62272.jpg

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
 
Für Fragen und Anregungen:
like.mich@rivaverlag.de
 
1. Auflage 2013
 
© 2013 by riva Verlag,
ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86,
D-80636 München,
Tel.: 089 651285-0,
Fax: 089 652096
 
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
 
Umschlaggestaltung: Maria Wittek, München
Satz und E-Book: Grafikstudio Foerster, Belgern
 
ISBN Print: 978-3-86883-330-0
ISBN E-Book (PDF): 978-3-86413-406-7
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86413-407-4
 
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.riva-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter 
www.muenchner-verlagsgruppe.de

Inhalt

Titel
Impressum
Inhalt

Am Anfang war der Taschenrechner  
Wie die digitale Technik unser Gehirn immer mehr entmündigt
Stumm dank Smartphone
Wie das Handy vom Telefon zum Kommunikationskiller wurde
Like mich am Arsch
Wie Facebook durch unsere Blödheit Milliarden scheffelt
Sonnenlicht, Gangnam Style und Flashmobs
Wie mit Youtube jeder Idiot eine Bühne bekommt
1000 virtuelle Freunde und trotzdem allein
Wie wir trotz sozialer Netzwerke immer weiter vereinsamen
World of Warcraft, Call of Duty & GTA
Wie der Psychopathennachwuchs zu Hause Amokläufe übt
Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast
Wie jedes harmlose Urlaubsfoto brandgefährlich werden kann
Schalt das Hirn App
Wie wir unser ganzes Leben bescheuerten Anwendungen anvertrauen
Banner, Targeting und Kundenkarten
Wie wir im Werbe-Tsunami absaufen
Stupsen, Stalking, Pornosucht
Wie unser Beziehungsverhalten den Bach runtergeht
Fettsucht, Mausarm und Cyber-Mobbing
Wie die Technik uns kaputt macht
Halt doch mal die #Fresse
Wie uns »Freunde« und Fremde mit Belanglosigkeiten bombardieren und das Internet jeden kleinen Scheiß unkontrollierbar macht
Letzte Ruhe Datenfriedhof
Wie das digitale Erbe noch für Probleme über den Tod hinaus sorgt

Am Anfang war der Taschenrechner

62771.jpg

 

Wie die digitale Technik unser Gehirn immer mehr entmündigt

Die Geschichte des Menschen ist die Geschichte steten intellektuellen Aufstiegs. Anfangs lebten wir in Höhlen und gingen, wenn der Hunger irgendwann zu groß wurde, auf die Jagd. Dabei hatten nur die Intelligentesten unter uns überhaupt Überlebenschancen. Wer zu blöd war, drohende Gefahren zu erkennen oder ausreichend Essen zu finden, der hatte eben Pech gehabt. Dieser aus evolutionsbiologischer Sicht sehr sinnvolle Selektionsdruck trennte fortan die nutzlosen Schwachköpfe von den allgemeindienlichen ­Schlauen – und ermöglichte es unserem Gehirn, sich immer weiterzuent­wickeln. Wir entdeckten das Feuer und erfanden das Rad. Wir verließen die Höhlen und widmeten uns dem Ackerbau. Später bauten wir stabile Häuser, prunkvolle Schlösser und beeindruckende Staudämme. Manche von uns waren sogar noch klüger als die anderen, sie wurden Astronomen und Geologen und vermaßen die Erde und das All. Irgendwann waren sie sogar in der Lage, Maschinen zu konstruieren, die uns die schwere körperliche Arbeit erleichterten. Bald kamen andere Maschinen dazu, die fahren, schwimmen und fliegen konnten. Es war beeindruckend, wozu der menschliche Geist in der Lage war.

Dann kam der Casio Mini.

Es war 1972, als der japanische Elektronikkonzern den ersten erschwinglichen Taschenrechner auf den Markt brachte. Das Teil war zwar noch so groß wie eine Zigarrenschachtel, kostete umgerechnet stolze 80 Euro und konnte nicht viel mehr als Addieren und Subtrahieren. Aber es verkaufte sich weit über zehn Millionen Mal – erst in Japan, dann in Amerika und schließlich in ­Europa! Die Menschen überall auf der Welt hatten offenbar keinen Bock mehr, ihre grauen Zellen mit so etwas Profanem wie Mathematik zu belästigen. Seitdem, man muss es leider so deutlich sagen, lässt der schöne Selektionsdruck deutlich nach. Mit dem menschlichen Durchschnittshirn geht es also wieder bergab!

Schon Jahre bevor moderne Computer in unsere Büros und in unser zu Hause einzogen, gewöhnten wir uns daran, dass die Technik uns das Rechnen abnahm. Und wenig später auch noch fast alles andere. Heute vertrauen wir unser ganzes Leben dem digitalen Fortschritt an – sieben Prozent von uns können nicht mehr mit Zahlen umgehen und zehn Prozent nicht richtig lesen! Wir kommunizieren über SMS, Facebook oder Twitter und verlernen zu schreiben. Wir ziehen all unser Wissen aus dem Internet und geben diesem im Gegenzug die vertraulichsten Informationen über uns selbst. Wir lassen zu, dass Algorithmen unser künftiges Verhalten berechnen, und bemerken nicht, wie wir von der Industrie manipuliert werden. Wir bewegen uns zwischen Computern, Smartphones und Clouds. Und während wir uns auf diese Weise seit 30, 40 Jahren um Kopf und Kragen entkultivieren, braut sich irgendwo da draußen ein ganz großes Unheil zusammen!

Der Casio Mini ist natürlich nicht die alleinige Ursache unserer kollektiven gesellschaftlichen Verblödung. Aber durchaus einer der Wegbereiter. Denn unser Gehirn ist mittlerweile vollständig darauf eingestellt, den lästigen Teil der Arbeit möglichst outzusourcen. Dieser Prozess fängt verdammt früh an: Schon für sechs Monate alte Babys gibt es eigens entwickelte Computerprogramme! Die Kleinstkinder sollen damit unterschiedliche Farben und Formen erkennen. Der Haken daran ist nur: Reines Zuschauen an einem Monitor kann neurologisch gesehen in diesem Alter gar nicht mit einem Lernerfolg verbunden sein. Babys erforschen die Welt viel besser und nachhaltiger durch Tasten oder Greifen. Doch so etwas Altmodisches wie bunte Holzklötzchen sind für die Eltern dieser bedauernswerten Geschöpfe einfach nicht cool genug. Außerdem gibt’s von Apple leider noch keine iRassel.

Ungefähr zu der Zeit, als Casio seine digitalen Wunderwerke für den Hausgebrauch auf den Markt brachte, neben dem Taschenrechner auch noch die erste Digitaluhr, gelang es einer Firma namens Intel, erstmals einen Mikroprozessor in Serie herzustellen. Zuvor wurden die Hersteller der bis dato gemeinhin gigantischen Datenverarbeitungsapparate wie IBM, Hewlett-Packard oder Nixdorf selbst von vielen Wissenschaftlern belächelt. Die Kosten von umgerechnet einem durchschnittlichen Bruttojahresgehalt und mehr pro Gerät standen kaum in einer Relation zum Nutzen. Das, was zum Beispiel der HP 9100A konnte, machte jeder Kaufmannslehrling nach ein paar Monaten Ausbildung in der Buchhaltung besser. Doch die plötzlich so winzigen Prozessoren veränderten alles! Binnen weniger Jahre explodierte die Leistungsfähigkeit der Chips. Das Computerzeitalter hatte endgültig begonnen.

Anfangs wurden die neuartigen EDV-Maschinen nur in Büros und Rechenzentren eingesetzt. Doch 1982 kam mit dem Commodore 64 der erste massentaugliche Heimcomputer auf den Markt. Trotz seines aberwitzigen Preises von zunächst über 1200 Mark wurde der C64 schnell zum Bestseller. Zwar bot er im Vergleich zu den heutigen Potenzialen jedes billigen Aldi-PCs lediglich den Speicherplatz eines Bierdeckels. Aber trotz seiner bescheidenen Möglichkeiten waren prompt Hunderte Programme erhältlich. Das meiste davon war nicht weiter von Belang und sah bei Lichte betrachtet auch damals schon ziemlich beschissen aus. Aber die ganze Materie war eben neu und deswegen trotz einer wirklich elenden Grafik und eines noch viel schlimmeren Klangs unfassbar cool: Dank des C64 konnten wir zu Hause alleine Schach spielen, gegen unseren besten Kumpel Autorennen fahren, gemeinsam Vampire jagen und sogar einfache Tabellenkalkulationen erstellen, um Muttis Haushaltskasse zu systematisieren!

Wir waren plötzlich modern.

Dabei konnte selbst dieser beige 8-Bit-Amateur schon richtig gefährlich werden: Dank seiner einfachen Programmiersprache Basic schickten sich zahllose selbst ernannte Softwareentwickler an, in Heimarbeit eine ganze Reihe schwachsinniger Programme zu produzieren, die dann massenweise kopiert und unter der Hand getauscht wurden! Aufgrund der leicht nachvollziehbaren Basic-Befehle fanden in der Blütezeit des C64 üble Machwerke den Weg auf die Schulhöfe, sodass die Kultusbehörden seinerzeit vor einer unbeaufsichtigten Benutzung des Computers warnten. Uns aber gelang es, unsere Eltern trotz der Aufregung zu beschwichtigen. Also ließen wir uns den C64 zum zehnten Geburtstag schenken und kauften uns für unser Taschengeld stapelweise Fachmagazine, die außer Testberichten vorwiegend sogenannte Listings abdruckten. Das waren endlose Zahlen-Buchstaben-Kombinationen, die man Zeile für Zeile abtippen musste und die ein vollwertiges Programm ergaben. Eintöniger konnte man als Schüler seinen Tag ganz sicher nicht zubringen, aber am Ende stand, wenn man sich nicht irgendwo verschrieben hatte, ein neues spektakuläres Spiel wie »Boulder Dash«. Trotz dieser wahnsinnigen Sisyphosarbeit – oder vielleicht auch deshalb – entstand binnen weniger Jahre eine digitale Massenepidemie. Bis Ende der Achtziger verkaufte sich der Brotkasten fast 30 Millionen Mal.

Von da an ging es Schlag auf Schlag! Nur einige Zeit später etablierte Commodore bereits den sehr viel leistungsfähigeren Amiga 500 sowie Atari das ähnlich ausgestattete Konkurrenzprodukt ST, die beide bereits den zehnfachen Speicherplatz boten. Auch hier gehörten wir natürlich zu den Pionieren: Weil der bis eben noch schwer angesagte C64 auf einmal die Coolness eines Helmut Kohl ausstrahlte, quengelten wir so lange herum, bis das ausgediente Elektronenhirn samt Datasette und eines ganzen Kartons voller Raubkopien über ein Kleinanzeigenblatt an eine siebenköpfige Familie verkauft wurde und ein Amiga unter dem Weihnachtsbaum lag.

Kurz darauf gelang es Microsoft, sich mit seiner neu entwickelten Benutzeroberfläche Windows den Software-Markt untertan zu machen, was uns zu diesem Zeitpunkt allerdings einen feuchten Kehricht interessierte! Schon eher faszinierte uns, dass Sega, Nintendo und später Sony nach und nach ihre ersten Spielkonsolen unters Volk brachten und sich dabei erst gar nicht bemühten, irgendwelche sinnvollen Programme für die Geräte anzubieten. Während wir unseren Eltern erzählten, mit unserem Amiga prima Hausaufgaben machen zu können, obwohl wir lediglich »Kick-off« spielten, boten die Konsolen mit Spielen wie »Destruction Derby« oder »Tekken« einen Quantensprung in Bezug auf Grafik und Sound. Klar, dass wir auch hier mitmischen wollten! Das sauer verdiente Geld eines vierwöchigen Ferienjobs im Getränkemarkt um die Ecke investierten wir in ein »Sega Master System« und fühlten uns ab diesem Augenblick der technischen Elite des Landes zugehörig. Dass gleichzeitig die Risikofaktoren für Zivilisationskrankheiten um ein paar schöne Ursachen wie mediale Reizüberflutung, Bewegungsmangel und Vereinsamung erweitert wurden, konnten wir seinerzeit beim besten Willen nicht absehen. Dafür war »Rocky V« einfach viel zu geil programmiert!

Nintendos »Gameboy« gab uns Anfang der Neunziger dann schon mal einen kleinen Vorgeschmack darauf, inwieweit sich auch unser sozialer Umgang verändern würde, wenn jeder von uns erst mal einen Apparat in der Hand hat, der unsere sensorischen Hirnbereiche praktisch vollständig in Anspruch nimmt! Da selbst der lausige Gameboy mit knapp 60 Frames pro Sekunde arbeiten konnte, unser Bewusstheitsumfang aber maximal 16 Eindrücke in dieser Zeit zu verarbeiten vermag, war es kein Wunder, das alles andere um uns herum auf der Strecke blieb. Dabei waren wir von den multifunktionalen Smartphones der Gegenwart noch Lichtjahre entfernt. Doch in öffentlichen Verkehrsmitteln, an familiären Esstischen oder an jedem sonstigen Ort, an dem man sich zuvor noch mit seinen Mitmenschen wie Eltern, Geschwistern oder Freunden unterhalten oder wenigstens ein Buch gelesen hat, daddelten wir plötzlich apathisch vor uns hin. »Tetris«, »Super Mario Bros.« oder »Zelda« hießen die erfolgreichsten Spiele für den grauen Kommunikationskiller, der insgesamt 120 Millionen Mal verkauft wurde. Dabei war die Software für den »Gameboy« und seine späteren Nachfolge- und Ablegerprodukte noch vergleichsweise bieder und weit vom blutrünstigen Programmiermüll späterer Zeiten entfernt. Doch am digitalen Horizont kündigte sich bereits weiteres Unheil an!

1993 wurde die erste Internetseite öffentlich zugänglich. Das war zu diesem Zeitpunkt lediglich ein vom Physiker Tim Berners-Lee erstellter Screenshot, auf dem in grober Schrift erklärt wurde, was das seltsame World Wide Web eigentlich sein sollte und wie man an einen Webbrowser kommen würde. Wer sich das langweilige Ding einmal anschauen möchte – eine Kopie ist auf dem Online-Auftritt des europäischen Kernforschungszentrums CERN zu sehen.

Man mag kaum glauben, dass das allumfassende Netz, wie wir es kennen, noch vor 20 Jahren vollkommen unausgereift war – doch das zeigt nur, welchen fundamentalen gesellschaftlichen Wandel das Internet seitdem ausgelöst hat. Ein Wandel, der amerikanischen Soziologen zufolge weitaus größer und noch immer unberechenbarer ist als jener, den der Buchdruck und die Industrialisierung zusammen hervorgerufen haben! Schätzungsweise eine Milliarde Websites gibt es bis jetzt. Sie dokumentieren außer einigen wichtigen oder ungleich mehr unwichtigen Informationen auch jeden noch so abwegigen Abgrund, den die versammelte Menschheit so zu bieten hat. Jede einzelne Minute werden weltweit 70 neue Domains registriert, 204 Millionen E-Mails verschickt und zwei Millionen Google-Anfragen gestellt. Insgesamt werden alle 60 Sekunden 650 Terabyte hin- und hergesendet. Kein Wunder, dass bei so vielen Daten, die auf diese Weise im Umlauf sind, viele Leute unerkannt zu Verbrechern, Fanatikern oder wenigstens zu Verrückten werden. Und Geheimdienste paranoid.

Fakt ist: In Industrienationen setzen sich die Kids heute durchschnittlich mit sieben Jahren zum ersten Mal an einen PC! Noch vor wenigen Jahren lag das Einstiegsalter bei knapp zehn. Familien ohne einen heimischen Internetzugang gibt es in Europa praktisch nicht mehr: In 98 Prozent aller Haushalte, in denen Kinder leben, existiert auch ein Online-Anschluss. Parallel dazu ergab eine Studie der Stiftung Lesen, dass bereits 25 Prozent aller Befragten nie und weitere 25 Prozent so gut wie nie zu einem Buch greifen. Das sind doppelt so viele wie noch Anfang der Neunzigerjahre. Aber warum sollten sie das auch tun? Bevor man sich durch einen ganzen Wälzer arbeiten muss, um zu wissen, worum es darin geht, kann man sich jede einzelne Information viel schneller auch aus dem Netz holen. Und wer so früh beginnt, sich sein gesamtes Wissen nur noch punktuell zusammenzugoogeln, bei dem ist es kein Wunder, wenn er später ganze Doktorarbeiten aus dem Netz zieht.

Dabei ist das wahrscheinlich noch die sinnvollste Nutzung dieser Datenschleuder! Denn wer die meiste Zeit vor dem Computer sitzt, ist keineswegs auf dem Weg zum gefragten IT-Genie, sondern nachweislich schlechter in der Schule! Das belegen verschiedene internationale Untersuchungen zweifelsfrei. So ergab zum Beispiel eine Analyse unter Berliner Jugendlichen eine im Schnitt um 0,4 Notenpunkte schlechtere Leistung bei jenen Schülern, die drei Stunden und mehr pro Tag am Bildschirm verbrachten als bei den weniger am PC aktiven Klassenkameraden. Da können die Befürworter digitaler Medien noch so sehr auf die vorteilhafte Wirkung von hochwertiger Lernsoftware etwa auf das logische Denkvermögen bei Heranwachsenden verweisen: Wer sich nach der letzten Schulstunde den gesamten Nachmittag lang »Zombie Assault 3« reinzieht, dürfte sich die überschaubaren positiven Effekte wieder weitgehend aus der Birne ballern.

Dass ein Computer alleine nicht das Denken verbessert, musste exemplarisch vor einigen Jahren auch die rumänische Regierung erfahren: Die Regierung des normalerweise nicht gerade als Fortschrittsmotor bekannten Karpatenstaats wollte mit einem teuren Programm die Bildung von Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen verbessern und schenkte Zigtausenden Eltern einen Gutschein für den Kauf eines Heimcomputers. Ein teurer Flop, wie zwei US-Forscher herausfanden, die nach einem Jahr rund 3000 rumänische Familien befragten, die an dem Programm teilgenommen hatten. Das ernüchternde Ergebnis: Die Noten der Kinder in den wichtigsten Fächern – darunter Englisch und Mathe – hatten sich deutlich verschlechtert! Da hätten die Rumänen die vielen Millionen doch lieber in den Ausbau ihrer Trinkwasserversorgung gesteckt, zu der noch immer die Hälfte der Bevölkerung keinen Zugang hat. Aber wer in der EU braucht schon fließend Wasser, wenn er aus Brüssel die Förderung für einen Internetanschluss bekommen kann?

In einer groß angelegten Befragung des Chip-Herstellers Intel gab fast die Hälfte der Teilnehmer an, ihren Computer aufrichtig zu lieben. Sogar zwei Drittel können demzufolge auch im Urlaub nicht auf PC oder Laptop verzichten. Ohne den Computer gar nicht mehr existieren will ein gutes Viertel – und das, obwohl wir im Laufe unseres Lebens statistisch gesehen alleine 85 endlose Tage darauf warten müssen, bis die Dreckskiste überhaupt hochgefahren ist! 17 Prozent aller Laptop-Besitzer nehmen das tragbare Gerät sogar mit auf die Toilette. Dass dieses Verhalten irgendwie scheißdoof ist, muss man eigentlich gar nicht dazusagen. Dabei ist die massive Computer- und Internetnutzung nur eine Seite des Problems. Beinahe genauso gefährlich für unsere grauen Zellen, weil schleichend und mehr oder weniger unauffällig vonstattengegangen, ist die Digitalisierung der anderen Bereiche unseres Alltags, in denen wir immer öfter den gesunden Menschenverstand ab- und stattdessen irgendeine Maschine anschalten.

Nehmen wir nur mal das Auto: Wenn früher unser Wagen alle zwei Jahre zum Kundendienst musste, hat sich der Meister im verschmierten Blaumann unter das Bodenblech gelegt, mit Taschenlampe und Kennerblick Bremsen und Schläuche überprüft, einen Ölwechsel gemacht, das Scheibenwaschwasser aufgefüllt – und meistens war’s dann auch wieder gut. Heute legt ein Autohausangestellter im dunklen Designeranzug unseren Schlüssel in eine seltsame Vorrichtung und erhält auf einen Blick sämtliche relevanten und irrelevanten Informationen wie Kilometerstand, Durchschnittsgeschwindigkeit, Reifenabnutzung und wahrscheinlich auch unseren Hochzeitstag. Bevor der Wagen auf die Hebebühne darf, wird erst mal ein Laptop zur exakten Fehlerdiagnose angeschlossen. Da können wir Stein und Bein schwören, erst vor drei Tagen die Kühlflüssigkeit nachgefüllt zu haben – wenn der Hauscomputer von Audi, BMW oder Mercedes anzeigt, dass sie zu niedrig ist, dann ist sie gefälligst zu niedrig! Selbst erfahrene Kfz-Mechaniker verzweifeln inzwischen an der Komplexität der digitalen Gadgets in einem normalen Wagen, die ohne ein mehrjähriges Mechatronik-Studium kaum noch zu durchblicken sind. Navigationssystem, Bordcomputer, Licht- und Regensensor oder Einparkautomatik gehören selbst in der unteren Mittelklasse inzwischen zur unspektakulären Serienausstattung. Für ein paar Hundert Euro extra gibt’s dann WLAN im Wageninneren oder ein Multifunktionsdisplay mit Online-Zugang.

Überhaupt das Navi – hier verfahren wir sowieso nur zu gerne nach dem Motto »Wozu noch nachdenken, wenn wir doch GPS im Auto haben?« Ein Beispiel: Eine Belgierin wurde von ihrem digitalen Wegweiser vom Heimatdorf im beschaulichen Flandern nicht die 90 Kilometer zum Brüsseler Hauptbahnhof gelotst. Sondern ins lediglich 1500 Kilometer entfernte Zagreb, wo sie eineinhalb Tage später auch übermüdet ankam. Ja, sie habe sich schon ein wenig gewundert, gab die Frau den kroatischen Polizisten zu Protokoll. Aber sie hatte sich einfach auf ihr Navi verlassen – immerhin sei es ganz neu gewesen. Die kurios anmutende Odyssee dieser flämischen Dumpfbacke ist leider kein Einzelfall: Viele von uns vertrauen dieser Technik inzwischen blind. Mit fatalen Folgen: Der Anteil der Unfälle, die auf die Irreführung oder Ablenkung unter anderem durch Navigationssysteme zurückzuführen sind, liegt mittlerweile bei fast zehn Prozent! Zu allem Überfluss lässt sich unsere Arglosigkeit diesbezüglich auch ganz schön dreist ausnutzen: So kaufte die niederländische Regierung vor einiger Zeit dem Gerätehersteller »TomTom« eine umfassende Datenbank ab – und setzte an den Stellen, an denen die holländischen Navi-Nutzer besonders schnell unterwegs gewesen waren, verstärkt Radarfallen ein. Dumm gelaufen! Angesichts unserer Technikhörigkeit ist nicht auszudenken, was mit uns irgendwann passiert –, und wo wir womöglich ankommen – wenn die Fahrzeughersteller erst einmal vollautomatische Steuer- und Lenkmechanismen zur Serienreife gebracht haben.

Arg lange sollte das übrigens gar nicht mehr dauern: Volvo stellte bereits stolz den Prototypen eines selbst parkenden Autos vor! Nach dem Aussteigen muss der Fahrer nur noch die entsprechende Smartphone-App aktivieren, und die clevere Karre sucht sich eigenständig die nächste Lücke, während ihr Besitzer schon beim Friseur oder im Restaurant sitzt. Dass die Vorstellung von unbemannt umherfahrenden Limousinen ein bisschen unheimlich ist, dürfte noch das geringste Problem dieser bevorstehenden Entwicklung sein. Die Unsummen, die vor allem der Auf- und Einbau sowie etwaige Reparaturen solch komplexer Systeme kosten werden, dürften da schon viel mehr ins Gewicht fallen. Unabhängig davon, dass der Kleinkriminelle, der uns künftig das Telefon aus der Tasche klaut, sich gleich noch über einen netten Wagen als Dreingabe freuen darf, den er noch nicht einmal umständlich suchen muss.

In anderen Bereichen des täglichen Lebens gilt die digitale Technik schon heute als unverzichtbar. Und noch schlimmer: als unfehlbar! In einem bayerischen Supermarkt kam es zu einer ordentlichen Prügelei zwischen einer Kassiererin und einem Kunden, weil die Scannerkasse für einen kleinen Naturjoghurt einen Preis von 1,90 Euro angezeigt hatte, obwohl der Becher nachweislich für 0,19 Euro im Angebot war. Letzteres versuchte der Kunde wort- und gestenreich minutenlang verzweifelt zu belegen. Dass 100 Gramm verdickte Milch nicht einmal so viel kosten würden, wenn Alfons Schuhbeck persönlich die Fermentation überwacht hätte, war der Kassiererin egal. Ihr Argument lautete: Die Computerkasse könne sich gar nicht täuschen. Die Situation eskalierte, die Polizei musste mit zwei Beamten im Markt anrücken und schlichten. Noch vor einigen Jahren wäre das nicht passiert: Alle Angestellten des Discounter-Giganten Aldi zum Beispiel mussten sämtliche Preise der angebotenen Waren auswendig kennen. Bei einem Sortiment von knapp 700 Artikeln eine durchaus beachtliche Hirnleistung! Mit der Einführung der Scannerkasse allerdings fiel diese Vorgabe der Geschäftsführung weg. Dass es nicht gerade den Thalamus trainiert, wenn man acht Stunden am Tag Cornflakes-Packungen, Ketchupflaschen und Senftuben über ein Infrarot-Lesegerät schiebt, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung.

Wenn wir den Supermarktbesuch ausnahmsweise körperlich unbeschadet überstanden haben und das Navi seinen Job fehlerfrei verrichten sollte, können wir heutzutage schon während der Fahrt nach Hause von unterwegs aus das halbe Heim mit dem Smartphone oder dem Tablet-Computer steuern: Das Türschloss, die Heizung, das Licht oder die Rollos lassen sich so ohne Weiteres bedienen. Die Stereoanlage können wir ebenso per App aktivieren wie den Fernseher, auf den wir allenfalls noch einen am Mittag im Büro aus dem Netz gezogenen Film streamen müssen. Die Badewanne befüllt sich natürlich aufs Zehntelgrad genau zur programmierten Wunschzeit automatisch, und der im häuslichen Netzwerk integrierte Kühlschrank hat längst selbst erkannt, dass die Milch zur Neige geht, und Nachschub bestellt. Zum Glück erinnert uns der Badezimmerspiegel vor dem Zubettgehen noch an die Einnahme der nötigen Arznei, und ein Sensor am Pillenschrank sorgt dafür, dass wir auch nach der richtigen Schlaftablette greifen.

»Vernetztes Wohnen« nennt sich der futuristisch anmutende Quatsch, der tatsächlich seit Jahren schon realisiert werden kann. Zwar momentan nur, wenn man das nötige Kleingeld – etwa zwei Millionen Euro für ein vollständig mit Digital-Gimmicks ausgestattetes Einfamilienhaus – dafür lockermachen kann. Doch irgendwann wird auch dieser Nonsens billiger werden, und wenn es nach ­seinen Erfindern geht, werden wir bald rund um die Uhr auf die Errungenschaften der digitalen Technik zurückgreifen können. Und uns ­darauf verlassen müssen, dass etwa die Badewasser-Steuerung wirklich deaktiviert bleibt, wenn wir im Urlaub sind – oder aber darauf, dass nicht aus Versehen der Mikrochip im Kühlschrank Scheiße baut und in der Folge davon in unserer Abwesenheit ein paar Dutzend Milchtüten vor der Haustür vor sich hin gammeln.

Leider erst in einigen Jahren soll uns ein haushaltsüblicher Fernseher superrealistisch per dreidimensionaler Holografie-Technik an alle erdenklichen Orte der Welt versetzen können. Schon jetzt aber kümmert sich unser ebenso flacher wie unnützer Smart-TV absolut verlässlich darum, dass unser zweitliebstes Hobby auch für Dritte lückenlos dokumentiert wird: Ohne, dass wir es mitbekommen oder irgendeine Taste drücken, funken diese neuen Geräte, wie Wissenschaftler der TU Darmstadt herausfanden, nämlich andauernd Daten ins Netz – bei den ARD-Programmen etwa jede Minute aufs Neue! Knapp ein Megabyte am Tag wird selbst bei durchschnittlichem Fernsehverhalten zwischen dem Server der verschiedenen Sender und unserer Hightech-Glotze ausgetauscht. Was mit den Daten genau passiert, ist unklar. Vermutlich aber dürfen wir uns demnächst mindestens auf individuell auf den jeweiligen Zuschauer abgestimmte Werbeblöcke freuen, was das Leben im Digitalzeitalter gleich noch sehr viel lebenswerter macht – wenn auch bloß für die Werbeindustrie.

Aufgrund dessen erscheint es nur konsequent, dass wir endlich auch direkt am Körper die Segnungen dieser Technik empfangen dürfen. Netzwerke von digitalen Armbändern, Puls- und Blutdruckmessern, im iPod integrierten Schrittzählern oder internettauglichen Waagen, welche die gemessenen Werte an eine Online-Datenbank übertragen und dort zu einer umfassenden Gesundheits- und Fitnessanalyse des Anwenders zusammenführen können, sind ebenso gängig wie datenschutzrechtlich bedenklich. Genau wie die so­genannten RFID-Chips, die seit geraumer Zeit von vielen ­namhaften Herstellern in vorwiegend hochwertige Kleidungsstücke eingearbeitet werden. Diese reiskornkleinen Teile halten praktischerweise jahrelang – und arbeiten mit Radiowellen, um ihre Informationen an entsprechende Lesegeräte zu senden. Der vordergründige Zweck des Klamotten-Big-Brothers: Einzelhandelsunternehmen können so in Erfahrung bringen, was und für wie viel ein Kunde anderswo eingekauft hat, wenn er den Laden betritt, und ihm individuell abgestimmte Empfehlungen machen. Charmanter Nebeneffekt: Trägt jemand eine derart verwanzte Jacke, ließe er sich mit der entsprechenden Software ganz prima heimlich orten. Das wäre freilich hochgradig illegal und kann so nach Auskunft der Anbieter natürlich auch nie passieren. Aber da dürfte die NSA anderer Meinung sein!

Mit dem neuesten Lieblingsspielzeug aller progressiven Nerds wäre es natürlich ebenfalls locker möglich, leichte Beute für neugierige Online-Spione zu werden. Doch für einen solch profanen Service wie die Ortung von Personen ist die Google-Brille, die ab 2014 weltweit verkauft wird, nicht wirklich konstruiert. Vielmehr soll die beknackte Cyber-Sehhilfe ihrem Träger wichtige Tipps zur Optimierung seines freudlosen Alltags geben: Das Ding reagiert auf Sprachbefehle und projiziert Bilder, Filme und Texte direkt auf unsere Netzhaut. Irgendwann in nicht mehr allzu ferner Zukunft sollen sich damit Millionen Menschen durch den Verkehr navigieren, ein passendes Restaurant empfehlen oder im Urlaub die Speisekarte simultan übersetzen lassen. Wenn Google-Chef Eric Schmidt behauptet, dass wir bald allenfalls noch im Bett ohne das digitale Nasenfahrrad auskommen werden, dann ist das eine Vision, die wahrscheinlich selbst Haftschalenträger George Orwell in den Suizid getrieben hätte. Dabei ist der gespenstische Gedanke, dass wir uns einer Brille, die all unsere persönlichen Vorlieben kennt, speichert und analysiert, mehr oder minder schutzlos ausliefern, nicht mal das Schlimmste: Während die Schmuddelfilm-Industrie über völlig neue Perspektiven beim Poppen jubelt, warnen Datenschützer vor zwar aus ähnlichen Zwecken, jedoch heimlich aufgenommenen Fotos und Videos durch das Google Glass. Dank der eingebauten Kamera lässt sich natürlich verhältnismäßig unauffällig auch in jenen Bereichen filmen, in denen das nicht ganz so erwünscht sein dürfte wie am Set eines Digitalbrillen-Pornos. Wenigstens sieht das Teil bis dato derart bescheuert aus, dass man die missbräuchlichen Benutzer in der Schwimmbad-Umkleide oder auf dem Kinderspielplatz auf den ersten Blick als kranke Spanner identifizieren kann.

Apples angekündigte iWatch dürfte da im Vergleich mit Sicherheit etwas eleganter ausfallen – und bringt uns die allseits vernetzte Computertechnologie künftig auch noch ans Handgelenk. Hoffentlich ist der Zeitmesser der Zukunft in Sachen Alltagstauglichkeit ein bisschen zuverlässiger als der dämliche ­Spracherkennungsdienst Siri, den uns die pathologisch innovative kalifornische Techniksekte vor einigen Jahren großspurig beschert hat. Die abtörnende Blechstimme, gegen die sich selbst Akte-X-Agentin Dana Scully anhörte wie eine mitfühlende Krankenschwester, empfahl auf die Frage nach dem besten Smartphone zwar pflichtbewusst objektiv bis zur Zensur durch die geschockten Apple-Programmierer das Nokia Lumia, hatte aber ansonsten kaum sachdienliche Hinweise parat, die uns das Leben erleichtern konnten. Die schon in der Siri-Werbung recht lächerliche Prognose

»Es wird vermutlich regnen an diesem Nachmittag«

hätte uns jeder versoffene Lokalradio-Meteorologe präziser geben können. Immerhin hatte durch Siri mancher einsame Bildschirmschoner-Benutzer endlich einen weiblichen Ansprechpartner.

Wen es aber nicht weiter verwunderte, sich plötzlich mit seinem Handy zu unterhalten, obwohl gar kein anderer Teilnehmer in der Leitung war, den dürfte es auch nicht schrecken, dass etliche Pharmaunternehmen schon damit begonnen haben, winzige Prozessoren in Medikamente einzusetzen. Sobald der Chip dann durch die Magensäure des Patienten aktiviert wird, beginnt er, die Lage zwischen Leber und Milz abzuchecken und die dort gesammelten Daten an den behandelnden Arzt zu senden. Oder direkt an die Pharmaindustrie. Vom Bauch direkt auf den Rechner – da bekommt der Begriff »innere Medizin« gleich eine ganz neue Bedeutung! Ob solche Tabletten 2.0 bei regelmäßiger Einnahme möglicherweise Schaden in unseren Organen anrichten können, ist noch nicht ansatzweise erforscht. Aber das ist so vieles anderes, was genauso gruselig erscheint, ja auch nicht. Wie zum Beispiel jene Mini-Roboter, die bald in unsere Blutbahnen gespritzt werden könnten, um den Blutdruck automatisch zu erkennen. Oder die elektronischen Nasenimplantate, die unsere Atemluft analysieren und vor Erkältungskrankheiten warnen sollen. Oder die intelligenten Kontaktlinsen mit integrierter Zoom-Funktion, an denen französische Forscher gerade intensiv arbeiten und die nach der Serienreife die Sicht ihrer Träger aufs Dreifache vergrößern können.

Die Maßlosigkeit in der Anwendung scheint grenzenlos. Und egal, was uns noch alles bevorsteht: Aus jetziger Sicht ist bereits klar, dass wir uns in Bezug auf die digitale Technik in einer verdammten Einbahnstraße befinden. All die winzigen Chips mit den gigantischen Möglichkeiten werden irgendwann überall integriert sein: in Autos, Geräten, Häusern, Klamotten – und in unserem kompletten Körper. Wahrscheinlich schauen wir dann nicht aus wie Robocop, aber wir funktionieren genauso. Der Weg zur fremdgesteuerten Mischung aus Mensch und Cyborg, deren gesamte Daten sich irgendwo in einem riesigen Rechenzentrum in der Wüste Arizonas oder auf einer irischen Halbinsel befinden und deren Handeln berechenbarer ist als das Beuteschema von Boris Becker, ist wirklich nicht mehr allzu weit.

Wären wir doch in unserer Höhle geblieben!