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Hubert Goenner

ALBERT EINSTEIN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Albert Einstein liebte seine Unabhängigkeit über alles. Trotz zahlreicher Biografien ist es bis heute nicht einfach, sich ein klares Bild von einem der größten Physiker des 20. Jahrhunderts zu machen. Hubert Goenner stellt Einsteins einzigartige Persönlichkeit in ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit so realistisch dar, wie es der gegenwärtige Kenntnisstand erlaubt. Sein so revolutionäres wie komplexes wissenschaftliches Werk macht er anhand der Auswirkungen auf einige von uns im Alltag benutzte Geräte besser begreifbar. Zahlreiche neue Gesichtspunkte und bislang nur Fachleuten bekannte Informationen tragen dazu bei, dass dieser Band über eine verständliche Einführung in Einsteins Leben und Denken hinaus auch für den Kenner von Interesse ist.

Über den Autor

Hubert Goenner, geb. 1936, ist Theoretischer Physiker und Wissenschaftshistoriker. Er lehrte und forscht am Institut für Theoretische Physik der Universität Göttingen. Bei C.H.Beck sind von ihm lieferbar: «Einsteins Relativitätstheorien» (52005) sowie «Einstein in Berlin. 1914–1933» (2005).

Inhalt

Vorwort

1. Der junge Einstein

2. Beruf und Familiengründung

3. Früchte des Nachdenkens und Diskutierens

4. Auf dem Weg nach ganz oben

5. Weltruhm

6. Hoch geschätzt und angefeindet

7. Erst gefeiert, dann vertrieben

8. Neuanfang in Princeton

9. Anstoß zur Atombombe, ethischer Mahner, einsamer Forscher

10. Der nicht ganz abgeklärte Altersweise

11. Das Einsteinbild

Nachwort

Danksagung

Literatur

Personenregister

Vorwort

Besucher von Ulm finden am Zeughaus einen Brunnen zum Gedenken an den Sohn der Stadt, Albert Einstein. Der 1984 von Jürgen Goertz geschaffene Bronzeguss besteht aus einer Raketenstufe und einem darauf gesetzten Schneckenhaus, aus dem der Kopf Einsteins herausragt. Die Raketenstufe presst Wasser in mehreren Strahlen nach unten in ein Becken. Sie soll technische Entwicklung, Weltraumfahrt und atomare Bedrohung symbolisieren. Das Schneckenhaus stellt ein Gegenbild aus der Natur dar. Es steht für einen weisen Rückzug von diesen, in ihren Folgen unübersehbaren Aktivitäten. Einstein blickt den Besucher aus dem Schneckenhaus in seiner bekanntesten Pose an: mit herausgestreckter Zunge. Zum Teil nehmen die Brunnensymbole das Klischeebild auf, das von Albert Einstein in der Öffentlichkeit existiert. Weder mit Raumfahrt noch mit dem speziellen Wissen, das zur Atombombe führte, hatte er etwas zu tun, noch zog er sich jemals in ein Schneckenhaus zurück. Im Gegenteil: Bis zu seinem Tode blieb er ein widerspenstiger politischer Kommentator. Andererseits symbolisiert das Schneckenhaus gut den Eigenbrötler, der seine Unabhängigkeit über alles liebte. Der Natur war er in seiner Jugend recht verbunden beim Wandern in der Schweiz, später über die Eindrücke, die er beim Segeln von ihr aufnahm.

So soll der Brunnen die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit von Einsteins einzigartiger Persönlichkeit bildlich darstellen. Die folgende knappe Biografie versucht, dies mit Worten zu tun, also Einsteins Leben und Person nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand zu rekonstruieren. Ereignisse seines Lebens werden chronologisch, jedoch nicht nur als Rückschau erzählt. Äußerungen von ihm und seinen Zeitgenossen dienen als Belege. Das letzte Kapitel versucht ein Gesamtbild des Menschen Albert Einstein zu zeichnen, stellt die Frage nach dem Grund für seinen Weltruhm und weist auf die Kommerzialisierung seines Namens hin.

Fakten und Zitate sind sorgfältig recherchiert; aus Platzmangel sind jedoch bis auf wenige Ausnahmen nur die benutzten Buchquellen aufgeführt. Zitate bleiben in der ursprünglichen Rechtschreibung.

1. Der junge Einstein

Im Stock über der Bettfedernhandlung «Israel & Levi» im Haus «Zum Engländer» am Weinhof sang die Großmama ihrem einjährigen Enkel auf gut Schwäbisch vor: «Älle moine Entle schwimmet auf’m See, schwimmet auf’m See, s’ Köpfle im Wasser …» Helene, geborene Moos, aus Buchau am Federsee, nun in Ulm wohnend, würde nie erfahren, welche Berühmtheit aus dem «Büble» werden sollte, das sie auf ihrem Schoß hielt. In ihrer seit dem 17. Jahrhundert in Buchau heimischen, jüdischen Familie ohne Vermögen hatte es viele Händler gegeben; ihr begabter Sohn Hermann Einstein hatte sich damit begnügen müssen, in Stuttgart Kaufmann zu lernen. Zur Zeit der Geburt seines ersten Kindes Albert am 14. März 1879 war er dank der Mitgift seiner Frau Pauline Koch aus Cannstadt Teilhaber an der gut gehenden Firma seiner Vettern Moses und Hermann Levi in Ulm. Sein älterer Bruder August führte im gleichen Haus ein Geschäft für Damenkonfektion.

Aber schon 15 Monate später, im Juni 1880, zog die junge Familie Einstein nach München. Hermann Einsteins jüngerer Bruder Jakob, ein an der polytechnischen Schule in Stuttgart ausgebildeter Ingenieur, hatte ihn davon überzeugt, mit ihm eine neue Firma, die Electrodynamische Fabrik J. Einstein & Ci., in München zu gründen. In Deutschland hatte gerade das «Goldene Zeitalter» der Elektrotechnik begonnen mit Nachrichtenübermittlung und Beleuchtung im Zentrum der schnell fortschreitenden Elektrifizierung. Die Firma entwickelte sich zunächst gut und hatte in ihrer besten Zeit wohl bis zu 200 Mitarbeiter. Sie richtete die Straßenbeleuchtung für ganze Stadtteile ein, so auch für Schwabing und für kleine Städte in Norditalien. Wegen ihrer schmalen Kapitalbasis, hauptsächlich aus Einlagen von der Verwandtschaft, und weil sie eine rechtzeitige Umstellung ihrer Produkte von Gleichstrom zu Wechselstrom versäumte, hielt die Firma dem Wettbewerb nicht stand. Sie musste 1894 liquidiert werden. Das manchmal zu lesende Argument, eine Benachteiligung der Firma infolge von Antisemitismus habe ihren Untergang bewirkt, wird durch die Einstein-Forschung nicht gestützt.

Albert Einstein konnte so Kindheit und Pubertät in einer anregenderen Umwelt als der des Ulmer Bettfederngeschäftes erleben. In der vier Jahrzehnte später geschriebenen Darstellung seiner Schwester Maja war ihr zweieinhalb Jahre älterer Bruder ein stilles, geduldiges und ausdauerndes, meist allein für sich spielendes Kind, das jedoch auch jähzornig werden konnte. Bis zu seinem siebten Lebensjahr sprach Albert beim Reden jeden Satz ganz leise noch einmal nach. Die Mutter sah zu, dass er mit fünf Jahren Geigenunterricht bekam. Nach privatem Vorschulunterricht besuchte er eine katholische Volksschule mit so gutem Erfolg, dass seine Mutter ihrer Schwester nach der zweiten Klasse schreiben konnte: «Er wurde wieder der Erste, er bekam ein glänzendes Zeugnis.» Aus der Sicht seiner Schwester galt er jedoch als nur «mittelmäßig begabt, gerade weil er zum Überlegen Zeit brauchte […].» Im Rechenunterricht trat er ebenfalls nicht hervor, jedoch fand er «mit Sicherheit immer den Weg schwierige eingekleidete Aufgaben zu lösen, wenn ihm auch beim Ausrechnen leicht ein Rechenfehler unterlief». Seine Eltern legten großen Wert darauf, ihn zur Selbständigkeit zu erziehen; sie leiteten ihn etwa an, seine Wege in der großen Stadt allein zu gehen.

Einstein wuchs zwar in einer kleinen Familie auf, jedoch mit einer weitläufigen und eng verbundenen Verwandtschaft. Neben dem Münchner Onkel Jakob lebten von Vaterseite noch ein Onkel und zwei Tanten in Ulm. Dazu kamen mütterlicherseits zwei Onkel, Jakob und Caesar Koch, die der Geschäfte wegen nach Genua bzw. Antwerpen gezogen waren, sowie Tante Fanny Einstein, geborene Koch. Von diesen Geschwistern der Eltern gab es mindestens zwanzig «echte» Vettern und Basen sowie entfernter Verwandte aus der Sippe, wie etwa die Familie von August Marx in Karlsruhe. Nicht verwandt mit ihm waren der ein Jahr jüngere Münchner Musikwissenschaftler Alfred Einstein, der sogar auf dasselbe Gymnasium ging, sowie der Kunsthistoriker Carl Einstein aus Neuwied. Münchner Spielgenossen mögen die Kinder Robert und Edith von Onkel Jakob Einstein gewesen sein.

Ab dem Schuljahr 1888/89 besuchte Albert das altsprachliche Luitpold-Gymnasium, konnte sich mit Latein anfreunden, nicht jedoch mit Griechisch. Sein Gymnasialprofessor in diesem Fach prophezeite ihm daher eines Tages, «es werde nie in seinem Leben etwas Rechtes aus ihm werden». Ein einziger Lehrer konnte ihn begeistern: für klassische Literatur, für Goethe, Schiller und Shakespeare. Auch lernte er nun Algebra und Geometrie kennen, wurde Feuer und Flamme für sie. Daheim studierte er in einem Geometrielehrbuch, das ihm besorgt worden war, und versuchte, selbständig Beweise für die Lehrsätze zu finden. So auch für den Satz des Pythagoras über die Winkelsumme im rechtwinkligen Dreieck. Der Beweis gelang und löste ein «großes Glücksgefühl» bei ihm aus. Aber erst «nach harter Mühe», wie er im Alter von 67 Jahren gestand. Da fand der Weltberühmte rückblickend: «[…] es ist für den, der es zum ersten Mal erlebt, wunderbar genug, dass der Mensch überhaupt imstande ist, einen solchen Grad von Sicherheit und Reinheit im bloßen Denken zu erlangen […].» Im gleichen Alter von zwölf oder dreizehn Jahren wurde Albert von einem Medizinstudenten, der donnerstags zum Mittagessen bei den Einsteins kommen durfte, in philosophische und naturkundliche Texte eingeführt. Zur Lektüre gehörten Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft und Aaron Bernsteins populäre Reihe Naturwissenschaftliche Volksbücher. Albert konnte so einundzwanzig dünne Bändchen verschlingen! Auch auf der Violine kam er während der Jahre am Gymnasium voran: Er spielte Sonaten von Mozart und Beethoven zur Klavierbegleitung seiner Mutter. Die gewonnene innere Unabhängigkeit wurde in der Schule, in der anscheinend eher Auswendiglernen gefördert wurde als eigenes Nachdenken, nicht gern gesehen. Der autoritäre Ton und die dort praktizierte Einübung militärischen Gehorsams gefielen dem jungen Einstein überhaupt nicht. So hatte er sich auch im siebten Schuljahr 1894/95 noch nicht mit dem Geist seines Münchner Gymnasiums identifizieren können.

Im Herbst 1894 wurde es für ihn besonders schwierig. Der Vater und Onkel Jakob hatten ihr wenig gut gehendes Unternehmen abgewickelt. Die Eltern waren dann mit Schwester Maja nach Italien gezogen, um dort einen geschäftlichen Neuanfang zu wagen. Bei einer Familie untergebracht und von zahlreichen Verwandten betreut, sollte er in München bleiben und nach den weiteren Schuljahren am Luitpold-Gymnasium seinen Abschluss machen. Doch es kam anders. Nachdem ein Lehrer ihn aufgefordert hatte, die Schule zu verlassen mit dem hanebüchenen Argument «Ihre bloße Anwesenheit verdirbt mir den Respekt der Klasse», reichte Albert dem Direktor der Schule ein Attest des Hausarztes ein und reiste am 29. Dezember 1894 nach Mailand zu seinen Eltern. Diese waren wenig begeistert, als er sich weigerte, nach München zurückzukehren. Als erstes musste für ihn ein Antrag auf Entlassung aus der württembergischen Staatsangehörigkeit gestellt werden. Sein sechzehnter Geburtstag im März 1895 stand bevor. Nach den Gesetzen hätte er bei einer Auswanderung zu diesem Zeitpunkt ohne Ableistung der Militärpflicht als Fahnenflüchtiger behandelt werden können.

Der Antrag wurde genehmigt: Der junge Einstein war nun staatenlos und vermutlich seinem Empfinden nach auch heimatlos. Was nun? Nach kurzer Zeit auf der Internationalen Schule in Mailand lernte Albert für sich allein weiter, vorwiegend Mathematik und Naturwissenschaften, las aber auch klassische deutsche Literatur. Aufgefallen ist seiner Schwester Maja seine Fähigkeit zu großer Konzentration bei lebhaftestem Getriebe um ihn herum. Er schrieb seinen ersten Physikaufsatz «Über den Zustand des Äthers in einem Magnetfeld» und schickte ihn dem Onkel Caesar Koch in Antwerpen, der nichts davon verstand. Er half Vater und Onkel in der neuen Fabrik; einmal sogar bei der Lösung eines Problems beim Entwurf für einen Apparat. Onkel Jakob Einstein begeisterte sich: «Wo ich und mein Hilfsingenieur uns Tage lang den Kopf zerbrochen haben, da hat der junge Kerl in einer Viertelstunde die ganze Geschichte herausgehabt.» Mit der Familie verbrachte er die Sommerfrische in Airolo am Gotthard. Später in diesem Sommer wanderte er von Voghera südlich von Pavia die 60 bis 70 km nach Genua zu seinem Onkel Jakob Koch. Aus dem in sich gekehrten Kind war ein fröhlicher, gesprächiger Teenager geworden.

Dass dieser schon viel auf sich hielt, zeigt der Versuch, die Ausnahmebestimmungen zur Aufnahme in das Züricher Polytechnikum für sich in Anspruch zu nehmen. Keine der beiden Voraussetzungen, Abiturzeugnis und ein Alter von 18 Jahren, konnte er erfüllen. Mit der Hilfe eines einflussreichen Bekannten der Familie, der ihn auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht hatte, erreichte er es, im Oktober eine Aufnahmeprüfung ablegen zu dürfen. Das Resultat: bester Erfolg in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, mangelhaft bei den sprachlich-historischen Anforderungen! Also nicht bestanden! Der Direktor des Polytechnikums riet ihm, das Abschlussjahr einer Schweizer Mittelschule zu absolvieren; danach könne er bei entsprechendem Erfolg aufgenommen werden. Durch Vermittlung desselben Bekannten wurde Albert von der Familie des Lehrers für Geschichte und Griechisch (!), Jost Winteler, an der Kantonsschule in Aarau verständnisvoll aufgenommen. Die Wintelers hatten sieben Kinder, und in die Tochter Marie verliebte sich Albert und sie sich in ihn. Schrieb er: «Geliebtes Schätzchen! Vielen, vielen Dank Schatzerl für Ihr herziges Brieferl, das mich unendlich beglückt hat. […] Jetzt sehe ich erst, wie unentbehrlich meine liebe kleine Sonne meinem Glück geworden ist. […]», so stand sie ihm nicht nach: «Geliebter Schatz! Heute ist, just und eben, Ihr Körbchen angekommen, […], Sie wissen ja gut, was drinnen bei mir im Herzen für Sie ganz allein wohnt und lebt und fühlt, und dass es so schön ist, seit Ihre Seele in meiner webt und lebt […].» Aber der noch recht junge Einstein strebte seinem Studium entgegen und ließ nach der Matura die zwei Jahre ältere Marie mit ihren Gefühlen allein. Mit der Familie Winteler sollte Einstein jedoch lebenslang verbunden bleiben; seine Schwester Maja heiratete den Bruder von Marie.

Nach dem Bericht von Einsteins Schwester wurden die Schüler in Aarau individuell behandelt; Vielwissen war nicht gefragt, sondern gründliches Denken. Albert fühlte sich in dieser Schule und bei der Familie Winteler sehr wohl. Er erhielt die Matura im Sommer 1896 und ein Zeugnis mit der Durchschnittsnote «gut». Im Oktober begann er mit seinem Studium an der Eidgenössischen Polytechnischen Schule in Zürich mit dem Diplom eines Fachlehrers für Mathematik und Physik als Studienziel. Wie er selbst berichtete, hatte er «vortreffliche Lehrer (z.B. Hurwitz, Minkowski), so dass ich eigentlich eine tiefe mathematische Ausbildung hätte erlangen können. Ich aber arbeitete die meiste Zeit im physikalischen Laboratorium, fasciniert durch die direkte Berührung mit der Erfahrung.» Damit meinte er das elektrotechnische Laboratorium unter Professor Heinrich Weber, den er für die damalige Zeit respektlos mit «Herr Weber» anredete. Hier bekam er die Bestnote, eine glatte Eins. Weber war für seine glänzenden Vorlesungen auch bei Einstein beliebt, obgleich er die neueren Entwicklungen auf seinem Gebiet vernachlässigte. Einstein besuchte nur solche Vorlesungen und Übungen, die ihn interessierten bzw. die für die Examina unbedingt nötig waren. Zur Examensvorbereitung, besonders in Mathematik, waren ihm daher Vorlesungsmitschriften wie die seines fleißigeren Studienfreundes Marcel Grossmann eine unentbehrliche Hilfe. Es verwundert nicht, dass er im März 1899 einen «Verweis von der Direction» erhielt «wegen Vernachlässigung des physikalischen Praktikums». Dessen Leiter gab ihm im Abgangszeugnis in diesem Fach ein «Ungenügend», während er in allen anderen Fächern befriedigende bis sehr gute Noten erhielt. Im August 1900 hatte der Einundzwanzigjährige sein Diplom als «Fachlehrer in mathem. Richtung» in der Tasche. Einstein war nun ein nicht unattraktiver Mann, der sich nicht leicht etwas sagen ließ. Schon gar nicht, wenn auf Autorität gepocht wurde! Während des Studiums hatte er sich einen Schnauzbart zugelegt, wie ihn sein Vater trug und der zur Mode seiner Generation gehörte: Der Vollbart von Heroen der Wissenschaft wie Ludwig Boltzmann (1844–1906), Ernst Mach (1838–1916), Wilhelm Ostwald (1853–1932) oder Henri Poincaré (1854–1912) war «out».

Der Student Albert Einstein beschränkte sich keineswegs aufs Büffeln. Wieder trat eine Frau in sein Leben, Mileva Marić, die einzige Studentin unter den elf Erstsemestern, die ihr Studium zusammen begonnen hatten. Sie stammte aus einer gutsituierten serbischen Familie aus der Wojwodina, die damals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte; auf Ungarisch hieß sie Marity. Nach dem Besuch von Gymnasien in Zagreb und Zürich hatte sie in Bern am Lehrerinnenseminar ihr Abitur abgelegt. Sie war drei Jahre älter als Albert, nicht unhübsch, wurde als ernst und wortkarg wahrgenommen und ging wegen einer durch Knochentuberkulose geschädigten Hüfte ungelenk. Nach dem gemeinsamen ersten Studienjahr wechselte Mileva im Wintersemester 1897/98 als Gasthörerin an die Universität Heidelberg und belegte dort auch eine Vorlesung über theoretische Physik von Philipp Lenard, der sich später zum Gegner der Relativitätstheorie entwickeln würde (vgl. Kap. 6). Im ersten Brief an Albert, den sie Ende Oktober 1897 aus Heidelberg schrieb, machte sie sich über Lenard lustig. Albert antwortete «dem geehrten Fräulein» mit dem Rat, doch bald zum Studium nach Zürich zurückzukommen. Er grüßte sie freundlich oder herzlich und vergaß in den Semesterferien nicht, einen «Gruß von meiner Alten» anzufügen, ein von ihm öfter gebrauchter Ausdruck für seine Mutter. Vorerst standen der Austausch über Studieninhalte und die jeweiligen Lebenssituationen im Mittelpunkt des Briefwechsels, wenn auch verhaltene Gefühle merkbar sind. Mileva: «Ihre Briefe heimeln mich jedesmal so schön an. Aus der Reihe der gemeinsamen Erlebnisse hat sich noch ganz verstohlen ein sonderbares Gefühl gebildet, das beim leisesten Antippen sofort wach wird […].» Albert: «Als ich das erstemal im Helmholtz las, konnte ichs gar nicht begreifen, dass Sie nicht bei mir saßen & jetzt geht mirs nicht viel besser. Ich finde das Zusammenarbeiten sehr gut & heilsam & daneben weniger austrocknend.» Er studierte auch eine Abhandlung von Heinrich Hertz, dem 1886 der erste experimentelle Nachweis elektromagnetischer Wellen gelungen war. «Es wird mir immer mehr zur Überzeugung, dass die Elektrodynamik bewegter Körper, wie sie sich gegenwärtig darstellt, nicht der Wirklichkeit entspricht, sondern sich einfacher wird darstellen lassen.» Eine kühne Ansage für einen Studenten!

Bei Wintelers und beim gemeinsamen Musizieren hatte Einstein die sechs Jahre ältere Julia Niggli kennengelernt. Sie sind zumindest aneinander interessiert gewesen; Julia holte im Sommer 1899 seinen Rat in einem Liebeskonflikt ein. In der Antwort gab er eine Beschreibung männlichen Wesens: «Wir sind heut mürrisch, morgen übermütig, übermorgen kalt, dann wieder gereizt & halb lebensüberdrüssig … so gehts weiter, doch hätt ich fast noch die Untreue & Undankbarkeit & Selbstsucht vergessen, in welchen Dingen wir’s auch fast alle weiter bringen als die guten Mädchen …» Zur selben Zeit dichtete er während des Ferienaufenthalts einer Sechzehnjährigen als «spitzbübisches Freunderl» in ihr Poesiealbum:

«Du Mädel klein und fein – Was schreib ich
Dir hinein? – Wüsst Dir gar mancherlei – Ein Kuss ist
auch dabei – aufs Mündchen klein. – Wenn Du
drum böse bist – musst nit gleich greinen – Die beste
Strafe ist – Gibst mir auch einen.»

Zehn Jahre später sollte diese Begegnung ein Nachspiel haben. Doch jetzt setzte sich Mileva gegen eventuelle Konkurrentinnen durch: Der Sommer 1900 sah die beiden als ein Liebespaar. Mileva an Albert: «[…] schreib ich dir jetzt dieses Brieferl und frag Dich, ob Du mich auch so gern host, wie ich Dich? Antworte mir sofort. Tausend Küßerline von deins D[oxerl]». Albert an Mileva: «Ich sehne mich furchtbar nach einem Brief von meiner geliebten Hex. Ich kann es kaum fassen, dass wir noch so lange getrennt sind – jetzt sehe ich erst, wie furchtbar lieb ich Dich habe! […]» Diese Worte wurden nach dem Abschlussexamen im Juli gewechselt, das Albert bestanden hatte, Mileva jedoch nicht. Zur selben Zeit hatten die beiden sich schon die Ehe versprochen. Das geht aus einem Brief Alberts an Mileva hervor, in dem er von einer hysterischen Reaktion seiner Mutter auf diese Ankündigung berichtete. Schonungslos teilte er ihr mütterliche Meinungen von der Art mit: «Die kann ja in gar keine anständige Familie» und «Bis Du dreißig bist, ist sie eine alte Hex’.» Aber er ließ sich nicht umstimmen: «Sei tausendmal gegrüßt und kolossal gepuzerlinet von Deins Johannesl.» Da Nationalität und Konfession Albert nichts bedeuteten, war Milevas Herkunft aus der serbischen Kultur, verbunden mit dem Umstand, dass sie der katholischen Ostkirche angehörte, für ihn kein Problem.

Nun begann eine zweijährige Zeit der Stellensuche und prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Einstein war im Februar 1901 Schweizer Staatsbürger geworden, nachdem ihn die Stadtpolizei als einen «sehr eifrigen, fleißigen u. äußerst soliden Mann und abstinent» geschildert hatte. Zum Militärdienst war er wegen körperlicher Mängel nicht einberufen worden. Die wissenschaftliche Laufbahn, die er unbedingt einschlagen wollte, blieb ihm zunächst verwehrt. Weder kam eine von ihm angestrebte Doktorarbeit im Labor von Professor Weber zustande, noch gab dieser dem zwar begabten, jedoch wenig dienstbeflissenen und respektlosen Kandidaten eine Assistentenstelle. In völliger Naivität bewarb sich Einstein dann bei dem bekannten Göttinger Experimentalphysiker Eduard Riecke auf eine für das Jahr 1901/02 ausgeschriebene Assistentenstelle, die eine Promotion voraussetzte. Statt die Aussichtslosigkeit seiner Bewerbung einzusehen, reagierte er auf Rieckes Absage mit einer Verdächtigung. Mileva ließ er wissen: «Rieckes Absage hat mich nicht überrascht, auch bin ganz fest überzeugt, daß Weber schuld ist. Die Ausrede ist nämlich zu unwahrscheinlich, und von der zweiten Stelle erwähnt er überhaupt nichts.» Die zweite Stelle bei Riecke hatte Dr. Johannes Stark, der spätere Nobelpreisträger, innegehabt; dessen Anstellung wurde dann verlängert. Wer hätte einen «nobody» mit Lehrerexamen aus Zürich, der gerade eine erste wissenschaftliche Arbeit über Kapillarität, also dem Verhalten von Flüssigkeiten in engen Hohlräumen, veröffentlicht hatte, für eine Assistentenstelle berücksichtigt? Sich und seine «kleine Abhandlung» stellte Einstein brieflich auch dem Physiko-Chemiker Wilhelm Ostwald in Leipzig vor, ebenfalls ein späterer Nobelpreisträger. Ob der devote Brief, den Einsteins Vater zur Unterstützung seines Sohnes an Ostwald hinterher schickte, Albert recht war, wissen wir nicht. In ihm schilderte er Einsteins Fähigkeiten in den glühendsten Farben und bat Ostwald, «ihm evtl. ein paar Zeilen der Ermunterung zu senden, damit er seine Lebens- & Schaffensfreudigkeit wieder erlangt». Grenzenlose Dankbarkeit zugesichert, wenn er Albert eine Assistentenstelle verschaffte! Ostwald mag das als eine Zumutung aufgefasst haben. Von einer Antwort ist nichts bekannt. So unwahrscheinlich es klingt, auch auf eine bei dem Zahlentheoretiker am Züricher Polytechnikum Adolf Hurwitz frei werdende Assistentenstelle hoffte Albert. Er hatte bei ihm zwei einführende Vorlesungen gehört, sich «wegen Mangels an Zeit» jedoch nicht am mathematischen Seminar beteiligt. Er bekannte: « […] liegt zu meinen Gunsten nichts vor als die Tatsache, daß ich die meisten Kollegien besuchte, die sich mir darboten.» Dabei war er, nach einer Bemerkung seines Züricher Mathematikprofessors Minkowski gegenüber Max Born, «[…] ein richtiger Faulpelz. Um Mathematik hat er sich überhaupt nicht gekümmert.»

Nach weiteren Bewerbungen in Stuttgart, Charlottenburg, Leiden und in Italien schrieb Albert im April 1901 nicht ohne Ironie an Mileva: «Bald werde ich alle Physiker von der Nordsee bis an Italiens Südspitze mit meiner Offerte beehrt haben!» Mileva stützte ihn. Einer Freundin berichtete sie zu seiner ersten Veröffentlichung: «Es ist nämlich keine alltägliche Arbeit, sondern sehr bedeutend, aus der Theorie der Flüssigkeiten. Wir haben sie auch privatim dem Boltzmann geschickt, […] hoffentlich schreibt er uns.» Ludwig Boltzmann war eine Koryphäe in Thermodynamik und statistischer Mechanik. Wegen Einsteins späteren Erfolgen neigen wir dazu, diese aussichtslosen Bewerbungen nicht als Selbstüberschätzung, sondern als den Ausdruck einer realistischen Einschätzung seines Könnens anzusehen. So nahm Einstein eben an, was sich ihm bot: Im Mai und Juni 1901 eine Vertretung am Technikum Winterthur, im September eine Stelle als Lehrer an einer Privatschule in Schaffhausen zur Vorbereitung eines englischen Schülers auf das Abitur. Wegen Differenzen mit dem Leiter der Schule gab er die Stelle mitten im Schuljahr auf. Dazwischen erfolglose Bewerbungen an Mittelschulen in Burgdorf im Kanton Bern und Frauenfeld im Kanton Thurgau! Mileva hatte im Juli ein zweites Mal versucht,