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Miguel de Cervantes Saavedra

Leben und Taten des scharfsinnigen edlen Don Quijote de la Mancha

(Buch 4)

 

 

 

Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag, Wien 

2. Auflage, 14. Februar 2016 

Alle Rechte vorbehalten 

eBook: Leben und Taten des scharfsinnigen edlen Don Quijote de la Mancha (Buch 4) 

ISBN: 978-3-99041-581-8 

Erstes Kapitel

 

Erzählt, was dem ganzen Gefolge des Don Quixote in der Schenke begegnete.

 

 

Nachdem ihre gute Mahlzeit geendigt war, stiegen sie wieder auf, und ohne dass ihnen etwas der Erzählung Würdiges zustieß, erreichten sie am folgenden Tage die Schenke, die den Sancho Pansa in Furcht und Schrecken setzte, in welche er aber dennoch einkehren musste, so ungern er es auch tat. Der Wirt, die Wirtin, ihre Tochter und Maritorne, die Don Quixote und Sancho ankommen sahen, gingen ihnen entgegen und begrüßten sie mit vieler Lustigkeit; der Ritter nahm den Gruß mit Ernst und Strenge an und bat, ihm eine andere, bessere Ruhestatt als jüngst zuzubereiten, worauf die Wirtin antwortete, dass, wenn er besser als jüngst bezahle, sie ihn wie einen Fürsten betten wollten. Don Quixote sagte, er würde es tun, und sie machten ihm nun in derselben Scheune von neulich ein ganz erträgliches Bett zurecht, in welches er sich sogleich niederlegte; denn er langte gar ermüdet an und matt am Verstande.

   Er hatte sich kaum fortbegeben, als sich die Wirtin sogleich an den Barbier machte, ihn beim Bart fasste und ausrief: »Bei meiner Seele, nun sollt Ihr auch meinen Schwanz nicht länger als Bart brauchen; ich will ihn wiederhaben; er gehört meinem Manne, und er soll sich nicht länger im Lande herumtreiben, dass es eine Schande ist, denn er pflegt die Kämme darin aufzuhängen.« Der Barbier wollte ihn nicht hergeben, so sehr sie auch zog, bis ihm der Lizentiat sagte, er möchte ihn ausliefern, denn diese Bekleidung sei nun überflüssig; vielmehr solle er sich nur jetzt in seiner natürlichen Gestalt zeigen und zu Don Quixote sagen, dass, nachdem sie von den Ruderknechten geplündert wären, er nach dieser Schenke geflohen sei; wenn aber vom Stallmeister der Prinzessin die Rede sein würde, so wollten sie ihm sagen, dass man ihn vorangeschickt habe, um den Untertanen die Nachricht zu bringen, wie sie komme und ihrer aller Befreier mit sich bringe. Hierauf gab der Barbier mit gutem Willen der Wirtin den Schwanz, sowie er auch alles übrige ablieferte, was sie, der Erlösung des Don Quixote wegen, geborgt hatten.

   Alle in der Schenke verwunderten sich über die Schönheit der Dorothea sowie über die edle Gestalt des Hirten Cardenio. Der Pfarrer sorgte dafür, dass sie eine Mahlzeit erhielten, so gut es die Schenke vermochte, und der Wirt, der eine bessere Bezahlung hoffte, richtete ihnen mit großem Eifer ein gutes Mittagsmahl zu. Während dieser ganzen Zeit schlief Don Quixote, und sie wollten ihn nicht aufwecken, weil ihm der Schlaf nötiger als Essen war. Bei Tische sprachen sie in Gegenwart des Wirtes, der Wirtin, der Tochter, Maritorne und aller Reisenden von Don Quixotes seltsamer Narrheit, und wie sie ihn angetroffen; die Wirtin erzählte, was sich mit dem Eseltreiber zugetragen, wobei sie sich umsah, ob Sancho nicht zugegen sei, und da sie ihn nicht gewahr ward, erzählte sie auch alle Umstände von seiner Prelle, welches den übrigen vieles Vergnügen machte; wie nun der Pfarrer darauf sagte, dass die Ritterbücher, die Don Quixote gelesen, ihm den Verstand verdreht hätten, erwiderte der Wirt: »Wie das möglich ist, begreife ich nicht; denn ich weiß mir nach meinem Geschmack kein schöneres Lesen auf der Welt, und ich selbst habe zwei oder drei solcher Bücher, die mir immer das Herz erfrischen, und nicht nur mir, sondern auch vielen andern Leuten! Zur Erntezeit kommen viele Schnitter in den Festtagen hierher, da ist denn immer einer darunter, der lesen kann und der dies oder jenes von diesen Büchern zur Hand nimmt. Über dreißig setzen wir uns um ihn her und hören mit solchem Vergnügen zu, dass wir Essen und Trinken vergessen; wenigstens muss ich für meine Person gestehen, dass, wenn ich von den schrecklichen und entsetzlichen Hieben höre, die sich die Ritter austeilen, ich die größte Lust kriege, es auch zu versuchen, und ich Tag und Nacht den Dingen zuhören möchte.«

   »So geht es mir gerade auch«, sagte die Wirtin; »denn ich habe niemals gute Zeit im Hause, außer wenn du dem Lesen zuhörst, um die Zeit bist du so außer dir, dass du dann an kein Zanken denkst.«

   »Das ist wahr«, sagte Maritorne, »und meiner Treu, ich höre diese Dinge doch gar zu gern an, denn sie sind zuckersüß, besonders wenn erzählt wird, wie solche Dame unter Orangen sitzt und sich mit ihrem Ritter umarmt hält, wie dann eine Dienerin auf der Wache sein muss und vor Neid und Furcht sterben möchte; oh, alle die Sachen sind lieblicher als Honig.«

   »Und wie gefallen sie Euch, liebes Kind?« fragte der Pfarrer, indem er sich zur Tochter des Wirts wandte.

   »Ich kann es wahrhaftig selbst nicht sagen«, antwortete sie; »ich höre zu, und wenn ich es auch nicht verstehe, macht mir doch das Anhören Vergnügen. Nicht aber gefallen mir die Hiebe so sehr, die meinen Vater ergötzen, sondern die Klagen, welche die Ritter anstellen, wenn sie von ihren Damen entfernt sind, so dass ich wahrhaftig ein paarmal aus Mitleiden habe weinen müssen.«

   »Ihr würdet sie also wohl schnell trösten, mein liebes Kind«, fragte Dorothea, »wenn sie Euretwegen jammerten?«

   »Ich weiß nicht, was man tun würde«, antwortete das Mädchen; »aber das ist wahr, dass einige von diesen Damen so grausam sind, dass ihre Ritter sie Löwen und Tigertiere nennen und ihnen noch andere Ekelnamen geben, und du lieber Gott! ich begreife doch gar nicht, wie es so hartherzige und gewissenlose Leute geben kann, dass sie sich um einen ehrlichen Menschen nicht mehr kümmern und ihn sterben oder verrückt werden lassen; ich weiß auch nicht, was das Zieren soll; wenn sie es ehrlich meinen, so mögen sie sich mit ihnen verheiraten, da jene doch nichts Besseres wünschen.«

   »Schweig, Kind«, sagte die Wirtin, »du scheinst viel von den Dingen zu wissen; es schickt sich nicht, dass ein Mädchen so viel weiß und spricht.«

   »Da mich der Herr fragte«, erwiderte sie, »so musste ich ihm doch wohl antworten.«

   »Gebt mir doch nun, Herr Wirt«, sagte der Pfarrer, »die Bücher, denn ich möchte sie wohl sehen.«

   »Sehr gern«, antwortete jener, worauf er in seine Stube ging, einen alten Mantelsack holte, der mit einer kleinen Kette verschlossen war, und ihn aufmachte, worauf drei große Bücher und einige sehr deutlich geschriebene Blätter zum Vorschein kamen. Das erste Buch, welches der Pfarrer aufschlug, war der Don Cirongilio von Thracia, das zweite Felixmarte von Hircania, ein anderes Die Geschichte des Großen Feldherrn Gonzalo Hernandez von Kordova, nebst dem Leben des Diego Garcia von Paredes. Als der Pfarrer die beiden ersten Titel gelesen hatte, kehrte er sich zum Barbier und sagte: »Hier fehlen nur die Haushälterin und die Nichte unseres Freundes.«

   »Sie brauchen nicht zu fehlen«, antwortete der Barbier; »denn ich selbst kann sie auch in den Hof oder hier in den Kamin schmeißen, wo gleich ein schönes Feuer brennt.«

   »Ihr wollt doch nicht etwa meine Bücher verbrennen?« fragte der Wirt.

   »Nur die zwei«, sagte der Pfarrer, »den ›Don Cirongilio‹ und den ›Felixmarte‹.«

   »Sind denn diese Bücher«, fragte der Wirt, »etwa Ketzer oder Phlegmatiker, dass Ihr sie verbrennen wollt?«

   »Ihr wollt sagen Schismatiker, guter Freund«, sagte der Barbier, »und nicht Phlegmatiker.«

   »Nun ja«, sagte der Wirt; »aber wenn Ihr denn ja einen verbrennen wollt, so nehmt doch den ›Großen Feldherrn‹ da oder den ›Diego Garcia‹: denn lieber möcht ich meinen leiblichen Sohn verbrennen lassen als einen von den andern beiden.«

   »Lieber Freund«, sagte der Pfarrer, »diese beiden Geschichten sind erlogen; sie sind voller Narrheit und Unsinn, die Geschichte des Großen Feldherrn aber ist wahrhaft und enthält die Taten des Gonzales Hernandez von Kordova, der es wegen seiner vielen und großen Verrichtungen verdiente, dass man ihn in der ganzen Welt den Großen Feldherrn nannte: ein herrlicher, ruhmvoller und von ihm allein verdienter und schön verdienter Beiname; und dieser Diego Garcia de Paredes war ein sehr vorzüglicher Ritter, aus der Stadt Truxillo in Estremadura gebürtig; er war der tapferste Soldat, und seine natürliche Kraft war so groß, dass er mit einem Finger ein Mühlenrad im heftigsten Umschwung anhalten konnte; auch stellte er sich mit seinem Schlachtschwerte vor den Eingang einer Brücke und hielt eine unzählige Armee ab hinüberzudringen, nebst andern Taten, die er selber erzählt, die aber, wenn er nicht selbst mit der Bescheidenheit eines Ritters und eignen Chronikschreibers spräche, sondern von einem andern, unleidenschaftlichen frei beschrieben würden, alle Taten Hektors, Achilles' und Rolands verdunkeln würden.«

   »Nun, das ist auch was Besonderes!« rief der Wirt aus, »ist das nun wohl der Rede wert, ein Mühlenrad anzuhalten? Ach, du lieber Gott! Leset nur, was Felixmarte von Hircania ausgeübt hat, der mit einem einzigen Streiche fünf Riesen mitten durchgehauen, als wenn sie nur aus Bohnen wären, wie die Rosinenmännerchen, die die Kinder wohl zu machen pflegen; ein andermal hat er sich mit der größten und erschrecklichsten Armee eingelassen, die über eine Million und sechsmal hunderttausend Soldaten hatte, alle von Kopf bis zu Fuß geharnischt, und er hat sie alle in die Flucht geschlagen, als wenn es nur eine Herde Schafe wäre. Was soll man aber von dem lieben Don Cirongilio von Thracia sagen, der so tapfer und mutig gewesen, wie man auch in dem Buche lesen kann, dass, da er einmal auf einem Flusse fuhr, mitten aus dem Wasser ein feuriger Drache hervorkam und er, sowie er ihn erblickte, sich auf ihn stürzte und sich rittlings auf seinen schuppigen Rücken setzte, worauf er ihm mit beiden Händen die Kehle so gewaltig zusammendrückte, dass der Drache merkte, er müsse erwürgen, und kein anderes Mittel sah, als sich bis auf den Grund des Stromes zu tauchen und den Ritter mit sich zu nehmen, der nicht von ihm ablassen wollte; und als sie nun unten waren, fand er sich in so herrlichen Schlössern und Gärten, dass es zum Erstaunen war, und der Drache machte sich zu einem alten Greise und sagte solche Dinge, dass man sich nichts Köstlicheres vorstellen kann. Schweigt ja still, lieber Herr; denn wenn Ihr es anhörtet, würdet Ihr vor Freuden toll im Kopfe werden wollen; o schade was für den Großen Feldherrn und den Don Garcia!«

   Da dies Dorothea hörte, sagte sie leise zu Cardenio: »Es fehlt wenig, so spielt unser Wirt die zweite Rolle des Don Quixote.«

   »So sieht es fast aus«, antwortete Cardenio; »denn so wie er zu verstehen gibt, so hält er es für ausgemacht, dass alles, was diese Bücher erzählen, sich gerade so zutrug, wie sie es beschreiben; kein Barfüßer könnte ihn von dieser Meinung abbringen.«

   »Bedenke, guter Freund«, fing der Pfarrer wieder an, »dass ein Felixmarte von Hircania niemals auf Erden gelebt hat, ebenso wenig ein Don Cirongilio von Thracia oder andre ähnliche Ritter, von denen die Ritterbücher schreiben; alles ist ja nur Erdichtung und Erfindung müßiger Köpfe, die diese Dinge zum Zeitvertreibe schreiben, wie Ihr auch erzählt, dass die Vorlesung Euren Schnittern die Zeit verkürzt; denn ich schwöre es Euch zu, dass dergleichen Ritter niemals auf Erden gelebt haben, sowenig wie diese Taten und Teufeleien jemals vorgefallen sind.«

   »Ihr mögt einem andern die Nase drehen«, antwortete der Wirt, »wir wissen gottlob noch, dass zwei und zwei vier macht und wo uns der Schuh drückt; glaubt nicht, dass Ihr mir solchen Brei in den Mund streichen könnt, denn ich bin gottlob nicht von gestern her; das ist doch lustig, dass Ihr mir weismachen wollt, in allen diesen Büchern stecke nur Lug und Trug, da sie doch mit besonderer Erlaubnis der königlichen Räte gedruckt sind; als wenn das Leute wären, die so viele Lügen würden drucken lassen, all die Schlachten und Verzauberungen, worüber man verrückt werden könnte.«

   »Ich habe Euch schon gesagt, Freund«, versetzte der Pfarrer, »dass alles dies nur geschieht, um unsre müßigen Gedanken zu unterhalten, und wie man in gut eingerichteten Staaten Schachspiel, Kegelspiel und Billard denen erlaubt, die nicht arbeiten mögen, können oder dürfen, so lässt man auch dergleichen Bücher drucken, in der Meinung, wie es auch geschieht, dass keiner so sehr unwissend sein wird, diese Geschichten für Wahrheit zu halten, und wenn es sich jetzt nun schickte oder meine Zuhörer es verlangten, so könnte ich manche Dinge darüber sagen, wie Ritterbücher eingerichtet sein müssten, wenn sie gut sein sollten, was vielleicht zum Nutzen und manchem zum Vergnügen gereichen würde; ich hoffe aber, eine Gelegenheit zu finden, es denen mitzuteilen, die dafür etwas leisten können, und unterdessen, Herr Wirt, glaubt nur meinen Worten, nehmt Eure Bücher, und macht Euch mit ihnen davon, sie mögen nun Wahrheit oder Lügen sein, und wohl bekommen sie Euch, und Gott gebe nur, dass Ihr nicht auf demselben Beine lahm werdet, auf welchem Euer Gast Don Quixote hinkt.«

   »Seid ohne Sorge«, antwortete der Wirt; »denn ich werde ja nicht so närrisch sein, mich zu einem irrenden Ritter zu machen, denn ich weiß wohl, dass jetzt nicht Gebrauch ist, was ehemals Gebrauch war, als jene berühmten Ritter durch die Welt zogen.«

   Um die Mitte dieses Gespräches hatte sich Sancho eingefunden. Er war sehr betrübt und nachdenklich, als er hörte, dass gegenwärtig die irrenden Ritter nicht gebräuchlich wären und dass alle Ritterbücher nur Narrheiten und Lügen enthielten; er nahm sich in seinem Herzen vor, abzuwarten, wie diese Reise seines Herrn ausschlagen würde, und falls es nicht so glücklich käme, als er dachte, beschloss er, ihn zu verlassen und zu Frau und Kindern und seiner gewöhnlichen Arbeit zurückzukehren.

   Der Wirt nahm den Mantelsack und die Bücher, aber der Pfarrer sagte: »Haltet, ich möchte gern diese Papiere ansehen, die so zierlich geschrieben sind.«

   Der Wirt nahm sie und gab sie ihm zum Lesen hin, die Handschrift betrug ungefähr acht Bogen, und der Titel war mit großen Buchstaben geschrieben und hieß: »Novelle von der unziemlichen Neugier«. Der Pfarrer las für sich einige Zeilen und sagte: »Der Anfang dieser Novelle ist wahrlich nicht übel, und ich hätte wohl Lust, sie ganz zu lesen.«

   Der Wirt antwortete hierauf: »Euer Ehrwürden mag sie nur lesen, denn ich muss Euch sagen, viele von meinen Gästen haben sie schon gelesen, und allen hat sie sehr gefallen; sie haben mich auch dringend darum gebeten, aber ich habe sie ihnen nicht geben mögen, denn ich denke sie dem einmal wiederzugeben, der diesen Mantelsack mit den Büchern und Schriften vergessen hat. Der Besitzer kömmt wohl wieder einmal her, und ob es mir gleich leidtun wird, diese Bücher wegzugeben, so bin ich doch ein Christ, wenn ich gleich nur ein Schenkwirt bin.«

   »Ihr habt recht«, sagte der Pfarrer; »wenn mir aber dir Novelle gefällt, so ist es doch wohl erlaubt, sie abzuschreiben?«

   »Herzlich gern«, antwortete der Schenkwirt.

   Indes die beiden sprachen, hatte Cardenio die Novelle genommen und sie zu lesen angefangen; sie gefiel ihm ebenso wie dem Pfarrer, und er bat diesen, sie laut vorzulesen, dass alle sie hören könnten. »Ich will lesen«, sagte der Pfarrer, »wenn es nicht vielleicht besser ist, die Zeit mit Schlafen als mit Lesen hinzubringen.«

   »Es wird mir genug Erholung sein«, sagte Dorothea, »die Zeit mit einer Erzählung zu verkürzen; denn meine Geister sind noch nicht so beruhigt, dass ich schlafen könnte, wenn es mir auch zuträglich wäre.«

   »So will ich denn«, sagte der Pfarrer, »aus Neugier weiterlesen, vielleicht macht es uns Vergnügen.«

   Auch Meister Nicolas bat darum, ingleichen Sancho; wie also der Pfarrer sah, dass alle und auch er selbst Vergnügen daran haben würden, sagte er: »Wenn dem so ist, so sei nun jedermann aufmerksam, denn die Novelle fängt auf folgende Weise an.«

Zweites Kapitel

 

Enthält die »Novelle von der unziemlichen Neugier«.

 

 

In Florenz, einer reichen und berühmten Stadt Italiens im toskanischen Gebiete, lebten zwei reiche und vornehme Ritter, Anselmo und Lotario, die so große Freunde waren, dass sie von allen, die sie kannten, statt aller Namen nur die beiden Freunde genannt wurden. Sie waren ledig, jung, von einem Alter und gleichen Gesinnungen, wodurch sie zu einer festen gegenseitigen Freundschaft bewogen wurden; Anselmo zwar war den Vergnügungen der Liebe mehr als Lotario ergeben, dem die Freuden der Jagd reizender dünkten; doch wenn es die Gelegenheit gab, verließ Anselmo seine Neigung, um der des Lotario zu folgen, so wie Lotario die seinige verließ, um dem Anselmo nachzugeben, so dass ihr Wille immer eine Richtung nahm und genauer als zwei Uhren miteinander übereinstimmte.

   Anselmo ward in ein vornehmes und schönes Fräulein aus der nämlichen Stadt verliebt, eine Tochter edler Eltern, und die durch sich selbst edel war, so dass er sich, nachdem er seinen Freund Lotario befragt hatte – ohne dessen Rat er nichts unternahm –, entschloss, sie von den Eltern zur Gemahlin zu begehren; es geschah, und Lotario war der Freiwerber, der das Geschäft so gut nach den Wünschen seines Freundes vollendete, dass dieser sich bald in dem Besitze des Gutes sah, und Camilla war so vergnügt, den Anselmo zum Gatten erlangt zu haben, dass sie unaufhörlich den Himmel und Lotario pries, durch dessen Vermittelung ihr dieses Glück zugefallen war.

   Die ersten Tage wurden, wie es bei Hochzeiten zu geschehen pflegt, sehr fröhlich vollbracht, Lotario besuchte wie gewöhnlich das Haus seines Freundes Anselmo, indem er dazu beitrug, das Fest, soviel er nur konnte, fröhlich und prächtig zu machen; als aber die Hochzeit vorüber und sich die häufigen Besuche der Glückwünschenden vermindert hatten, fing auch Lotario an, mit unverminderter Liebe seine Besuche im Hause des Anselmo zu vermindern, weil er der Meinung war, wie dies alle Verständigen immer geglaubt haben, dass man in die Häuser der verheirateten Freunde nicht ebenso oft gehen dürfe, als wenn sie noch Junggesellen sind; denn wenn auch die wahre Freundschaft durchaus unverdächtig sein kann und muss, so ist doch die Ehre des Vermählten so empfindlich, dass sie sogar durch Brüder, geschweige durch Freunde verletzt werden kann. Anselmo bemerkte die Zurückgezogenheit Lotarios und beklagte sich sehr darüber; er sagte, dass, wenn er gewusst hätte, dass seine Heirat einen eingeschränktern Umgang unter ihnen nach sich ziehen würde, er niemals diesen Schritt getan hätte, wenn sie so innig verknüpft gewesen, solange er im ledigen Stande gelebt, dass man sie nur mit dem süßen Namen die beiden Freunde genannt habe, so könne er nicht zugeben, dass jetzt aus dieser einzigen Ursache dieser schöne und bedeutende Name untergehen solle, und dass er ihn darum als um eine Gnade bitte, wenn anders unter ihnen eine solche Sprache erlaubt sei, wieder der Herr in seinem Hause zu sein und wie sonst aus und ein zu gehen, wobei er versicherte, dass seine Gattin Camilla keine andere Freude oder keinen andern Willen habe, als den er von ihr verlangte, und da sie wüsste, wie zärtlich sie sich liebten, sei sie selber über diese Kälte betroffen.

   Hierauf und auf vieles andere, was Anselmo dem Lotario sagte, um ihn zu bereden, wieder wie sonst sein Haus zu besuchen, antwortete derselbe so verständig und nachdrücklich, dass Anselmo an der guten Meinung seines Freundes nicht zweifeln konnte; sie kamen dahin überein, dass Lotario zweimal in der Woche und an den Festtagen bei ihnen essen sollte; aber obgleich dies verabredet war, so nahm sich doch Lotario vor, nicht weiterzugehen, als es die Ehre seines Freundes erlaubte, die er ebenso teuer als seine eigne achtete. Er sagte, und zwar mit Recht, dass der Gatte, dem der Himmel eine schöne Frau geschenkt, in der Wahl seiner Freunde, die er in sein Haus führe, ebenso aufmerksam sein müsse als in der Auswahl der Freundinnen, mit denen seine Gattin umgehe, denn was auf öffentlichen Plätzen, in Kirchen, bei Feierlichkeiten oder in der Vesper nicht zustande gebracht werden kann – von welchen Orten der Mann die Frau doch nicht immer zurückhalten darf –, das wird oft leicht in dem Hause einer Freundin oder Verwandtin beschlossen, mit der sie vertrauten Umgang hat. Doch war Lotario auch der Meinung, es sei allen Verheirateten nötig, einen Freund zu haben, der sie auf jede Kleinigkeit aufmerksam machte, die sie etwa unbeachtet lassen möchten; denn es geschieht leicht, dass die große Liebe, die der Mann zur Frau trägt, ihn abhält, alles zu bemerken oder es ihr zu sagen, um sie nicht zu erzürnen, damit sie irgendetwas tue oder auch unterlasse, was ihr im entgegengesetzten Falle entweder Ehre oder Schande bringen dürfte; was aber leicht vermittelt werden kann, wenn der Freund beide davon benachrichtigt. Wo ist aber wohl ein so edler und aufrichtiger Freund zu finden, wie ihn Lotario verlangt? Ich weiß nur, dass Lotario selbst für die Ehre seines Freundes so besorgt war, dass er sich stets bemühte, von den Tagen einige abzuziehen oder sie zu verkürzen, an denen er das Haus seines Freundes nach der Abrede besuchen sollte, damit der müßige Pöbel sowie die umtreibenden und boshaften Klätscher keinen Anstoß nehmen möchten, einen jungen, reichen Edelmann, mit den Vorzügen begabt, die er sich zutraute, das Haus einer so schönen Frau, wie Camilla war, oft besuchen zu sehen: denn wenn auch ihr Edelmut und ihre Tugend den verleumderischen Zungen Zaum und Gebiss anlegen konnte, so wollte er doch ihren guten Namen wie den seines Freundes nicht auf das Spiel setzen, und deshalb brachte er die abgeredeten Tage gewöhnlich anderswo zu und entschuldigte sich mit Abhaltungen, denen er nicht ausweichen könne, so dass mit Anklagen auf der einen und Entschuldigungen auf der andern Seite ein großer Teil solches Tages zugebracht wurde.

   Es geschah hierauf, dass an einem solchen Tage, als beide über eine Wiese, fern von der Stadt, spazieren gingen, Anselmo zu Lotario folgendes sagte:

   »Du glaubst wohl, mein Freund Lotario, dass für die Gnade, die mir Gott erzeigt, von solchen Eltern, wie die meinigen sind, geboren zu sein, dass er mir nicht mit karger Hand die Gaben der Natur sowie die Güter des Glücks zugeteilt hat, dass ich ihm für diese Geschenke nicht hinlänglich danken kann, vorzüglich aber, weil er mir dich zum Freunde und Camilla zur Gattin gab, zwei Güter, die ich wohl so schätze, wenigstens wie ich kann, wenn auch nicht in dem Grade, wie ich sollte? Doch bin ich, von diesem Glück umringt, das sonst hinreichend ist, den Menschen zufrieden zu machen, der bedrängteste und unglückseligste Mensch, der nur auf Erden zu finden ist: denn ich weiß nicht, seit wie lange mich ein so seltsamer, so äußerst ungewöhnlicher Wunsch quält, und der so sehr von allen gewöhnlichen Dingen entfernt liegt, dass ich mich über mich selbst verwundere, mit mir selber schelte und mich vor meinen eignen Gedanken zu verbergen suche; und doch such ich mein Geheimnis zu entdecken, als wenn es mein Wunsch wäre, dass die ganze Welt es erfahren möchte, und da es nun doch einmal ausbrechen muß, so will ich es in dein geheimstes Vertrauen niederlegen, weil ich glaube, dass deine aufrichtige Freundschaft schnell auf ein Mittel denken wird, mich zu heilen; so dass ich mich von dieser Angst befreit sehe und dein Eifer mich ebenso zur Fröhlichkeit zurückführt, wie mein Wahnsinn mich zum Missvergnügen geführt hat.«

   Erwartungsvoll hörte Lotario diese Worte des Anselmo an, weil er sich nicht denken konnte, wohin diese umständliche Vorbereitung führen sollte; er musterte alle seine Vorstellungen, um zu ersinnen, was doch seinen Freund quälen möchte, aber er traf immer sehr fern vom Ziele der Wahrheit; um also aus dieser peinigenden Ungewissheit gerissen zu werden, sagte er, dass seine Freundschaft dadurch empfindlich gekränkt werde, dass er einen Umweg suche, um ihm seine verborgensten Gedanken mitzuteilen; denn er könnte sich von ihm mit Gewissheit entweder Rat oder Hülfe für jedwede Lage seines Lebens versprechen.

   »Du hast recht«, antwortete Anselmo, »und auf dieses Vertrauen, mein Freund Lotario, musst du erfahren, dass das, was mich peinigt, der Zweifel ist, ob meine Gattin Camilla wohl auch so tugendhaft und vollkommen sei, wie ich mir vorstelle; ich kann auch von dieser Wahrheit nicht überzeugt werden, wenn ich sie nicht so auf die Probe stelle, dass diese Probe die Echtheit ihrer Güte so beweist, wie das Gold es durch die Läuterung des Feuers tut: denn ich bin der Meinung, mein Freund, dass ein Weib nicht besser ist als das andere, wenn es nicht der Verführung ausgesetzt gewesen, und dass nur das edel zu nennen sei, das keinen Bitten, Geschenken, Tränen und wiederholten Bemühungen eines dringenden Liebhabers weicht; denn wie kann die Frau gut genannt werden, der es ganz an Gelegenheit fehlt, schlecht zu sein? Was bedeutet es, wenn diejenige eingezogen und sittsam ist, der es an Veranlassung fehlt, sich freier zu betragen, oder diejenige, welche weiß, dass der Mann beim ersten Beweise einer Untreue ihr das Leben nehmen würde? So kann ich also diejenige, die nur aus Furcht oder aus Mangel an Gelegenheit tugendhaft ist, nicht so hoch schätzen wie diejenige, die aus Stürmen und Verfolgungen den Siegerkranz davonträgt. Aus diesen und vielen andern Gründen, die ich dir noch mitteilen könnte, um meine Meinung eindringlicher zu machen, wünsche ich, dass meine Gattin Camilla durch diese rauen Wege gehe und im Feuer der Bewerbung geläutert werde und dass um sie werbe, der Wert genug hat, dass er seine Wünsche wohl auf sie richten dürfte; kehrt sie, wie ich es glaube, mit der Palme aus diesem Kampfe, so ist mein Glück ohnegleichen; dann kann ich sagen, dass die Lücke meiner Sehnsucht ausgefüllt ist, dann will ich sagen, dass das Schicksal mir jenes tugendhafte Weib zugeführt habe, von dem der Weise fragt: ›Wer wird sie finden?‹ Kommt es aber anders, als ich mir vorstelle, so wird meine Meinung bestätigt, und ich werde ohne Murren das ertragen, was mich diese gefährliche Probe kosten kann; also vorausgesetzt, dass nichts von alledem, was du mir gegen mein Vorhaben sagen könntest, mich abhalten wird, es ins Werk zu richten, bitte ich dich, Freund Lotario, dass du es seist, der zu meinem Besten dieses Vorhaben unternimmt; denn ich will dir Gelegenheit geben, es zu tun, ohne dass dir irgendetwas mangeln soll, das nötig ist, dich um ein edles, geehrtes, sittsames und uneigennütziges Weib zu bewerben. Was mich außer andern Dingen aber dahin bringt, dir dieses gefährliche Unternehmen zu vertrauen, ist die Überzeugung, dass, wenn Camilla von dir überwunden wird, ihre Besiegung nicht das Letzte nach sich ziehen, sondern nur ein Vorsatz bleiben wird, so wie meine Kränkung in deiner heiligen Verschwiegenheit verborgen bleibt; denn ich weiß, dass sie in allen, was mich betrifft, so stumm wie der Tod ist. Wenn du also willst, dass ich soll leben bleiben – und wie kann es anders sein? –, so musst du sogleich diesen Streit der Liebe beginnen, und zwar nicht lässig und träge, sondern mit all dem Eifer und Fleiß, den mein Vorhaben verlangt, und wie es das Vertrauen auf unsre Freundschaft mich hoffen lässt.«