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Über dieses Buch:

Als eines Tages ein unbekanntes Drachenboot in der Werft des jungen Bootsbauers Folke einläuft, ist es mit seinem beschaulichen Leben vorbei. Denn die grimmige Besatzung des »Grauen Wolfs« scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten – ebenso wie der verletzte Krieger, den Folke in seinem Haus aufnehmen soll. Woher stammen seine seltsamen Wunden? Was ist auf dem Schiff geschehen? Der neugierige Folke sucht nach Antworten und heuert kurzerhand auf dem »Grauen Wolf« an. Als ihm klar wird, dass er sich damit in tödliche Gefahr begibt, ist es bereits zu spät …

Über die Autorin:

Kari Köster-Lösche, 1946 in Lübeck geboren, Tierärztin und Wikingerexpertin, hat einen Großteil ihrer Jugend im schwedischen Uppsala, dem Zentrum der nordischen Kultur, verbracht. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Nordfriesland.

Kari Köster-Lösche veröffentlicht bei dotbooks bereits die historischen Romane »Die Erbin der Gaukler«, »Jagd im Eis«, »Die Wagenlenkerin«, »Die Hexe von Tondern«, »Die Reeder«, »Die Heilerin von Alexandria« und das Kinderbuch »Stille Nacht, eisige Nacht« sowie zwei historische Romanserien:

DIE WIKINGER-SAGA:
»Der Thorshammer – Band 1«
»Das Drachenboot – Band 2«
»Die Bronzefibel – Band 3«

DIE SACHSEN-SAGA:
»Das Blutgericht – Erster Roman«
»Donars Rache – Zweiter Roman«
»Mit Kreuz und Schwert – Dritter Roman«

Die Romane der »Sachsen-Saga« sind auch als Sammelband erhältlich.

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eBook-Neuausgabe März 2015

Copyright © der Originalausgabe 1992 by Ehrenwirth Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Atelier Nele Schütz, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Fernando Cortes

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-017-9

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Kari Köster-Lösche

Das Drachenboot

Die Wikinger-Saga

Band 2

dotbooks.

Vorspiel fern von Haithabu

Der Mann, den er verfolgte, merkte nichts. Schon lange war er hinter ihm her, aber noch nie war die Gelegenheit so günstig gewesen. Der Wikinger faßte die Holzkeule fester und spähte zwischen den spärlichen Birken hindurch. Noch war der andere zu sehen.

Die Wut, die sich seit langem in ihm aufgestaut hatte, ließ ihn seine Ehre vergessen. Ein Wikinger tritt einem anderen Mann mit Waffen nur von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Aber der andere war nicht der Gegner, den ein Mann sich wünscht, sondern ein Feind, den er mörderisch haßte. Wie einen Hasen würde er ihn hetzen, bis er sich in den Abgrund stürzte und für immer im eisigen Utgard verschwand.

Sein Todfeind wußte von nichts.

Das Wetter kam dem Vorhaben des Verfolgers entgegen. In der Ferne rollte erster Donner. Er wartete.

Endlich wurden die grünen zarten Blätter der Birken von den prasselnden Tropfen und von heftigen Windstößen herumgewirbelt. Strömender Regen machte die Männer fast unsichtbar, voreinander und auch vor den Augen anderer. Der Lärm des Sommergewitters verschluckte jedes andere Geräusch, auch die der schleichenden, schäbigen Ledersohlen. Es war soweit.

Dann stand er hinter dem anderen, hob die Keule und holte zu einem weiten, tödlichen Schlag aus.

In Haithabu

1. Eine rätselhafte Verletzung

Der Donnerstagmorgen der letzten Woche im Herbstmond des Jahres 927 verlief in Haithabu wie unzählige andere seiner Art. Die Handwerker arbeiteten in ihren Buden, die Kaufleute besichtigten die Waren, die von den eben eingetroffenen Wagen aus Hollingstedt oder von Schiffen im Hafen entladen wurden, die Fischer kehrten vom Auslegen ihrer Netze in der Schlei nach Hause, und Folke legte in der Bootsbauerei letzte Hand an einen Drachensteven.

Natürlich war Folke bei seiner Arbeit nicht allein, ja, eigentlich war es gar nicht seine Arbeit: Er half dem Stevenschnitzer, den Drachenkopf einzupassen. Am Morgen war der Mann, der im Auftrag des Schiffbaumeisters Thorbjörn den Drachen mit gefährlich schnaubenden Nüstern und rollenden Augen geschnitzt und bemalt hatte, mit der Figur über der Schulter angekommen und hatte sie vorsichtig neben dem fast fertigen Schiff abgestellt. Seitdem war der Stevenschnitzer dabei, die Aussparung für den Stiel des Kopfes in das Eichenholz des Stevens zu stemmen.

Auch Thorbjörn war anwesend, schließlich war es ein feierlicher Augenblick, wenn die lange Bauzeit eines Kriegsschiffes zu Ende ging, und er stand, beide Hände in die Seite gestemmt, mit hochgezogenen Augenbrauen hinter den beiden Männern. Thorbjörn, dessen Gesicht nach dem sonnigen Sommer am ständig spiegelnden Wasser dunkel gebrannt war, lächelte zufrieden. Es war ein schönes Schiff, und wie ein Pfeil würde es über die See zwischen dem Land der Finnen im Osten und den Inseln der Iren im Westen fliegen.

Aber Thorbjörn wurde in seinen Gedanken unterbrochen, und auch Folke hob den Kopf und blickte auf die Schlei hinaus.

Über dem Hintergrundgeräusch von fernem Reden und Rufen in der Stadt hörten sie das Knattern eines großen Segels, in das böiger Wind fuhr. Ungewöhnlich lange hatte der Steuermann das Segel stehenlassen: es erst vor der Hafeneinfahrt fallen zu lassen, konnte auch zu spät sein. Thorbjörn und Folke sahen sich an und schüttelten die Köpfe.

»Stümper«, knurrte der Stevenschnitzer, ohne sich umzusehen, und sein Holzschlegel schlug dazu im Takt auf den Beitel.

Aber das mußte nicht sein. Wer auf einem schnellen Kriegsschiff die schmale Schlei entlangsegelte, statt rudern zu lassen, wußte meistens, was er tat. Wenn nicht, würde er nur mit viel Glück hier am allerletzten Ende der Schlei ankommen. Viele Engstellen mit Strömung und Gegenströmung und Richtungsänderungen im Wasserlauf machten das Befahren unter Segeln schwierig. Der Schiffsführer mußte entweder tollkühn sein oder ein dringendes Anliegen in der Stadt haben.

Folke sprang auf einen Holzstamm, der zum Spalten bereitlag. Aber über die Hafenpalisade konnte er nicht hinwegblicken, obwohl er einer der längsten jungen Männer von Haithabu war. Er zuckte die Schultern und kam wieder herunter. Zu gerne hätte er das Langschiff einlaufen sehen. So aber konnte er nur beobachten, wie sich der Mast langsam in Richtung auf das Hafentor zubewegte, und aus der Ferne die Befehle an die Ruderer hören.

Thorbjörn, der seinen Brudersohn kannte, schmunzelte und strich sich über den blonden Bart, in dem bereits die ersten grauen Strähnen sichtbar wurden. »Vielleicht ist etwas mit dem Schiff nicht in Ordnung. Du solltest hingehen«, schlug er vor, »und in meinem Namen dem Schiffsführer Hilfe anbieten, sofern er sie annehmen möchte.«

O nein, wollte Folke widersprechen. Das konnte doch jeder der Mastspitze ansehen, daß das Schiff seetüchtig war, auch einer, der erst zwei Jahre lang den Schiffbau gelernt hat. »Willst du mich auf die Probe stellen?« fragte er statt dessen verdutzt.

Thorbjörn schüttelte milde den Kopf. Er hatte gelernt, seinen Brudersohn zu verstehen, besser als dieser ihn, und er wußte, daß Folke mit seiner unstillbaren Neugierde nicht die Zeit totschlug. Und während der Stevenschnitzer das Loch auskehlte, gab es sonst ohnehin nichts zu tun. »Ich meine es im Ernst«, bekräftigte er, »geh nur.«

Wortlos sprang Folke in den Schuppen, in dem sie ihr Werkzeug aufbewahrten, und streifte rasch seine Tunika über. Dann lief er los.

Bereits vom Uferweg aus konnte Folke erkennen, daß es ein großes Drachenboot war, das Einlaß in den Hafen von Haithabu begehrte. Noch lag es mitten im Hafentor, und sein Schiffsführer stand vorn im Bug und verhandelte mit einem Mann des Wikgrafen um die Erlaubnis zur Einfahrt.

Trotz des kriegerischen Aussehens des Schiffes, an dessen Bug ein rot-weißer Drachenkopf und an dessen Seitenwänden die roten Kriegsschilde aufgesteckt waren, ließ sich der Wachführer von den friedlichen Absichten der Mannschaft überzeugen. Nach kurzer Zeit wurden die Sperrbalken, die in diesen unruhigen Zeiten in die Hafeneinfahrt gelegt wurden, langsam beiseite gezogen. Der Schiffsführer eilte ans Steuer, und die Ruder im vorderen Teil des Schiffes hoben sich. Wenige Schläge nur waren nötig, um das Drachenboot an die Kaianlagen heranzutreiben, dann wurden die Ruder eingezogen.

Folke kam im Laufschritt im selben Moment an, wie zwei Mann aus dem Kriegsschiff auf den Steg sprangen und seine etwas zu hohe Geschwindigkeit mit der Bugleine abbremsten. Der eine stemmte die Hacken auf die Bohlen und zog hart, während der andere das Ende des Tampens um einen Holzpoller schlang. Mit einem heftigen Ruck kam die Fahrt aus dem Schiff, dann legte es sich längsseits an die Leeseite des Steges. Es schaukelte heftig, während die Köpfe der Besatzung hinter den Schilden auftauchten.

Der Bootsbauer verkniff sich das Lachen. Eine solche Ansammlung von wilden Männern hatten sie hier schon lange nicht mehr gesehen. Rote und blonde Bärte, struppige Haare und Narben in den Gesichtern sprachen von unfriedlichen Unternehmungen einen ganzen Sommer lang. In Haithabu sah man heutzutage selten solche Leute; die pflegten befestigte Handelsstädte nicht zu besuchen, denn Handel war nicht ihr Zeitvertreib. Haithabu aber war der Knotenpunkt des Wikingerhandels in alle Welt und viel zu gut bewacht, um im Handstreich genommen und ausgeplündert zu werden. Dafür sorgte schon der Wikgraf mit seinen Kriegern.

Die Ruderer schwatzten miteinander; im ersten Moment verstand Folke wegen des singenden Tonfalls kaum ein Wort. Ganz so melodiös wie die Schweden, denen zur Zeit die Stadt gehörte, sprachen sie jedoch nicht. Norweger also, dachte Folke und hätte beinahe laut gepfiffen. Ein norwegisches Kriegsschiff hatte er im Hafen noch nicht gesehen.

Als er hinter sich das hohle Stampfen der Stadtwache hörte, trat er beiseite, um ihr und dem Wachhauptmann Platz zu machen. Es war derselbe Hauptmann, der am Palisadentor das Entfernen der Sperre veranlaßt hatte. Im Sturmschritt war er den langen Weg über das Halbrund der Mole und über die Hafenstraße herangeeilt.

Folke kannte Benno Wachhauptmann, und er kannte auch das Ritual, das nun folgen würde, genau wie die Bevölkerung der Stadt, von der sich mittlerweile so viele Einwohner auf dem Steg drängten, daß er schwankte und das Holz knarrte. Während Hauptmann Benno die fremden Seeleute begrüßte und ihnen erklärte, daß die Stadt unter dem Frieden des Schwedenkönigs Knuba und unter der unmittelbaren Aufsicht seines Wikgrafen stehe und daß Fremde sich widerspruchslos diesem Frieden zu beugen hätten, fingen die vier Soldaten an, die Neugierigen langsam und beharrlich vom Steg auf das Ufer zurückzudrängen. Um Folke machten sie einen Bogen, weil sie von seinen guten Verbindungen zum Wikgrafen wußten.

Der Schiffsführer war ein großer, kräftiger Mann in einem grauen Wams mit Kapuze. Er richtete seine stahlblauen Augen unter den buschigen weißblonden Augenbrauen unverwandt auf Benno, als müßte er genau hinhören, um ihn zu verstehen, – und das konnte gut sein, denn Benno war Sachse und hatte sein Dänisch nicht schon am Rockzipfel seiner Mutter gelernt. Endlich war Benno mit der Erklärung fertig. »Das wird wohl so sein«, stimmte der Schiffsführer uninteressiert zu, »aber wir haben weder Waren bei uns, noch möchten wir welche kaufen. Wir sind auf dem Rückweg nach Skiringssal im Süden des Norwegerlandes und sind hier nur eingelaufen, um mit Kaufmann Högni zu sprechen.«

Folke zeigte seine Überraschung nicht. Von wo mochten die Norweger kommen? Vom Westen sicher nicht; da hätte man von Rückweg nicht sprechen können. Also von Osten. Aber auch da gab es kaum einen Schiffahrtsweg in den Oslofjord, der nicht näher und bequemer gewesen wäre als der über Haithabu.

»Wer bist du, und für wen führst du dieses Kriegsschiff?« fragte Benno, der langsam, aber gründlich war.

Der Schiffsführer wollte aufbrausen, aber dann besann er sich. »Es ist dein gutes Recht zu fragen. Ich«, sagte er und hob die Stimme, so daß die Zuschauer am Ufer ihn gut verstehen konnten, »ich bin Hjalti aus der Sippe Olafs, und ich führe den ›Grauen Wolf‹ für Geirmund auf Geirstad.«

Von Geirmund hatte Folke schon gehört. Er war ein Gaukönig in Südnorwegen. Große Taten dieses Gaukönigs waren jedoch noch nicht berichtet worden. Und Hjalti war ihm unbekannt.

Benno schien es ähnlich zu gehen. Er nickte gleichmütig. »Du hast einen weiten Weg auf dich genommen, um mit einem Mann zu sprechen, der nicht da ist. Högni ist in diesem Sommer in Birka.«

Högni, der größte Kaufmann von Haithabu: zu ihm kam man nicht um einer Kleinigkeit willen. Geirmund mußte Kostbarkeiten zu verkaufen haben, dachte Folke, während er den Fremden nicht aus den Augen ließ.

»Seine Sippe erwartet ihn mit jedem Tag zurück«, fügte Benno hinzu.

»Ich werde ihn finden«, sagte Hjalti kurz, und damit war für ihn die Angelegenheit erledigt. »Benno Wachhauptmann, ich habe einen verletzten Mann an Bord. Wir hatten einen Zweikampf. Gibt es bei euch eine heilkundige Frau?«

Benno zögerte und nickte dann Folke zu. Folke trat vor, und Hjalti richtete seinen ein wenig starren Blick auf ihn. »Ich bin Folke Björnssohn von der Bärensippe auf dem Bärenhof zu Missunde. Meine Mutter Aasa ist für ihre Heilkunst in der Gegend bekannt.«

Hjalti schüttelte ein wenig unzufrieden den Kopf. »Wie lange dauert es, sie vom Bärenhof herzuholen? Mein Mann wird den Tag vielleicht nicht überleben.«

»Sie ist hier in Haithabu«, versicherte Folke. »In wenigen Minuten kann sie hier sein.«

»Es wäre gut«, murmelte Hjalti.

Folke stürmte davon, ohne auf Hjaltis Entscheidung zu warten. Immer noch waren bei ihm Herz und Kopf schneller als Überlieferung und Sitte.

Benno sah ihm zufrieden nach. Diese Gäste, denen man den Willkomm hatte aussprechen müssen, auch wenn sie keine Kaufleute, sondern Krieger eines fremden Königs waren, würden nicht erzählen können, man habe sie aus Haithabu fortgeschickt. Auf den Ruf der Stadt war König Knuba bedacht und in seinem Namen der Wikgraf; und vom Wikgrafen bekam er, Benno, der sächsische Krieger, der sich trotz seiner Fremdheit unter den Dänen und Schweden zu einem geachteten Mitglied der Stadt emporgearbeitet hatte, seine Befehle. Folke mußte man nicht lange erklären, was nottat. Vielleicht hielt der Wikgraf seine Hand über Folke, weil dieser flink im Kopf und auf den Beinen war. Ganz genau wußte Benno darüber nicht Bescheid. Aber er wäre der letzte gewesen, Folke daran zu hindern, beides zu gebrauchen.

Es dauerte nicht lange, da meldeten die atemlosen kleinen Jungen, die sich mit blitzenden Augen als freiwillige Späher und Läufer betätigten, daß Aasa unterwegs sei.

Hinter Aasa, die sich kaum Zeit genommen hatte, ihre Tunika überzuwerfen, kam Folke. Er drängte sich entschlossen zwischen den Leuten auf dem Ufersteg durch, und als diese Frau Aasa erkannten, machten sie bereitwillig Platz. Hjalti, ein Mann, der seinen Nutzen zielsicher abzuwägen pflegte, wußte sofort, daß Frau Aasa die richtige war, sich um seinen kranken Mann zu kümmern. Eine edle Frau aus guter Sippe. Das hatte er beim Anblick des einfachen Handwerkers im Arbeitswams nicht erwartet.

Aasa sah zum Schiffsführer hinauf. Die Schlei führte nach regnerischen Tagen viel Wasser, und das Drachenboot schwamm hoch auf. »Könnt ihr den Mann nicht herausheben? Ich bin eine alte Frau und klettere nicht gerne auf Booten herum.« Nun sah Aasa nicht so alt aus, wie sie tatsächlich war, denn ihr Gesicht war immer noch faltenlos, und in Haithabu hätte die Höflichkeit unter Kaufleuten es erfordert, daß Hjalti widersprach.

Aber die Männer waren keine Kaufleute, sondern norwegische Krieger, und Hjalti bot an: »Wir heben dich herein.«

Ehe Aasa sich's versah, hatte ein Ruderer sie umfaßt und auf starken Armen in das Schiff geschwenkt. Da er dies in aller Ehrerbietigkeit tat, gab es keinen Grund zu protestieren. Aasa verschwand aus dem Blickfeld ihres Sohnes.

Weder die Wachleute noch Folke konnten beobachten, was im »Grauen Wolf« vor sich ging, aber sie hörten die Schiffsleute still werden. Kurz darauf trat Aasa bereits zu Hjalti an die Bordwand.

»Hjalti Olafssohn«, sagte sie mit weittragender Stimme, »die Verwundung deines Mannes ist so schwer, daß ein weiterer Tag an Bord ihn umbringen wird. Ich möchte, daß ihr ihn in Thorbjörn Bootsbauers Haus bringt. Er wird wochenlange Pflege benötigen – wenn dir daran liegt, ihn zu behalten.« Und während sie auf Hjaltis Zustimmung wartete, fügte sie so leise hinzu, daß die Neugierigen am Ufer sie nicht hören konnten: »Seit wann tragen Krieger eines Königs Zweikämpfe mit Keulen oder Steinen aus?«

Die Nasenlöcher des Schiffsführers blähten sich zornig, aber wenn Wikinger keine Zweikämpfe mit veralteten Waffen austrugen, so auch nicht mit den Frauen ihrer Gastgeber. »Geirmund würde es mir nicht lohnen, wenn ich von einer friedlichen Fahrt mit wesentlich weniger Männern zurückkehre, als ich ausgefahren bin«, sagte er mit heiserer Stimme, ohne die Frage zu beantworten. »Deshalb hoffe ich, daß du mir meinen Mann geheilt zurückschickst.«

Aasa nahm es als Zustimmung, den Mann mit sich zu nehmen, während Folke sich fragte, ob Hjalti vielleicht noch mehr Männer abhanden gekommen waren. Aber für Überlegungen blieb keine Zeit, Aasa winkte ihn zu sich. »Er muß lang ausgestreckt getragen werden«, sagte sie. »Keinesfalls darf sein Kopf mehr als notwendig bewegt werden.«

Folke nickte. Er hatte seiner Mutter schon öfter geholfen und wußte, worauf es ihr ankam. Ohne seine Anordnungen würde sich wahrscheinlich einer der Männer den Verletzten über die Schulter werfen und wie einen Sack Mehl in Thorbjörns Haus abladen.

Während Aasa bereits nach Hause eilte, um ihre Vorkehrungen zu treffen, wandte Folke sich an Hjalti, der wie angenagelt an der Bordwand stand.

»Erlaubst du mir, an Bord zu kommen?« fragte er höflich, wartete jedoch die Antwort gar nicht ab, sondern stemmte sich an der niedrigsten Stelle der klinkergebauten Bordwand hoch.

Einige Männer standen flüsternd bei dem Verletzten. Folke verstand sofort, was seine Mutter gemeint hatte. Der Schädelknochen des Mannes war an der linken Schläfe von einem rundlichen Gegenstand eingedrückt worden. Die Haut war blauschwarz verfärbt und Strähnen des gelben Haares in Blut getaucht. Obwohl Folke nah zu ihm trat, konnte er doch keinen Atem mehr in dem Mann hören, aber das wußte natürlich seine Mutter besser. Er lebte noch, aber es war wohl eher Mitleid als Hoffnung auf Heilung, was sie bewog, ihn zu behandeln.

Folke ging zur Reling zurück und beugte sich über die Schilde. »Du mußt mir eine Pforte oder ein breites Brett besorgen«, bat er den Wachhauptmann Benno.

Dieser befahl zwei Soldaten zu sich und holte in kurzer Zeit aus einem Packhaus am Ufer eine Tür.

Auf dieses Brett hoben die Norweger sanft den Rudersmann, der immer noch kein Lebenszeichen von sich gab. Folke band ihn mit Tauen fest, damit er beim Heben über die Bordwand nicht herunterrutschte, und dann trugen ihn zwei seiner Kameraden zum Hof von Thorbjörn.

Als sie den Mann auf das Fellbett hinüberhoben, hatte Aasa schon warmes Wasser in einer Schüssel bereit, und Lappen und Salbentopf standen auf einem Hocker. Sie sah angesichts der großen Aufgabe, die sie auf sich genommen hatte, so ernst und weise aus, daß die Männer auf Zehenspitzen aus dem Haus schlichen, sogar Folke, der doch hier zu Hause war.

»Ist deine Mutter aus königlichem Geschlecht?« fragte der jüngere von beiden. Er hatte noch einen sehr dürftigen Bartwuchs. Wahrscheinlich war es seine erste Fahrt.

»Oder eine Zauberin?« setzte der andere nach, der Frodi hieß, und blickte etwas mißtrauisch durch die Tür zurück ins Haus, in das gerade noch mehr Wasser geschleppt wurde. »Will sie ihn ertränken?«

Folke ertappte sich dabei, daß er überlegen lächelte. Er war sicherlich nicht viel älter als der junge Ruderer und weiser schon gar nicht. Aber sie kamen ihm beide etwas hinterwäldlerisch vor. »Meine Mutter Aasa hat großes Heil in ihren Händen«, belehrte er sie. »Die Heilkunde ist ihr von ihrer Muttersmutter verliehen worden. Und diese galt im ganzen Sveareich als die größte Heilerin.«

»Oh«, sagte der junge Norweger ehrfürchtig. Vor allem der Hinweis auf das schwedische Königreich flößte ihm große Hochachtung ein.

Der Ältere aber traute den Leuten hier im Süden nicht. Nur seinem Schiffsführer Hjalti Olafssohn, der wie er aus den Wäldern des Nordens stammte, und König Geirmund. Störrisch blieb er auf dem Hof stehen.

Folke wartete auf ihn. Er schnaubte verächtlich. Zauberin! Er wußte nicht, was sie in Norwegen mit Zauberin meinten. Hier in Haithabu gehörten Zauberinnen nicht zu den ehrenwerten Frauen, und für die Christen in der Stadt waren sie sogar vom Teufel besessen.

»Bei uns hat Geirmund auf Geirstad das höchste Heil«, beharrte Frodi, denn er wollte nicht, daß der Däne glaubte, er diene einem Mann, der etwa kein Heil hätte. »Er ist ein großer Heiling.«

»Für unsere Kranken findest du keinen größeren als Frau Aasa.«

Als die beiden Norweger merkten, wie unbeirrbar Folke blieb, gingen sie mit ein wenig mehr Zuversicht, als sie gekommen waren. Folke sah den Männern nach. Auf Land schienen sie ein wenig ungelenk – wie Bären, die nach der Winterzeit zum ersten Mal ihre Höhle verlassen. Sie mußten lange auf See gewesen sein.

Während Aasa sich um den Verletzten kümmerte, trank Folke einige Schlucke Warmbier und trabte dann gemächlich zur Werft zurück. Er hatte seine Neugier gestillt; nun mußte er sehen, wie ihr Schiff zu einem guten Bauende kam. Es würde mindestens so schön werden wie das norwegische Drachenboot.

Der Drachenkopf steckte schon fest, als Folke zwischen den Schuppen auf den Bauplatz trat. Aber ganz zufrieden war der Stevenschnitzer nicht. Mit einem verärgerten Grunzen Nebelte er den Kopf wieder heraus und arbeitete mit dem Stechbeitel noch ein wenig nach. Thorbjörn, der Folke kommen sah, lächelte und hob die Schultern. Es ging anscheinend nicht so gut voran. Um so besser, dachte Folke, dann hatte er nichts versäumt. Danach berichtete er seinem Vaterbruder, was am Hafen passiert war.

»So, so«, sagte Thorbjörn nachdenklich, »die haben also einen Ruderer weniger jetzt.«

»Ja«, stimmte Folke zu und wunderte sich: das war nicht, worauf es ihm ankam. Für ihn war viel bemerkenswerter, was seine Mutter festgestellt hatte. »Was meinst du, mit wem der Mann gekämpft haben könnte?«

»Ein Zweikampf war es vielleicht, aber nicht innerhalb der Besatzung eines Königsschiffes, da hat Aasa recht. Ich wüßte keinen Nordmann, der solche armseligen Waffen noch benutzt. Wahrscheinlich haben sie mit Slawen gekämpft. Es ist schließlich auch nichts Besonderes, mit diesen Leuten aneinander zu geraten.«

Das leuchtete ihm ein. Und doch war er nicht ganz zufriedengestellt. Warum hatte der Schiffsführer es für nötig gehalten zu lügen?

»Folke«, sagte Thorbjörn entschlossen, »was würdest du dazu sagen, auf See zu gehen?«

»Eine Seereise? Jetzt, kurz vor Winterbeginn?«

Thorbjörn kraulte seinen Bart, wo er am dichtesten war und zuweilen die Haut ein wenig juckte. »Genau das. Eine Seereise. Ich will dich bald wieder hierhaben, sobald ich das neue Schiff auf Kiel lege. Aber bis dahin ...« Er verstummte und schien zu überlegen, während Folke strahlte, als er merkte, worauf Thorbjörn hinauswollte. »Ich werde mit Hjalti Olafssohn reden. Nun, wo er einen Ruderer verloren hat, könnte er dich vielleicht gut gebrauchen. Ich wäre wirklich neugierig zu erfahren, ob norwegische Boote aus Kiefer sich anders segeln als dänische Boote aus Eiche. Und es ist nicht die schlechteste Ausbildung, zum Handwerk auch die See zu allen Jahreszeiten zu kennen. Njörd macht, wozu er Lust hat, aber der Steuermann und der Schiffbauer müssen wissen, was er will.«

Das stimmte. Der Gott des Meeres war nicht berechenbar, aber man konnte doch lernen, mit ihm auszukommen. Und schon oft hatte Thorbjörn davon geredet, daß Folke nicht nur die eigenen Schiffe, sondern auch die der anderen Nordleute kennenlernen sollte. Schließlich hatte jeder Schiffbauer sein Steckenpferd. Die unterschiedlichen Bauweisen vergleichen, das Beste übernehmen und das Unbrauchbare verwerfen, so dachte Thorbjörn, und das hatte er Folke bereits am Anfang seiner Lehre eingeprägt. Er war stolz auf seine Schiffe. Und daher würde Folke nicht nur zur eigenen Bereicherung unterwegs sein, sondern seine Erfahrungen würden der Werft zugute kommen und ihren gemeinsamen Ruhm erhöhen.

Deshalb und weil es ihm auch Spaß machen würde, auf einem schnellen Schiff zu fahren, nickte Folke.

Als er sich abends bei seiner Mutter erkundigte, wie es dem Norweger ging, tat es ihm nur in Maßen leid zu hören, daß dieser weiterhin reiseunfähig sein würde. Hild, die Frau Thorbjörns und Schwägerin von Aasa, schwieg und machte ein mürrisches Gesicht, als Aasa über den Verwundeten sprach. Es war nicht das erste Mal, daß man ihr Kranke ins Haus trug, wenn Aasa sich hier aufhielt, aber einverstanden war sie damit nicht. Es gab immer Unruhe und Schmutz, wenn Krieger durchs Haus stapften.

Folke schöpfte sich einen Schlag Suppe in die Schale und spähte zum Lager des Kranken hinüber. Der Mann war so unter Decken verborgen, daß er nichts von ihm erkennen konnte, und er rührte sich auch nicht.

»Er hat ein einziges Mal gestöhnt«, bemerkte Aasa und setzte sich mit ihrem Teller auf einen Hocker, der neben dem Feuer stand.

»Ist das gut oder schlecht?« fragte Folke.

»Einer, der stöhnt, ist immerhin nicht tot«, bemerkte Hild spitz.

»Ich weiß nicht«, antwortete Aasa ihrem Sohn mit einem Seufzer, »in diesem Fall weiß ich es einfach nicht. Sein Schädel scheint an der Seite zertrümmert. Viel Leben ist nicht mehr in ihm.«

Hild ließ sich in ihrem Haus nicht übergehen, obwohl Aasa bestimmt nicht verletzend sein wollte. Ihr Rücken wurde steif vor Zorn, aber im Halbdunkel des Raums sah es nur Folke, der immer noch hinter ihr stand. »Ich verstehe gar nicht, daß du dir solche Mühe gibst, Aasa. Wenn er im Kampf verwundet wurde, wie man mir sagte, und du ihn in Ruhe läßt, wird er morgen schon an Odins Tafel sitzen und nicht in einem nassen, kalten Schiff. Danken wird er's dir nicht, daß du ihm diesen Lohn verweigerst, und zu Recht!«

Auf Aasas langen Rock flog ein Funken. Sie schlug ihn schnell aus, während sie nachdachte. Sie war nicht beleidigt. Hild war manchmal schneller mit den Worten als mit ihrem Verstand. Und dennoch – oft schon hatte auch sie sich Gedanken darüber gemacht, warum sie Schwerverwundete zu retten versuchte. Die Toten hatten es bestimmt nicht schlechter als die Lebenden. »Ich glaube, ich muß es einfach tun, weil mir das Heil gegeben ist«, antwortete sie leise.

Nun wurde Hild erst recht ärgerlich. Das Heil! Immer wieder wies Aasa sie darauf hin, aus welcher guten Familie sie kam und wieviel Heil sie mitbrachte, und jedesmal erhob sie sich damit weit über Hild, deren Vater ein einfacher Bauer war. »Ich hätte mir denken können, daß es hauptsächlich um deinetwillen geschieht«, sagte sie laut, so daß Thorbjörn am anderen Ende des Raums sie mit Sicherheit gut verstehen konnte. »Um Ruhm auf dich selber zu häufen.«

Thorbjörn zog sein Wams vom Haken und verzog sich nach draußen. Einem beginnenden Streit der Frauen wollte er lieber aus dem Wege gehen, zumal er doch nicht verhindern konnte, daß Hild sich später bei ihm beklagte.

Folke sah seine Mutter erschrocken an. Aber diese war der Mißgunst ihrer Schwägerin, die von Zeit zu Zeit aufflackerte, durchaus gewachsen. »Man wird über die Frauen unserer Sippe nur Gutes sagen, Hild«, mahnte sie leise, »auch von dir.«

Aber Hild hatte ein hartes Gemüt und war nicht so leicht zu versöhnen.

Aasa machte sich schon für die Nacht zurecht, als Thorbjörn endlich wiederkehrte. Er brachte einen Schwall kühler Luft ins Haus hinein, und die Tür schlug mit einem Knall gegen die Wand.

»Es frischt auf«, bemerkte Thorbjörn unnötigerweise, und er sagte es nur, um seine Freude nicht allzu deutlich zu zeigen. »Dann wird Folke morgen guten Segelwind haben.«

»Wirklich?« fragte Folke überrascht.

»Du bist an Bord des ›Grauen Wolf‹ willkommen«, bestätigte Thorbjörn froh. So sicher war er gar nicht gewesen, daß Hjalti zustimmen würde, aber nun war alles zu seiner Zufriedenheit geregelt. »Übrigens wird noch ein weiterer Ersatzmann mitfahren. Sie konnten noch einen gebrauchen. Ein Mann starb unterwegs.«

»Wer ist das?« fragte Folke neugierig. Wenn er hier aus Haithabu war, kannte er ihn.

Aber das wußte Thorbjörn nicht. Und da es mehr dazu nicht zu sagen gab, versorgte Hild das Herdfeuer, und sie gingen zu Bett. Folke, der am nächsten Morgen in aller Frühe statt zur Werft auf ein Kriegsschiff steigen würde, kroch gedankenvoll unter seine Felle.

Am nächsten Morgen wehte ein frischer Wind. Er hatte gedreht und kam jetzt genau aus der richtigen Richtung, um den »Grauen Wolf« in rauschender Fahrt auf das Meer hinauszuwehen. Folke spürte es schon, als er noch auf seinem Lager lag und Windstärke und Richtung am Knarren des Hausgebälks abschätzte und an der Heftigkeit, mit der die Windstöße das Herdfeuer mitten im Haus aufflackern ließen. Dann sprang er auf. Es war höchste Zeit. Draußen war bereits heller Tag. In aller Eile verstaute er Gamaschen und Winterwams in einem Beutel, dazu ein paar Werkzeuge, die er auf den Rat von Thorbjörn aus der Werkstatt mitgenommen hatte, nahm sich kaum Zeit, sich von seiner Mutter und Hild zu verabschieden und am Brunnen ein wenig Wasser auf die Sommersprossen zu spritzen, dann rannte er hinaus auf den Hof und die Straße zum Hafen hinunter. In ein paar Tagen würde er wieder hier sein, da brauchte niemand große Abschiedsworte zu machen. Mit viel Glück würden sie Skiringssal in fünf Tagen erreichen, und bestimmt fuhr bald ein Schiff nach Süden – alles in allem würde er wohl nicht länger als einen halben Monat fort sein.

Der »Graue Wolf« lag noch an Kaufmann Högnis Steg, jedoch war er bereits gedreht worden und richtete seinen Bug schon sprungbereit zur Hafenöffnung.

Folke grüßte und wurde an Bord gebeten. Dann richtete er Aasas Botschaft aus. Sie hatte gesagt: »Der Mann wird die Verwundung überleben. Sein Geist ist wieder zurückgekehrt, und er spricht schon einige Worte. Aber er kann nichts sehen.«

Die Männer, die bei Folkes ersten Worten munter auf die Schilde geklopft hatten, verstummten entsetzt. Blind: das war schlimmer als tot.

Hjalti nickte. »Ich danke dir für deine Mühe. Wenn es so ist, wollen wir hoffen, daß die Todesgöttin Hel ein Einsehen hat und ihn nicht von sich weist.« Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Männern zu, die eben mit den gefüllten Wasserfässern zurückkehrten.

Als Hjalti nichts mehr sagte, zuckte Folke die Schultern und sah sich auf dem Schiff um.

Es war nicht sehr lang, auf ungefähr siebzig Fuß schätzte Folke es, und dabei nur siebzehn oder achtzehn Fuß breit. Völlig schmucklos war das Schiff, aber es war fest gebaut, sauber beplankt und ordentlich kalfatert, soweit er sehen konnte. Plötzlich freute er sich unbändig auf die Fahrt.

Die Männer saßen zum Teil bereits auf ihren Ruderbänken. Aber sie schwatzten miteinander, und noch waren die Ruderpforten verschlossen. Es sah nicht so aus, als ob der »Graue Wolf« gleich ablegen würde. Folke suchte sich eine freie Bank und setzte sich ebenfalls. Zwischen zwei roten Kriegsschilden konnte er hindurchspähen, ohne daß man ihn selber sah.

Auf dem Steg am Ufer standen bereits wieder die Haithabuer und beobachteten, was vor sich ging. So geschäftig die Stadt im allgemeinen auch war, wenn Wagen mit Waren von Hollingstedt ankamen oder ein Schiff – da war sofort die halbe Stadt auf den Beinen, um beim Ausladen zuzusehen. Folke grinste. Wo wäre er wohl, wenn er nicht hier säße? Wahrscheinlich hätte ihn zufällig ein dringendes Anliegen aus der Werft in den Hafen geführt.

Einige Leute auf der Straße, die von der Nord-Süd-Achse der Stadt zum Hafen abzweigte, fesselten seine Aufmerksamkeit. Sie schritten feierlich die Straße herab, als ob sie einen Toten in sein Grab geleiteten. Die Männer hatten die Köpfe stolz erhoben, als stammten sie aus der vornehmsten Sippe von Haithabu, aber als sie näher kamen, kannte Folke sie überhaupt nicht.

Nur einer der Männer war anders. So sieht einer aus, der außer dem Leben alles verloren hat, dachte Folke. Zu seinem Erstaunen bogen die vier Männer um die Ecke und hielten geradewegs auf den »Grauen Wolf« zu. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: das war natürlich der andere, der ebenfalls einen Ruderer ersetzen sollte.

So war es. Wortlos lieferten die drei älteren Männer den vierten bei Hjalti ab; dieser nickte, und daran merkte Folke, daß alles verabredet war. Breitbeinig, die Daumen in den Gürtel gehakt, sahen sie unbewegt zu, wie ihr Mann über die Bordwand kletterte, wo man für ihn einen Schild weggenommen hatte, denn er sah nicht wie ein guter Springer aus.

Gleichgültig blickte sich der Neuankömmling um, und Folke bemerkte, daß er dem Ältesten wie aus dem Gesicht geschnitten schien. Er hatte einen schmalen Kopf, eine wulstige Narbe quer über der Wange bewies, daß er seine eigenen Kämpfe ausgetragen hatte. Die farblosen Augenbrauen und die rötlichen Wimpern über den hellgrauen Augen ließen ihn Hilds Hausschwein ähnlich sehen. Die vorstehenden Lippen aber waren viel zu weich für den Eber in ihm.

Der Mann stand mit hängenden Schultern auf dem Platz, an dem er unbeholfen ins Schiff gekrochen war. Daß ihm sein weißer bäuerlicher Schild nachgereicht wurde und die Ruderer bei dessen Anblick spöttisch auflachten, merkte er gar nicht. Der Holzschild blieb unbeachtet an der Bordwand stehen. Eine Weile wußte der Mann nichts mit sich anzufangen. Endlich sah er fragend zu Hjalti auf.

Hjalti verzog das Gesicht und wies herrisch auf eine Ruderbank, die weit vorne im Schiff lag. Der Mann machte sich auf den Weg, umrundete die Bänke und ausgestreckten Beine und kletterte über die Ruder, die noch nicht ausgefahren waren. Folke sah ihm nach.

»Das gilt auch für dich«, schnauzte Hjalti, und als Folke verdutzt zu ihm hinblickte, merkte er, daß er selber gemeint war.

Hastig sprang er auf und folgte dem Neuen, so schnell es ging. Er war gar nicht froh festzustellen, daß er mit ihm zusammen rudern sollte. Vorgestellt hatte er sich als Banknachbarn einen weit gefahrenen Krieger, der viel erzählen konnte, nun bekam er einen zweifelhaften Weichling aus dem Hinterland von Haithabu. Mit saurer Miene legte Folke Sax und Schild neben sich und setzte sich auf der kurzen Bank so weit weg von ihm, wie es ging, aber da hatten ihre Beine immer noch Tuchfühlung.

Während die Männer in der größten Breite des Schiffes die Ruder bereits durch die Pforten steckten, stellte der Nachbar sich leise als Sven vor, und das entging Folke beinahe, weil er sich um sein eigenes Ruder bemühte.

Sein Hintermann knuffte ihn sachte in die Schulter. »Wir nicht«, sagte er. »Warte noch.« Dankbar, daß er jemanden in der Nähe hatte, der ihm Ratschläge geben wollte, drehte sich Folke um. Hinter ihm saß ein dürrer älterer Krieger mit einer runden grünen Kappe auf dem Kopf. Seine umherschweifenden Augen schienen die Ruderer ständig zu überwachen. »Du wirst es merken, wenn es soweit ist. Ich bin Hrolf, der Wachführer der Steuerbordseite.«

Folke saß an Steuerbord. Folglich sollte er tun, was Hrolf ihm befahl, hieß das. Folke war es recht. Dann erst merkte er, daß neben diesem Hrolf der junge Mann saß, der den Verletzten gebracht hatte – vor ihm selber aber der mißtrauische Frodi, dessen gewaltige Nase gerade das Wetter zu erschnüffeln suchte. Auch sie rührten sich nicht.

Folke nahm die Gelegenheit wahr, während des Ablegemanövers die Zuschauer auf dem Steg und an Land zu beobachten. Sein Blick erfaßte Svens drei Begleiter. Als sie den Kopf ihres Schützlings über den Schilden sahen, verzogen sich ihre starren Mienen nicht um Haaresbreite. Sie wollten wohl nur sicherstellen, daß ihr Verwandter nicht mehr an Land entwischen konnte, bevor sie steifbeinig fortgingen.

Und dann tauchte Thorbjörn auf dem Steg auf, und im Gegensatz zu den drei Fremden hob er den Arm und winkte und rief Folke laut »Gute Reise und guten Wind!« zu, und anders hatte Folke es auch nicht erwartet. Froh winkte er zurück, und noch an der Hafeneinfahrt konnte er Thorbjörns derbe Hand von den anderen Händen unterscheiden. Das letzte, was er von Haithabu sah, war Hauptmann Benno, der am Molenkopf die Freigabe der Hafeneinfahrt beaufsichtigt hatte und ihm nun zuzwinkerte, als er unter ihm vorbeirauschte.