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Über dieses Buch:

So kann es nicht weitergehen! Zwischen Alltagsstress und einer Ehe, der die Puste ausgegangen ist, hat sich Caroline völlig verloren. Die Konsequenz: Scheidung und ein neuer Job. Während das erste schnell, aber schmerzvoll vonstattengeht, platzen die Karriereträume nach und nach wie Seifenblasen. Also muss Caroline jobben, um sich und ihre pubertierende Tochter über Wasser zu halten. Das Gute daran: Mit den langweiligen Jobs kommen die spannenden Männer – und mit den spannenden Männern die tollen Aufträge. Plötzlich hat Caroline mehr erlebt, als sie je wollte. Doch wohin mit all ihrem neuen Wissen? Schnell kommt ihr eine Idee, die sie doch noch groß herausbringen soll ...

Über die Autorin:

Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.

Annegrit Arens veröffentlichte bei dotbooks bereits folgende Romane: »Die Macht der Küchenfee«, »Aus lauter Liebe zu dir«, »Die Schokoladenkönigin«, »Die helle Seite der Nacht«, »Ich liebe alle meine Männer«, »Wenn die Liebe Falten wirft«, »Bella Rosa«, »Weit weg ist ganz nah«, »Der etwas andere Himmel«, »Der geteilte Liebhaber«, »Wer hat Hänsel wachgeküsst«, »Venus trifft Mars«, »Süße Zitronen«, »Karrieregeflüster«, »Wer liebt schon seinen Ehemann?«, »Suche Hose, biete Rock«, »Kussecht muss er sein«, »Mittwochsküsse«, »Liebe im Doppelpack«, »Lea lernt fliegen«, »Lea küsst wie keine andere«, »Väter und andere Helden«, »Herz oder Knete«, »Verlieben für Anfänger«, »Liebesgöttin zum halben Preis«, »Schmusekatze auf Abwegen«, »Katzenjammer deluxe«, »Ein Pinguin zum Verlieben«, »Absoluter Affentanz«, »Rosarote Hundstage«, »Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«, »Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«, »Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«, »Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«, »Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar« und »Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«.

Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de

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eBook-Neuausgabe April 2015

Copyright © der Originalausgabe 1997 Scherz Verlag, Bern und München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/frenkel vic

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-183-1

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Annegrit Arens

Der Therapeut auf meiner Couch

Roman



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Kapitel 1
Dann schon lieber Reibekuchen!

Die beiden Frauen schoben sich an der dick zusammengedrehten Kordel entlang. Die Kordel war an Messingstäben zu einem Viereck aufgespannt und schirmte die blitzende Karosserie des lässig in die Mitte gestellten gelben Ferraris gegen seine Bewunderer ab. Es waren vor allem Männer, die die Motor-Show in Essen besuchten und ihr Traumauto umringten. Niemand von ihnen hatte einen Blick für die beiden Hostessen übrig, die auf den Ausgang zusteuerten.

»Im nächsten Leben komme ich als Ferrari zur Welt«, sagte die eine Hostess und zeigte zurück auf das Starren, das dem makellosen Wunderauto galt. Sie war blond und hübsch und von der Sorte, die Bauarbeiter zum Pfeifen und Barkeeper zum Showmixen bringt.

»Scheiße«, sagte Caroline More und drehte sich ebenfalls um. Nicht zu dem Chromblitzen und Männerstarren, sie begutachtete ihre Wade. »Ich brauche Nagellack. Hast du Nagellack dabei?«

»Glaubst du, die Typen reagieren auf Nagellack lebendiger als auf Ferrari-Gelb?« Die Blonde musterte noch immer die Männer, die rund um den Ferrari fuchtelten und tänzelten und aufgeregte Töne produzierten.

»Nee! Aber ich hab’ ’ne Laufmasche, sieh dir das an, ’ne Autobahntrasse ist nichts dagegen.« Caroline strich über die hellgerippte Schlängellinie, die an ihrem Bein hochkroch und über der Kniekehle unter dem schmalen Rock verschwand.

»Schicksal! Sieh dir den da an!« Die Stimme der Blonden veränderte sich.

Caroline sah hoch, von unten nach oben, der Mann vor ihr war ein Sadist, er schien Vergnügen an ihrem Mißgeschick zu finden. Er grinste breit. Caroline zog an ihrem Rocksaum, richtete sich auf und ging weiter. Spanner, dachte sie und betrat die Rolltreppe.

»Wie bist du denn plötzlich drauf?«, fragte die Blonde und tat einen Sprung, um neben Caroline auf dem Rollband zu stehen zu kommen. Sie schnappte nach Luft. »Endlich mal einer, der nicht nur Metall im Kopf hat, und du düst ab.«

»Eben drum, so einer ist kein normaler Mann oder kann sich sowieso keins von den Modellen hier leisten. Also?«

»Ist was dran. Also trinken wir unseren Espresso.«

Die beiden Frauen verließen die Rolltreppe und steuerten die italienische Coffee-Bar auf der Empore von Messehalle zwei an. Gleich neben der Balustrade waren noch zwei Plätze frei; sie schoben sich auf die Barhocker, vor sich die chromblitzende Kaffeemaschine und unter sich auf Ebene eins den gelben Ferrari, dahinter einen roten Porsche und noch weiter hinten einen anthrazitgrauen Jaguar. Dazwischen hüpften Köpfe, auf und ab und vor und zurück, von hier oben glichen die Menschen dort einer Springprozession von lauter Köpfen.

»Ja?«, fragte die Bedienung. Mehr nicht.

»Zwei Espresso«, sagte die Blonde. Sie nannte sich Marga. In ihrem Ausweis stand Margarethe.

»Und Kleber, irgendeinen, oder Nagellack. Haben Sie so was da?«, ergänzte Caroline.

»Heute nicht«, erwiderte die Person, »heute servieren wir den Kaffee mit Milch und Zucker.«

»Blöde Kuh«, murmelte Caroline und fingerte an der Laufmasche, bis es zirpte und ein weiterer Faden aufsprang.

»Sieh dir den an, nicht übel!« Marga visierte die hochkommende Rolltreppe an.

Caroline überlegte, daß ihre Kollegin eindeutig mannsüchtig war und obendrein die Spezies der nobelautosüchtigen Männer heute durch laufmaschensüchtige Exemplare bereichert wurde. Sie spürte es genau, wenn jemand sie anstarrte. Anscheinend hatte sich schon wieder einer in ihr Laufmaschenbein verguckt. Caroline schaffte es, zielsicher an dem Neuankömmling vorbei auf ihre Espressotasse zu sehen. Gleich war ihre Pause vorbei, und sie waren schließlich zum Kaffeetrinken hergekommen. Sie griff nach der Tasse.

»Grüß dich, Caro! Brauchst du wieder mal was zum Laufmaschenstoppen?« Der Neuankömmling kramte in seiner Sakkotasche und zog eine Minitube Alleskleber heraus, die er Caroline hinhielt.

»Du hier?« Caroline setzte die Tasse wieder ab. Es klirrte und schwappte. Sie machte keinerlei Anstalten, nach der Tube zu greifen. Statt dessen griff sie wieder nach der Tasse.

»Paß auf«, sagte der Mann und hielt blitzschnell seine freie Hand unter die tropfende Tasse.

»Wenn ich ein Kindermädchen brauche, melde ich mich. Okay?« Caroline wischte mit der Handfläche unter dem Tassenboden her und hielt die feuchte Hand von sich ab.

»Willst du uns nicht vorstellen?«, fragte Carolines Kollegin, nachdem sie einen Blick in den Spiegel hinter der Bar geworfen und hastig ihre blonde Wuschelfrisur aufgelockert hatte.

»Horst Weber«, antwortete Caroline. »Einer von ein paar tausend Webers und irgendwann mal mit mir verheiratet.«

»Vierundzwanzigster Januar 1979, zehn Uhr dreißig, bis vierzehnter Mai 1993, neun Uhr zehn«, ergänzte der Mann. Er hielt noch immer den Alleskleber in der Hand, die Tube verschwand in der kräftigen Faust.

»Wie originell«, kicherte die Blonde, »wer läßt sich schon im Wonnemonat Mai scheiden.«

»Eigentlich hat sie recht«, sagte Horst Weber und sah seine geschiedene Frau an, »eigentlich sollte man sich nicht scheiden lassen, nicht im Mai.«

»Eigentlich sollte man gar nicht erst heiraten, erst recht nicht im Januar«, sagte Caroline und griff erneut nach ihrer Kaffeetasse.

»Sind Sie als Fan hier?«, mischte die Blonde sich ein.

Horst Weber sah zu Caroline hin. Er grinste.

»Als Auto-Fan«, ergänzte die Blonde hastig und zeigte über die Balustrade hinweg auf die Nobelautos auf ihren abgekordelten Plätzen.

»Horst interessiert sich lediglich für Kühltransporter und seinen Uralt-Diesel«, mischte Caroline sich ein.

Die andere lächelte von unten nach oben an dem Mann hoch. »Ich könnte Sie mir sehr gut in einem von diesen Modellen vorstellen«, sagte sie.

»Ich nicht«, antwortete er, »wirklich nicht. Ich stehe mehr auf Sachen, von denen ich etwas verstehe und die mir ans Herz gewachsen sind, so wie mein Uralt-Auto und ...«

»Wir müssen gleich los.« Caroline rutschte von ihrem Hocker, ihr kurzer Rock rutschte synchron hoch, die Laufmasche zockelte jetzt breitgerippt an ihrem Bein hoch. »Bitte zahlen.«

»Okay!« Horst Weber trat einen Schritt zurück, streckte die rechte Hand vor, zögerte, versenkte sie in der ausgebeulten Tasche seines nicht sehr modischen Sakkos. »Vielleicht bis später. Ich lass’ dir den Alleskleber mal da. Okay?« Er zog die Hand wieder aus der Tasche und legte die Tube neben Caroline auf die Bartheke. Dann nickte er kurz der Blonden zu und steuerte auf die Rolltreppe zu, die ihn zurück auf Ebene eins brachte, von wo er gekommen war.

»Bestimmt wollte er etwas trinken.« Marga lächelte ihrem Spiegelbild zu, zog eine Grimasse, lächelte wieder. »War er wirklich mit dir verheiratet?«

»Wie?«, fragte Caroline. Sie hatte sich über die Balustrade vorgebeugt und sah nach unten auf den breiten Gang, auf dem die Rolltreppe mündete und von wo viele schmälere Gänge schnurgerade abgingen und zu den Traumautos der Sonder-Show in Essen führten. Das Cordsakko wurde sichtbar. Horst Webers Schultern klappten leicht nach vorn, es war die typische Haltung eines sehr großen Menschen. Caroline mußte daran denken, daß sie ihn früher immerzu an seine Haltung erinnert hatte. Er hatte sie nicht ernst genommen und ihr Mahnen mit einem laschen »wenn du nur sonst alles an mir liebst« abgetan. Natürlich hatte sie nicht alles andere an ihm geliebt. Keine ließ sich wegen mangelhafter Schulterhaltung scheiden.

»Ein starker Typ«, sagte Marga, »irgendwie bärig. Ich hätte den nicht so leicht losgelassen, garantiert nicht.«

»Der Bär ist gelernter Schlachtermeister und in seiner Freizeit Sperrmüllkünstler. Du kannst ihn haben, bedien dich.« Caroline drehte der Balustrade den Rücken zu und klopfte mit dem Kaffeelöffel auf die Metalltheke. Es schepperte laut. Einmal, zweimal, ein paar Köpfe drehten sich zu den beiden Frauen hin.

»Willst du ’ne Szene oder wie?«, fragte Marga.

»Ich will bezahlen, und wenn diese dusselige Schnepfe nicht freiwillig kommt ...« Caroline öffnete ihre Handtasche, zählte Geldmünzen ab und legte sie neben ihre Tasse, dann stand sie auf.

»Kommst du?«

»Wir haben noch eine Viertelstunde Zeit.«

»Ich muß mal aufs Klo und so.«

»Das und so für unseren Standleiter, Herrn Schmitter?«

»Bin ich bescheuert? Da hätte ich ja gleich bei meinem Schlachtermeister bleiben können.«

»Komisch, ich hab’ dich für romantisch gehalten.«

»Klar, wenn der Rest stimmt, bin ich unglaublich romantisch.«

»Wahrscheinlich hast du so einen Mann wie deinen Mann einfach nicht verdient. Er hat etwas Grundanständiges, und irgendwie ist er auch noch ein kleiner Junge, so wie er geht und einen ansieht.«

»Ein kleiner Junge von fünfundvierzig, der unseren Garten mit Ungeheuern aus Müll zugeklotzt hat und deswegen mit unseren besten Nachbarn vor den Kadi mußte. Du hast vielleicht Nerven.«

»Mit dem Schlachtermeister, das nehm’ ich dir einfach nicht ab. So sieht er nicht aus.«

»Und wie sieht ein Schlachtermeister aus?«

»Grobschlächtig eben, einen Touch brutal.«

»Du liest zuviel Yellow Press. Er ist Schlachtermeister und nicht brutal, nicht die Bohne, ganz im Gegenteil. Natürlich ist er auch kein Weichling ... Können wir eigentlich mal von etwas Interessanterem reden?«

»Ich find’s interessant«, sagte Marga. »Hochinteressant.«

»Ich nicht!« Caroline stieß die Tür mit dem Schild Damen auf.

Ein Protestschrei ertönte, dann tauchte eine Hostess mit einem Krug voll Wasser auf. »Wie bist du denn drauf? Sieh dir das an!« Die fremde Hostess zeigte auf den feuchten Fleck, der ihre rechte Brust umrundete.

»Pures Wasser, hab dich nicht so!« Caroline verschwand hinter der Toilettentür.

»Hat sie was?«, fragte die Frau und tupfte vorsichtig mit einem Taschentuch über ihre feuchte Brust.

»Einen Ex-Mann«, antwortete Marga. »Und was für einen.«

»Wo?«

Die Antwort von Carolines Kollegin ging in der nächsten Lautsprecheransage unter. »Herr Mizzlaf bitte zur Information, ich wiederhole ...«

Die beiden Hostessen steckten die Köpfe zusammen und steuerten die Ausstellungsfläche an, wo ihre Köpfe zusammen mit hundert anderen auf und ab hüpften.

Der Herr mit dem Schild H. J. Schmitter am Revers seines topmodischen Sakkos klappte sein Bestellbuch zu und reichte einem nicht weniger modisch gekleideten Herrn ohne Namensschild die Hand, beugte sich vor und zurück und noch einmal vor, ließ endlich die Hand los und wandte sich mit einem erlösten Lächeln den beiden Hostessen zu, die Gläser, Kaffeetassen, Ascher und Teller mit angebissenen Sandwichs einsammelten. »Die Bestellung hätten wir sicher. Meine Damen, Sie sind die Größten!«

»Frauen, die aufräumen und spülen, sind immer die Größten. Bestimmt für einen Junggesellen. Habe ich recht, Herr Schmitter?« Marga wirbelte ihren Wischlappen einmal kokett durch die Luft.

»Ich bin Junggeselle, und Sie sind die Größten«, sagte der Mann.

»Und die Dummen«, murmelte Caroline und schlüpfte aus ihren Pumps. Es war sechs Uhr, die Messe schloß, ein Standleiter war ein kleiner Fisch, und ihre Füße schmerzten, von der Optik ganz zu schweigen. Für eine Frau von ein Meter vierundsiebzig hatte Caroline sehr zierliche Füße, Schuhgröße achtunddreißig, ihre fünfzehnjährige Tochter trug schon vierzig. Im Moment sahen Carolines Füße alles andere als zierlich aus, eher wie aus der Form gelaufene Schweinehämchen, und Caroline sah beim besten Willen nicht ein, wieso dieser Typ ihnen beim Aufräumen und Spülen zusah, statt selbst mal mit Hand anzulegen. Anscheinend teilte er die Meinung seiner Nobelkunden, daß Hostessen in die Kitchenette oder in die Horizontale gehörten. Sie war wirklich blöd gewesen, jemals zu glauben, auf ihren Messejobs würde sie nonstop Traummännern begegnen. Es gab reiche Kunden, logo, aber eben nur solche mit eindeutigen Interessen. Und ein Hans-Joachim Schmitter konnte sich weder ein Nobelauto noch eine Nobelnummer leisten, ein Geschirrtuch stünde ihm nicht schlecht. Caroline überlegte, ob sie ihm einfach ein Geschirrtuch hinhalten sollte ...

»Meine Damen, wissen Sie was ...?« Herr Schmitter erhob sich aus seinem Polsterstuhl, leicht ächzend, die flotte Aufspring-Nummer schien er seinen Nobelkunden vorzubehalten.

Er hilft freiwillig, dachte Caroline, lehr mich einer die Männer kennen. Sie überlegte, wo noch ein trockenes Geschirrtuch liegen könnte.

»... ich lade Sie heute abend zum Essen ein, richtig schick mit allem Pipapo, was sagen Sie dazu?«

»Super!« Marga stellte den Stapel schmutziger Teller blitzschnell wieder ab. »Ich müßte dann nur mal eben telefonieren.« Sie verschwand hinter einer provisorischen Wand mit aufgeklebten Symbolen für Telefon, Telefax und Kopierer.

»Super«, wiederholte Caroline und sah auf den Stapel schmutziger Teller. Anscheinend durfte sie jetzt allein weiterarbeiten, während Marga mit wem auch immer telefonierte und sich in einem die Nase puderte und sonstwie anhübschte. Scheiße, dachte Caroline und nahm sich vor, im nächsten Leben als Mann oder mannsüchtige Blondine zur Welt zu kommen.

»Ein Königreich für Ihre Gedanken, Frau More.« Der Standleiter trat hinter sie. Jetzt, wo er schon einmal stand, war ihm keine Mühe zu groß, vermutlich war er in diesem Moment sogar abtrockenwillig, überlegte Caroline. Er den rechten Tuchzipfel und sie den linken, das Repertoire der Herren Standleiter war ziemlich dürftig, nach über zwei Jahren Messe-Erfahrung kannte Caroline sich aus.

»Ich sehe mich gerade als Mann«, antwortete sie, »oder als Blondine.«

»Das wäre aber total schade.« Hans-Joachim Schmitter griff nach Carolines Hand. »Sowohl als auch, Sie sind ein besonders gelungenes Exemplar Weib, das wollte ich Ihnen schon immer mal sagen.«

»Tja, leider gibt es für dieses Exemplar keinen Listenpreis.« Caroline zog an ihrer Hand und kam frei. Sie grinste. Der Standleiter hatte lediglich ihr Geschirrtuch in seiner Hand zurückbehalten, es sah komisch aus, besonders sein Gesicht dazu.

»Alles klar?«, fragte Marga und schob sich in die Kitchenette.

»Alles klar«, antwortete der Standleiter.

»Alles klar«, wiederholte Caroline, »der Rest ist für dich.« Sie zeigte auf das Geschirrtuch, das Hans-Joachim Schmitter noch immer in der Hand hielt. »Ich muß auch mal telefonieren und so.«

»Der Rest?«, echote Marga und sah zu Herrn Schmitter hin, der hastig das Tuch aus der Hand legte, etwas murmelte und verschwand.

»Tja.« Caroline grinste.

»Wo will der denn so plötzlich hin? Hab’ ich was an mir?«

»Der Telefonier-und-Anhübsch-Bazillus geht um«, erwiderte Caroline, »bis gleich.« Sie würde sich Zeit lassen, die andere sollte ebenfalls ihre Chance haben, sich mit ihrem Zehn-Tage-Chef über kariertem Linnen pur näherzukommen.

Als Caroline zurückkam, wurde sie bereits vor dem Messestand erwartet.

»Na endlich«, sagte ihre blonde Kollegin.

»Können wir?«, fragte der Standleiter.

»Gern«, antwortete Caroline.

Es war gar nicht so einfach, sich um ein kostenloses Abendessen zu drücken, auf dem Klo hatte Caroline alle möglichen Gründe Revue passieren lassen: Tochter erkrankt ging nicht, weil Caroline selbst von deren Klassenfahrt erzählt hatte. Ehemann erkrankt, das ging, woher sollte ihr derzeitiger Chef wissen, daß sie glücklich geschieden und Horst Weber grundsätzlich nie krank war? Scheiße! Ging doch nicht, ihre Kollegin hatte eben an der Kaffeebar höchstpersönlich den »erkrankten« Gatten kennengelernt. Sweet Marga war mannsüchtig, die Szene dort an der Bar war der beste Beweis gewesen. Sweet Marga verschlang alles, was nach Mann aussah. Horst Weber sah wie ein Mann aus, soweit war Caroline einverstanden, er war sogar eine kolossale Portion Mann. Soviel verkraftete keine Frau allein, und jünger wurde auch keine Frau. Irgendwann hatte es sich ausgeliebt, und dann zählten ganz andere Sachen, ein schickes Auto und Reisen und Einladungen, natürlich mußten einen die richtigen Leute einladen ...

»Sieh mal«, flüsterte Marga und stieß Caroline mit dem Ellbogen an.

Caroline schreckte aus ihren Träumereien hoch. Nicht schon wieder, dachte sie. In den letzten zehn lägen hatte sie sich bestimmt zwanzigmal dieses mannbezogene »Sieh mal!« anhören müssen. Das nervte total.

»Da!« Das Ziehen an Carolines Ärmel wurde kräftiger.

»Mein Gott!«, stöhnte Caroline.

»Zuviel der Ehre«, sagte eine Männerstimme.

Caroline blinzelte gegen das Licht und hob abschirmend eine Hand. Hier auf dem Messevorplatz stach ihr grelles Flutlicht in die Augen. Natürlich brauchte sie ihre Augen nicht, um Horst Weber zu erkennen, seine Stimme und seine ganze Art reichten vollauf. Er hatte ein unglaubliches Talent, zum unrechten Zeitpunkt aufzutauchen. Es sollte ein Gesetz geben, das geschiedenen Ehemännern untersagte, ständig den Weg ihrer Ex-Ehefrauen zu kreuzen, das schlug ihr schlicht auf den Magen. Wo sie doch zu einem Abendessen mit allem Pipapo eingeladen war, auf so etwas müßte ihr Ex erst mal kommen. Der war auch mit Heringsstipp zufrieden, und Reibekuchen waren für ihn das größte. Heringsstipp und Reibekuchen und hinterher ... Na ja, hinterher das war nicht übel gewesen.

»Willst du mich nicht vorstellen?«, fragte eine fremde weibliche Stimme.

»Frau Müller-Wunderlich – meine geschiedene Frau Caroline More«, stellte Horst Weber vor. Caroline nickte höflich. Sie war nicht dumm, sie hatte sofort registriert, daß er auf nähere Angaben zu seiner Begleiterin verzichtete, wogegen ihm das auf sie selbst bezogene »geschieden« verdammt flüssig über die Lippen kam. Bis jetzt hatte er es nicht nötig gehabt, sich mit Kindfrauen zu schmücken, diese da könnte seine Tochter sein.

»Angenehm«, sagte die Könnte-sein-Tochter und streckte eine Hand aus.

Caroline streifte die Hand mit den Fingerspitzen und hakte sich dann spontan bei ihrem Standleiter ein, der die kleine Szene interessiert verfolgte. »Wir müssen los«, sagte sie.

»Wie?«, fragte Hans-Joachim Schmitter. Er sah von dem fremden Paar vor sich auf Carolines Hand in seiner Armbeuge. »Ah ja«, er lächelte breit, »wir müssen wirklich, einen schönen Abend noch.«

»Dann bis Samstag, wie immer, ich bringe Kuchen mit«, sagte Horst Weber und sah Caroline an.

Wie hört sich das denn an, dachte sie, da könnte ein Fremder ja auf sonst etwas kommen. »Deine Tochter wird sich über deinen Besuch freuen«, sagte sie laut und ließ sich mit einem allgemeinen »Adieu!« auf den Rücksitz des Taxis bugsieren, das die Taxi-Schlange vor den Messehallen anführte. Herr Schmitter hielt die Beifahrertür für ihre Kollegin auf und gesellte sich dann zu Caroline. Er beugte sich kurz vor und nannte das Fahrtziel, es war ein französischer Name. Als er sich zurücklehnte, fuhr seine Hand haltsuchend aus und umschloß Carolines Knie.

Caroline sah nach hinten, wo gerade ihr geschiedener Mann die Beifahrertür des nächsten Taxis für seine hübsche, junge Begleiterin aufhielt. Er schloß die Tür, winkte kurz und steuerte den dritten Wagen in der Schlange an.

Caroline schubste die Hand auf ihrem Knie weg. Was dachte der Typ sich eigentlich? Sie war keine Frau für eine schnelle Nummer, und für Spesenritter hatte sie erst recht nichts übrig. Dann aß sie schon lieber Reibekuchen.

Kapitel 2
Medium Caroline wird entdeckt

Über der Zufahrt stand »Tor fünf«. Caroline sah sicherheitshalber noch einmal auf ihre Einladungskarte, bevor sie den Mini über das Kopfsteinpflaster auf den Fabrikhof holpern ließ. Zwei gußeiserne Laternen flankierten den Eingang zu dem alten Backsteingebäude, in dem früher Kerzen gegossen wurden. Die Wachsfabrik war zur Künstlerkolonie umfunktioniert worden, es wurde jetzt gemalt, in Stein gehauen, auf Spitze getanzt und avantgardistisches Theater geprobt, inzwischen wurde hier sogar gefilmt. Caroline überlegte, ob die gußeisernen Laternen nachträglich installiert worden waren. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß ein Fabrikbesitzer seine Arbeiter mit romantischem Schummerlicht verwöhnt hatte. Natürlich gab es um die Jahrhundertwende noch keine Flutlichtanlagen, gottlob gab es die noch nicht. Caroline gefielen das unruhig flackernde gelbe Licht und der Backsteinbau und das Kopfsteinpflaster auf dem Hof, nur die endlosen Autoreihen gefielen ihr nicht. Sie paßten nicht ins Bild.

Caroline fuhr langsam auf die Autokolonne zu, die von einem nicht sehr breiten Weg in zwei Packen geteilt wurde. Caroline passierte die erste und zweite und dritte Reihe, sie konnte schon erkennen, wo das Kopfsteinpflaster aufhörte und der Lehmboden anfing. Dort rechts war noch ein freier Fleck, Caroline blinkte und hupte. Ein Oldtimer versperrte ihr den Weg, das Fenster auf der Fahrerseite war heruntergekurbelt, und ein Mann beugte sich weit in das Wageninnere vor.

Caroline sah nur ein paar knallrote Rockschöße und eine Kelle wippen, bei dem Mann mußte es sich um einen Parkwächter handeln. Caroline hupte noch einmal, schließlich wurde ein Parkwächter nicht zum Schwätzen eingestellt. Diesmal richtete der Mann sich auf. Weg frei, signalisierte Caroline. Bei jedem Blinkzeichen gab es ein lautes Klicken.

Der Parkwächter wandte dem Blinken des roten Minis erneut den Rücken zu und lotste den Fahrer des Oldies zu der freien Stelle, die Caroline gesichtet hatte. Anscheinend hatte der fremde Fahrer keine Lust zum Kurbeln, jedenfalls blockierte er gleich zwei Stellflächen. Der Rotberockte sagte nichts dazu. Caroline hätte liebend gerne etwas zu dem Schnösel gesagt, der sich auf anderer Leute Kosten breitmachte und jetzt im Vorbeigehen seinen schwarzen Trenchcoat um sich wickelte, als ob er Angst hätte, Carolines rotlackierter Mini könnte abfärben. »Pfeifenkopf!«, sagte Caroline, aber der schwarze Trenchcoat ging einfach weiter, sie sah nur noch den Mantelstoff im Rückspiegel aufflattern. Caroline hätte wetten mögen, daß so einer Pfeife rauchte. Pfeifenraucher schafften es locker, einen ganzen Raum im Alleingang zu verpesten. Wütend kurbelte sie nach rechts, für sie war noch immer Platz genug neben dem quergeparkten Oldtimer, ein Mini hatte eben auch seine Vorteile.

Der Parkwächter winkte ab. Er streckte den Arm durch, winkelte ihn an, streckte ihn wieder durch. Sie sollte geradeaus weiterfahren.

Caroline schüttelte den Kopf und zeigte mit dem Zeigefinger auf die freie Stellfläche neben dem Oldie.

Der Parkwächter schüttelte auch den Kopf und bewegte die Lippen und baute sich breitbeinig vor dem freien Platz auf, den er auf diese Weise für reserviert erklärte.

»Lackaffe!«, sagte Caroline, sie wiederholte das Wort, aber es blieb in ihrem Kleinwagen gefangen, und der Mann, dem es galt, machte sich nicht einmal die Mühe, zu ihr hinzusehen. Caroline schaltete und fuhr weiter, der Weg wurde holprig, irgendwo dort hinten fing der Acker an. Mit Lehmklumpen an den Schuhen würde sie großartig aussehen, am besten machte sie gleich kehrt. Caroline hob den Fuß vom Gaspedal. Wieder vorbei an dem affig aufgeputzten Wächter? Caroline senkte den Gasfuß wieder, sie mußte ja nicht lange bleiben. Wenn Fernsehstar Janus Acht seine Party in der alten Wachsfabrik genauso affig abzog, wie er diesen Parkwächter kostümiert hatte, gab sie glatt ihrem Fernseher daheim den Vorzug. Caroline überlegte, ob sie noch Walnußeis im Kühlschrank hatte. Sie liebte dieses cremige Eis mit den ganzen Nüssen. Eigentlich müßten noch drei Pakete da sein, außer Elfi hatte wieder zugeschlagen.

Die Autoreihen lichteten sich. Caroline parkte ihren roten Mini ein. Vor ihr begann der freie Acker, sie hatte es geahnt, die beiden Autos rechts und links von ihr waren auch nichts Besonderes. Caroline beschloß, ihre Pumps erst kurz vor dem Eingang anzuziehen, und marschierte los, auf Sportschuhen zum Minikleid. Zum Glück war es stockfinster, das Schummerlicht der nostalgischen Ampeln reichte nicht bis zum Boden. Der Lichtkegel einer Taschenlampe erfaßte Caroline. »Sie sind der rote Mini?«, fragte der Rotberockte und musterte beifällig Carolines zartbestrumpfte Beine. Viel Strumpf und viel Bein.

»Führen Sie Selbstgespräche? Ich bin kein roter Mini.« Caroline fixierte die rote Jacke, vermutlich stammte die aus dem Kostümfundus, ein TV-Fernsehmoderator hatte garantiert freien Zugriff auf öffentlich-rechtliche Kostümkammern.

Der Lichtkegel drehte auf. Caroline kniff die Augen zu, es war ein Reflex, dann folgte sie mit geöffneten Augen dem Blick des Rotrocks hin zu ihren Füßen. Die Schuhe waren uralt, zugegeben, aber superbequem. Die Schuhe paßten zu Carolines Auto, vermutlich schätzte der Typ sich jetzt selbst als Top-Psychologen ein. Carolines Minikleid und ihre Beine hätten ihn rumkriegen können, aber er hatte sie instinktiv richtig eingeordnet und weitergewunken zum freien Acker.

Caroline steuerte auf den Eingang zu, sie spürte die Parkwächteraugen auf ihrem Rücken kleben. Solange er ihr hinterher starrte, konnte sie ihre Pumps nicht anziehen. Caroline schwenkte in die Reihe der Nobelautos ab, kauerte sich hin, öffnete ihren Beutel, vertauschte Pumps gegen Sportschuh, links und rechts, bitte nicht wackeln, geschafft!

»Suchen Sie etwas?«, fragte jemand.

»Nee.« Caroline raffte ihren Beutel an sich und düste los, zweimal knickte sie um, nur rein ins Partygewühl. Janus Acht hatte ganze Hundertschaften zu seiner Party geladen, dort drinnen würde niemand die »Nee«-Sagerin erkennen, die zwischen fremden Nobelautos auf der Erde herumkroch.

Caroline betrat die Fabrik, doch statt des erwarteten Trubels empfing sie Stille. Sie sah sich um. Backsteinmauern und in der Mitte zwei seltsame Objekte aus Draht, die glatt als Geschwister jener Sperrmüllkonstruktionen hätten durchgehen können, mit denen ihr geschiedener Mann seinen Garten bestückte und deshalb vor den Kadi mußte. Schließlich waren die Nachbarn extra wegen der unverbauten schönen Natur aufs Land hinaus gezogen.

»Ihre Einladung, bitte!«

»Wie?« Caroline zuckte zusammen. Sie mochte es nicht, wenn einer sich von hinten anschlich.

»Oder haben Sie keine Einladung?«

Caroline musterte den jungen Mann, der genau wie sein Kumpel draußen auf dem Parkplatz in einer roten Jacke steckte. Sonderlich originell fand Caroline die Idee nicht, von einem Freizeitkünstler mit eigener TV-Show hätte sie sich etwas Pfiffigeres erwartet. Auf der »Intersurf« in Friedrichshafen hatte Janus Acht sich wie King Kong persönlich gebärdet, und als er Caroline die Einladung zu seiner Party zusteckte, hatte sie sich ebenfalls großartig gefühlt. Ihre Kollegin war immerhin leer ausgegangen. Ein paar Tage lang hatte Caroline sogar auf einen persönlichen Anruf von Janus Acht gewartet.

»Natürlich habe ich eine Einladung. Moment.« Caroline steckte die Hand in ihren Lederbeutel, es gab ein seltsames Geräusch, als die Sohlen der Sportschuhe in dem Beutel aneinander schürgelten. Dann bekam Caroline ein Stück Papier zu fassen. Endlich. »Hier!« Sie hielt dem Mann die gedruckte Karte hin.

»Danke.« Der Mann verschränkte hastig die Arme hinter dem Rücken. »Das genügt. Bitte dort links.«

Caroline sah auf die Karte. Der Typ starrte auf ihre Einladung, als ob es sich um eine Viper handelte. Mindestens. Caroline sah ihre Hand, die war mit Drecksbröckchen garniert, die Fingernägel waren schwarz verkrustet. Ihre Hand war die Viper. Scheiße! »Wo geht’s hier zu Damen?«, fragte sie laut.

»Damen?«, wiederholte der Mann anzüglich, dann zeigte er nach rechts. »Für Damen geht es immer dem Schild nach und die Treppe hinunter.«

»Wie im richtigen Leben«, sagte Caroline und folgte dem Schild. Natürlich gab es hier unten nicht den winzigsten Notausgang, jedenfalls suchte sie vergeblich nach dem Symbol mit dem flüchtenden Männchen. Mein Pechtag, befand Caroline und beschloß, sich gleich möglichst unauffällig in irgendeine dunkle Ecke zu setzen, wo ihr nichts Spektakuläres mehr passieren konnte.

Vielleicht hatte Elfi ihr wenigstens ein Paket Walnußeis übriggelassen. Eins von drei Paketen. Während Caroline ihre Dreckshand unter fließend kaltem Wasser schrubbte, klammerte sie sich an das Bild und den Geschmack von Walnußeis, sahnig und süß und mit ganzen Nüssen.

»Hi!«, sagte Janus Acht, als Caroline ein paar Minuten später auf ihn zusteuerte. Er stand in der weit geöffneten Flügeltür, die zu der ehemaligen Gießerei führte. Sein Blick streifte flüchtig über Carolines Gesicht und heftete sich dann auf jemanden, der hinter ihr kam. »Hi!«, hörte sie ihn wieder sagen, und dann hörte sie noch ein schmatzendes Geräusch, wie es gelegentlich beim Schauküssen entstand. Es schmatzte dreimal. Caroline hielt nicht viel vom Schauküssen, überhaupt war dieser Janus Acht nicht ihr Typ.

Caroline ging weiter, im Hintergrund vertiefte sich das Mauerwerk zu Nischen, eine Nische war noch frei. Caroline setzte sich auf die Holzbank, immerhin stufte der Kellner sie als regulären Gast ein und versorgte sie mit einem Glas. Es schmeckte nicht schlecht, ziemlich süffig, nach Kokosmilch und Ananas. Caroline schlürfte und sah sich um. Viel sehen konnte sie hier nicht. Das Mauerwerk riegelte sie nach rechts und links ab, dafür hatte sie freie Sicht auf den Mittelgang und ihren Gastgeber zwischen den Flügeltüren. Nach drei Longdrinks und etlichen Salzstangen hatte Caroline dessen Begrüßungsritual voll durchschaut. Es umfaßte »Hi!«, »Hi!« plus Handschlag und »Hi!« plus einmal oder dreimal küssen. Caroline zählte genau mit, zweimal küssen kam nicht vor.

Schlag zehn wurde eine Flügeltürhälfte zugezogen, dafür öffnete sich am anderen Ende des Hauptgangs eine kleinere Tür, durch die vier bildhübsche Jünglinge in bodenlangen weißen Schürzen Kupferkasserollen zu dem auf einem langen Tisch vorbereiteten Büfett trugen. Janus Acht pendelte nun zwischen Flügeltür und Küche hin und her, die allgemeine Aufmerksamkeit verlagerte sich Richtung Essengeruch, es duftete intensiv nach Curry und anderen exotischen Gerüchen. Janus Acht war für seinen exotischen Geschmack bekannt, Caroline erinnerte sich an einen Beitrag in der beliebten Fernsehsendung »hobby&kreativ«, bei der Janus Acht selbst am Wok gestanden und asiatische Küche zelebriert hatte.

»Hi!«, sagte eine fremde Stimme am Eingang. Caroline sah nicht hin, sie überlegte gerade, ob sie noch etwas essen sollte, bevor sie ging. Es war Elfi glatt zuzutrauen, daß sie alle drei Pakete Walnußeis verputzt hatte ...

»Hi!«, erwiderte der Gastgeber, leicht atemlos, weil er soeben die Warmhalteplatten kontrolliert hatte und es bis zum Eingang bestimmt fünfzehn Meter waren. Dann folgte das dreifache Schauküssen, begleitet von Fotoblitzen und gefolgt von vielstimmig gemurmeltem »Hi!«. Der späte Gast schien bekannt zu sein, er nickte nach rechts und nach links und kam immer näher auf Caroline zu. Er war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, nur das Sakko und die Brille und ein Punkt auf seiner Brust leuchteten rot. Caroline kannte den Mann nicht. Sie wandte sich wieder dem Büfett zu, sie hatte Hunger, leicht schwummrig war ihr auch. Diese Drinks enthielten garantiert nicht nur Kokosmilch und Fruchtsaft.

»Hi! Wir kennen uns noch nicht, stimmt’s?«

Caroline drehte sich nach der Stimme dicht neben sich um, sie sah auf eine schwarze Front. Die Front war ein Herrenhemd, wie ihr rasch klar wurde, und darüber baumelte eine schwarze Krawatte mit einem roten Auge in der Mitte, sogar die Iris war rot. Alles, was Caroline sah, war rot oder schwarz, sie sah an dem Mann hoch und blieb an dem sonnengebräunten Gesicht hängen.

»Stimmt«, sagte sie und überlegte, ob die Augen hinter dem roten Brillengestell schwarz waren, rot waren sie vermutlich nicht. Caroline kicherte, weil ihr das weiße Kaninchen von ihrem geschiedenen Mann einfiel, das hatte wirklich rote Augen. Karnickel Cäsar war ein Albino.

»Darf ich mitlachen?«, fragte der Mann, den jeder kannte, nur Caroline nicht.

»Weiß nicht«, antwortete Caroline und unterdrückte krampfhaft ein neues Kichern. Sie wurde einfach die roten Albinoaugen von dem Karnickel nicht los, im Moment trug das Viech ein schwarzes Seidenhemd zu weitgeschnittenen schwarzen Hosen, das sah einfach urkomisch aus.

»Was müßte ich denn tun, um bei Ihnen mitlachen zu dürfen?«, fragte der Fremde.

»’ne Tierstimme nachmachen, aber richtig laut, die von ’nem Karnickel«, platzte Caroline heraus.

Diesmal konnte sie das Kichern nicht mehr unterdrücken, es schwappte aus ihr. In ihrem Kopf schoben sich das sonnengebräunte Männergesicht mit der roten Brille und der weiße Kaninchenkopf mit den Albinoaugen ineinander, die Kiefer sprangen auf, gleich kam der Brüll.

Caroline schlug sich gegen die Stirn, sie hatte vergessen, daß Cäsar stumm war, auf den Brüll konnte sie hundert Jahre warten ...

»Gurrrhbirrrhkrarrr ...«, die Stimme knatterte und schraubte sich hoch.

»Psst«, machte Caroline, der Typ war ja noch abgefüllter als sie selbst. Bei diesen Urlauten wurde sie regelrecht nüchtern, gerade nüchtern genug, um das Starren ringsum zu registrieren. Eigentlich cool, dachte sie, wie dieser Fremde da auf mein Kommando hin losröhrt. Sie würde ihm nicht verraten, daß Kaninchen tierisch stumme Geschöpfe waren. Das Gefühl von Peinlichkeit wich einem Anflug von Genugtuung.

Das »Gurrrhbiurrhkrarrr« verebbte, der Mann sank erschöpft neben Caroline auf die Holzbank und faßte sich an die Stirn. »Ich fasse es nicht«, sagte er.

»Halb so wild.« Caroline nickte Richtung Büfett. »Gleich beginnt die Fütterung der Raubtiere, dann denkt keiner mehr an unsere Tierstimmennummer, es muß Ihnen nicht peinlich sein, ehrlich nicht.«

»Es ist mir nicht peinlich. Es ist phänomenal. Es ist gigantisch. Könnten Sie sich vorstellen, mein Medium zu sein?«

»Ihr was?« Caroline raffte den Rockschlitz über ihren Schenkeln zusammen, die Medium-Masche kannte sie noch nicht.

»Oder sind Sie eine Kollegin?«

»Wie?« Caroline wurde es unheimlich, so besoffen konnte der Typ nicht sein, daß er sie plötzlich für die Kollegin von Karnickel Cäsar hielt, wo er das Karnickel doch nicht einmal kannte.

»Nein«, sagte der Mann und griff nach Carolines Händen, nach beiden gleichzeitig, seine Hände fühlten sich sehr weich an. »Nein«, wiederholte er, »Sie sind niemals eine professionelle Seelenschnüfflerin, bei Ihnen kommt es aus dem Bauch, tief aus dem Bauch, und ich habe es sofort gespürt, als ich dort durch jene Flügeltür trat. Sie sind phantastisch.«

Phantastisch? Caroline nahm sich vor, ab morgen nur noch mit Gummihandschuhen zu spülen und zu putzen. Es war peinlich, rauhere Hände als ein Mann zu haben, besonders wenn der sie phantastisch fand.

Ringsum nahm der Curryduft zu. Die zweite Flügeltürhälfte klappte nun ebenfalls zu. Ein Gong dröhnte, Janus Acht sprach ein paar Worte und wurde mit Klatschen belohnt, dann drängte und schob es über den Mittelgang auf die weiß verhängten Tische mit den dampfenden Messingkasserollen zu. Porzellan und Besteck klapperten, das Stimmengemurmel ringsum wurde leiser.

Caroline hatte ihren Hunger vergessen. Sie war ein Medium und phantastisch, und dieser Mann hatte sie unter Hunderten entdeckt. Ab und zu schlürfte sie an ihrer Piña Colada; sobald das Glas leer war, brachte der Kellner ihr ein neues, der Service stimmte, alles stimmte. Er hatte sie unter Tausenden herausgefunden ...

»Und Sie haben es sofort gespürt?«, fragte Caroline.

»Sofort«, sagte er. »Ich kam herein und wußte, sie ist da. Du bist da. Ich darf doch du sagen?«

»Klar«, sagte Caroline und hangelte mit dem Sticker nach einem Stück Ananas, das ihr immer wieder in das hohe Glas zurückflutschte. Schließlich verlor sie die Geduld und faßte mit zwei Fingern nach, bekam das Fruchtstück zu fassen und steckte es in den Mund.

»Super«, sagte er, »genau das ist es, du bist Frau aus dem Bauch heraus und mit den Fingern und mit allem, was dazu gehört, keine von diesen Klugscheißerinnen. Als du wolltest, daß ich laut für dich brülle, kamen mir ganz kurz Zweifel an dir, du mußt mir verzeihen, verzeihst du mir?«

»Verzeihen? Okay, ich verzeih’ dir.« Caroline stocherte in dem Mud auf dem Boden ihres Glases, vielleicht hatte sich dort noch ein Fruchtmoppen versteckt. Die Dinger waren absolut köstlich. Caroline schleckte den Sticker ab. »Hm! – Und was verzeih’ ich dir?«

»Wenn du gewußt hättest, wer ich bin, wär’s Betrug gewesen. Einen Moment lang habe ich geglaubt, du wolltest mich mit dieser Tierstimmen-Masche einfangen.«

»Und ich hab’ geglaubt, du reitest die Medium-Masche, also sind wir quitt.«

»Quitt? Herrlich! Quitt ist ein herrliches Wort, so klar und präzise, einfach herrlich.«

»Und was bist du?«, fragte Caroline. Abgesehen davon, daß er ihr Entdecker war, wußte sie verflixt wenig von ihm.

»Warum willst du das plötzlich wissen?«, fragte er und schob das rote Brillengestell auf seine Stirn hoch, wo es wie ein zweites Paar Augen sitzen blieb.

»Weil ich keine Lust habe, das Medium von einem Schlachtermeister zu sein, deshalb.«

»Schlachtermeister?« Sein Kopf schwang zurück und wieder vor, die Brille fiel zurück auf die Nase. »Schlachtermeister ist herrlich, du bist wie eine Quelle, so ...«

»... klar und präzise«, ergänzte Caroline und dachte, daß er sich in diesem Punkt ruhig eine Scheibe von ihr abschneiden sollte. »Und was bist du also?«

»Simon Hill«, sagte er.

»Engländer?«, fragte Caroline und wunderte sich über sein akzentfreies Deutsch.

»Psychologe«, sagte er, »der Psychologe Simon Hill.«

»Der Psychologe?«, wiederholte Caroline und betonte ebenfalls das »der« vor dem Psychologen.

Sie kannte sich einfach nicht mit Seelenschnüfflern aus, aber anscheinend mußte man ihn kennen, die anderen Gäste schienen ihn zu kennen. »Hast du vielleicht ein Buch geschrieben oder so?«

»Mehrere.« Simon Hill nickte, dann senkte er die Stimme »Mein Spezialgebiet ist der Urschrei.«

»Irre!« Caroline klappte die Hand vor den Mund, möglicherweise empfand einer, der es beruflich mehr oder weniger mit Irren zu tun hatte, dieses Wort eher als Kränkung. »Hast du schlimme Fälle dabei?«, fuhr sie hastig fort. »Irre, meine ich.«

Simon Hill öffnete beide Arme und ließ die Handteller auf und nieder wippen. »Hier sitzen sie«, sagte er, »die großen Gurus der Wirtschaft und der Politik und der schönen Künste.«

Caroline drehte den Zeigefinger an ihrer Stirn hin und her. »Du meinst, die sind alle plemplem?«

»Pssst!«, machte Simon Hill und griff nach ihrer Hand, »sie sind nur krank, weil sie es verloren haben.« Der Psychologe pochte mit Carolines Hand gegen seinen Bauch.

Caroline blinzelte und überlegte, ob der über dem Schritt hochgeschobene Stoff eine Folge des legeren Hosenschnitts war oder eher eine biologische Ursache hatte. Ihre Hand war direkt darüber. »Es?«, fragte Caroline und leckte sich über die Lippen.

»Es«, wiederholte er, seine Stimme wurde tief, und die Hand mit ihrer Hand rutschte auch tiefer, der Stoff gab nach, darunter leistete es Widerstand. »Das Urgefühl ganz tief unten, verstehst du?«

Caroline stieß mit der Fingerspitze gegen Metall, das mußte. der Reißverschluß sein, sonst war da nichts. »Verstehe«, sagte sie und dachte an ihr Walnußeis. Es war Betrug, wenn einer ihr stundenlang erzählte, wie phantastisch sie war, und dann nichts als Bundfalten und kluge Sprüche über Urgefühle aufstellte. »Hallo!« Sie schnipste nach dem Kellner. »Haben Sie vielleicht Walnußeis?«

Der Kellner schüttelte bedauernd den Kopf. »Aber wir haben Tiramisu und Mousse au chocolat und Zabaione und ein absolut köstliches Zimtparfait.«

»Haben Sie wenigstens Webers Rollschinken?«, fragte Caroline. Sie wußte selbst nicht, warum sie ausgerechnet jetzt nach der Spezialität aus der Wurstküche ihres geschiedenen Mannes fragte. Sie hatte absolut kein Faible für Wurst und Fleisch.

»Ich müßte nachfragen«, sagte der Kellner unsicher und verschwand.

»Ist das ein Code?«, fragte Janus Acht.

»Was?«, fragte Caroline zurück.

»Der Rollschinken. Es hört sich an wie ein Geheimcode.«

»Klar, und ich bin die Braut von 007, und wenn mir das nicht langt, anderer Leute Medium.«

»Mein Medium! Wir müssen uns wiedersehen, ich muß dir den Urschrei erklären, der Urschrei ist mein Spezialgebiet. Ist das nicht phänomenal? Du läßt einen Fremden für dich brüllen, und der Fremde ist Urschrei-Experte.«

»Phänomenal.« Caroline stand auf. »Ich muß jetzt los, kannst du mir mal ein Walnußeis rufen?«

»Wie bitte?«

»Ein Taxi, meine ich. Ruf mich mal an, okay?«

»Und wer bist du?«

»Medium Caroline, weißt du doch, hast du doch direkt gespürt. Hi!« Caroline stolperte los, plötzlich rumorte und blubberte es in ihr. Sie hätte schwören mögen, daß der Eingang eben viel breiter gewesen war. Hier war es eng und roch nach Essen. Caroline hielt sich die Hand vor den Mund und blähte die Backen auf, das fehlte noch: Medium Caroline kotzt auf Prominentenparty!

»Meine Dame, hier ist die Küche«, sagte eine Stimme, und ein Kopf mit einer weißen Röhre obenauf ruckte vor und zurück. Das Rucken machte Caroline total schwindlig.

»Ich will aber heim«, sagte sie und kniff die Augen zu.

»Natürlich!« Jemand faßte ihren Arm und geleitete sie hinaus in eine Halle, die ihr vage bekannt vorkam. In der Mitte standen zwei klapperdürre Riesen, so dürr wie die waren, könnten die glatt aus der Sperrmüllfabrikation von Gatte Horst Weber stammen.

»Hi Hörstchen!« Caroline tippte gegen einen der Riesen, er schepperte blechern, Caroline fügte trotzdem ein »’n Abend« hinzu, schließlich war sie gut erzogen.

»Hörstchen?«, fragte der Jüngling.

»Das da ist Hörstchen«, Caroline tippte noch einmal gegen den Drahtmann, »er ist der Kumpel von meinem Mann, von meinem geschiedenen Mann, aber ich sag’ ihm trotzdem guten Abend, wir haben nämlich keinen Krach, überhaupt nicht. Im Grunde sind wir weiter gute Kumpel, und ’ne Tochter haben wir auch, die ist aber ein Biest. Ich glaube, mir wird schlecht.« Caroline griff nach dem Blechriesen, der ging als erster zu Boden, dabei machte er einen Höllenlärm. Dann ging Caroline zu Boden, sie verursachte keinen Lärm, wenigstens hörte sie selbst nichts.

Als Caroline sich wieder auf dem Steinboden aufrichtete, sah sie lauter Schuhspitzen. Es wimmelte von Schuhspitzen. Sie kniff die Augen zu. Weg da!

Jemand beugte sich über sie. »Hallo!« Die Stimme kannte sie.

»Ich bin verreist«, flüsterte sie. Und dann war sie wirklich verreist, sie wachte erst wieder auf, als ein paar müde Morgensonnenstrahlen über die schwarze Bettwäsche krochen. Caroline besaß keine schwarze Bettwäsche. Sie lag in einem fremden Bett.

Kapitel 3
In einem fremden Bett

Caroline kniff die Augen rasch wieder zu. Manchmal wirkte das: Augen zu, und der Spuk war vorbei. Sie horchte, alles blieb still, es könnte mitten in der Nacht sein, wenn nicht dieses gelbe Band vor ihren geschlossenen Lidern läge, nachts war das schwarz. Caroline blinzelte vorsichtig, das gelbe Flimmern verschwand und machte etwas Schwarzem Platz, doch das war nicht die Farbe der Nacht, es war dieses verfluchte Bettzeug, das sie nicht kannte. Sie war noch nie zuvor in wildfremdem Bettzeug aufgewacht. Dieses Schwarz hatte etwas Morbides, fand Caroline.

»Hi!«, sagte jemand neben ihr.

»Huch!« Caroline verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Arme waren nackt, und neben ihr, das war ein Mann. Jedenfalls hörte er sich an wie ein Mann.

»Geht’s dir wieder besser?«, fragte der Mann.

»Weiß nicht.« Caroline überlegte, worauf dieses »besser« sich bezog, es mußte ihr demnach schlecht gegangen sein, und der Typ wußte davon. Er wußte mehr als sie selbst.

»Du warst total hinüber.«

»O Gott!«

»Und sehr süß ...«

»O-Gott-o-Gott!« Caroline hob vorsichtig den schwarzglänzenden Bezug an, er fühlte sich an wie Seide. Sie sah an sich hinab und atmete auf. Wenigstens hatte sie noch ihren Büstenhalter und ihr Höschen und ihre Strumpfhosen an, nur das Kleid und die Schuhe fehlten. Ein Sittlichkeitsverbrecher würde sich wohl kaum die Mühe machen, sein Opfer hinterher wieder so ordentlich zu verpacken, diese Nylons mit Naht waren schon für sie als Frau ein Problem.

»Du bist wirklich süß«, sagte der Mann.

»Na ja, also das ist so ...«, Caroline blinzelte zur Seite, schließlich war sie kein Teeny mehr, dieses »süß« konnte alles mögliche bedeuten, »naiv« zum Beispiel. Eine Naive von Mitte Dreißig war eine Fehlbesetzung, Caroline ließ die schwarze Seide ein Stück tiefer gleiten und sah den Mann an. Ein fremder Mann. Caroline schluckte. Wieso war sie mit einem Wildfremden ins Bett gegangen? Wieso war nichts passiert?

Der Fremde griff zur Seite, dort stand ein niedriger Tisch. Seine Fingernägel ratschten über die Glasplatte, die Hand kam zurück und stülpte etwas auf seinen Nasenrücken. Ein Brillengestell, ein sehr auffälliges leuchtend rotes Gestell.

»Der Psychologe«, rief Caroline, »fehlt nur noch das rote Auge hier.« Sie tippte sich gegen die Brust.