Edgar Allan Poe


Des Seeräubers Schatz


Novelle

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-019-3


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Fünftes Kapitel



Als wir zuletzt mit unserer Untersuchung fertig geworden und von der ersten Aufregung etwas befreit waren, hob Legrand, der mich vor Ungeduld nach der Lösung dieses höchst ungewöhnlichen Rätsels brennen sah, einen ausführlichen Bericht aller damit verknüpften Umstände an.

"Sie erinnern sich," sprach er, "des Abends, an welchem ich Ihnen die flüchtige Skizze überreichte, welche ich von dem Skarabäus gemacht hatte. Sie erinnern sich gleichfalls meines Ärgers, als sie darauf bestanden, daß meine Zeichnung einem Totenkopf ähnlich sei. Als Sie zuerst diese Bemerkung äußerten, glaubte ich, es sei ein Scherz; nachher entsann ich mich jedoch der eigentümlichen Flecken auf dem Rücken des Käfers und gestand mir, daß Ihre Versicherungen nicht alles Grundes entbehren. Übrigens hatte mich der Spott über meine artistischen Fähigkeiten, da ich sonst für einen guten Zeichner gelte, irritiert, und ich wollte daher, als Sie mir das Pergamentblättchen zurückgaben, es zerknittern und verdrießlich in's Feuer werfen."

"Sie meinen das Stückchen Papier?" fragte ich.

"Nein; es sah allerdings aus wie Papier, und zuerst hielt ich es für solches, als ich jedoch darauf zu zeichnen begann, bemerkte ich sogleich, daß es ein Blättchen sehr dünnes Pergament sei. Es war, wie Sie vielleicht vergessen haben, sehr beschmutz!. Als ich nun eben im Begriff war, es zu zerknittern, fiel mein Blick zufällig auf die Skizze, welche Sie betrachtet hatten, und Sie mögen sich mein Erstaunen vorstellen, als ich in der Tal die Gestalt eines Totenkopfes dort entdeckte, wo ich, meiner Überzeugung nach, die Zeichnung des Käsers gemacht hatte. Im ersten Momente war ich zu verwirrt, um genau nachzudenken. Ich wußte, daß meine Zeichnung sich in den Einzelheiten sehr von dieser unterschied, und doch lag in den Umrissen eine gewisse Ähnlichkeit. Ich ergriff eine Kerze und setzte mich an das entgegengesetzte Ende des Zimmers, um das Pergament genauer zu prüfen. Indem ich es umdrehte, fand ich meine Skizze auf der Rückseite, ganz wie ich dieselbe gezeichnet. Mein erster Gedanke war jetzt Überraschung über die wirklich auffällige Ähnlichkeit der Umrisse, über das merkwürdige Zusammentreffen der Umstände: daß, mir unbewußt, auf der andern Seite des Pergaments, just unter meiner Zeichnung des Skarabäus, sich ein Schädel befinden, und dieser Schädel nicht blos in den Konturen, sondern auch an Form und Gestalt meiner Zeichnung so ähnlich sehen sollte. Dies sonderbare Zusammentreffen machte mich eine Weile vollständig verwirrt. So ergeht es uns häufig bei derartigen Zufällen. Der Geist müht sich ängstlich ab, eine Lösung zu finden, eine Folge von Ursache und Wirkung, und unfähig, dies zu erreichen, erliegt er einer Art temporärer Lähmung. Als ich mich jedoch von dem ersten Schrecken erholt, dämmerte allmählig eine Überzeugung in mir auf, die mich noch weit mehr erstaunen ließ, als jenes Zusammentreffen. Ich begann, mich nämlich ganz deutlich, ganz unzweifelhaft zu entsinnen, daß auf dem Pergament keine Zeichnung gewesen war, als ich meine Skizze des Skarabäus entwarf. Ich war dessen untrüglich gewiß; denn ich erinnerte mich recht wohl, daß ich, um die reinste Stelle zu finden, das Blatt nach allen Seiten gedreht hatte. Wäre der Totenkopf dagewesen, natürlich, dann hätte ich ihn sehen müssen. Hier waltete in der Tat ein Geheimnis, zu dessen Lösung ich unfähig war; aber schon in jenem Moment schien in dem fernsten, und verborgensten Winkel meines Geistes wie ein schwaches Licht eine Ahnung jener Ansicht zu glimmen, welche das Abenteuer der letzten Nacht so glänzend bestätigt hat. Ich erhob mich rasch, und beschloß alles weitere Nachgrübeln zu verbannen, bis ich allein sei.

Nachdem Sie sich entfernt hatten und Jupiter in einen festen Schlaf gesunken war, begab ich mich an eine mehr methodische Untersuchung der Affaire. Zuerst besann ich mich auf die Art und Weise, wie jenes Pergament in meinen Besitz gekommen sei. Der Platz, wo wir den Scarabaus gefunden, lag an der Küste des Festlandes, etwa eine Meile ostwärts von der Insel, und nur eine kurze Strecke von dem Wasserstandsmesser entfernt. Als ich den Käfer ergriff versetzte er mir einen schmerzhaften Biß, welcher veranlaßte, daß ich das Tier fallen ließ. Jupiter schaute, bevor er das Insekt, welches zu ihm hingeflogen war, fing, mit seiner gewohnten Vorsicht, nach einem Blatt oder etwas dergleichen womit er das Tier anfassen könne, umher. In diesem Augenblick fielen seine Augen, und die meinigen gleichfalls, auf das Stückchen Pergament, welches ich damals für einen Papierfetzen hielt. Es lag halb im Sande begraben, und nur eine Ecke ragte hervor. Nahe dem Platze, wo ich dasselbe fand, bemerkte ich die Trümmer eines Rumpfes, welcher zu dem großen Boot eines Schiffes gehört zu haben schien. Das Wrack muß schon lange hier gelegen haben; denn die Ähnlichkeit mit derartigem Gebälk ließ sich kaum mehr erkennen.

Jupiter hob das Pergament auf, wickelte das Tier in dasselbe ein, und reichte es mir hin. Bald nachher gingen wir nach Haus und begegneten unterwegs dem Leutnant. Ich wies ihm das Insekt, und er bat mich, es nach dem Fort mitnehmen zu dürfen. Nachdem ich eingewilligt, schob er es in seine Westentasche, jedoch ohne das Pergament, worin es eingewickelt gewesen war, und welches ich während seiner Besichtigung noch immer in der Hand hielt. Vielleicht fürchtete er, ich möchte meinen Sinn ändern, und hielt es für das Besste, sich des Käfers sogleich zu versichern, Sie wissen ja, wie enthusiastisch er sich für Alles, was auf Naturwissenschaft Bezug hat, interessiert. Zu derselben Zeit muß ich unbewußt das Pergamentsblättchen in meine eigene Tasche gesteckt haben.

Sie entsinnen sich vielleicht, daß, als ich an meinen Schreibtisch trat, um die Skizze des Tieres zu entwerfen, kein Papier an der gewöhnlichen Stelle zu finden war. Auch in der Schieblade fand ich keins. Ich durchsuchte meine Taschen, in der Hoffnung, einen alten Brief zu finden, und bei dieser Gelegenheit fiel mir das Pergament wieder in die Hand. Ich teile die Umstände, unter denen es in meinen Besitz gekommen war, so ausführlich mit, weil dieselben mit eigentümlicher Macht auf mich wirkten.

Ohne Zweifel halten Sie mich für phantastisch, aber es dämmerte wirklich schon eine gewisse Ideenverbindung vor meinem Geist. Ich hatte zwei Glieder einer großen Kette zusammengebracht. Ein Boot lag an der Seeküste, und nicht weit von dem Boot ein Pergamentblättchen, nicht etwa Papier, auf dem ein Totenkopf gezeichnet war. Sie werden mich natürlich fragen: worin meine Ideenverbindung bestand? Ich antworte Ihnen, daß der Schädel oder Totenkopf weit und breit als das Emblem der Seeräuber bekannt ist. Die Flagge mit dem Totenkopf wird bei jedem Gefechte emporgehisst.

Ich habe gesagt, daß jenes Blättchen, Pergament, und nicht etwa Papier war. Pergament ist dauerhaft, unzerstörbar. Unwichtige Notizen werden nur selten auf Pergament geschrieben, da es für den gewöhnlichen Zweck des Zeichnens und Schreibens nicht einmal so geeignet ist; wie Papier. Diese Reflektion ließ mich irgend eine Absicht, irgend etwas Bedeutsames, in dem Totenkopf erblicken. Ich achtete gleichfalls auf die Facon des Pergaments. Obwohl eine der Ecken durch einen Zufall zerstört war, ließ sich erkennen, daß die ursprüngliche Form länglich gewesen sei. In der Tat, es war gerade solch ein Blättchen, wie man es zu einer Notiz wählen würde, zu einer Mitteilung, die man für lange Zeit und sorgfältig aufzubewahren wünscht."

"Aber", wandte ich ein, "Sie sagten ja vorhin, daß der Schädel nicht auf dem Pergament gewesen sei, als Sie Ihre Zeichnung des Käfers machten. Wie fielen Sie nun auf jene Beziehung zwischen dem Boot und dem Totenkopf, da letzterer, Ihrer eigenen Aussage nach; Gott weiß: wie? oder von wem?, erst später, als ihre Skizze des Skarabäus, mußte gezeichnet worden sein?"