Rita Haub
Alfred Delp
topos taschenbücher, Band 1007
Eine Produktion des Lahn-Verlags
Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Lahn-Verlag, Kevelaer
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck
Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement
www.topos-taschenbuecher.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8367-1007-7
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5018-9
E-Pub: ISBN 978-3-8367-6018-8
Neuausgabe
2015 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen beim
Lahn-Verlag, Kevelaer
Abbildungen
Umschlagbild: Alfred Delp in Feldkirch, um 1934. © SJ-Bild
S. 94: © Richard Harlacher, Gundremmingen
Alle anderen Abbildungen: © SJ-Bild
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg
Printed in Germany
Vorwort
I.Die Jesuiten und das Dritte Reich
II.Alfred Delp – Stationen seines Lebens
Kindheit und Jugend
Jesuit
Seelsorger und Redakteur
„Soziale Frage“ und „Kreisauer Kreis“
Gefängnis und gewaltsamer Tod
Epilog
III.Alfred Delp – Visionen seines Lebens
Die Vision eines personalen Sozialismus
Die Vision einer menschenfreundlichen Kirche
Die Vision eines neuen Menschen
IV.Aussagen von Zeitzeugen
Franz von Tattenbach SJ (†): Gefesselte Hände
Karl Rahner SJ (†): Dem Andenken Alfred Delps
Alfons Matzker SJ (†): Begegnung und Erfahrung mit Alfred Delp
Fritz Delp: Mein großer Bruder
Karl Adolf Kreuser SJ (†): Ein väterlicher Freund
Hildegard Neudegger: Der „Schutzpatron unserer Familie“
Elizabeth Weidenbach: … er hat immer herzlich gelacht
Anhang
Zeittafel Alfred Delp und seine Zeit
Literatur/Medien
Wenn durch einen Menschen ein wenig mehr Liebe und Güte, ein wenig mehr Licht und Wahrheit in der Welt war, hat sein Leben einen Sinn gehabt.
(Alfred Delp – nach dem 11. Januar 1945)
Eine Woche vor seinem Tod hatte Alfred Delp in einem Kassiber geschrieben: Ach wenn man der Weltgeschichte doch Beine machen könnte. Man sieht doch, wo sie hinläuft. Warum nicht 14 Tage früher? Er hatte davon gehört, dass sich die sowjetischen Truppen der Reichshauptstadt Berlin näherten. Er verrechnete in seinen Überlegungen diese nahe Erwartung mit seinen Hoffnungen. Und er schrieb: Wenn ich überleben darf, weiß ich, wozu ich ausschließlich da bin in Zukunft. – Wozu wollte er ausschließlich da sein? Was waren seine Visionen beim Blick in die Zukunft? Delp hat sie nicht ausdrücklich formuliert und den Nachgeborenen hinterlassen. Wir müssen seine Visionen über die Erneuerungen von Kirche und Welt also aus seinen Lieblingsthemen, aus seinen großen Stichworten, aus seinen tragenden Ideen herauslesen.
Allmächtiger, ewiger Gott, inmitten der Kirche berufst Du alle Zeit Männer und Frauen, dass sie Dir dienen und Dich vor der Welt bezeugen. Pater Alfred Delp hat in vorbildlicher Weise den Glauben gelebt und im Feuerofen der Verfolgung standgehalten. Durch seinen unermüdlichen Einsatz im Dienst der Seelsorge und durch sein mutiges Bekennen vor Richtern und Statthaltern ist er für uns ein leuchtendes Vorbild zu bleibender Erinnerung geworden.
Mit diesen Worten würdigte Joseph Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., Alfred Delp 1981 bei der Einweihung des Denkmals Drei Jünglinge im Feuerofen in München-Bogenhausen.
Alfred Delp ist weder heilig- noch seliggesprochen worden. Aber er zählt zu den bekanntesten Blutzeugen des 20. Jahrhunderts. Sein Leben spannt sich vom 15. September 1907 bis zum 2. Februar 1945. Es vollzieht sich in fünf Stationen, von der Kindheit und Jugend über den Eintritt in den Jesuitenorden, seiner Tätigkeit als Seelsorger und Redakteur bei den Stimmen der Zeit, seinem Einsatz im Kreisauer Kreis über seine Verhaftung und seine Gefängnisaufenthalte bis zu seiner Ermordung durch die Nazis. In allen Abschnitten seines Lebens ist Delp der Mensch, der zu Gott unterwegs ist und den Mitmenschen Wege zu Gott bahnen will. Delps gewaltsamer Tod am 2. Februar 1945 ist politisch, weil ihm die Umstände keine andere Wahl ließen. Sein Zeugnis ist das eines denkenden und betenden Menschen, der völlig auf den Herrgott vertraut.
Delp kannte das Gebet seines Mitbruders, des heiligen Petrus Canisius (1521–1597), des ersten deutschsprachigen Jesuiten:
Du weißt, Herr, wie sehr und wie oft du mir Deutschland ans Herz gelegt hast, damit ich mich ganz für Deutschland hingebe und nichts mehr anderes wünsche, als für Deutschland zu leben und zu sterben.
Dieses Gebet galt es nun zu leben. Alfred Delp erkannte die Verpflichtung der Stunde und bejahte sie:
Wenn die Geschichte entartet, dann ist die Stunde gekommen, in der der Mensch die Geschichte nicht verraten darf. Dieses ist das erste Gesetz der Freiheit, und zu diesem Gesetz muss die Freiheit stehen, auch um den Preis der persönlich-geschichtlichen Katastrophe.
In seinem Abschiedsbrief an seine Mitbrüder schreibt Alfred Delp:
… nun muss ich doch noch den anderen Weg nehmen. Das Todesurteil ist beantragt, die Atmosphäre ist so voll Hass und Feindseligkeit, dass heute mit seiner Verkündigung und Vollstreckung zu rechnen ist. […] Behüte Sie alle der Herrgott. Ich bitte um Ihr Gebet. Und ich will mir Mühe geben, von drüben aus das nachzuholen, was ich hier schuldig geblieben bin. Gegen Mittag werde ich noch zelebrieren und dann in Gottes Namen den Weg seiner Fügung und Führung gehen. Ihnen Gottes Segen und Schutz.
Dieses Buch beschreibt die persönliche Wirkung von Leben, Schaffen und geistigem Erbe dieses sensiblen Denkers für die Probleme der Zeit. Die erste Auflage erschien unter dem Titel Beten und Glauben zum 100. Geburtstag Alfred Delps am 15. September 2007. Die Zweitauflage erscheint nun zum Gedenken seines Zeugentodes vor siebzig Jahren am Galgen in Plötzensee am 2. Februar 2015 unter dem Titel Zeuge des Widerstands.
München, im September 2014
Dr. Rita Haub
Die nationalsozialistische Diktatur bekämpfte von Anfang an die Jesuiten neben Juden, Kommunisten und Freimaurern als Hauptfeinde des „Vaterlandes“. Sie ist über die Jesuiten hereingebrochen wie ein verheerender Sturm und hat viele ihrer Arbeiten zunichte gemacht, vor allem die Arbeiten mit der Jugend. Die Jesuitenschulen wurden geschlossen, die Jesuiten vertrieben und die Schulgebäude für andere Zwecke in Anspruch genommen. Nur die Seelsorge in den Kirchen blieb zunächst noch ohne wesentliche Behinderung erhalten. Jede Tätigkeit außerhalb der Kirche war verboten. Der Jesuitenorden ließ sich aber nicht von seiner Arbeit abbringen, sondern führte vieles im Geheimen in Privathäusern weiter.
Im Januar 1934 kam es zur ersten Hausdurchsuchung durch die Politische Polizei im Jesuitenhaus bei St. Michael in München, und bereits zwei Monate später wurde der erste Pater wegen einer Predigt in St. Michael im Wittelsbacher Palais, der Zentrale der Gestapo, verwarnt. 1935 wurden die ersten Ordensangehörigen verhaftet. 1937 startete eine Pressekampagne gegen die Gesellschaft Jesu: In den Tageszeitungen erschienen Artikel über eine „Passfälscherzentrale der Jesuiten“. 1937 setzten die Hausdurchsuchungen auch bei den Jesuiten in größerem Stil ein. 1938/39 wurden die Häuser der Jesuiten beschlagnahmt oder enteignet. Der nächste Schritt im Kampf gegen den Orden sollte die Erfassung aller Ordensmitglieder – ähnlich wie die Juden – in Spezialkarteien mit dem Ziel sein, dass bis 1942 kein Jesuit mehr im Lande sein sollte. – Die Kartei konnte allerdings dadurch verhindert werden, dass die Provinziäle die Listen trotz aller Drohungen nicht auslieferten. 1941 wurden dann einige Häuser zwangsaufgelöst.
1943 versuchte man durch einen spektakulär inszenierten Devisenprozess gegen Pater Oswald von Nell-Breuning SJ in München vor dem Sondergericht den Jesuiten zu schaden. Die sogenannten „Devisen- und Sittlichkeitsprozesse“ waren Hitlers „Geheimwaffe“ gegen den Vatikan, da dieser öffentliche Gerichtsverhandlungen bei den staatlichen Manipulationsmöglichkeiten fürchten musste. Die Anklage warf Nell-Breuning vor, er habe für seinen Orden Genehmigungen für Zinszahlungen nach Holland erschlichen. Der Staatsanwalt musste die Anklage zurückziehen, da nachgewiesen werden konnte, dass die ausländischen Schuldverpflichtungen echt waren. Trotzdem gab es keinen Freispruch, sondern das Urteil lautete auf drei Jahre Zuchthaus, 500.000 Reichsmark Geldstrafe und Ersatzeinziehung in Höhe des ins Ausland gezahlten Zinsbetrages. Die Urteilsbegründung lautete, Pater von Nell-Breuning habe die zur Zinszahlung verwendeten Beträge aus Misstrauen gegen den nationalsozialistischen Staat ins Ausland verschoben. Nell-Breuning musste die Haft aber wegen mangelnder Gesundheit nicht antreten. Die beiden deutschen – die Niederdeutsche und die Oberdeutsche – Jesuitenprovinzen aber mussten zusammen eine Million Reichsmark Strafe zahlen – eine Summe, die nur durch die selbstlose und risikoreiche Hilfe vieler Freunde des Ordens aufgebracht werden konnte.
Nicht wenige Jesuiten wurden wegen ihrer seelsorglichen Tätigkeit von den NS-Behörden verfolgt, verbannt, oder in Konzentrationslager verschleppt. Einige von ihnen wurden hingerichtet. Im Jahr 1942 starben die ersten Jesuiten im KZ Dachau, weitere Patres waren in anderen Lagern und Gefängnissen inhaftiert, von deutschen Jesuiten über 20, von Jesuiten aus anderen Ländern Europas über 100. Im Februar 1943 bekam das sogenannte „Judenkommissariat“ die Angelegenheit der Jesuiten übertragen, was Schlimmstes befürchten ließ. Im totalen Krieg mit seinen Bombenangriffen wurden schließlich 1944/45 viele Niederlassungen der Jesuiten – vor allem in den Großstädten – zerstört.
Ein Terrorregime, das jede persönliche Freiheit aufhob und jegliche Ethik dem Volkstum unterordnete, musste den Widerstand der denkenden und erst recht der von religiösen Grundsätzen geprägten Menschen herausfordern. Die Jesuiten haben in der NS-Zeit diese Herausforderung angenommen und sich nicht von ihrem Weg abbringen lassen. So wurden sie zu einem Wegweiser durch eine oft kaum durchschaubare Welt.
Die Nationalsozialisten versuchten, dem Orden die Existenzgrundlage zu entziehen, indem sie viele Jesuitenhäuser beschlagnahmten und ihn durch hohe Geldstrafen in finanzielle Nöte zu bringen suchten. Sie wollten die Jesuiten in der Öffentlichkeit herabsetzen, indem sie ihnen Devisenvergehen nachsagten, sie in Pamphleten verleumdeten und sie aus der Wehrmacht entließen. Sie boykottierten ihre Jugendarbeit, indem sie die Kollegien auflösten und die Jugendverbandsarbeit entweder ab 1938 (Bund Neudeutschland) verboten oder in die Sakristei (Marianische Kongregationen) abdrängten. Sie erschwerten jede Art schriftstellerischer Tätigkeit, indem sie Zeitschriften auf Monate hin verboten oder am Ende ganz – wegen Papiermangels – einstellten. Sie verfolgten mit Spitzeln die Prediger und Exerzitienleiter, um einzuschüchtern und um die Wahrheit niederzuhalten.
Trotz dieser Tatsachen widerstanden nicht alle Jesuiten der Ideologie des Nationalsozialismus von Anfang an. Eine Minderheit erwartete von der nationalen Revolution Großes und bedauerte, nicht mitmachen zu können. – Doch es gab keinen Jesuiten, der den Orden verlassen hat, um sich den Nationalsozialisten anzuschließen.
Der Großteil der Jesuiten – wie auch andere katholische und evangelische Geistliche und Laien – stellte sich mutig der Nazidiktatur entgegen und folgte dem Ver-Führer nicht blind. Und manche von ihnen bezahlten den Widerstand gegen Unrecht und Unterdrückung mit ihrem Leben. Allen Widrigkeiten zum Trotz waren die Jesuiten bis zum Ende des Dritten Reiches unermüdlich im Dienst an den Menschen, in der Seelsorge, engagiert, versuchten über den Nationalsozialismus als eine Pseudoreligion aufzuklären und einige von ihnen arbeiteten auch im eigentlichen Widerstand, im Kreisauer Kreis mit.
Wie sehr die Jesuiten unter dem Nationalsozialismus zu leiden hatten, machen die Zahlen deutlich: Von 380 deutschen Patres, die dem Zugriff der Nazis ausgesetzt waren, wurden 266 aus ihren Häusern vertrieben. Ingesamt hatten achtzig Jesuiten unter den Übergriffen der Nazis zu leiden, wie etwa: Predigtverbot und -überwachung, Verhör, Verhaftung, Schutzhaft, Entzug der Unterrichtserlaubnis, Passverweigerung, Telefon- und/oder Postüberwachung, Hausarrest, Redeverbot, Beschlagnahme von Briefen, Schriften und Akten, Verwarnung, Zimmerdurchsuchung, Wehrunwürdigkeit, Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft, Landesverweis.
Zwei Jesuiten der Oberdeutschen Provinz wurden zum Tod verurteilt und hingerichtet: Alois Grimm SJ am 11. September 1944 und Alfred Delp SJ am 2. Februar 1945. Von den Patres der Österreichischen Provinz wurde Johann Steinmayr SJ vom Präsidenten des Volksgerichtshofs, Dr. Roland Freisler, wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und am 18. September 1944 in Brandenburg-Görden enthauptet. Johannes Schwingshackl SJ erhielt am 16. Dezember 1944 vor dem Sondergericht in Salzburg – wiederum von Freisler – das gleiche Urteil. Er starb in der Nacht vor seiner Hinrichtung am 27. Februar 1945 im Gefängnis München-Stadelheim. Zwölf Jesuiten wurden in Konzentrationslager verbracht, drei davon starben im KZ Dachau. – Die Gesellschaft Jesu hielt unter den vierzig Orden und Kongregationen, die in Dachau vertreten waren, den Rekord. Von 1941 an, als Dachau das Lager werden sollte, in das alle Priester und Ordensleute in besonders gekennzeichnete Baracken überführt werden sollten, wurden bis Ende April 1945 96 Jesuiten aus dreizehn verschiedenen Provinzen registriert. Es starben von ihnen insgesamt 31 an Hunger, an Erschöpfung, an Misshandlung. Zwei wurden Opfer der Euthanasie. 26 mussten mehrjährige oder kürzere Gefängnisstrafen absitzen. Dreizehn kamen bei Kriegseinwirkungen ums Leben. 79 Jesuiten kehrten nicht mehr aus dem Krieg zurück – sie waren gefallen, gestorben oder vermisst. Wie viele in den Gefangenenlagern kommunistischer Diktaturen ihr Leben lassen mussten, wird sich nie erfassen lassen.
Friedrich Alfred Delp wurde am 15. September 1907 in Mannheim als ältester Sohn des evangelischen Kaufmanns Johann Adam Friedrich Delp (1876–1958) und seiner katholischen Frau Maria, geborene Bernauer (1881–1968), geboren und zwei Tage später – auf Wunsch der Mutter – in der katholischen Oberen Pfarrei zu Mannheim getauft. Die Familie Delp wohnte zunächst in Hüttenfeld, einem kleinen Ort nördlich von Mannheim, wo der Vater in der Dienststelle der Ortskrankenkasse Bensheim tätig war. 1914 zog die Familie, die inzwischen fünf Kinder – zwei Jungen und drei Mädchen – hatte, in das nahe gelegene Lampertheim um, wo 1921 noch ein weiterer Sohn zur Welt kam. Im Kreis seiner Eltern und Geschwister verbrachte Alfred eine frohe Kindheit.
Als Alfred 1914 in Lampertheim eingeschult wurde – ein Jahr zuvor hatte er in Hüttenfeld eine konfessionell gemischte Volksschule besucht –, bestand der Vater darauf, dass er die evangelische Volksschule besuchte, um eine evangelische Erziehung sicherzustellen. Doch nahe der Wohnung der Familie Delp lag die katholische Pfarrkirche, und Alfred hielt sich oft im Pfarrhaus bei Pfarrer Johannes Unger (1886–1935) auf. In ihm fanden die Delp-Kinder einen väterlichen Freund, gerade in den Jahren, in denen der Vater im Krieg oder bei der Reichswehr war. Vater Delp kehrte erst um 1920 endgültig vom Militär heim. Die Mutter, gebürtig aus dem Odenwald, die vor ihrer Ehe als Köchin in einem Offiziershaushalt gearbeitet hatte, musste so in den wirtschaftlich schweren Zeiten allein für die große Familie sorgen und arbeitete in der Verwaltung eines Gutshofes in Lampertheim, um für alle Kinder genügend Lebensmittel zu erhalten. Sie gab diese Tätigkeit erst 1921 mit der Geburt des jüngsten Sohnes auf.
Da Alfred 1921 konfirmiert werden sollte, nahm er am Konfirmandenunterricht teil und fiel durch seine bei der Konfirmation üblichen Vorstellung im Gemeindegottesdienst durch seine klugen Antworten auf. Eine kleine Auseinandersetzung mit dem evangelischen Pastor Rudolf Eckel (1875–1929) – er kam zu spät in die Religionsstunde und erhielt daraufhin eine Ohrfeige – führte jedoch dazu, dass Alfred sich zwar am 28. März 1921 konfirmieren ließ, sich dann aber, da jetzt religionsmündig, für die katholische Konfession entschied. Am 19. Juni 1921 empfing er – durch Pfarrer Unger persönlich vorbereitet – in Lampertheim die Erste Heilige Kommunion. Am 28. Juni 1921 wurde er durch Bischof Ludwig Maria Hugo (1871–1935) bei der allgemeinen Firmung in Lampertheim gefirmt. – Diese Wende, von Delp rückwirkend beschrieben mit als ich zur katholischen Kirche kam und deshalb oft fälschlicherweise als Konversion bezeichnet, brachte Delp auf einen neuen Weg seines Lebens mit vielen Chancen. Er wurde zum sozialen Aufsteiger. Gerade deshalb behielt er sein ganzes Leben lang eine große Sensibilität für die soziale Frage und für die Ökumene.
Dieser Eigensinn eines gekränkten Jugendlichen zog seine Konsequenzen nach sich: Mutter Delp, die schon bisher mit dem katholischen Pfarrer zusammen für die religiöse Erziehung ihrer Kinder gesorgt hatte, legte nun gesteigerten Wert darauf, dass Alfred „richtig“ im katholischen Glauben erzogen wurde. So wurde er nach Ostern 1922 in das bischöfliche Konvikt nach Dieburg und in das dortige humanistische Gymnasium geschickt. Auch hier stand Pfarrer Unger helfend bei – sowohl Mutter Delp, für die er die nötigen Kontakte knüpfte, als auch Alfred, den er mit Nachhilfeunterricht in Latein und Griechisch so gut auf das Gymnasium vorbereitete, dass dieser nach glänzend bestandener Aufnahmeprüfung für die Untertertia sogleich in die Obertertia aufgenommen wurde. Dort brachte er so gute Leistungen, dass er 1923 auch die Untersekunda überspringen und sofort in die Obersekunda vorrücken durfte. Alfred Delp stach bereits damals durch seine Intelligenz, seine Zielstrebigkeit, Hilfsbereitschaft und Heiterkeit hervor. Er war ein eifriger Schüler und kam im Unterricht mit Leichtigkeit voran, aber er war kein Streber. Er war ein durch und durch fröhlicher Mensch, lachte gerne und war übermütig und unternehmungslustig. Und er war in der Schule alles andere als ein Musterknabe. So schrieb er später einmal: Lasst euch von meiner Mutter keine „Heiligenlegenden“ über mich erzählen. Ich war ein Strick!
Neben Schule und Konvikt spielte der Jugendbund „Neudeutschland“ (ND) eine große Rolle im Leben des jungen Alfred Delp. Der ND war 1919 vom Erzbischof von Köln, Felix Kardinal von Hartmann (1851–1919), als katholischer Schülerverband gegründet worden und besaß in seinem Generalsekretär Pater Ludwig Esch SJ (1883–1956) einen wortgewaltigen Inspirator. Als Delp sich am 8. Dezember 1922 dem ND anschloss, hatte der Bund bereits eine Phase der inneren Klärung auf verschiedenen Verbandstagen hinter sich gebracht. Die Entscheidung zur Jugendbewegung war gefallen und damit zu Natürlichkeit, Einfachheit, Wahrhaftigkeit, Selbstverantwortung, Gemeinschaft, freie Wahl des Jugendführers und Gefolgschaft, Wandern, Heimat und Volk, frohe Feste mit Laienspiel und Liedern aus dem eigenen Liederbuch „Jungvolker“. Grundlegend für den ND war aber das sogenannte „Hirschbergprogramm“, das auf dem fünften Bundestag auf Schloss Hirschberg bei Beilngries 1923 beschlossen wurde. Aus diesem Programm prägte Delp dreierlei: Die Christuskreise führten ihn in eine enge Bindung zu Jesus Christus. Die Theologie vom Verhältnis zwischen Natur und Gnade förderte in ihm eine große Hochschätzung der Schöpfung und der modernen Welt. Der Aufbauwille in einem bedrängten und armen Deutschland vermittelte ihm eine innere Bindung an Deutschland als Reich, Vaterland und Heimat, die ihn sein ganzes Leben lang bestimmte.