cover


MITTE 3


von

Albrecht Behmel

 

 

 

 


Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: Tilman Hampl

© 110th / Chichili Agency 2014

EOUB ISBN 978-3-95865-245-3

MOBI ISBN 978-3-95865-246-0

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

 

 

Slingapore Singh

Die Wibke Schmidt war diesmal aber so richtig sauer. Sie sagte zu mir:

“Hör endlich auf mit dem Mist, Albrecht, ich brauch das echt nicht!”

Weil: Ich hatte kurz vorher zu ihr gesagt:

“Alles Gute zum Geburtstag! Hier, hab dir was mitgebracht.”

Und dann hat sie ganz wütend auf die Blumen geschaut, die ich ihr hingehalten habe. Also, ich fand die schön, ich meine die Blumen jetzt, rot und grün und unten dran so Blätterkram, da, wo die aus dem Topf rauskommen.

Okay, das Zeug war vielleicht bisschen zerknittert, weil: Ich hab das alles zusammen in meiner Sporttasche transportiert auf dem Heimweg vom Gym, und da ist immer eine Menge Gerät drin, allein meine beiden Kurzhanteln wiegen locker 25 Kilo zusammen. Klar, dass die Blumen da nicht voll dagegen angekommen sind. Ich trainiere nämlich am liebsten mit meinen eigenen Hanteln. Das ist moralisch besser, wenn ihr versteht, was ich meine. Im Gym haben die sich auch schon dran gewöhnt.

 

Aber, was die Wibke Schmidt überhaupt nicht honoriert hat, das war der Gedanke, weil: Blumen sind Blumen, vor allem, wenn sie im Sonderangebot waren - da kann man nichts falsch machen, und das ist immer ein super Geschenk für jeden Geburtstag seit der Steinzeit. Das ist jedenfalls meine Meinung.

Die Wibke Schmidt hat erst aggressiv an den Blumen rumgestrubbelt und mich dann vorwurfsvoll angeschaut, aber auf so eine nervöse Art und Weise. Kein Wunder, dass die Blumen langsam verwelkt aussahen, bei den ganzen Todesstrahlen in der Atemluft.

Pflanzen sind ja unfassbar sensibel für schlechtes Karma und machen dir sofort schlapp, wenn du nicht aufpasst oder hinter ihrem Rücken schlecht über sie sprichst. Die Wibke Schmidt sagte zu mir:

“Du weißt ganz genau, dass ich erst übermorgen Geburtstag hab, Albrecht; hör bitte auf, darauf rumzureiten. Ich bin jetzt noch zwei volle Tage lang 29, und ich werd jede Sekunde genießen! Und jetzt sei bitte endlich mal still; ich muss mich nämlich grad konzentrieren …”

Ich sagte:

“Wie jetzt?”

Sie sagte:

“Was denn noch?”

Und gleichzeitig hat sie die Raumtemperatur nach unten korrigiert. Ich sagte:

“Du meinst, du hast gar nicht heute Geburtstag?”

Weil: Ich hatte ihr nämlich schon viermal gratuliert an dem Tag, jedesmal mit was anderem. Zuerst Kaffee mit Sahne, dann Dreiphasen-Reiniger, dann Klosterfrau Melissengeist und dann, am Schluss mit den Blumen, weil: das davor waren nur kleine Witze gewesen über ihr Alter. Bei Geburtstagen, da kommt allgemein viel zu wenig Humor vor. Das ist echt eine Lücke in unserer Kultur von Zentraleuropa, und ich hab mir halt gedacht, ich muss da was gegen unternehmen. Deswegen hab ich auch sofort gesagt:

“He, ich gründe einfach meine eigene Kultur; bist du dabei, Orest?”

Da hat er gebellt, der Orest. Ich muss ja zurzeit immer auf den Orest aufpassen, wenn die Feli zum Arzt geht. Es ist nichts Ernstes, hat sie gesagt, die Feli, nur paar Tests und die üblichen Frauensachen, also deswegen ist das schon okay, wenn ich auf den Hund aufpasse, findet sie.

Die Felizitas, das ist meine Schwester, und wer mich kennt, der weiß, dass ich das nicht verdient habe, also, ich meine, dass sie meine Schwester ist, die Feli. Sie hat weniger Humor als eine Familienpackung Senfgas, aber das liegt auch an ihrem Job als Premium Promigriller in der Redaktion von der Zickengazette, für die sie schreibt.

Und wegen diesen Tests sitzt jetzt ständig der Orest bei mir in der Küche und wartet auf seine Chance, dass er an den Kühlschrank kann, aber damit er das nicht tut, hab ich wiederum die Wibke Schmidt davor gesetzt. Ganz nah vor den Kühlschrank.

Die Wibke hat zwar nur einen Kopf und nicht drei, wie sich das für den Job gehören würde, aber für den Orest funktioniert das. Der hat voll den Respekt von der Wibke Schmidt - wie wir anderen alle auch.

Aber sie sagte zu mir:

“Nein, stell dir vor, hab ich nämlich nicht.”

Sie meinte immer noch die Sache mit dem Geburtstag. Ich sagte:

“Oha! Nicht heute?"

Ich hatte das ernsthaft ganz anders in Erinnerung. Sie sagte:

“Allerdings! Ich werd nämlich erst übermorgen …, also ich hab erst übermorgen Geburtstag.”

“Aber dreißig wirst du schon, oder?”

Sie knirschte irgendwas auf Altbabylonisch und spuckte danach ein paar Stoßzähne aus, aber es waren nicht ihre eigenen. Ich sagte:

“Dreißig ist ein cooles Alter für ne Frau. Schau: Meine Großmutter zum Beispiel, die ist schon über neunzig, und die hat zwei Weltkriege verloren, also natürlich nicht allein, sondern sozusagen als Zeitzeuge und nur auf einer Seite, wenn du verstehst, was ich meine, und: Neunzig ist immerhin genau drei Mal dreißig. Wibke, stell dir vor, eines Tages wirst du sechzig, und es geht immer noch weiter, und wenn du Glück hast, gewinnst du sogar einen Weltkrieg, aber das wollen wir mal nicht hoffen. Ich meine, ich will auch nicht, dass du einen verlierst, aber du weißt ja, was ich meine, oder?" Bei dem Wort "Weltkrieg" musste ich an die Feli denken.

Aber: Ich hab das eigentlich echt lieb gemeint mit den Weltkriegen, nur: Die Wibke Schmidt hat mich nicht mal angeschaut, als sie sagte:

“Vielen Dank!”

Im Grunde hab ich mich die ganze Zeit über mich selber geärgert, als ich das alles gesagt habe, weil: Ich hab ganz genau gesehen, dass ich die Wibke damit nicht gerade aufgeheitert habe, aber: Irgendwie konnte ich nicht damit aufhören, einen Witz nach dem anderen zu reißen. Mein Gehirn hat sich da irgendwie in einer Witzkurve festgefressen und ist nicht mehr auf die Fahrbahn zurückgekommen. Immer, wenn mein Gehirn das macht, muss ich das Warndreieck aufstellen und Richtung Notrufsäule traben.

 

Ich glaube ja, dass der eigentliche Grund, warum die Wibke Schmidt so kitzlig war mit ihrem Geburtstag, war, dass ich ihr gesagt habe, dass ich mir überlege, die Jenny zu fragen, ob sie mich heiraten will, also die Jenny meine ich, weil: Schau mal: Die Jenny und ich: Wir wohnen jetzt schon ewig in meiner Wohnung, und der Punkt ist, dass wir die ganze Zeit miteinander zusammen sind, egal, ob nüchtern oder total blau; wir finden uns nie langweilig, uns jetzt gegenseitig, weil: andere Leute finden uns schon ab und zu langweilig - und das sagen die auch ganz offen, weil: Das hängt halt wieder mit der Kultur von Zentraleuropa zusammen, von der ich vorhin gesprochen habe. Der Punkt ist: Die Jenny und ich, also das rockt.

Deswegen hab ich mir gedacht: Ich mach der Jenny jetzt einen echt tollen Heiratsantrag, und da hab ich die Wibke gefragt, ob sie denkt, dass das eine gute Idee ist. Weil: Die Wibke Schmidt, die ist nicht dumm! Aber seitdem ich das erwähnt habe, da hat die Wibke mehr Stoßzähne bekommen als ein ganzer Elefantenfriedhof. Ich sagte:

“Tut mir leid, Wibke, ich wollte dich echt nicht ärgern mit deinem Alter.”

“Schon gut.”

“Aber warum bist du auch so mies drauf, Wibke, weil: Schau mal: Deswegen mach ich doch überhaupt nur die ganzen Witze.”

"Du willst mich aufheitern, weil ich alt werd?"

"Nee, Quatsch!"

Aber dann hat sie gesagt, die Wibke Schmidt, nein, sie ist eigentlich gar nicht “mies“ drauf, sondern sie ist nur ein wenig emotional, weil das ein runder Geburtstag ist, den sie da hat, übermorgen.

Also, ich finde ja: Das ist perfekter Quatsch, diese Theorie mit den runden Geburtstagen … Erstens: Wie kann ein Tag überhaupt rund sein? Und dann: Warum soll ein Geburtstag wichtiger sein als ein anderer, nur, weil man ihn durch zehn teilen kann?

Ich habe es schon mal gesagt, und ich sage es wieder: Runde Geburtstage sprechen Leute an, die mathematisch in der ersten Klasse kleben geblieben sind, jedenfalls ist das meine Meinung. Also zum Beispiel ein Primzahlengeburtstag, das wäre viel eher ein Grund zu feiern. Dass wir das nicht tun, das werfe ich auch wieder diesem Zentraleuropaquatsch vor, dem alle hinterher laufen. Wie die Lemminge.

Das mit der Kultur: Das haut vorne und hinten nicht hin, und alle sind trotzdem wahnsinnig stolz drauf, vor allem die Leute, die eigentlich überhaupt nicht gründlich darüber nachdenken.

Zum Beispiel: Ich bin bei vielen Sachen aus der Kultur absolut dagegen, dass wir das so machen, wie wir es machen. Ich meine diese ganzen Regeln, die keiner gemacht haben will, aber an die sich alle halten, also etwa das mit den Büros, in denen alle arbeiten wollen, aber dann, kaum haben sie den Job, da freuen sie sich wie die Bekloppten, Tag für Tag auf das Wochenende. Das hab ich ziemlich früh rausgefunden, dass das nichts für mich ist, das mit den Büros.

Aber die Wibke Schmidt ist krasser an der Kultur festgeschraubt als das Höhenruder an der Hindenburg. Sie sagte:

“Werd du erst mal selber dreißig, Albrecht, dann sprechen wir uns wieder, und seit wann verschenkt man zum Geburtstag eigentlich Geranien im Topf?”

Ich sagte:

“Heißen die so? Das sind doch keine Geranien! Ich dachte immer, Geranien sind irgendwie gelb und stinken … He, ich werd übrigens noch ewig nicht dreißig, aber bin ich deswegen emotional?”

Fast hätte ich für die Wibke einen kleinen Demo-Tanz aufgeführt, damit sie versteht, was ich sagen wollte, aber ich hab mich beherrscht, weil: Ich dachte mir: Dann bringt sie mich bestimmt um, okay, das würde ihr gut tun, ich meine: Damit sie aus dieser miesen Stimmung wieder rauskommt. Aber die Wibke Schmidt sagte:

“Ja, wart nur, vielleicht stirbst du ja auch vorher … Noch so ein blöder Witz und du bist fällig.”

Dann hat sie mich mit der Vollmilch bedroht.

Ich sagte:

“Cool, das sind echte Geranien! Whow, hatte ich mir ganz anders vorgestellt, irgendwie aufregender oder so was, wenn du verstehst, was ich meine.”

Ich hab versucht, mir das supergenau einzuprägen: Geranien! Allein schon der Name ist eine Enttäuschung. Die Wibke hatte Recht. Sie sagte:

“Ja, und warum schenkst du mir jetzt Geranien zum Geburtstag?”

“Na, die sahen halt ganz gut aus, da, wo ich die gefunden hab im …”

“Bahnhof Friedrichstraße?”

“Ja …”

Ich wusste nicht, ob das jetzt eine Falle war von der Wibke Schmidt oder nicht, deswegen hab ich erst mal ‘Ja’ gesagt. Sie sagte:

“In diesem netten, kleinen Blumenladen im Bahnhof … Wart mal, wie heißt der noch gleich?”

“Wie der heißt, der Blumenladen? Na, wie wird der wohl heißen? Der heißt: Blumenladen.”

Ich dachte mir: Darauf kommt es doch nicht an, wie ein Blumenladen heißt; ich meine: Ob der Blumen hat oder nicht, darum geht es doch! Wer achtet denn auf sowas? Aber ich hab nichts gesagt, weil: Es war eben tatsächlich eine Falle: Sie sagte:

“Neenee, der heißt anders, wart mal … ‘auf den letzten Drücker’, vielleicht? Oder Moment, ich hab’s gleich, der heißt ‘Blumenladen-Einfallslos’ … Oder vielleicht auch: Blume 08/15? Du weißt schon, da, wo die ganz blöden Männer einkaufen, denen gar nichts mehr Gescheites einfällt, obwohl direkt daneben eine Parfümerie ist und eine Schokoladerie - das wär nämlich genau das richtige für meinen Geburtstagsbrunch, und bevor du fragst, ja, der ist erst übermorgen."

“Mann, Wibke, jetzt sei doch nicht so schwierig! Willst du noch einen Kaffee? Oder warte: Ich mach dir auch gern einen schönen, leckeren Nierentee, bleib sitzen!”

Den Witz hat sie auch ignoriert. Dabei ist der Bahnhof Friedrichstraße wirklich genial: Egal, was du suchst, früher oder später findest du das, Herpes genauso wie Cheeseburger.

Man muss einfach nur so lange rumlaufen, bis man alles beisammenhat. Aber irgendwie darf man das nicht zugeben, dass man was im Bahnhof gekauft hat, weil: Sonst denken immer alle sofort: "Gott, was für ein Idiot! Überhaupt keine Kultur, der Mann!"

Die Wibke Schmidt hat ein Schaubild an die Wand gemalt und mir einen Vortrag gehalten:

“Und jetzt noch mal zum Mitschreiben, Albrecht: Zum Geburtstag verschenkt man stets nur frische Schnittblumen! Und auch nicht vorher, sondern genau an dem Tag! Das bringt nämlich sonst Unglück.”

Ich hab den Topf mit Geranien genau angeschaut und hatte sofort eine super Idee. Ich sagte:

“Moment, ich hol dir kurz ein Messer und ruckzuck haben wir Schnittblumen, wenn dir das so viel bedeutet, und es bringt auch kein Unglück, Mann! Was du immer redest! Quatsch! Weißt du, was Unglück bringt? Wenn man ständig vom Unglück redet, das bringt Unglück. Hier ist das Messer, schau, superscharf, schenk ich dir!”

“Man verschenkt keine Messer!”

Die Wibke Schmidt wurde fleckenweise rostig. Sie sagte zu mir:

“Du bist echt un-er-träglich! Und nimm endlich mal diesen blöden Turban ab!”

 

Seit ich aus Bombay zurück bin, habe ich immer meinen neongrünen Turban auf, und ich finde ja, ich sehe total aus wie ein unbekannter Star aus Bollywood. Das hat der Verkäufer auch gesagt, der Veekram, als er versucht hat, mir dazu noch diese Sonnenbrille aufzuschwatzen. Die hab ich aber nicht genommen, weil: Ich hab ja selbst noch eine viel coolere. Ich sagte zur Wibke Schmidt:

“Ich wollte dir da im Bahnhof eigentlich Rosen kaufen, die waren aber leider zu lang. Sah bisschen blöd aus, find ich. Etwa so lang, stell dir vor! Absolut unpraktisch. Hätte nie im Leben in meine Tasche gepasst."

Ich machte die Arme breit. Sie sagte:

“Waaas? Die hatten Stilrosen und du bringst mir Geranien? Typisch Albrecht!"

“Ja, für diesen Blumentopf kann man in Indien einen ganzen Monat leben, also natürlich nicht im Hyatt, und deswegen hab ich gedacht: Die hier sind doch auch ganz nett, Geranien, solide, anständig und ehrlich."

“Ja, wenn man einen Balkon hat oder einen Garten.”

“Komm, wir frieren die einfach bis morgen ein!”

“Übermorgen!”

“Wibke, denk doch mal: Das ist toll, dass du das überhaupt geschafft hast. Weil: In Indien da ist die Hälfte der Bevölkerung komplett unter dreißig, und wenn du älter bist, halten dich alle für alt und weise, während hier, in Deutschland, gehörst du noch voll zum unteren Mittelfeld, das bringt wieder alles in eine gute Perspektive, oder?"

Überhaupt ist das ja so mit Indien, dass es alles wieder in die richtige Perspektive zurückbringt, jetzt also nicht nur das mit dem Alter von der Wibke Schmidt, sondern auch zum Beispiel bei so einem Satz wie: "Der Zug war echt voll."

Weil: Da gibt es schon Unterschiede zwischen Indien und Berlin-Mitte. Aber das hat die Wibke Schmidt überhaupt nicht interessiert, weil: Frauen können total egoistisch werden, wenn es um ihren Geburtstag geht.

 

In dem Moment hat die Feli angerufen und gesagt, dass sie mit mir sprechen muss, aber ich kenn doch die Feli, deswegen hab ich gesagt, dass ich grade überhaupt keine Zeit habe und hab aufgelegt. So muss man das bei der Feli machen, wenn man überleben möchte. Weil: Ich meine, ich hab das jetzt schon über zwei Jahrzehnte so gemacht, dass ich der Feli immer im entscheidenden Moment ausweiche, etwa so, wie man einem Güterzug ausweicht, wenn man was in der Birne hat.

Das heißt nicht, dass man Güterzüge hasst oder so, im Gegenteil, ich kenne sogar Leute, die sind total verrückt nach Güterzügen, aber wenn einer auf dich zukommt, macht man trotzdem besser einen Schritt zur Seite. So ist das mit meiner Schwester auch, weil: Mit der Feli, da geht das normalerweise so, dass sie anruft und sagt:

“Wenn du in vier Sekunden nicht im Hauptbahnhof auftauchst, erschieße ich dich höchstpersönlich.”

Und dann sage ich so was wie:

“Hallo, Feli, nein du störst nicht, wie geht's?”

“Komm sofort hierher!”

Und dann sage ich:

“Und wo bist Du?”

Aber die Feli sagt:

“Am Bahnsteig, natürlich, unser Zug geht gleich.”

Und was der Feli überhaupt nie auffällt, dass sie immer total schlechte Werbung für sich macht, weil: Wenn dir einer sagt: He, komm so schnell du kannst hier her, damit ich dich erschießen kann … also, zumindest in meinem Fall, da wirkt das nicht so attraktiv, und ich denke mir was Anderes für den Rest vom Nachmittag aus. Ich sagte zur Wibke Schmidt:

“Wo waren wir stehengeblieben? Achsoja! Weißt du, ich mag dieses Wort ‘stets’. Das klingt immer so vornehm, etwas altmodisch, das stimmt, aber total vornehm.”

 

Und dann hat die Wibke Schmidt plötzlich angefangen zu weinen; ich hasse das, wenn sie anfängt zu weinen, weil: Dann merke ich immer, dass ich sie echt gern hab, die Wibke Schmidt, aber das zeig ich ihr nicht so direkt, damit sie mir nicht sofort wieder versucht, die Seele abzukaufen. Alles schon vorgekommen, und deswegen hab ich seit damals eine Secondhand-Seele mit Filzbesatz im Kühlschrank.

Ich sagte:

“Ja, warum weinst du denn, Wibke?”

Aber sie hat nur auf das Papier gezeigt, das sie da vor sich hatte, und sie hat kein Wort rausgekriegt. Ich meine, das kommt schon mal vor, bei der Wibke, dass sie einfach eine Ladung Gefühl in den Hals kriegt, aber doch nicht zwei Tage vor dem Geburtstag, und an den Geranien kann das auch nicht gelegen haben.

Jedenfalls: So ging das schon den ganzen Morgen, als wir bei mir in der Küche saßen und gewartet haben, bis der Kuchen von der Jenny fertig war. Die Jenny wollte für die Wibke zum Geburtstag nämlich einen Kuchen backen, weil: Wir dachten echt, dass es heute war.

Zumindest hat sie gesagt, die Jenny, dass es ein Kuchen wird, und ich hab auch ganz eindeutig gesehen, dass sie da ohne Ende Griebenschmalz, Zucker und Sägemehl reingetan hat.

Deswegen gehe ich so oft zum Sport im Moment, nicht, weil viel gekocht wird bei uns, sondern damit ich nicht zu Hause sein muss, wenn das Essen auf den Tisch kommt.

Wenn man, so wie ich, als Single mit zwei Frauen in einer WG lebt, dann muss man ziemlich viel ertragen, vor allem seiner eigenen Küche. Weil: Die Jenny ist, wie jeder weiß, meine heimliche Liebe, und sie wohnt bei mir; wir schlafen im gleichen Bett, aber wir sind kein Paar, also jedenfalls kein klassisches, weil: dafür ist der Sex einfach viel zu gut, außerdem sehen wir uns dauernd, und aus dem Grund will ich sie ja auch heiraten. Oh, das wollte ich eigentlich erst später sagen. Egal.

Und: Die Wibke Schmidt ist immer für mich da, vor allem, wenn ich meine Ruhe brauche und niemanden sehen will, und so hat das alles sofort wieder von vorne angefangen, als ich mit der Jenny aus Indien zurückgekommen bin. Es ist nämlich echt schwer, wenn man sein Leben ändern will und nie Zeit dafür hat.

Wenn die beiden, also die Wibke und die Jenny eine Fusion machen würden, dann müsste ich vermutlich am gleichen Tag noch wahnsinnig werden vor lauter Perfektion. Und deswegen hab ich mir gedacht: Es ist gut, dass ich die beiden habe. Und dann kommt noch erschwerend hinzu, dass die Wibke und die Jenny auch mal kurz zusammen waren, aber das hat nicht gehalten. Gut für mich, weil: deswegen sind sie beide wieder zu mir zurückgekommen, wie zwei Bumerangs mit hohen Absätzen.

Was ich damit im Grunde einfach nur sagen will, ist, für ein Paar sind wir drei einfach zu viele. Ich sagte zur Wibke Schmidt:

“Und was genau ist das?”

Weil: Das, was sie da vor sich hatte, das war ein riesiges Papier mit lauter Strichen und Kreisen drauf und winziger Schrift. So eine Art Mischung aus einer Landkarte für ein Naturschutzgebiet und der Gebrauchsanweisung für eine Waschmaschine, die man so zusammenfalten kann mit dem Patent, für die U-Bahn, wenn ihr versteht, was ich meine: So diese geschickten Faltgeschichten, die klein aussehen, aber in Wirklichkeit total riesig sind. Die Wibke sagte:

“Das ist ein Horoskop!”

“Quatsch, Horoskope sind klein und stehen mittendrin in Zeitungen.”

“Das hier ist ein authentisches Horoskop.”

Ich sagte:

“Hehe, das sieht aber eher aus wie der Bauplan für eine Waschmaschine. Ist das dein Sternzeichen? Waschmaschine? Passen Sie auf, wenn Sie vor dem nächsten Vollmond den Weichspüler vergessen sollten, dann wird die Wäsche nicht weich.”

Sie sagte:

“Nicht lustig.”

“Danke. Also, was ist das?”

“Waage!”

“Bitte?”

“Ich bin Waage, und nur dass du es weißt; wir Waage-Menschen streben nach Vollkommenheit, Harmonie und Gleichgewicht."

"Sitzt du deswegen immer so aufrecht da?”

"Und da steht auch drin, dass ich nach meinem Geburtstag dieses Jahr mein Lebensglück finde."

"PlayStation?"

"Das werd ich mir von keinem nehmen lassen."

"Und was sind das da für Linien?"

"Was?"

"Weißt du selber nicht, wie? Die Linien da!"

Da hat sie mich wieder so angeschaut. Aber ich hab mein ernstestes Zuhörgesicht gemacht. Da hat sie angefangen mir zu erklären, mit was für einem Monsterscheiß sie sich im Moment befasst, die Wibke Schmidt. Das hab ich nämlich vom Chris gelernt, dass man einfach nur ein ernstes Gesicht machen muss und ab und zu nicken, und schon erzählen dir die Leute einfach alles. Das klappt immer, und die Leute können kaum mehr aufhören. Sie war erst bisschen misstrauisch, aber dann hat sie gesagt:

"Okay! Pass auf, das sind die Schicksalslinien. Hier in dem dritten Fokus-Schwerpunkt steht, dass ich Kunst brauch und Auseinandersetzungen nicht mag, also halt den Mund, sonst kriegst du nämlich eine Auseinandersetzung, und die verlierst du glatt, du Mücke!"

Ich sagte:

“Weißt du was, Wibke?”

Weil: Ich hatte eine Idee.

“Was denn?”

“Na, das mit den Sternzeichen, ich meine, zum Beispiel Widder oder Jungfrau - das sagt doch heute kein Mensch mehr, oder? Waage schon, aber Widder? Jetzt mal ehrlich: Man sagt heute ‘Schaf’ oder auch nicht Jungfrau, sondern “Teenager”, aber niemand sagt: ‘sie ist eine Jungfrau, wie sie im Buche steht, oder sonstwo, aber bitte nicht hier bei uns am Tresen!' He, Wibke, mir ist grade ein Witz eingefallen, hör mal!”

“Oh Gott!”

“Nee, pass auf, der ist echt gut!”

“Ganz sicher.”

“Welches Sternzeichen sind Sie? Frigide! Haha, toller Witz, oder? Wibke, wie findest du den? Sternzeichen Frigide.”

Ich fand das zum Totlachen.

“Was? Lach doch bitte nicht so künstlich!”

Weil: Sie hatte überhaupt nicht zugehört die Wibke Schmidt, das habe ich an der Art gesehen, wie sie ihre Ohren über das Horoskop gehalten hat. Ich sagte:

“Oder: Schütze? Doof! Stattdessen: Killer, oder wenigstens Sniper, Mann, Wibke, denk' doch mal mit! Das ist alles total unzeitgemäß, das mit den Horoskopen. Komm, wir gehen lieber ins Bädsys und saufen uns einen an. Das wäre zeitgemäß, oder?"

“Wart mal ab, was ich alles rausfind, wenn ich dein Horoskop schreib.”

“Nein, danke!”

 

Das Bädsys ist meine Lieblingskneipe, und die von der Jenny; da sind wir immer, und dann hören wir Country- und Westernmusik. Zurzeit vor allem die Statler Brothers, Don Williams, Toby Keith und so, aber wir mögen auch die Dixie Chicks, Madison Violet und Faron Young. Und die Sache ist ja die: Wenn man Country mag, dann halten sie dich alle gleich für ein Pferd und behandeln dich entsprechend; außer im Bädsys, da ist das normal, und Pferde werden auch bedient. Deswegen geht die Jenny gerne hin, weil: Die Jenny: schwarze superlange Haare, toller Busen und lacht so nett, dass ich mich immer frage, wie das geht, dass sie ungestört die Friedrichstraße entlang laufen kann, ohne alle zehn Meter von allen Seiten über den Haufen geheiratet zu werden.

Der Punkt mit der Musik ist: Man muss zu seinem Geschmack stehen und fertig; das macht einem vielleicht keine Freunde, aber man nimmt dich früher oder später ernst. Zum Beispiel als Künstler, weil: Das ist ja mein Beruf, oder zumindest, das ist so was wie mein Wunsch, dass das mein Beruf ist, Musik und Filme über Bücher und so was in der Art.

Und, ich meine, grade die Countrymusic hat schon viel Tiefe, an den richtigen Stellen natürlich nur, weil: Sonst wäre das auch kaum zu ertragen. Ich hab ein paar Tanzschritte gemacht und sagte im Takt:

“Step aside if I step out of line…”

Das ist von Faron Young, tolles Lied. Kennt aber nicht jeder. Die Wibke sagte:

“Albrecht?”

“Ja?”

“Bist du blau?”

Sie kannte das Lied offenbar nicht. Ich sagte:

“Stocknüchtern!”

“Das glaub ich dir nicht.”

Ich sagte ganz schnell zu ihr:

“Fischers Fritz fischt frische Fische, frische Fische fischt Fischers Fritz.”

Da hat sie mich so angeschaut wie ein alter Arzt einen neuen Virus. Sie sagte:

“Ah, na gut, und ich dachte schon ...”

Aber, was die Wibke Schmidt nicht wusste, das ist nämlich, dass ich diese ganzen fiesen Zungenbrecher absolut nur dann hinkriege, wenn ich ganz klar einen im Tee hab. Ich sagte superschnell:

“Oder der hier: Brautkleid bleibt Brautkleid und Blaukraut bleibt Blaukraut, gut was?”

Da hab ich mich krankgelacht und der Wibke Schmidt die Zunge rausgestreckt. Ich war voll auf Kurs. Sie sagte:

“Hm …”

Aber ich sagte:

“Hahaaaa! Oder pass mal auf, Alte, hier kommt noch einer: Im wirklich dichten Fichtendickicht sind wirklich fichte Wichten dickich…”

Da musste ich mich kurz am Tisch festhalten, weil: Mir ist das Gleichgewicht auch wichtig. Sie sagte:

“Albrecht?”

“Hm?”

“Hauch mich doch mal bitte kurz an!”

“Okay, aber nur weil du's bist.”

“Uh! Du bist ja doch blau.”

“Na, ich versuchs zumindest … schließlich kommt der Kuchen von der Jenny immer näher. Aber der Punkt ist doch der, Wibke: Was wir brauchen in dieser Stadt, das sind neue Sternzeichen! Hilfst du mir? Wir müssen da dringend was unternehmen!"

"Musst du trinken, um fröhlich zu sein?"

"Nee, aber ich muss trinken, um noch fröhlicher zu sein, das ist ein Unterschied, Wibke."

"Toller Grund!"

"Jau!"

Die Sache ist aber die: Ich glaube einfach nicht an Horoskope und solche Sachen, weil: Schau mal, das ist doch alles Quatsch, und wenn das schon Quatsch ist, sollte es wenigstens Spaß machen und in die moderne Zeit passen. Wasserbauch zum Beispiel. Sie sagte ganz ernst und ohne Augenbrauen:

“Die Sterne lügen nicht.”

Ich sagte:

“Genau!”

Dabei hat mich die Wibke Schmidt so angeschaut, dass ich kurz denken musste:

“Gut, dass sie nur zwei Augen hat.”

Aber ich sagte:

“Schau mal, Wibke, das sind Sterne, warum sollten die uns belügen?”

“Eben!”

“Nein, ich meine, die lügen nicht, weil sie überhaupt nichts sagen, das kannst du jeden Wasserbauch fragen, im Zeichen von Aquarium."

“Das heißt Wassermann, und das sind außerdem die Allerschlimmsten!”

Ich sagte:

“Jajajajajajajajajajaja! Ist alles kompletter Restmüll, Wibke, du hast Scheiße im Fokus und zwar, einen Riesenhaufen. Jetzt hab ich's gesagt."

“Du glaubst natürlich nicht dran, dass in den Sternen die Wahrheit liegt.”

“Ich glaub nicht nur nicht dran, ich weiß sogar ganz bestimmt, dass das Scheiße ist.”

“Siehst du, und das zeigt mir grad, dass es eben doch stimmt.”

“Achwas!”

Typische Wibke-Logik. Du sagst, dass du etwas nicht glaubst, und daraus folgert sie dann, dass deswegen ganz genau das Gegenteil wahr ist. Sie sagte:

“Doch!”

Ich sagte:

“Hä? Wie jetzt?”

Die Wibke Schmidt hat überhaupt keine Ahnung von richtiger Logik. Sie sagte:

“Weil du halt nur Widder bist!”

“Nee, bin Ziegenbock. Und was heißt hier eigentlich 'nur'?"

“Siehst du? Du bist selbst der beste Beweis: Widder glauben nämlich nie an Horoskope! Also?"

Ich sagte:

“Öh!”

Irgendwie fand ich das unfair von der Wibke Schmidt und hab in den Ofen geschaut, wie die Apfelstücke sich langsam in Schleimvulkane verwandelt haben und anfingen, Blasen zu werfen, alles genau nach dem Rezept von der Jenny. Kein Wunder, dass der arme Onkel Georg gestorben ist, damals, als sie für ihn gekocht hat. Ich hab ins Bad gerufen:

“Frau Epstein! Ihr Kuchen rülpst!”

Aber die Jenny hat überhaupt nicht reagiert. Das liegt auch daran, dass sie nicht auf ihren Nachnamen hört, bei uns daheim, weil: Das ist ihr Büroname, im Verlag vom Oliver. Außerdem hatte sie das Wasser laufen.

Die Wibke Schmidt sagte:

“Kann ich mit Orest raus?”

“Klar, Wibke, der freut sich, schau mal! Jetzt gleich?”

“Wenn ich hier fertig bin, um wie viel Uhr bist du denn auf die Welt gekommen?”

“Oh, du, das weiß ich echt nicht mehr.”

 

Und in dem Moment ist mir klargeworden, was wir brauchen, nämlich Horoskope in moderner Form, und nicht nur andere Namen. Irgendwas Besseres als diese altmodische Tierwelt mit Fischen und Mutanten und das alles, deswegen habe ich mich gleich mal drangemacht, ein paar Horoskope zu schreiben, aber das ist bei mir zuhause gar nicht so leicht, wie sich das vielleicht anhört, weil: Bei mir ist ständig Betrieb: In der Küche war der Orest und die Wibke mit ihrer Sternenkarte und hat sich überlegt, wie sie die Zeit anhalten kann; die Jenny saß in der Badewanne und hat sich die Hinterbeine rasiert, und im Zimmer vom Chris lag der Mikki und hat seinen Rausch ausgeschlafen, weil er bei seiner Margo rausgeflogen ist und jetzt ständig bei mir rumhängt. Das Problem ist halt, dass er jetzt keine Wohnung mehr hat, und bis er wieder wo einziehen kann, um dort mit seinen Glubschaugen die Luft zu braten.

Beim Mikki ist das nämlich so: Der hat einfach zu viele Talente, und deswegen ist es für ihn auch so schwer, das alles unter einen Hut zu bringen. Das weiß ich noch, wie er mir das mal erklärt hat, als er bei mir eingezogen ist. Er sagte:

“Du hast’s gut, Albrecht.”

“Ich? Warum?”

“Weil du weder intelligent bist noch komplett bescheuert, sondern irgendwie genau dazwischen, du Glückspilz.”

Und damit hat er, Recht, der Mikki. Ich bin echt total zufrieden mit mir. Ich meine: Okay, Glückspilz ist vielleicht ein bisschen zu botanisch, aber ich hab genau verstanden, was er gemeint hat, weil: Schau mal: Ich hab eine schöne Wohnung, da ist die Jenny, ich versteh was von Country und Western und mein Bizeps ist dicker als der von allen meinen Freunden, vielleicht mal vom Chris abgesehen, aber das gilt nicht, weil: bei dem ist auch der ganze Rest dicker. Andere Liga, wenn ihr versteht, was ich meine. Deswegen ist das schon richtig, was der Mikki gesagt hat. Er sagte:

“Mittelmaß kotzt mich an!"

Ich sagte:

“Klar!”

Weil: Was willst du sagen, wenn einer auf das Mittelmaß schimpft, der selber so außergewöhnliche Glubschaugen hat? Der Mikki sagte:

“Sobald die Mehrheit der Menschen dich positiv einschätzt, dann gehörst du zum Mittelmaß, und das ist das Ende. Denn die Hälfte der Menschheit ist noch blöder als das Mittelmaß."

Er schaute mich an.

Ich sagte: "Mathematik, was?"

Er nickte.

 

Allerdings: Die Jenny sagt ja, dass der Mikki einfach nur einen Tritt in seinen fetten Arsch braucht, damit er endlich bei uns auszieht und aufhört zu nerven, weil: Wenn die Jenny eine Sache nicht ertragen kann, dann ist das Jammerei, vor allem, diese eine besondere Sorte von Jammerei, die der Mikki produziert. Das liegt aber auch an den Glubschaugen. Das wirkt immer so wie ein Frosch, der zu viele Bücher aus Frankreich gelesen hat.

Aber auf der anderen Seite ist es ja so: Mit der Margo-Katastrophe haben wir alle schon eine ganze Weile gerechnet, außer dem Mikki halt, und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Meteoriteneinschlag dann gekommen ist - dem Mikki voll auf die Fresse. Der Punkt ist, der Mikki hat gelitten wie eine Zielscheibe in der Grundausbildung, als er aus der Wohnung von der Margo raus musste. Superschickes Ding, diese Wohnung, und ich frage mich, wie die Leute das machen, dass die Wohnungen immer so schick aussehen, weil: Bei mir, meine sieht immer so aus wie am Tag nach einem Konzert von AC/DC, da kann ich machen was ich will, und die Herta auch.

 

In der Wohnung von der Margo bin mal gewesen, als der Mikki mit ihr frisch zusammen war, und das war schon beeindruckend die ganze Technik in der Architektur. Die konnten ihr Schlafzimmer teilen und auf einmal war die Bar im Wohnzimmer, wenn ihr versteht, was ich meine.

Das einzige Problem war halt nur: Die Margo war rund hundert Jahre weiter als der Mikki, vor allem intellektuell, und er hat immer Witze darüber gemacht, und trotzdem hat er für sie gearbeitet in ihrem Büro vom Eventmanagement.

Das war nicht so hundertprozentig glücklich, diese Mischung, weil: Ich meine, der Mikki, das ist eher selber so eine Art Event, aber kaum zu managen, wenn ihr versteht, was ich sagen will. Also, jedenfalls hat sie ihn rausgeschmissen und jetzt wohnt er halt bei mir und lässt sich Sideburns wachsen. Aber das mit dem Rausschmeißen bring ich nicht übers Herz. Das ist noch so ein Unterschied zwischen mir und der Margo.

Mein Naturschutzgebiet war wieder mal ziemlich belegt, überall Leute. Deswegen bin ich in mein eigenes Zimmer gegangen, obwohl die Herta da grade sauber gemacht hat. Eigentlich ist es superstreng verboten, sie dabei zu stören.

Die Herta, das ist auch was ganz Besonderes, nämlich die einzige Frau in meinem Leben, die absolut im Gleichgewicht ist. Und damit meine ich: Die Herta hat immer die gleiche schlechte Laune, egal was sie macht, und darauf kann man sich verlassen: Keine Überraschungen. Nie zickig oder schwierig, nur miesepetrig drauf, im Grund genommen echt angenehm, und wenn sie geht, riecht die Wohnung nach Zitrone mit Chlor oder Mango-Gurken-Spiritus, und das wiederum inspiriert anscheinend die Jenny zu ihren Kochexperimenten, weil: Es hängt immer alles mit allem zusammen, vor allem die Sachen, die sie in die Soße tut.

Und mein Problem ist jetzt, dass ich das einfach nicht übers Herz bringe, der Jenny so was zu sagen wie:

“Dschenn, das schmeckt total eklig, was du da wieder verschmort hast, komm, wir bestellen zwei Maxis bei Pizza Puzzo und gut ist.”

Neulich nachts habe ich geträumt, dass aus ihrer Spargelsuppe mit Kuhfladenbrot eine schleimige Hand gekommen ist, die zu mir gesagt hat:

“Flieh! Flieh!”

 

Bei der Wibke hab ich überhaupt keine solchen Probleme. Ich sage ihr einfach, dass ich glaube, dass Horoskope Restmüll sind, und dann beweist sie mir, dass ich im Unrecht bin und am Ende macht jeder das, was er sowieso vorhatte. Also, viel erwachsener und reifer. Aber: Das hab ich mir vorgenommen, das sag ich der Wibke erst nach dem Geburtstag. Die Wibke ist halt nicht die Jenny. Der sollte ich aber auch so was sagen, aber das gibt es ja ganz oft, dass man so was sagen sollte, aber was man dann tatsächlich sagt, ist:

“Hm, Jenny, wo hast du das Rezept her? Selbst ausgedacht? Whow! Du weißt, was im Gefängnis mit Leuten wie dir passiert?"

Und dann setzt du dich an den Tisch und denkst an die Märtyrer damals im alten Rom und die Löwen, und fragst dich, ob die Löwen das eigentlich freiwillig gemacht haben, ich meine, diese ganzen zähen Märtyrer zu fressen, oder mit welchen Mitteln man sie dazu gezwungen hat. Vermutlich hat man ihnen im Keller vom Kerker einfach so lange ein schlechtes Gewissen gemacht, bis sie eben alles aufgegessen haben, weil sie an die armen Löwenkinder in Afrika denken mussten. Anders ist das kaum zu erklären.

Und die Christen, die haben ja immer nur gefastet und in feuchten Katakomben geschlafen. Ich bin sicher, die Leute haben genauso grausig geschmeckt, wie das, was die Jenny zurzeit immer für mich kocht.

Ich brauch ja überhaupt keine besondere Küche: Ein Steak und Fritten, dann noch ein Steak, lass den Salat weg, und ich bin glücklich; ich könnte auch jeden Tag Pizza essen, gar kein Problem oder immer nur Nudeln oder Cheeseburger, und genau das hat ja auch meine Mutter mir früher vorgeworfen, wenn sie wieder was Französisches mit Kräutern drin gekocht hat.

Also, ich finde ja, man sollte kochen, damit es schmeckt, und nicht nur deshalb, weil man selber es aussprechen kann, aber die anderen am Tisch nicht, so wie ich und mein Vater, weil: Wir haben bisschen Probleme gehabt damals mit der Aussprache vom Französisch. Wir fanden halt beide irgendwie, dass eindeutig Deutsch besser ist, weil man da alles verstehen kann, während bei Französisch, da kapiert man nie worum es eigentlich geht.

 

Jedenfalls: In meinem Zimmer: Die Herta schaute kurz auf, während sie besonders energisch an einem Fensterbrett herum wischte und für noch mehr Bakterienwitwen und -waisen sorgte. Dann grunzte sie was vor sich hin; das macht sie immer, wenn sie mich sieht. Sie nahm die Zielvorrichtung herunter und schaut mich an. Sie sagte:

“Draußen bleiben, ich desinfiziere hier!”

Ich sagte:

“Ich weiß, ich weiß; es tut mir leid! Nur ganz kurz.”

Und dabei bin ich kurz einer Giftwolke aus Sagrotan und eiserner Entschlossenheit ausgewichen, die auf mich zugeschossen kam. Das gewöhnt man sich einfach so an, wenn man im Jagdrevier von der Herta wohnt. Ganz normale Überlebenstechnik, genauso wie man sich angewöhnt, nur mit Stahlhelm in die Küche zu gehen und beim Essen durch den Mund zu atmen.

Die Herta ist nämlich am liebsten ganz ungestört, wenn sie arbeitet, und sie kann grantiger werden als ein Nilpferd, das seine Tage hat, wenn man ihr über die Schulter schaut, wie sie massenhaft Riesenstaubflusen umlegt, zwar ohne Mitleid aber dafür mit Rückenschmerzen und kochend heißem Pfirsichduft.

Die Herta grunzte noch mal etwas zwischen ihren Lappen hindurch, was ich aber diesmal als Aufforderung empfunden habe, weiter mit ihr zu sprechen. Da muss man bei der Herta ganz schön feinfühlig sein und mitspielen, weil: Sonst saugt sie dich einfach weg, ohne hinterher deine nächsten Verwandten zu benachrichtigen. Nicht, dass die sich besonders dafür interessieren würden, in meinem Fall.

Deswegen achte ich immer sehr auf die verschiedenen Grunzabstufungen, die sie so draufhat, die Herta. Ich habe nämlich diese Theorie, dass sie der Chef von so einer Geheimorganisation von Haushälterinnen ist, die sich bei Vollmond im Tiergarten trifft und Haushaltstricks austauscht und dabei aber nur grunzt, anstatt zu sprechen, weil sie so schrecklich geheim sind. Ich bin sicher: Meine Schwester, die Felizitas ist auch Mitglied da.

Seit die Herta bei uns ist, da hat meine Karriere so richtig gut angefangen, weil: Ich glaube, die bringt mir Glück, die Herta. Einmal ist sie sogar in einer von meinen Ausstellungen gewesen, und ich meine jetzt als Bild. Aber das hat sie nicht so sehr beeindruckt wie das, was sie mal unter dem Kühlschrank gefunden hat, als mein Vetter Berni noch bei uns gewohnt hat. Die beiden haben sich ungefähr so lieb gehabt wie die Rote Armee und der Rest der Welt. Aber egal. Ich sagte:

“Herta, glauben Sie eigentlich, dass Horoskope, also, dass das alles Quatsch ist, oder glauben Sie, dass das stimmt, wenn da steht, die Waage braucht Harmonie und Kunst, und dass das voll wichtig ist und so weiter, weil: Die Sterne lügen nicht?”

Okay, das hätte ich schon irgendwie bisschen eleganter vorbringen können, mit mehr Grammatik und so; das stimmt, aber bei der Herta kann ich so reden, wie es mir grade einfällt, weil: Ich weiß, dass sie mir das nicht übel nimmt, wenn ich rumstammle wie ein Metzger auf einem Vegetarierkongress.

Außerdem schaut sie mich oft so genervt an, dass mir das leicht mal den Satzbau durcheinanderbringt. Jedenfalls: Ich achte auf sowas. Liegt bei mir in der Familie. Meine Mutter zum Beispiel hasst das ja, wenn ein Satz nicht wenigstens zwei Ehrenorden der Deutschen Grammatikgewerkschaft hat und dazu links und rechts goldene Leitplanken.

Die Herta auf der anderen Seite ist viel lockerer als man denkt, wenn man mal von ihren verspannten Bandscheiben absieht. Sie hat sich an die Hüfte gegriffen und sagte:

“Nein!”

"Sie glauben nicht an Horoskope?"

"Nee!"

Und dabei hat sie den Rauch von der Mündung des Staubsaugers geblasen. Ich sagte:

“Sind Sie zufällig Widder?”

“Ja.”

“Mhm…”