Vorwort des Herausgebers

»Was gegen die Natur ist, ist (...) ohne Bestand«
Alexander von Humboldt

 

Humboldts ›Südamerika Reise‹, deutscher Originaltitel ›Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents‹, ist der wohl berühmteste und einflussreichste wissenschaftliche Reisebericht, der jemals in deutscher Sprache erschien. Doch überraschend: Humboldt verfasst das Werk nicht auf Deutsch, sondern auf Französisch, in den Jahren zwischen 1808 und 1827, als er in Paris lebte. Das weltoffene Frankreich war nicht seine zweite, sondern seine erste Heimat – während ihm das provinzielle und politisch reaktionäre Preussen verhasst war. Über zwei Dekaden wertete er die Ergebnisse seiner Reise aus, und legte ab 1814 (bis 1827) successive seinen berühmten 35-bändigen Bericht vor.

Erst als sein Vermögen vollständig aufgebraucht ist – denn die Produktion der prächtig gestalteten Bände ist ein Zuzahlgeschäft – kehrt er nach Berlin in den Staatsdienst zurück. Die kurz danach in die Wege geleitete deutsche Übersetzung durch Hermann Hauff betreute und redigierte Humboldt selbst, und sie erscheint 1859, als ›Einzige von A. v. Humboldt anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache.‹ Es ist die Ausgabe, die auch dieses eBook – in orthografisch und sprachlich modernisierter Form – enthält.

Vorangegangen war die bis dahin intensivste und aufwändigste Forschungsreise der Geschichte, bei der Alexander von Humboldt und sein Begleiter Aimé Bonpland große Teile Mittel- und Südamerikas durchquerten, stets mit geologischen, geographischen, biologischen und ethnologischen Untersuchungen beschäftig. Sie bereisten dabei das Gebiet der heutigen Staaten Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Kuba und Mexiko.

Die Erkenntnisse der Reise sind zahllos. Humboldt gelingt zum Beispiel die geographische Ortsbestimmung des Casiquiare, der umstrittenen Gabelteilung (Bifurkation) des Orinoco – deren Existenz europäische Forscher bis dahin für unmöglich gehalten hatten. Er registriert die Abnahme der magnetischen Feldstärke vom Pol zum Äquator und misst die Temperaturen des später nach ihm benannten Humboldtstroms. Daneben erforscht er die Sprachen, Kultur und Kunst der Indianer.

Humboldt und Bonpland bestiegen einige der höchsten Berge, den Pichincha im heutigen Ecuador sogar zweimal, zuletzt begleitet von einem heftigen Erdbeben, dessen Stöße die Forscher sorgfältig protokollierten. Nicht ganz bis zum Gipfel gelangten Humboldt, Bonpland und Montúfar am 23. Juni 1802 bei der Besteigung des 6.310 Meter hohen Chimborazo, wegen einer unpassierbaren Felsspalte 400 bis 800 Meter unterhalb des Gipfels. Gleichwohl blieben die 5761 Meter, die sie erreichten, für 30 Jahre ein Höhenweltrekord für Bergsteiger – eine in Anbetracht der Unzulänglichkeiten von Schuhwerk, Bekleidung und Ausrüstung nach wie vor kaum glaubliche Leistung.

Insgesamt nahmen Humboldt und Bonpland fast übermenschliche Strapazen auf sich – alles im Dienste der Wissenschaft. Von einer Etappe der Expedition schreibt Humboldt nach Hause: »(So) schliefen wir in Wäldern, umgeben von Krokodilen, Boas und Jaguaren [...], nichts genießend als Reis, Ameisen, Manioc, Pisang, Orinocowasser und bisweilen Affen. [...] In Guayana, wo man wegen der Mosquitos, die die Luft verfinstern, Kopf und Hände stets verdeckt haben muss, ist es fast unmöglich am Tageslicht zu schreiben; man kann die Feder nicht ruhig halten, so wütend schmerzt das Gift der Insekten.«

Viele neue Methoden, neue Geräte, und auch eine ganz neue Idee des Forschens – heute würde man sagen: ganzheitlich – begleiteten Humboldt, der voller Begeisterung war, und bereit, auch mit den größten Schwierigkeiten zu ringen, und mit beinahe kindlicher Freude seine Reise in die Tropen antrat. Später schrieb er an seine Familie: »Die Tropenwelt ist mein Element, und ich bin nie so ununterbrochen gesund gewesen als in den letzten zwei Jahren. [...] Am Atabapo, wo die Wilden stets am Faulfieber (Fleckfieber, red.) leiden, widerstand meine Gesundheit unbegreiflich gut.«

Von ihrer jahrelangen Expedition bringen Humboldt und Bonpland Proben von rund 60.000 Pflanzenarten, etwa 6.300 davon unbekannt, zurück in die alte Heimat. Dort lebt Humboldt ab 1806 in Paris, und wertet über die nächsten zwanzig Jahre – unterbrochen von neuen Forschungsreisen – das Material der Südamerika-Reise aus. Zwischen 1814 und 1825 erscheint auf französisch sein berühmtes vielbändiges Werk »Voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent: fait en 1799, 1800, 1801, 1803 et 1804« (»Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents«).

Die Basiswissenschaften Humboldts waren die Geologie und Geographie – dies brachte ihn in Gegenden und ließ ihn Forschungsgegenstände aufsuchen, an denen er sich dann ganz entfalten konnte. Diese Terrains sah er als Biotope, in denen alles wechselwirkt: Warum hört an einem bestimmten Breitengrad in einer bestimmten Höhe der Baumbewuchs auf? Wie kann jene Pflanze in einer staubtrockenen Wüste überleben? Warum bündeln sich in den Tropen die Lebensformen der Flora und Fauna in so exorbitanter Weise? Dieser Art Fragen ging Humboldt nach – als erster »ganzheitlich denkender« Wissenschaftler.

Dabei hielt er sich nicht an etablierte Wissenschaft-Regeln seiner Zeit, sondern er erfand neu, er entwarf Szenarien, Kategorien und Schemata, ja er phantasierte und spekulierte gelegentlich – um dem Grund der Dinge näher zu kommen. Dieser weite Blick ist es, dieser Mut, Neues zu entdecken, der ihn weit über den Durchschnitt seiner damaligen Forscherkollegen hinaushob. Das ist es auch, was wir heute noch an Humboldt so schätzen, und ihn zu Recht zu den ganz großen Namen zählen.

Der Historiker Karl Schlögel schreibt: »Was einen bis heute an Alexander von Humboldt fasziniert, ja, den Atem verschlägt, ist eine an die Grenzen gehende Weltzugewandtheit, ja Weltsüchtigkeit, die, wenn man ihr nachgibt, den Routinebetrieb der Wissenschaften und Wissensproduktion in Frage zu stellen droht. (...) Alexander von Humboldt ist bei aller olympischen Klassizität ein wildes Tier der Erfahrung, fast ein Künstler, der die Regeln des Spiels selber entwirft. Für ihn gab es nichts, was nicht interessant war.«

Für Humboldt war die Wissenschaft Leidenschaft, er richtete sein Leben danach aus. Er fror, hungerte, lief sich die Füße blutig, er opferte sein gesamtes Vermögen dafür. Und so wie er in Südamerika den Sechstausender Chimborazo ersteigt, so steigt er ein Vierteljahrhundert später in London mit einer neu entwickelten Taucherglocke auf den Grund der Themse.

Humboldts ab 1845 auf Deutsch veröffentlichtes Spätwerk ›Kosmos‹ wird zur verlegerischen Sensation: In den Buchhandlungen »wurden Schlachten geschlagen«, so Verleger Georg von Cotta, »um in den Besitz des Werkes zu kommen«. Allein von der ersten Auflage des ›Kosmos‹ werden mehr als 80.000 Exemplare verkauft.

Humboldt setzte in vielen Dingen Maßstäbe, an denen sich bis heute nur die wenigsten Wissenschafter messen können.

A. Fischer, Redaktion eClassica

 

Alexander von Humboldt

Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt wird am 14. September 1769 in Berlin geboren – im Schein des Messierschen Kometen, der seine Bahn am Himmel zieht. Sein Vater ist der preußische Offizier und königliche Kammerherr Alexander Georg von Humboldt. Seine Mutter Marie Elisabeth entstammt einer französischen Hugenottenfamilie, die den Namen Colomb, französisch für Columbus, trägt.

Es ist eine der größten Epochen der Geschichte: Eine gewaltige Aufbruchsstimmung in der Wissenschaft an der Scheide vom 18. zum 19. Jahrhundert – verbunden mit Namen, die bis heute von Bedeutung sind: Linné (1707–1778) hatte bereits sein Klassifizierungssystem der Planzen entwickelt, Kant (1724–1804) lehrte Philosophie, die Namen von Lessing (1729–1781), Fichte (1762–1814) und Goethe (1749–1832) kennt jeder. Washington (1732–1799) vollbrachte in Amerika eine der größten politischen Leistungen der Weltgeschichte, Lamarck (1744–1829) vertrat seine Lehre über die Entwicklung der Arten, Cuvier (1769–1832), der im gleichen Jahr wie Humboldt geboren ist, wurde zu einem der Väter der Wissenschaft über die Tierwelt, Euler (1778–1850) und Gauss (1777–1855) trieben die Mathematik voran, Laplace (1749–1827) die Astronomie, Gay-Lussac (1778–1850) die Physik, Lavoisier (1743–1794) und Davy (1778–1829) die Chemie, Leopold von Buche (1774–1853) die Geologie. Und auch Napoleon Bonaparte wird im gleichen Jahr wie Humboldt geboren. (Diese Zusammenstellung stammt von Humboldt-Kenner Dr. Jenõ Cholnoky [1870–1950], Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.)

Nach dem Wunsch der Eltern sollte Humboldt Jurist werden, doch seine Neigung zu den Naturwissenschaften setzt sich durch. Im Jahre 1788 beginnt er an der Universität Berlin Technologie, Pflanzenkunde, und – um die klassischen griechischen Naturwissenschaftler im Original lesen zu können – auch die griechische Sprache zu studieren. 1789 setzt er sein Studium in Göttingen fort, und lernt in Mainz Georg Forster kennen – James Cooks wissenschaftlicher Begleiter auf dessen zweiter Weltumseglung –, der ihn stark beeinflussen sollte. Im Jahre 1790 reist Humboldt in Gesellschaft von Forster durch Holland, Belgien, England, Frankreich und das Rheintal (siehe Forsters Buch: ›Ansichten vom Niederrhein‹).

Im Jahr 1791 tritt Humboldt als Bergbauingenieur in den Staatsdienst ein, wo er schnell Karriere macht und wichtige Erfahrungen sammelt. Doch als 1797 seine Mutter stirbt und er das mütterliche Erbteil erhält, beschließt er, seine finanzielle Freiheit zu nutzen und auf wissenschaftliche Expedition zu gehen. In Paris lernt Humboldt 1798 den französischen Arzt und Botaniker Aimé Bonpland kennen, der ihm auf seiner großen Südamerika-Reise ein kongenialer Reisepartner sein wird. Am 5. Juni 1799 brechen die beiden von La Coruña (Spanien) aus mit dem Segelschiff Pizarro in die Neue Welt auf. Sie bereisen das Gebiet der heutigen Staaten Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Kuba und Mexiko. Es ist die erste Reise dieser Zeit, die aus rein wissenschaftlichen Gründen unternommen wird – und in Humboldts berühmten 35-bändigen Reisebericht mündet.

Am 6. Mai 1859 stirbt Alexander von Humboldt, 90jährig, in seiner Wohnung in der Oranienburger Straße in Berlin, und wird am 11. Mai im Familiengrab in Tegel beigesetzt. Nicht nur die älteste und zweitgrößte Universität seiner Heimatstadt trägt heute seinen Namen, sondern z.B. geographische Wegmarken, Pflanzen- und Tierarten, sowie zahllose Bildungseinrichtungen in Deutschland und überall auf der Welt.

A. Fischer, Redaktion eClassica


Vorwort

Einem wissenschaftlichen Reisenden kann es wohl nicht verargt werden, wenn er eine vollständige Übersetzung seiner Arbeiten jeder auch noch so geschmackvollen Abkürzung derselben vorzieht. Bouquer´s und La Condamine´s mehr als hundertjährige Quartbände werden noch heute mit großer Teilnahme gelesen; und da jeder Reisende gewissermaßen den Zustand der Wissenschaften seiner Zeit, oder vielmehr die Gesichtspunkte darstellt, welche von dem Zustande des Wissens seiner Zeit abhängen, so ist das wissenschaftliche Interesse umso lebendiger, als die Epoche der Darstellung der Jetztzeit näher liegt. Damit aber die lebendige Darstellung des Geschehenen weniger unterbrochen werde, habe ich das Material, durch welches allgemeine kosmische Resultate begründet werden, in besonderen Zugaben über stündliche Barometer-Veränderungen, Neigung der Magnetnadel und Intensität der magnetischen Erdkraft zusammengedrängt. Die Absonderung solcher und anderer Zugaben hat allerdings, und ohne großen Nachteil, zu Abkürzungen in der Übersetzung des Originaltextes der Reise Anlass geben können. Diese Betrachtung war auch geeignet mich bald mit dem Unternehmen zu versöhnen, einem größeren Kreise gebildeter Leser, die bisher mehr mit der Natur als mit scientifischen Wissen befreundet waren, einen etwas abgekürzten Text der Reise in die Tropen-Gegenden des Neuen Kontinents darzubieten. Die Buchhandlung, welche aus edler, ich setze gern hinzu angeerbter Freundschaft meinen Arbeiten eine so lange und sorgfältige Pflege geschenkt hat, hat mich aufgefordert diese neue Ausgabe, welche einem vielseitig unterrichteten Gelehrten, Herrn Bibliothekar Professor Dr. Hauff anvertraut ist, nicht bloß, so viel mein hohes Alter und meine gesunkenen Kräfte es erlauben, zu revidieren, sondern auch mit Zusätzen und Berichtigungen zu bereichern. Die Naturwissenschaft ist, wie die Natur selbst, in ewigem Werden und Wechsel begriffen. Seit der Herausgabe des ersten Bandes der Reise sind jetzt 45 Jahre verflossen. Die Berichtigungen müssten also zahlreich sein: in geognostischer Hinsicht wegen Bezeichnung der Gebirgs-Formationen und der metamorphosierten Gebirge, des wohltätigen Einflusses der Chemie auf die Geognosie, wie in allem, was die Verteilung der Wärme auf dem Erdkörper und die Ursache der verschiedenen Krümmung monatlicher Isothermen anbetrifft (nach Dove´s meisterhaften Arbeiten). Die durch die neue Ausgabe veranlasste Erweiterung des Kreises wissenschaftlicher Anregung kann ich nur freudig begrüßen; denn in dem Entwicklungsgange physischer Forschungen wie in dem der politischen Institutionen ist Stillstand als unvermeidliches Verhängnis an den Anfang eines verderblichen Rückschrittes geknüpft.

Es würde mir dazu eine innige Freude sein noch zu erleben, wie die Unternehmer es hoffen, dass meine in den Jahren freudig aufstrebender Jugend ausgeführte Reise, deren einer Genosse, mein teurer Freund, Aimé Bonpland, bereits, im hohen Alter, dahingegangen ist, in unserer eigenen schönen Sprache von demselben deutschen Volke mit einigem Vergnügen gelesen werde, welches mehr denn zwei Menschenalter hindurch mich in meinen wissenschaftlichen Bestrebungen und meiner Laufbahn durch ein eifriges Wohlwollen beglückt und selbst meinen spätesten Arbeiten durch seine parteiische Teilnahme eine Rechtfertigung gewährt hat.

 

Berlin, 26. März 1859

Alexander v. Humboldt