Cover

titel.jpg
ÜBER DAS BUCH:
»Stählerner Sarg«, »Zeitbombe«, »Umwelt-Gefahr« – wohl kaum ein deutsches Kriegsschiff hat international für mehr Schlagzeilen gesorgt als der Schwere Kreuzer BLÜCHER. Seit mehr als 70 Jahren liegt er kieloben auf dem Grund des Oslo-Fjords in 90 Metern Tiefe, versenkt von uralten Krupp-Kanonen. Die Essener Waffenschmiede hatte die Geschütze 1892 nach Norwegen geliefert. Zwei Volltreffer besiegelten schließlich das Schicksal des Schweren Kreuzers, bereiteten der Jungfernfahrt am 9. April 1940 ein jähes Ende. Hunderte von Soldaten ertranken oder verbrannten. Dabei galt das damals modernste Schiff der deutschen Kriegsmarine als unsinkbar. Nach dem Inferno im Morgengrauen hielt BLÜCHER bis heute die Menschen in Atem. Aus dem Wrack blubberte Öl. Ein buntschillernder Fleck markierte die Untergangsstelle. Norwegen drohte die schlimmste Naturkatastrophe – bis zur »Operation Blücher«.
DIE AUTOREN:
Frank Binder wurde am 23. Februar 1958 in Hannover geboren. Er ist der Enkel von Kapitän zur See, Erich Heymann, dem ehemaligen Ersten Offizier der BLÜCHER. Nach der Bundeswehrzeit studierte Binder Volkswirtschaftslehre in Kiel, volontierte bei den »Uetersener Nachrichten« und der »Bergedorfer Zeitung«. Über Hamburg-Information, Hapag-Lloyd und WELTHANDEL-Wirtschaftsmagazin kam er 1987 zum Axel Springer Verlag. Er war dort unter anderem Redaktionsleiter der BILD-Zeitung sowie Ressortleiter der Hamburg-Ausgabe für Wirtschaft und Schifffahrt. 1998 wechselte er in gleicher Funktion als Leiter der Wirtschaftsredaktion zur Tageszeitung »Die Welt« in Hamburg und arbeitete dort auch als überregionaler Korrespondent. Seit 2006 ist er Chefredakteur »THB Täglicher Hafenbericht Deutsche Schiffahrts-Zeitung« bei der zur Rheinischen Post Mediengruppe gehörenden DVV Media Group in Hamburg.
Hans H. Schlünz wurde am 29. Oktober 1916 in Hamburg geboren. Ab 1934 fuhr er zur See. Am 9. April 1940 gehörte Schlünz an Bord des Torpedobootes KONDOR zum Verband der BLÜCHER. Im Jahr 1943 legte er das Obersteuermannsexamen ab. Bis Kriegsende fuhr er auf Minensuchern, zuletzt als Kommandant. Seit 1948 arbeitete Schlünz als seefachmännischer Berater für den NWDR/NDR, war von 1949 bis 1951 auch bei der Hamburger Morgenpost. Danach wirkte er bis 1980 bei maritimen Radiosendungen des NDR mit. Schlünz ist Ehrenbürger von Annapolis/Maryland (USA), bekam das Bundesverdienstkreuz. 1982 übernahm er den Vorsitz der Hamburg-Gesellschaft e.V. Schlünz starb Ende Januar 2000.
Fotonachweis:
Aftenposten / Oslo: (3)
Foto Ambor, Hamburg: (1)
Bundesarchiv Koblenz: (1)
Sammlung/Foto Binder, Hamburg: (10)
Sammlung Bieler/Goerz, Dorfmark: (13)
Sammlung Enger, Dröbak: (1)
Sammlung Hövding, Oslo: (4)
Siggi Mehrens, Hamburg / Copyright by BIlD-Zeitung: (1)
Norges Sjökrig 1939/40 von Rolf Scheen im John Griegs Forlag 1947, Oslo: (2)
Sammlung Röhlig, Leverkusen: (12)
Sammlung Schlünz, Hamburg (1) und Dokumente (5)
Ferd. Urbahns, Eutin: (3)
Wilhelmshavener Zeitung: (2)
Sammlung Wessel, Quickborn: (1)
Nicht bei allen Fotos konnten die Inhaber der Bildrechte ermittelt werden.
Der Verlag bittet freundlich um Kontaktaufnahme:
Maximilian Verlag GmbH & Co. KG
Ballindamm 17
20095 Hamburg
Ein Gesamtverzeichnis der lieferbaren Titel schicken wir Ihnen gerne zu. Bitte senden Sie eine E-Mail mit Ihrer Adresse an: vertrieb@koehler-books.de
Sie finden uns auch im Internet unter: www.koehler-books.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar
eISBN 978-3-7822-1131-4
© 2001 by Koehlers Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg
© 2014 by Maximilian Verlag, Hamburg
Ein Unternehmen der Tamm Media
Alle Rechte vorbehalten
Produktion: Mirja Hübner

Inhalt

Einführung
Der Stapellauf
Die Vorgänger der BLÜCHER
Gebhard Leberecht von Blücher
Der Begriff »Schwerer Kreuzer«
Kriegstagebuch Kreuzer BLÜCHER vom 13. November 1939 bis 31. März 1940
Endspurt an Bord – die letzten Werft-Tage
Der Operationsplan
Gliederung der gesamten Flotte
Das Unternehmen »Weserübung«
Der Marsch nach Norden
Einfahrt in den Oslo-Fjord
Die erste Sperre
Landung auf Rauöy
Landung auf Bolärne
Kampf vor Horten
Eroberung von Horten
BLÜCHER marschiert weiter
Die Festung Oscarsborg
Der Untergang
Mittschiffs auf 75 Meter Länge – jeder Schuß ein Treffer
Gerettet – Überlebende berichten
Die geheimnisvollen Papiere
Fjord in Flammen – zehnstündiges Bombardement
Unruhe in Oslo – wo bleiben die Schiffe?
Kritik und Vorwürfe nach dem Untergang
Kriegstagebuch »BLÜCHER – Oslo« vom 9. bis 23. April 1940
Das Wrack im Oslo-Fjord
Daten zum Öl
Erster Bergungsversuch
Die Donald-Duck-Methode
Tod in 70 Meter Tiefe
Die »Operation BLÜCHER«
Dank
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personenregister
Kartenausschnitt Oslo-Fjord
Bildtafeln

Kreuzer »BLÜCHER«

seite007.jpg
Deutsche Werke Kiel A.-G.
Vordere Querschnitte|6|
seite008.jpg
|7|
seite009.jpg
|8|

Der Weg der »Blücher«

seite010.jpg
|9|

Einführung

Die deutsche Marinerüstung zwischen beiden Weltkriegen entwickelte sich bis zur Jahreswende 1938/39 im Rahmen vertraglicher Vereinbarungen, die das Reich eingehen mußte bzw. mit Großbritannien frei vereinbarte. Am Anfang stand 1919 der Friedensvertrag von Versailles, der alle deutschen Streitkräfte drastisch begrenzte und damit auch die personelle und materielle Struktur der Reichsmarine bestimmte. Den vorläufigen Abschluß bildete 1935 das deutsch-britische Flottenabkommen, das die künftige Größe der deutschen Marine auf 35 Prozent der Gesamtflottenstärke des britischen Weltreiches festlegte.
Die im Versailler Vertrag vorgeschriebene zahlenmäßige Höchstgrenze der im Dienst befindlichen Seestreitkräfte lag bei sechs älteren Linienschiffen, sechs Leichten Kreuzern, 12 Zerstörern und 12 Torpedobooten. U-Boote und Flugzeuge waren generell verboten. Damit fehlten der Marine moderne Waffensysteme, ohne die ein künftiger Seekrieg kaum denkbar schien. Die erlaubten Kriegsschiffe durften nur nach einer festgelegten Altersfrist durch Neubauten mit vorgeschriebener Wasserverdrängung ersetzt werden, z. B. bei gepanzerten Schiffen 10000 Tonnen. Der Personalumfang war auf 15000 längerdienende Freiwillige festgelegt.
Der materielle Neubeginn setzte erst allmählich mit dem Bau von einigen Torpedobooten und Leichten Kreuzern ein. Internationales Aufsehen erregte dagegen das Projekt eines 10000-t-Panzerschiffes. Dieses bemerkenswerte Schiff, das 1927 entworfen wurde, ist in seiner Konzeption nur verständlich vor dem Hintergrund der internationalen Seerüstung, deren Entwicklung ab 1922 durch ein Flottenabkommen der führenden Seemächte geprägt war.
Nach 1919 waren die Siegermächte des Ersten Weltkrieges aus wirtschaftlichen Gründen daran interessiert, ihre Rüstungsausgaben zu begrenzen. Die amerikanische Regierung ergriff die Initiative und lud im Herbst 1921 die größeren Seemächte Großbritannien, Japan, Frankreich und Italien zu einer Konferenz ein, um eine Reduzierung der Flottenstärken und eine Rüstungspause durchzusetzen. Zwei Mächte blieben dabei unberücksichtigt: das Deutsche Reich, das durch den Versailler Vertrag ohnehin in seinen Seerüstungen begrenzt war, und die Sowjetunion, die diplomatisch nicht zur Kenntnis genommen wurde.
Die fünf Mächte vereinbarten im Februar 1922 ein Stärkeverhältnis der Flotten zueinander anhand der Gesamttonnage der Großkampfschiffe und Flugzeugträger: Die Vereinigten Staaten und Großbritannien durften bei den Großkampfschiffen eine Gesamttonnage von 525000 ts besitzen, während die Obergrenze für Japan bei 315000 ts und für Frankreich und Italien bei jeweils 175000 ts lag. Darüber hinaus wurde für Großkampfschiffe ein Baustopp und eine Baupause von 10 Jahren vereinbart. Die qualitative Beschränkung bezog sich auf Altersgrenze, maximale Tonnage und Bewaffnung für Großkampfschiffe und Flugzeugträger.
Mit Ausnahme der Flugzeugträger galt jedes Schiff über 10000 Tonnen oder mit einem Geschützkaliber von über 20,3 cm als Großkampfschiff. Damit waren gleich|10|zeitig die Grenzen der künftigen Kreuzerbauten markiert: bis 10000 ts Größe oder maximal 20,3-cm-Geschütze.
Die möglichen Operationsgebiete und die vorhandenen Stützpunkte der Vertragsmächte hatten bislang dazu geführt, daß diese bei ihren Kriegsschiffen unterschiedliche Fahrstrecken und damit Brennstoffvorräte berücksichtigen mußten. Um nun für alle Beteiligten die gleichen Voraussetzungen zu schaffen, wurde für die Größe der einzelnen Schiffstypen eine »Standard-Wasserverdrängung« (auch Typ-Verdrängung genannt) eingeführt. Diese Verdrängung umfaßt das Gewicht des vollständig ausgerüsteten und seeklaren Schiffes, angegeben in englischen tons (ts.) Nicht enthalten ist darin das Gewicht des Brennstoffes und des Speisewassers1. Unter Anwendung der Standard-Verdrängung konnte jetzt jede Marine im Vergleich zum potentiellen Gegner gleichwertige Schiffe bauen, was die Gewichtsanteile für Panzerung, Bewaffnung und Antriebsanlage betraf.
Die generelle Schwäche des Flottenabkommens lag darin, daß es die Seestreitkräfte nicht insgesamt, sondern lediglich die beiden wichtigsten Kriegsschifftypen, Großkampfschiff und Flugzeugträger, nach Zahl und Größe begrenzte. Eine Baubeschränkung für leichte Seestreitkräfte, insbesondere für U-Boote, fehlte ebenso wie eine Begrenzung der Seeluftstreitkräfte und des Personals. Die britische Forderung nach einer generellen Abschaffung der U-Boote war am Widerstand vor allem Frankreichs gescheitert.
Mit dem Washingtoner Abkommen war die künftige Struktur der Flotten auf Jahre hinaus festgeschrieben. Bei allen Seemächten dominierte das relativ langsame Großkampfschiff mit schwerer Artillerie. Lediglich Großbritannien und Japan besaßen noch Schlachtkreuzer, die bis zu 30 Knoten erreichten. Die Baupause bei den Großkampfschiffen und die Festlegung der Obergrenze bei den Kreuzern führten dazu, daß ein neuer Schiffstyp entstand – der Schwere Kreuzer: schnell, leicht gepanzert und mit einer Hauptbewaffnung von 20,3-cm-Geschützen.
Als sich Ende der 1920er Jahre ein Wettrüsten im Kreuzerbau abzeichnete, kam es im Frühjahr 1930 in London zwischen den USA, Großbritannien und Japan zu neuen Verhandlungen, die zum Londoner Flottenabkommen führten. Die Vertragspartner vereinbarten nicht nur eine Fortsetzung der Baupause für Großkampfschiffe bis 1936, sondern legten jetzt auch ihre jeweilige Gesamttonnage für Kreuzer, Zerstörer und U-Boote fest. Dabei wurden die Kreuzer je nach Artilleriebewaffnung in die Unterklassen A (= Schwerer Kreuzer maximales Geschützkaliber 20,3 cm) und B (= Leichter Kreuzer, maximales Geschützkaliber 15,5 cm) eingeteilt2.
In Berlin wurden die Auseinandersetzungen der großen Seemächte aufmerksam beobachtet. Bereits im Sommer 1923 kam die Marineleitung zu dem Ergebnis, daß die stillschweigende Übernahme der in Washington neu eingeführten »Standard-Verdrängung« Vorteile bringen würde. Denn im Versailler Vertrag fehlte bei der Begrenzung der Schiffsgröße eine genaue Definition der Wasserverdrängung. Nun war es möglich, die erlaubten Neubauten gegenüber der früheren Berechnungsgrundlage der Konstruktionsverdrängung (fertig ausgerüstetes Schiff mit 50 Prozent der Brennstoffvorräte an Bord) um etwa 20 Prozent zu vergrößern, ohne den Friedensvertrag zu verletzen3.|11|
Bei der Planung für den Ersatz der alten Linienschiffe ging die Marineleitung nach mehreren vergeblichen Anläufen, die zu keinem überzeugenden Kompromiß zwischen Standfestigkeit und Schlagkraft geführt hatten, ab 1927 neue Wege. Da der Kern der französischen Flotte, die als potentieller Gegner angesehen wurde, aus langsamen Großkampfschiffen und schnellen Schweren Kreuzern bestand, gab die Marineleitung ihrem 10000-t-Ersatzbau mit sechs 28-cm-Geschützen und einer Geschwindigkeit von 28 Knoten ganz bewußt die Eigenschaften eines »Kleinen Schlachtkreuzers«, um den Kreuzern zumindest artilleristisch und den Großkampfschiffen geschwindigkeitsgemäß überlegen zu sein.
Die Marineleitung sah jedoch im Panzerschiffbau nicht allein eine militärische Notwendigkeit, sondern auch einen militärpolitischen Hebel, um die in Washington 1922 ohne deutsche Beteiligung festgelegte Systematik der internationalen Seerüstung zu stören, damit Deutschland die Chance erhielt, wieder in den Kreis der Seemächte aufgenommen zu werden. Die Einbeziehung Deutschlands in das Washingtoner Flottenabkommen wäre einer weitgehenden Annullierung der im Friedensvertrag festgelegten Rüstungsbeschränkungen für Seestreitkräfte gleichgekommen, da durch die Festlegung einer auch noch so geringen deutschen Gesamttonnage die Reichsmarine mehr Freiheit bei der Konstruktion des Einzelschiffes gewonnen hätte und darüber hinaus U-Boote und Flugzeuge wieder erlaubt gewesen wären.
Die militärische Argumentation, die durchaus für den Panzerschifftyp sprach, wurde auch von einem ausgeprägten machtpolitischen Kalkül der Marineführung getragen. Man wollte eben nicht auf den Status einer »Küstenmarine« absinken, sondern einen Weg gehen, der zu einer maritimen Machtposition des Reiches führen sollte, eine Machtposition, von der die Marineführung glaubte, daß nur diese dem deutschen Wirtschaftspotential angemessen sei4. Derartige Zielvorstellungen waren in einer parlamentarischen Demokratie kaum durchzusetzen. Es bedurfte erst einer diktatorischen politischen Führung, die von vornherein gewillt war, Streitkräfte nicht allein zur Landesverteidigung, sondern vor allem zur Erreichung einer deutschen Hegemonialstellung in Europa einzusetzen.
Nach der Machtübernahme durch Hitler im Jahre 1933 spielte die Marinerüstung zunächst nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn bald die Beschränkungen des Versailler Vertrages fielen und die Marine ab 1935 wieder über eigene Seeluftstreitkräft und U-Boote verfügte. Die Konzeption des Panzerschiffes als »Kleiner Schlachtkreuzer« wurde in Frankreich durchaus erkannt und führte bald darauf zu entsprechenden Reaktionen in Gestalt von neuen Schlachtkreuzern, die den deutschen Panzerschiffen in jeder Hinsicht überlegen waren.
Die Überlegungen der Reichsmarine für den künftigen Bau großer Einheiten konzentrierten sich daraufhin mehr und mehr auf schnelle Großkampfschiffe, die den vergleichbaren Einheiten der französischen Marine ebenbürtig, wenn nicht überlegen sein sollten. Der durchaus naheliegende Gedanke, mit den bisherigen Panzerschiffen und einer neuen taktischen Konzeption (Kampfgruppen) den gegnerischen Großkampfschiffen Paroli zu bieten, wurde zwar erwogen, doch dann verworfen. Die Forderung nach Gleichberechtigung überlagerte das Problem, welche Funktion Großkampfschiffe bei der Lösung der wichtigsten Kriegsaufgaben einer deutschen Marine eigentlich übernehmen sollten und konnten.|12|
Die Aufrüstung der Marine nach 1933 benötigte etliche Jahre, die es außenpolitisch abzusichern galt. Daher drängte Hitler auf eine zeitlich begrenzte Beschränkung der Flottenstärke auf etwa ein Drittel der britischen Flotte, denn er hoffte langfristig auf ein Bündnis mit Großbritannien. Im übrigen ließ sich anhand der vorhandenen Werftkapazitäten ohnehin absehen, daß der Bau einer größeren Flotte auf Jahre hinaus überhaupt nicht möglich war. London ging auf das deutsche Angebot ein und schloß am 18. Juni 1935 mit dem Reich ein Abkommen, das die Gesamttonnage der deutschen Marine und die Gesamttonnage ihrer einzelnen Schiffstypen auf 35 Prozent der Gesamtflottenstärke des britischen Weltreiches begrenzte. Lediglich bei den U-Booten gab es eine Ausnahme, die Deutschland unter bestimmten Bedingungen einen Anteil bis zu 100 Prozent zubilligte. Es entstand nun eine sogenannte Normalflotte, die das verkleinerte Spiegelbild der Royal Navy war5. Die Marineführung in Berlin verfuhr nach der Maxime, was die übrigen Seemächte für richtig halten, müsse auch für die eigene Marine gelten. So übernahm die Kriegsmarine auch den Typ des Schweren Kreuzers, ohne sich vorher darüber Gedanken gemacht zu haben, welchen Stellenwert dieser Schiffstyp im Rahmen der operativen Planungen für eine mögliche Auseinandersetzung mit Frankreich überhaupt einnehmen sollte.
Bereits 1937 zeichnete sich ab, daß ein deutsch-britischer Konflikt nicht mehr auszuschließen war. Die Kriegsmarine mußte sich erneut mit dem Gedanken eines Seekrieges gegen Großbritannien auseinandersetzen und stellte bei den ersten Überlegungen schnell fest, daß die dafür erforderliche Flotte in wenigen Jahren den Rahmen des deutsch-britischen Flottenabkommens sprengen würde. Auf Anweisung Hitlers entstand 1938 der Plan für eine Schlachtschiff- und Panzerschiff-Flotte, die ab 1944/45 in der Lage sein sollte, im Atlantik gegen die britischen Seeverbindungen zu operieren. Im Januar 1939 erhielt die Marine für den Bau dieser gigantischen Flotte die höchste Priorität in der gesamten deutschen Rüstungsproduktion.
Der deutsche Einmarsch in die Tschechoslowakei und die Kündigung des deutsch-britischen Flottenabkommens im Frühjahr 1939 waren allerdings für die nun wachsam gewordenen Westmächte offenkundige Warnsignale, die auf den künftigen Konfrontationskurs der deutschen Politik hinwiesen. Die ehrgeizige Flottenplanung blieb auf dem Papier stehen, nur sieben Monate später begann Hitler mit dem brutalen Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg.
Im September 1939 sah sich die Marine mit einem zehnfach überlegenen Gegner konfrontiert, der darüber hinaus noch über eine hervorragende seestrategische Position verfügte. Für den sofortigen Einsatz im Atlantik waren nur zwei Panzerschiffe und 26 U-Boote verwendungsbereit. Eine kriegsentscheidende Wirkung konnte von derart schwachen Seestreitkräften nicht erwartet werden. Angesichts dieser völlig hoffnungslosen Lage war in der Marine von einer Kriegsbegeisterung nichts zu spüren. Ihr Oberbefehlshaber, Großadmiral Dr. h.c., Erich Raeder, hielt in einer Aufzeichnung zum Kriegsbeginn resigniert fest, daß die Marine für den Kampf gegen England keineswegs gerüstet sei und daß ihre Überwassereinheiten nur zeigen könnten, »daß sie mit Anstand zu sterben verstehen«6. Raeder zog jedoch aus dieser |13|deprimierenden Lagebeurteilung keine persönlichen Konsequenzen, sondern stellte sich weiterhin einem Diktator zur Verfügung, der alles auf eine Karte gesetzt hatte und sich nun immer noch der trügerischen Hoffnung hingab, den vom Zaune gebrochenen Krieg zeitlich und räumlich begrenzen zu können. Demgegenüber ging die Marineführung schon sehr frühzeitig davon aus, daß eine lange Auseinandersetzung mit dem angelsächsischen Gegner bevorstand, die vor allem im Atlantik ausgetragen und entschieden werden mußte.
Die Ausgangsbasen für die deutsche Seekriegführung lagen wie im Ersten Weltkrieg am Südrand der Nordsee. Doch bereits am 3. Oktober 1939 hielt es Raeder für notwendig, Hitler bald »über die Möglichkeit zur Ausweitung der Operationsbasis nach Norden vertraut zu machen«7. Aus dieser ersten Anregung, die am 10. Oktober dem »Führer« vorgetragen und anschließend von Raeder immer wieder zur Sprache gebracht wurde, entstand der Plan zur gewaltsamen Sicherung der Nordflanke, um die Erzzufuhren aus Narvik zu schützen und damit gleichzeitig den Weg der eigenen Seestreitkräfte in den Atlantik zu verkürzen. Im Januar 1940 begann das Oberkommando der Wehrmacht mit den ersten operativen Vorbereitungen, doch Hitler blieb zunächst noch unschlüssig, ob das Unternehmen überhaupt anlaufen sollte8. Als sich im Februar 1940 die »Gefahr einer großen Aktion der Westmächte in Skandinavien« abzeichnete, um dem in einem schweren Abwehrkampf gegen die Sowjetunion stehenden Finnland zu helfen, war die Seekriegsleitung entschlossen, jede Festsetzung Englands in Norwegen »mit allen zu Gebote stehenden Mitteln« zu verhindern9. Nach der Weisung Hitlers vom 1. März 1940 (»Fall Weserübung«) sollte das Vorgehen gegen Norwegen und Dänemark »den Charakter einer friedlichen Besetzung« haben10. Unter der scheinheiligen Zielsetzung »bewaffneter Schutz der Neutralität« dieser Staaten begannen die konkreten Vorbereitungen einer weiteren deutschen Aggression, obwohl die letzte Entscheidung Hitlers erst am 2. April fiel. Die spätere Entwicklung der Ereignisse führt leicht zu der irrigen Einschätzung, als habe Deutschland nur auf das erkennbare Vorgehen der Alliierten reagiert. Tatsächlich kam jedoch der entscheidende Anstoß von Raeder persönlich, der dann im März gegenüber Hitler mehrfach auf die Durchführung des Unternehmens drängte, obwohl nach dem überraschenden sowjetisch-finnischen Friedensschluß vom 12. März eine massive militärische Intervention der Westmächte in Nordeuropa höchst unwahrscheinlich geworden war11.
Die Kriegsmarine mußte für das riskante Unternehmen alle verfügbaren Seestreitkräfte einplanen, so daß der direkte Seekrieg gegen Großbritannien praktisch zum Erliegen kam. Die verantwortlichen Offiziere in der Seekriegsleitung waren sich darüber im klaren, daß »die Unternehmung an sich gegen alle Regeln der Seekriegslehre« verstoße, da in dem Operationsgebiet die Seeherrschaft »eindeutig in der Hand des Gegners« liege. Alle Erfolgserwartungen konzentrierten sich daher auf die Ausnutzung des Überraschungsmoments12.
Bei der Einsatzplanung für die schweren Einheiten mußte die Marine auch Eingriffe der Wehrmachtführung hinnehmen, die für die Besetzung von Oslo das prestigeträchtige Erscheinen moderner großer Schiffe anstrebte und offensichtlich fest davon überzeugt war, daß dies ohne jede Gegenwehr durch norwegische Streitkräfte |14|gelingen werde. So unterblieb bei den operativen Vorbereitungen für das Einlaufen in die engen und gefährlichen Gewässer des Oslo-Fjords ein nüchternes Abwägen der Erfolgsaussichten und Risiken. Dieses Versäumnis wurde dem Schweren Kreuzer Blücher zum Verhängnis.
Werner Rahn|15|

Der Stapellauf

8. Juni 1937, Kiel.
Es war ein herrlicher Sommertag, blauer Himmel, strahlender Sonnenschein. Eine leichte Brise kräuselte das Wasser der Förde. Über den Docks, Hallen und Kränen am Hafen flatterten bunte Fahnen.
Die »Deutsche Werke Kiel Aktiengesellschaft« hatte geflaggt, präsentierte sich festlich. Aus gutem Grund. Denn das modernste deutsche Schiff sollte getauft werden und vom Stapel laufen. Dazu erwartete der Traditionsbetrieb hohen Besuch mit vielen Ehrengästen, darunter auch Generaladmiral Dr. h.c. Erich Raeder, den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine.
»Die Werfttore werden um 10 Uhr geöffnet«, stand auf den Einladungskarten. Doch Stunden vorher bevölkerten bereits Zehntausende von Menschen die Zufahrtsstraßen. Die Massen strömten aus allen Teilen des Reiches herbei, drängten ungeduldig und erwartungsvoll gegen das Hauptportal. Als der Eingang schließlich pünktlich freigegeben wurde, gab es für die meisten Schaulustigen kein Halten mehr. Wie im Wettkampf stürzten die ersten Zuschauer auf ihre Plätze. Nachdem sich der Trubel gelegt hatte, begann die feierliche Zeremonie. Die Taufrede hielt Admiral Conrad Albrecht, Kommandierender Admiral der Marinestation der Ostsee.
Er sagte u. a.: »Im Aufbau der Kriegsmarine ist heute ein wichtiger (…) Tag. Vor unseren Augen steht ablaufbereit der Eisenrumpf eines neuen Kriegsschiffes, des schweren Kreuzers G. Im Namen der Kriegsmarine und meines Oberbefehlshabers danke ich allen (…), die das vor uns stehende Werk ersannen und erbauten (…). Der Kreuzer G soll den Namen des Mannes tragen (…), der vor 130 Jahren (…) die preußischen Fahnen (…) zu neuen Siegen führte: Feldmarschall Fürst Blücher von Wahlstatt (…). Noch als Greis war er seinen Soldaten ein (…) Beispiel (…). Er konnte von seinen Truppen Unmögliches verlangen, wenn sein ›Vorwärts‹ aus seinen Augen blitzte.
(…) Zum dritten Mal soll nun ein deutsches Kriegsschiff den Namen BLÜCHER führen (…). Wir gedenken dabei des Panzerkreuzers BLÜCHER unter (…) dem Kommando von Fregattenkapitän Erdmann, der in der Doggerbank-Schlacht am 24. Januar 1915 durch überlegenes Artilleriefeuer und Torpedotreffer schwer beschädigt (…) sank. Achthundert deutsche Soldaten ließen hierbei ihr Leben (…).«
Albrecht schloß seine Ansprache mit der obligatorischen Lobeshymne auf Adolf Hitler, dem »aus dankbarem Herzen unbedingte Gefolgschaft bis zum letzten« gelobt wurde. Von den Ehrengästen und Zuschauern ahnte niemand, wohin die so gepriesene »unbedingte Gefolgschaft« in wenigen Jahren führen sollte. Man sah ja nur die vermeintlichen »Erfolge« des Diktators und applaudierte den markigen Worten des Admirals kräftig. Dann jubelte die Menge der Taufpatin zu. Frau Erdmann, die Witwe des mutigen BLÜCHER-Kommandanten von der Doggerbank-Schlacht, wünschte: »Dem Schiff und seiner Besatzung allzeit gute Fahrt und stets eine Handbreit Wasser unterm Kiel!«|16|
Sekunden später zerplatzte eine Sektflasche am Bug. Um 12 Uhr rauschte der Schwere Kreuzer vom Helgen – erst ganz langsam und dann immer schneller, begleitet von begeisterten Zurufen und lautem Typhon-Geheul im Hafen.|17|

Die Vorgänger der BLÜCHER

Rund 60 Jahre zuvor war gleich nebenan, bei der Norddeutschen Schiffbau AG (später Krupp-Germaniawerft), die erste BLÜCHER entstanden. Das Schiff war am 20. März 1877 vom Stapel gelaufen und hatte fast 2,7 Millionen Reichsmark gekostet.
s-15.jpg
Die technischen Daten:
Größe: 2756 Tonnen
Länge: 72,20 Meter
Breite: 13,75 Meter
Tiefgang: 5,5 Meter
Maschinenleistung: 2500 PS
Geschwindigkeit: 13,8 Knoten
Besatzung: 400 Mann
Bewaffnung: 2 Stück 15-cm-Ringkanonen; später 2 bis 4 Stück 8-cm-Boots- oder Stahlkanonen; 6 Stück 3,7-cm-Rev.-Kanonen.
Die gedeckte Korvette wurde schon während der Probefahrt zum Versuchsschiff für die damals in der Entwicklung begriffenen Torpedowaffen bestimmt. Einer der eifrigsten Verfechter der neuen Waffe war Alfred von Tirpitz, zunächst Erster Offizier und ab 1881 als Korvettenkapitän Kommandant des Schiffes. Unter seiner Führung trat die Geschützbewaffnung in den Hintergrund. Die Über- und Unterwassertorpedorohre an Bug, Heck und den Breitseiten gaben für Versuche vielfältige Möglichkeiten.
Bei der Parade vor Kaiser Wilhelm I. fuhr BLÜCHER von Friedrichsort her einen Angriff auf das in der Wiker Bucht gelegene frühere Transport- und Wohnschiff ELBE. Aus einer Entfernung von nur 400 Metern wurde aus dem Bugrohr ein Torpedo abgefeuert, der genau mittschiffs traf. Von der ELBE blieb nichts mehr übrig. Als Torpedo-Schulschiff und Begleitschiff der Torpedo-Flottillen war BLÜCHER dauernd im Dienst. Oft lag das Schiff auch zur Ausrüstung oder Instandsetzung in der Kaiserlichen Werft.|18|
»Positives ist leider nicht festzustellen«, vermerkte der Chronist der Deutsche Werke Kiel Aktiengesellschaft.
1902 kam das Schiff für den Rest seiner Dienstzeit nach Flensburg-Mürwik. Die letzte Schießübung fand am 25. September 1906 statt. Am 6. November 1907 gab es an Bord eines Kesselexplosion. Mehrere Soldaten starben, viele wurden verletzt. Danach wurde BLÜCHER außer Dienst gestellt. Zwei Jahre später erwarb eine Rotterdamer Firma für 142000 Mark das Schiff, um es weiterzuverkaufen. Im spanischen Hafen Vigo wurde Blücher als Kohlenhulk aufgebraucht.
Am 11. April 1908 lief der Panzerkreuzer BLÜCHER (auch Großer Kreuzer genannt) vom Stapel.
s-16.jpg
Die technischen Daten:
Größe: 15842 Tonnen
Länge: 161,5 Meter
Breite: 24,46 Meter
Tiefgang: 8,56 Meter
Maschinenleistung: 34000 PS mit drei stehenden vierzylindrischen Dreifachexpansionsmaschinen und 16 Wasserrohrkesseln gebaut auf der Kaiserlichen Werft in Kiel.
Geschwindigkeit: 25,8 Knoten
Besatzung: 888 Mann
Bewaffnung: 12 Stück 21 cm L/45; 6 Stück 15 cm L/45; 16 Stück 8,8 cm L/45; 2 Maschinengewehre; 4 Torpedorohre 45 cm/Unterwasser
Panzerung: Panzerdeck 50 bis 70 mm; Gürtelpanzer 120 bis 180 mm; Turmschutz 80 bis 180 mm
Baukosten: 28532000 Mark
Bauzeit: Winter 1906 bis Herbst 1909.
Am 1. Septemer 1909 wurde der Große Kreuzer in Dienst gestellt, zunächst mit einem einfachen Fockmast. Später, im Dezember 1914, bekam BLÜCHER als erstes Schiff der Kaiserlichen Marine einen Dreibeinmast. Bis Februar 1910 absolvierte der Kreuzer seine Probefahrten. Am 24. April 1910 wurde BLÜCHER das Flaggschiff des Befehlshabers der Aufklärungsschiffe. Es folgten verschiedene Übungs- und Auslandsreisen in dänische, norwegische und schwedische Gewässer.|19|
Im Oktober 1911 verließ BLÜCHER die Hochseeflotte, trat als Artillerie-Versuchsschiff an die Stelle des veralteten Panzerkreuzers PRINZ ADALBERT. Kurz vor Beginn des Winters geriet BLÜCHER auf der Rückreise von einer Schießübung im Großen Belt auf Grund. Nach zwei Tagen war das Schiff wieder flott, mußte aber zu umfangreichen Reparaturen in die Kaiserliche Werft Kiel. 1912 lief der Kreuzer mit dem Linienschiff ELSASS zum Versuchsschießen im Nordatlantik aus. Die Übungen fanden in der Nähe der Faröer statt.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges lag BLÜCHER in der Werft in Kiel, aber schon am 8. August 1914 nahm das Schiff Kurs auf die Jade zum Vorpostendienst in der I. Aufklärungsgruppe. Ende August stieß BLÜCHER als Flaggschiff des Großadmirals Prinz Heinrich von Preußen in die östliche Ostsee vor. Am 3. September folgte in Begleitung des IV. Geschwaders der Wittelsbach-Klasse ein weiterer Vorstoß in den Finnischen Meerbusen. Am 6. September traf BLÜCHER mit zwei russischen Panzerkreuzern der »Bajan«-Klasse (je 8000 Tonnen) zusammen. Zum Gefecht kam es jedoch nicht, die kaiserlich-russischen Schiffe drehten ab. Nach einer kurzen Demonstration vor Windau am 7. September folgten Rückmarsch und Rückkehr in die Nordsee. Dort nahm BLÜCHER zusammen mit den Schlachtkreuzern SEYDLITZ, MOLTKE und VON DER TANN am 2./3. November an der ersten Beschießung der britischen Ostküste bei Yarmouth teil. Nur sechs Wochen später, am 15./16. Dezember, folgte ein zweiter Vorstoß gegen Hatlepool, Whitby und Scarborough.
BLÜCHER, MOLTKE und SEYDLITZ hatten die Aufgabe, die befestigte Küstenstadt Hatlepool anzugreifen und die englischen Küstenbatterien zu zerstören. Aber bevor dies gelang, erlebte BLÜCHER unter dem Kommando von Fregattenkapitän Erdmann seine Feuertaufe.
Das Schiff wurde viermal getroffen. Es gab neun Tote, ein 8,8-cm-Geschütz, Visier und Entfernungsmesser eines 21-cm-Geschützturmes wurden zerstört. Doch die Einschläge konnten die Kampfkraft des Panzerkreuzers kaum schwächen. Der Torpedoboot-Angriff des Feindes brach im Abwehrfeuer zusammen, dem herannahenden Gros der »Grand Fleet« mußte jedoch ausgewichen werden. Sämtliche Streitkräfte der deutschen Hochseeflotte, die an dem Unternehmen beteiligt waren, kehrten unversehrt in die Heimat zurück.
Im Dezember wurde BLÜCHER auf der Kaiserlichen Werft in Kiel überholt, Anfang Januar 1915 ging es zurück in die Nordsee.
Am 23. Januar erfolgte erneut ein deutscher Vorstoß gegen die britischen Streitkräfte in der Nordsee. Konteradmiral Hipper, Befehlshaber der Aufklärungsschiffe, hatte das Kommando. Der um 10.25 Uhr durch Funkspruch gegebene Auslaufbefehl lag der britischen Admiralität bereits wenig später entziffert vor.
Um 17.45 Uhr gingen SEYDLITZ als Flaggschiff, MOLTKE, DERFFLINGER und BLÜCHER, vier kleine Kreuzer und 18 Torpedoboote in See.
Fast gleichzeitig machten im Firth of Forth und in Harwich die Engländer unter dem Kommando von Vizeadmiral Sir David Beatty zum Gegenstoß Dampf auf: »Fünf Schlachtkreuzer mit LION an der Spitze, TIGER, PRINCESS ROYAL, NEW ZEALAND und INDOMITABLE, sieben Kleine Kreuzer, 34 Zerstörer setzten sich in Marsch. Als Rückendeckung standen das III. Schlachtgeschwader – alles ältere Linienschiffe – und in weitem Abstand die ›Grand Fleet‹ bereit.|20|
Am nächsten Tag um 9.25 Uhr krachten die ersten Salven. BLÜCHER feuerte mit seinen 21 cm gegen die 34-cm-Geschütze des Feindes. Um 10.12 Uhr schlug der erste Treffer durch LION auf BLÜCHER ein. Um 10.21 Uhr bekam LION einen Gegentreffer. Um 10.43 Uhr erhielt SEYDLITZ einen verhängnisvollen Schlag. Die hinteren Geschütztürme wurden durch einen schweren Pulverbrand außer Gefecht gesetzt und mußten aufgegeben werden. 185 Mann verloren ihr Leben. Auch DERFFLINGER wurde schwer getroffen.
Am schlimmsten aber erwischte es BLÜCHER. Um 11.30 Uhr wurde das Schiff durch einen schweren Treffer in seiner Kampfkraft entscheidend beeinträchtigt. Eine Granate zerstörte eine nur auf diesem Schiff versuchsweise eingebaute Munitionstransportbahn des Mittelganges, durchschlug das Deck, entzündete annähernd vierzig 21-cm-Kartuschen und durchschlug eine Hauptdampfrohrleitung. Mittschiffs entstand ein Flammenmeer, die Geschwindigkeit sank schnell auf 17 Knoten.
Ein Angriff der Torpedoboote sollte den Feind zum Abdrehen zwingen. Zu spät: Weitere Treffer in das immer noch zurückfeuernde Schiff besiegelten sein Schick-sal. Langsam sackte der Panzerkreuzer achteraus und mußte von Konteradmiral Hipper zurückgelassen werden, um mit den übrigen Einheiten der feindlichen Übermacht zu entkommen.
BLÜCHER verlor mehr und mehr seine Kampfkraft, der Gegner überschüttete das Schiff geradezu mit Granaten. Aber niemand an Bord dachte daran, sich zu ergeben. Als schließlich auch das letzte Geschütz an Deck ausfiel, sammelten sich die Überlebenden auf der Schanz und sangen das Flaggenlied. Kurz darauf versank das stolze Schiff in den Fluten. Um 13.13 Uhr war der ungleiche Kampf gegen den übermächtigen Gegner zu Ende.
260 Mann der BLÜCHER-Besatzung wurden von englischen Zerstörern gerettet. Die amtliche britische Darstellung der Schlacht auf der Doggerbank ehrte den Todeskampf des tapferen Gegners BLÜCHER mit den Worten: »Drei Stunden lang, während das Schiff der Brennpunkt einer überwältigenden Feuerkonzentration war, hat es keinen Augenblick aufgehört, das Feuer zu erwidern. Zweimal waren unsere Leichten Kreuzer vorgestoßen, um seine Vernichtung zu vollenden, und zweimal hatte BLÜCHER diese gezwungen, sich wieder zurückzuziehen. Als ein Beispiel von Disziplin, Mut und kämpferischem Geist ist seine Haltung selten übertroffen worden.«
s-19.jpg
Bug-Wappen des Schweren Kreuzers mit zwei diagonal gegenüberliegenden Reichsadlern, in der Mitte zwei Schlüssel, links unten das Eiserne Kreuz und rechts oben der Marschall-Stab mit gekreuztem Schwert, verbunden durch einen Lorbeerkranz. |21|

Gebhard Leberecht von Blücher

Im Zusammenhang mit der offiziellen und fairen Wertung der dramatischen Ereignisse um BLÜCHER durch die Engländer soll an dieser Stelle auch der Mann gewürdigt werden, auf dessen Namen alle drei Schiffe getauft wurden: Gebhard Leberecht von Blücher. Er gilt als einer der tapfersten Soldaten in der deutschen Geschichte. Schon zu Lebzeiten wurde der preußische Feldherr zur Legende.
Er wurde am 16. Dezember 1742 in Rostock als Sohn eines verarmten mecklenburgischen Adligen geboren. Zu Beginn des Siebenjährigen Krieges trat Blücher freiwillig in schwedische Dienste. 1766 nahmen ihn preußische Husaren zunächst gefangen, danach wurde er Offizier Friedrichs des Großen. 1773 schien die militärische Karriere des Stabsrittmeisters von Blücher jäh beendet zu sein. Der 30jährige, der keine geregelte Schulausbildung hatte, der spielte und trank, fühlte sich bei der Beförderung übergangen und protestierte heftig.
Friedrich der Große reagierte ungnädig: »Er soll sich zum Teufel scheren.« 1773 nahm Blücher seinen Hut. Doch 1787 kam der Heißsporn unter Friedrich Wilhelm II. wieder zu Ehren. Als Major trat er in sein altes Regiment ein und zeichnete sich im Krieg der europäischen Monarchien gegen das revolutionäre Frankreich durch offensive Kühnheit als Reiterführer aus. 1801 wurde Blücher zum Generalleutnant befördert. 1805 forderte er in einer Denkschrift die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen.
1813 übernahm er – bereits im hohen Alter stehend – den Oberbefehl über die Schlesische Armee (104 000 russische und preußische Soldaten) und schlug mit Unterstützung seines Generalquartiermeisters Graf August Wilhelm Neidhardt von Gneisenau (1760 bis 1831) die französischen Truppen an der Katzbach. Bei Wartenburg erzwang Blücher den Elbübergang und griff als preußischer Heerführer entscheidend in die Völkerschlacht bei Leipzig ein. Wegen seiner mutigen Attacken zu Pferde an der Spitze des Heeres nannten ihn seine Soldaten »Marschall Vorwärts«.
In der Neujahrsnacht 1813/14 überschritt Blücher mit seinen Truppen bei Kaub den Rhein und besiegte wenig später Napoleon Bonaparte (1769 bis 1821) bei La Rothiere. Den größten Sieg errang der 72jährige Marschall zusammen mit dem britischen General Arthur Wellington (1769 bis 1852). Der aus der Verbannung auf Elba zurückgekehrte Napoleon hatte Blücher am 16. Juni 1815 zwar bei Ligny in Belgien geschlagen, doch dessen Armee nicht vernichtet.
Zwei Tage später griff der französische Kaiser die Engländer bei Waterloo an. Wellington geriet in höchste Bedrängnis und rief: »Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen!« Und die Preußen kamen, mit Blücher an der Spitze, bereiteten Napoleon und seinem Herrschaftsanspruch auf Europa die alles entscheidende Niederlage. Zur Belohnung ernannte ihn der König von Preußen zum Fürsten von Wahlstatt, schenkte ihm Geld und Güter.|22|
Eine Lobrede auf seine Person bedachte er einmal mit den Worten: »Was ist’s, was ihr rühmt? Es war meine Verwegenheit, Gneisenaus Besonnenheit und des großen Gottes Barmherzigkeit.« Die letzten Lebensjahre verbrachte Blücher auf seinen schlesischen Besitzungen. Am 12. September 1819 starb er im Alter von 76 Jahren auf Schloß Krieblowitz bei Breslau. Der Ort wurde 1937 in Blüchersruh umbenannt, heißt heute Krobielowice. |23|

Der Begriff »Schwerer Kreuzer«

Fast drei Jahre vor dem Stapellauf, am 30. Oktober 1934, wurde die dritte BLÜCHER unter der Bezeichnung »G« (Ersatz »Berlin«) in Auftrag gegeben. Alle Risse stammten vom Konstruktionsbüro Burghardt. Die Kiellegung erfolgte am 27. August 1935 auf Helling 2. Der Neubau galt als Schwesterschiff der Schweren Kreuzer ADMIRAL HIPPER (Stapellauf 6. Februar 1937 bei Blohm Voss in Hamburg), PRINZ EUGEN (Stapellauf 22. August 1938 bei der Germania Werft in Kiel), SEYDLITZ (Stapellauf 19. Januar 1939 bei Deschimag in Bremen, 1942 Umbau zum Flugzeugträger) und LÜTZOW (Stapellauf 1. Juli 1939 ebenfalls bei Deschimag in Bremen, 1940 Verkauf an die Sowjetunion).
Die Schiffe waren die ersten sogenannten Washington-Kreuzer. Die Bezeichnung entstand nach dem 1922 dort getroffenen Flottenabkommen zur maritimen Rüstungsbegrenzung.
Die Bezeichnung »Schwerer Kreuzer« ergab sich aus der geschichtlichen Entwicklung. Weil Segelschiffe vom Wind abhängig waren, um einen bestimmten Punkt zu erreichen, mußten sie gegen den Wind kreuzen. Je höher das Schiff an den Wind gehen konnte, desto besser eignete es sich zum Kreuzen und für bestimmte Aufgaben, zum Beispiel Kurierdienste, Aufklärung oder Verfolgung.
Deshalb bürgerte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für derartige Schiffe der Name »Kreuzer« (englisch »cruiser«) ein, der 1884 auch amtlich in der Kaiserlichen Marine eingeführt wurde. Später unterteilte man vorhandene Korvetten nach ihrer Größe in Kreuzerfregatten und Kreuzerkorvetten. Bereits 1893 änderte sich die Einteilung, umfaßte auch kleine, schnelle Depeschenboote.
Dann wurden die Kreuzer in Klassen I bis IV unterschieden, je nach Wasserverdrängung, Panzerschutz und Bewaffnung. Aus den Kreuzern der I. und II. Klasse entwickelte sich der »Große Kreuzer« (ab 1900) und dann der Panzerkreuzer mit Panzerdeck, Seitenschutz, Panzer für die Schiffsführung und schwerer Artillerie (ab 1906), der in seiner letzten Form auch als Schlachtkreuzer bezeichnet wurde. Kreuzer der III. und IV. Klasse wurden als »Geschützte Kreuzer« bezeichnet, wenn sie zumindest ein Panzerdeck besaßen. Als »Ungeschützte« galten die Schiffe, wenn sie ohne jeden Panzerschutz waren. Im Ersten Weltkrieg spielten »Ungeschützte Kreuzer« praktisch keine Rolle mehr. Die »Geschützten Kreuzer« oder »Kleinen Kreuzer« dagegen dienten als Aufklärer, Torpedobootführer und Handelsstörkreuzer.
Ende des Ersten Weltkrieges stellte Großbritannien überrascht fest, daß die amerikanische Flotte die eigene Stärke eingeholt hatte und sogar bald überflügeln würde. Um einen Rüstungs-Wettlauf auszuschließen und Japans Seerüstungen zu begrenzen, lud die amerikanische Regierung die führenden Seemächte zu einer Konferenz nach Washington ein. Das Ergebnis war das bereits erwähnte Flottenabkommen, das die Gesamttonnage und die Anzahl der Schlachtschiffe und Flugzeugträger festlegte. Weil aber die Zahl der Kreuzer nicht begrenzt wurde, stürzten sich die Marinen auf den Bau dieser Kreuzer. Bis Ende der 20er Jahre baute England 15, Japan 11, die |24|USA 9, Frankreich 7 und Italien 5. Neue Verhandlungen in London beendeten 1930 das Wettrüsten in diesem Bereich. Das Ergebnis war die Unterteilung der Kreuzer in »Schwere« und »Leichte«. Der Unterschied: »Schwer« bezog alle Geschütze über 15,5 cm bis einschließlich 20,3 cm ein, »Leicht« alle Geschütze bis 15,5 cm. Damit war der »Schwere Kreuzer« fest und endgültig bestimmt. Das Maß für die Schiffsgröße, ausgedrückt durch das Schiffsgewicht, war die englische Tonne (ts) zu 1016 kg. Dem Gewichtsmaß wurde »standard« angehängt, um den Zustand des Schiffes genau zu bezeichnen, für das dieses Gewicht galt. Die »Standardverdrängung« ist die Summe aller Gewichte von Schiffskörper, Panzer, Haupt- und Hilfsmaschinen, von sämtlichen Waffen und Geräten, von Wasser und Treibstoff in der gesamten Antriebsanlage, ferner die Schlingerdämpfungsanlage und des Ballastes, der Ausrüstung mit Munition aller Art, normaler Verbrauchsstoffe und der Besatzung mit deren Ausrüstung und Lebensmittelbestand, ohne Brennstoff und Speisewasser.
Bis 1935 schränkte der Versailler Vertrag den Bau schwerer Kriegsschiffe in Deutschland ein. Mit dem in diesem Jahr abgeschlossenen deutsch/englischen Flottenvertrag wurde den Deutschen jedoch gestattet, bis zu 35 Prozent der Tonnage der Royal Navy zu bauen. Damit durfte Deutschland fünf Kreuzer nach den Bestimmungen des Washingtoner Vertrages beschaffen.
Diese wurden als A-Klasse (»Hipper«-Klasse) auf Kiel gelegt.
Der erste Entwurf für Schwere Kreuzer war 1934 – als auch mit der Planung der Schlachtschiff-Klasse Bismarck begonnen wurde – vorbereitet worden.|25|
Als besondere Aufgabe war der A-Klasse zugedacht, die französischen Schweren Kreuzer in Schach zu halten und zu verhindern, daß Truppen und Versorgungsgüter von Nordafrika nach Frankreich verschifft würden.
»Die Kriegsmarine hat endlich wieder einen BLÜCHER«, jubelte die gleichgeschaltete nationalsozialistische deutsche Presse beim Stapellauf. Doch bis zur Ablieferung des Schweren Kreuzers dauerte es noch fast zwei Jahre.
Der Werft-Chronist notierte: »Der Fertigbau ging zwar termingerecht, aber unter manchem Stoßseufzer der Kopf- und Handarbeiter vor sich. Denn der Bauplan war aus militärisch sowie technisch unbequemen Kompromissen zusammengesetzt. Man hatte auf dem Papier etwas festgelegt, was sowohl schiffstechnisch als auch militärisch wenig sinnvoll war, aber die Briten wollten es so! Es war nicht zu vermeiden, daß das Schiff vor der endgültigen Fertigstellung manchmal zur Verzweiflung der Hersteller wiederholten Änderungen ausgesetzt war und letzten Endes den Fachmann doch nicht befriedigen konnte. Trotz allem war es ein beachtliches Schiff. Die schwache Artillerie und der damit beeinträchtigte Kampfwert enttäuschte, entsprach jedoch den internationalen Abmachungen. Die Geschwindigkeit konnte dieses Minus jedoch nicht wettmachen.«
s-24.jpg
Die technischen Daten:
Größe: 13900 Tonnen
Länge: 195 Meter in der Konstruktions-Wasserlinie
Länge über Alles: 205,9 Meter
Breite: 21,3 Meter
Tiefgang: 5,8 Meter
Maschinen: Typ: BBC-Einfachgetriebe-Turbinen auf drei Wellen
Maschinenleistung: 132000 PS (Turbinen, Ölfeuerung)
Geschwindigkeit: 32,5 Knoten
Kessel: Typ Wagner. Anzahl: 12
Besatzung: 1380 Mann
Bewaffnung: 8 Stück 20,3-cm-SK L/60 in Doppeltürmen; 12 Stück 10,5-cm-Flak in Doppellafetten; 12 Stück 3,7-cm-Flak in Doppellafetten; 8 bis 28 Stück 2,0-cm-Flak (Vierlinge); 12 Torpedorohre 53,3 cm in Drillingsgruppen; 1 Flugzeugschleuder 3; Flugzeuge (Tiefdecker) vom Typ »Arado 196«
Panzerung: Seite (Gürtel): 70–80 mm
Deck (Ober-): 12–30 mm
(Panzer): 20–50 mm
Haupt-Artillerie: 70–140 mm
Bunkerkapazität: 4320 Tonnen Öl.
Aktionsradius bei 19 Knoten Geschwindigkeit: 6800 Seemeilen.
Wasserverdrängung:
Typ-(Standard-) W.V. offiziell Pt 10160 t 10000 engl. ts
Konstruktions-W.V. offiziell Pk 12192 t 12000 engl. ts
Einsatz-W.V. offiziell Pmax 14224 t 14000 engl. ts
Konstruktions-W.V. real Pk 16490 t
Einsatz-W.V. real Pmax 18694 t
Anmerkung:
Pt: Gewicht des fertig ausgerüsteten Schiffes einschließlich Ausrüstung und Munition, aber ohne Brennstoff und Kesselspeisewasser.
Pk: Probefahrtgewicht mit etwa der Hälfte des gesamten Brennstoffs und Kesselspeisewassers an Bord. Mit dem Pk soll das Kriegsschiff auf der KWL schwimmen.
Pmax: Gewicht mit dem gesamten unterzubringenden Brennstoff und Kesselspeisewasser an Bord.
Baukosten: Etwa 87 855 Millionen Reichsmark.
Sonstiges: Zunächst gerader Steven, später Klipper-Steven.; Bug- und Seitenwulste; Zwei Fla-Richtgeräte; Passiv-Bugsonar
Die Probe- und Übergabefahrten erfolgten am 6. September und 18. September.|26|
Noch etwas zur Technik: Ein besonderes Meisterstück war die Flugzeugschleuder, konstruiert von der Deutschen Werke Kiel Aktiengesellschaft. Die DWK hatte sich seit 1927 mit dieser für eine Werft etwas ausgefallenen Fertigung beschäftigt. DWK-Abteilungsdirektor Otto Richter, später Chefkonstrukteur, erhielt ein Buch mit der Aufschrift »Ganz Geheim« zum Studium. Daraus ging hervor, daß sich die nordamerikanische Marinewerft Philadelphia bereits von 1912 bis 1916 mit Gedanken über eine Flugzeugschleuder beschäftigt hatte. Aber die Idee war weder von den USA noch von England ernsthaft weiterbetrieben worden.