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DANKSAGUNGEN

Das zehnte Buch. Wie ist das passiert? Wie bin ich hier angekommen? Eine rhetorische Frage. Ich weiß, wie ich hier angekommen bin. Harte Arbeit. Und ziemlich viel Glück. Die Unterstützung eines ganzen Haufens großartiger Leute. Normalerweise hasse ich lange Danksagungslisten, aber ich glaube, diesmal muss es sein. Wenn ihr so was nicht mögt, könnt ihr es gern überspringen. Ich bin euch nicht böse. Danke, dass ihr das Buch gekauft habt. Oder wenigstens aus der Bücherei, von einem Freund oder von freundlichen Unbekannten ausgeliehen habt.

Früher mal war ich ein ganz normaler Mann. Auch wenn das jetzt eine Weile her ist, weiß ich trotzdem noch, wie es war, einfach so ein Typ zu sein. In den schlichten Zeiten, damals, bevor ich meinen Roboter-Butler aus purem Gold hatte. Gestern, als ich die Anzahlung für meine Wettermaschine geleistet habe, dachte ich an diese Zeiten zurück, und jetzt wird mir bewusst, dass mein Ruhm und Vermögen durch harte Arbeit und mithilfe vieler guter Leute entstanden sind.

Wie immer möchte ich meiner Mom danken, die jederzeit an mich geglaubt hat. Sie ist das Fundament von allem, was ich erreicht habe. Das sage ich nicht, um billig Punkte bei ihr zu machen. Es ist absolut wahr, und auch wenn so ungefähr jeder seine Mom für etwas Besonderes hält: meine ist es tatsächlich. Gewöhnt euch dran.

Ein aufstrebender Autor zu sein gleicht einer langen Reise durch eine verwirrende Wildnis. Diese Reise gestaltete sich dank der guten Leute des DFW Writer’s Workshop um einiges weniger grauenvoll. Sie erleichterten die schwierigen Zeiten und ließen die einfachen noch schöner werden. Danke für alles, was ihr getan habt und noch tun werdet.

Ich wäre nachlässig, würde ich Paul Stevens nicht erwähnen, meinen ersten Lektor und damit den Typen, der damals bereit war, das Risiko einzugehen. Wenn eine Schriftstellerkarriere eine befestigte Stadt ist, an deren Tore alle angehenden Autoren hämmern (und damit kann man sie wirklich vergleichen), dann war Paul der Wächter, der mich heimlich hereinließ und allen anderen sagte, ich gehörte hierher. Und das tat er einfach, weil er glaubte, die Leute wollten ein Buch lesen, in dem ein Vampir und ein Werwolf gegen Zombie-Kühe kämpfen. Also danke.

Dann ist da noch meine Agentin, Sally Harding, eine verdammt coole Lady, deretwegen mein Leben um einiges reibungsloser läuft.

Und da ist Sally, meine schöne Frau. Ich liebe dich, Baby. Versprich mir, dass du mich nicht vergessen wirst, wenn du deinen ersten Millionen-Dollar-Autorenvertrag abschließt.

Oder lass mir wenigstens die Hälfte der Kohle da, wenn du gehst.

Und dann sind da all die Leser, die treuen Fans, die nicht so treuen Fans und alle anderen, die mir meinen Beruf ermöglichen, indem sie meine Bücher kaufen, lesen, empfehlen oder sogar kritisieren. Im Grunde passiert ohne euch gar nichts.

Und die Liste geht weiter. Meine Freunde, meine Feinde, Leute, die ich mag und bewundere, andere, die ich zerquetschen und zerstören möchte. Diese Danksagung könnte sich noch seitenlang fortsetzen lassen, und ich würde wahrscheinlich trotzdem jemanden vergessen. Wem machen wir hier eigentlich etwas vor? Ihr wollt dieses Zeug doch gar nicht lesen. Ihr wollt von zwei verrückten jungen Leuten lesen, von ihrem Weg auf dieser Reise, die wir Leben nennen, nur mit etwas mehr Zyklopenboxen und Orkkämpfen. Wenn ich es mir recht überlege: ich auch.

Also danke euch allen.

Und jetzt zu den Monsterkämpfen …

Eins

 

Dass es einer gewissen Ironie nicht entbehrte, wenn ein Minotaur in einem Burgerladen arbeitete, war Helen bewusst. Aber sie brauchte einen Sommerjob. Hätte sie sich angestrengt, hätte sie wahrscheinlich etwas Besseres finden können, doch es waren nur noch ein paar Monate, bis das College losging. Wozu also die Mühe?

Zum Glück war Mr. Whiteleaf da ziemlich cool. Er ließ sie keine Burger wenden und stellte sie auch nicht mit einer Reklametafel an den Straßenrand, wie sie befürchtet hatte. Normalerweise bediente sie die Kasse, und wenn manche Kunden sie seltsam ansahen, bevor sie ihre Bestellungen aufgaben, war das deren Problem, nicht ihres.

Reine Minotauren galten in der heutigen Zeit als selten. Als sie das letzte Mal recherchiert hatte, waren es dreizehn dokumentierte Fälle in den letzten hundert Jahren gewesen. Alle anderen waren männlich. Der Zauber oder Fluch oder wie auch immer man es nennen wollte, verfing bei Mädchen normalerweise nicht. Zumindest nicht komplett.

Der letzte weibliche reine Minotaurus – Gladys Hoffman, auch bekannt als »Minotaurus-Minnie« – hatte sich als »stärkste Frau der Welt« einen Namen gemacht und war mit P. T. Barnums fahrendem Museum, Menagerie, Karawane und Hippodrom durch die Welt gezogen. Gladys hatte das Beste aus ihren Umständen gemacht, aber das war 1880 gewesen. Heute sah die Welt anders aus, und Helen hatte weit mehr Möglichkeiten. Das wollte sie zumindest glauben.

Trotzdem war sie immer noch ein zwei Meter dreizehn großes Mädchen mit Hörnern und Hufen, Dutzenden von Fallstudien in verschiedenen medizinischen Fachzeitschriften und ihrer eigenen Wikipedia-Seite. Aber sie hatte gelernt, damit umzugehen.

Die Familie, die jetzt gerade vor ihr stand, blickte sie schon wieder so an. Viele Leute wussten nicht, was sie mit Helen anfangen, in welche Kategorie sie sie stecken sollten. Bürgerrechtsbewegungen hatten für die Orks, Ratlings, Oger und andere »Monster«-Rassen einige Fortschritte erzielt. Aber von Minotauren gab es einfach nicht so viele. Sie machten keine Proteste, keine Sit-ins, hatten keinen großen Moment in der Geschichte, in dem der Rest der Welt in ihnen etwas anderes sehen musste als Anomalien, übrig gebliebene Flüche aus früheren Tagen, die nur in wenigen Familien weitervererbt wurden.

Der Vater blinzelte sie an, als wäre sie eine Verräterin ihrer Rasse oder so etwas.

Sie aß nicht mal Fleisch. Nicht, dass ihn das irgendwas anginge.

Helen rieb ihr Armband. Das tat sie immer, wenn sie sich in ihrer Haut unwohl fühlte. Schmuck war bei der Arbeit nicht erlaubt, aber Mr. Whiteleaf machte eine Ausnahme, denn das Armband hatte ihr der Arzt wegen ihres Zustands verschrieben.

Das kleine Mädchen starrte sie an. Kinder konnten nicht anders.

»Bist du ein Monster?«, fragte es.

Helen lächelte. »Nein, Süße. Ich bin nur eine verzauberte Amerikanerin.«

Die Mutter zog das Mädchen weg. Helen wollte gerade sagen, dass es ihr nichts ausmache, Kinder nur neugierig seien und es ihr lieber sei, wenn die Leute sie direkt ansprachen, statt so zu tun, als bemerkten sie nichts.

»Tut mir leid«, sagte der Vater.

»Schon gut«, antwortete Helen. »Kinder eben, oder?«

Er bestellte. Sie kassierte, gab ihm sein Wechselgeld und seine Nummer.

»Wir rufen Sie, wenn die Bestellung fertig ist, Sir«, sagte sie mit einem erzwungenen Lächeln. »Danke, dass Sie bei Magic Burger essen. Wir wünschen Ihnen einen magischen Tag.«

Helen lehnte sich an den Tresen, gestattete es sich aber nicht, sich hängen zu lassen. Die Kasse zu machen, war aus der Fast-Food-Perspektive der würdevollere Job, aber er brachte auch Verantwortung mit sich. Mr. Whiteleaf erwartete nicht viel. Sie musste nur aussehen, als wäre sie glücklich, hier zu sein. Oder wenn schon nicht glücklich, dann doch wenigstens nicht kurz davor, auszustempeln und nach Hause zu gehen.

»Helen.«

Erschrocken zuckte sie zusammen. Mr. Whiteleaf erschien manchmal wie ein Geist. Der kleine, blasse Elf war ein paar Jahrhunderte über seine besten Jahre hinaus. Das mittlere Alter war bei Elfen nicht hübsch anzusehen, denn sie wurden in sehr kurzer Zeit von großen, majestätischen Gestalten zu kleinen, kugelbäuchigen Wesen mit Hornhautverkrümmung. Und dann mussten sie noch sechs oder sieben Jahrhunderte als krumme alte Männer auf dieser Erde herumwandeln, während ihnen grüne Haarbüschel aus den hängenden Ohren wuchsen. Aber Mr. Whiteleaf war ein guter Chef.

Wenn er sich nur nicht immer so an sie anschleichen würde.

Sie bog den Hals, um zu ihm hinabzuschauen. Da sie sehr groß war und er sehr klein, reichte er ihr nicht mal bis zur Brust.

»Hallo, Sir«, sagte sie.

Er rückte seine Brille zurecht. »Zeit für den Feierabend.«

Sie warf einen übertriebenen Blick zu der Uhr an der Wand, als hätte sie sie eben erst bemerkt und nicht schon die Minuten gezählt. »Ja, Sir.«

Whiteleaf sagte: »Ich will dir wirklich keine Umstände machen, Helen, aber würde es dir etwas ausmachen, heute länger zu bleiben? Ich brauche noch Hilfe, um den Laden mal gründlich zu putzen. Es gibt Gerüchte, dass morgen eine überraschende Gesundheitsinspektion stattfinden soll. Ist doch kein Problem, oder?«

»Nein«, erwiderte sie.

»Hervorragend. Dann sehen wir uns gegen halb elf?«

»Klar doch, Mr. Whiteleaf.«

Durch die plötzliche Verpflichtung hatte sie jetzt anderthalb Stunden nichts zu tun. Es war gerade lange genug, um lästig zu werden, aber nicht so lange, dass es sich lohnte, nach Hause zu gehen, die Arbeitsklamotten auszuziehen, ein bisschen zu faulenzen und dann wiederzukommen. Sie schnappte sich einen abgelaufenen Salat (die waren umsonst) und ging in den Pausenraum.

Troy saß dort. Sie mochte ihn. Er war lässig, klug, gut aussehend und hatte einen tollen Körper. Damit hätte er eigentlich nervig sein müssen, aber in einer Welt, in der die meisten Leute mit Troys Gaben diese als Freibrief für Arroganz genutzt hätten, schien er zu wissen, wie gut er es hatte. So war er immer fröhlich, freundlich und hilfsbereit. Jederzeit nett zu allen. Er war zu gut, um wahr zu sein, aber unter den Milliarden von Leuten da draußen musste es ja einen oder zwei perfekte geben.

Lächelnd nickte er ihr zu.

Sie nickte zurück. Dabei überlegte sie, wie viele Mädchen wohl für eine solche Chance töten würden. Allein mit ihm. Er mit einem großen E, aber nicht auf blasphemische Art. Obwohl man von Halbgöttern in seinem Familienstammbaum munkelte.

In Gegenwart von Jungen war Helen nie nervös. Einer der Vorteile ihres Zustandes war, dass sie von Anfang an wusste, wo sie stand. Sie betrachtete ihre Figur gerne als kurvenreich. Wie Marilyn Monroe. Nur dass die Herren Blondinen bevorzugten, nicht braunes Fell mit weißen Flecken. Bisher hatte sie auch noch keine High Heels gefunden, in die ihre Hufe gepasst hätten. Troy war groß und hatte breite Schultern. Sie war größer, und ihre Schultern waren ein kleines bisschen breiter. Und dann war da noch die Sache mit dem Kuhkopf.

Kurz gesagt, sie verkniff sich Schmetterlinge im Bauch, weil sie wusste, dass sie absolut keine Chance bei Troy hatte – selbst wenn er nicht von vornherein so selten Single gewesen wäre.

»Hey, hat Mr. Whiteleaf dich auch gebeten, länger zu arbeiten?«, fragte sie.

Troy sah von seinem Buch auf. »Hat nichts gesagt. Warum? Braucht er Hilfe?«

Sie setzte sich, öffnete den Salatbecher aus Plastik und rammte ihre Plastikgabel mit wenig Erfolg in den welken Salat. Damit es einigermaßen funktionierte, hätte die Gabel schärfer oder der Salat knackiger sein müssen.

»Wohl nicht«, sagte sie.

»Scheibenkleister.« (Er fluchte auch nicht.) »Und ich hätte das Geld wirklich brauchen können.«

»Seit wann brauchst du Geld?«, fragte sie. »Ich dachte, deine Eltern sind reich.«

»Ich spare für ein Auto. Mein Dad will mir keins kaufen, weil er findet, ich sollte lernen, Verantwortung zu tragen.«

»Arbeitest du nicht als Freiwilliger im Obdachlosenheim? Und im Altenzentrum? Und im Tierheim? Und warst du nicht Abschiedsredner und Abschlussballkönig?«

»Dad findet, ich könnte es noch besser machen.«

»Tja, wenn dein Dad das sagt, wie könnte ich dann widersprechen? Ich sehe, du bist ein junger Mann, der dringend Charakterformung nötig hat.« Sie schob sich ein paar Salatblätter in den Mund und warf eine Kirschtomate hinterher. »Was lieste da?«

»T. S. Elliot«, sagte er.

Dass er Gedichte las, war für Helen beinahe skurril. Es war, als versuchte er, spontan auf eine höhere Ebene des perfekten Jungsdaseins aufzusteigen, in eine geheime Dimension einzudringen, geboren aus der philosophischen Vereinigung von Aristoteles und Bravo-Redakteuren.

Er fing ihr Lächeln auf.

»Was? Magst du ihn nicht?«

»Hab ihn nicht gelesen«, erwiderte sie.

»Du hast ihn nicht gelesen? Einer der hervorstechenden Poeten des zwanzigsten Jahrhunderts, und du hast ihn nicht gelesen?«

»Das ist aber nicht der Typ, der alles kleinschreibt, oder?«

»Das ist E. E. Cummings.«

»Mein Fehler.«

Er schob das Buch über den Tisch. »Soll ich es dir leihen?«

Sie schob es zurück. »Nein, danke.«

Er tat überrascht.

»Ich mag keine Gedichte«, sagte sie. »Ich weiß, ich sollte, weil ich ein Mädchen bin und so. Ich hab’s auch versucht. Ehrlich. Aber abgesehen von Dr. Seuss ist das nicht so mein Ding.«

»Ich fand den Lorax immer ein bisschen moralisierend.«

»›Brenn die Erde nicht nieder‹ fand ich als Ratschlag eigentlich immer eher einleuchtend als moralisierend«, antwortete sie.

Troy kicherte. »Tja, ich würde ja zu gern noch bleiben und über die metaphorischen Implikationen von Der Grinch mit dir plaudern, aber ich hab noch was vor.«

»Blut spenden, Kätzchen retten, vor scharenweise anbetenden jungen Damen davonlaufen«, sagte Helen.

»Ich möchte dich darauf hinweisen, dass ich Kätzchen nur am Wochenende rette. Wir sehen uns, Hel.«

Federnden Schrittes verließ er den Raum, ein Adonis in Jeans. Sie war froh, dass sie nicht fünftausend Jahre früher geboren war, wo sie sich, statt Freunde zu werden, vermutlich in einer Arena auf Leben und Tod hätten bekämpfen müssen.

Sie versuchte den Gedichtband zu lesen, aber es gab ihr nichts. Sie versteckte sich im Pausenraum und sah in den winzigen Fernseher, weil sie nicht beim Abschließen helfen wollte. Whiteleaf würde sie holen, wenn es Zeit zum Putzen war. Das dachte sie zumindest, aber um Viertel nach elf war immer noch alles ruhig.

Helen streckte den Kopf in die Küche. Die Lichter brannten, doch der ganze Rest war ausgeschaltet. Keine Spur von den anderen Mitarbeitern. Ihre Hufe klapperten auf den Fliesen. Weil es im Magic Burger so still war, kam ihr das besonders laut vor. Die Stille war unheimlich.

Die Tische und Stühle im Gastraum, die nicht am Boden festgeschraubt waren, hatte man zur Seite geschoben, und an ihrer Stelle standen nun Kisten mit gefrorenen Hamburger-Patties.

Hinter ihr ergriff Whiteleaf das Wort. »Hallo Helen.«

»Oh, hi Sir. Ist das normal, dass die Burger so hier draußen liegen?«

Er lächelte und rückte seine Brille zurecht. »Ist schon in Ordnung.«

»Machen wir die Kühltruhe sauber?«, fragte sie.

Er hob einen kleinen Zauberstab mit einem blauen Steinbrocken am Ende hoch. »Geh da rüber!«

»Zum Fleisch?«

Whiteleaf runzelte die Stirn. »Verdammt, das Ding ist wohl allmählich abgenutzt. Gerade mal zweihundert Jahre alt, aber sobald die Garantie abgelaufen ist …« Er schüttelte den Zauberstab, bis ein winziges Glühen in dem Stein aufleuchtete.

»Geht es Ihnen gut, Mr. Whiteleaf?«

»Schau auf den Zauberstab!«, sagte er. »Fühle, wie seine Macht über deine Gedanken kommt, deinen Willen betäubt, dich all deines Widerstands beraubt!«

Hellen machte einen Schritt rückwärts. »Das wird jetzt irgendwie komisch. Ich glaube, ich sollte lieber gehen.«

Er warf den Zauberstab beiseite. »Na gut. Dann machen wir es eben auf die weniger subtile Art.« Er griff unter die Theke und zog ein Schwert heraus. Sie verstand nichts von Waffen, aber es sah wie ein aufwendig gearbeitetes Breitschwert mit in die Klinge eingravierten Runen aus. Es glühte nicht, schimmerte aber irgendwie.

Angst bekam sie nicht. Ein Vorteil davon, größer und stärker als fast alle anderen zu sein war, dass sie ein gewisses Vertrauen in ihre Fähigkeit entwickelt hatte, mit körperlicher Gewalt umzugehen. Doch gerade, weil sie größer und stärker als alle anderen war, war sie nie in einen Kampf geraten. Falls wirklich mal jemand sie angriff, würde sie vermutlich erstarren. Sie war nicht resistent gegen Schwerter. Und die Klinge konnte in den richtigen Händen einigen Schaden anrichten. Aber Whiteleaf war ein gebrechliches kleines Wesen, das die Waffe kaum zu halten vermochte. Er brachte es jedenfalls nicht fertig, sie über ihr Knie zu heben, was bedeutete, dass er ihr vielleicht die Schienbeine einkerben konnte, was vermutlich schmerzhaft, aber nicht sonderlich lebensbedrohlich werden würde.

»Tut mir sehr leid, Helen.« Seine Arme zitterten, und er klang jetzt schon erschöpft. »Aber wenn sich der Verlorene Gott in dieser Welt manifestiert, muss er eine Opfergabe bekommen. Bevorzugt eine von Natur aus magische Jungfrau. Und du bist die Einzige, die ich finden konnte, die …«

»Wie kommen Sie darauf, dass ich Jungfrau bin?«, fragte sie.

Whiteleaf ließ das Schwert sinken. Die Spitze kratzte eine Scharte in den Fliesenboden.

»Oh, verdammt. Warte. Du bist gar keine Jungfrau?«

»Das hab ich nicht gesagt. Ich habe nur gefragt, wie Sie darauf kommen, ich wäre eine.«

»Es … ich glaube, ich … bin einfach davon ausgegangen, dass du eine bist.«

»Warum gehen Sie davon aus?«

Er kaute kurz auf seiner Unterlippe. »Na ja, du bist eine sehr verantwortungsvolle junge Dame. Das ist eine der Eigenschaften, die ich an dir schätze.«

Sie funkelte ihn böse an. »Es liegt an meinem Aussehen, nicht wahr?«

Whiteleaf schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Du bist eine ausgesprochen attraktive junge Dame. Ehrlich!«

Sie bewegte sich auf ihn zu. Er hob das Schwert ein paar Zentimeter vom Boden.

»Das habe ich nicht nötig«, sagte sie. »Ich kündige.«

»Du kannst nicht kündigen«, erwiderte er. »Ich brauche dich. Für das Opfer.«

Sie nahm ihr Namensschild ab und legte es auf den Tresen. »Ich habe noch nie jemanden aufgespießt, Mr. Whiteleaf. Aber in Ihrem Fall denke ich darüber nach.«

Die Lampen des Magic Burger flackerten, und ein tiefer, gutturaler Schrei hallte in der Mitte des Raums wider. Der Duft von brutzelndem Fleisch erfüllte das Restaurant, als die Kisten mit Hamburger-Patties in Flammen aufgingen. Das Hackfleisch fiel zu einem Berg von braunrosa Kuhfleisch zusammen und formte einen riesigen zähneknirschenden Mund.

»Endlich, endlich!«, rief Whiteleaf. »Er ist zu uns zurückgekehrt!«

Helen musterte die unförmige Fleischgottheit.

»Sie verehren einen Hamburger-Gott?«

Whiteleaf seufzte. »Er ist kein Hamburger-Gott. Er ist ein Gott, der sich momentan in einem Avatar manifestiert, der aus praktischen Gründen zufälligerweise aus Hamburger-Fleisch besteht. So, wir haben nicht viel Zeit. Deshalb musst du dich selbst in seinen Schlund werfen. Ich versichere dir, es wird schnell und ziemlich schmerzfrei vor sich gehen.«

»Nein.«

»Du hast leider keine Wahl, Helen.« Er kam auf sie zu. »In meiner Jugend war ich ein nicht zu unterschätzender Krieger.«

Sie benutzte eine Hand, um ihn niederzudrücken. Er fiel auf den Hintern. Sein Schwert klapperte auf den Boden. Das Geräusch zog die Aufmerksamkeit des Hamburger-Gottes auf sich. Er bewegte sich mit den unsicheren Schritten seiner krummen Gliedmaßen in ihre Richtung.

Helen bereute sofort, den alten Elf niedergeschlagen zu haben. Er hatte vor, sie zu opfern, und das war eine echt miese Aktion. Aber er war harmlos, und sie hätte besser damit umgehen können.

Mühsam rappelte er sich auf. Seine Knie sahen nicht gut aus, es war ein quälender Anblick. »Bitte, du musst es tun. Wenn der Gott sein Opfer nicht bekommt, kann er sich auch nicht sammeln und wird mir nie den geheimen Befehl geben. Ich habe zu lange gewartet, um diese Gelegenheit jetzt verstreichen zu lassen.«

»Tut mir leid, Mr. Whiteleaf. Ich werde mich nicht für den Mindestlohn von einem Monster fressen lassen.«

Sie wollte ihm aufhelfen. Er stach mit einem Metzgermesser nach ihr, das er hinter dem Rücken versteckt hatte. Die Klinge schnitt ihr über den Unterarm. Der Schnitt war zwar nur oberflächlich, weckte aber eine Wut in ihr. Vielleicht war es die Wunde. Oder vielleicht auch etwas, das tief in ihrer Minotauren-Identität verborgen lag, das kollektive Gedächtnis der unsäglichen Angst und des Leids von Milliarden von Rindern.

Sie packte ihn am Kragen und hob ihn in die Luft.

»Lass. Das. Messer. Fallen.«

Er gehorchte. Klappernd fiel es neben dem Breitschwert auf den Boden.

»Du verrückter alter Mann«, sagte sie. »Es würde dir recht geschehen, wenn ich dich deinem eigenen Hamburger-Gott opferte.«

Er zitterte. Seine Füße baumelten schlaff. »Aber es ist nichts Persönliches! Nur eben, mein Gott erscheint bloß alle dreihundert Jahre, und das ist sehr wichtig für mich.«

Der Verlorene Gott schlurfte langsam im Gastraum herum. Wenn dieses blinde und unbeholfene Ding etwas über die Götter aus alten Tagen aussagte – kein Wunder, dass sie überwiegend vergessen waren. Er knabberte eine Tischkante an.

Die Glastür schwang auf, und Troy kam herein. Er brauchte nur einen Blick, um zu sehen, dass etwas nicht stimmte.

»Hel?«

Sie hatte noch nicht herausgefunden, wie der Gott die Welt wahrnahm, aber da war etwas an Troy, das seine Aufmerksamkeit weckte. Der Fleischberg bewegte sich mit matschigen Geräuschen in seine Richtung.

»Troy, verschwinde von hier!«, sagte Helen.

Doch es war zu spät. Der Gott öffnete den Mund, und heraus schoss eine Zunge aus demselben Fleisch. Sie wickelte sich um Troys Bein und zog ihn auf die Kiefer zu. Mit einem gellenden Schrei klammerte er sich an einen am Boden verschraubten Tisch.

Sie dachte nicht nach. Dafür war keine Zeit. Ganz sicher hatte sie dieses Szenario nie in Gedanken durchgespielt. Aber aus einem Instinkt heraus ließ sie Whiteleaf fallen und packte das Schwert. Ein Sprung und ein Schlag hackten den Zungententakel durch. Der Gott kreischte und wich zurück.

Das Fleisch, das sich um Troys Bein gewickelt hatte, zuckte und peitschte. Sie zogen daran, und schließlich brach das fettige Fleisch in ihren Händen auseinander. Doch es bewegte sich weiter und kroch wie lebendiger Rotz an ihren Armen hinauf.

Der Gott griff an. Helen trieb das Schwert tief in den klumpigen Körper des Monsters. Die Klinge blitzte auf, und das Ding wich zurück. Es spritzte, warf Blasen, quietschte und schwankte ziellos durch die Gegend, bis es mitten im Raum zu einem rauchenden Haufen zusammenfiel.

»Was zum Henker war das?«, fragte Troy.

»Ein Gott aus alten Tagen«, antwortete sie. »Aber ich glaube, jetzt ist er tot.«

Whiteleaf rannte zu den körperlichen Überresten seines geknickten Gottes hinüber. »Was hast du getan? Du hast ihn vernichtet! Jetzt muss ich noch einmal dreihundert Jahre warten! Hast du eine Ahnung, wie ärgerlich das ist?« Er steckte die Hände in das Hackfleisch, zog sie wieder heraus und starrte finster auf das ranzige Fleisch. »Ihr seid gefeuert. Beide.«

»Ich habe schon gekündigt«, sagte Helen.

Troy zog ein paar Servietten aus dem Spender und wischte sich das Hackfleisch von den Händen. »Was zum Geier ist hier los?«

»Ich erklär es dir später. Aber wir sollten wohl die Polizei rufen oder so. Ich bin mir sicher, es ist illegal, Angestellte zu opfern.«

Whiteleaf schrie auf, als sein doch nicht ganz toter Gott knurrte. Er saugte seine Arme ein und verschluckte seinen Oberkörper. Whiteleafs kurze Beine zappelten, während er in die Masse gezogen wurde. Ob sie versucht hätte, ihn zu retten, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, war unwesentlich, denn sein Gott verschlang ihn innerhalb von Sekunden – und am Stück. Er zappelte in dem fleischigen Ding. Ab und zu durchbrach eine Gliedmaße die Oberfläche, nur um wieder hineingezogen zu werden. Einmal erschien sein Gesicht. Die halbe Haut war weggefressen, und seine Schreie wurden von dem Hackfleisch in seinem Mund gedämpft, bevor es wieder im Inneren verschwand.

»Schnell und schmerzlos, von wegen!«, sagte Helen.

»Ich glaube, mir wird schlecht«, sagte Troy.

Dem Verlorenen Gott spross ein Schädel. Höchstwahrscheinlich Mr. Whiteleafs Schädel. Obwohl das Fleisch abgenagt war, hatte er noch Augen. Diese Augen richtete er auf Helen und Troy, während sich seine Kiefer teilten.

»Ah, das war genau das Richtige. Es geht doch nichts über ein kleines rituelles Opfer, um die Säfte wieder fließen zu lassen. Euer Gott ist erfreut.«

»Das ist leider ein Missverständnis«, sagte Helen. »Wir sind nicht deine Jünger.«

Der Gott sah sich im Raum um. »Tja, ihr seid hier die Einzigen. Jemand hat mich doch gerufen, oder?«

»Ja, Sir. Jemand.«

»Wo ist dieser Sterbliche, damit ich ihn für seine Treue belohnen kann?«

Sie zögerte mit der Antwort. Wenn dieser Gott von der rachsüchtigen Sorte war, würde er die Nachricht vielleicht nicht allzu gut aufnehmen.

Donner grollte, während er ungeduldig auf ihre Antwort wartete.

Sie sagte: »Du … na ja … du hast ihn irgendwie … gefressen.«

Der Gott krümmte seinen Fleischberg. »Ach, verdammt. Das ist peinlich. Wenn ich Wangen hätte, würden sie jetzt erröten.« Er blickte sich wieder um. »Also seid ihr hier die Einzigen?«

»Ja, Sir«, sagte Helen.

»Und keiner von euch verehrt mich?«

»Nein, Sir«, antwortete sie.

Ein Schauder ging durch das Fleisch des Gottes. »Kaum wird man mal ein paar tausend Jahre verbannt, schon geht die ganze Sache den Bach runter! Verdammte Götter und ihre kleinkarierten Fehden!«

»Die Verwechslung tut uns schrecklich leid«, sagte Troy, während sie sich langsam in Richtung Tür schoben, »aber wir müssen dringend weg …«

»Kein Grund, sich zu entschuldigen. Ist nicht eure Schuld. Aber ihr könnt mir trotzdem helfen. Zwei starke, junge sterbliche Exemplare.«

Der Gott richtete den Blick auf sie, und sie erstarrten unter seiner übernatürlichen Macht.

»Ihr seid besser als nichts.«

Zwei

 

Der Gott bat sie, sich zu setzen. Es war nur eine Formalität. Ihre Körper gehorchten seinen Impulsen.

»Was willst du?«, fragte Helen.

»Was wird ein verbannter Gott schon wollen? An meinen rechtmäßigen Platz in den Himmeln zurückkehren. Und ihr werdet mir dabei helfen.«

»Wie?«

»Eine Quest«, erwiderte er.

Troy und Helen wechselten einen Blick.

»Was denn?«, fragte der Gott. »Sagt nicht, die Leute machen keine Quests mehr.«

»Das kommt mir nur ein bisschen willkürlich vor«, sagte Helen. »Du tauchst auf … woher auch immer du aufgetaucht bist … und gibst uns einfach so eine Quest auf.«

»Natürlich ist es willkürlich«, bestätigte der Gott. »Quests sind immer willkürlich. Warum muss der Ritter den Drachen töten, um seine Prinzessin zu bekommen? Warum muss der magische Nippes in einem weit entfernten Berg verstaut werden? Warum bitten Götter und Schicksalsgöttinnen höchstpersönlich Sterbliche mit dem vagen Versprechen auf eine sagenhafte Belohnung, gefährliche Aufträge zu übernehmen und sich unmöglichen Widrigkeiten zu stellen? Weil das eben so ist.«

»Das ist deine Antwort?«, fragte sie. »Es ist dumm, aber so ist es eben?«

Der Gott knurrte. »Ich mache die Regeln nicht. Wenn du willst, dass ich euch vernichte, kann ich das auch einfach tun.«

Helen seufzte. »Nein, lieber nicht. Sprich weiter.«

Der Gott kicherte. »Sieh es mal so: Du kannst weiterhin töten und Angst und Schrecken verbreiten. Du tust es lediglich in meinem Auftrag.«

Helen runzelte die Stirn. »Ich töte nicht und verbreite auch nirgends Angst und Schrecken.«

Er zögerte. »Wirklich? Aber du bist doch ein Monster, oder nicht? Ein Fluch, der sterblichen Welt auferlegt für ihre Sünden. Eine Bestie, gemacht, um zu peinigen und zu quälen.«

Helen blickte finster drein. Was auch immer ihre Vorfahren angestellt haben mochten, um sich ihre Hörner zu verdienen, war im Lauf der Geschichte verloren gegangen. Wenn es jemand in der Familie wusste, hatte er es ihr jedenfalls nicht erzählt. Das hatten sie hinter sich gelassen.

»Hör mal, Junge …« Das schien ihr zwar der falsche Ausdruck zu sein, aber es war egal. Sie wollte verdammt sein, wenn sie diesem Gott erlaubte, das Schlimmste von ihr zu denken, nur weil sie Hufe und einen Schwanz hatte. »Wir tun das nicht mehr. Und jeder mit ein bisschen Verstand wird dir sagen, dass im Lauf der Geschichte meistens die Verzauberten die Gepeinigten waren und ziemlich selten die Peiniger.

Außerdem ist es schon seit einer ganzen Weile aus der Mode, jemanden nach der Größe seiner Hörner zu beurteilen. Nur weil ihr Götter meinen Familienzweig verflucht habt, hast du nicht das Recht anzunehmen, ich sei ein Monster. Ich weiß nicht, was meine Familie getan hat, um das verdient zu haben. Vielleicht haben sie ein schreckliches Verbrechen verübt. Aber vielleicht haben sie auch nur an einem Dienstag Truthahn gegessen oder die Götter an einem schlechten Tag erwischt. Egal, was es ist: Mein Aussehen hat nichts damit zu tun, was ich oder sonst irgendwer in meiner Familie in unzähligen Generationen getan hat. Ich wüsste es also zu schätzen, wenn du keine voreiligen Schlüsse ziehen würdest, nur weil ich aussehe, wie ich aussehe.«

Der Gott zuckte mit den Schultern. »Schon gut, schon gut. Ich wollte dich nicht beleidigen.«

»Aber du hast es trotzdem geschafft.«

Er sank in sich zusammen. »Du hast recht. Es war grob von mir, dir etwas zu unterstellen, aber ich bin lange weggewesen.«

»Tja, bist du nicht ein Gott?«, fragte Troy. »Solltest du so was nicht wissen?«

»Es ist einfacher, wenn man von oben herunterschaut. Wie Fische aus einem Glasbodenschiff heraus zu beobachten. Obwohl auch das nicht ohne Probleme abläuft. Versuch mal, die Politik von Bakterien zu verfolgen, indem du sie durch ein Mikroskop beobachtest, und du wirst sehen, wie gut das klappt. Hatte ich eigentlich erwähnt, dass ich auf eine niedrigere Ebene verbannt wurde? Die letzten tausend Jahre durfte ich euch von unten beobachten. Abgesehen von eurem Schuhgeschmack weiß ich nicht besonders viel.«

Helen stellte sich vor, wie der Gott unsichtbar unter ihr lauerte. Sie war froh, dass sie möglichst keine Röcke trug.

Er musste ihren Gesichtsausdruck gedeutet haben. Oder möglicherweise ihre Gedanken gelesen.

»Ich habe metaphorisch gesprochen«, sagte er. »Ich habe Wichtigeres zu tun, als heimlich ungezogene Körperstellen auszuspähen. Und wenn ich ehrlich sein darf, so habe ich diese Stellen schon immer eher verstörend gefunden.« Der Schädel zitterte. Die Fleischberge erschauderten. »Wenn es nach mir ginge, wären wir bei der asexuellen Reproduktion geblieben. Aber da wurde ich überstimmt.«

Er schlich nahe an Helens und Troys unbewegliche Körper heran.

»Doch wir kommen vom Thema ab.« Das Gesicht betrachtete Troy eingehend. »Und du bist ein Musterexemplar, nicht wahr? Starker Kiefer. Gute Zähne. Schöne Haare. Stämmiger, athletischer Körper. Außerdem hast du dieses heroische Funkeln in den Augen.«

Helen schnaubte. Dank ihrer verzauberten Natur war sie darin sehr gut.

»Soll ich euch beide allein lassen?«

Der Gott klapperte mit den Zähnen. »Ich mag dich. Du hast Mumm. Die Sterblichen, die es wagen, den Göttern zu trotzen, sind uns am Ende normalerweise am nützlichsten. Die Kriecher, die Speichellecker, die sind gut dafür, die Massen zu versammeln, aber am Ende der Ära sind es regelmäßig die aufsässigen Seelen, die etwas auf die Beine stellen.

Wenn auch nicht immer nach unserem Geschmack. Das ist der Haken, nicht wahr? Dieses Universum liebt es so sehr, Sterbliche wie Unsterbliche zu Idioten zu machen. Deshalb werden die Götter der Ironie auch so selten zu den coolen Partys eingeladen.«

»Willst du auf irgendwas hinaus?«, fragte sie.

Troy flüsterte: »Ich weiß nicht, ob es so eine gute Idee ist, den Schädelgott zu verärgern.«

Der Gott kicherte. »Macht mir nichts aus. Ehrlich. Die besten Kämpfer sind die furchtlosen, sogar in der gefürchteten Gegenwart der Götter selbst.«

»Du kannst mich mal!«, sagte Helen.

»Oh, jetzt übertreibst du aber.«

Ein Donnerschlag erschütterte das Restaurant.

Der Gott rief zum Himmel hinauf: »Ach, halt die Klappe! Bin hier gleich fertig.«

Ein Blitz traf das Dach, sodass die Lichter flackerten. In den Augenblicken der Dunkelheit konnte man die wahre Gestalt des Gottes an den Rändern erkennen, einen Schatten in der Leere, eine sonderbare Form aus den Uranfängen der Zeit. Doch es war lediglich die Spiegelung eines Dings, das nicht für sterbliche Augen bestimmt war und eigentlich überhaupt nicht so aussah, wie er wirklich aussah. Es war nur so nah dran, wie es die Sterblichen erfassen konnten.

Für Helen sah er wie eine Rübe auf Beinen aus. Für Troy wie ein Drache aus Wurstzipfeln. Und beide Standpunkte kamen der Wahrheit näher, als beide ahnten, wenn auch nicht im Geringsten wirklich nahe.

»Hab nicht viel Zeit«, sagte der Gott. »Letztes Mal, als ich zu lange geblieben bin, schickten sie einen Meteor. Tausende von Sterblichen waren tot, nur weil mir die Götter da oben nicht noch fünf Minuten Zeit geben konnten. Und ich soll der Böse sein.«

Donner grollte.

»Ja, ja! Ich bring es zu Ende!«

Brummelnd schlitterte er vor Helen und Troy hin.

»Eure Quest ist diese: Ihr müsst die Relikte sammeln und zur vereinbarten Zeit an den Ort der Macht bringen.«

»Was für Relikte?«, fragte Troy.

»Weiß ich nicht genau«, antwortete er.

»Wie viele?«, fragte Helen.

»Irgendwas zwischen zwei und sechs, glaube ich. Möglicherweise sieben. Nicht mehr als acht, glaube ich sagen zu können.«

»Wo ist der Ort der Macht?«, fragte Helen.

»Weiß ich auch nicht.«

»Wann ist die vereinbarte Zeit?«, fragte Helen.

Der Gott verdrehte die Augen. »Recht bald.«

»Ein bisschen vage für eine Quest, oder nicht?«, sagte Troy.

»Wer weiß, vielleicht haben wir es schon geschafft?«, fragte Helen grinsend.

Der Gott seufzte tief. »Das sind doch alles Details. Nur Details. Damit beschäftige ich mich nicht.«

»Aber wie können wir eine Quest vollenden, die wir nicht einmal verstehen?«

»Könnte ich euch einen Plan geben, Fotos und Sextantenkoordinaten, dann würde ich es tun. Ihr benutzt doch noch Sextanten, oder?«

Sie schüttelten die Köpfe.

»Egal. Je mehr ich euch helfe, desto mehr dürfen sich die anderen Götter einmischen. Und da ich echt im Nachteil bin – weil in den niederen Dimensionen gefangen und so –, kann ich das Spiel so nicht gewinnen. Meine einzige Chance ist, euch eure Quest zu geben, euch in die Welt hinauszuschubsen und das Beste zu hoffen. Irgendwann muss es ja funktionieren.«

Helen fragte: »Du hast das schon mal gemacht?«

»Ein- oder zweimal«, erwiderte er. »Oder neun- oder zehnmal.«

»Und was ist mit den anderen passiert?«, fragte Troy.

»Ihr solltet euch wirklich keine Gedanken über die Details machen. Das stresst nur. Sie sind gescheitert. Sie sind gestorben. So sind die Bedingungen der Quest. Entweder man erfüllt die Aufgabe, oder man kommt um. Da fällt mir ein …«

Beide Sterblichen spürten einen Stich auf dem rechten Handrücken. Ein verschlungenes Muster brannte sich selbst in ihr Fleisch ein.

»So«, sagte der Gott. »Ihr seid jetzt offiziell und unwiderruflich an eure Quest gebunden. Seid ihr erfolgreich, werde ich euch höchst großzügig entlohnen.«

»Ein vages Versprechen auf eine sagenhafte Belohnung«, sagte Helen.

»Du begreifst schnell. Das gefällt mir. Ihr seid ein kluges Paar, das erkenne ich. Also will ich ehrlich zu euch sein: Die große Belohnung am Ende dieser Quest ist, dass ihr weiterleben dürft, was von meiner Seite äußerst großzügig ist. Scheitert ihr, erwartet euch das große Nichts.«

»Das kannst du nicht einfach so machen«, sagte Helen. »Das verstößt sicher gegen irgendwelche Gesetze.«

»Du könntest versuchen, an die Gnade der Götter zu appellieren«, sagte der grinsende Schädel, »aber meiner Meinung nach seid ihr allein besser dran. So oder so ist es vollbracht.«

»Was ist vollbracht?«, fragte Troy. »Du hast uns doch weder gesagt, was wir tun sollen, noch wie wir es tun sollen.«

»Wollt ihr das wirklich? Fändet ihr es beruhigend, wenn ich euch sagte, dass ich jede Handlung geplant habe und genau weiß, was ich tue?«

Sie nickten.

»Okay: das habe ich und das weiß ich.«

»Du lügst«, sagte Helen.

Er lachte. »Du hast echt Nerven.«

Mr. Whiteleafs Schwert und Zauberstab hoben ab und schwebten über dem Gott in der Luft. »Soll ich euch mal was sagen? Da ihr mir nette Sterbliche in einer blöden Situation zu sein scheint, gebe ich euch wenigstens ein bisschen zusätzliche Hilfe. Ich werde diese Gegenstände mit magischer Kraft aufladen, damit sie euch auf eurer Quest helfen.«

Seine Augen blitzten, der Zauberstab und das Schwert glühten von innen heraus.

»Das ist nicht viel, aber mehr kann ich nicht tun.«

Der Magic Burger klapperte, als würde er gleich auseinanderfallen.

»Ist ja schon gut! Ich gehe. Tut mir leid, Kinder. Keine Zeit mehr für Fragen.«

Der Hackfleischhaufen fiel auseinander, dann rollte ihnen der Schädel vor die Füße. Das Schwert und der Zauberstab klapperten auf den Boden. Troy stupste den Schädel ganz vorsichtig mit dem Zeh an. Die Augen fielen heraus und rollten wie Murmeln über den Boden.

»Was jetzt?«, fragte er.

Weit, weit entfernt grollte der Donner.

Drei

 

Sie riefen die Polizei an. Dann riefen sie ihre Eltern an. Und nach viel Trara fanden sich Helen und Troy schließlich in einem spärlich eingerichteten Raum mit einem Tisch und vier Stühlen wieder. Es dauerte über eine Stunde, bis ein Mann in einem grauen Anzug eintrat.

Er trug den makellosen Anzug und das ausdruckslose Gesicht eines Regierungsangestellten. Oder besser: Er entsprach dem Bild, das Fernsehen und Kinofilme Helen eingetrichtert hatten. Aber seine Krawatte war leuchtend gelb, während seine Haare ein bisschen struppig waren. Und zwar nicht auf die gewollt zerwuschelte Art. Sie waren wirklich durcheinander. Außerdem waren da dieses Unterlippenbärtchen und die Drahtbrille. Es schien, als hätte jemand einen knallharten Bürokraten und einen Beatnik genommen und sie zusammen in einen Mixer geworfen, um eine nicht recht überzeugende Mischung aus den beiden zu schaffen.

Er lächelte.

»Hallo, Leute. Wie läuft’s?«

»Könnte besser sein«, erwiderte Troy.

Der Mann gluckste. »Das glaube ich sofort.« Er setzte sich ihnen gegenüber, lockerte die Krawatte, nahm die Brille ab, die er zart zwischen den langen Zeigefingern und den Daumen hielt, als könnte sie explodieren.

»Helen Nicolaides und Troy Kawakami, nehme ich an.«

Sie nickten.

»Tja, da hattet ihr zwei wohl eine aufregende Nacht, was?«, sagte der Mann. »Mein Name ist Wächter. Neil Wächter. National Questing Bureau.« Er hob eine Marke hoch. Nicht nur kurz, sondern so, dass sie sie gründlich betrachten konnten.

»Was soll das sein?«, fragte Helen.

»Deine Steuergelder bei der Arbeit. Wir sind eine kleine Agency. Nicht sehr bekannt. Wir waren die, die Hitlers fluchbeladenen Ring ins Feuer des Hiedelstein-Berges geworfen haben. Wir haben die letzten Samen des aussterbenden Yax-Imix-Che-Baums gesammelt und gepflanzt, um endlich den Staubschüsseln Einhalt zu gebieten. Wir fanden auch den magischen Pfeil, der General Shermans Amoklauf beendete, bevor er genug Opfer sammeln konnte, um … na ja, vielleicht habe ich schon zu viel verraten.« Er lächelte. »Ich will damit sagen, dass wir uns um Probleme kümmern, die nicht durch Politik, Kriege oder Wunschdenken gelöst werden können. Wir sind die Leute hinter den Annalen der Geschichte.«

»Dann kennen Sie die?« Helen zeigte auf das Mal, das in ihren Handrücken eingebrannt war.

»In der Tat, ja. Es ist ein göttliches Brandmal, eine Form der motivierenden Magie, die einem Sterblichen von einem Gott aufgebracht wird. Sie können ziemlich komplex sein, aber dieses hier ist ganz einfach. Es bedeutet, dass ihr berufen seid, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Und wenn ihr das nicht tut …« – Wächter tippte stirnrunzelnd mit seiner Brille auf den Tisch. »Na ja, ich fürchte, das ist die schlechte Nachricht.«

Mit dem Daumen rieb sich Helen den Handrücken und hoffte, das Mal einfach wegrubbeln zu können. »Können Sie nichts dagegen tun?«

Wächter seufzte. »Ich wünschte, ich könnte, Miss Nicolaides. Aber dies hier ist sehr mächtige Magie. Wäre Ihnen das nur von einem Zauberer beigebracht worden, hätte ich eine Salbe in der Manteltasche, von der ein paar Tropfen genügten, um es auszulöschen. Aber dieses Mal ist göttlich, und göttliche Magie übertrumpft alles, was ich zur Verfügung habe. Tut mir leid.«

»Und was heißt das jetzt?«, fragte Troy. »Wollen Sie uns sagen, dass wir sterben werden?«

»Ich werde euch nicht anlügen. Es ist auf jeden Fall möglich.« Wächter lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Tut mir wirklich leid. Vielleicht war das ein bisschen zu direkt.«

»Um ehrlich zu sein, ich bin froh, dass Sie es einfach gesagt haben«, antwortete Helen.

»Ich auch«, sagte Troy. »Nützt ja nichts. Darum herumreden hilft schließlich auch nicht. Aber Sie sagten, es sei möglich. Heißt das, es gibt einen Weg, es zu vermeiden?«

Wächter lächelte. »Es gibt natürlich keine Garantien, aber ich bin befugt, euch zu unterstützen.«

»Sie meinen, Sie können uns bei unserer Quest helfen«, stellte Helen fest.

Er nickte. »Schnelle Auffassungsgabe.«

»Sie gehören zum National Questing Bureau. Uns wurde eine Quest auferlegt«, sagte sie. »Dann ist es naheliegend, oder?«

»Richtig.« Wächter beugte sich mit aneinandergelegten Fingerspitzen vor. »Aber für alles gibt es eine gewisse Prozedur. Bevor ich euch helfen kann, müsst ihr euch also zu diesem Vorgehen bereit erklären. Quests sind keine einfache Angelegenheit.«

»Haben wir eine Wahl?«, frage Troy.

»Man hat immer eine Wahl, Troy. Immer. Die meisten Leute entscheiden sich, wenn sie zum Abenteuer berufen werden, in ihrem netten, normalen Leben zu bleiben. Das soll kein Urteil über ihren Charakter sein. Wären Quests einfach, würde es jeder machen.«

Er holte Papiere aus der Tasche, faltete sie auseinander, strich sie sorgsam glatt und schob sie über den Tisch. Er reichte beiden jeweils einen Kugelschreiber.

»Ich bräuchte hier eine Unterschrift von euch.«

»Ich unterschreibe gar nichts, bevor ich mit meiner Mom gesprochen habe«, sagte Helen.

»Das solltest du auch nicht tun. Ich will dich nicht davon abhalten, mit jemandem zu sprechen. Aber ich habe festgestellt, dass es am einfachsten ist, diese Geschichten direkt zu besprechen, ohne unnötige Leute um einen herum. Sie machen die Sache nur kompliziert, auch wenn sie es normalerweise gut meinen. Die Sache ist die: Ihr wurdet berufen. Ihr habt die ersten Schritte in eine neue Welt gemacht, in ein Reich voller Wunder und Gefahren, wo die Naturgesetze hinter die Regeln des Abenteuers treten.«

»Wir haben nicht darum gebeten, berufen zu werden«, sagte sie.

»Das ist nichts Ungewöhnliches. Wir haben es beim NQB schon mit ausgebildeten Helden versucht, aber es hat nie so recht funktioniert. Selbst wenn man sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort platziert, werden sie nie ausgewählt. Es wird immer irgendein armer Trottel, der zufällig vorbeikommt, ein glückloses Bauernkind, eine Kassiererin, ein widerwilliger Gauner. Es ist nie der Typ oder die Frau, die mit der Bürde belastet werden sollten. Sondern immer derjenige, den man nicht erwartet.«

»Wenn es immer der ist, den man am wenigsten erwartet«, fragte Helen, »müsste es dann am Ende nicht manchmal der sein, den Sie erwarten, gerade weil Sie ihn nicht erwarten?«

»Oh, das kommt auch vor«, antwortete er. »Wir haben einen Agenten, der schon fünfzehn verschiedene Quests unternommen hat. Das Lustige daran ist, dass er nicht ein einziges Mal im Dienst war, wenn er dafür ausgewählt wurde. Wir haben ihn weiterhin auf der Lohnliste und überlassen ihn einfach sich selbst. Das funktioniert anscheinend besser als alles andere, was wir versucht haben. Aber er ist die Ausnahme, nicht die Regel. Meistens sind es Leute wie ihr, die am Ende berufen werden.«

»Und was ist das dann hier?«, fragte Helen. »Erlaubnispapiere?«

Wächter schüttelte den Kopf. »Für eure Quest braucht Ihr keine Erlaubnis von uns. Dies ist ein freies Land, nicht wahr? Ihr habt das garantierte Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Ruhm. So steht es in der Verfassung. Das hier sind nur Formalitäten. Wenn ihr sie unterschreibt, verleiht euch das für die Dauer eures Abenteuers alle Rechte und Privilegien eines mit einer Quest betrauten Regierungsagenten. Unsere Anwälte bestehen leider darauf.«

Troy sagte: »Wenn wir die unterschreiben, werden wir Geheimagenten?«

Wächter wackelte mit der Hand. »In gewisser Weise ja.«

Troy umfasste seinen Stift, aber Helen hielt sein Formular mit ihrer Hand zu. »Du kannst das nicht einfach unterschreiben.«

Er grinste. »Ach, kommt schon, Hel! Wir sprechen hier von Geheimagenten! Das ist schon irgendwie geil.«

Sie grinste zurück. »Okay, das ist irgendwie geil. Aber wir sollten es trotzdem lesen, bevor wir unterschreiben.«

Es dauerte nicht lange. Die Formulare waren nur eine Seite lang und vermieden ausuferndes Juristenlatein.

»Bekommen wir magische Amulette?«, fragte Troy. »Oder vielleicht Tarnhelme?«

»Keine Helme«, sagte Wächter, »aber euch werden die Reisekosten erstattet, ihr erhaltet Questausweise und Decodier-Ringe.«

»Sie machen Witze, oder?«, sagte Helen.

»Es gibt keine Decodier-Ringe«, gab er zu. »Budgetkürzungen.«

Troy unterschrieb sein Formular, doch Helen zögerte noch.

»Geheimagenten, Hel!«, sagte er. »Wann bekommen wir jemals wieder so eine Chance?«

Sie unterschrieb.

Wächter steckte die Formulare in die Tasche zurück. Er warf zwei Umschläge auf den Tisch. »Das sind eure.«

Sie rissen die Umschläge auf und fanden darin ihre eigenen NQB-Ausweise, Kreditkarten und Wächters Visitenkarte.

Helen zog die Augenbrauen zusammen. Für den Ausweis war ihr Führerscheinfoto verwendet worden. Das, auf dem ihre Nüstern besonders gebläht aussahen und sie die Augen halb geschlossen hatte. Außerdem hätte sie sich an dem Tag die Hörner polieren sollen.

Dass Troy auf seinem perfekt aussah, überraschte sie nicht.

»Das war’s?«, fragte sie.

Wächter nickte. »Im Moment ja. Ich muss das Schwert und den Zauberstab noch durch unsre Artefakt-Abteilung schleusen, bevor ich sie euch wiedergeben kann.«

»Das waren nicht unsere«, sagte Helen.

Er stand auf und setzte die Brille wieder auf. »Jetzt schon.«

»Moment mal kurz. Ich dachte, Sie würden uns helfen, unsere Quest zu vollenden.«

»Und das werde ich auch.«

»Aber wo ist die Karte? Die Hinweise?«

»Eine Quest ist kein Videospiel. Es gibt keine Anleitungen, keine Karten, keine Entscheidungspunkte, kein großes X, das sagt: ›Hier die Riesen töten.‹«

»Was sollen wir dann tun?«, fragte Troy.

Wächter lächelte. »Zeit für Fragen wird morgen noch sein. Ich schlage vor, ihr packt für die Reise und kommt gegen elf in meinem Büro vorbei. Dann besprechen wir die Einzelheiten.«

Er ging, bevor sie noch etwas sagen konnten.

Helen bemerkte, dass auf Agent Wächters Visitenkarte eine Adresse aufgedruckt war. Außerdem hatte jemand mit Kugelschreiber den Satz »Die Antwort ist Schicksal« geschrieben.

Vier

 

Nigel Skullgnashers Midlifecrisis war nicht viel anders als jede andere. Er hatte sich ein Tattoo und ein paar Piercings machen lassen, angefangen zu trainieren, sich seinem Alter unangemessen zu kleiden, sich die Hauer schärfen lassen. Seine Frau nahm diese neuen Angewohnheiten mit Toleranz hin. Solange er sie nicht gegen ein jüngeres Modell austauschte – was er aber nie tun würde, denn der Ork-Tradition nach gab es Scheidungen nur nach einem Duell bis zum Tod, und er war sich kein Stück sicher, dass er sie in einem Kampf besiegen könnte.

Er war nicht unzufrieden mit seiner Frau oder seiner Ehe. Er wollte sich nur wieder jung fühlen, sich dem Geist seiner Ahnen nähern, den Wind in seinen schwarzen Haaren spüren, als Teil der Horde reiten, plündern und brandschatzen und gefürchtet und respektiert werden. Am Ende hielt er sich ans Nächstbeste und trat in einen Motorradclub ein.

Es gab kein Brandschatzen. Und seine Harley-Dragonson Twin Cam, die in der beheizten Garage parkte, sah die Straße nur an den Wochenenden.

Doch in seinen nächtlichen Träumen bereiste er die Straße, raste den endlosen Highway entlang, wo seine grässlichen Götter nur darauf warteten, jeden zu belohnen, der seine letzte Reise über die gebrochenen Ebenen schaffte, dort, wo jede Ork-Seele ihren letzten Lohn bekam.

Abrupt hielt er sein Motorrad an. Die Wolke aus Staub und süßen Abgasen in seinem Kielwasser schwappte über ihn hinweg. Er wischte sich die Schmiere aus dem Gesicht, zog seine trübe Brille ab und pulte sich mit der Zunge eine Fliege zwischen den Zähnen heraus und verschluckte sie dann.