Cover

Winston Groom

Forrest Gump

Roman


Ins Deutsche übertragen von 
Peter Meier


Edel eBooks

1

Das können Sie mir ruhig glauben – als Idiot kriegt man nich grad erste Sahne. Die Leute lachen, verlieren schnell die Geduld und werden grob. Da heißt’s zwar dauernd, seid hilfsbereit zu Leuten, wo’s schwer haben, aber das läuft oft ganz anders, das kann ich Ihnen sagen. Aber ich brauch mich eigentlich nich beklagen, weil – ich hab ’n ganz intressantes Leben gehabt.

Schon von Geburt an bin ich hochgradig schwachsinnig. Mein IQ liegt nämlich so um die 70, und damit fall ich angeblich in diese Kategorie. Eigentlich bin ich aber wohl eher mittelgradig schwachsinnig oder sogar bloß leicht – und überhaupt betracht ich mich selber lieber als geistesschwach oder irgendwas in der Art und nich als nen Idioten, weil wenn sich die Leute nen Schwachsinnigen vorstellen, denken sie garantiert an Mongolismus, also an die mit den zu eng stehenden Augen, wo aussehen wie Chinesen und sabbern und an sich rumspielen.

Also, langsam bin ich nun mal, das muß ich schon zugeben, aber ich würd sagen, ich bin viel intelligenter, als wie die Leute glauben, weil nämlich was in meinem Kopf vor sich geht, is schon was anders, als was die Leute mitkriegen. Zum Beispiel kann ich mir irgendwelches Zeugs ganz gut überlegen, aber wenn ich das dann sagen oder aufschreiben soll, kommt’s raus wie Wackelpeter oder so. Ich werd Ihnen zeigen, wie ich das mein.

Vor ’n paar Tagen geh ich ne Straße lang, und da is so ’n Typ vor ’m Haus am Arbeiten. Der hat sich nen Haufen Sträucher besorgt, die wo er setzen will, und mich fragt er: »Forrest, willste was verdienen?« und ich sag: »Klar«, und er läßt mich Dreck schippen. Ich karre also an nem heißen Tag an die zehn oder zwölf Schubkarren verdammten Dreck durch die ganze Weltgeschichte, und wie ich fertig bin, fischt der grad mal nen Dollar aus der Hosentasche. Statt daß ich nen Aufstand mach von wegen miserable Bezahlung und so, nehm ich den verdammten Dollarschein und kann nix sagen als wie »danke« oder irgend so ’n Bockmist. Dann geh ich wieder die Straße lang, knüll den Schein in der Hand rum und komm mir vor wie ’n Idiot.

Verstehen Sie jetzt, wie ich das mein?

Also, mit Idioten kenn ich mich aus. Das is so ungefähr das einzige, wo ich durchblick, über die hab ich nämlich jede Menge gelesen: Über diesen Dosch-to-jeschki seinen Idioten und den Narren vom König Lear, und auch über Benji, den Idioten vom Faulkner, und sogar über Boo Radley in Wer die Nachtigall stört – also das war ’n echter Idiot. Am liebsten mag ich aber Lenny in Von Mäusen und Menschen. Meistens haben’s die Autoren von diesen Büchern geschnallt, weil ihre Idioten sind immer viel schlauer, als wie die Leute sie einschätzen. Also, ich find, das stimmt – aber das meint wohl jeder Idiot, hi, hi.

Als ich geboren wurde, hat mir meine Mami den Namen Forrest gegeben wegen dem General Nathan Bedford Forrest, wo im Bürgerkrieg gekämpft hat. Mami hat immer gesagt, daß wir irgendwie mit der Familie vom General Forrest verwandt sind. Und das war ’n großer Mann, meint sie, bloß hat er nach ’m Krieg den Ku-Klux-Klan aufgemacht, und sogar meine Oma sagt, das is ’n nichtsnutziger Haufen. Ich würd sagen, da hat sie recht, weil auch hier bei uns am Ort betreibt so ’n Großmächtiger Oberheini, oder wie die sich nennen, nen Waffenladen, und wie ich mal – so ungefähr mit zwölf – da vorbeigelatscht bin und ins Fenster reingeschaut hab, hängt da ne Schlinge, wo man jemand mit aufknüpfen kann. Wie er sieht, daß ich guck, legt er sich die Schlinge selber um den Hals und zieht sie hoch, wie wenn er hängen tät, und läßt die Zunge raushängen und all so was, bloß damit ich Angst krieg. Ich bin weggelaufen und hab mich in nem Parkplatz hinter ’n paar Autos versteckt, bis jemand die Polizei angerufen hat. Die sind dann gekommen und haben mich nach Hause gebracht zu meiner Mami. Also ganz egal, was der olle General Forrest sonst noch alles gemacht hat – daß er diese Klan-Geschichte ins Rollen brachte, das war keine gute Idee, das sieht jeder Idiot. Aber so bin ich eben zu meinem Namen gekommen.

Meine Mami is echt ’n feiner Kerl. Das sagen alle. Meinen Daddy hab ich gar nich kennengelernt. Der is nämlich umgekommen, da war ich grad erst geboren. Er hat unten im Hafen als Docker gearbeitet, und dann hat mal ’n Kran ’n riesiges Netz Bananen aus so nem Kahn von der United Fruit Company rausgehievt, und da is was gerissen, und die Bananen sind runtergeknallt auf meinen Daddy und haben ihn plattgedrückt wie ne Flunder. Also, aus Bananen mach ich mir nix, bloß Bananenpudding mag ich eigentlich ganz gern.

Meine Mami hat ne kleine Rente von den United-Fruit-Typen gekriegt und in unsrem Haus Leute in Pension genommen, und auf die Tour sind wir ganz gut über die Runden gekommen. Wie ich klein war, hat sie mich oft im Haus behalten, weil dann konnten mich die andern Kinder nich ärgern. Im Sommer, wenn’s am Nachmittag total heiß war, hat sie mich meistens ins Wohnzimmer gesetzt und die Jalousien runtergelassen, damit’s schön dunkel und kühl geworden is, und hat mir nen Krug Limonade gemacht. Dann hat sie sich zu mir hingesetzt und mit mir geredet und einfach immer weitergeredet über nix Bestimmtes, so wie manche Leute mit nem Hund oder ner Katze reden. Da hab ich mich aber total dran gewöhnt, ich fand’s sogar richtig schön, weil ich hab mich immer wahnsinnig wohl und sicher gefühlt, wenn ich ihre Stimme gehört hab.

Wie ich größer war, bin ich zuerst immer mit den andren Kindern spielen gegangen, aber dann hat meine Mami gemerkt, daß die mich immer hänseln und so, und einmal hat mir ’n Junge nen Stock ins Kreuz geworfen, wie sie mich gehetzt haben, und das hat nen Mordsstriemen gegeben. Danach hat sie mir gesagt, ich darf nich mehr mit diesen Jungs spielen. Ich hab dann probiert, ob ich mit den Mädchen spielen kann, aber das hat auch nich viel besser geklappt, weil die sind alle vor mir weggelaufen.

Mami hat gemeint, es wäre gut, wenn ich auf ne ganz normale Schule geh, weil vielleicht könnt ich dann so werden wie alle andren, aber wie ich ne Weile hingegangen war, hat meine Mami gesagt gekriegt, das wär nix für mich – so mit all den andern zusammen.

Aber die erste Klasse haben sie mich wenigstens fertigmachen lassen. Manchmal bin ich einfach so dagesessen, wenn die Lehrerin was erzählt hat, und hab gar nich gewußt, was in meinem Kopf vor sich geht. Ich schau zum Fenster raus und guck den Vögeln und Eichhörnchen zu, wo auf ner großen Eiche hocken oder auf ’n Ästen rumklettern, aber dann kommt die Lehrerin her und macht ’n Mordstheater. Manchmal is auch was ganz Merkwürdiges mit mir passiert, und dann hab ich angefangen zu brüllen und so, und die Lehrerin hat mich rausgeschickt, und ich hab im Flur auf ne Bank sitzen gemußt. Die andren Kinder haben nie mit mir gespielt, die haben mich nur rumgescheucht, bis ich wieder am Brüllen war, und dann haben sie mich ausgelacht – alle außer Jenny Curran, die is wenigstens nich vor mir weggerannt, und manchmal hat sie mich sogar auf ’m Heimweg neben sich hergehen lassen.

Im nächsten Jahr haben sie mich dann auf ne Schule geschickt, wo alles ganz anders gewesen is. Das war vielleicht ulkig, kann ich Ihnen sagen – grad, wie wenn sie so viel komische Vögel wie möglich eingesammelt und dann alle zusammengesteckt hätten. Das ging von Kindern, wo so alt wie ich und noch jünger gewesen sind, bis zu großen Jungs um die sechzehn oder siebzehn.

Zurückgebliebene von jeder Sorte und Spastis und Kids, die haben nich mal allein essen oder aufs Klo gehen gekonnt. Ich würd sagen, ich war in dem ganzen Verein noch am besten drauf.

’n großer dicker Junge um die vierzehn oder fuffzehn mit nem seltsamen Leiden is auch druntergewesen, der hat dauernd gezuckt, wie wenn er auf ’m elektrischen Stuhl hocken tät oder so. Unsre Lehrerin, Miss Margaret, hat mich immer mit dem aufs Klo geschickt, wenn der mußte, damit er nix Komisches treibt. Der hat’s aber trotzdem gemacht. Ich hab absolut nich gewußt, was ich dagegen tun kann, da hab ich mich eben in ne Kabine eingeschlossen und bin dringeblieben, bis er fertig war, und dann hab ich ihn in die Klasse zurückgebracht.

Auf diese Schule bin ich so fünf, sechs Jahre gegangen. Nich alles war Mist in dem Laden. Man hat uns mit den Fingern malen lassen und kleine Figuren haben wir auch geformt, aber vor allem wollten sie uns so ’n Zeugs beibringen wie Schuhe binden, und daß man beim Essen nich sabbert oder wild wird und rumschreit und irgend nen Scheiß durch die Gegend schmeißt. Mit Büchern haben wir praktisch gar nich gelernt – und mit Bildern bloß, wenn sie uns die Verkehrsschilder beibringen wollten oder den Unterschied zwischen der Herren- und Damentoilette und all so was. Aber bei den ganzen echten Spinnern wär mehr auch absolut nich drin gewesen. Erst mal isses wohl drum gegangen, daß wir den Leuten draußen nich auf die Nerven fallen. Wer will schon, daß ’n Haufen Zurückgebliebener frei rumläuft? Das leuchtet sogar mir ein.

Wie ich grad dreizehn war, sind ganz schön komische Sachen passiert. Ich bin nämlich enorm gewachsen, in nem halben Jahr sechzehn Zentimeter. Meine Mami war nur noch am Hosen rauslassen. Und dann bin ich in die Breite gegangen. Mit sechzehn hab ich’s dann auf 1,95 gebracht und auf 110 Kilo. Das weiß ich, weil die haben mich extra zum Wiegen kommen lassen und meinten, das glauben sie einfach nich.

Dann is was passiert, das hat meinem Leben ne ganz neue Wendung gegeben. Wie ich grad auf ’m Heimweg von der Schule ne Straße langlauf, hält neben mir ’n Auto an und so ’n Typ ruft mich zu sich rüber und fragt, wie ich heiß. Ich sag’s ihm, und dann will er wissen, auf welche Schule ich geh, und wie’s kommt, daß er mich noch nie gesehn hat. Wie ich ihm das mit der Klapsenschule sag, fragt er, ob ich Football spiel. Ich schüttle den Kopf. Eigentlich hätt ich ihm ja sagen können, ich hab öfters andern Kindern beim Spielen zugeguckt, bloß haben die mich nie mitspielen lassen. Lange Unterhaltungen liegen mir nun mal nich besonders, ich schüttle also bloß den Kopf. Ungefähr zwei Wochen nach ’n Ferien is das gewesen.

Drei Tage später oder so haben sie mich dann aus der Klapsenschule rausgeholt. Meine Mami is dabeigewesen und der Typ aus ’m Auto und dann noch zwei andre Männer – so richtige Gorillas. Die haben sie wohl mitgebracht, falls ich ausraste. Meinen ganzen Krempel haben sie von meiner Schulbank geholt und in so ne braune Papiertüte gesteckt, und dann wollten sie, daß ich mich von Miss Margaret verabschiede, und die fängt plötzlich an zu heulen und nimmt mich richtig fest in die Arme. Dann muß ich zu all den andern Spinnern auf Wiedersehn sagen, und die sind am sabbern und rumspastiken und hauen mit den Fäusten auf ’n Tisch. Und das war’s dann.

Mami is vorne neben diesem Typen auf ’m Beifahrersitz gesessen, und ich hinten zwischen den zwei Gorillas, genau wie in alten Krimis, wenn die Polizei jemand ›aufs Revier‹ bringt. Bloß daß wir nich aufs Revier gefahren sind, sondern zu ner High school, die wo noch ganz neu war. Wie wir angekommen sind, haben sie mich zum Büro vom Direktor gebracht, und Mami is mit mir und diesem Typ reingegangen. Die zwei Gorillas haben draußen gewartet. Der Direktor war ’n alter Mann mit grauen Haaren, ner ausgebeulten Hose und nem Fleck auf der Krawatte, wo ausgesehen hat, wie wenn er selber aus der Klapse käm. Wir haben uns alle hingesetzt, und er hat irgendwelches Zeugs erklärt und Fragen gestellt, und ich hab immer nur genickt. Die wollten, daß ich Football spiel, soviel hab ich mir zusammengereimt.

Wie sich rausstellt, is der Typ aus ’m Auto der Football-Trainer Fellers. Ich hab erst mal den ganzen Tag kein Klassenzimmer und nix gesehen. Der Trainer is mit mir gleich in die Umkleidekabine gegangen, und einer von den Gorillas hat nen Football-Dreß organisiert mit Polstern und Schützern und dem ganzen Zeugs und auch nen richtig schönen Plastikhelm, mit nem Gitter vorne dran, damit mir keiner die Visage zermatscht. Bloß Schuhe, wo mir passen, haben sie nich gefunden, ich mußte meine Turnschuhe anziehen, bis sie welche bestellen konnten.

Mr. Fellers und die Gorillas ziehn mir den Football-Dreß an, und ich muß mich gleich wieder ausziehn, und dann das Ganze noch mal und noch mal – mindestens zehn oder zwanzig Mal, bis ich’s endlich alleine kann. Mit diesem Ding, wo man sich den Unterleib mit schützt, hab ich ne Zeitlang Schwierigkeiten gehabt, weil – mir hat nich recht eingeleuchtet, wofür so was gut sein soll. Erst haben sie versucht, mir das zu erklären, aber dann hat der eine Gorilla zum andern gesagt, ich wär ’n Doofie oder so was in der Art. Wahrscheinlich hat er gemeint, ich hör’s nich, ich hab’s aber doch gehört, bei so nem Scheiß werd ich nämlich hellhörig. Nich, daß Sie meinen, das hätt mich verletzt. Pah, da hab ich schon ganz andre Sachen zu hören gekriegt. Aber aufgefallen isses mir schon.

Nach einer Weile is ’n Haufen Jungs in die Umkleidekabine reingekommen, und alle haben sich in ihren Dreß geschmissen. Dann bin ich mit denen rausgegangen, und ich mußte neben Mr. Fellers stehen, damit er mich vorstellen kann. Er hat nen Haufen Scheiß erzählt, aber ich hab gar nich richtig hingehört, weil ich bin vor Angst fast gestorben, wo mich doch noch nie jemand so vielen fremden Leuten vorgestellt hat. Nachher sind aber ’n paar von den andern hergekommen und haben mir die Hand geschüttelt und gesagt, sie freuen sich drüber, daß ich da bin und so. Dann hat der Trainer gepfiffen, von was ich total zusammengezuckt bin, und alle sind in der Gegend rumgesprungen und haben sich Bewegung verschafft.

Was dann so alles passiert is, das is ne ziemlich lange Geschichte, aber auf jeden Fall hab ich jetzt Football gespielt. Der Trainer hat sich mit einem von den zwei Gorillas ganz speziell um mich gekümmert, schließlich hab ich mich ja bei diesem Spiel nich ausgekannt. Erst isses drum gegangen, daß man Leute blockt, und sie wollten mir das erklären, aber wie wir das zigmal probiert hatten, haben alle die Schnauze voll gehabt, weil ich konnt mir einfach nich merken, was ich machen muß.

Dann haben sie was andres ausprobiert, nämlich die Verteidigung. Sie haben drei Typen vor mir aufgebaut, und ich soll irgendwie zwischen denen durchkommen und mir dann den Spieler mit ’m Ball schnappen. Der erste Teil war nich so ’n Problem, da hab ich denen einfach die Köpfe runtergedrückt. Wenn ich dann aber den Typen mit dem Ball festgehalten hab, waren sie nie zufrieden, und irgendwann haben sie mich zu ner großen Eiche geschickt, und die mußte ich fuffzehn oder zwanzig Mal richtig anpacken – damit ich ’n Gefühl dafür krieg, nehm ich an. Nach ner Weile haben sie wohl gehofft, ich hätte an der Eiche was gelernt, und haben mich wieder vor die drei Typen und den Spieler mit ’m Ball hingestellt, aber dann sind sie total sauer gewesen, weil ich immer noch nich total brutal auf den draufgesprungen bin, wie ich die andern aus ’m Weg geschoben hatte. Ich hab ne Menge zu hören gekriegt an dem Nachmittag, aber nach ’m Training bin ich zu Mr. Fellers reingegangen und hab ihm gesagt, daß ich nich auf den Typen mit ’m Ball draufspringen will, weil ich hab Angst, ich verletz ihn. Mr. Fellers hat aber gesagt, ich verletz ihn nich, der hat ja seinen Football-Dreß an und is geschützt. Ehrlich gesagt hab ich gar nich soviel Angst gehabt, ich könnt ihm was tun, als daß er böse auf mich wird. Ich hab gedacht, die fangen wieder an, mich zu hetzen, wenn ich nich wahnsinnig nett zu allen bin. Also, jedenfalls hab ich ne Weile gebraucht, bis ich bei der Football-Spielerei auf ’n Trichter gekommen bin.

Inzwischen mußte ich auch in den Unterricht. Wenn man’s mit der Klapsenschule vergleicht, wo man nie viel machen mußte, haben sie hier alles total ernst genommen. Irgendwie haben sie es aber so gedeichselt, daß ich drei Stunden Stillbeschäftigung gehabt hab – wo man einfach bloß rumsitzt und macht, was man will –, und dann noch drei Stunden mit ner Lady, die wo mir das Lesen beigebracht hat. Bloß wir beide. Die war echt nett und richtig hübsch, und ab und zu hab ich mir schmutzige Gedanken über die gemacht. Miss Henderson hat sie geheißen.

So ungefähr die einzige Stunde, die wo mir gefallen hat, wars Mittagessen, aber das is ja wohl keine Schulstunde. Wie ich noch in der Klapsenschule gewesen bin, hat mir meine Mami immer ’n Sandwich, nen Keks und Obst mitgegeben – bloß nie keine Banane. In meiner neuen Schule hat’s nun ne Cafeteria gehabt mit neun oder zehn verschiedenen Sachen zum Essen, und oft konnt ich mich echt nich entscheiden, was ich nehmen soll. Irgend jemand muß wohl was gesagt haben, weil nach ner Woche is der Trainer mal zu mir hergekommen und hat gemeint, ich soll nich lang überlegen und einfach alles essen, was ich will, man würde das ›übernehmen‹. Ne heiße Sache.

Nun raten Sie mal, wer mit mir in der Stillbeschäftigung gesessen hat? Niemand anders als Jenny Curran. Sie kommt vor ’m Klassenzimmer zu mir her und sagt, sie kennt mich noch aus der ersten Klasse. Richtig erwachsen isse geworden und hat lange schwarze Haare und lange Beine und ein schönes Gesicht und noch andre Sachen, die trau ich mich aber nich zu sagen.

Beim Football isses nich grad gelaufen, wie der Trainer sich das vorgestellt hat. Er hat oft nen ziemlich unzufriedenen Eindruck gemacht und dauernd irgend jemand angeschnauzt. Mich hat er auch angeschrien. Sie wollten sich was ausdenken, wie ich, wenn einer von uns den Ball hat, einfach nur dastehen und dafür sorgen kann, daß die andern den nich schnappen, aber das hat bloß geklappt, wenn sie den Ball genau über die Mitte gespielt haben. Von meinem Angriff war der Trainer auch nich begeistert, und ne ganze Menge Zeit hab ich an der Eiche geübt, das können Sie mir glauben. Aber ich hab’s einfach nich fertiggebracht, mich so auf den Typen mit ’m Ball zu stürzen, wie sie’s haben wollten. Irgendwas hat mich dran gehindert.

Aber dann is ’was passiert, und hinterher war alles ganz anders. Also, ich bin in der Cafeteria, hol mein Essen und geh dann zu dem Tisch rüber, wo Jenny Curran immer sitzt. Ich hab eigentlich nie nix zu ihr gesagt, aber sie is so ungefähr die einzige Person in der ganzen Schule gewesen, die wo ich halbwegs gekannt hab, und es war einfach ’n gutes Gefühl, neben ihr zu sitzen, trotzdem sie sich meistens gar nich um mich gekümmert und mit andren geredet hat. Zuerst hab ich immer bei ’n paar Football-Spielern gesessen, aber die haben so getan, wie wenn ich Luft wär oder so. Jenny Curran hat wenigstens so getan, wie wenn’s mich gibt. Mit der Zeit hab ich aber mitgekriegt, daß sich so ’n andrer Typ auch dauernd in ihre Nähe setzt, und der fängt an, blöde Bemerkungen zu machen, und gibt irgendwelchen Scheiß von sich. »Wie geht’s denn unserem Riesenbaby« und all so was. So geht das dann ne Woche oder zwei, ohne daß ich was sag, aber dann sag ich – ich kann jetzt noch kaum glauben, daß ich’s wirklich gesagt hab –, »ich bin kein Riesenbaby«. Der Typ glotzt mich einfach nur an und lacht los. Jenny Curran sagt, er soll aufhören, aber jetzt nimmt er auch noch nen Milchbeutel und kippt ihn mir auf die Hose. Ich spring auf und renn raus, weil ich bin total erschrocken.

Nen Tag später oder so kommt der Kerl im Flur zu mir her und sagt, »dich krieg ich«. Den ganzen Tag hab ich ganz arg Angst gehabt, und wie ich am Nachmittag in die Turnhalle will, steht er da mit nem Haufen Kumpels. Ich will in die andre Richtung gehn, aber er kommt auf mich zu und haut mir auf die Schulter und sagt lauter böse Sachen – »Blödian« und so –, und dann boxt er mich in den Bauch. Besonders weh hat’s eigentlich nich getan, aber ich fang trotzdem an zu heulen, und dann dreh ich mich um und lauf weg und hör, daß er mich hetzt und seine Freunde auch. Ich renn, so schnell ich kann, über den Trainingsplatz auf die Turnhalle zu, und plötzlich seh ich, daß Mr. Fellers auf der Tribüne hockt und zuschaut. Die Kerle bleiben stehen und gehen weg, und der Trainer macht ’n total eigenartiges Gesicht und sagt, ich soll sofort meinen Dreß anziehen. Kurz drauf kommt er in die Umkleidekabine und hat drei Spielzüge auf ’n Blatt Papier gemalt – gleich drei! – und sagt, ich soll mir die so gut einprägen, wie ich kann.

Wie dann beim Training alle auf zwei Mannschaften verteilt sind, gibt der Spielmacher plötzlich mir den Ball, und ich soll über ’n rechten Flügel auf die Torlinie zurennen. Weil sie mich alle hetzen, lauf ich, so schnell wie ich kann – und erst wie sich sieben oder acht auf mich stürzen, bringen sie mich zu Fall. Der Trainer is ganz begeistert und hüpft in der Gegend rum und klopft allen auf die Schulter. Wettrennen, zum Schauen wie schnell wir sind, haben wir auch vorher schon oft gemacht, aber anscheinend werd ich sehr viel schneller, wenn mich wer verfolgt. Wie jeder Idiot, würd ich mal sagen.

Auf jeden Fall war ich danach viel beliebter, und die andren Typen aus der Mannschaft sind freundlicher zu mir gewesen. Dann haben wir unser erstes Spiel gehabt, und ich bin fast gestorben vor Angst, aber ich hab oft den Ball gekriegt, und zwei oder drei Mal bin ich bis über die Torlinie gerannt, und noch nie sind die Leute netter zu mir gewesen wie nach diesem Spiel. Diese High school hat ganz schön ’was verändert in meinem Leben. Irgendwann hat’s mir sogar Spaß gemacht, mit ’m Ball loszurennen, bloß haben sie mich eigentlich immer über die Flügel geschickt, weil ich hab immer noch keinen Spaß dran gehabt, Leute einfach über ’n Haufen zu rennen, wie man’s in der Mitte macht. Einer von den Gorillas meint mal, daß so ’n Hüne wie ich Halfback spielt, das würd’s auf der ganzen Welt nich noch mal geben, und das hat er wohl nich als Kompliment gemeint.

Bei Miss Henderson hab ich viel besser lesen gelernt.

Sie hat mir Tom Sawyer gegeben und noch zwei Bücher, wo ich mich nich mehr dran erinnern kann, und die hab ich alle mit nach Hause genommen und gelesen, aber dann hat sie mich nen Test machen lassen, und der war nich so berühmt. Aber die Bücher fand ich echt gut.

Nach ner Weile hab ich mich wieder in der Cafeteria neben Jenny Curran gesetzt, und ziemlich lang hat’s nie keinen Arger mehr gegeben, aber dann bin ich mal im Frühling von der Schule heimgegangen, und plötzlich steht da niemand andrer als wie dieser Junge, wo mir die Milch auf die Hose gekippt und mich gehetzt hat. Er hebt nen Stock auf und ruft lauter so ’n Zeugs wie »Blödian« und »Schwachkopf«.

’n paar andre Leute gucken zu, und dann kommt Jenny Curran um die Ecke, und eigentlich wollt ich grad losrennen, aber dann laß ich’s einfach bleiben – keine Ahnung wieso. Der Kerl stößt mir seinen Stock in den Bauch, und ich sag mir, scheiß drauf, und pack ihn am Arm, und mit der andren Hand hau ich ihm eine auf die Birne, und damit is die Sache erledigt – mehr oder weniger.

Am Abend kriegt meine Mami nen Anruf von diesem Jungen seinen Eltern: Wenn ich mich noch mal an ihrem Sohn vergreif, rufen sie die Polizei und lassen mich ›wegbringen‹. Ich versuch das meiner Mami zu erklären, und sie sagt, sie kann das gut verstehen, aber ich merk doch, daß sie sich Sorgen macht. Sie sagt, wo ich jetzt so ’n Kleiderschrank bin, muß ich aufpassen, weil ich könnt jemand verletzen. Ich hab genickt und versprochen, daß ich nie keinem ’was tu. Wie ich dann im Bett lieg, hör ich, wie sie in ihrem Zimmer vor sich hin weint.

Aber es hat mir doch was gebracht, daß ich diesem Jungen eine auf die Birne gehaut hab, nämlich ich hab nachher beim Football ne fundimantal andre Spielweise gehabt. Gleich am nächsten Tag hab ich den Trainer gefragt, ob ich mal mit ’m Ball voll gradaus laufen darf, und er sagt »okay«, und ich renn vier oder fünf Mann über ’n Haufen, bis ich freie Bahn hab, und alle müssen hinter mir herrennen. Im gleichen Jahr hab ich’s noch bis zur Auswahlmannschaft von Alabama gebracht. Ich konnt’s selber kaum glauben. Meine Mami hat mir zum Geburtstag zwei paar Socken und ’n neues Hemd geschenkt, und dann hat sie noch gespart gehabt für nen neuen Anzug, wo ich angezogen hab, wie ich den Preis von der Football-Auswahlmannschaft gekriegt hab. Mein allererster Anzug. Mami hat mir den Krawattenknoten gebunden, und dann ab die Post.

2

Das Festbankett für die Auswahlmannschaft war in so ner Kleinstadt, in Flomaton, und der Trainer hat gemeint, das is bloß ’n Katzensprung. Man hat uns in nen Bus gesetzt – fünf oder sechs aus unsrer Gegend haben nen Preis gekriegt – und hingekarrt. Es hat dann aber ein, zwei Stunden gedauert, bis wir angekommen sind, und das war ’n Bus ohne Toilette, und ich hab vorher zwei Brausen getrunken, und wie wir endlich in Flomaton waren, hab ich echt ganz dringend gemußt.

Die Fete hat in der Aula von der High school stattgefunden, und wie wir drin waren, hab ich mit ’n paar von den andern das Klo gesucht. Aber wie ich den Reißverschluß aufmachen will, geht der nich runter, weil da is ’n Hemdzipfel eingeklemmt. Wie ich ne Zeitlang dran rumprobiert hab, geht ’n netter kleiner Kerl von ner gegnerischen Schule den Trainer suchen, und der kommt mit den zwei Gorillas, und sie probieren, ob sie meine Hose nich aufkriegen. Einer von den zwei Gorillas meint, da is nix zu machen, den Reißverschluß kann man bloß auseinanderreißen. Der Trainer stemmt die Hände in die Hüften und sagt, »Glauben Sie vielleicht, ich schick den Jungen mit offnem Hosenladen aufs Podium, und am Ende hängt sein Ding raus – was meinen Sie wohl, was das für nen Eindruck hinterläßt?« Dann dreht er sich zu mir um und sagt: »Du mußt eben warten, bis das Bankett vorbei is, und dann machen wir den Hosenladen auf, okay?« Ich nick, weil ich nich weiß, was ich sonst tun soll, aber ich hab das Gefühl, das wird ’n langer Abend.

Wir gehn also in die Aula rein, und da hockt schon ne Million Menschen, und die strahlen und klatschen, wie sie uns kommen sehn. Man hat uns vor die ganzen Leute hingesetzt – an nen ewiglangen Tisch auf ’m Podium –, und meine schlimmsten Befürchtungen erfüllen sich von wegen langer Abend und so. Is mir vorgekommen, wie wenn jeder im Saal aufgestanden wär und ne Rede gehalten hätt – Bedienungen und Hausmeister inklisive. Wenn bloß meine Mami da gewesen wäre, weil die hätt mir geholfen, aber die is daheim im Bett gelegen mit der Grippe. Endlich is es dann so weit, wir sollen die Preise kriegen, so kleine goldgelbe Bälle. Wenn man unsre Namen aufruft, müssen wir zum Mikrofon gehen, uns die Preise geben lassen und »danke« sagen. Wenn einer sonst noch ’was auf ’m Herzen hat, soll er sich kurz fassen, haben sie gemeint, schließlich wollen wir nich bis zum Jahr 2000 da rumhocken.

Fast alle haben ihren Preis schon abgeholt und »danke« gesagt, und jetzt bin ich dran. Durchs Mikrofon ruft einer »Forrest Gump« – was mein Nachname is, falls ich Ihnen das noch nich erzählt hab. Ich steh auf und geh hin, und die geben mir den Ball. Ich beug mich vor zum Mikrofon und sag »danke«. Alle fangen sie an zu klatschen und rufen Bravo und stehen sogar auf.

Mir kommt’s fast so vor, wie wenn irgend jemand denen schon im voraus gesteckt hat, daß ich so was wie ’n Idiot bin, und drum wollen sie ganz besonders nett sein. Ich bin aber so was von verblüfft, daß ich absolut nich mehr weiß, was ich machen soll, und einfach stehen bleib. Dann wird’s ganz still, und der Mann am Mikro beugt sich vor und fragt mich, ob ich noch was sagen möcht. Da sag ich bloß: »Ich muß pinkeln.«

Die Leute im Publikum haben sich bloß komische Blicke zugeworfen, und ne ganze Weile hat keiner nix gesagt. Dann haben sie angefangen leise zu tuscheln, und Mr. Fellers is hergekommen und hat mich am Arm gepackt und wieder an meinen Platz befördert. Für den Rest vom Abend hat mich der Trainer böse angefunkelt, aber wie das Bankett vorbei war, isser dann doch mit mir und den Gorillas aufs Klo gegangen und hat meine Hose aufgerissen. Ich hab die ganze Schüssel vollgepißt!

»Gump«, hat der Trainer gesagt, wie ich fertig war, »du hast vielleicht ne Art, dich auszudrücken.«

Im nächsten Jahr is eigentlich nix Besondres passiert, bloß muß wohl irgend jemand rumposaunt haben, daß es ’n Idiot geschafft hat, in die Auswahlmannschaft von Alabama zu kommen. Jedenfalls sind jede Menge Briefe aus ’m ganzen Land eingetrudelt. Mami hat sie alle aufgehoben und ne Mappe angelegt. Einmal is ’n Paket aus New York City gekommen mit nem richtigen Baseball drin, wo alle New York Yankees – die komplette Mannschaft! – ihre Namen draufgeschrieben hatten. So was Tolles is mir in meinem ganzen Leben noch nich passiert! Ich hab den Ball gehütet wie meinen Augapfel, bis ich mal auf ’m Hof mit ihm rumgespielt hab, und so ’n Riesenköter schnappt ihn sich aus der Luft und zerkaut ihn. Solche Sachen passieren mir andauernd.

Dann hat mich mal der Trainer ins Büro vom Direktor gebracht, und da is ’n Mann von der Universität, wo mir die Hand schüttelt und fragt, ob ich schon mal dran gedacht hab, auf ’m College Football zu spielen. Sie haben meine Spiele »verfolgt«, sagt er. Ich schüttle den Kopf, weil an so ’was hab ich noch nie gedacht.

Wie’s aussieht, haben alle nen Heidenrespekt vor dem Mann – andauernd verbeugen sie sich und sagen Mr. Bryant zu ihm. Aber zu mir sagt er, ich soll ihn Bär nennen, und ich denk noch, das is vielleicht ’n komischer Name, bloß irgendwie sieht er wirklich aus wie ’n ›Bär‹. Trainer Fellers hat ihm verklickert, daß ich nich der Allerhellste bin, aber der Bär hat bloß gemeint, das wär bei seinen andren Spielern meistens auch nich anders, und fürs Studium könnt er mir bestimmt Nachhilfe organisieren. Ne Woche drauf geben sie mir dann nen Test mit nem Haufen bekloppter Fragen, wo ich nix mit anfangen kann. Nach ner Weile hab ich keine Lust mehr und mach gar nich mehr weiter.

Zwei Tage später holt mich Trainer Fellers wieder ins Büro vom Direktor, und der Bär is auch wieder da. Er macht nen unzufriedenen Eindruck, aber trotzdem is er nett zu mir und fragt, ob ich bei dem Test mein Bestes gegeben hab. Wie ich nicke, verdreht der Direktor die Augen, und der Bär sagt: »Tja, das is bedauerlich, der Punktzahl nach müßte der Junge ein Idiot sein.«

Jetzt schüttelt der Direktor den Kopf, und Trainer Fellers hat die Hände in die Hosentaschen gesteckt und is sauer. Sieht ganz so aus, wie wenn meine Football-Karriere an der Uni schon gelaufen wär.

Daß ich zum Football-Spielen an der Uni zu blöd war, hat die US-Army scheinbar nich besonders gestört. Es ist mein letztes Schuljahr an der High school gewesen, und im Frühjahr haben die andren alle ihre Abschlußprüfung gemacht. Ich durfte mich dann auch aufs Podium setzen, und man hat mir sogar ne richtige schwarze Robe gegeben. Wie ich an der Reihe bin, verkündet der Direktor, daß ich ’n ›Spezialdiplom‹ krieg. Ich steh auf, und auch die Gorillas stehen auf und kommen mit zum Mikrofon – wahrscheinlich damit ich nich wieder irgend ’ne Bemerkung mach wie bei der Preisverleihung. Meine Mami sitzt in der ersten Reihe und heult, und ich fühl mich echt gut, wie wenn ich richtig was geleistet hält.

Erst wie wir wieder daheim sind, erfahr ich, wieso sie dauern am Weinen is, nämlich wegen nem Musterbescheid oder so was Ähnlichem, wo von der Army gekommen is. Mir war absolut nich klar, was das Ganze soll, aber meine Mami hat’s gewußt – das war nämlich 1968, und da hat sich ’n Haufen Scheiße zusammengebraut.

Mami hat mir nen Brief vom Direktor mitgegeben, wo ich diesen Muster-Typen geben sollte, aber den hab ich unterwegs irgendwo verloren. Die haben ’n Wahnsinnstheater aufgeführt. Erst mal war da so ’n großer Neger in nem Kampfanzug, der wo nix andres gemacht hat als rumbrüllen und alle in Gruppen einteilen. Wir sind einfach so dagestanden, und der kommt her und schreit: »Die Hälfte von euch geht da rüber, die Hälfe geht dort rüber, und die andere Hälfte bleibt, wo sie is, marsch, marsch!« Alle waren ganz verdutzt und sind hin- und hergelaufen, und sogar mir is gleich klar gewesen, der Kerl is nich ganz dicht.

Man hat mich in nen Raum geführt, wo sie uns alle aufgereiht haben, und dann sollten wir uns ausziehn. Von so was halt ich eigentlich gar nix, aber die andern haben’s alle gemacht, da hab ich’s eben auch gemacht. Alles haben die bei uns angekuckt: Augen, Nase, Mund, Ohren – sogar das Geschlechtsteil. Und dann sagt jemand zu mir »vorbeugen«, und wie ich’s mach, rammt der mir den Finger in den Hintern.

Jetzt reicht’s aber!

Ich dreh mich um, schnapp mir den Sauhund und hau ihm eine auf die Birne. Plötzlich is ’n großes Tofuwabofu im Gange, und ’n Haufen Leute stürzen sich auf mich. Aber das ist ja nix Neues für mich. Ich schüttle sie ab und renn zur Tür raus. Wie ich daheim bin und meiner Mami erzähl, was passiert is, gerät sie ganz aus ’m Häuschen, aber sie sagt: »Mach dir keine Sorgen, Forrest – das kriegen wir schon wieder ins Lot.«

Denkste. Ne Woche später hält vorm Haus ’n Transporter, und ’n paar Männer in Kampfanzügen mit glänzenden schwarzen Helmen steigen aus und klingeln bei uns und fragen nach mir. Ich versteck mich in meinem Zimmer, aber Mami kommt rein und sagt, die wollen mich bloß noch mal zu diesem Musterausschuß hinfahren. Auf der Fahrt lassen die mich keine Sekunde aus den Augen, wie wenn ich ’n Wahnsinniger wär.

Dann geht’s durch ne Tür in ’n Mordsbüro, und da sitzt so ’n älterer Mann drin, wo sich total rausgeputzt hat mit ner blitzenden Uniform, und der guckt mich ganz mißtrauisch an. Ich muß mich hinsetzen und krieg mal wieder nen Test vor die Nase geknallt, der wo’s in sich hat, trotzdem er lang eich so schwer is wie der für die Football-Mannschaft auf ’m College.

Wie ich fertig bin, bringt man mich in nen andren Raum, und da hocken vier, fünf Typen hinter nem langen Tisch, und die fragen ’n Haufen Zeugs und lassen irgendwas rumgehen, was aussieht wie der Test, den wo ich eben erst gemacht hab. Dann stecken sie die Köpfe zusammen, und nachher unterschreibt einer nen Zettel und gibt ihn mir. Den nehm ich mit, und wie Mami ihn gelesen hat, isse ganz aus ’m Häuschen und weint und preist den Herrgott, weil draufsteht, daß ich ›zurückgestellt‹ bin von wegen Blödheit und so.

Ja, und dann is da in der gleichen Woche noch ne andre Sache passiert, wo nen ziemlichen Einschnitt in meinem Leben markiert. Einer von unsren Pensionsgästen is nämlich ne richtig nette Lady gewesen, wo bei der Post als Telefonistin gearbeitet hat. Miss French hat sie geheißen. Normalerweise isse nich sehr gesellig gewesen, aber einmal hat sie den Kopf durch die Tür gesteckt, wie ich am Abend an ihrem Zimmer vorbeigegangen bin – wahnsinnig heiß isses gewesen, und ’n Gewitter hat in der Luft gelegen. »Forrest«, meint sie, »ich hab heute mittag ne Schachtel Pralinen bekommen – möchtste mal probieren?«

Ich sag »ja«, und sie winkt mich in ihr Zimmer, und die Pralinen liegen auf der Frisierkommode. Sie gibt mir eine, und dann fragt sie, ob ich noch eine will, und dabei zeigt sie mit der Hand aufs Bett, und ich setz mich hin. Ich futtre bestimmt zehn oder fuffzehn Pralinen, und draußen blitzt’s und donnert’s, und die Vorhänge bauschen sich, und Miss French gibt mir nen Schubs, damit ich mich aufs Bett zurücksinken laß. Dann streichelt sie mich auf ne ganz intime Art. »Mach einfach die Augen zu«, sagt sie, »dann geht das ganz von alleine.« Dann sind Sachen passiert, wo ganz neu für mich waren. Ich kann aber nich genau sagen, was für Sachen, weil ich hab ja die Augen zugemacht. Also, meine Mami hätt mich jedenfalls umgebracht, wenn sie’s erfahren hält. Aber in Zukunft hab ich so manches ganz anders gesehen, das können Sie mir glauben.

Miss French war ne nette Lady, bloß wär’s mir eben lieber gewesen, wenn an dem Abend nich sie diese Sachen mit mir gemacht hält, sondern Jenny Curran. Leider hab ich nich die blasseste Idee gehabt, wie ich der Erfüllung von diesem Wunsch auch nur ’n bißchen näherkommen könnt, weil, so wie ich nun mal bin, isses für mich nich leicht, mich mit jemand zu verabreden – um mich mal ganz vorsichtig auszudrücken.

Aber nach diesem Erlebnis trau ich mich immerhin, meine Mami zu fragen, ob da nich doch was zu machen wär von wegen Jenny und so. Von mir und Miss French hab ich natürlich nix gesagt. Mami hat gemeint, sie kümmert sich drum, und hat am Telefon Jenny Currans Mami erklärt, um was es geht, und siehe da, wer steht am nächsten Abend bei uns vor der Tür? Niemand anders als Jenny Curran!

Richtig rausgeputzt hat sie sich mit nem weißen Kleid und ner rosaroten Blume im Haar, und nich mal im Traum is mir vorher jemand begegnet, wo so schön war. Mami hat sie ins Wohnzimmer geführt und ihr ’n Eis gegeben und hat gerufen, ich soll runterkommen, weil ich bin sofort in mein Zimmer gelaufen, wie ich gesehen hab, daß Jenny durch die Gartentür kommt. Leider hätt ich mich von fünftausend Personen auf einmal jagen lassen, als wie jetzt sofort aus meinem Zimmer zu kommen, aber Mami is raufgekommen, hat mich an der Hand genommen und runtergeführt und mir auch ’n Eis gegeben. Dann ging’s schon besser.

Mami hat gesagt, wir dürfen ins Kino, und wie wir aus ’m Haus gehen, gibt sie Jenny drei Dollar. Jenny is ganz besonders nett und redet und lacht, aber ich bin dauernd bloß am Nicken und Grinsen wie ’n Idiot. Das Kino is bloß vier oder fünf Blocks von unsrem Haus weg. Jenny besorgt die Eintrittskarten, und wir gehen rein und setzen uns, und dann fragt sie mich, ob ich Popcorn will, und wie sie dann mit den Dingern zurückkommt, hat’s schon angefangen.

In dem Film geht’s um zwei Leute, nen Mann und ne Frau, die heißen Bonny und Clyde und rauben Banken aus, und dann gibt’s da noch ’n paar andre Leute, wo auch ganz interessant sind. Aber die ballern auch dauernd rum und bringen Leute um und machen lauter so nen Scheiß. Is mir irgendwie komisch vorgekommen, daß die Leute sich einfach so totschießen, und ich hab immer laut gelacht, wenn’s wieder passiert is, und jedesmal isses mir so vorgekommen, wie wenn Jenny Curran in ihrem Sessel noch ’n Stück weiter nach unten gerutscht wär. Mitten im Film hab ich dann auf einmal gemerkt, daß sie praktisch auf ’n Boden gerutscht is, und ich denk mir, sie muß wohl irgendwie aus ’m Sitz gekippt sein. Ich will sie wieder raufziehen und pack sie mit einer Hand an der Schulter.

Aber dann hör ich, wie was reißt und guck runter und seh, daß der Jenny ihr Kleid komplett aufgeschlitzt is. Ich will sie mit der Hand zudecken, aber sie fängt an zu jammern und schlägt ziemlich wild um sich. Ich versuch sie festzuhalten – nich daß sie am Ende noch mal runterfällt oder ihr Kleid ganz verliert, und dann drehen sich auch schon Leute um und wollen wissen, was der Krach soll. Plötzlich kommt durch den Gang ’n Typ auf uns zu, wo ne starke Taschenlampe direkt auf Jenny und mich richtet, und wie sie so hell angestrahlt wird, fängt sie an zu kreischen und springt auf und läuft aus ’m Kino.

Dann stehen auch schon zwei Männer vor mir und sagen, ich soll aufstehen und ihnen ins Büro folgen. ’n paar Minuten später kommen zwei Polizisten rein und wollen, daß ich mitkomm. Wie wir beim Funkwagen sind, steigen zwei vorne ein und zwei nehmen mich hinten in die Mitte, genau wie bei Trainer Fellers und seinen Gorillas, bloß daß wir diesmal wirklich »aufs Revier« fahren. Sie führen mich in nen Raum, drücken mir die Finger auf ’n Stempelkissen, machen Fotos von mir und werfen mich ins Gefängnis. ’n ganz furchtbares Erlebnis is das gewesen. Die ganze Zeit hab ich mir Sorgen um Jenny gemacht, aber nach ner Weile is meine Mami aufgetaucht, und beim Reinkommen hat sie sich mit dem Taschentuch die Augen gewischt und die Hände ineinander verkrampft, und da hab ich gewußt, jetzt hab ich’s mir mal wieder verscherzt.

’n paar Tage später im Gericht isses dann total feierlich zugegangen. Meine Mami hat mir extra meinen Anzug angezogen und is mit mir rübergegangen, und dort haben wir nen richtig netten Mann mit nem Schnurrbart getroffen, der so ne riesige Handtasche dabei hatte und dem Richter ’n Haufen Zeugs erzählt hat, und dann haben auch noch ’n paar andre Leute – inklisive meine Mami – irgend ’nen Scheiß von sich gegeben, und am Schluß war ich dran.

Der Mann mit dem Schnurrbart nimmt mich am Arm, damit ich aufsteh, und der Richter fragt, wie das alles passieren konnte. Mir fällt nix ein, also zuck ich bloß mit den Schultern, und wie er wissen will, ob ich noch irgendwas hinzufügen möcht, sag ich eben, »ich muß pinkeln«, weil wir sitzen schon fast nen halben Tag rum, und ich platz gleich! Der Richter, wo hinter nem Mordsschreibtisch hockt, beugt sich vor und glotzt mich an, wie wenn ich vom Mars käm oder so. Der Typ mit ’m Schnurrbart sagt was zu ihm, und der Richter meint, dann soll er mich eben aufs Klo bringen. Das macht der dann auch.

Ich dreh mich noch kurz um, bevor wir rausgehen, und seh, wie meine arme alte Mami den Kopf in die Hand stützt und sich mit ’m Taschentuch die Augen wischt.

Wir kommen dann also wieder rein, und der Richter kratzt sich am Kinn und meint, das Ganze wär ›sehr sonderbar‹, aber am besten würd ich wohl meinen Wehrdienst leisten, vielleicht könnten die mich auf die richtige Bahn bringen. Meine Mami erklärt ihm, daß die Army mich nich nimmt von wegen Blödheit – aber heute morgen wär ’n Brief von der Universität gekommen, und bei denen kann ich umsonst studieren, wenn ich für sie Football spiel.

Der Richter sagt, das klingt sehr sonderbar, aber ihm soll’s recht sein, wenn ich nur meinen dicken Hintern aus der Stadt rausbewege.