Sammelband

 

 

 

-Love-

 

 

 

 

Darleen Alexander


 

 

 

 

 

Darleen Alexander

 

 

 

 

 

 

1. Morgen, für immer und ewig

 

 

 

 

 

 

 

Novelle

 

 


1.1 Kapitel

 

 

Steve war ganz allein im Fahrstuhl, als sich die Türen langsam schlossen. Er hatte heut ein wichtiges Gespräch mit der Chefin. In den ganzen Jahren, die er bis jetzt hier arbeitete, hatte er sie noch nicht einmal zu sehen bekommen.

Kurz bevor sich die Tür komplett geschlossen hatte, wurde eine abgenutzte Handtasche dazwischen geschoben und die Tür öffnete sich wieder. Eine große, blonde Frau trat ein und zog noch im Gehen einen Turnschuh aus. Als sie in der Kabine stand, sah sie ihn verschmitzt lächelnd an.

»Ich bin etwas spät dran.« Er grinste.

»Das sehe ich. Sie haben einen Milchbart.« Sie wischte die Milch am Zipfel ihres rosafarbenen Shirts ab und er erhielt einen Blick auf ein silbern glänzendes Bauchnabelpiercing. Nett.

»Danke für die Warnung. Das wäre sonst peinlich geworden.«

»Nicht der Rede wert.« Jetzt zog sie auch den anderen Turnschuh aus und steckte beiden in ihre Handtasche. Obwohl man dieses Ding kaum noch so nennen konnte. Das Material sah schon ziemlich zerschlissen aus und der Reißverschluss schien kaputt zu sein.

Sie kämmte ihre blonden Haare mit den Fingern straff nach hinten, um einen Dutt zu binden. Diese kleinen Gesten hatten etwas ... Aufregendes. Als würde sie nackt vor ihm stehen und ihre Morgentoilette verrichten. Er drehte sich etwas zur Seite, sonst würde er später mit einem Ständer zu seiner Chefin gehen. Das würde wahrscheinlich nicht so gut ankommen.

»Ich hasse morgendliche Termine. Das frühe Aufstehen ist nicht so mein Ding.« Mit hochgezogenen Brauen sah Steve auf seine Uhr.

»Es ist viertel 12.« Ein sehr hübsches Lächeln wurde ihm zugeworfen.

»Ich sage ja, viel zu früh.« Als der Fahrstuhl hielt, schnappte sie sich ihre Tasche und hastete nur in Socken den Flur entlang.

»Morgen Jennifer. Sag nichts. Ich weiß ich bin zu spät.« Er hörte ein tadelndes Brummen. Als er vor Jennifers Tisch stand, bat sie ihn sich kurz zu setzen. Von der großen Blondine war nichts mehr zu sehen. Dann ertönte die Gegensprechanlage.

»Jennifer Schatz. Könntest du mir einen großen schwarzen Kaffee machen und das Übliche beim Japaner bestellen? Ich sterbe vor Hunger.«

»Klar doch.« Jennifer ging zur Kaffeemaschine und fragte Steve, ob er auch einen mochte.

»Gern. Wenn es keine Umstände macht.« Sie lächelte und warf die Maschine an. Anscheinend war die Blondine die Einzige, die Kaffee trank. Nachdem der Kaffee fertig war, spähte Jennifer in das Büro und zwinkerte Steve dann zu.

»Sie können jetzt rein gehen.« Das Büro schockte ihn. Chaos. Wo er hinsah, lagen Akten, Stifte, Blöcke, Papier und Kartons. An dem großen Schreibtisch vor dem Panoramafenster saß die Blondine aus dem Fahrstuhl. Allerdings jetzt nicht mehr barfuß und mit rosa T-Shirt, sondern im grauen Nadelstreifenkostüm und weißen High Heels. Als sie bemerkte, dass er ihr Termin war, lächelte sie.

»Setzen Sie sich.« Jennifer kam mit dem Kaffee herein und stellte die Tassen auf zwei freie Plätze auf dem chaotischen Schreibtisch.

»Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Thompson?« Er räusperte sich.

»Ich bin vor zwei Monaten auf etwas gestoßen, dass Sie sich bitte ansehen müssten.« Er reichte ihr eine Mappe mit mehreren Auflistungen. Sie sah alles durch und plötzlich runzelte sie die hübsche Stirn. Er konnte sie überhaupt nicht einschätzen. Rein vom Äußeren, würde er sie für eine verwöhnte Barbiepuppe halten. Aber jetzt, da sie in den Geschäftsmodus umgestiegen war, und auch noch seriös aussah, würde er sie für eine echte Businessfrau halten.

»Da zweigt sich wohl jemand jeden Monat etwas zusätzlich ab, oder?« Steve nickte.

»Leider konnte ich noch nicht herausfinden, wer es ist.« Dafür hatte er nicht die nötigen Befugnisse. Sie schob sich das Ende eines Bleistifts in den Mund und kaute darauf herum. Dann nahm sie eine Akte von der Tastatur ihres Computers, legte sie beiseite und hackte wild auf dem Keyboard herum. Der Bleistift war zwischenzeitlich zwischen ihren Schneidezähnen und wippte auf und ab. Er konnte sehen, wie ihre Augen über den Monitor flogen und immer wieder tippte sie kurze Zahlen- und Buchstabenreihen ein.

»Mist. Das hätte ich schon viel früher mitbekommen müssen.« Ohne vom Bildschirm aufzusehen, fragte sie: »Warum sind Sie nicht schon früher zu mir gekommen?«

»Ich war mir zuerst nicht sicher und wollte die Sache beobachten. Aber als im darauffolgenden Monat wieder 500 Dollar verschwanden, war ich mir recht sicher, dass es nicht normal war.« Sie nickte. Ihre Finger tippten ununterbrochen auf der Tastatur herum und ihre Augen rasten von links nach rechts. Dann wurde ihr Blick finster und das Tippen hörte auf. Sie beugte sich zur Gegensprechanlage.

»Jennifer? Sagst du bitte Mrs. Dante bescheid, dass ich sie in 15 Minuten in meinem Büro sprechen möchte?« Mrs. Dante? Dieser Name sagte ihm nichts. Und er kannte fast alle Mitarbeiter. Der Drucker, der unter einem Stapel Akten versteckt war, begann zu drucken und Rachel sah ihn wieder an.

»Ich danke Ihnen, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben.« Er nickte und erwiderte: »Das ist mein Job.« Damit stand er auf und verließ das Büro.

 

Michelle Dante betrat zögernd den Raum.

»Hallo Michelle. Bitte setzen Sie sich.« Sie trug einen grauen Rollkragenpullover und darüber einen etwas dunkleren Blazer. Ihr Gesicht war blass und ihre braunen Haare sahen stumpf aus. Sie konnte sich noch genau daran erinnern, wie frisch und quirlig Michelle bei dem Einstellungsgespräch gewesen war.

»Sie wollten mich sprechen?« Rachel nickte und legte ihr mehrere Seiten hin.

»Sie haben Gelder veruntreut. Insgesamt 2.400 Dollar.« Michelle wurde noch blasser und sah auf die Blätter vor sich. Eine schier undurchdringliche Stille entstand.

»Wozu brauchten Sie das Geld?« Michelle sah nicht auf.

»Ich zahle Ihnen alles zurück, versprochen. Aber bitte entlassen Sie mich nicht. Ich brauche diese Arbeit.« Rachel lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.

»Das war nicht die Antwort auf meine Frage.« Michelle rang die Hänge im Schoß und auf ihrer Stirn standen Schweißtropfen.

»Ich kann nicht darüber reden.«

»Entweder Sie sagen es mir, oder Sie verlieren Ihren Job.« Michelle ließ den Kopf hängen und ihre Schultern sanken nach vorne. Sie gab auf.

»Mein Kind war krank und ich konnte den Krankenhausaufenthalt nicht bezahlen.«

»Ihr Sohn ist jetzt sechs Jahre alt, richtig?« Michelle nickte.

»Warum war er im Krankenhaus?« Michelle zuckte sichtlich zusammen.

»Er hatte eine geprellte Rippe und einen gebrochenen Arm.«

»Wie ist das passiert?« Michelle schwieg. »Wenn Sie es mir nicht erzählen, kann ich Ihnen nicht helfen.«

»Mein Freund sollte auf ihn aufpassen ... Ich war nur zwei Stunden weg.« Ein Schauer überlief Rachel, als sie die Zusammenhänge erfasste.

»Er ist nicht der Vater?« Michelle schüttelte den Kopf.

»Sein Vater ist vor drei Jahren an Krebs gestorben. Seitdem war ich allein.«

»Schlägt er sie auch?« Michelle antwortete nicht sondern schob nur den Ärmel ihres Pullovers nach oben. Mehrere blaue Flecken waren über den ganzen Arm verteilt. Rachel stieß ihren Atem aus, was Michelle wohl als Kritik verstand.

»Ich hatte ihn wütend gemacht. Es war meine Schuld.« Rachel stand auf und schlug mit den Händen auf den Schreibtisch.

»Egal wie wütend Sie ihn gemacht haben, er darf Sie nicht schlagen. Als das mit Ihrem Sohn passierte, haben Sie die Polizei gerufen?« Michelle schüttelte den Kopf. Rachel setzte sich wieder und sah die Frau vor sich eindringlich an.

»Was ist Ihnen wichtiger? Die Gesundheit Ihres Sohnes oder dieser Schläger?« Ohne zu zögern, kam die Antwort.

»Mein Sohn. Aber er kann nicht ohne Vater aufwachsen.«

»Soll er lieber jede Woche oder jeden Monat mit gebrochenen Knochen ins Krankenhaus? Wie wollen Sie ihm erklären, dass Sie bei einem Mann bleiben, der Sie und ihn schlägt? Dass Sie ihn nicht beschützt haben.« Tränen traten in Michelles Augen.

»Was soll ich denn tun? Es ist seine Wohnung, er hat alle unsere Sachen. Wenn ich die Koffer packe, rastet er bestimmt aus.« Rachel stand auf und ging um den Schreibtisch herum. In der Hand hielt sie mehrere Blätter.

»Ich unterstütze ein hiesiges Frauenhaus. Gehen Sie mit Ihrem Sohn dort hin. Ihre Sachen werden von einer Umzugsfirma und mein Anwalt abgeholt. Ich kann Ihnen in drei Tagen eine Sicherheitswohnung in einem meiner Mietshäuser beschaffen. Sie bekommen ein neues Konto und eine persönliche Sicherheitskraft, solange wie Sie diese für nötig halten.« Michelle sah sie mit großen Augen an.

»Das kann ich mir nicht leisten.« Rachel setzte sich wieder.

»Aber ich kann es. Sehen Sie es als Investition. Ich möchte Sie nicht als Mitarbeiterin verlieren. Sie sind intelligent und Ihre Arbeit ist immer hervorragend. Schießen Sie diesen Schläger ab und gründen Sie eine neue Familie, ohne Gewalt.« Sie schob Michelle einen Vertrag zu.

»Was ist das?«

»In diesem Vertrag ist festgehalten, dass Sie sich mindestens zehn Jahre für meine Firma verpflichten. In dieser Zeit werden Sie eine bezahlte Weiterbildung über drei Jahre machen. Wir stellen Ihnen die Wohnung mietfrei zur Verfügung, Sie tragen nur die Nebenkosten. Ihr Sohn wird auf eine Privatschule gehen, die von uns finanziert wird und es wird ein Collage-Sparbuch für ihn angelegt. Des Weiteren erfolgt halbjährlich ein Gesundheitscheck für Sie und Ihren Sohn. Alle Behandlungen und Medikamente werden von uns übernommen.« Michelle sah sie ungläubig an. »Zum Schluss gibt es eine Verschwiegenheitserklärung.«

»Warum tun Sie das für mich?« Rachel lächelte sanft.

»Ich bin für meine Mitarbeiter verantwortlich. Ich habe Sie damals eingestellt, weil Ihre Noten überdurchschnittlich waren und ich viele Empfehlungen bekommen habe. Wenn Sie wieder Probleme haben sollten, dann kommen Sie bitte gleich zu mir.« Michelle stand auf und umarmte Rachel.

»Vielen Dank! Vielen Dank!«

 

Rachel ging hastig durch die Flure des Bürogebäudes. Sie musste schmunzeln. Ganz am Anfang hatte sie auch hier gesessen und alle möglichen Arbeiten verrichtet. Sie mochte die Büroatmosphäre. Jetzt war es allerdings schon weit nach 10 und kein Angestellter war mehr hier.

Sie traf Ed, den Wachmann, und winkte ihm zu. »Ich mach für heute Schluss. Du kannst die Alarmanlage dann anmachen.«

»Geht nicht. Steve arbeitet noch.« Rachel runzelte die Stirn.

»Steve Thompson?« Ed nickte.

»Der sture Kerl arbeitet jeden Tag bis tief in die Nacht und kommt morgens gegen 6 wieder her.« Der Wachmann schüttelte den Kopf. »Und das macht er schon, seit er hier angefangen hat.« Rachel blickte sich um.

»Wo ist sein Büro?« Ed erklärte es ihr und sie ging neugierig geworden dorthin. Es wäre auch ohne Wegbeschreibung schnell gefunden gewesen. Es war das einzige Büro, indem noch Licht brannte. Sie näherte sich langsam und spähte in das Büro. Alles sehr ordentlich. Es war ein kleines Büro, aber er hielt Ordnung. Sie mochte keine ordentlichen Menschen. Zumindest nicht privat. Auf seinem Schreibtisch lagen mehrere Akten, der Computer war an und ein Radio lief nebenbei. Klassik. Die Fenster waren weit geöffnet und frische Luft erfüllte das Büro. Steve selbst war nicht zu sehen. Sie setzte sich auf seinen Stuhl und sah auf den Bildschirm. Er war zweigeteilt, auf der einen Seite waren die Konten und Buchungen des aktuellen Geschäftsjahres, auf der anderen ein DOS-Fenster. Als sie sich die Daten genauer ansah, bemerkte sie, dass es ein selbst geschriebenes Programm war. Anscheinend arbeitete er nach der Arbeit einfach weiter.

»Kann ich Ihnen helfen?« Rachel sah vom Bildschirm auf und entdeckte Steve, der mit einer Tüte an der Tür stand. Es roch herrlich nach chinesischem Essen.

»Tut mir leid. Ich bin viel zu neugierig.« Sie stand auf und machte ihm Platz. »Wieso sind Sie so spät noch hier?« Steve stellte das Essen auf den Tisch und sah sie an.

»Ich arbeite gern.« Rachel setzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl.

»Haben Sie keine Familie oder Freunde?« Mit einem Seufzen setzte er sich auf seinen Bürostuhl.

»Ich bin Single und arbeite gern. Freunde sind überbewertet.« Nun wurde sie wirklich neugierig.

»Sie bekommen die Überstunden nicht bezahlt, oder?« Er schüttelte den Kopf.

»Das will ich auch gar nicht.« Sie lehnte sich nach vorn und stützte ihre Arme auf dem Tisch ab.

»Wenn es nicht das Geld ist, was dann?«

»Mrs. Kenneth. Muss ich Ihnen wirklich erklären, warum ich unbezahlt Überstunden mache? Nehmen Sie es einfach so hin.«

»Ich muss mich um meine Mitarbeiter kümmern.« Sie sah auf das chinesische Essen und ihr Magen knurrte. Laut. Steve grinste.

»Sie wollen sich um Ihre Mitarbeiter kümmern und schaffen es nicht bei sich selbst?« Sie hob lachend den Zeigefinger.

»Vorsicht! Ich bin hier die Chefin!« Er lachte in sich hinein und kramte aus seinem Rollcontainer zwei Teller und Besteck.

»Darf ich Sie zum Essen einladen?« Sie kicherte.

»Dann bleibt Ihnen aber nicht mehr viel übrig.« Er zuckte daraufhin nur mit den Schultern und verteilte das Essen auf die beiden Teller.

Der Abend verlief angenehm. Während des Essens redeten sie nicht viel und danach versuchte sie, mehr über ihn herauszufinden. Aber er war ein Buch mit sieben Siegeln. Bei jeder Frage stellte er eine Gegenfrage und schließlich wurde es so spät, dass es Rachel einfach gut sein ließ.

»Wir sehen uns morgen.« Sie klang zuversichtlich, wusste aber selbst, dass sie sich wahrscheinlich nicht über den Weg laufen würde. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und fragte mit hochgezogenen Brauen: »Sie machen doch jetzt auch Schluss, oder?«

»Gleich. Versprochen.« Sie nahm es hin und würde morgen Ed fragen, wie lange er noch gearbeitet hatte. Es faszinierte sie, dass er so ein ... untypischer Mann war.

 


1.2 Kapitel

 

 

Als Steve am nächsten Abend von seiner Akte aufsah, bemerkte er Rachel, die ihm gegenüber an der Tür stand. Heute trug sie einen dunkelblauen Hosenanzug und darunter eine hellblaue Bluse. Sehr elegant.

»Feierabend«, trällerte sie gut gelaunt. Als er sie nur fragend ansah, kam sie um den Tisch herum, speicherte alles, was er geöffnet hatte und fuhr den Rechner herunter. Dann klappte sie die Akte zu, die er eben bearbeitete, und sagte: »Sie werden jetzt mit mir essen gehen.« Er runzelte die Stirn.

»Wie bitte?« Rachel nahm seinen Mantel vom Kleiderständer und reichte ihn ihm.

»Sie haben schon richtig verstanden. Ich lade Sie heute zum Essen ein.« Als er sich nicht von seinem Stuhl bewegte, sagte sie: »Das ist ein Befehl.« Er schmunzelte und stand auf. Seine Tasche stand an den Kleiderständer gelehnt da und seinen Mantel hatte sie sich bereits über den Arm gelegt.

»Wohin wollen wir essen gehen?« Sie sah ihn abschätzend an. »Irgendwelche Lebensmittelallergien oder Abneigungen gegen bestimmte Nationalgerichte?« War das zu aufdringlich oder neugierig von ihr? Nein. Sicher nicht. So etwas durfte man fragen, um eventuelle Notfälle auszuschließen.

»Ich überlasse es Ihnen, die Örtlichkeit auszusuchen. Immerhin laden Sie mich ein.« Rachel überlegte kurz und warf ein »Italiener« in den Raum.

»Sie müssten mich allerdings mitnehmen. Ich habe kein Auto.« Sie gingen gemeinsam zum Fahrstuhl, als er sie verwundert fragte: »Warum haben Sie kein Auto? Wie kommen Sie denn auf Arbeit?«

»Taxis sind nicht annähernd so teuer, wie viele denken.« Das überraschte ihn wirklich. Sie war wohlhabend, verzichtete aber auf den Luxus eines Autos? Sie könnte sich doch sicher auch einen Chauffeur leisten. Als sie schließlich in der Tiefgarage angekommen waren, führte er sie zu seinem Auto und öffnete ihr die Beifahrertür. Dann stieg er ebenfalls ein und startete das Auto.

Die Fahrt über schwiegen beide, bis auf die Anweisungen, welchen Weg er zum Restaurant nehmen sollte. Nachdem sie geparkt und das Restaurant betreten hatten, begann sie wieder das Gespräch mit ihm zu suchen.

»Wollen wir nicht langsam Du sagen? Ich bin Rachel.« Er sah sie forschend an.

»Steve.« Sie schwiegen wieder einen Moment, bis der Kellner kam und ihre Bestellung aufnahm.

»Du sprichst nicht sehr viel, oder?«

»Ich bin besser, was Technik und Programme angeht. Meine soziale Kompetenz ist etwas ... eingestaubt.«

»Das ist nicht weiter schlimm. Ich rede für zwei. Manchmal auch für drei, wenn es sein muss oder ich zu viel getrunken habe.« Als er sie mit gerunzelter Stirn ansah, musste sie lachen. Da das Restaurant um diese späte Stunde und dazu noch mitten in der Woche nicht so viel Kundschaft hatte, kam das essen nur etwa zwanzig Minuten nach der Bestellaufgabe. Ihr lief förmlich das Wasser im Mund zusammen. Sie hatte seit einem kurzen und stressigen Mittagessen nichts mehr zu sich genommen und war nun völlig ausgehungert. Nachdem sie brav eine Serviette auf ihren Schoß gelegt hatte, sah sie zu Steve und lächelte strahlend. Er hingegen schüttelte nur den Kopf. Aber er lachte immerhin dabei.

Sie begann, sich über ihr Essen herzumachen. Zum Glück hatte sie einen relativ guten Stoffwechsel. Und einen personal Trainer. Ohne diese beiden Tatsachen wäre sie wohl schon kugelrund. Als sie wieder zu Steve aufblickte, bemerkte sie seinen amüsierten Blick.

»Was ist? Hast du noch nie eine Frau essen sehen?«

»Doch schon. Aber die sahen nicht so aus wie du und wenn doch, sind sie nach dem essen auf die Toilette gerannt um alles wieder auszukotzen.« Er sagte es so trocken und emotionslos, dass sie unwillkürlich anfangen musste zu lachen.

»Wieso sollte ich das ganze Zeug erst essen, wenn ich es danach wieder rauskotzen soll? Das hat für mich noch nie Sinn ergeben.« Nun lachte auch Steve.

Den ganzen restlichen Abend erzählte sie von ihrem Leben, ihren Freunden und ihrer Familie. Immer, wenn sie ihn etwas fragte, drehte er es so, dass sie wieder erzählen musste. Interessant. Sie hatte bisher noch nicht viele Männer getroffen, die lieber zuhörten, statt von sich zu erzählen. Ehrlich gesagt verhielten sich fast ausschließlich reiche Männer so. Steve war ihr von Anfang an sympathisch gewesen. Er hatte sie im Aufzug auf den Milchbart hingewiesen. Wäre sie nur eine Assistentin oder Ähnliches gewesen, hätte sie wahrscheinlich für einige Pausenwitze gesorgt. Keinen anderen hätte es interessiert, ob sie sich blamierte. Aber Steve hatte sie freundlicherweise daraufhin gewiesen. Und das, ohne zu wissen, wer sie war.

Gegen 11 Uhr am Abend beendete er schließlich das Treffen und fuhr Rachel nach Hause. Und dann passierte etwas Untypisches. Etwas, was kein Mann zuvor getan hatte. Er wünschte ihr eine gute Nacht und fuhr los.

Selbstzweifel überkamen sie und leicht verwirrt betrat sie ihre Wohnung. Kein Kuss, keine Grabschereien, keine Andeutungen. Noch nicht einmal die Frage, ob er noch einen Kaffee bekommen könnte. Nichts. War sie nicht sein Typ? Oder war es, weil sie seine Chefin war? Hatte er Komplexe, da sie mehr verdiente als er?

Frustriert stöhnend ließ sie sich auf ihr Sofa fallen. Wo war die Fernbedienung? Sie sah sich um und entdeckte sie auf dem Fernseher. Typisch. Genau dort, wo man sie nicht benötigte. Sie blieb einen Moment unschlüssig liegen. Sollte sie aufstehen? Nein. Dazu hatte sie keine Lust. Sie entschied sich dafür, noch etwas im Schein der Wohnzimmerlampe liegen zu bleiben und über den Abend nachzudenken.

Es war alles gut gelaufen. Sie hatten sich genau wie das letzte Mal gut unterhalten. Und normalerweise wollten Männer beim zweiten Date zumindest einen Kuss. Oder sah er die Essen mit ihr überhaupt nicht als Date an? War sie nur eine nette Ablenkung für zwischendurch? Frustriert fuhr sie mit ihren Händen übers Gesicht und schwang ihre Beine vom Sofa. Doch statt die Fernbedienung zu holen, ging sie in die Küche und öffnete sich einen lieblichen Weißwein. Ohne weiter über die Uhrzeit nachzudenken, nahm sie ihr Handy und rief ihre beste Freundin an.

»Weißt du eigentlich, wie spät es ist?« Maxi klang nicht sehr begeistert.

»Liegst du etwa schon im Bett?«

»Manche Leute haben keine eigene Firma und müssen zu festen Zeiten auf Arbeit sein. Was gibt es denn?«

»Mir ist heute etwas Komisches passiert.« Bettwäsche raschelte am anderen Ende der Leitung.

»Na, dann erzähl mal.« Sie klang neugierig, trotzdem schien sie über die späte Störung nicht erfreut zu sein.

»Ich war heute mit einem Mann zum Abendessen aus. Alles lief super und vor ein paar Minuten hat er mich bei mir abgesetzt.«

»Und was ist daran komisch?«

»Er ist wieder gefahren. Ohne auch nur den Versuch eines Kusses oder Ähnlichem.« Maxi kicherte.

»Und nun möchtest du von mir die Bestätigung, dass du immer noch eine junge, knackige Sexgöttin bist?« Rachel ignorierte die sarkastische Antwort.

»Was soll ich davon halten? Bin ich einfach nicht sein Typ oder hat er Angst etwas mit seiner Chefin anzufangen?«

»Er ist dein Kollege? Du hattest doch selbst gesagt ...« »dass ich nie etwas mit einem Kollegen anfangen werde. Ja. Aber er hat es noch nicht einmal versucht!« Rachel hörte, wie bei Maxi am anderen Ende der Leitung, eine männliche Stimme sagte: »Hey Süße. Leg das Telefon weg. Oder ich lass dich ohne Orgasmus in der Luft hängen.«

»Maxi! Sag nicht, dass du nebenbei mit einem Kerl fummelst!«

»Ach bitte. Schon mal was von Multitasking gehört?« Rachel hörte den Mann lachen. Es war ein amüsiertes und tiefes Lachen. Männlich.

»Ich dachte, du hättest schon geschlafen.«

»Ich hab nur gesagt, dass ich schon im Bett liege. Ich habe nie behauptet, allein zu sein oder schon geschlafen zu haben.« Sie keuchte kurz auf und plötzlich war die Verbindung unterbrochen. Rachel seufzte.

Eigentlich sollte sie doch jetzt in ihrem Bett liegen und von diesem Workaholic gevögelt werden. Stattdessen trank sie nun schon ihr zweites Glas Weißwein. Und es würde nicht das Letzte an diesen Abend bleiben.

 

Steve betrat am nächsten Morgen wie gewohnt sein Büro und startete den Rechner, bevor er die Jacke auszog und das Fenster öffnete, um die abgestandene Büroluft raus zu lassen. Das war sein Reich. Hier fühlte er sich sicher und hier konnte er tun, was er am besten konnte. Die Arbeit war schon immer sein Freund gewesen, hatte ihn bei gescheiterten Beziehungen getröstet und bei seiner anhaltenden Schlaflosigkeit und Alpträumen eine willkommene Abwechslung geboten.

Und doch war das Büro seit gestern nicht mehr allein seine Domäne, sein Reich. Diese hübsche Blondine hatte es mit ihrem Charme geschafft, es mit netten Erinnerungen anzuhäufen. Zumindest ein paar. Es setzte sich auf seinen Bürostuhl und öffnete alle relevanten Programme. Dann checkte er seine E-Mails. Nichts wirklich Interessantes.

Er sah wieder zu dem Stuhl vor seinem Schreibtisch, wo sie zwei Abende zuvor gesessen und mit ihm über Gott und die Welt geplaudert hatte. Dann sah er zur Tür, wo sie ihn gestern Abend abgeholt hatte. Was war das plötzlich für ein Gefühl? Er hatte es schon in dieser Nacht verspürt, als er nach einem wenig erholsamen Schlaf aufgestanden und in seiner Wohnung umhergewandert war.

Normalerweise schlief er nicht mehr als zwei oder drei Stunden. Jedes Mal wurde er vom gleichen Alptraum in die Wirklichkeit zurückgerissen. Früher hatte er sich nach besonders heftigen Träumen übergeben müssen, mittlerweile hatte er es unter Kontrolle, wobei das wohl eher an dem guten Antidepressivum lag, dass er seit einem guten Jahr nahm.

Sein alter Therapeut hatte es gänzlich ohne Medikamente versucht, aber die Alpträume waren geblieben. Bis er endlich einen guten Therapeuten gefunden hatte, waren viele Jahre ins Land gegangen. Und Beziehungen in die Brüche. Er war einfach zu seltsam. Zu verschlossen. Das gefiel den Frauen nicht und nach zwei gescheiterten Beziehungen, in denen er immer wieder verletzt wurde, hatte er es schließlich aufgegeben und sich auf ein Singleleben eingestellt.

Und dann kam Rachel. Er hatte immer noch den Anblick ihres Bauchnabelpiercings im Kopf und den Milchbart. Nichts, was er mit einer Chefin oder Führungskraft in Verbindung bringen würde. Aber vielleicht war das ja eben der Reiz. Sie war unkonventionell. Das völlige Gegenteil von den Frauen, mit denen er sonst zusammen war. Und er hatte gestern Abend gespürt, dass sie die Beziehung wohl auch etwas vertiefen würde. Aber sie war seine Chefin, und wenn es in die Brüche ging, würde er alles verlieren, was ihm etwas bedeutete. Er schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich auf seine Arbeit.

Gegen Mittag blinkte das Zeichen des E-Mail-Programmes auf. Er speicherte die letzte Datei und öffnete die neue Mail.

 

Meine Sekretärin hat versehentlich zwei Essen beim Japaner bestellt. Hast Du Lust mir Gesellschaft zu leisten?

 

Als er verwundert auf den Absender schaute, fragte er sich wieder einmal, was diese Frau in ihm sah. Dann schüttelte er den Kopf und antwortete ihr.

 

Tut mir leid. Ich hab viel Arbeit auf dem Tisch. Vielleicht ein anderes Mal.

 

Hauptsache, sie würde es ihm nicht krummnehmen. Er konnte sich ja schlecht ständig mit der Chefin treffen. Das würde selbst seinen Kollegen irgendwann auffallen. Dank seiner ruhigen und ungeselligen Art hielten sie sich zwar von ihm fern, aber er konnte trotzdem die Blicke und das Getuschel wahrnehmen.

Die Mittagspause kam und die Kollegen verließen das Büro. Seit seiner ersten Woche hier fragte niemand mehr, ob er Lust hätte, sie zu begleiten. Manchmal glaubte er, dass es noch nicht einmal jemanden auffallen würde, wenn er nackt im Büro säße. Er schüttelte den Kopf und widmete sich wieder seiner Arbeit.

Das Läuten des Fahrstuhls riss ihn aus seiner Konzentration und er sah mit hochgezogenen Brauen zu seiner Bürotür. Nur wenige Momente später erschien Rachel und hielt zwei Tüten in die Höhe.

»Es wäre doch Verschwendung, das gute Essen wegzuschmeißen.« Sie stellte ihm eine Tüte vor die Nase und mit der anderen setzte sie sich auf den Stuhl im gegenüber und begann, das Essen in sich hinein zu stopfen. Er starrte sie unterdessen einfach nur an. Sie deutete auf die Tüte vor ihm, und als sie hinter geschluckt hatte, drohte sie: »Wenn du nicht gleich beginnst, das leckere Essen zu verdrücken, ziehe ich den Stecker deines Computers.« Dann grinste sie.

Heute trug sie nur ein gelbes T-Shirt und Bluejeans. Ihre Haare fielen ihr in sanften Wellen ums Gesicht. Sie war wirklich hübsch. Und genau das war der Grund, weshalb er sich fragte, was sie von ihm wollte. Ob sie überhaupt etwas von ihm wollte. Um sie gar nicht erst auf die Idee zu bringen, ihre Drohung wahr zu machen, schob er die Tastatur ein Stück nach oben und packte das Essen aus.

»Danke.« Sie grinste ihn nun an und ließ eine Sushi-Rolle nach der anderen in ihren Mund wandern.

 

Sie setzte sich mit Maxi an einen Tisch, der etwas Abseits stand.

»Okay, Süße. Was ist los?« Rachel spielte an ihrer Uhr herum, was sie normalerweise nur tat, wenn sie nervös war. Als es ihr auffiel, hörte sie sofort damit auf.

»Ich glaube, ich hab mich etwas in Steve verliebt.« Maxi lächelte sanft.

»Hast du es auch langsam gemerkt?«

»Wie meinst du das?« Maxi verdrehte genervt die Augen.

»Wenn du von ihm erzählst, dann leuchten deine Augen und deine Stimme steigt um ein paar Oktaven. Außerdem hast du mich noch nie wegen eines Kerls mitten in der Nacht angerufen.« Da hatte sie wohl recht. Trotzdem war sie nicht so glücklich, wie sie hätte sein sollen. Was ganz allein Steves Schuld war.

»Aber er will keine Beziehung mit mir.« Auf diese Aussage hin zog Maxi die Augenbrauen in die Höhe.

»Wie kommst du darauf?«

»Er hat noch keine Anstalten gemacht, mich ins Bett zu bekommen. Noch nicht einmal einen Kuss wollte er sich stehlen.« Sie klang entrüstet.

»Und du bist noch nicht auf die Idee gekommen, dass er unsicher sein könnte, oder verklemmt? Vielleicht schüchterst du ihn ein. Immerhin bist du seine Chefin. Das verkraften viele Männer nicht.« Das gab Rachel zu denken.

»Da könntest du recht haben.«

»Ich habe in 99 Prozent der Fälle recht.« Und trotzdem war sie single. Wobei ...

»Wer war das letztens eigentlich am Telefon. Und noch wichtiger: Hast du deinen Orgasmus bekommen?« Maxi versuchte es zwar zu verbergen, aber sie wurde tatsächlich rot.

»Das war ein Bekannter von meinem Bruder. Du weißt schon. Wir treffen uns ab und zu, um etwas Spaß zu haben.« Nach einem kurzen Blick in die Runde fuhr sie fort: »Und ja. Ich habe meinen Orgasmus bekommen.« Rachel kicherte wie ein kleines Mädchen und nippte dann an ihrem Kaffee.

»Was soll ich deiner Meinung nach machen, damit er endlich Farbe bekennt?«

»Sprich ihn drauf an. Mehr als nein sagen kann er nicht.« Das war einleuchtend.

»Ich werde es versuchen.«

»Ist er ein ordentlicher Mann? Ich meine, sieht sein Arbeitsplatz aufgeräumt aus?« Rachel nickte zustimmend. »Dann nimm ihn bloß nicht mit zu dir. Sonst kannst du ihn gleich abschreiben.« Maxi war ihre Freundin und hielt mit ihrer Meinung nie hinterm Berg. Außerdem war sie die Einzige, die Rachel kritisieren durfte. Deswegen nahm sie ihr diesen Kommentar nicht übel. Rachel liebte ihr Chaos, und sie würde sich für keinen Mann der Welt verbiegen.

 

Kurz nach dem Ende der Mittagspause war sie wieder im Büro und rief auf Steves Apparat an.

»Kannst du kurz hochkommen? Ich würde gern etwas mit dir besprechen.« Nach einem kurzen Schweigen stimmte er zu und legte auf. Aus irgendeinem Grund war sie nervös. Sie war nie nervös. Zumindest nicht, wenn es um Männer ging. Warum hatte er so eine verdammte Wirkung auf sie? Und dabei kannte sie ihn noch nicht einmal richtig. Sie hatten ein paar Mal zusammen gegessen und sich über belanglose Sachen unterhalten. Und doch machte ihr Magen einen kleinen Salto, als sich die Tür öffnete, und Steve unsicher den Raum betrat.

»Du wolltest mich sprechen?« Sie stand auf und deutete auf die Couch.

»Setz dich.« Sie folgte ihm und setzte sich ihm gegenüber auf einen keinen Sessel. Sie holte tief Luft und sah ihn ernst an. »Wie lange willst du mich eigentlich noch auf Distanz halten?« Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an und sie erkannte, dass er wirklich nicht vorgehabt hatte, sie ins Bett zu bekommen. Er hatte noch nicht einmal ansatzweise versucht, sie anzumachen.

»Ich ... Äh.« Ihr Herz schmolz dahin und sie stand auf, um gleich darauf auf ihn zuzugehen. Er erhob sich ebenfalls, war aber nicht schnell genug, um ihr zu entwischen. Ohne den Blick von seinen Lippen zu lassen, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und legte die Arme um seinen Hals.

»Rachel ...« war alles, was er noch sagen konnte, bevor sie ihn küsste. Sie hätte gern gesagt, dass er ein guter Küsser war oder dieser Kuss etwas Besonderes. Aber das wäre gelogen. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie einen so fantastischen und zärtlichen Kuss bekommen. Einen Moment später drückte er sie von sich. Sanft aber bestimmt.

»Ich bin niemand, für nur eine Nacht.« Rachel sah ihn entschlossen an.

»Ich in deinem Fall auch nicht.« Er schwieg und musterte sie mit einem unsicheren Blick. Sie war sich sicher, ihn im Netz zu haben.

»Nein.« Sie runzelte verwirrt die Stirn.

»Nein? Warum?«

»Ich mag dich wirklich. Du bist nett und charismatisch. Aber falls das mit uns nicht klappen sollte, verliere ich meinen Job. Dieses Risiko kann ich nicht eingehen. Tut mir leid.«

»Dann entlasse ich dich eben gleich.« Er sah sie mit vor Schreck geweiteten Augen an. »Das war nur ein Scherz. Ich bin nicht so oberflächlich, dass ich dich wegen einer gescheiterten Beziehung raus werfen würde. Dafür bist du zu gut in dem, was du tust.« Er senkte den Kopf und sah auf den Boden vor sich.

»Ich bin kompliziert. Du würdest es nicht lange mit mir aushalten. Das hat noch keine.« Sie ging auf ihn zu und nahm sein Gesicht in ihre Hände. Damit war er gezwungen, sie anzusehen.

»Ich bin auch nicht gerade die Einfachheit in Person. Ordnung ist ein Fremdwort für mich und meine bisherigen Freunde waren nur auf mein Geld scharf. Du bist der Erste, mit dem ich mehr möchte.« Er streckte zögernd seine Hände aus und umfasste ihre schmale Taille. Seine Hände fühlten sich so angenehm warm auf ihrer Haut an. Selbst durch den Stoff hindurch. Sie fühlte sich sicher. Geborgen. Als wäre sie nach einer langen Reise endlich am Ziel angekommen.

»Dann versuchen wir es also?« Er senkte seinen Kopf und hielt kurz vor ihren Lippen inne.

»Auf eigene Gefahr und ohne Nachspiel.« Ihre Antwort war nur ein leises Hauchen, da sie endlich seine Lippen auf ihren spüren wollte. Er zog sie an seinen Körper und legte seine Lippen auf ihre.

Plötzlich ertönte die Gegensprechanlage und Jennifer fragte: »Denkst du an deinen Termin mit Mr. Miller? Von Miller & Son? Der ist nämlich in einer viertel Stunde.« Er löste sich von ihren Lippen, doch weder ein Grinsen noch ein höhnischer Blick trafen sie. Nur erstaunen. Und eine Leidenschaft, die ihr Höschen feucht werden ließ. Großer Gott. Dieser Mann war wie auf Knopfdruck vom Nerd zum Sexgott mutiert. Und eins war sicher: Sie würde an dieser Beziehung festhalten.

»Du musst dich auf deinen Termin vorbereiten.«

»Ich könnte ihn absagen und mir mit dir einen schönen Tag machen.« Er schüttelte den Kopf.

»Vernachlässige meinetwegen nicht deine Arbeit. Ich hab auch noch jede Menge zu erledigen.« Sie nickte, doch ihr Blick hing immer noch abwechselnd an seinen Lippen und seinen Augen. Schließlich trat er einen Schritt zurück und atmete tief durch.

»Soll ich dich heute Abend nach Hause fahren?«

»Willst du dir das wirklich schon am ersten Abend unserer Beziehung antun? Wie gesagt, ich bin nicht die Ordentlichste.«

»Wie schlimm kann es schon sein?«

»Ich will nicht, dass du gleich schreiend wegläufst. Wie wäre das: Wir gehen heute und morgen zu dir und am Wochenende zeig ich dir meine Wohnung.« Er nickte.

»Meinetwegen.« Als er noch einen Schritt rückwärtsging, wanderte sein Blick nun auch zu ihren Lippen. Und wieder konnte sie eine dermaßen animalische Leidenschaft in seinen Augen sehen, dass sie fast damit rechnete, er würde sie jeden Moment anspringen. Aber nach einem letzten Blick auf ihr Gesicht drehte er sich um und verließ ihr Büro.

Nach wenigen Augenblicken wurde die Tür erneut geöffnet und eine neugierige Jennifer betrat das Büro.

»Was hast du denn mit dem gemacht? Der war ja völlig durch den Wind.« Rachel grinste.

»Du hast soeben meinen neuen Freund gesehen.« Jennifer bekam große Augen.

»Wirklich? Ihr seid zusammen?« Rachel kramte die Akte von Miller & Son heraus und blätterte sie kurz durch.

»Ja. Seit eben.« Jennifer setzte eine ernste Miene auf und sagte schließlich: »Hast du dir das gut überlegt? Ich meine, weil dein letzter Freund nur wegen des Geldes ...«

»Steve ist anders. Er wollte eigentlich gar nicht. Ich musste ihn überreden.« Erst sah sie erstaunt aus, dann schien sie nachzudenken.

»Na gut. Ich denke, du könntest recht haben. Was man so über ihn hört, ist wenigstens nicht negativ.«

»Was hört man denn über ihn?« Sie zuckte mit den Schultern.

»Dass er fast nur arbeitet, keine Freunde hat und nur das Nötigste mit den Kollegen redet. Ehrlich gesagt, nicht unbedingt der passende Mann für dich.«

»Vielleicht ist er ja gerade der Typ Mann, den ich brauche.« Ihre Sekretärin verdrehte die Augen.

»Weswegen ich eigentlich hier bin: Tanja ist mit den Millers auf den Weg nach oben.« Ach ja. Tanja. Die kleine dralle Brünette war auch ein Glücksgriff gewesen. Wenn man den Magertrend der Medien verfolgt, wundert man sich immer wieder, wie diese kurvenreiche Frau sämtlichen Geschäftsmännern den Kopf verdreht, die das Glück haben, bei Rachel einen Termin zu bekommen. Tanja hatte ursprünglich als Postdame hier angefangen. Damals genoss Rachel ihre Freiheiten und blieb meistens bis in die späten Morgenstunden in Clubs und kam danach gleich auf Arbeit. Leider hatte sie so einen wichtigen Geschäftstermin vergessen und Jennifer hatte alles versucht, um den wichtigen Geschäftspartner zum Bleiben zu überreden.

Tanja hatte das mitbekommen und dem gebürtigen Engländer ein echtes englisches Frühstück besorgt. Dann hatte sie mit ihren großen Wimpern geklimpert, eine kleine Träne verdrückt und schließlich von ihrem einjährigen Aufenthalt in London erzählt. Dass nur die Engländer das Privileg besäßen, ein so abwechslungsreiches Land ihr eigen zu nennen. Sie hatte ihm Honig um den Mund geschmiert und nach Geheimtipps gefragt, was man als normaler Tourist nicht unbedingt sehen konnte.

Und obwohl Rachel mit knapp zwei Stunden Verspätung zu dem Termin kam, war der Geschäftspartner gut gelaunt. Sie hatte Tanja sofort eine Stelle als Hostess angeboten. Nebenbei studierte sie Kunstgeschichte und war immer dann zur Stelle, wenn Rachel wichtige Termine hatte. Diese stimmte sie einmal die Woche mit Jennifer ab, oder kurzfristiger, solange es sich nicht mit dem Studium überschnitt.

»Bring die beiden schon mal in den Besprechungsraum. Ich zieh mich noch schnell um.«

 


1.3 Kapitel