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Das Buch

 

Nach einem verheerenden Krieg liegt das Nordamerika der Zukunft in Schutt und Asche. Der junge Hud hält sich mit zwielichtigen Geschäften über Wasser, zieht als Plünderer durchs Land und ist vor allem eins: sich selbst der Nächste. Als ihm eine Karte zum geheimnisumwobenen Sherman's End in die Hände fällt, beschließt Hud kurzerhand, diesen Ort zu finden, denn zahlreiche Schätze sollen dort verborgen sein. Auf seiner Reise schließt sich ihm ein Mann namens Archie an, der über sonderbare Fähigkeiten verfügt und sich insgeheim geschworen hat, Sherman's End um jeden Preis zu vernichten.

 

 

 

Der Autor

 

Als Kind der frühesten Neunziger würde C.R. Schmidt gerne behaupten, ein Rebell gegen das System zu sein. Er ist aber laut eigener Aussage viel zu faul dafür. Seine Liebe gilt stattdessen den Sci-Fi- und Horrorgeschichten, die seine Teenagerjahre prägten. Der Autor lebt in Kiel, möchte es aber dringend verlassen.

C.R. Schmidt

 


 

SHERMAN'S END

 

 

Roman

 

 

 

 

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Originalveröffentlichung

 

© 2015 Verlag in Farbe und Bunt

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Veröffentlichung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten.

Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Alle Rechte liegen beim Verlag.

 

Cover-Gestaltung: Eileen Steinbach

E-Book-Satz: Winfried Brand

verantwortlicher Redakteur: Bettina Petrik

Lektorat: Martina Guttek, Kathrin Tofall

Korrektorat: Nadine Sönnichsen

 

Herstellung und Verlag:

in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

Kruppstraße 82 - 100

45145 Essen

 

www.ifub-verlag.de

 

ISBN Taschenbuch: 978-3-941864-46-7

ISBN E-Book: 978-3-941864-47-4

ISBN Audiobuch: 978-3-941864-48-1

WIDMUNG

 

 

Für VG, FR und CG,

die in diesen finsteren Zeiten Licht gespendet haben.

Kapitel 1 – Aas-fress-er, der |

1 Tier, dessen Nahrung größtenteils aus Kadavern besteht

2 ugs.: Mensch, der aus dem Schaden anderer seinen Lebensunterhalt zieht; Opportunist

 

 

Es war kurz nach Mitternacht.

Hud hatte die Sitze seines Wagens umgeklappt und seine Füße bereits auf dem Armaturenbrett abgelegt, sodass er bald schlafen können würde. Er war von völliger Stille umgeben. Seine Ohren rauschten leicht – und seine Gedanken drifteten ab. Das war das Junk, aber er würde es schon unter Kontrolle bekommen.

Seine muffige alte Wolldecke hatte er sich bereits über die Beine geworfen. Das Gesicht der Leiche am Wegesrand, der er sie abgenommen hatte, schoss ihm durch den Kopf. Die kalten, verwesten Finger des Mannes hatten sich darum geklammert, so stark, dass er sie hatte abreißen müssen. Die Fingerabdrücke waren sogar noch immer schemenhaft am Rande der Decke zu erkennen. Er fühlte sich jedoch nicht schlecht. Der Mann hätte sie sowieso nie wieder gebraucht – höchstens als Teil seiner Beerdigung.

Doch wer bekam schon Beerdigungen in diesen finsteren Zeiten?

Sein Vater hatte Hud einmal erzählt, dass Tote eine Beerdigung bräuchten, da sie sonst nicht auf die andere Seite kommen würden. Zudem sollte es dem Toten Respekt zollen. Diese Ansicht hatte Hud nie verstanden. Die Menschen fraßen sich hier draußen manchmal regelrecht gegenseitig, schlugen einander die Köpfe auf und tranken das Blut ihrer Feinde, selbst wenn sie Wasser hatten. Sich an solch einem Ort Respekt zu verschaffen, war so, als würde man in der Wüste einen Regenschutz anziehen: Man selbst schien sich vielleicht wohl zu fühlen, aber der Rest, der einem zusah, hielt einen für einen Idioten. Nein – diese Decke gehörte ab dem Moment ihm, in dem Hud sie fand. Sie hatte keinen Besitzer mehr gehabt, als das Herz des Mannes aufgehört hatte zu schlagen.

Respekt war heutzutage fehl am Platze. Dinge gehörten denen, die sie sich nahmen. Wer das nicht tat, hatte meist das kürzeste Leben. Besitz zog Menschen an wie Möbel Staub, wie sie es in den vielen leer stehenden Häusern fast magisch taten. Wer sich Land nahm und niederließ, dem wurde sein Land genommen. Wer ahnungslos mit seinem Geldbeutel durch die Nacht zog, dem wurde sein Geld genommen. Wer das Pech hatte, mit Brüsten zur Welt zu kommen, wurde bestenfalls nur mit schlechten Erinnerungen bestraft, im schlimmsten Fall aber mit dem Verlust von Freiheit oder des Lebens.

Nehmen, nehmen, nehmen. Das war alles, was auf diesem Fleckchen Erde noch zählte. Die Menschen dachten nur noch mit ihren schwitzigen, schmierigen Händen und ihren geifernden Mäulern. Wer gab, der bekam nichts zurück. Wer Trost spendete, bekam nichts zurück. Wer dachte, dass sein Name in Gold gegossen an irgendwelchen Häuserwänden hängen könnte, würde nur bemerken, dass das Gold am nächsten Morgen fehlte. Nein. Respekt war nutzlos in diesen finsteren Zeiten.

Hud ließ seinen Blick schweifen. Sein Wagen stand auf einer kleinen Lichtung fernab von der Straße. Eigentlich perfekt. Niemand wusste, dass er hier war. Wer unsichtbar war, konnte auch nicht gefunden werden. Seine Scheiben waren abgedunkelt. Die Scheinwerfer längst aus. Seine Augen hatten sich schon so lange an die Dunkelheit gewöhnt, dass er das Licht nicht mehr vermisste.

Er griff in sein Handschuhfach, um sein Ritual vor dem Schlaf vorzubereiten. Sobald die fast nur noch in Fetzen hängende Klappe aufflog, drang schon der Duft hervor. Hach, dieser Duft. Nichts war besser als das. Absolut nichts. Es war zwei Jahre her, dass Hud mit einer Frau geschlafen hatte. Und das war nicht besser als das Junk – obwohl es in Kombination wohl unschlagbar wäre. Ein richtig gutes Essen war nicht besser als Junk. Und gutes, selbstgemachtes Essen, das nicht aus Konserven stammte, war selten – aber auch das in Kombination mit Junk war mehr als zufriedenstellend. Selbst die letzten Erinnerungsfetzen an seine Eltern waren nicht so schön wie das Junk.

Seine Gedanken drifteten wieder ab. Nebenwirkungen des Junks. Nein, jetzt musste er sich kurz konzentrieren.

Er nahm die neue Pfeife aus dem Handschuhfach. Oh, diese Pfeife. Eine wahre Schönheit. Seine alte Pfeife war nun ein billiger Ersatz, den er sich dafür aufhob, wenn diese kaputt gehen würde. Die Neue war aus Holz, das sich so wunderschön glatt anfühlte, wenn man mit dem Finger über ihre Seiten strich. Ihr geschwungenes Mundstück war … Wie sagt man noch? Elefant?

Ja, sie sah elefant aus. Wie die Kurven einer Frau. Wie eine wunderschöne Straße. Einfach elefant. Dieses Wort musste er sich merken. Die Leute waren schnell beeindruckt, wenn man beim Verkauf Worte aus der alten Zeit einwarf. Worte selbst waren ein teures Gut und furchtbar wertvoll. Schreiben konnte kaum noch jemand. Selbst mit dieser Fähigkeit könnte man sicherlich Geld machen.

Aber seine Profession stellte alles in den Schatten. Hud brachte die Menschen zusammen, brachte ihnen für kurze Zeit Frieden und Ruhe – zumindest die … die was? Die … Wie war dieses Wort? Elo… Elosion? Genau. Die Elosion von Frieden und Ruhe.

In Zeiten, die alles andere als friedlich und ruhig waren.

Er mochte das angenehme Gewicht der Pfeife in seinen Händen. Oh, sie passte sich den Konturen perfekt an. Er hatte sich an diesem Abend wirklich einen tollen Freund gemacht.

Wenn er schon daran dachte …

Kapitel 2 – Rou-ti-ne, die |

Ausführung eines Prozesses, der dem Anwender durch mehrmaliges Wiederholen wie normal vorkommt; automatisiert

 

 

Richmond hieß das kleine Dörfchen.

Hud mochte Siedlungen. Er kam gut in ihnen zurecht. Sie waren meist übersichtlich und gleich aufgebaut: einfach gebaute Wohnhäuser, Parkplätze, vereinzelte Autos, meist eine Werkstatt und immer ein Saloon. In jedem Fleck, der sich Siedlung schimpfte, fand man einen Saloon. Dort fand Hud jedes Mal seine Kunden. Es war gut zu wissen, dass Menschen sich in Alkohol und Glücksspiel flüchteten, wenn die Realität grausam war. Also praktisch überall.

Es ging meist schnell. Sich einmal kurz an die Theke setzen, die Pfeife hervorholen und Junk rauchen, als wäre nichts dabei. Der Duft verteilte sich immer wieder im Raum wie Pisse in einem See. Die ersten Augenpaare ruhten schon auf Hud. Und spätestens bei der zweiten Ladung der Pfeife wurden die ersten Fragen gestellt. »Was ist das?« oder »Ein spezieller Tabak? Riecht auf jeden Fall wie der Himmel.« Man schüttelte die ersten Hände, gab einen Zug, ohne etwas zu verlangen, und die Leute wollten mehr. Jedes Mal.

Dann sagte man: »Hey, ich habe nicht mehr viel, aber ich kann immer handeln. Wenn du was abzugeben hast, mach mir ’n Angebot.«

Die Barkeeper boten meist Freiverzehr gegen eine kleine Menge.

Mit Betrunkenen konnte man um Kleidung verhandeln. Ja, die Leute zogen sich für Huds Junk tatsächlich freiwillig aus.

Und die Frauen … Na ja, man fand sie selten in kleineren Saloons, eher in den größeren Siedlungen an den Hauptstraßen und Highways. Sie wussten es am besten: Solche Orte konnten schnell gefährlich werden … Männer, Alkohol und der allgemeine Mangel an Respekt waren nie eine gute Kombination. Männer und Junk wurden zusammen jedoch friedlich wie Lämmer.

Junk lockerte die Zunge. Junk verfärbte die Augen. Junk machte müde und … Wie war das Wort nochmal? Etwas mit T … Trüge? Das würde es wohl sein. Junk machte trüge – das war der Zustand, in dem man sich schwer bewegen konnte, aber trotzdem nicht müde war. Definitiv ein Luxus, friedlich in seinem Bett einschlafen zu können. Und alle liebten es. Kunden luden einen auf ein kaltes Ale ein, spielten Karten, erzählten ihre schlechtesten Witze. Oder schliefen einfach im Sitzen ein. So würde es auch heute sein.

 

»RICHMOND SALOON« – in großen hölzernen Buchstaben stand es über dem Eingang. Es war keine allzu kleine Siedlung. Sie wirkte etwas wohlhabender, wurde möglicherweise beschützt von Männern, die dachten, dass ausgerechnet sie sich Respekt verdient hatten. Selbst die Wände des Saloons waren angemalt, und Farbe war schwer zu bekommen. Ein Parkplatz, der mindestens zehn Wagen fassen konnte. Das war sicherlich ein Treffpunkt, der viele Menschen anzog – sicherlich nicht alle davon ungefährlich. Der Ort war für Huds Vorhaben perfekt.

Von draußen hörte man nur Gelächter und kreischende, heisere Männerstimmen. Aus einer Ecke wurde ein Song angestimmt. Der Pegel war hoch. Zeit einzugreifen. Hud stieß locker die Tür auf und sah sich um. Etwa zwanzig Personen, alle männlich. Das hier war kein Freudenhaus, sondern ein waschechter Saloon, in dem Frust und Sorgen in Alkohol ertränkt wurden und am nächsten Morgen in Form von Kopfschmerzen zurückkehrten.

Erste Blicke trafen ihn. Das war normal. Er war fremd in der Siedlung und Siedlungen sahen nicht oft Fremde, die nicht vielleicht auf Ärger aus waren. In der Ecke saß eine Gruppe von Männern, die sogar anständig gekleidet waren. Von denen hielt sich Hud lieber fern, denn unter den langen, grauen Mänteln lugten seltsame Wölbungen in Pistolenform hervor. Das stand selten für etwas Gutes.

Hud nahm an der Theke Platz und setzte sich neben einen alten Mann mit langen, zerzausten grauen Haaren. Die Haare seines Schnurrbartes waren so dick und borstig wie die einer alten Pferdebürste. Sie verbargen seinen Mund ganz und gar, sodass man beim Reden wohl nur einen hin und her schwingenden Haufen Haare beobachten würde. Hud war gespannt.

Sobald er saß, warf der Barkeeper Hud bereits merkwürdige Blicke zu. Sein linkes Auge schien er nicht richtig öffnen zu können. Die Augen mit dicken Tränensäcken untersetzt, dazu eine lange Narbe quer über das Gesicht. Dieser Barkeeper schien etwas düster. Doch Junk lockerte immer das Gemüt. Von ausnahmslos Jedem.

Schnell packte Hud seine Pfeife aus, stopfte sie mit einem großzügigen Schuss Junk, holte eine Packung Brennhölzer hervor und zündete sie sich an. Ein paar konzentrierte Züge später begann es zu wirken. Die Wärme, die sich durch seine Eingeweide fraß, war überwältigend. Er spürte, wie sich seine Gliedmaßen Stück für Stück entspannten. Er konnte sich dieses Gefühl immer und immer wieder antun.

Da kam bereits die erste Stimme aus dem Hintergrund. »Hoy, Junge, das riecht ja wie Blüten und Seide! Schieß mir einer den Schwanz ab! Das ist doch wohl nicht etwa Mary-Jane?«

Alles lief nach Plan. Hud richtete seinen Blick nach links. Es war tatsächlich der alte Mann. Hud stellte sich eine Mausefalle vor, die langsam zuschnappte und sich in einem riesigen Schnurrbart verfing.

»Mary-Jane?«, fragte Hud gedämpft, da ihm noch immer dicker, schwerer Rauch aus dem Mund quoll. »Den Namen hab ich dafür noch nie gehört.«

»Mein Großvater«, schoss es hinter dem Schnurrbart hervor, »rauchte einmal die Woche dieses Kraut. Einer seiner Compadres hatte eine Farm, auf der er es anpflanzte. Als er irgendwann zu viel davon hatte, knallte es ihm das Hirn weg. Der alte Gramps wurde irgendwann einfach nur … träge und lustlos. Ein Schatten seiner selbst. Deshalb hab ich größtenteils die Finger davon gelassen … größtenteils.« Der Oldtimer zwinkerte ihm zu.

»Grampa erzählte mir oft Geschichten über Mary-Jane, zumindest bevor das Kraut ihn schnappte … Dass es eine der wenigen Nutzpflanzen war, die den Großen Krieg überlebt hatten. Einige der Pflanzen sind sogar mutiert, meinte er, sodass sie noch wirksamer wurden, ähnlich wie es in Corn County passiert ist. Es erquickt den Geist, entspannt, färbt die Augen rot?«

Hud war mehr als erstaunt. Er konnte nur verdutzt nicken. Der Mann hatte Recht.

»Und es macht einen verdammt nochmal hungrig!« Der alte Mann begann seinen grotesken Schädel zurückzuwerfen und schallend zu lachen.

Daraufhin reichte er ihm die Hand. »Jim Burgundy, mein Freund. Danke für den Trip in meine Vergangenheit. In Erinnerungen zu schwelgen, macht mich immer unfassbar glücklich.« Neben den Augen vom alten Jim Burgundy zeichneten sich Lachfalten ab. »Schieß mir den Schwanz ab, du verrückter Kerl, wo hast du das her?«

»Von einem Händler. Ich hab sogar noch was übrig. Tauschen wir einen Zug gegen ein kaltes Ale?«

Jim lachte einmal kurz. Man konnte jedoch in seinem Blick spüren, dass einige Erinnerungen aufkamen. »Gramps hat das Zeug sein halbes Leben lang geraucht, ehe es ihm den Verstand geraubt hat. Für mich ist es schon zu spät. Ich kann dem Tod nicht mehr davonrennen, da kann ich ihm auch gleich einen kleinen Vorsprung geben und die Zeit genießen. Gib mir ruhig etwas davon ab, Junge.«

»Man nennt mich den Coyoten«, sagte Hud. Decknamen waren immer gut. Er benutzte ständig einen anderen.

»Na dann, Coyote«, säuselte der alte Jim und signalisierte dem grimmigen Barkeeper mit einer Handgeste, dass er zwei Bier wolle, »her mit der guten alten Mary-Jane.« Dann zog er aus seiner Tasche eine wunderschöne Pfeife hervor – geschwungen, kunstfertig aus Holz geschnitzt, mit Reliefs verziert und hochglanzpoliert. »Die alte Pfeife meines Vaters wird damit schon fertig. Sie hat Erfahrung.«

 

Zwei Stunden später trug Hud den alten Greis bereits nach Hause. Das Kraut und das Ale hatten ihm mehr als gutgetan. Er schlief fast im Stehen ein, hatte es aber doch noch geschafft, ihm lallend mitzuteilen, wo er wohnte.

Sobald Hud ankam, setzte er den alten Mann auf die Bank vor seinem alten, schon fast auseinanderfallenden Haus und griff ihm in die Tasche. Als Beute für diesen Abend kam ein Paar robuster Stiefel heraus sowie die Pfeife des Großvaters, Jeremiah Burgundy, dessen Namen Hud an diesem Abend viel zu oft hatte hören müssen.

Dann stiefelte er durch die Nacht zurück zu seinem Auto.

Kapitel 3 – Kon-fron-ta-tion, die |

1 Gegenüberstellung zweier Parteien, Meinungen, Ideologien etc.

2 Auseinandersetzung, Kampf

 

 

Hud zündete sich seinen Zug aus der neuen Pfeife an, erneut gefolgt von diesem Wahnsinnsgefühl, das seine Sinne betäubte und ihm den Atem nahm – gefolgt von Husten. Nun würde er vorzüglich schlafen können. Er nahm seine Decke, legte sich auf die Seite über seine umgeklappten Sitze und schloss seine Augen.

 

Etwas brach durch das Fenster auf der Fahrerseite seines Wagens.

Huds Augen schossen auf. Er war jedoch zu sehr auf Junk, um sich schnell aufzurichten. Dieser Aufwand wurde ihm nicht gerade zimperlich abgenommen. Eine riesige Pranke riss die Autotür auf, packte ihn und zerrte ihn mit unvorstellbarer Kraft aus seinem Wagen. Dann wurde er mit voller Wucht auf den Boden geschleudert. Stechendes Licht traf in seine Augen. Es zog wie ein verdammter Donnerschlag durch Huds Schädel und zwang ihn dazu, seine Lider augenblicklich fest zu schließen. Der Mistkerl hatte eine Taschenlampe. Und solange er die angeschaltet ließ, würde Hud nichts sehen können. Seine Augen reagierten gerade äußerst empfindlich auf Helligkeit, wie immer nach dem Junk und besonders, weil sie sich schon so an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

»Na, Dingo, wie läuft das Geschäft?« Hud mochte die Stimme, die zu diesem Mann gehören musste, überhaupt nicht. Sie war rau, aber dennoch hoch. Sie jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. »Heute irgendwas geschossen?«

»Wovon redest du, Arschloch? Was zur Hölle hab ich dir getan? Und wer bist du?«

Jemand trat ihm mit extremer Kraft in die Magengegend.

»Das war nicht, was ich hören wollte. Direktere Antworten, bitte. Sonst sage ich Hektor, er soll kräftiger zutreten. Nicht wahr, Hektor?«

»Alles klar, Boss«, sagte einer der Schatten, die über Hud türmten. Dieser war besonders riesig. Er musste ihn aus dem Wagen gezerrt haben. Ein verdammter Hüne. In diesen finsteren Zeiten sah man nur noch selten Menschen mit solch einer Statur.

»Also. Wie läuft das Geschäft, Junge?«, krächzte die Stimme des Mannes, der hier wohl das Kommando führte.

»Ganz miserabel«, antwortete Hud. »Irgendein Schwanzlutscher hat meine Karre zerlegt und mich auf den Boden geworfen, um mich kräftig in den Arsch zu ficken.«

Ein weiterer Tritt folgte. Er war so stark, dass Hud dachte, er müsse Blut spucken. Hud erkannte jetzt vier Schatten, die in einem Kreis um ihn herumstanden. Lange Mäntel zeichneten sich ab. Nach einigen Überlegungen erkannte er sie: Sie hatten in dem Saloon in Richmond gesessen. Das hier waren vermutlich die Hoodlums irgendeines Kartells. Er war in der falschen Gegend tätig. Und sie würden ihn umbringen.

»Nun, lassen wir die Spielereien. Werden wir etwas direkter. Sagt dir der Name Bertrand Simmons irgendetwas, Dingo?«, fragte einer der Hoodlums.

»Nein«, keuchte Hud, der sich zusammenreißen musste, um nicht vor Pein zu schreien. Dieser Hektor hatte einen verdammt harten Tritt.

»Das hier ist sein Territorium, Dingo. Und er mag es nicht, wenn Ungeziefer wie du sich hier herumtreibt und die Leute ausnimmt. Solche Aasfresser wie dich kann er nicht leiden.«

»Würdest du bitte zum Punkt kommen?«, fragte Hud.

Ein weiterer Tritt in den Magen.

»Du hattest keine Frage gestellt«, hauchte Hud, der sich nun vor Schmerzen auf dem Boden krümmte.

»Ich lasse dich von Hektor treten, wann ich will. Siehst du?«

Hektor trat ein weiteres Mal zu. Diesmal begann Hud zu schreien.

»Wirst du kooperieren?«

»Koperawas?«, fragte Hud winselnd. »Bitte nich’ treten, Hektor. Ich kenn das Wort nich’.«

»Kooperieren, Dingo. Das heißt etwa so viel wie: Willst du jetzt mit uns arbeiten und keinen Scheiß mehr bauen, da wir dich sonst auf der Stelle aufschlitzen?«

Hud nickte.

»Gut.« Einige Sekunden später wurde Hud aufgerichtet und an seinen Wagen gelehnt. Da sah er den Kerl das erste Mal richtig: klein, schmächtig, kurze schwarze Haare, und dazu riesige, buschige Augenbrauen. Hässlicher als die Nacht, in der er gerade festsaß.

»Mr. Simmons mag deine Art nicht, Dingo. Aber er mag, was du versucht hast zu verkaufen. Halt uns nicht für dumm, Dingo. Ich weiß, dass du es irgendwo hast.«

»Im Kofferraum«, schoss es aus Hud hervor.

»Pablo«, befahl der Anführer in einem harschen Tonfall, »schau im Kofferraum nach.«

»Geht klar, Dewey«, murmelte ein langer, dürrer Kerl, dessen Mantel ihm deutlich zu groß war.

Hud griff währenddessen vorsichtig in sein Auto. Die Scheibe war zerbrochen, deshalb konnte er problemlos sein Lenkrad erreichen. Er hatte eine kleine Überraschung für diese Hurensöhne. Eine explosive Überraschung.

Im vergangenen Sommer hatte er mit einem Mechaniker abgemacht, dass er ihm eine Bombe mit Zeitzünder in sein Auto einbauen lassen würde. Er nannte das Zeug Zehphier oder so ähnlich. Klang wie aus einer anderen Sprache. Fünf Minuten lang würde sie brauchen, um zu explodieren, sobald man einen Schalter hinter dem Lenkrad betätigte. Der Mechaniker hatte nur gesagt, dass er nicht in der Nähe des Wagens sein sollte, wenn es hochging. Dafür hatte Hud eine Menge Junk abgegeben, aber im Endeffekt hatte es sich ausgezahlt. Vorsicht war immer besser.

Er schaffte es, den Schalter zu drücken. Kaum einer bemerkte es, da nur Hektor nach Hud sah und dieser kaum einen größeren Intellekt als ein Freak hatte. Seine wulstige Stirn schlug mehr Falten als ein altes Hemd. Seine eingesunkenen, kleinen Augen und sein ständig offen stehender Mund schienen dasselbe auszudrücken. Doch Hud musste vom Wagen wegkommen. Er hatte fünf Minuten. Na ja, weniger. Er stand unter Junk, er war verletzt und er war auf sich allein gestellt. Was nun?

Mitleidstour. Die Waffen. Die verdammten Waffen. Er müsste warten, bis der Scherge Pablo mit dem Junk aus dem Kofferraum zurückkommen würde.

»Hier is’ nichts, Dewey«, hörte Hud von hinten.

Dewey wollte gerade sein hässliches Maul öffnen, da unterbrach ihn Hud schon. »Im Ersatzreifen.«

Es dauerte nicht lange, da hörte Hud nur ein »HEILIGE SCHEISSE!« vom Mann, den sie Pablo nannten. War auch nicht anders zu erwarten. »Das müssen … zehn Kilo sein! Mehr noch! Absoluter Riesenvorrat! Sowas hab ich noch nie gesehen!«

»Nicht lang reden, her damit!«, fauchte Dewey. »Sergio, hilf deinem Bruder!«, schoss es hinter seinen knirschenden Zähnen hervor, woraufhin der Vierte im Bunde dorthin ging.

Dann kamen schon die ersten der noch immer verschlossenen Pakete hervor. Eingeschweißt in dem Zeug, das die Menschen vor dem Großen Krieg Plastik nannten. Faszinierendes Zeug – leicht, durchsichtig, reißfest und flexibel.

Deweys Augen weiteten sich beim Anblick des Berges an Junk, der sich anhäufte. »Eine Frage«, sagte er nun ruhigen Blutes. »Wo zur Hölle hast du das her?«

Klar würde Hud ihm das nicht sagen. Seine Gedanken drifteten wieder ab. Das Junk war schuld. Er erinnerte sich an diesen Tag vor drei Jahren …

Kapitel 4 – Be-la-ge-rung, die |

1 Militärtaktik, bei der eine Partei eine Stellung umringt, um die andere durch Aushungern zur Kapitulation zu zwingen; Abschneidung von Versorgung

2 Bedrängung (»Die Paparazzi belagerten schon seit drei Stunden das Grundstück.«)

 

 

Hud fuhr eine lange, schnurgerade Wüstenstraße herunter. Es war Hochsommer, so heiß, dass der Schweiß in den Poren brannte. Man konnte nicht einmal der eigenen Gürtelschnalle trauen, da man sich verbrannte, sobald man sie auch nur anfasste Tja, das Leben als Dingo war nicht einfach. Keine Siedlung, keinen Ankerpunkt zu haben, das war für viele ein Todesurteil. Es gab keine Aufzeichnungen über das eigene Leben. Wenn jemand einem Dingo die Kehle aufschlitzte, würde der Tote nie vermisst werden, da er niemanden kannte. Einige Leute hatten Häuser, in denen sie wohnten. Hud stand jedoch die gesamte Welt offen. Es war nicht nur der Rücksitz seines Wagens. Er hatte den Sternenhimmel, jeden Saloon, in den er je wollte, Teiche, Tümpel, verlassene Städte. Gefahren lauerten zwar überall, aber das Leben als Dingo war zumindest eins nicht: langweilig.

Jedoch ging es ihm jetzt an den Kragen. Normalerweise mochte Hud es, allein zu sein. Jetzt brauchte er jedoch Menschen und Wasser. Man fand aber kaum Menschen auf der Straße. Hochsommer halt. Hud musste eine Siedlung finden, einen Tümpel, einen Händler. Irgendetwas.

Seine Kehle hatte nun seit eineinhalb Tagen kein Wasser mehr zu spüren bekommen. Er hungerte seit einem Tag. Dass ihm ab und zu die Augen zufielen, war kein gutes Zeichen. Die andauernde Müdigkeit, die ständige Kraftlosigkeit, das Licht, das schmerzte, wenn es vom blauen Lack der Motorhaube reflektiert wurde und seine Augen traf. Sekundenschlaf.

Hud wusste, dass er nicht mehr lange leben würde, das Schicksal der vielen Knochen teilen würde, die verscharrt in der Welt herumlagen.

Die anderen Menschen jedoch waren intell… intellent? Intellektiv? So ähnlich. Jedenfalls, sie waren intellektiv genug, um von der Straße zu verschwinden und in den Schatten zu gehen. Genauso die Tiere und Freaks und was sonst noch auf der Erde herumstreunte. Sie wussten, dass das Wetter ein Grund zum Fürchten war. Hud wusste es auch. Er würde jedoch so oder so sterben. Er brauchte Vorräte.

Und da war es. Ein Punkt am Horizont. Etwas Schwarzes am Wegesrand. Relativ groß. Ein Auto.

Hud trat sofort auf die Bremsen, aber vorsichtig. Man durfte ihn nicht sehen. Dann drehte er um, bis er den Wagen nicht mehr sehen konnte und blieb stehen. Wem auch immer der Wagen gehörte, er war genauso erschöpft von der Hitze wie Hud. Und sie erwarteten vermutlich keinen Besuch.

Hud versteckte seinen Wagen hinter einem verdorrten Baum am Wegesrand, der zwar überhaupt nichts half, aber immerhin besser war, als die Karre auf der Straße stehen zu lassen. Dann stapfte er mit gebeugtem Rücken los. Es würde der schwerste Weg seines Lebens sein. Hud begann bereits zu schwanken, hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten, sah Sterne, sobald er sich zu hastig bewegte. Er schmeckte den bitteren Staub in seinem Mund, der zwischen seinen Zähnen knirschte, atmete immer lauter, heftiger und röchelnder, mit jedem Schritt. Doch er schleppte sich weiter, getragen von dem Gedanken, dass dieser schwarze Wagen dort hinten aussah wie ein verdammter Braten, so wie seine Mutter ihn damals einmal im Jahr gemacht hatte. Das Luftflimmern ließ es so aussehen, als würde er dampfen. Hätte er Wasser in seinem Körper gehabt, wäre es in Huds Mund zusammengelaufen.

Die Hälfte des Weges war etwa zurückgelegt und Hud begann, leise Stimmen zu hören. Er konnte erst nicht verstehen, was sie sagten, jedoch klangen sie verzweifelt. Zwei Stimmen konnte er erkennen, mindestens. Männer. Hud zückte das kleine Messer, das in seinem Gürtel hing, und humpelte weiter.

Gesprächsfetzen wurden nun durch den warmen Wind getragen. »… doch auf, Steve!« oder »Er braucht Wasser!« Hatte man etwa auch ein verdurstendes Opfer der Hitze? Kämpften diese Männer genauso mit dem Hitzetod wie er?

»Wir müssen unser Wasser aufsparen, das Ödland ist noch groß genug und wir sind nur zu dritt. Es passt nich’, Mann.« Der andere brach in Tränen aus. »Wir müssen Steve hier lassen. Er stirbt und wir leben, oder wir gehen alle drei drauf.« Hud nahm an, dass wohl Letzteres passieren würde und lächelte. Er hatte lange nicht mehr gelächelt.

Das Wort »Wasser« war gefallen. Hud hatte eindeutig das Wort Wasser gehört. Diese Leute hatten Wasser. Er musste es ihnen nur irgendwie abnehmen, wenn er diese Wüste noch lebendig verlassen wollte. Freiwillig würden sie es ihm wohl kaum überlassen. Es lief auf einen Kampf hinaus. Leben oder sterben, dachte er, leben oder sterben. Sie oder ich. Und sein Leben lag ihm am Herzen.

Zwischen den drei Kerlen und Hud war nur ihr schwarzer Geländewagen. Ein wunderschönes Teil. Aber diese Burschen würden Hud nur sehen können, wenn sie hinter dem Wagen hervorkämen. Das nutzte er zu seinem Vorteil und humpelte weiter gebückt zu ihnen hinüber. Er umklammerte die kurze Klinge noch stärker.

»Ich mach da nich’ mit, Kumpel. Ich lass Steve nie im Leben zurück.«

»Schieß mir den Schwanz ab, Mann!« Einer der beiden wurde lauter – als wenn er das Gewissen seines Freundes verscheuchen wollte. »Verdammt nochmal! Schlägt dir die Hitze aufs Hirn? Wir werden verrecken, wenn wir ihn weiter versorgen! Uns geht es bald allen so wie ihm!«

Die beiden waren beschäftigt. Perfekt. Hud robbte weiter zum Wagen und kniete sich, sobald er diesen erreichte, mit dem Rücken zur Beifahrertür. Jetzt musste er auf eine Gelegenheit warten.

»Denk dran! Wir können die Beute durch zwei teilen! Mehr für uns alle!«

»Es geht hier nich’ um Benzin und Essen, Drake. Es geht um unseren Kumpel! Ich kenne Steve seit zehn Jahren! Einen Scheiß werde ich tun!«

»Wie willst du das dann entscheiden, hm?«, fragte Drake mit reichlich Sarkasmus in seiner Stimme.

Die beiden würden sich vielleicht gegenseitig umbringen und Hud würde gar nicht erst eingreifen müssen.

»Wir ziehen gleich Streichhölzer. Schlägt niemals fehl. Doch erst mal muss ich pinkeln.«

Einer der beiden stand auf. Scheiße. Der einzige Baum weit und breit war auf Huds Seite des Wagens. Dort würde er hinpinkeln. Er würde ihn sehen.

Und da zog auch schon ein Schatten an Hud vorbei. Ein großer Kerl, zerrissenes weißes Shirt, schwarzer Lockenkopf. Ein kleiner Revolver hing an seiner Seite. Wenn dieser Kerl ihn sah, war Hud auf der Stelle tot. Er hatte einen Revolver. Andersherum betrachtet könnte Hud, wenn er Glück hatte, auf diese Weise vielleicht einen Revolver bekommen.

Der Lockenkopf ging weiter, beachtete Hud jedoch keines Blickes. Ein kurzer Ruck am Hosenstall, als er am Baum stand, und da floss es bereits.

Hud handelte, ohne zu planen. Sein Geist war getrübt. Er watschelte gebückt umher, nahm sein Messer und hielt es dem Kerl an seinen Schwanz. Wenn man jemanden schon mit heruntergelassener Hose erwischte, war der Sack ein wirklich guter Punkt, um ein Messer anzusetzen. Bei den meisten Männern sogar überzeugender als die Kehle.

»Heilige Scheiße!«, sagte der Lockenkopf.

»Mach alles, was ich sage und nichts passiert euch.« Der letzte Teil war gelogen. »Hände hoch.«

»Ich pinkel’ gerade, Dingo«, sagte der Lockenkopf mit einer in seiner Situation überraschenden Gelassenheit.

»Hände hoch, verdammt!«

Eine Stimme ertönte von hinten. »Drake, was is’ los?«

Drake der Lockenkopf hob seine Hände. Warmer Urin lief über Huds Hände. Es fiel ihm schwer, sich diese Tatsache einzugestehen, jedoch fühlte sich Flüssigkeit gerade sehr wohltuend an. Hud nahm ihm den Revolver ab. Dann ging er zurück hinter das Auto und zielte auf den Rücken des pissenden Drake.

»Du da, hinter dem Wagen. Ich hab die Waffe von deinem Kumpel und richte sie auf ihn. Wirf deine Knarre rüber, dann passiert euch nichts.«

»Das kannst du vergessen!«, hörte er kurz und knapp von drüben.

Hud dachte nicht mehr. Sein Durst war unerträglich geworden. »Na gut«, sagte er, und drückte ab. Ein gellender Knall ging durch die Einöde. Blut tropfte aus dem Rücken des Mannes, den sie Drake nannten. Er sackte sofort zusammen. Seine Blase jedoch entleerte sich weiterhin.

»DRAKE! DRAKE! VERDAMMTE SCHEISSE!« Der Kerl verlor seinen Verstand.

»Mach, was ich sage oder dir passiert das Gleiche«, keuchte Hud.

»Dafür werd ich dir den Schädel aufschlitzen, du dreckiger Dingo. Ihr herumstreunendes Pack! Gottverlassener Hurensohn! Ich ficke dich mit dem glühenden Lauf meiner Knarre!«

Klang nach einem unangenehmen Zeitgenossen.

»Spar dir deine Kräfte, Kumpel«, versuchte Hud zu sagen, ohne dabei ängstlich zu klingen, »das hier ist jetzt eine Belagerung. Weißt du, was eine Belagerung ist?«

Der andere wartete kurz. »Nein, Dingo. Erklär’s mir doch.«

»Mein Vater«, fing Hud an, »erzählte mir einmal, dass die Menschen vor vielen, vielen Hunderten von Jahren, noch bevor es Autos, Knarren und Solar gab, in großen Häusern aus Stein lebten. Nannte man Schlösser, diese Dinger.«

Er schluckte kurz.

»Wenn die Menschen aus dem einen Schloss die Dinge aus dem anderen Schloss wollten, so holten sie sich das Ganze durch Krieg. Sie gingen mit langen Messern aufeinander los und ritten auf Kühen und Pferden. Und dann umzingelten sie das Schloss, in das sie wollten, und drohten den Menschen darin. Die Leute in dem Schloss wiederum zeigten ihnen den Mittelfinger und sagten: Wir sind hinter dicken Steinmauern. Ihr kommt nicht rein. Macht doch, was ihr wollt. Daraufhin sagten die anderen: Ihr kommt aber auch nicht raus.«

»Und was willst du mir damit sagen, Dingo?«

»Das hier ist eine Belagerung. Einer von uns beiden kommt hier nicht lebend heraus. Entweder nehme ich dein Schloss ein oder du schaffst es, mich davonzujagen. Jedoch müssen wir, bis das passiert, bleiben, wo wir sind.«

Der andere schwieg kurz. »Und wie endeten diese … Lagerungen meist?«

»Belagerungen.«

»Jaja, egal, Dingo. Wie ging es aus?«

»Die Belagerer, also die Menschen vor den Schlosstoren, hatten Lebensmittel. Die im Schloss wiederum konnten keine neuen Lebensmittel holen und wurden daher von Hungersnot, Durst und Krankheiten heimgesucht. Es kam meist doch irgendwann zu Kämpfen, wenn die Anspannungen zu groß waren.« Heillos übertrieben, aber Gott, Hud hoffte, dass der Bluff funktionierte. Er war derjenige ohne Vorräte, kurz vorm Verdursten. Er war derjenige, der nichts mehr zu verlieren hatte.

»Weißt du, was ein Duell ist?«

Die Sonne brannte auf Huds Kopf. Der Wagen war unfassbar heiß. Und alles wurde noch schlimmer. Klar wusste er, was ein Duell war. »Ja«, antwortete er kurz.

»Ich finde keine Lösung für das hier«, offenbarte der andere.

»Ich auch nicht«, fügte Hud hinzu. Und diesmal war er ehrlich. Er hatte nicht nachgedacht.

»Wie wäre es damit? Der Sieger bekommt alles.«

»Dann soll es halt so sein«, sagte Hud.

»Waffenstillstand?«, fragte der andere.

»Waffenstillstand«, sagte Hud.

Die Fratze des Kerls kam hinter dem Wagen hervor. »Gut, ich dachte, dass ich mich nie würde entspannen kö…« Da hatte er auch schon eine Kugel im Gesicht und fiel um.

Hud hatte den Mist satt. Er schaffte es, seinen Körper nach oben zu bringen, schoss noch auf den armen Schlucker namens Steve, der verdurstend auf der anderen Seite des Wagens lag. Dann nahm er dem anderen die Waffe ab, eine verdammte Schrotflinte.

Er betrachtete den Wagen und stieg hinein. Der Tank war voll, Benzin auf der Rückbank, dazu ein Plastikschlauch zum Umfüllen des Benzins. Der Wagen war zudem top in Schuss.

Als Nächstes war der Kofferraum an der Reihe. Sobald er diesen öffnete, wehte ihm augenblicklich ein Geruch entgegen, den er nicht kannte. Es war keine Verwesung, nein. Es war himmlisch. Es roch stark würzig und unfassbar süß, wie ein Tannenwald im Tau. Und dann sah er es: über ein Dutzend Pakete mit grünen Pflanzenteilen. Mit einem dicken Stift hatte jemand »JUNK« darauf geschrieben. Daneben lagen eine billige Pfeife und eine Feldflasche.

Feldflasche.

Huds Hände waren schneller als sein Hirn, beim Gedanken an das Wort hatte er schon den ersten riesigen Schluck angesetzt. Die Hälfte ließ er in der Flasche – Vorsicht war nun mal geboten.

Er fand den Autoschlüssel bei Drake, stieg ein, fuhr zu seinem eigenen Wagen, leerte mit dem Schlauch seinen alten Tank, füllte es ab und ließ die alte Karre dann stehen. Das war der Beginn von etwas Großem, dachte er. Nein, er spürte es.

Kapitel 5 – Deal, der |

1 Abmachung, Pakt

2 ugs.: Drogenhandel

 

 

Dewey schlug Hud mit dem Griff der Pistole, die er gezückt hatte, mit nicht zu unterschätzender Kraft ins Gesicht. »Nicht abdriften, Dingo«, sagte er, während er näher an Huds Gesicht rückte, »du wolltest mir gerade sagen, wo du das her hast.«

Hud sagte einfach gar nichts. Das war wohl besser unter diesen Umständen.

Dewey warf einen kleinen Blick in die Fahrerkabine und sah Huds Hand darin. Er war so sehr in sich gekehrt, dass sich die Hand noch immer in der Nähe des Schalters befand, nachdem er ihn betätigt hatte. Das Auto würde in ein paar Minuten in die Luft fliegen. Er musste hier weg.

»Dingo, was macht deine Hand da am Lenkrad?«

Hud bemühte sich absichtlich, schlecht zu schauspielern. Das war sein Ticket in die Freiheit.

»N-nichts …« Er zitterte absichtlich. Hätte er von selbst seinen Schweißfluss steuern können, wäre dieser jetzt auf volle Stärke gestellt.

Dewey zeigte auf einen seiner Schergen. »Such nach Waffen im Fahrerbereich. Wir können hier sicherlich noch was abgreifen. Und du …« Er packte Hud am Hals. »Du kommst jetzt erst mal mit mir.« Er riss Hud mit vorgehaltener Waffe mit sich, entfernte sich einige Meter vom Auto und stieß ihn zu Boden. »Du hast noch die Dreistigkeit, mich verarschen zu wollen, Dingo?«

»Was bedeutet Dreistigkeit?«, fragte Hud scheinheilig. Er musste Zeit gewinnen.

»Komm mir nicht so. Sag mir lieber, was du noch Brauchbares in diesem rollenden Schrotthaufen hast.«

Hud schaute hinüber. In dem Wagen wühlten drei der vier Kerle herum – zwei luden Dinge aus dem Kofferraum aus, einer kroch unter die Sitze und das Armaturenbrett, um nach Waffen zu suchen, die er vermutlich auch finden würde. Etwas zum Zeitvertreib. Du musst lügen, Hud. Nutze die Lügen, sagte er sich. Nutze die Lügen.

»Ich hab ’nen Goldbarren in dem Wagen. In eine der Kopflehnen eingenäht.«

»Jetzt versuch dir nicht, unnötig Zeit zu verschaffen. Du weißt, wie absurd das klingt, Kumpel.« Hud verstand lediglich nicht, was das Wort »absurd« bedeutete.

Plötzlich drang ein Geräusch aus der Ferne. Ein ungutes Geräusch. Es klang wie ein röchelnder Schrei, nicht sonderlich laut, aber deutlich hörbar. Es klang wie jemand, der Blut hochwürgte. Und Hud kannte das Geräusch nur zu gut.

Dewey begann, seine Taschenlampe hin und her zu schwenken und mit der Waffe um sich zu zielen. Er wusste scheinbar auch, was dieses Geräusch bedeutete.

Absolut nichts Gutes.

Hektor, der Größte der Truppe, streckte seinen dicken Hals aus dem Wagen. »Knarre gefunden«, sagte er vollkommen ausdruckslos und hob einen kleinen Revolver hervor.

Dewey sah Hud an. »War das alles?«

»J-ja …«

»Du bist ein schlechter Lügner, Mann.«

»Sucht weiter!«, fuhr er seine Kumpane an, »Aber beeilt euch. Wir müssen verschwinden.«

Ein Hoch auf schlechte Lügner, dachte sich Hud. Und ein Hoch auf Gier. Sie war manchmal doch zu etwas nützlich.

Die beiden Brüder, die den Kofferraum ausräumten, schlossen nun die Klappe. Er war vermutlich endgültig leer. »Wir sind fertig, Dewey«, sagte der Größere von beiden.

Hud drehte sich zu Dewey um.

Eine gigantische Gestalt türmte sich hinter ihm auf, vermutlich über zwei Meter hoch und etwa halb so breit. Die Kleidung, die dieses Ding trug – wenn man überhaupt von Kleidung sprechen konnte – hing nur noch in Fetzen an seinem grotesken Torso. Aus seiner linken Achselhöhle wuchs ein dritter, unfassbar muskulöser Arm. Und es hob gerade eine stumpfe, rostige Axt in den Himmel. Mit einem ekelhaft schmatzenden Geräusch bohrte sich die Klinge tief in Deweys Oberarm. Blut spritzte umher und traf Hud an seinem Ärmel. Dewey stieß einen gellenden, fast animalischen Schrei aus und drehte sich um. Die Taschenlampe richtete er auf das Gesicht des Biestes. Ein dicker Faden Rotz drang aus dem linken Mundwinkel, der so weit von seinem Ursprungspunkt abgewichen war, das der Mund dieses Dings etwa bis zu dem Ansatz seiner Koteletten gehen musste.

»FREAKS!«, schrie Dewey und schoss dem dreiarmigen Riesen ins Gesicht.

Der große Kerl setzte sich augenblicklich in Huds Wagen und schloss die Türen, auf die zerbrochene Scheibe vergessend. Die beiden anderen Schergen Deweys versuchten, sich in den Kofferraum einzuschließen. Jedoch sprang dem einen der beiden bereits ein Wesen ohne Beine, nur mit Einsatz seiner kräftigen Arme, auf den Rücken, und biss mit riesigen, scharfen Zähnen in seinen Hinterkopf.

Ein weiterer Freak, dessen Beine so lang wie ein ausgewachsener Mann waren, der aber keine Arme besaß, kam mit unfassbarer Geschwindigkeit aus dem Wald gelaufen und stieß dabei aus voller Kehle einen lauten, heiseren Schrei aus. Und er fixierte nur Hud.

Der Langbein-Freak machte einen gewaltigen Satz aufs Dach von Huds Wagen, sah sich kurz um und hielt sofort auf Hud zu. Hud griff in seine Socke und holte endlich seinen zweiten Revolver hervor. Diese Kerle waren ja dumm genug gewesen, nicht direkt an seinem Körper zu suchen.

Hud verfehlte den Freak zwar bei seinem ersten Versuch, beim zweiten Mal traf er ihn jedoch direkt in eines seiner abnorm großen Knie und brachte ihn sofort zu Fall. Der Freak versuchte japsend weiterhin, auf Hud zuzukriechen. Erst jetzt sah Hud, dass der Langbein-Freak zwei Münder aufwies, beide mit Reihen von scharfen Zähnen gefüllt, die er fletschte und welche vor eitrigem Sabber überquollen. Er blinzelte nicht und robbte noch immer ohne anzuhalten auf seine Beute zu, als wäre Hud das Einzige, was für ihn auf der Welt existierte. Hud pinkelte sich fast in die Hosen. Er stand auf und entfernte sich vom Wagen.

Dewey, der seinen verletzten Arm hielt, rief ihm zu: »Na, Dingo, hast du einen Plan?«

»Allerdings, den h…« In diesem Moment flog sein Wagen mit unvorstellbarer Wucht in die Luft. Ein Druck, so wie der stärkste Orkanwind, prallte gegen Huds Brustkorb und schleuderte ihn zurück. Er krachte gegen einen morschen Baum und sank zu Boden.

Hud war immer noch bei Bewusstsein, hatte aber starke Schmerzen in der Brust. Ein greller Quietschton hallte durch seinen Kopf. Er konnte sehen, wie ein halbes Dutzend Freaks in den merkwürdigsten Farben und Formen kreischend und brennend umherlief. Er konnte nicht sagen, welche der Kreaturen als Resultat der Explosion Gliedmaßen verloren hatten, und welche einfach nur wie seltsame Kinderzeichnungen aussahen, die zum Leben erwacht waren. Eine Kreatur besaß einen Kopf so groß wie ein Autoreifen, aus dem groteske, tentakelartige Gliedmaßen wuchsen. Ein anderer hatte vier Beine und anstelle von Armen hing an seinen Schultern ein weiteres Paar Beine.

Sie fielen alle nacheinander zu Boden und zuckten und jammerten, bis sie allmählich aufhörten sich zu bewegen.

Hud versuchte aufzustehen. Dies erwies sich als deutlich schwieriger als gedacht. Die vielen Tritte in die Magengrube sowie die Explosion verursachten einen stechenden Schmerz in seinem Brustkorb, der alle anderen Gefühle und Gedanken ausblendete. Ein Glück, dass er auf Junk war. Es wäre sonst deutlich schlimmer gekommen. Er hörte jedoch ein weiteres Winseln – ein quietschendes, raues Jammern. Hud blickte ein Stück weiter zu seiner Linken auf den Boden.

Es war Dewey, dem noch immer ein rostiges Beil aus seiner Schulter ragte und das ihm starke Schmerzen bereitete. Er bewegte sich langsam hin und her und rollte sich, so gut er konnte, über den Boden, auf Hud zu.

Hud stand auf und taumelte behutsam zu Dewey. Dann trat er ihm mit voller Wucht mit seinem neuen Paar Stiefel in den Bauch.

Dewey schnappte nach Luft und stieß noch einen Schrei aus.

»So fühlt sich das an, du dämlicher Hoodlum«, sagte Hud, während er sich mit einer Hand an die schmerzende Brust griff. »So und nicht anders, Kumpel.«

»Du …« Dewey versuchte etwas zu sagen. »Du kannst mich nicht … hierlassen. Die Freaks kommen zurück. Die zerfleischen mich. Das hier …« Er zeigte auf den noch immer brennenden Trümmerhaufen, der einmal Huds Wagen gewesen war. »Das hier wird sie anlocken.«

»Tja, nicht mein Problem, oder?« Hud hob die Pistole auf, die Dewey hatte fallen lassen, und steckte sie sich in seinen Hosenbund. Dann kehrte er um und lief zu dem Geländewagen der Hoodlums. Er drehte sich noch einmal um. »Ich hoffe es macht eurem Bertrand Simmons nichts aus, wenn ich eines eurer Autos mitnehme? Irgendjemand hat meins in die Luft gejagt, ich könnte ein Neues gebrauchen.«

»Warte!«, keuchte Dewey. Er klang mittlerweile wie ein kaputter Motor.

Hud blieb stehen. »Was denn, hm?«

»Du magst Deals, oder? Du bist ein Dealer. Deals sind dein Leben, Dingo.«

»Willst du mir etwa was anbieten?«

Dewey richtete sich auf, so gut er nur konnte und spuckte etwas Blut. Sein Gesicht war erhellt durch die Flammen, die noch immer brannten. Der Geruch von sengendem Fleisch stand in der Luft und erinnerte Hud an frisch gebratenes Schwein.

»Ich möchte etwas gegen mein Leben tauschen. Du hast die Chance, es zu retten. Ich will hier nicht sterben, Mann. Nicht hier, nicht jetzt, nicht so.«

»Ich höre. Mal sehen, ob du mich überzeugen kannst. Aber beeil dich.«

»In dem Wagen ist etwas.« Dewey wurde schlagartig ernst und konzentrierte sich, um halbwegs flüssig zu reden. Es ging immerhin um sein Leben. Seine Augen weiteten sich. »Etwas unsagbar Wertvolles. Etwas so unfassbar Schönes, dass du dir nicht in deinen kühnsten Träumen ausmalen könntest, wie kostbar es ist.« Es sah fast aus, als würde er beginnen zu weinen. »Mir fehlen die Worte, mit denen ich dir beschreiben könnte, wie wunderschön dieser Gegenstand ist.«

»Lass mich raten? Er gehört mir, wenn ich dir helfe?«

Dewey nickte. »Im Handschuhfach ist eine Karte. In der Nähe ist ein Stützpunkt von Simmons. Wirf mich vor der Tür raus, man kennt mich dort und wird mich verarzten. Dann kannst du wegfahren.«

Hud rieb sich sein Kinn. Das klang interessant. »Warum kann ich es mir nicht selbst nehmen, Dewey? Wieso sollte ich mir die Arbeit machen, dich zu tragen?«

»Ich weiß, wie man es bedient. Ich weiß, wo es ist. Ich zeige es dir.«

Hud dachte nach. Das könnte eine Falle sein. »Was, wenn du mich verarschst?«

Dewey hielt kurz inne. Sein langer grauer Mantel war mittlerweile blutdurchtränkt. Das Beil ragte noch immer aus seiner Schulter.

»Weil«, begann er, »du eigentlich nichts zu verlieren hast.« Dewey zeigte mit seinem unverletzten Arm in ein Gebüsch. »Dort steht der Wagen. Schwarzer Geländetruck. Es liegt im Handschuhfach, etwa so groß wie eine Handfläche. Du wirst ohne mich nicht herausfinden, wie es funktioniert. Also find es doch für dich selbst heraus – aber bitte, mach es schnell. Es werden bald mehr kommen, Dingo.«

Hud fand, dass das kein schlechter Deal war. Falls Dewey log, würde er ihn noch immer umlegen können. Er musste ihn nur zu diesem Wagen schaffen.

»Dann komm mit, Arschloch«, stürzte es in befehlendem Ton aus Hud heraus, »wir bringen dich zu deinen Leuten.« Hud ging zügig auf Dewey zu, legte ihm seinen Revolver an den Rücken und befahl ihm zu gehen.

»Eine Sache noch«, sagte Dewey.

»Willst du jetzt noch Forderungen stellen, hm?«

»Kannst du die Axt …«

Hud schlug gegen die Axt. Und es bereitete ihm große Freude. Dewey schrie und fiel augenblicklich wieder um. Hud packte ihn an seinem verletzten Arm und zog einmal kräftig. Dewey schrie wieder, diesmal aber lauter.

»Wenn du dich nicht beeilst«, sagte Hud, »zerr ich dich an diesem Arm zum Wagen. Und wenn er abreißt, nehm ich halt den anderen.«

Dewey stand sofort und war gehbereit.

Kapitel 6 – Reiz-über-flu-tung, die |

Der Zustand, bei dem der Körper aufgrund übermäßig vieler Reizquellen nicht imstande ist, alle eingehenden Reize zu erfassen; Überforderung

 

 

Dewey saß friedlich auf dem Beifahrersitz. Ernsthaft friedlich – Hud dachte nicht, dass er irgendwelche Probleme machen würde. Dewey war lediglich froh, dass er vermutlich nicht sterben musste.

Ein Glück, dass der Wagen wie die meisten Automatik hatte. Nicht nur, dass die weniger anstrengend zu benutzen war als das alte, klapprige Gangschaltgetriebe, das Hud zuvor hatte. Nein, er hatte sogar noch eine Hand frei, um seinen Revolver permanent auf Dewey zu richten.

Eigentlich hatte Dewey gefragt, ob er sich auf die Rückbank legen könnte. Hud hatte verneint, denn der Hoodlum hätte ihn von hinten erwürgen können. Und vielleicht waren dort Waffen versteckt. Jedoch spukte nur ein Gedanke durch Huds Kopf, auch wenn er versuchte, ihn zu unterdrücken und in die hintersten Ecken seines Schädels zu verbannen: Neugier.

Er hatte das Ding betrachtet, von dem Dewey geredet hatte. Es war vollkommen flach und etwa eine halbe Handbreite dünn, rechteckig und dabei so groß wie der Tacho des Wagens. Die eine Seite bestand aus einer spiegelnden, schwarzen Fläche, die Rückseite war aus einem glatten, Hud völlig unbekanntem Material. Was war das für ein Ding? Hatte Dewey ihm einen Bären aufgebunden? Würde dort etwas kommen, auf dem mysteriösen X auf der Karte, das nicht mehr weit entfernt war?

Dewey wusste es und er saß, überwiegend ohne einen Ton von sich zu geben, neben Hud auf dem Beifahrersitz. Ab und zu gab er einen zischenden Schmerzlaut von sich und verdrehte die Augen.

Hud musste etwas tun. Noch bevor sie ankommen würden. Er musste Vorkehrungen treffen. Er fuhr an den Straßenrand, stoppte den Wagen und zog den Schlüssel.

»So«, begann Hud, »ich glaube, wir sind weit genug von diesen Freaks weg.« Er griff ins Handschuhfach, zog den flachen Gegenstand heraus und zeigte ihn Dewey. »Jetzt wirst du mir mal sagen, wofür ich deinen Hintern hierhergeschleppt hab.«

Dewey erschrak. »Hey …« Er rutschte im Sitz umher und schloss dabei schmerzverzerrt die Augen, als das Sitzpolster seinen Oberarm berührte. »Kann das nicht warten? Ich blute hier deine neuen Polster voll.«

»Ich kann dich auch jetzt rausschmeißen, die paar Kilometer schaffst du noch zu Fuß!«, antwortete Hud gelassen.

Dewey stieß einen tiefen Seufzer aus und streckte Hud die Hand seines intakten Arms entgegen.

Hud reichte ihm den Gegenstand.

Dewey drückte einen Knopf am Rand des Teils und auf einmal begann es zu leuchten. Wirklich zu leuchten. In Dutzenden von Farben und Mustern.

»Das hier«, erklärte Dewey, »ist der Touchscreen. Momentan ist die Sperre eingeschaltet. Du musst dir Folgendes merken …« Dewey hielt ihm das Gerät hin. Auf dem Bildschirm zeichneten sich neun in einem Quadrat angeordnete Kreise ab. Er drückte seinen Finger auf das in der linken oberen Ecke, zog es zur rechten, dann zur linken unteren, und zuletzt zur rechten unteren – es ergab die Form eines kleinen »Z«. Dann erschienen eine Menge kleinerer Quadrate auf dem Bildschirm.