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Titelseite

Prolog

Vor Hunderten von Jahren, als Gespenster und Geister noch zahlreicher waren als heutzutage, als Monster, Dämonen, Zombies und allerlei andere untote Kreaturen ungehindert ihr Unwesen treiben konnten, gab es hin und wieder Menschen, die sich der Jagd auf alles Böse, fast Unsichtbare, verschrieben hatten. Menschen, die weder Tod noch Geister fürchteten, die sich mutig und unerschrocken jedem Gespenst in den Weg stellten. Und weil Gespensterjäger ein gefährliches Leben führten, ein Leben, welches jederzeit ein jähes Ende finden konnte, bemühten sie sich seit jeher, ihr Wissen und ihre Erfahrungen über die Gespensterjagd festzuhalten.

So trotzte auch Olger Fjörsen der Eiseskälte, um mit blau gefrorenen Fingern und zitternder Feder seine Kenntnisse über ein Gespenst von so urgewaltiger Kraft und Bosheit niederzuschreiben, dass die Bezeichnung Gespenst fast zu harmlos ist. Denn dieses Etwas, welches damals über die Welt kam, wirkte unbezwinglich, und sollte es Fjörsen nicht gelingen, es zu bekämpfen, so mussten es andere nach ihm versuchen.

Aus den Aufzeichnungen Fjörsens:

Als der Schöpfer das Wasser noch nicht vom Land getrennt hatte und die Erde ewiges Eis war, geißelte ein Dämon alles Leben unter der Sonne. Es war der grausame Geist der Eiszeit, welcher tödliche Kältewellen über den Planeten sandte und schier unbesiegbar schien. Ganze Arten und Gattungen wurden ausgerottet, doch der Mensch überlebte nur wegen einem …

Ein Spuk erwacht

Vor gar nicht allzu langer Zeit spielten ein paar Jungen und Mädchen zusammen Fußball in dem verwilderten Garten einer alten Villa. Rucksäcke dienten ihnen als Tore und ihr Ball war fest aufgepumpt und ließ sich wunderbar schießen. Es war kurz vor den Sommerferien, die Kinder fühlten sich frei und ahnten nicht, was aus ihrem harmlosen Spiel werden würde.

Was die Kinder sehr wohl wussten, war, dass diese Villa unheimlich war. Sie stand bereits seit vielen Jahren leer, und es hieß, dass es darin spukte. Spaziergänger oder Hundebesitzer, die nachts dort vorbeigekommen waren, berichteten von lautem Heulen und Zähneklappern. Und bei Vollmond sollte sogar eine schwebende Gestalt auf dem löchrigen Dach der alten Villa gesehen worden sein. Ein kugeliges Etwas, das leicht grünlich im Mondlicht schimmerte und schaurig jaulte.

Aber solche Geschichten erzählt man sich über viele alte Gebäude und Gemäuer, und wer kann schließlich sagen, ob sie wahr sind? Wer hat schon mal ein Gespenst gesehen?

Die Kinder jedenfalls hatten nur Augen für ihren Ball. Nach einem Foul bekam einer der Jungen einen Elfmeter. Mit voller Wucht schoss er auf das Rucksacktor. Der Torwart streckte sich nach dem Ball, der jedoch weit über ihn hinwegflog und geradewegs in eins der Fenster krachte. Es schepperte und klirrte.

Die Kinder sahen sich erschrocken an.

„Na toll! Den holst du!“, meinte der Torwart.

„Hallo? Da drin spukt’s. Vergiss es!“, rief der Junge, der den Ball geschossen hatte.

Das Mädchen sammelte die Rucksäcke ein und ein weiterer Junge sah sich unruhig um. „Lasst uns verschwinden!“

Schnell zog die kleine Fußballmannschaft ab. Im Garten einer Spukvilla zu spielen war das eine. Aber in eine Spukvilla einzubrechen, um einen Ball zu holen, das war etwas ganz anderes. Wenn die Kinder gewusst hätten, was dieser Ball anrichten würde, hätten sie ihn dann geholt? Wer traut sich, eine alte Spukvilla zu betreten?

Der Ball war so hart geschossen worden, dass ihn weder die vorgenagelten Bretter noch das Glas des Fensters abbremsen konnten. Er hüpfte durch alle Räume der verstaubten Villa. Er kullerte vorbei an wurmzerfressenen Kommoden, sprang eine lange, gewundene Treppe hinab in die verlassene Eingangshalle, in der halb verhangene Bilder hingen, rollte weiter in eine Bibliothek mit Tausenden von Büchern, um die Spinnen ihre dichten Netze gespannt hatten, und landete dann mitten in einem Kamin auf grauschwarzer alter Asche.

Hier hätte die Reise des Balles eigentlich beendet sein sollen, doch unter der Feuerstelle befand sich ein rostiges Rohr, durch das der Ball tief hinab in ein düsteres Kellergewölbe rutschte. Mit neuem Schwung kam der Ball auf dem harten Steinboden auf. Er störte sich nicht an dem gruseligen Skelett, das an einer Wand lehnte, als bewache es Gefangene in einem Verlies. Der Ball prallte genau über dem Schädel des Skeletts an die Mauer, fiel wieder auf den Boden und rollte erst dann langsam in der Dunkelheit des Kellers aus. Dort aber, wo der Ball an die Wand gestoßen war, knackte es. Steine lösten sich und bröckelten herunter auf das Skelett, das merkwürdig zur Seite kippte. So, als wollte es sich nach seinem Wachdienst ein wenig ausruhen.

In der Wand tat sich ein Riss auf, dem ein eiskalter Windstoß entfuhr. Ein Hauch, der kälter war als alle Eisschränke der Welt zusammen, kälter noch, als hätte der gesamte Nordpol ausgeatmet.

Plötzlich donnerte und vibrierte es hinter der alten Kellermauer und auf den Frosthauch folgte Eis, das sich blitzschnell und krachend aus dem Riss herausfraß und den Kellerboden befiel. Im Nu war auch der Ball von einer Eisschicht umschlossen, die ihn scheinbar nie mehr aus ihrer eisigen Kralle lassen wollte …

Eine Woche später

Tom Tomsky wusste, dass er einen schlechten Tag hatte. Einen Lasst-mich-alle-in-Ruhe-Tag. Deshalb hatte er den Vormittag in seinem Zimmer verbracht. Er hatte die Vorhänge zugezogen und auf dem Bett gelegen. An solchen Tagen war er nur im Bett sicher. Er hatte an die Decke gestarrt. Gelesen. An die Decke gestarrt. Schließlich hatte er Durst bekommen und sich auf den Weg in die Küche gemacht.

Dort plärrte ihn als Erstes das Radio an: „…kauft euch was Schönes zum Ausziehen, denn Hoch Kevin beschert uns ein absolutes Rekordhitze-Wochenende, um die Sommerferien einzuläuten. Und wir spielen die passende Musik dazu …“

Tom schnaufte und strich seine strubbeligen Haare aus dem Gesicht. Es war schon jetzt unerträglich heiß. Papa tanzte jedoch fröhlich durch die Küche und salzte schwungvoll die Tomatensoße, die auf dem Herd köchelte. Obwohl das Nudelwasser die Hitze in der Küche noch verstärkte, schien nichts seine gute Laune trüben zu können.

Tom wischte sich den Schweiß von der Stirn und trank sein Glas Wasser so schnell aus, dass die Eiswürfel darin noch nicht geschmolzen waren, als er es auf dem Küchentisch abstellte. Obwohl Tom eigentlich gleich wieder in sein Zimmer wollte, hielt er für einen Moment inne. Er hob das Glas neugierig an und hielt es gegen die Sonne. Fasziniert beobachtete Tom, wie die Sonnenstrahlen durch das Eis brachen. Er kniff ein Auge zu, dann das andere. Die Eiswürfel hüpften von links nach rechts, hin und her. Dazu hüpften Toms Gedanken: Sommerferien zu Hause. Zeit, um all seine Comics noch mal zu lesen. Und noch mal und noch mal. Keine Freunde, mit denen er ins Freibad gehen konnte. Oder Eis essen. Oder einfach Quatsch machen. Oder etwas erleben. Ein Abenteuer. Na ja. Tom seufzte. Er brauchte sich nichts vorzumachen. Er wusste, dass er für Abenteuer viel zu ängstlich war. Wahrscheinlich hatte er auch deswegen keine Freunde. Er hatte nur seine Eltern und seine doofe Schwester. Und auf die hätte Tom gut verzichten können.

Als hätte sie seine Gedanken gehört, kam Lola in die Küche geschlurft. Toms große Schwester war wie immer mit ihrem Handy beschäftigt und beachtete Tom nicht. Wie immer. Oder wie fast immer. Denn wenn Lola ihren kleinen Bruder beachtete, dann war sie gemein zu ihm. Schwesternschweinegemein.

„Wir sehen uns. Ich bin weg. Freibad!“, verkündete Lola, ohne von ihrem Handy aufzuschauen.

„Was? Wieso?“, fragte Papa.

„Weiß nicht, Sonne und so?“ Lola verdrehte genervt die Augen.

„Ja, klar. Sonne und so – die sind nach dem Essen auch noch da, Lola“, sagte Papa.

„No way!“ Lola blickte ihren Vater wütend an.

„Doch way!“, rief Mama und kam strahlend in die Küche. „Es sind Ferien. Da gibt es Mittagessen zusammen als Familie.“

Lola schüttelte den Kopf. „Wieso tut ihr mir das an? Ich hasse euch!“

Papa rührte ungerührt in der Tomatensoße und grinste. „Ja, mein Schatz, das wissen wir.“

„Ja, wir sind Monster.“ Mama sah Papa an und beide lachten ihr Wir-haben-Gute-Laune-Tag-Lachen. Sie gaben sich einen Kuss und beachteten ihre beiden grummeligen Kinder einfach nicht. Mama öffnete den Kühlschrank. „Schatz, haben wir noch von dem leckeren Wein?“

„Lola, sei so lieb und schau im Keller nach, ja?“, wandte sich Papa an Lola.

„Nein, keine Chance! Psychozwerg ist dran“, antwortete Lola und deutete auf Tom. Der tat so, als würde er nichts hören. In Wirklichkeit war es ihm bei dem Wort Keller eiskalt den Rücken hinuntergelaufen. Tom hasste es, in den Keller zu gehen. Das war schlimmer als allein an der Tafel vorrechnen und Blumenkohl mit Käse überbacken zusammen.

„Hey, nenn deinen Bruder nicht so“, sagte Papa und sah Lola durch seine Brille streng an.

„Wie soll ich ihn denn nennen? Seine Schrägwürdigkeit? Mein Bruder, der Freak? Der benimmt sich total seltsam!“ Lola zeigte auf Tom, der immer noch so tat, als fände er die Eiswürfel hochinteressant.

„Er hat einfach nur eine ausgeprägte Fantasie und ist ein bisschen ängstlich, aber das ist in seinem Alter normal“, flüsterte Papa.

„Er ist ein bisschen eigenwillig. Na und?“, flüsterte Mama zurück.

„Quatsch!“, rief Papa laut. „Er ist eben ein Spätzünder. Ich war auch ein Spätzünder.“

„Und sieh mal, was aus dir geworden ist!“, sagte Mama und schmiegte sich eng an Papa.

Lola verzog angeekelt das Gesicht. „Oh mein Gott, ihr seid so widerlich.“

Papa grinste. „Ich weiß.“

„Euch ist klar, dass ihr irreparable psychische Schäden anrichtet, oder?“, fragte Lola. „Seht mal, was ihr aus Psychozwerg gemacht habt. Soll aus mir auch so was werden?“

Mit einem Ruck drehte sich Tom um. „Mein Name ist Tom. Nicht so was. Ich bin hier und kann euch hören.“

Tom wusste genau, wieso seine Familie so von ihm sprach. Als er in der ersten Klasse gewesen war, hatte er mal ein Flugzeug für ein Ufo gehalten. Und einmal hatte er im Nebel ein Gespenst gesehen. Tom war sich damals ziemlich sicher gewesen, denn es hatte ihm zugezwinkert und Hallloooo, Toooom! gerufen. Dummerweise hatte er allen davon erzählt. Seitdem hielten ihn seine Klassenkameraden und seine Familie für ein bisschen verrückt. Außer Oma Anna und die alte Frau Kubischik von links unten im Haus. Aber Oma Anna und Frau Kubischik waren selbst nicht ganz normal. Behauptete Mama zumindest immer.

Papa nahm Tom in den Arm. Sein Bart kratzte an Toms Wangen. „Es ist völlig okay, wenn man auch mal Angst hat, mein Großer. So ein Keller ist auch ein bisschen unheimlich.“

Tom befreite sich aus der Umarmung „Ist in Ordnung, Papa, ich geh nachsehen.“

„Was?“, riefen Papa und Mama gleichzeitig.

„Ist ja toll. Super, Tom!“ Mama strahlte Tom an und fuhr sich durch ihre kurzen Haare.

„Kein Problem.“ Tom lächelte schief zurück und ging mit hängenden Schultern aus der Küche. Wieso war er nicht einfach im Bett geblieben? Verflixt. Jetzt hatte er den Salat.

„Links nach dem Haufen Totenschädel und dann geradeaus bis zur Riesenspinne. Wenn du dich verläufst, frag die Zombies!“, rief Lola und kicherte fies.

Tom lief durch den Flur, der ihm heute sehr kurz vorkam, und stand vor der Wohnungstür. Na los!, dachte er. Tief durchatmen. Das verlangsamt den Herzschlag und beruhigt. Tom atmete tief durch. Ganze sechs Mal. Dann öffnete er die Tür zum Treppenhaus.

Es roch nach Zwiebeln, Schuhen und der alten Holztreppe. Alles wie immer, versuchte Tom sich zu beruhigen. Nur unser Treppenhaus. Er ging vorsichtig eine Stufe nach der anderen hinab. Tom zählte die Stufen bei jedem Schritt, obwohl er genau wusste, wie viele es waren: fünf von der Wohnungstür bis zur Kellertreppe.

Vorsichtig öffnete Tom die Tür zum Keller. Feuchte, muffige Luft schlug ihm entgegen. Siebzehn sehr steile Stufen führten in ein pechschwarzes Loch. Los, Tom. Ist doch nur ein Keller. Toms Fuß berührte gerade die erste Stufe, als ein Poltern zu hören war. Vor Schreck zog er die Tür wieder zu.

Er atmete wieder tief durch. Dann öffnete er die Tür einen Spalt. „Frau Kubischik? Sind Sie das?“, rief er mit piepsiger Stimme in die Dunkelheit. Frau Kubischik ging gern auf Flohmärkte und sortierte ständig ihren ganzen Plunder, wie Mama es nannte, den sie in ihrem Kellerabteil aufbewahrte. Ihre Wohnung war schon über und über voll mit alten Sachen.

Tom bekam keine Antwort. Im Keller schien es ruhig. Mit zitternden Händen schaltete Tom das kleine Kellerlicht ein. „Ich komme jetzt runter!“, rief er und stieg vorsichtig die Treppe hinab. UÄH, immer diese Spinnennetze überall. Widerlich! Tom hasste Spinnen. Logisch. Wer Keller nicht mag, der mag auch keine Spinnen.

Unten angekommen, blieb Tom erst mal stehen, um sich an das Licht zu gewöhnen. Wieso konnte der Hausmeister Herr Riesenpampel nicht endlich mal eine vernünftige Lampe anbringen? Kein Wunder, dass Tom Angst im Keller hatte. Hier war es sogar dunkel, wenn man das Licht anmachte. Diese jämmerliche Funzel, wie Papa sagte, war kaum heller als eine Kerze.

Immerhin konnte Tom jetzt die einzelnen Kellerabteile ausmachen. Jede Wohnung hatte einen kleinen Bretterverschlag. Der von Familie Tomsky war der ganz hinterste. Tom blickte sich vorsichtig um, als er durch den schmalen Gang lief. Eine Leiter lehnte wie ein Riese neben einer Tür. Ein paar Autoreifen türmten sich zu einem unheimlichen Berg. Eine alte Puppe starrte ihn aus dem Abteil von Frau Kubischik mit großen Augen an. Die Schatten der Kellerfunzel malten Monster und Ungeheuer an die Wand. Nicht hinsehen. Das ist nur Sperrmüll, sagte sich Tom. Hinten blieb er stehen und griff zwischen die Holzstreben. Bitte keine Spinne, hoffte er. Puh. Tom hatte Glück und zog den kleinen Schlüssel hervor. Schnell sperrte er die schiefe Holztür auf – als plötzlich etwas klapperte. Es klang, als würde jemand auf den Deckeln von Mamas Marmeladengläsern Schlagzeug spielen. Tom erschrak furchtbar, dennoch machte er einen Satz in das Kellerabteil hinein. Er griff eine Flasche aus dem Weinregal. Jetzt nichts wie weg! Tom sah sich kurz um. Da war nichts.

„Lola? Bist du das? Das ist nicht witzig!“, sagte Tom.

Wieder bekam Tom keine Antwort. Nur ein leises Heulen war zu hören. Der Wind. Sicher der Wind. Oder doch seine doofe Schwester?

„Nur zu deiner Information: Ich sag’s!“, rief Tom.

Keine Antwort. Plötzlich flackerte das Kellerlicht. Vor Schreck atmete Tom scharf ein und sprang zurück in den Gang. Schnell raus hier! Hektisch versuchte er, die Holztür abzuschließen, aber das war gar nicht so leicht mit der Flasche unter dem Arm. Tom fummelte an dem Schloss herum, als etwas auf seine Schulter tropfte. Kalt, schleimig, eklig. Ganz ruhig. Bestimmt nur etwas Wasser von der Decke. Tom griff langsam nach seiner Schulter. Bäh! Dickflüssiger Schleim haftete an seiner Hand. Popelgrüner, klebriger Schleim. PLATSCH! Jetzt landete ein dicker Tropfen auf seiner Stirn. Langsam, ganz langsam blickte Tom nach oben. Etwas Grünes hing an der Kellerdecke. Wie ein riesiger, dicker Kaugummi klebte dort ein kugelrundes Gespenst. Tom war sich ganz sicher. Es konnte nur ein Gespenst sein. Es starrte Tom aus seinen Kulleraugen an und winkte mit dünnen Armen und Beinen. Dabei verlor das Gespenst jede Menge zähen Schleim. FLATSCH! Ein weiterer Schleimtropfen landete auf Tom.

„Tja, was sagt man in so einer Situation? BUUUH?“ Das Gespenst öffnete seinen monsterhaften Mund zu einem fiesen Grinsen und entblößte dabei viele spitze Zähne.

„AAAAHHHHHHHHH!“, schrie Tom, als hätte er ein Gespenst gesehen. Und er hatte ja auch eins gesehen. Eins, das sprechen konnte und grinsen wie ein Monster. Hilfe! Tom wollte gerade wegrennen, als das Gespenst von der Decke losschwebte und genau vor ihm anhielt.

„AAAHHHHH!“, heulte das Gespenst und rollte wie wild mit seinen großen Glupschaugen.

Tom drehte sich um und raste los Richtung Kellertreppe.

„Ich kann es noch richtig gut! Schnallt euch an, Leute, dieses Gespenst ist supergruselig drauf!“, murmelte das Gespenst zufrieden. Es spuckte eine dicke Ladung rotzfarbenen Schleim in seine Hand und schmierte sie sich in die freche Haarlocke, die auf seinem Kopf wippte. Dann folgte es dem armen Tom, der sofort spürte, dass er verfolgt wurde, und die Leiter umwarf. Doch das Gespenst flog einfach durch die Leiter hindurch, ließ sich von den Sprossen kurz zerteilen und setzte sich fröhlich heulend wieder zusammen. Tom sah entsetzt zu, drehte sich wieder um … und …

„Oooouuuu! Vorsicht! Spinnwe…!“ Doch die Warnung kam zu spät. Tom landete genau mit dem Gesicht in dem Spinnennetz.

„Uuuuu!“, machte das Gespenst mitleidig.

Tom stolperte so schnell die Kellertreppe hoch, wie er nur konnte.

„Warte, Junge! Bleib doch da! Willst du denn nicht mit mir …“ Das Gespenst sauste hinterher, doch Tom war schneller. Er warf die Kellertür zu und FLATSCH!, knallte das Gespenst dagegen. Platt wie ein Spinatpfannkuchen rutschte es quietschend und triefend vor Schleim an der Tür herab.

„… spielen?“, beendete es enttäuscht seinen Satz.

Schnaufend und immer noch bebend vor Angst, stand Tom im Treppenhaus. Verwundert blickte er die Flasche an, die er immer noch in der Hand hielt.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, legte sich eine Hand auf Toms Schulter. Eine kalte Hand. Tom rutschte das Herz in die Hose und die Flasche aus der Hand. PENG!, zersprang sie in tausend Scherben. Blubbernd ergoss sich der Wein in den Hausflur.

„HUHUHUAAARHH!“, schrie etwas.

„AAAAAHHHHHH!“, brüllte Tom entsetzt.

Schallendes Gelächter erklang. Lola!

„Du doofe Kuh!“, schrie Tom. Erst ein Gespenst und dann noch seine Schwester. Das war zu viel für ihn. Er rannte die Treppen hoch und hätte am liebsten geheult. Aber das ging natürlich nicht. Obwohl Lola es sicher nicht gehört hätte, so laut, wie sie ihn auslachte. Das Lachen hallte durch das ganze Treppenhaus und verfolgte Tom bis in sein Zimmer, wo er sich auf sein Bett warf und unter seiner Decke verkroch. Sein Herz schlug immer noch bis zum Hals, sein T-Shirt klebte an seinem Rücken und seine Kehle war staubtrocken. Aber noch mal würde er heute sein Zimmer nicht mehr verlassen. Nicht zum Trinken und auch nicht …

„Mittagessen ist fertig!“, rief Papa laut durch die Wohnung.

„Gemeinsames Mittagessen!“, flötete Mama hinterher.

Na toll. Da war er nur knapp einem fiesen Gespenst und seiner beknackten Schwester entkommen, und alles, was Mama und Papa interessierte, waren gemeinsame Mittagessen. Tom seufzte und machte sich auf den Weg in die Küche.

Hedwig Kümmelsaft

Nach dem Mittagessen sollte Tom im Hausflur die Sauerei von der Weinflasche wegwischen. Eigentlich wollte er nicht noch mal in die Nähe des Gespenstes, aber Mama war unerbittlich.