimmer als der Ausfall der Atemgasregeneration.

Wie lange würde die Luft in der kleinen Kabine reichen? Er konnte notfalls auf die Sauerstoff-Versorgung seines Raumanzugs zurückgreifen, den er vorschriftsmäßig angelegt hatte. Mehul Tondesi hatte diese Option nicht. Das Zischen, mit dem die Luft aus den kleinen Rissen in dessen Anzug strömte, schien immer leiser zu werden.

Dass er dieses Zischen überhaupt vernahm, bestätigte Rhodans schlimmste Befürchtungen. Auch die Kanzel des kleinen Shuttles musste ein Leck aufweisen, durch das sie wertvolle Atemluft verloren.

Die Kälte des Alls schien unaufhörlich tiefer in Rhodans Körper zu dringen. Ihm wurde klar, dass ihre Lage viel prekärer war, als er nach dem Ende der Transition angenommen hatte.

Würde man hier nach ihnen suchen?

Plötzlich wurde er sich der Stille bewusst, die ihn umgab. Er hörte nur die Geräusche, die er selbst verursachte.

Und das leise Zischen der Atemluft, die aus Tondesis Raumanzug entwich.

 

 

Zwischenspiel

Vergangenheit

1469 NGZ

 

Übergangslos wurde er wach.

Er wusste, er hatte geschlafen. Lange geschlafen, ohne wirklich Ruhe zu finden.

Sehr lange.

Eine Ewigkeit.

Aber mehr wusste er nicht. Weder, wer er war. Noch, wie lange er geschlafen hatte. Auch nicht, warum er überhaupt geschlafen hatte.

Er war verwirrt. Er ahnte, dass etwas geschehen sein musste. Etwas von außerordentlicher Bedeutung, das sein Erwachen herbeigeführt hatte.

Doch er konnte sich nicht erinnern. Er suchte in seinem Verstand, aber ... da war nichts. Gar nichts.

Erschüttert wurde ihm klar, dass er keine Erinnerungen mehr hatte. Jedenfalls keine konkreten.

Erinnerungen machten jedes Wesen aus. Ein Wesen ohne Erinnerungen war leer. Wertlos wie ... wie ...

Tau, dachte er. Wertlos wie Tau.

Weshalb war er erwacht? Was war geschehen?

Auch das wusste er nicht.

Er horchte. Nach außen, in sich hinein.

Er war allein. Außer ihm war hier niemand.

Abrupt befürchtete er, mit der Zeit verrückt zu werden. Die Einsamkeit würde ihn in den Wahnsinn stürzen. Er hatte so etwas schon einmal durchgemacht, und ... und ...

Dann kamen die Schmerzen. Plötzlich und unvermittelt erfüllten sie ihn.

Und eine weitere Ewigkeit später hörte er die Stimme.

»Hab keine Angst«, sagte sie. »Ich bin bei dir. Ich werde dich beschützen und dir dienen, wie ich es immer getan habe.«

2.

Sepura 2

Ende April 1513 NGZ

 

Der Autopilot der GRINGER setzte zur Landung auf dem zweiten Planeten des Sepura-Systems an, und ein merkliches Knirschen ging durch das Schiff.

James Birungi lehnte sich angespannt in seinem Pneumosessel zurück.

Starts und Landungen wurden allmählich kritisch. Die GRINGER hatte einige Jahrzehnte auf dem Buckel; die meisten Teile der Space-Jet stammten noch aus der Milchstraße. Er wusste, dass sie »zusammengebastelt« worden war – aber eigentlich hatte sie jahrelang gut funktioniert.

Nun fehlte ihm das Geld für die eigentlich vorgeschriebenen Wartungen. Also bat er gelegentlich einen TALIN-Jäger, der etwas von Technik verstand und handwerkliches Geschick hatte, nach den wichtigsten Systemen zu sehen. Das war eine Notlösung, aber etwas anderes konnte er sich nicht leisten.

Nach diesem Flug würde alles anders werden, da war er sicher. Bei dieser Mission würde er endlich Glück haben. Vielleicht würde er ein altes, noch funktionsfähiges Waffensystem finden, das er an die Stardust-Administration verkaufen konnte. Oder wertvolle Hyperkristalle. Oder ...

Nein. Er wagte kaum daran zu denken.

Oder den Hauptpreis. Das große Los.

Die Unsterblichkeit.

Einen der beiden Zellaktivatoren, die irgendwo in Far Away versteckt waren. Sie waren das eigentliche Ziel der TALIN-Jäger, auch das von James Birungi. Jeder von ihnen hoffte, eines der beiden Geräte zu finden, die den Träger relativ unsterblich machten.

Mehr als nur das. Ein Zellaktivator würde auch schaffen, was der Medotechnik unmöglich war. Er würde seinen Träger heilen.

Ein tiefes Rumpeln löste das Knirschen ab. Es zog sich durch die GRINGER und forderte Birungis Aufmerksamkeit. Er setzte sich kerzengerade auf und lauschte, konnte aber nicht feststellen, woher das Geräusch kam.

Es war ein neues Geräusch, das er bislang noch nicht gehört hatte. Es klang nicht gut. Ganz und gar nicht gut.

Er spürte, dass er zu schwitzen begann. Da er Schweiß nur schwer absondern konnte, musste er auf andere Weise verhindern, dass es zur Überhitzung seines Körpers kam. Zwar hatte er in seinem Schiff eine Temperatur von 18 Grad eingestellt, die er als kalt empfand, aber das genügte jetzt nicht mehr.

Birungi musste sich beeilen. Er lehnte sich wieder zurück, richtete den Dispenser aus und tröpfelte etwas von dem Hautfluid, das seinen Körper vor der Austrocknung schützte, auf eine Verhornung an seinem linken Unterarm. Das genügte. Das Medikament suchte nun selbst den Weg zu den befallenen Körperstellen.

Jetzt hatte er erneut ein paar Tage Ruhe. Vielleicht drei oder vier. Die Krankheit schritt unaufhaltsam voran. Es war schon lange her, dass er sich das Medikament nur jede Woche verabreichen musste. Er befürchtete, es bald täglich nehmen zu müssen. Dann war das Ende absehbar.

Er stellte den Dispenser beiseite und drehte sich mit dem Sessel zur Instrumentenkonsole. Der Autopilot hatte erkannt, dass eine Fehlfunktion vorlag, die Landung aber nicht abgebrochen.

Birungi warf einen Blick auf das Holo der Nahortung. Die Landschaft des zweiten Planeten der Sonne Sepura füllte die Darstellung vollständig aus und wurde schnell größer. Eigentlich war sie eine heiße Wüste, aus deren dürrem Boden aber eine erstaunlich üppige Vegetation spross. Ein Widerspruch an sich.

Vielleicht hatte diese Absonderlichkeit dazu beigetragen, dass die TALIN-Jäger große Hoffnungen auf diesen Planeten setzten. Birungi selbst rechnete keine Sekunde damit, hier eine schlafende Superintelligenz oder auch nur eine Spur von ihr zu finden.

Doch damit brauchte er sich jetzt nicht zu beschäftigen. Der Autopilot hatte seine Selbstdiagnose bereits abgeschlossen. Eine Energiekupplung arbeitete unregelmäßig, fiel immer wieder für Sekundenbruchteile aus.

Digitale Ziffern zählten die Sekunden bis zur planmäßigen Landung herunter: 58 ... 57 ...

Sollte er die Landung abbrechen? Oder darauf vertrauen, dass die Kupplung noch eine knappe Minute durchhielt?

Birungi musste das Risiko eingehen. Er selbst war nicht imstande, die Energiekupplung zu reparieren. Früher oder später würde er die Landung sowieso wagen müssen. Warum das Unvermeidliche hinauszögern?

Er lächelte schwach. Der Name Birungi bedeutete in einer altterranischen Sprache »Überbringer guter Dinge«. Das hatte er gewusst, als er damals ein neues Leben begonnen und einen neuen Namen für sich gewählt hatte. Er hatte viele »gute Dinge« überbracht und damit viel Geld verdient, bis ... bis es zu dem Unfall gekommen war, der sein Leben erneut aus der Bahn geworfen hatte.

Das Rumpeln drang wieder durch das Schiff. Birungi schaute zum Datenholo. Die Kupplung versorgte das Triebwerk nur noch mit 60 Prozent Energie. Er glaubte zu spüren, dass die GRINGER eine Sekunde lang im freien Fall nach unten sackte. Dann hatte die Bordpositronik den Energiefluss neu reguliert. Der Antrieb leistete wieder vollen Gegenschub. Wahrscheinlich zog die Positronik die nötige Energie von der Lebenserhaltung ab, die durchaus eine Minute lang ausfallen konnte, ohne dass die von ihr kontrollierten Werte kritische Grenzen erreichten.

Noch 28 Sekunden ... 25 ...

Eine Alarmsirene gellte auf.

Die Energiekupplung war vollständig ausgefallen.

Noch zwanzig Sekunden bis zur Landung auf Sepura. Oder bis zum Aufprall. In zwanzig Sekunden ungebremsten Falls würde die GRINGER eine solche Geschwindigkeit entwickeln, dass sie die Bodenberührung nicht unbeschadet überstehen konnte. Die alten Landestützen würden unter dem Gewicht des Schiffes wegknicken wie Streichhölzer, die Hülle würde sich verziehen, das Schiff würde ...

Das Jaulen der Sirene verstummte. Die Kupplung leitete die Energie wieder an das Triebwerk weiter.

Birungi atmete erleichtert auf.

Noch zehn Sekunden.

Er sah zu den Holos. Die Wüstenoberfläche des Planeten war rasend schnell größer geworden. Doch nun gab das Triebwerk vollen Gegenschub, um den Sturz abzufangen. Wenigstens reagierte die Positronik richtig und viel schneller, als es Birungi möglich gewesen wäre.

Ein lautes Ächzen drang in seine Ohren. Einen Moment lang befürchtete Birungi, die GRINGER würde unter den gegensätzlichen Kräften zerbrechen, die auf sie einwirkten. Als ein harter Ruck ihn fast aus dem Sessel warf, befürchtete er das Schlimmste.

Aber ein weiterer Blick auf das Holo beruhigte ihn. Das Schiff hatte auf einem flachen, verbrannten Fleck mitten in dem Tal aufgesetzt, in dem die TALIN-Jäger ihr Lager aufgeschlagen hatten. Es war eine harte Landung gewesen, aber keine Bruchlandung. Die Stützen schienen unbeschädigt zu sein.

Es würde eine Weile dauern, bis er festgestellt hatte, ob die GRINGER weitere Schäden davongetragen hatte. In diesem Fall steckte er in ernsthaften Schwierigkeiten. Er konnte nicht einfach über Funk offizielle Stellen um Hilfe bitten. Dann könnte er die Behörden gleich auffordern, ihn zu verhaften.

Er beauftragte den Bordrechner, eine vollständige Systemdiagnose vorzunehmen, und verließ das Schiff, um sich im Lager der TALIN-Jäger umzusehen.

 

*

 

Es war furchtbar heiß auf Sepura 2. Die Temperatur lag sogar jetzt, in den späten Nachmittagsstunden, noch bei fast vierzig Grad. Das waren keine guten Bedingungen für ihn, vor allem bei seinem gesundheitlichen Zustand.

Birungi schaltete die Kühlfunktion seiner Kombination auf die höchste Stufe, doch auch das verschaffte ihm kaum Linderung. Lange würde er es hier draußen nicht aushalten.

Er sah sich um. Das Lager erinnerte ihn an eine wildromantische Ansiedlung aus präatomaren Zeiten, als Cowboys in benzingetriebenen Kutschen über die südamerikanische Prärie gerollt waren, um ihre Herden zusammenzuhalten, und des Nachts Lagerfeuer angefacht hatten. Aber der erste Eindruck täuschte: Mit primitiver Kuhhirten-Romantik hatten diese armseligen Zelte nichts zu tun, auch wenn sie sich um eine große Feuerstelle scharten.

Die diente allerdings weniger der Zubereitung von Nahrung denn als Treffpunkt. Die meisten TALIN-Jäger schliefen in ihren Raumschiffen, meist Gleiter, wenige Space-Jets, von denen ein halbes Dutzend in sicherer Entfernung vom Lager geparkt standen. Die Einsamkeit war der ständige Begleiter der Jäger. Sie nutzen jede Gelegenheit, um sich auszutauschen und soziale Kontakte zu pflegen. Ein knisterndes Lagerfeuer, um das man sich scharte, war dazu ideal geeignet.

Die Zelte waren von Jägern errichtet worden, die den Planeten längst wieder verlassen hatten. Oder auf ihm verschwunden waren. Der Aufenthalt hier und die Erkundung des Relikts, das ein Jäger gefunden hatte, waren nicht ungefährlich.

Birungi wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Wind wehte unablässig durch das Tal und trug feine Sandkörnchen mit sich, die auf seiner nassen Haut kleben blieben. Er brach sich an den hohen Bergen, die auf beiden Seiten die schmale Ebene säumten, und trieb entwurzeltes Strauchwerk vor sich her. Die kargen, trockenen Äste und Zweige waren nicht mal als Feuerholz tauglich, sie verbrannten zu schnell.

Dennoch sah Birungi überall Vegetation, die auf einen Menschen teilweise bizarr wirkte, was eigentlich ungewöhnlich für solch ein trockenes Hochtal war. Gelbliche Moose führten einen verzweifelten Kampf gegen den Sand. Niedrige Sträucher wuchsen schneller nach, als sie vom Wind aus dem kargen Sandboden gerissen werden konnten. Die Hartnäckigkeit des pflanzlichen Lebens überraschte ihn.

Er spazierte zu dem Lager, lauschte dabei in sich hinein, konnte aber nichts von dem Lockruf vernehmen, der angeblich einige TALIN-Jäger hierher geführt hatte. Wie immer: Er hatte noch nie etwas in dieser Richtung verspürt.

Nach ein paar Minuten hatte er es erreicht. Zwei Männer und eine Frau hielten sich dort auf, von denen er nur einen kannte, Cadiz Omsgul, einen rundlichen, jovial wirkenden Mann von vielleicht hundert Jahren.

Das verwunderte ihn nicht. Die TALIN-Jäger waren ein loser Haufen von Glücksrittern, die die schlafende Superintelligenz TALIN und gleichzeitig die Hinterlassenschaften suchten, die die Wesenheiten ES und ESTARTU im Kugelsternhaufen Far Away zurückgelassen hatten. Im schlechtesten Fall versprachen sie sich Reichtum, im besten die Unsterblichkeit. Unter diesen Hinterlassenschaften befanden sich angeblich zwei Zellaktivatoren.

ES hatte sich 1469 NGZ geteilt und war seitdem verschwunden,

Dass die Jäger scheitern konnten und leer ausgingen, zog keiner von ihnen in Betracht. Da waren sie wie er. Die nächste Suche war immer die, die den großen Erfolg bringen würde, den Durchbruch. Sie würde einen reich machen. Ganz bestimmt.

Der Behälter mit Psi-Materie, den ES angeblich auf dieser Welt versteckt hatte, war hinter der nächsten Abzweigung verborgen. Man musste nur die Hand nach ihm ausstrecken ...

Die Jäger waren kaum organisiert. Es gab keine hierarchischen Strukturen, keine Vorgesetzten und Untergebenen, keinen Anführer. Man war miteinander in Verbindung, half sich gegenseitig und gab sich gelegentlich Tipps. Natürlich kam es auch zu Eifersüchteleien. Im Fall der Fälle täuschte, belog und betrog man sich gegenseitig, um einen Vorteil zu gewinnen. Die TALIN-Jäger waren Glücksritter, die im Prinzip nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren.

James hatte in diesem schillernden Haufen schnell eine gewisse Berühmtheit und einen guten Ruf erlangt. Er war einer der wenigen Jäger, die einigermaßen gebildet waren und Weitblick hatten, also planen konnten. Gelegentlich baten ihn einzelne TALIN-Jäger um Rat.

Er begrüßte die drei Jäger mit Handschlag. Cadiz stellte ihm die anderen vor. Die Frau war etwa 120 Jahre alt, fast zwei Meter groß und hager. Sie hieß Tara Raryre. Der Mann nannte sich Jonas Wannercott. Birungi bezweifelte, dass dies sein richtiger Name war.

Er hatte ein Gespür für Personen, die Dreck am Stecken und deshalb eine andere Identität angenommen hatten. Außerdem kam ihm Wannercott bekannt vor. Er kramte in seinen Erinnerungen, konnte das Gesicht jedoch nicht mit einem anderen Namen oder einem Ereignis in Verbindung bringen.

Das wunderte ihn nicht. Vieles in seiner Vergangenheit war verschwommen. Manches hatte er bewusst verdrängt. Sein Leben war nicht gerade in geordneten Bahnen verlaufen.

Sie wechselten ein paar belanglose Nettigkeiten, dann erkundigte Birungi sich nach Vighton Sullez. »Wir wollten uns eigentlich hier treffen«, begründete er die Frage.

Cadiz schaute kurz zu Boden. »Vighton war hier«, sagte er. »Ist es eigentlich noch. Aber wir wissen nicht, wo er ist. Vielleicht lebt er nicht mehr.« Er zeigte mit seinem Daumen über die Schulter.

»Das Relikt, das ihr gefunden habt?«, fragte Birungi.

Der TALIN-Jäger nickte. »Vighton war zu gierig. Das Relikt ist gefährlich. Wir haben beschlossen, auf Verstärkung zu warten, nachdem die ersten beiden Jäger nicht herausgekommen sind. Wir wollten zu mehreren hineingehen, mit mindestens fünf Leuten. Aber dann konnte er es nicht abwarten. Er ist jetzt der dritte, der in dieser ... alten Station verschwunden ist. Der Dritte, von dem wir wissen. Hat Vighton dich deshalb informiert? Damit du mit uns zusammen hineingehst?«

Birungi nickte. Die Wahrheit sah etwas anders aus, aber das musste Cadiz Omsgul nicht wissen.

Vighton Sullez hatte ihn nicht aus reiner Freundlichkeit über den aufsehenerregenden Fund informiert. So weit ging die Liebe unter den TALIN-Jägern dann doch nicht. Nein, Sullez nahm ganz gern illegale Substanzen zu sich, und Birungi hatte ihn regelmäßig damit versorgt. Vighton hatte ihm also mehr als nur einen Gefallen geschuldet. Immer, wenn sein Nachschub ausblieb, erinnerte er sich daran.

Sein Funkspruch war ziemlich rätselhaft gewesen. Er hatte von dem Planeten Sepura 2 gesprochen, von einem Lockruf, den diese Welt angeblich ausstrahlte, und von einem anscheinend uralten, riesigen, verschütteten Artefakt, das man dort entdeckt hatte.

Sullez vermutete, dass es sich dabei um einen Bestandteil des Galaktischen Rätsels handeln könnte.

Die ersten TALIN-Jäger waren ziemlich schnell vor Ort gewesen. Sie hatten das Camp aufgeschlagen, während sie versuchten, das Artefakt zu erforschen. Es handelte sich offensichtlich um eine unterirdische Station. Angeblich sollte sie direkt zu TALIN führen oder zumindest war sie der Ausgangspunkt auf dem Weg zu TALIN, wie schnell aufgekommene Gerüchte besagten.

Birungi gab nicht viel auf diese Behauptungen. Er hatte Archäologie studiert, allerdings nur zwei Jahre lang. Dann hatten besondere Umstände ihn gezwungen, das Studium abzubrechen und unterzutauchen. Allerdings hatte er sich weiterhin mit historischen Themen beschäftigt und durchaus tiefgründige Kenntnisse erworben.

Er war der Meinung, dass das Relikt, wenn überhaupt, eine weitere Hinterlassenschaft der alten Anthurianer war. Doch es gab eine zweite Möglichkeit: Birungi war auf seinen Reisen immer wieder auf Relikte einer bislang unbekannten Spezies gestoßen, die vor ziemlich genau 180.000 Jahren ausgestorben war, schlagartig von der galaktischen Bühne verschwunden. Ein handfester Beweis für die Existenz dieses Volkes fehlte noch. Deshalb war die neue Menschheit noch nicht für eine offizielle Anerkennung eines verschwundenen Volkes bereit, das einmal genau dort gelebt hatte, wohin ES die ehemaligen Flüchtlinge aus dem Solsystem geschickt hatte.

Nicht zuletzt deshalb hatte er sich mit den TALIN-Jägern zusammengetan. So schlecht entwickelt deren Strukturen auch sein mochten, sie waren die beste Möglichkeit, Informationen zu sammeln, wenn man nicht auf die Explorer-Flotte der Stardust-Union zurückgreifen konnte.

James Birungi lächelte schwach und sah zum Himmel. Die Dämmerung war angebrochen. Bald würde sich die Nacht über das Hochtal senken.

Es war an der Zeit, das Lagerfeuer anzuzünden und sich zu einer kleinen Runde zusammenzusetzen.

»Machen wir es uns gemütlich«, sagte er. »Dann könnt ihr mir in aller Ruhe erzählen, was ihr bislang über das Relikt herausgefunden habt, und wir können uns überlegen, wie wir vorgehen wollen.«

 

*

 

Viel Neues erfuhr James Birungi von den drei TALIN-Jägern nicht.

Sie wussten so gut wie nichts über das Relikt.

Es handelte sich wahrscheinlich um eine Station, die ins Innere eines Berges gebaut worden war. Die Öffnung war bei ihrer Ankunft zu sehen gewesen; offensichtlich hatte ein Erdrutsch sie freigelegt. Wie es im Inneren aussah, konnte niemand sagen. Die, die es vielleicht wussten, waren nicht zurückgekehrt.

Birungi spielte mit dem Gedanken, den Eingang sofort aufzusuchen, obwohl es schon dunkel war. Aber das wäre kein Hinderungsgrund gewesen. Die Glücksritter führten genug Scheinwerfer mit, um die Nacht zum Tag zu machen.

Der wahre Grund war ein ganz anderer. Solche Lagerfeuer hatten bei den TALIN-Jägern schon einen rituellen Stellenwert. Durch ihre gemütliche Stimmung sorgten sie in diesen Zeiten für einen Zusammenhalt, der für die Gruppe dringend nötig war. Doch kaum hatte Birungi sich an das Feuer gesetzt, als er spürte, wie die Kraft seine Muskeln verließ.

Birungi blieb ruhig, damit man ihm nichts anmerkte, konnte sich aber nicht einmal gerade hinsetzen. Er atmete tief und regelmäßig. Wenn er Glück hatte, würde die Schwäche gleich wieder schwinden. Zurzeit beschränkte sich die Krankheit noch auf kurze Schübe.

Wannercott, der Jäger, der ihm seltsam bekannt vorgekommen war, ging neben ihm in den Schneidersitz und sagte etwas. Birungi verstand ihn nicht richtig. Er wollte sprechen, doch auch seine Stimme ließ ihn nun im Stich. Die Symptome traten stets ohne Vorwarnung auf. Plötzlich verkrampften sich seine Zunge oder seine Stimmbänder, und er konnte nicht mehr sprechen.

Der Jäger sah ihn fragend an.

Birungi spürte, dass der Krampf sich löste. Er schien noch einmal Glück gehabt zu haben.

»Entschuldige«, sagte er mit schleifender Stimme. Die Zungenlähmung verstärkte einen Moment lang seine Sprachschwäche. Er schmatzte häufig laut mit den Lippen und atmete dann pfeifend die Luft ein, was zu seltsamen Zischgeräuschen führte. »Ich war mit den Gedanken ganz woanders. Was hast du gesagt?«

Wannercott zog überrascht die Brauen hoch. »Jetzt bin ich mir ganz sicher. Wir kennen uns. Du bist es doch, nicht wahr, Jannik?«

»Wer soll ich sein?«

»Ich habe dich an diesem Zischen erkannt, dass du beim Sprechen machst. Du bist Jannik Bannard, oder?«

Birungi zuckte mit den Achseln. »Es tut mir leid, ich ...«

Der TALIN-Jäger ließ ihn nicht ausreden. »Jannik Bannard, der Sohn von Eritrea Kush! Mann, sie ist heute Flottenkommandantin des Stardust-Systems! Die musst du doch kennen!«

»Die Admiralin meinst du? Natürlich kenne ich sie. Aber wie kommst du darauf, dass ich ihr Sohn bin?«

Wannercott senkte die Stimme. »Du hast mich damals mit Drogen versorgt. Als du Student warst. Erinnerst du dich nicht? Du hast es mir mal gestanden, als ...«

James Birungi schüttelte den Kopf. »Nein. Du verwechselst mich mit jemandem. Ich habe zwar Archäologie studiert, aber nie mit Drogen gehandelt.«

»Du hast behauptet, Eritrea Kushs Sohn zu sein.«

»Vielleicht hast du dir das im Drogenrausch eingebildet.«

Wannercott schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Es stand zwar schlimm um mich, aber nicht so schlimm. Kurz darauf ging ich zum Militär. Ich verdanke es Eritrea Kush, meine Drogensucht überwunden zu haben. Du hast schon damals beim Einatmen gezischt und geschmatzt.«

»Nein. Ich leide erst seit einiger Zeit an dieser Sprachstörung. Eine Atrophie.« Es zischte leise, als er schmatzend Luft holte.

Der Jäger sah ihn zweifelnd an. »Aber Jannik Bannard hat genauso gesprochen.«

»Lass es damit gut sein«, sagte Birungi. Er wollte nicht über seine Krankheit sprechen. Die Symptome waren Muskelschwund des Körpers, vor allem aber der Zunge und eine damit einhergehende Lähmung der Stimmbänder. Hinzu kamen sexuelle Funktionsstörungen und eine Arteriosklerose der Hirnarterien.

Seine Muskelkraft baute sich sukzessive ab. Er konnte den Verlauf der Krankheit mit Medikamenten zwar abschwächen, aber nicht aufhalten. Momentan verfügte er noch über 80 Prozent der normalen Muskulatur. Der Muskelschwund breitete sich langsam in seinem ganzen Körper aus, bis am Ende das Herz betroffen sein und zu schlagen aufhören würde. Selbst eine Transplantation einzelner Organe könnte ihm auf Dauer nicht helfen, da sein Körper sukzessive versagte. Und bei der Arteriosklerose der Hirnarterien griffen die Medikamente nicht, die solch eine Verkalkung normalerweise aufhielten.

Aber er gab die Hoffnung nicht auf. Das durfte er nicht; Anlass zur Hoffnung bestand immer. Er musste nur an Lotho Keraete denken, den Boten von ES, der die Umsiedlung der neuen Menschheit ins Stardust-System in die Wege geleitet hatte. Die einzelnen Teile seines Körpers waren Jahrhunderte zuvor von der Superintelligenz über eine lange Zeit hinweg durch ein dunkelblaues Metall ersetzt worden.

Keraete hatte nicht nur dem Tod ein Schnippchen geschlagen und überlebt, er war sogar unsterblich geworden. Der letzte Teil seines Originalkörpers war angeblich sein Gehirn.

Oder Timber F. Whistler. Auch der ehemalige Administrator war umgewandelt worden, bevor er vor einiger Zeit unter mysteriösen Umständen verschwunden war.

Wannercott betrachtete ihn mit einer Mischung aus Misstrauen und Unglauben. »Ich bin mir völlig sicher ...«

»Lass es gut sein«, wiederholte Birungi fast drohend. Aber er wusste, der TALIN-Jäger würde es nicht dabei bewenden lassen.

Das taten sie nie.

Plötzlich juckte Birungis Haut heftig. Wahrscheinlich vor Anspannung. Selbstverständlich hatte er dem TALIN-Jäger nicht die volle Wahrheit gesagt. Ursprung seiner Krankheit war eine Hyperstrahlung, der er ausgesetzt gewesen war und die auch seine Gehirnzellen angegriffen hatte. Das hatte zu einer Ichthyose geführt, einer Verhornungsstörung der Haut. Sie bildete dann und wann Blasen, vor allem am Handrücken, war sehr trocken und rissig. Sporadisch befiel ihn Juckreiz. Dann kratzte er sich die Haut blutig. Manchmal musste er sich sogar die Kleidung vom Leib reißen, um sich Linderung zu verschaffen.

Cadiz Omsgul trat in den flackernden Schein des Feuers und setzte sich zu ihnen. Wannercott sah zu ihm hoch und schloss den Mund, den er schon zu einer Erwiderung geöffnet hatte.

»Ich habe gerade Nachricht von mehreren Jägern bekommen«, sagte Omsgul. »Sie sind unterwegs nach Sepura. Vielleicht können wir gemeinsam in die Station eindringen.«

Birungi nickte. Er konzentrierte sich auf Omsguls Worte und spürte tatsächlich, dass die Anspannung etwas nachließ. Manchmal halfen solche simplen psychologischen Tricks, um einen Krankheitsschub zu vermeiden.

»Vielleicht solltest du warten, bis die anderen hier sind«, fuhr Omsgul fort.

»Ja«, brachte Birungi krächzend hervor. »Vielleicht ... sollte ... ich ... das ...«

»Darja wird noch heute Abend hier sein.« Omsgul sah ihn fragend an. »Du kennst Darja doch, oder?«

Birungi zwang sich zu einem Nicken. Die Haut an Hals und Nacken kam ihm plötzlich dick wie ein Jaranoc-Panzer vor. »Ja.« Er glaubte, den Kopf nicht mehr bewegen zu können. Wenigstens fiel ihm das Sprechen wieder leichter.

»Ich ... habe eine harte Landung hingelegt.« Er sah Wannercott an. »Du kennst dich doch mit Raumschifftechnik aus?«

Sein Gegenüber nickte zögernd.

»Würdest du dir mein Schiff mal ansehen?«

»Klar«, sagte der TALIN-Jäger. »Ich schaue mal vorbei.«

»Ging's vielleicht noch heute Abend?«

»Na ja ... warum nicht?«

»Dann könntest du mich ja direkt begleiten ...«

Wannercott schüttelte den Kopf. »Ich komme nach. Ich muss zuerst noch nach meinem Schiff schauen.«

Birungi presste die Lippen zusammen. Beherrschung. Wenn jetzt ein weiterer Schub kam ...

Mühsam stand er auf. Es erleichterte ihn, dass er noch so viel Kontrolle über seinen Körper hatte. »Vielen Dank. Ich erwarte dich dann.« Er nickte den anderen zu, drehte sich schwerfällig um und stapfte in Richtung GRINGER davon.

Nur noch ein paar Meter, dachte er. Nicht nachlassen! Wenn du jetzt zusammenbrichst ...

Das durfte er sich nicht erlauben. Er musste sich so schnell wie möglich erholen, wieder zu Kräften kommen.

Er hatte noch etwas vor an diesem Abend.

Etwas, von dem die anderen TALIN-Jäger nichts wissen durften.

 

 

Zwischenspiel

Vergangenheit

 

Etwas geschah mit ihm. Sein Körper schien sich in ein Bündel aus Schmerz zu verwandeln, der ihn bis in die letzte Faser durchdrang.

»Hilf mir!«, schrie er. »Ich halte es nicht mehr aus.«

»Doch«, antwortete die Stimme. »Du hältst es schon seit Jahren aus. Seit Jahrzehnten. Aber die Umwandlung ist noch nicht abgeschlossen. Es wird aber nicht mehr lange dauern. Nur einige Jahre mehr, und es wird vorbei sein ...«

»Einige Jahre ...« Er konnte sich nichts darunter vorstellen. Wie lange würden einige Jahre dauern? Andererseits hatte die Stimme ihm immer wieder mitgeteilt, dass er die Schmerzen schon seit Jahrzehnten ertrug. Da konnten einige Jahre doch keine große Rolle mehr spielen.

Aber was, wenn die Stimme ihn ... belog? Ihm einfach die Unwahrheit sagte?

Doch warum sollte sie das tun?

Vielleicht, um ihn zu schützen? Ihm vorzumachen, der Schmerz würde bald enden, damit er nicht verzweifelte, den Verstand verlor?

Mit vielem, was sie behauptet hatte, hatte sie recht behalten. Sie hatte ihm versprochen, dass seine Erinnerungen zurückkehren würden. Erste Fetzen waren tatsächlich aus den Tiefen seines Verstands aufgetaucht. Keine zusammenhängenden Sequenzen, nur Bruchstücke, aber immerhin. Sie kamen stets dann, wenn er sie benötigte, um seine aktuelle Situation besser einschätzen zu können.

So wusste er jetzt zum Beispiel, dass der Begriff der Lüge ihm nicht fremd war. Er hatte oft gelogen, gelogen und betrogen, um seinen Willen durchzusetzen. Der Zweck heiligte die Mittel.

Und ohne die Stimme wäre er schon längst verrückt geworden. Allein in dieser Dunkelheit, allein mit seinen Gedanken ... das hätte er nicht überstanden.

»Wie lange noch?«, fragte er.

»Nicht mehr lange.«

»Täuschst du mich auch nicht?«

»Nein. Ich stehe treu zu dir. Ich kann gar nicht anders. Beizeiten wirst du es verstehen.«

»Warum hast du mich geweckt? Warum hast du mich nicht schlafen lassen, bis die Umwandlung abgeschlossen ist?«

»Nicht ich habe dich geweckt, sondern ein Hyperschock. Eine unglaublich starke Erschütterung.«

»Warum gibst du mir meine Erinnerungen nicht zurück?« Fragen über Fragen. Vielleicht hatte er sie schon tausend Mal gestellt, hunderttausend Mal. Er konnte sich nicht an sie erinnern.

»Deine Erinnerungen dürfen nur ganz langsam zurückkehren, sonst werden sie dich überfordern und zugrunde richten. Das darf nicht geschehen. Du warst einmal ein mächtiges Wesen, ein sehr mächtiges. Mein ganzes Bestreben ist, dir zu ermöglichen, wieder zu einem zu werden.«

Das Gespräch drehte sich im Kreis. »Warum kann ich mich an nichts mehr erinnern?«, fragte er. Diesmal wusste er genau, dass er diese Frage schon einmal gestellt hatte.

»Deine Erinnerungen dürfen nur ganz langsam zurückkehren ...«, antwortete die Stimme geduldig.

»Was ist geschehen?«, fragte er erneut.

»Eine große Macht hat sich geteilt, mit Auswirkungen, die für weiterhin unabsehbar sind.«

»Du lügst. Du willst mich nur vertrösten.«

»Nein. Ich lüge nicht. Während dieses Gesprächs sind bereits vier Jahre vergangen. Es geht voran.«

»Wie lange wird es dauern? Wecke mich auf, dann glaube ich dir!«

»Das kann ich nicht. Du kannst zu diesem Zeitpunkt noch nicht aktiv werden. Würde ich dich erwecken, würdest du sterben. Du bist ... krank. Stark eingeschränkt. Aber es geht voran!«

»Dann gib mir wenigstens meine Erinnerungen zurück.«

»Das kann ich nicht. Sie dürfen nur ganz langsam zurückkehren ...«

»Wenigstens eine!« Überrascht stellte er fest, dass er darum bettelte, geradezu flehte.

Früher hatte er nie gebettelt, daran erinnerte er sich auf einmal.

»Na schön. Die Zeit dafür ist reif. Eine Erinnerung, die wieder andere hervorbringen und dein Denken in die richtigen Bahnen lenken wird.«

Ungeduldig wartete er, doch es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis ein Begriff aus seinem Bewusstsein zum Vorschein trat.

Die Enklave von Tau.

Einen Moment lang geschah nichts. Dann wallten bislang unbekannte Gefühle in ihm empor.

Er verspürte unbändigen Hass und wusste, er war auf dem richtigen Weg.

 

*

 

Zeit verging, doch der Hass blieb.

Die Stimme behielt recht. Die Erinnerung an die Enklave von Tau ließ weitere Assoziationen in ihm entstehen. Keine konkreten Erinnerungen, eher verschwommene Eindrücke, doch sie füllten ihn aus.

Ein Wesen ohne Erinnerungen war ... leer. Wertlos.

Immer neue Begriffe drangen an die Oberfläche und beschworen weitere herauf.

Der Befreier ... Er hatte den Befreier eingesetzt. Als letzte Möglichkeit. Er hatte keine andere Wahl gehabt.

befreit