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Das Buch

 

Das Jahr 2078: Das Leben auf der Erde ist durch Rohstoffausbeutung und Umweltverschmutzung beinahe unmöglich geworden. Die Menschen haben deshalb damit begonnen, den Mars durch Terraforming in einen bewohnbaren Planeten zu verwandeln. Während eines Routineeinsatzes entdeckt Ingenieurin Elisabeth Newman in der Nähe des Vulkans Olympus Mons ein fremdes Artefakt, das offenbar vor langer Zeit von unbekannten Wesen auf dem Roten Planeten zurückgelassen wurde. Diese Entdeckung könnte die Rettung der Menschheit bedeuten - oder ihren Untergang.

 

 

 

Der Autor

 

Sven Wedekin, geboren 1978, begeistert sich schon seit jungen Jahren für das phantastische Genre. Der Hildesheimer Autor veröffentlichte bereits zahlreiche Artikel im Corona Magazine und legt nun mit Das erste Kind seinen ersten Science-Fiction-Roman vor.

Sven Wedekin

 


 

DAS ERSTE KIND

 

 

Roman

 

 

 

 

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Originalveröffentlichung

 

© 2015 Verlag in Farbe und Bunt

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Veröffentlichung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten.

Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Alle Rechte liegen beim Verlag.

 

Cover-Gestaltung: Stefanie Kurt

Cover-Bild: NASA/JPL-Caltech/Cornell, Univ./Arizona State Univ.

Satz: Winfried Brand

verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Bettina Petrik

Korrektorat: Nadine Sönnichsen

 

Herstellung und Verlag:

in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

Kruppstraße 82 - 100

45145 Essen

 

www.ifub-verlag.de

 

ISBN Taschenbuch: 978-3-941864-40-5

ISBN E-Book: 978-3-941864-41-2

ISBN Audiobuch: 978-3-941864-42-9

Prolog

 

Ethan wusste ganz genau, dass er es sich nicht leisten konnte, schon wieder zu spät zu kommen. Er hatte schon lange aufgehört zu zählen, wie oft es ihm bereits passiert war.

Trotzdem hatte er wieder einmal die Zeit vergessen und musste sich nun beeilen, denn bis der Unterricht begann, blieben ihm nicht einmal mehr zehn Minuten. Zwar rechnete er nicht damit, dass Mister Archer wütend sein würde – Ethan wusste ja, dass er die personifizierte Nachsicht war – trotzdem wollte er ihn nicht enttäuschen, indem er wieder einmal als Einziger der Klasse nicht pünktlich erschien.

Am Abend zuvor war er mal wieder unter dem freien Sternenhimmel eingeschlafen und erst bei Sonnenaufgang erwacht. Für ihn gab es nichts Schöneres als abends hinauszugehen – selbstverständlich mit Erlaubnis seiner Eltern – um diesen magischen Blick auf die untergehende Sonne über dem Flusstal zu erleben. Er hatte sein ganzes zwölf Jahre langes Leben auf diesem Planeten verbracht und hatte den Anblick schon so oft erlebt, aber nach wie vor fesselte er ihn mehr als es die Computerspiele seines älteren Bruders jemals hätten tun können.

Seine Eltern waren stolz darauf, dass ihr Sohn so naturverbunden war. Nie hatte er die Wunder der Welt, die ihn umgaben, als selbstverständlich betrachtet. Es machte sie glücklich, dass sich Ethan des Werts jedes einzelnen Baumes, jedes Busches, jedes Sees und jeder Wiese bewusst war. Er liebte die Natur über alles und war viel lieber an einem milden Frühlingstag draußen an der frischen Luft als in ihrem furchtbar sterilen Familienbungalow.

Trotzdem war er sich darüber im Klaren, dass es vor allem seine Mutter nicht gerne sah, wenn er den Aufenthalt im Wald wichtiger nahm als die Schule. Er hatte sie daher dazu überredet, die Nacht bei seinem besten Freund Oren verbringen zu dürfen. Ethan wusste, wie gut sich seine und dessen Eltern kannten und dass sie ihnen absolut vertrauten.

Nach dem Abendessen konnte er sich dann mit Orens Hilfe heimlich aus dem Haus stehlen und zu seinem Lieblingsplatz laufen, um auf den einen Moment zu warten, an dem ein rot glühender Feuerball hinter den Bergen am Horizont verschwand, während vielleicht ein Schwarm Vögel in der Ferne vorbeizog.

Bei diesem für Ethan so besonderen Ort handelte es sich um die Bruchkante eines tiefen Canyons, der erheblich größer war als der Grand Canyon auf der Erde, von dem er in der Schule gehört hatte. Ethan ließ sich immer direkt daran nieder und schaute hinab, dorthin, wo sich unter ihm ein kilometertiefer Graben erstreckte, der mit abertausenden Nadelbäumen übersät war. Der Anblick wirkte, als wäre ein gewaltiger Asteroid an der Planetenoberfläche entlang geschrammt und hätte dadurch diese tausende Kilometer lange Furche gerissen, nur um anschließend ungerührt weiterzufliegen.

Ethan war noch zu jung, um sich ernsthaft für Mädchen zu interessieren – er empfand sie als schwierige, oft besserwisserische Quälgeister. Dass er sich eines Tages verlieben und die Frau seiner Träume an einem schönen warmen Frühlingsabend auch einmal hierherführen würde, um ihr den Sonnenuntergang zu zeigen, so wie es sein Vater lange vor seiner Geburt mit seiner Mutter getan hatte, konnte er sich im Moment beim besten Willen nicht vorstellen. Ethan wollte diesen Platz niemals mit einer anderen Person, egal ob männlich oder weiblich, teilen. Er war davon überzeugt, dass absolut niemand von dessen Existenz wusste, weder seine Eltern noch sein Lehrer, noch nicht einmal Oren, vor dem er sonst keine Geheimnisse hatte.

Dieser besondere Platz gehörte nur ihm allein. Es war für ihn der einzige, an dem er völlig ungestört seinen Gedanken nachhängen konnte, ohne von irgendetwas abgelenkt zu werden.

Leider kam es dabei nur allzu oft vor, dass er die Zeit komplett vergaß und einschlief, sobald die Sonne untergegangen war. Die glasklare Luft, völlig frei von jeglichen Schadstoffen, hatte eine dermaßen beruhigende Wirkung auf ihn, dass er seine Augen nach Einbruch der Dunkelheit einfach nicht mehr offen halten konnte. Bei Mister Archer hatte er gelernt, dass es keine Selbstverständlichkeit war, eine dermaßen reine Luft atmen zu dürfen.

Ethans Vorfahren auf der Erde waren, vor allem in den größeren Städten, oft dazu gezwungen gewesen, einen Mundschutz zu tragen, damit der allgegenwärtige Smog nicht ihre Atemwege schädigte.

Für Ethan war es einfach unvorstellbar, wie Menschen unter solchen Umständen überhaupt leben konnten. Er kannte nur diese wunderschöne Idylle, die sein Zuhause war. Aus dem Geschichtsunterricht wusste er, dass auch die Erde vor sehr langer Zeit einmal ein solch lieblicher Ort gewesen war. Aber das war schon lange her, sogar noch vor der Geburt seiner Großeltern. Diese waren in ihre neue Heimat ausgewandert, als sie selbst noch ganz jung gewesen waren. Jung und voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft, als sie sie jemals auf der Erde hätten erwarten können. Als sie starben, war Ethan noch ein kleines Baby, sodass sie ihm nichts mehr über jene Welt erzählen konnten, die ihm selbst ebenso fremd war wie seinen Eltern.

 

Er rannte, so schnell er nur konnte, über einen schmalen Pfad, der sich durch einen Wald von Mammutbäumen schlängelte, von denen keiner weniger als hundert Meter hoch war. Ethan war ein sehr sportlicher Junge, sodass es ihm mit seinen ebenso langen wie muskulösen Beinen leicht fiel, auch längere Strecken schnell zurückzulegen, ohne eine Pause machen zu müssen. Während er lief, füllte er seine Lungen mit der glasklaren Morgenluft, was ihn zusätzlich beflügelte.

Es waren jetzt nur noch ein paar hundert Meter bis zu jenem Platz am Ufer des Flusses, an den Mister Archer den Unterricht an so herrlichen Tagen wie diesem verlegte. Ethan war froh, heute nicht in dem kleinen Klassenraum der Schule über dem schwierigen Lernstoff schwitzen zu müssen. Er wäre kaum in der Lage gewesen, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, wenn draußen Temperaturen von angenehmen 25 Grad herrschten.

Er bog um die Ecke und erreichte schließlich sein Ziel, wo er genau das Bild vorfand, vom dem er insgeheim gehofft hatte, es würde ihm vielleicht doch erspart bleiben: Die gesamte zwanzigköpfige Klasse – acht Mädchen und zwölf Jungen – hatte sich bereits zum Unterricht versammelt, und Mister Archer hatte damit begonnen, seine Geschichtslektion zu geben. Der Lehrer saß mit dem Rücken zum Fluss, dessen sauberes Wasser langsam und gemächlich bergab floss. Seine Schüler im Alter zwischen neun und zwölf Jahren saßen auf dem trockenen Gras vor ihm. Der Unterricht war offensichtlich schon seit einiger Zeit in vollem Gange.

Ethan schlich sich daher nur ganz langsam aus dem Wald hervor, in der vagen Hoffnung, seinem Lehrer wäre seine Abwesenheit bis jetzt noch gar nicht aufgefallen. Doch dies erwies sich schnell als Illusion: Als Mister Archer merkte, wie sich Ethan schwer atmend möglichst unauffällig der Gruppe hinzuzugesellen versuchte, unterbrach er sich mitten im Satz und warf ihm einen strengen Blick zu. Sofort bekam Ethan ein schlechtes Gewissen, ohne dass Mister Archer auch nur ein Wort sagen musste.

Doch er wusste, dass er, zumindest heute, wirklich nur wenige Minuten zu spät dran war und hoffte daher inständig, der Lehrer würde auch diesmal wieder Gnade walten lassen und ihm keine Strafarbeit aufbrummen.

Er machte sich bereit, Mister Archer eine möglichst überzeugend klingende Ausrede zu liefern, als dieser ihm zuvorkam: »Es sieht ganz so aus, als hättest du mal wieder die Zeit vergessen, Ethan!«

Es war nicht mit Gewissheit zu sagen, ob die Strenge in seiner Stimme nur gespielt oder echt war. Ethan beschloss es darauf ankommen zu lassen.

»Entschuldigen Sie, dass ich schon wieder zu spät bin, Mister Archer. Aber dafür kann ich mich noch ganz genau an den Unterrichtsstoff von letzter Woche erinnern!« Er bemühte sich, seine Stimme betont gelassen klingen zu lassen.

Mister Archer hob skeptisch eine Augenbraue. »Nun, da bin ich mal gespannt. Worüber genau haben wir denn in der letzten Woche gesprochen?«

Ethan spürte, wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief. Er hatte nicht gelogen mit seiner Behauptung, trotzdem fühlte er sich wie auf dem Präsentierteller, als er die Blicke seines Lehrers und aller seiner Mitschüler auf sich gerichtet spürte.

»Nun … also …«, stammelte er unsicher. »Wir haben die Erkundung des Planeten Mars in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts durchgenommen. Es ging darum, wie sich die Raumfahrtnationen der Erde untereinander einen Wettlauf darum lieferten, wer von ihnen zuerst eine bemannte Mission dorthin schickte.«

»Das ist soweit richtig«, bestätigte Mister Archer. »Und weißt du auch noch, wann genau die ersten Menschen auf dem Mars gelandet sind?«

Ethan verspürte einen Kloß im Hals. Normalerweise konnte er sich solche Daten immer sehr gut merken, aber ausgerechnet jetzt ließ ihn sein Gedächtnis im Stich.

»Also … ich bin mir nicht ganz sicher. Es war auf jeden Fall irgendwann zwischen 2030 und … und äh …« Ethan bemerkte wie einige seiner Klassenkameraden kicherten und fühlte sich dadurch nicht gerade wohler in seiner Haut.

Nach einer vollen Minute des ergebnislosen hin und her Überlegens, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, erlöste ihn Mister Archer aus seiner unangenehmen Situation.

»Schon gut. Wir haben dieses Thema beim letzten Mal noch gar nicht durchgenommen. Es steht erst für heute auf dem Lehrplan.« Er lächelte süffisant bei diesen Worten, was zur Folge hatte, dass Ethans Kopf eine deutlich sichtbare rötliche Färbung annahm.

Die meisten der anderen Kinder lachten laut auf. Ethan wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. In Mister Archers Stimme war keinerlei Spott zu hören, doch Ethan ahnte trotzdem, dass auch er innerlich lachen musste.

»Setz dich. In der nächsten Woche werden wir einen Test schreiben. Wenn du heute gut aufpasst und dabei eine gute Note schaffst, werde ich dein heutiges Zuspätkommen noch einmal vergessen.«

Das war ein faires Angebot, dachte Ethan. Auf jeden Fall bliebe es ihm dann erspart, dass Mister Archer seine Eltern über sein Fehlverhalten informieren würde. Er nickte dem Lehrer demütig zu und setzte sich ohne weiteren Kommentar auf seinen Hosenboden.

Mister Archer wandte sich an die ganze Klasse. »Also, wo waren wir stehen geblieben?«

Mehrere Kinderhände erhoben sich.

»Ja, Zoé?«

Ein etwa elfjähriges, dunkelhäutiges Mädchen erhob sich. »Sie wollten uns gerade erklären, was nach der Landung der ersten Menschen auf dem Mars passiert ist!«

Mister Archer nickte kurz. »Ah ja, genau: Also: Die erste Landung von Menschen auf dem Roten Planeten fand, wie ich vorhin bereits sagte, am 19. Oktober 2035 statt. Dies wird bis heute als die größte technische Leistung des gesamten 21. Jahrhunderts angesehen. Und noch nicht einmal zehn Jahre später, im Jahr 2043, entstand auf dem Mars bereits die erste permanent bemannte Forschungsstation. Die ersten Siedler waren fünfzehn Wissenschaftler. Es waren Astronomen, Geologen, Exobiologen und Ingenieure aus verschiedenen Nationen der Erde. Diese Kolonie bildete die Keimzelle für das ehrgeizigste Vorhaben in der Geschichte der Menschheit: das Terraforming auf dem Mars. Zu jener Zeit befand sich unsere Spezies an einem Wendepunkt. Jahrhundertelang hatten wir die natürlichen Ressourcen der Erde maßlos verschwendet, gleichzeitig sah sich unser ursprünglicher Heimatplanet mit einer unvorstellbaren Bevölkerungsexplosion konfrontiert. Die Erde war an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit gestoßen. Überall kam es zu verheerenden Naturkatastrophen, die durch den vom Menschen verursachten Klimawandel hervorgerufen wurden. Überschwemmungen, Stürme und Dürren forderten Millionen Menschenleben. Viele hatten die Zuversicht aufgegeben, dass unsere Zivilisation noch eine Zukunft hatte. Aber gegen Ende des 21. Jahrhunderts gab es einen Hoffnungsschimmer. Die Forschungsstation auf dem Mars war inzwischen zu einer großen Kolonie angewachsen. Nachdem die Eroberung des Roten Planeten immer heftiger in die Kritik geraten war, da man sie als eine unvernünftige Geld- und Ressourcenverschwendung ansah, kam es zu einem Ereignis, das für die Zukunft der Menschheit eine Bedeutung hatte, die damals noch niemand in vollem Umfang begriff.«

Ethan hob die Hand, um eine Frage zu stellen. Er hoffte insgeheim, seinen Fehler bereits jetzt durch besonderen Lerneifer wiedergutmachen zu können. »Mister Archer, was genau ist denn damals passiert?«

»Nun, das ist eine ziemlich lange Geschichte. Sie zu erzählen wird eine ganze Weile dauern.« Bei Mister Archers letzten Worten wurde sein Blick leer. Außerdem glaubte Ethan, eine gewisse Unsicherheit in der Stimme seines Lehrers vernommen zu haben.

Dadurch wurde sein Interesse nur noch weiter gesteigert. Auch seine Mitschüler lauschten ungewöhnlich stumm.

 

In der Tat war Archer unentschlossen, ob er der Klasse die Geschichte wirklich ganz erzählen sollte, obwohl er wusste, dass die Schüler alle bereits intelligent genug waren, um die Zusammenhänge zu begreifen. Seit fünfzehn Jahren arbeitete er nun schon als Lehrer, doch noch immer fühlte er sich bei dieser Lektion jedes Mal etwas unbehaglich. War es wirklich richtig, Kinder in diesem Alter bereits damit zu konfrontieren?

Sein Blick glitt von einem Zuhörer zum anderen. Alle sahen ihn mit erwartungsvollen, großen Augen an. Ethan schien ganz besonders von Neugierde erfasst zu sein.

»Was ich euch erzählen möchte«, begann Archer, »wird für manche von euch vielleicht etwas schwer zu verstehen sein. Obwohl seit damals so viele Jahre vergangen sind, haben auch wir Erwachsenen noch immer nicht ganz verstanden, was genau zu jener Zeit passiert ist.«

Einige der Schüler sahen auf einmal ausgesprochen skeptisch drein. Für sie war es wohl unvorstellbar, dass ein Erwachsener – noch dazu ein von ihnen respektierter Lehrer – etwas nicht wusste.

»Die meisten von euch glauben, dass es dem Erfindergeist vieler großer Forscher zu verdanken war, dass wir hier ein so glückliches und sorgenfreies Leben führen können. Dass es ganz normal ist, in einer Welt zu leben, in der es genug Nahrung für alle und keine Kriege, keine Armut und auch keine Umweltzerstörung mehr gibt. Ich wünschte, ich könnte behaupten, ihr hättet recht damit. Ich wünschte, die Menschheit wäre klug genug, sich selbst ein Paradies zu erschaffen. Aber das ist sie nicht und wird sie trotz all unserer Fortschritte wohl auch nie sein. Unsere Welt verdankt ihre Existenz nicht euren Vorfahren von der Erde. Jedenfalls nicht nur.«

Abermals ging Archers Blick nach innen. Dann sah er wieder auf die zwanzig Kinder, die mit erwartungsvollen Mienen vor ihm im Gras saßen. Sie alle wären heute nicht hier, wäre es damals nicht zu jenen Ereignissen gekommen, die der Menschheit die Rettung vor sich selbst brachten. Doch war er dazu in der Lage, es dieses Mal besser zu erklären als er es bisher vermocht hatte? Wahrscheinlich nicht. Wie sollte man so jungen Leuten etwas begreiflich machen, für das es keine logische Erklärung gab?

Wie auch immer, nun gab es kein Zurück mehr. Archer atmete tief durch und begann von jenen lange vergangenen Tagen zu berichten …

Kapitel 1

 

Das Jahr 2078

 

Elisabeth hätte am liebsten das Fenster aufgerissen und ihre Lungen mit frischer Luft gefüllt.

Mit geschlossenen Augen stellte sie sich – bestimmt schon zum hundertsten Mal – vor, wie es sein müsste, ganz ohne Raumanzug über die Oberfläche des Planeten zu laufen, so lange, bis sie nicht mehr konnte. Dann hätte sie sich auf den Rücken gelegt und sich auf die Suche nach jenem winzigen blauen Punkt irgendwo dort oben am Firmament gemacht, der ihre eigentliche Heimatwelt war. Sie hätte die nach Wildblumen und Moos duftende Luft tief eingeatmet, so wie es für die Menschen dort oben auf der Erde früher einmal so selbstverständlich – zu selbstverständlich – gewesen war. Und falls es zu regnen begann, hätte sie sich nicht etwa unter einem Baum versteckt, sondern wäre einfach liegen geblieben und hätte das belebende Gefühl genossen, wenn die kühlen Wassertropfen sanft auf ihr Gesicht fielen. Es war ein wunderschöner Tagtraum, dem sie sich da hingab.

Doch dann öffnete sie ihre Augen. Die Landschaft, die sich ihr dort draußen darbot, erinnerte sie daran, dass sie sich auf einer Welt befand, auf der es eben nicht so ohne weiteres möglich war, an die Luft zu gehen. Hier gab es so etwas noch nicht. Ebenso wenig wie Wildblumen, Bäume, Moos oder einen erfrischenden Sommerregen. Die Atmosphäre hier bestand aus giftigen Gasen, vor allem Kohlendioxid, welche für jedwede Form von Leben absolut tödlich waren. Am Horizont ging eine weit entfernte Sonne an einem scharlachroten Himmel auf und erhellte mit ihrem fahlen Licht eine felsige, tote Einöde.

Dies war definitiv kein angenehmer Ort, doch für Elisabeth war er ihre Heimat. Sie fühlte sich ihm viel verbundener als der Erde. Seit über sechs Jahren war sie nun schon hier. Ihr früheres Leben war inzwischen nur noch eine ferne Erinnerung, ein schwacher Abglanz einer längst vergangen Zeit. Ihr war, als hätte sie die »alte« Elisabeth auf der Erde zurückgelassen und wäre bei ihrer Ankunft hier neugeboren worden.

Die meisten ihrer Kollegen konnten nicht verstehen, warum sie sich freiwillig für einen One-Way-Einsatz auf diesem Planeten, auf dem das Leben oft sehr ungemütlich und voller Entbehrungen war, gemeldet hatte. Soweit man blicken konnte, gab es hier nur eine staubtrockene Wüste, die lebensfeindlicher war als jeder Winkel auf der Erde. Für Elisabeth war es trotzdem der schönste Ort im gesamten Sonnensystem. Sie hatte die Beschaffenheit aller anderen Welten, welche ihre Bahnen um die Sonne zogen, intensiv studiert: Die von Lava überflutete Oberfläche der Venus, die Gasatmosphären der vier Riesenplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun und die so unterschiedlichen Oberflächen der zahllosen Monde, welche diese Himmelskörper umkreisten. Keiner von ihnen strahlte diese bizarre Anmut aus, welche die hügelige, von Meteoritenkratern und längst erloschenen Vulkanen durchsetzte Oberfläche des Mars auszeichnete.

Elisabeth konnte sich selbst nicht so recht erklären, was sie daran so anziehend fand, aber manchmal schien es ihr, als wäre es ihre Bestimmung, auf einem Planeten zu leben, den bis vor nicht einmal einem halben Jahrhundert noch nie ein Mensch betreten hatte.

Seit ihrer Kindheit faszinierte sie der Gedanke, ein Raumschiff zum Mars zu besteigen. Es hätte ihr damals schon genügt, ihn einfach nur ein einziges Mal zu umkreisen. Den Roten Planeten schließlich sogar zu betreten, war ein Traum, der ihr selbst damals noch zu verrückt vorkam, um sich ihm auch nur für eine Sekunde hinzugeben. Und nun arbeitete sie hier, als Ingenieurin in der internationalen Marskolonie Columbia One. Die meiste Zeit ihres Lebens auf der Erde hatte sie darauf hingearbeitet, einen Ort zu besuchen, der für den Großteil der Menschen für immer unerreichbar war, aber sie hoffte, dass dies nicht ewig so blieb. Hier in der Kolonie war es ihre Aufgabe, dabei zu helfen, das große Ziel zu erreichen, auf das die gesamte Menschheit ihre Hoffnung für die Zukunft setzte.

»Na, sind Sie mal wieder am Träumen, Elisabeth?« Eine vertraute Stimme in ihrem Rücken riss sie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich um und sah in das lächelnde Gesicht von Lakshmi Khanna, der 52-jährigen Direktorin von Columbia One. Die Inderin stand im Türrahmen und hatte sie offensichtlich schon einige Zeit beobachtet. Sie war einen Kopf kleiner als Elisabeth und hatte weiche, gütige Gesichtszüge.

Bevor Elisabeth etwas antworten konnte, kam sie einen Schritt näher und schloss die Tür hinter sich.

»Ich hoffe nur, dass Sie dabei nicht Ihre Arbeit vergessen.« Elisabeth musste ebenso lächeln. Die Direktorin war im Lauf der letzten Jahre zu der einzigen Person in der Kolonie geworden, zu der sie ein enges Vertrauensverhältnis pflegte. Weswegen es sie auch nicht störte, wenn sie von ihr ohne Vorankündigung in ihrem Labor – welches eigentlich ihr persönliches Allerheiligstes war – bei ihrem Tun unterbrochen wurde. Khanna wusste nur zu gut, dass man Elisabeth an manchen Tagen regelrecht dazu zwingen musste, sich von ihren Arbeitsplatz zu lösen, um ein wenig auszuspannen.

Columbia One zählte zurzeit 153 Bewohner aus zwölf Ländern, doch nur zu einem Bruchteil von ihnen hatte Elisabeth wirklich privaten Kontakt. Ihr Job war ihr wichtiger als alles andere.

»Sie kennen ja mein Motto: Träume sind Landkarten«, sagte Elisabeth. »Wenn ich mir nicht ab und zu vorstellen würde, wie dieser Planet aussehen wird, sobald unser Projekt vollendet ist, würde ich wahrscheinlich vergessen, wofür wir alle eigentlich hier sind.«

»Das Problem ist nur«, erwiderte Khanna, jetzt mit etwas mehr Ernst, »dass wohl keiner von uns den Tag erleben wird, an dem wir die Früchte unserer Bemühungen mit eigenen Augen sehen können.«

Elisabeth machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber Khanna hob beschwichtigend die Hände. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte Ihnen nicht Ihre Motivation nehmen.«

»Keine Sorge, das haben Sie nicht«, sagte Elisabeth. »Ganz im Gegenteil. Was gibt es für eine größere Motivation als für das Überleben der Spezies Mensch zu arbeiten? Aber ich glaube nicht, dass Sie mich besuchen, um mit mir über das Für und Wider unseres kleinen Projektes zu sprechen.«

Die Direktorin grinste kurz und offenbarte dabei ihre schneeweißen Zähne: »Nein. Ich denke, Sie ahnen schon, worüber wir reden müssen.«

»Natürlich. Ich weiß schließlich, welcher Tag heute ist. Die letzten 26 Monate sind ja wieder einmal wie im Fluge vergangen.« Elisabeth trachtete danach, die leichte Verbitterung in ihrer Stimme zu unterdrücken, was ihr jedoch nicht ganz gelang. »Wie viele von der Crew werden diesmal zur Erde zurückkehren?«

»66. Und von der Erde erwarten wir diesmal 75 Neuzugänge. Ich hoffe wirklich, dass …«

»Ja, ja ich weiß«, unterbrach Elisabeth sie. »Vielleicht werden ein paar Leute dabei sein, die mit mir auf einer Wellenlänge sind, und mit denen ich mich anfreunden kann. Seien Sie mir bitte nicht böse: So langsam stört es mich schon ein wenig, dass Sie jedes Mal, wenn neue Kolonisten eintreffen, versuchen mich mit jemanden – wie soll ich sagen? – zu verkuppeln. Ich weiß Ihre Sorge um mich ja wirklich zu schätzen, aber ich möchte doch lieber selbst bestimmen, mit wem ich befreundet sein möchte und mit wem nicht.«

Die Direktorin starrte Elisabeth mit großen Augen an. In ihrem Blick lag eine Mischung aus Besorgnis und Empörung. »Hören Sie, ich weiß ja wie viel Ihnen Ihre Arbeit bedeutet. Und ich bin mir bewusst, dass Ihr Privatleben eigentlich nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fällt,…«, sie ging einen Schritt auf Elisabeth zu, »…aber im Gegensatz zu Ihnen bin ich mir sehr sicher, dass eine Freundschaft diese in keiner Weise behindern würde. Dass Sie sich den größten Teil des Tages hier in Ihrem Labor einigeln, kann nicht gesund sein.«

Als Reaktion auf Elisabeths leicht genervten Gesichtsausdruck legte Khanna etwas mehr Schärfe in ihre Stimme. »Ich kann keine Ingenieurin gebrauchen, die sich vor lauter Müdigkeit nicht auf ihre Aufgaben konzentrieren kann und daher Fehler macht. Daher befehle ich Ihnen, wenigstens zu versuchen, diesmal einige zwischenmenschliche Kontakte zu den Neuzugängen zu pflegen, verstehen Sie?«

Elisabeth lächelte schief. Seit sie ihre Stelle auf Columbia One angetreten hatte, hatte sie die unterschiedlichsten Persönlichkeiten kommen und gehen sehen. Die meisten von ihnen waren ebenso intelligent und ehrgeizig wie sie selbst. Diese Eigenschaften gehörten einfach dazu, wenn man sich darauf einließ, für mindestens zwei Jahre an einem Projekt mitzuarbeiten, das vom Großteil der Erdenbewohner noch immer als leicht größenwahnsinnig angesehen wurde. Gerade deshalb fiel es ihr so schwer, mit ihnen in privaten Kontakt zu treten.

Sie war sich darüber im Klaren, dass auch ihre Vorgesetzte diese spezielle Form der Unsicherheit bei ihr bemerkte, und dass sie bisher nur zu taktvoll gewesen war, dies ihr gegenüber zur Sprache zu bringen. Lakshmi Khanna kannte Elisabeth, seit sie vor vier Jahren zur Direktorin von Columbia One berufen worden war. Elisabeth war die einzige Kolonistin, die seit ihrer Ankunft nie wieder zur Erde zurückgekehrt war. Khanna respektierte diese ungewöhnliche Entscheidung, weil sie genau wusste, wo die Gründe dafür lagen. Dass sie es als Chefin der Kolonie auch zu ihren Pflichten zählte, sich um das psychologische Wohlergehen aller Bewohner von Columbia One zu sorgen, fand Elisabeth irgendwie rührend.

»Wissen Sie, ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie eine ganz bestimmte Person im Sinn haben, bei der Sie sich eine freundschaftliche Beziehung zu mir vorstellen können.«

Khanna sah sie mit einem leicht selbstzufriedenen Blick an. »Sie haben mich ertappt, Elisabeth. Sein Name ist Dr. Eduardo Morelli. Er ist dreißig Jahre alt und stammt ursprünglich aus Italien. Er wird unser neuer Stabsarzt sein. Sein Medizinstudium beendete er vor fünf Jahren mit ganz außerordentlichen Noten. Er hat sich freiwillig für den Einsatz hier gemeldet, da er – wie er es formuliert hat – ganz versessen darauf ist, am bedeutendsten Raumfahrtprojekt aller Zeiten mitwirken zu können.«

»Moment, er ist gerade mal dreißig und soll der neue Stabsarzt werden? Also entweder ist dieser Dr. Morelli ein echtes medizinisches Wunderkind oder er kennt die richtigen Leute, um sich in seinem Alter schon solch eine verantwortungsvolle Position verschaffen zu können.«

»Beides entspricht den Tatsachen«, erwiderte die Direktorin trocken. »Sein Onkel ist ein hoher Beamter im Internationalen Marskonsortium. Er hat seine Beziehungen spielen lassen, um seinem Neffen seinen Traum zu erfüllen. Aber davon abgesehen ist Dr. Morelli wirklich ein außerordentlich fähiger Mediziner. Seine Abschlussnoten waren wie gesagt überdurchschnittlich. Beim I.M.K. ist man davon überzeugt, dass er den Aufgaben hier auf Columbia One voll gewachsen ist. Er scheint also tatsächlich so etwas wie ein Wunderkind zu sein.«

Auf Elisabeths skeptischen Blick hin fügte sie hinzu: »Ich gebe zu, dass auch ich zunächst meine Bedenken ihm gegenüber hatte. Doch ich habe volles Vertrauen in die Entscheidungen des I.M.K.«

Elisabeth verdrehte innerlich die Augen. »Na, das klingt ja alles ganz toll. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, denken Sie also, dass ich mit einem Mediziner, der noch grün hinter den Ohren ist, eine Freundschaft beginne, um ihm zu zeigen, dass die Mitwirkung am bedeutendsten Raumfahrtprojekt aller Zeiten größtenteils aus langweiliger Routinearbeit besteht, nicht wahr?«

»Sie haben mich schon wieder durchschaut, Elisabeth. Ich kann mir wirklich niemand Besseren vorstellen, um einem übereifrigen Neuling klarzumachen, wie die Dinge hier bei uns so funktionieren.«

Ein weiteres Mal verdrehte Elisabeth die Augen, diesmal jedoch so, dass ihre Vorgesetzte es sehen konnte. »Sie trauen mir ja so einiges zu. Ich bin Technikerin und keine Pädagogin. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die CO2-Generatoren einwandfrei funktionieren, nicht den Babysitter für einen Arzt zu spielen, der nach 26 Monaten sowieso durch einen Nachfolger ersetzt wird.«

»Nun, da irren Sie sich, Elisabeth. Dr. Morelli hat sich ebenso wie Sie dazu entschlossen, den Rest seines Lebens hier zu verbringen.«

Elisabeth sah die Direktorin erstaunt an. »Ist das Ihr Ernst? Na, da muss dieser Mann ja mindestens genauso verrückt sein wie ich. Hat er sich denn überhaupt Gedanken darüber gemacht was es bedeuten würde, für immer hier zu bleiben?«

»Sicherlich, genau wie Sie. Und gerade deshalb möchte ich, dass Sie ihm helfen, sich mit dem Leben auf Columbia One vertraut zu machen. Die Transportfähre wird in sieben Stunden andocken. Ich wäre Ihnen daher sehr dankbar, wenn Sie sich das Dossier über Dr. Morelli schon einmal durchlesen.« Khanna zog einen kleinen Datenträger aus der Hosentasche. »Hier sind alle Informationen gespeichert, die Sie brauchen.«

Widerstrebend nahm Elisabeth den Stick in die Hand. »Sieht ganz so aus, als hätten Sie bereits alle Entscheidungen für mich getroffen.« In ihrer Stimme lag mehr als nur ein Hauch Sarkasmus. Sie mochte es nicht besonders, so überrumpelt zu werden, nicht mal von Lakshmi Khanna.

Aber es nützte nichts: Sie musste in den sauren Apfel beißen und ihren Anweisungen Folge leisten, ob es ihr gefiel oder nicht.

 

Fünfunddreißig Jahre war es nun her, dass die Menschheit damit begonnen hatte, ihre erste und bisher einzige Mars-Siedlung zu errichten. Columbia One stellte ein einzigartiges Beispiel für internationale Zusammenarbeit dar; nicht weniger als achtzehn Nationen hatten sich für die Planung und den Bau der Kolonie zum Internationalen Marskonsortium zusammengefunden. Während die Anfänge noch relativ klein und bescheiden gewesen waren, hatte sich die Kolonie im Laufe der vergangenen Jahrzehnte so sehr vergrößert, dass man sie inzwischen mit Fug und Recht als eine kleine Stadt bezeichnen konnte. Sie erstreckte sich über eine Fläche von acht Fußballfeldern und wirkte von außen betrachtet wie eine Mischung aus hypermodernem Industriekomplex und futuristischer Wohnsiedlung.

Columbia One setzte sich hauptsächlich aus fünfzehn einzelnen Wohn- und Arbeitseinheiten zusammen. Diese zylinderförmigen Module hatten jeweils drei Stockwerke und bildeten durch zwischen ihnen verlaufende Verbindungstunnel einen großen zusammenhängenden Komplex, der neben den Quartieren der Kolonisten verschiedene wissenschaftliche Laboratorien enthielt. In den ersten Jahren hatten die Kolonisten Nahrung, Wasser und Material aufwändig von der Erde geliefert bekommen müssen, doch inzwischen war man in dieser Hinsicht vollkommen autark: Ein großes Zelt, dessen Außenhaut aus einem durchsichtigen Material bestand, fungierte als Gewächshaus, in dem die verschiedensten Arten von Obst und Gemüse zur Ernährung der Bewohner angebaut wurden. Für die Haltung von Nutztieren gab es auf Columbia One weder genug Platz noch Ressourcen, weswegen sich die Bewohner mit diesem rein vegetarischen Speiseplan begnügen mussten.

Die Wasserversorgung wurde durch eine hochmoderne Wiederaufbereitungsanlage gewährleistet. Auf Columbia One wurde immer das gleiche Wasser zum Trinken, Kochen und Waschen verwendet, das in einem ständigen Kreislauf durch die Kolonie zirkulierte. Die meisten Bewohner, vor allem die Neuankömmlinge, kostete es eine Menge Überwindung, dasselbe Wasser zu trinken, welches auch für die Toilettenspülung benutzt wurde, trotz des aufwändigen Prozesses, bei dem sämtliche Keime aus dem kostbaren Nass herausgefiltert wurden.

Die Energieversorgung der Kolonie erfolgte auf zweierlei Weise: Ein verhältnismäßig kleiner Prozentsatz des Bedarfs von Columbia One wurde durch eine Reihe Solarmodule gedeckt. Da die Mars-Umlaufbahn jedoch im Schnitt 230 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt verlief, war die Stromausbeute auf diese Art eher gering. Den Großteil lieferte daher ein Fusionsreaktor, der sich in einem gesonderten Modul befand. Nur die für dessen Wartung benötigten Ingenieure hatten Zutritt zu diesem sensiblen Bereich. Da der Mensch die effiziente Nutzung von Fusionsenergie erst seit der Mitte des 21. Jahrhunderts beherrschte, war dieses Wunderwerk der Technik noch recht anfällig für alle möglichen »Kinderkrankheiten«, welche in schöner Regelmäßigkeit auftraten. Trotzdem erwies sich diese Technologie als die brauchbarste Methode, um die Kolonie zuverlässig mit Strom zu versorgen.

Das Gewächshaus war von all diesen Gebäudeteilen Elisabeths Lieblingsort. Nicht einmal Direktorin Khanna wusste, dass sie sich hier noch wesentlich lieber aufhielt als in ihrem Labor. Als Ingenieurin war sie es gewohnt, praktisch den ganzen Tag von allen möglichen technischen Geräten und Werkzeugen umgeben zu sein. Sie genoss es daher, nach getaner Arbeit hierherzukommen, um sich zu entspannen. Diese Umgebung mit all ihren grünen Pflanzen bot einen idealen Kontrast zu der Sterilität und Enge, die sonst überall in der Kolonie herrschten.

Elisabeth hatte sich eine gemütliche Ecke ausgesucht und ein elektronisches Lesegerät mitgenommen, auf dem sie die Informationen über den neuen Stabsarzt studierte.

Die Akte von Dr. Eduardo Morelli war zweifellos sehr eindrucksvoll: An der Universität von Bologna hatte er sein Medizinstudium innerhalb von nur sechs statt den üblichen acht Jahren abgeschlossen und anschließend auf dem Gebiet der Weltraummedizin ganz besonders bemerkenswerte Leistungen erbracht, die ihm, auch bei älteren Berufskollegen, großen Respekt einbrachten. So entwickelte er zum Beispiel ganz allein eine Methode, um die nach dem langen Aufenthalt in der Schwerelosigkeit porös gewordenen Knochen von Raumfahrern innerhalb kürzester Zeit wieder zu stabilisieren. Ganz offensichtlich brachte er den beruflichen Ehrgeiz mit, der notwendig war, wenn man sich auf eine lebenslange Daueranstellung auf Columbia One einließ, dachte Elisabeth. Er hatte außerdem keine familiären Bindungen, die er auf der Erde womöglich aufgab.

Trotzdem hatte Elisabeth gewisse Zweifel, ob Dr. Morelli mit den speziellen Lebensumständen auf dem Mars zurechtkommen würde. War er sich darüber im Klaren, dass das Leben hier mit nicht zu unterschätzenden Entbehrungen verbunden war?

Solange Menschen in der Atmosphäre noch nicht ungefährdet atmen konnten, war es für die Bewohner der Kolonie beispielsweise unmöglich, sie ohne Raumanzüge zu verlassen. Wenn überhaupt, dann war es nur mit einem der beiden sogenannten Mars-Rover möglich, längere Exkursionen in die nähere Umgebung von Columbia One zu unternehmen. Doch dies war nur den Technikern vergönnt, zum Beispiel wenn ein neuer CO2-Generator aufgestellt wurde oder einer der bereits vorhandenen Generatoren mal wieder repariert werden musste.

Kurz gesagt waren die allermeisten Kolonisten gezwungen, während ihres gesamten Aufenthalts im Inneren der Siedlung zu bleiben. Man benötigte schon eine gewaltige Portion Langmut, um dies überstehen zu können, selbst wenn man wusste, dass man nur für eine begrenzte Zeit hier lebte. Wenn man jedoch vorhatte, für immer auf dem Mars zu bleiben, musste man aus einem ganz speziellen Holz geschnitzt sein.

Angesichts Dr. Morellis relativ jungem Alter hatte Elisabeth die Befürchtung, dass seine Entscheidung nur ein Ausdruck von übertriebenem Ehrgeiz, man könnte auch sagen, von Arroganz, war. Vielleicht wollte der Mediziner mit seinem Plan nur all seine Berufskollegen auf der Erde beeindrucken, was sicherlich kein vernünftiger Grund war, ein bequemes Dasein als gut bezahlter Arzt auf der Erde freiwillig gegen den oft eintönigen Alltag auf Columbia One einzutauschen.

Der Reiz des Lebens in der Kolonie war, dass sie sich immerhin in einer landschaftlich spektakulären Umgebung befand. Nur wenige Kilometer südlich war die Bruchkante des Valles Marineris Canyon zu finden. Und ein paar hundert Kilometer westlich von Columbia One ragte die Gebirgskette der Tharis Montes auf. Nicht zu vergessen der eindrucksvolle Vulkan Olympus Mons, mit seinen 26 Kilometern der höchste Berg des gesamten Sonnensystems.

Als Stabsarzt würde Dr. Morelli allerdings wohl nur höchst selten Gelegenheit haben, all diese Wunder des Roten Planeten zu Gesicht zu bekommen. Sein Tagesgeschäft würde darin bestehen, sich um den Gesundheitszustand der Kolonisten zu kümmern. Abwechslungsreiche Außenmissionen standen für ihn nicht auf der Agenda. Ob der gute Doktor nicht riskierte, früher oder später einen regelrechten Lagerkoller zu erleiden und selbst medizinische Hilfe zu benötigen?

Nachdenklich blätterte Elisabeth die Seiten weiter durch. Dass ein so junger Mann sich entschied, für den Rest seines Lebens die Erde zu verlassen, war schon ungewöhnlich genug. Und wenn man bedachte, was für eine Karriere ein derart begabter Mediziner dadurch aufgab, war seine Entscheidung noch erstaunlicher. War es womöglich doch nicht nur beruflicher Ehrgeiz, der Morelli zu seinem Vorhaben verleitete? Gab es in seiner Biographie vielleicht irgendein nicht in den Akten verzeichnetes Vorkommnis, welches ihm den Anstoß gegeben hatte, seinem Heimatplaneten den Rücken zu kehren?

Oder war Elisabeth mal wieder einfach zu misstrauisch? Dass es in ihrem eigenen Leben einen dunklen Fleck gab, bedeutete noch lange nicht, dass dies bei ihrem zukünftigen Kollegen ebenfalls der Fall sein musste, oder?

Unwillkürlich musste sie an jenen schicksalhaften Tag vor über sechs Jahren denken, der sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis gebrannt und ihr Leben für immer verändert hatte. Sie hatte es geschafft, die Erinnerung daran in ihr Unterbewusstsein zu verbannen, aber manchmal kam sie unerwartet wieder hoch.

Elisabeth spürte, wie ihre Knie weich wurden. Vor ihrem inneren Auge sah sie die verstümmelte Leiche jenes Mannes wieder, den sie einst so sehr geliebt hatte und mit dem sie sich eine gemeinsame Zukunft auf der Erde hatte aufbauen wollen. Es machte sie wütend, dass diese Bilder aus der Vergangenheit ihr ausgerechnet jetzt in den Sinn kamen. Sie wünschte, es gäbe einen Mechanismus, um diese für immer aus dem Gehirn zu eliminieren. Andererseits war diese Vergangenheit ein Teil von ihr und ihr hatte sie es zu verdanken, dass sie nun hier lebte, über fünfzig Millionen Kilometer von ihrer Heimat entfernt.

Ihre Gedanken kehrten rasch wieder in das Hier und Jetzt zurück. Das Raumschiff, welches die neuen Kolonisten inklusive Dr. Morelli hierherbrachte, musste bereits im Orbit des Planeten angekommen sein. Elisabeth schaltete das Lesegerät aus und machte sich auf den Weg zum großen Konferenzraum, in dem Direktorin Khanna die Neuankömmlinge begrüßen würde.

 

Die relativ engen Gänge der Kolonie waren wie jeden Tag erfüllt von Aktivität. Auf ihrem Weg kamen Elisabeth dutzende Bekannte entgegen. Von fast allen Kolonisten wurde sie freundlich gegrüßt, aber keiner nahm sich die Zeit, stehen zu bleiben und sich mit ihr zu unterhalten, was Elisabeth nur recht war. Ihr Widerwille, enge Freundschaften zu schließen, war nicht der einzige Grund, warum sie keine besondere Beziehung mit einem der Kolonisten führte, wären diese beruflich oder privat.

Auch der ständige Wechsel der Bewohner von Columbia One machte das in ihren Augen sinnlos. Alle 26 Monate, wenn sich die Erde und der Mars auf ihren Bahnen um die Sonne am nächsten waren, verließ eine bestimmte Anzahl Bewohner die Kolonie und wurde ersetzt. In all den Jahren waren sowohl Abenteurer, Romantiker und Forscher als auch Aussteiger dabei gewesen.

Doch Elisabeth verspürte keinerlei Neugierde auf den Charakter von Dr. Morelli. Sie glaubte nicht daran, dass er es wirklich aushielt, für immer hier zu bleiben. Früher oder später würde ihn die Sehnsucht nach zuhause packen, und er würde abreisen, um wieder ohne Raumanzug durch die Landschaft der Toskana spazieren und klare, saubere Luft atmen zu können. Da war sich Elisabeth absolut sicher.

Sie war in Gedanken immer noch bei Dr. Morellis Akte, als sie um eine Ecke bog und urplötzlich mit einem jungen Mann zusammenstieß, der schnellen Schrittes den Gang herunterkam.

»Aua! Verdammt, können Sie nicht aufpassen, wo Sie lang laufen?«

»Oh, entschuldigen Sie. Das wollte ich nicht.« Der Mann hatte eine auffällig jung klingende Stimme. Er hörte sich fast an wie ein fünfzehnjähriger Teenager, war jedoch offensichtlich bedeutend älter. Elisabeth wusste sofort, dass er einer der Neuankömmlinge sein musste. Sie kannte schließlich jedes Gesicht auf Columbia One. »Ich habe es leider etwas eilig. Ich muss dringend zum Konferenzraum und kann ihn einfach nicht finden. Ich fürchte, ich hab mich irgendwie verlaufen. Können Sie mir zufällig sagen, wo es lang geht?«

Elisabeth fasste sich an ihre schmerzende Nase. Nach der Heftigkeit ihres Zusammenpralls überraschte es sie, dass diese nicht blutete.

»Sie sind in die falsche Richtung gelaufen. Der Raum liegt im Nordflügel der Kolonie. Ich bin auch gerade auf den Weg dorthin. Kommen Sie am besten mit mir, bevor Sie noch einmal jemanden umrennen.«

»Es tut mir wirklich leid. Die Kolonie ist unwahrscheinlich groß, viel größer als sie auf den Plänen wirkt, die ich während der Reise hierher studiert habe. Hier kann man sich wirklich schnell verlaufen, wenn man sich nicht auskennt.«

»Schon gut. Aber wir müssen uns nicht unbedingt beeilen. Die Konferenz wird sowieso nicht anfangen, bevor ich da bin.«

Der junge Mann musterte Elisabeth aus seinen großen braunen Augen. Er war noch immer ziemlich außer Atem, fast so, als hätte er gerade einen Tausend-Meter-Lauf hinter sich gebracht.

»Einen Moment mal. Sie müssen Dr. Elisabeth Newman sein!«

Verblüfft sah Elisabeth ihn an. »Woher wissen Sie das?«

»Ich kenne Ihr Gesicht von der Filmdokumentation, die ich zur Vorbereitung auf meine Zeit hier gesehen habe. Sie sind die einzige Kolonistin, die seit sechs Jahren ununterbrochen hier lebt. Ich bin froh, Sie kennenzulernen.« Der Mann streckte Elisabeth seine Hand entgegen. Erst durch den Anblick seiner langen, dünnen Finger fiel ihr bewusst auf, wie ungewöhnlich hager er war. »Ich bin Dr. Eduardo Morelli, der neue Arzt hier in der Kolonie.«

Elisabeth schnitt eine Grimasse. »Dr. Morelli? Na, das hätte ich mir ja eigentlich denken können. Ich weiß bereits über Sie Bescheid. Direktorin Khanna hat mir das Dossier über Sie gegeben.«

»Ach wirklich? Ich hoffe, dort stand auch, dass ich nicht gerne Eduardo genannt werde. Wissen Sie, in unserer Familie ist es Tradition, dass alle Männer Eduardo heißen. Mein Großvater hieß so, mein Vater, und nun auch ich. Ich finde diesen Namen fürchterlich altmodisch, es wäre mir daher viel lieber, wenn Sie mich einfach Eddie nennen.«

»Pünktlichkeit ist nicht unbedingt Ihre starke Seite, Dr. Morelli?«, fragte Elisabeth, ohne auf den Vorschlag des Arztes einzugehen.

»Nun ja, ganz zu spät bin ich ja nicht. Außerdem hat das Auspacken meiner Sachen in meinem Quartier länger gedauert als ich dachte. Ich hatte ganz vergessen, wie viel Zeug ich auf der Erde eingepackt hatte. Bücher, Kleidung, meinen Privatcomputer und nicht zuletzt meine Sammlung an 50er-Jahre Rock-’n’-Roll-Musik.«

Elisabeth hatte noch nie etwas von einer Musikrichtung namens Rock ’n’ Roll gehört. Musik hatte sie noch nie besonders interessiert. Sie beschloss Dr. Morelli nicht zu fragen, was es genau damit auf sich hatte, da sie sicher war, dass die Antwort sehr ausführlich ausfallen würde.

»Nun, die meisten Ihrer Sachen werden Sie hier auch ganz gut gebrauchen können. In der Akte habe ich schließlich gelesen, dass auch Sie vorhaben, eine längere Zeit bei uns zu verbringen.« Elisabeth gelang es nicht, eine gewisse Missbilligung aus ihrer Stimme herauszuhalten.

Abgesehen davon, dass sie es nicht besonders schätzte, wenn ein Fremder mehr über sie wusste als sie über ihn, fand sie Dr. Morellis extrovertierte Art schon jetzt ziemlich nervtötend. Er redete ohne Punkt und Komma, fast wie ein Junge an seinem ersten Tag in der Schule.

»Ja, das stimmt. Deswegen finde ich es auch so aufregend, Sie als Erste von den Kolonisten kennenzulernen, Dr. Newman. Sie werden mir sicher einiges Interessantes über das Leben hier erzählen können. Mit Ihrer Hilfe werde ich mich bestimmt schnell einleben. Ich hoffe, dass Sie mich so gut Sie können unterstützen werden, damit ich mich möglichst schnell meinen neuen Aufgaben widmen kann. Unsere Tätigkeiten hier haben zwar nicht besonders viel miteinander zu tun, aber ich denke, dass wird sich schon …«

»Stopp!« Elisabeth hob ihre Hände, um den Wortschwall, der sich über sie ergoss, zu unterbrechen. »Wenn Sie immer so viel reden, Dr. Morelli, werde ich gar nicht dazu kommen, Ihnen etwas beizubringen. Ich denke, es ist am besten, wenn Sie sich erst einmal alles, was Sie wissen müssen, von Direktorin Khanna erklären lassen. Sie können ihr dann auch die wichtigsten Fragen stellen, die Ihnen auf den Herzen liegen.«

Dr. Morellis Lippen wurden plötzlich sehr schmal. Für den Rest des Wegs schwieg er.

Schließlich erreichten die beiden den Konferenzraum, wo alle Neuankömmlinge bereits anwesend waren. Auf Elisabeth wirkten diese ein wenig wie Kinder, die in einem futuristischen Klassenzimmer aufgeregt auf ihren Lehrer warteten. Keiner von ihnen war älter als 35 Jahre. Kein Wunder: Vor allem jüngere Leute konnten sich für die Arbeit auf dem Mars am stärksten begeistern. Und dies lag nicht nur daran, dass sie aufgrund ihrer körperlichen Verfassung leichter mit den Herausforderungen, die das Leben hier mit sich brachte, zurechtkamen. Es war auch der Wunsch, Teil eines historischen Projektes zu sein, der gerade bei jungen Menschen besonders ausgeprägt war. Während ältere Generationen eher dem Leben auf der guten alten Mutter Erde verhaftet waren, zog es die Jugend zu neuen Grenzen hin, zu Abenteuern jenseits des Horizonts.

Elisabeth konnte sich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als es ihr selbst so gegangen war. Damals, bevor ihr Leben eine ebenso unerwartete wie tragische Wendung genommen hatte.

»Hm, also jetzt bin ich enttäuscht«, hörte sie Dr. Morelli sagen. »Soweit ich das sehen kann, bin ich der einzige Italiener hier. Wirklich schade.«

Ohne weiteren Kommentar schob sie ihn in den Raum und sah ihm mürrisch hinterher. Wenn er weiterhin ein solches Verhalten an den Tag legte, würde die Zusammenarbeit mit ihm zu einer sehr anstrengenden Angelegenheit werden.

Aus den Augenwinkeln sah sie Direktorin Khanna sich vom anderen Ende des Ganges nähern. Sicherlich würde diese sich ebenfalls ihre ganz eigene Meinung über Dr. Morellis überbordenden Enthusiasmus bilden, sobald sie ihn näher kennenlernte.

 

Während der Besprechung erklärte Khanna den neuen Kolonisten, wie der Alltag auf Columbia One für sie alle aussah. Die Gruppe war eine bunte Mischung aus Ingenieuren, Geologen, Biologen und Astronomen. Dr. Morelli war der einzige Mediziner unter ihnen.

Während er und die anderen den Worten von Direktorin Khanna lauschten, sah sich Elisabeth ihre Gesichter ganz genau an: In ihnen spiegelten sich die typischen Erwartungen von Neuankömmlingen wieder. Die meisten dieser Menschen hatten die Erde zuvor noch nie verlassen. Sie strahlten zwar einerseits große Professionalität aus, waren zugleich aber aufgeregt hinsichtlich der Tatsache, die nächste Zeit in einer so fremden Umgebung festzusitzen. All diese Männer und Frauen würden Tag für Tag immer mit denselben Kollegen in den engen Räumlichkeiten von Columbia One auskommen müssen.

Aus Erfahrung wussten sowohl Direktorin Khanna als auch Elisabeth, dass Streitereien und Querelen unter diesen Umständen unvermeidbar waren. Und dass nicht immer nur eine rein kameradschaftliche Atmosphäre zwischen den Kolonisten herrschte. Das lag in der menschlichen Natur, wenn grundverschiedenen Charaktere über längere Zeiträume hinweg auf engem Raum zusammenleben und arbeiten mussten.

Das Problem wurde dadurch verschärft, dass es in der Kolonie so gut wie keine Privatsphäre gab. Zwar hatte jeder Kolonist sein eigenes Wohnquartier, doch war dieses so eng, dass sich niemand längere Zeit darin aufhalten konnte, ohne sich zu fühlen wie ein Tier in einem zu kleinen Käfig. So blieb einem nichts anderes übrig, als sich in den Freizeiträumen von Columbia One aufzuhalten, wo man jedoch niemals für sich allein war.

Und es gab insgesamt nur drei solche speziell für die Entspannung der Bewohner gedachten Bereiche: einen kleinen Fitnessraum, eine Bücherei und einen großen Aufenthaltsraum, der gleichzeitig als Kantine diente.