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Titelseite

 

Ich widme dieses Buch meinem
brandneuen Neffen Cameron.
 
Cameron, ich bin sicher, dass du mit der Zeit noch wächst, aber im Moment bist du einfach viel zu klein. Außerdem kannst du weder sprechen noch aufrecht stehen, und dass du ein Buch lesen kannst, musst du mir erst noch beweisen. An alldem bist du jedoch nicht allein schuld – ich mache in erster Linie deine Eltern dafür verantwortlich –, weshalb meine Worte dich hoffentlich nicht zu sehr treffen.
 
Das Problem ist, dass du eine beeindruckende Schwester hast und von beeindruckenden Cousinen umgeben bist. Du wirst dich also zu einem außergewöhnlichen Menschen entwickeln müssen. Ich werde dich nach Kräften dabei unterstützen, aber der Rest liegt bei dir.

WANN PASSIERT WAS?

Vorwort

Über eine dunkle Ebene

Der Halloweenball der Horrorschriftsteller

Der Gentleman mit der Feuerhand

Die vergessene Kunst der Weltbeherrschung

Das Groteskerium kehrt zurück

Gold, Babys und die Muldoon-Brüder

Die Diablerie bittet zum Sterben

Das unrühmliche Ende der schwarzen Annis

Freitagnachts in der Arena

Sabotage im Sanktuarium

Operation Myosotis Terra

Rebellion der Restanten

Die wunderbaren Abenteuer des Geoffrey Scrutinus

Ein ganz gewöhnlicher Freitagabend

Passage der Totenbeschwörer

Die Doomsday-Maschine

Duell der Dimensionen

Süßes oder Saures

Weiche von mir, Bubba Moon

Tanith Low — Die ruchlosen Sieben

Der Knopf

Die Rückkehr der Toten Männer

Leseprobe – Das große Finale Das Sterben des Lichts

Vignette

VORWORT

Ich habe Vorwörter immer geliebt.

Sie erinnern mich an meine Jugend, als ich durch Antiquariate stromerte und zerfledderte alte Horror-Taschenbücher aus den Regalen zog. Ramponierte Cover, Eselsohren in den Seiten, der herrliche, leicht muffige Geruch von Geschichten … Diese Bücher haben den Leser in ihre Geschichte hineingezogen, haben ihn daran teilhaben lassen, und wenn man Glück hatte – also, richtiges Glück –, gab es, kurz bevor die Geschichte anfing, noch ein Vorwort des Autors.

Für einen Jugendlichen, der unbedingt Schriftsteller werden wollte, war dies ein Tor in die Welt der Fantasie. Ich konnte den Namen eines Schriftstellers damals nicht googeln, seinen Blog nicht lesen und mir auch nicht sämtliche Interviews, die er jemals gegeben hatte, auf YouTube anschauen (und damit grüße ich einen Leser in ferner Zukunft, der das hier gerade gelesen hat und sich jetzt Informationen über „googeln“, „Blog“ und „YouTube“ direkt in sein Gehirn herunterlädt). Ich musste mich mit den kurzen Einblicken begnügen, die man mir bot. In den Vorwörtern sprachen die Autoren über ihre Arbeit und ihre Vorgehensweise, und ich verschlang ihre Worte auf der Suche nach dem entscheidenden Hinweis, der mich zum Ursprung aller Geschichten führen würde.

In den Büchern von Stephen King und anderen Meistern des Genres fand ich Ansätze zu diesem entscheidenden Hinweis, aber nichts Definitives. In vielerlei Hinsicht war es dennoch genug. Diese Ansätze inspirierten mich auf ihre eigene Art, und als Kind und als Teenager genügte mir das. Aus meinen ersten Geschichten tropfte das Blut. Sie waren damit getränkt. Sie schwammen darin. Der Gedanke an Raffinesse und Zurückhaltung war mir noch fremd, und Raffinesse und Zurückhaltung haben eindeutig ihren Platz – aber dieser Platz war für mich absolut uninteressant. Mir ging es nur um Blut, um Brutalität, um Eingeweide. Ich las King und Clive Barker und James Herbert und Michael Slade und Skipp und Spector und Shaun Hutson und – du lieber Himmel, die Liste ließe sich fortführen. Mein Leben bestand aus bluttriefenden Büchern, Horrorfilmen und Heavy Metal.

Ach, die Jugendzeit …

Und dennoch, wenn wir ein wenig tiefer graben, stoßen wir auf eine Liebe für den Film noir und Detektive in zerknitterten Anzügen, mit markanten Gesichtern und coolen Hüten. Graben wir noch ein bisschen tiefer, dann tritt da eine vom Vater geerbte Liebe für Western zutage, eine von der Mutter geerbte Liebe für absurde Komödien (und für ein Kind, das sein Leben lang gestottert hat, war die Entdeckung solcher Filme, in denen alle sehr, sehr schnell reden, der helle Wahnsinn). Auch eine Liebe für Science-Fiction und Abenteuer, die in den Achtzigern durch Leute wie Spielberg und Lucas und Serien wie Knight Rider, Airwolf und The Six Million Dollar Man aufblühte …

Wenn man dies alles in Betracht zieht, bin ich die Summe meiner Obsessionen. Ich bin jeder Film, den ich je gesehen, und jedes Buch, das ich je gelesen habe. Ich bin jedes Lied, das ich je gehört habe. Ich bin jeder Comic, den ich mir jemals gekauft habe. Ich bin ganze Sammlungen von Joseph Wambaugh und Elmore Leonard und Joe R. Landsdale, und ich bin Der Goldene Kompass und Harry Potter.

Und all diese Dinge gewährten mir flüchtige Blicke auf den entscheidenden Hinweis. Und diese flüchtigen Blicke wiederum genügten, um mir die Augen für die Ideen zu öffnen, die ganz ohne mein Zutun in meiner Gehirnsuppe herumschwammen. Aus dieser Suppe habe ich im Sommer 2005 Skulduggery Pleasant gefischt und er brachte jedes Genre mit, das ich jemals geliebt habe.

Er ist ein Detektiv (Krimi), der gleichzeitig ein Skelett ist (Horror), das sich eine Partnerin nimmt (absurde Komödie). Sie bekämpfen Ungeheuer (Fantasy) und retten die Welt (Abenteuer). Dazu noch eine Prise Science-Fiction, damit es nicht langweilig wird.

Die Geschichten in dieser Sammlung – hier für ein höheres Lesevergnügen in chronologische Reihenfolge gebracht – sind lediglich Fragmente der Welt, die Skulduggery mir gezeigt hat. Weil es ihn gibt, kann ich einen Western schreiben und ihn gelassen neben eine Novelle über einen Mann mittleren Alters stellen, der noch einmal zu den Schreckgestalten seiner Kindheit zurückkehrt. Weil es ihn gibt, wechselt der Tonfall dieser Geschichten so radikal von einer zur anderen. Weil es ihn gibt, besitze ich die Freiheit, die Art von Geschichten zu schreiben, die ich gerne las und immer noch gern lese.

Und wenn es irgendwo einen Nachwuchsschriftsteller gibt, der dieses Vorwort nach dem entscheidenden Hinweis durchforstet – nach dem Geheimnis des Schreibens –, muss ich ihn leider enttäuschen. Diesem Geheimnis musst du selbst auf die Spur kommen, Nachwuchsschriftsteller. Das Autorengesetz verbietet es mir ausdrücklich, öffentlich darüber zu reden.

Ich habe vielleicht ohnehin schon zu viel gesagt …

Derek Landy

Dublin

Saint Patrick’s Day 2014

Über eine dunkle Ebene
Vignette

ÜBER EINE DUNKLE EBENE

Es war im Jahr des Herrn achtzehneinundsechzig und es war westlich des Missouri River, oben in South Dakota, und die Toten Männer ritten wieder.

Es waren noch etliche Jahre, bevor dieser Idiot Custer in den Black Hills über das ganze Gold stolperte, Jahre vor Wounded Knee und dem Massaker, das dort stattfand. Es war noch vor der Aufnahme des Territoriums in die Union, vor Deadwood, sogar noch bevor das Gebiet in diesem erbärmlichen Vertrag von Fort Laramie den Lakota-Indianern zugesprochen wurde – einem dieser typischen Verträge, die man genauso gut gleich wieder hätte verbrennen können.

Es war eine Zeit der Revolverhelden und der Gesetzlosen, des schweren Lebens und leichten Sterbens, und natürlich war es eine Zeit fieser, blutrünstiger Magie.

Die Toten Männer waren auf der Spur ihres Opfers, das sie an der Nase herumgeführt hatte, von Wyoming heruntergekommen. Doch je länger sie es verfolgten, desto einfacher wurde die ganze Sache. Ihr Opfer hatte sich nämlich mit einem Totenbeschwörer namens Noche eingelassen, und dieser Noche entwickelte eine besorgniserregende Gewohnheit, Tote in seinem Kielwasser zurückzulassen. Dazu noch keine gewöhnlichen Toten, sondern solche, die aufsprangen und herumrannten und in deren trüben Augen der Wahnsinn stand und ein ganz entsetzlicher Hunger, der nur mit Menschenfleisch gestillt werden konnte. Solche, die nur Feuer oder eine Kugel in die Schädeldecke zur Strecke bringen konnten. Ein Glück, dass die Toten Männer auf Feuer und Kugeln spezialisiert waren.

Sie waren zu siebt, alles Iren, auch wenn der Akzent bei einigen durch das ständige Unterwegssein und ihre Lebensweise etwas verwaschen war. Saracen Rue gehörte dazu, immer charmant und lächelnd, wie einer, der sich selbst einzureden versucht, dass er netter sei, als er in Wirklichkeit war. Neben ihm ritt Dexter Vex, einer der Nachdenklicheren in der Gruppe, auch wenn er das nicht zeigte. Der Stille mit dem Stoppelbart war Anton Shudder. Selbst in diesem gottverlassenen Land gab es kaum einen unheimlicheren Mann als ihn. Dann waren da noch Erskin Ravel, erst vor Kurzem zurückgekehrt von seinem Aufenthalt in Ländern, die noch fremder und gottverlassener waren als dieses hier, und Hopeless, ein Mann mit nur einem Namen und vielen Gesichtern.

Vorneweg ritten der Narbige, Grässlich Schneider, und neben ihm das lebende Skelett, das aussah wie Gevatter Tod persönlich, einer der vier apokalyptischen Reiter, von denen in der Bibel geschrieben steht und von denen auf Kanzeln überall in diesem von Wunden überzogenen und pockennarbigen Land lautstark gepredigt wurde.

Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen ward Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit dem Schwert und Hunger und Tod und durch die wilden Tiere auf Erden.

Skulduggery Pleasants Kleider waren abgewetzt und verblichen und sein langer Mantel mag vor langer Zeit einmal schwarz gewesen sein. Waren sie unter gewöhnlichen Menschen – die Toten Männer nannten sie „Sterbliche“ –, band er sich das Halstuch vor all die Zähne, die dieses Dauerlächeln zeigten, und zog seinen Hut tief über die leeren Augenhöhlen. Er trug zwei Pistolengürtel, die sich auf der Hüfte kreuzten und von Gurten gehalten wurden. In den Holstern steckten Revolver mit Perlmuttgriff und langem Lauf. Es waren Walker Colts. Revolver, die konstruiert waren, um Männer aufzuhalten.

Sie ritten nun schon seit etlichen Tagen, und ihre Pferde waren müde und durstig, und die Reiter mit Fleisch auf den Knochen waren aufgescheuert und wund. Sie kamen nach Forbidden und dachten sich nicht viel dabei. Eine Stadt mit drei Straßen und schmutzigen Menschen, die nicht oft oder nicht gründlich badeten. Ein räudiger Hund lag mitten auf der Straße und betrachtete sie teilnahmslos, als sie vorüberritten. Erst als sie in sicherer Entfernung waren, ließ der Hund ein schwaches Drohknurren hören, legte sich dann wieder hin und schlief oder starb. Welches von beidem, spielte für niemanden eine sonderlich große Rolle.

Am anderen Ende der Stadt war die Pferdestation. Der Besitzer, ein undankbarer Kerl namens Sully, humpelte heraus in die Sonne und kratzte sich an Stellen, die schon sehr, sehr lange keine Seife mehr gesehen hatten.

„Ja?“, fragte er, den Mund voller Spucke. „Was zum Teufel wollt ihr?“

Die Toten Männer stiegen ab. Pleasant und Schneider hielten sich im Hintergrund, da sie am ehesten Aufmerksamkeit erregten. Rue und Vex betrachteten den Mann stirnrunzelnd.

„Was wir wollen? Was zum Teufel glaubst du?“, erwiderte Vex. „Wir wollen, dass unsere Pferde Futter und Wasser bekommen. Dir gehört der Laden hier, oder?“

Der Kerl namens Sully schaute die Männer an, sah ihren stahlharten Blick und den Stahl an ihren Hüften, und seine finstere Miene wurde etwas weniger finster und er schluckte seine Spucke hinunter.

„So ist es“, antwortete er. „Stolzer Besitzer von Sullivans Pferdestation. Wäre die Farbe nicht schon vor Jahren abgeblättert, könntet ihr auf dem Schild da oben meinen Namen lesen, auch wenn er falsch geschrieben war und das N von Pferdestation gefehlt hat. Ich gebe mir selbst die Schuld, weil ich nicht lesen kann, und ich gebe dem Typen, den ich mit dem Schild beauftragt habe, die Schuld, weil er nicht schreiben konnte. Aber so ist das nun mal mit dem Bedauern. Wir alle kennen es, und denen, die’s nicht kennen, fehlt nichts. Futter und Wasser, habt ihr gesagt? Ihr könnt euch auf mich verlassen, vorausgesetzt, ihr habt genug Kleingeld, um mich für meine Dienste zu bezahlen.“

Vex fasste Rue kurz am Arm. „Zeig dem Mann ein bisschen Kleingeld, Saracen“, bat er ihn und gesellte sich zu den anderen, die schon den breiten staubigen Streifen, der sich Hauptstraße nannte, in Richtung Saloon hinuntergingen. Die Dorfbewohner hielten gebührenden Abstand, beobachteten sie argwöhnisch und warteten, bis sie außer Hörweite waren, bevor sie zu tuscheln begannen. Männer mit Schusswaffen waren zu keiner Zeit ein gutes Zeichen. Männer, die aussahen, als wüssten sie mit diesen Schusswaffen umzugehen, noch viel weniger.

Schneider betrat als Erster den Saloon. Das Inventar bestand aus ein paar ungleichen Tischen, einem massiven Tresen und einem gesprungenen Spiegel. Es gab ein kleines Klavier, auf dem niemand spielte, und der Fußboden bestand aus gestampfter Erde und Sägespänen. Gäste waren nur wenige da, doch sämtliche Köpfe drehten sich zur Tür und all ihre Unterkiefer klappten herunter. Einen so vernarbten Mann wie Schneider sah man höchstwahrscheinlich nur ein Mal im Leben, und da dies den meisten Leuten bewusst zu sein schien, starrten sie ihn bei der ersten Begegnung gleich besonders intensiv an.

Schneider tippte zur Begrüßung seinen Hut an und trat an den Tresen.

Danach kamen die übrigen Toten Männer einer nach dem anderen herein, Pleasant als Letzter. Er setzte sich an einen Tisch in der Ecke und schaute sich unter der Krempe seines Hutes hindurch im Raum um.

„Einen schönen Tag wünsche ich“, sagte Schneider zu dem Wirt. „Was gibt es denn hier zu trinken?“

Der Wirt, ein Mann, der viel gesehen und noch mehr gehört hatte, war noch nie einer von denen gewesen, die sich von Hässlichkeiten am Geldverdienen hindern ließen. Einmal hatte er sogar einem Leprakranken, der durch die Stadt gekommen war, etwas verkauft. Allerdings hatte er ihn hinter dem Haus bedient, wo seine Stammkunden ihn nicht sehen konnten. Für ihn war Geld einfach Geld. Es spielte keine große Rolle, wie viele Fingerglieder einer Hand fehlten, wenn das, was sich in ihr befand, seinen Wohlstand mehren konnte.

Tatsache ist, dass der Wirt den Becher, aus dem der Leprakranke getrunken hatte, anschließend nicht einmal sonderlich gründlich ausgewaschen hatte. Also nannte der Wirt dem Narbigen das Angebot und der Narbige bestellte sechs Bier. Gerade als das sechste Glas ausgeschenkt wurde, kam Saracen Rue herein und sie tranken wie Männer mit großem Durst. Alle außer Pleasant natürlich.

„Das“, sagte Ravel, „war längst überfällig. Und es hat geschmeckt.“ Er lächelte den Wirt an. „Wir sind auf der Suche nach einem Freund. Eigentlich nach zwei Freunden. Nach zwei Männern, die vor Kurzem hier vorbeigekommen sein müssen. Vielleicht hast du sie ja gesehen. Vielleicht hast du ihnen von diesem köstlichen und erfrischenden Bier ausgeschenkt.“

Der Wirt sagte nichts.

„Einer dieser Freunde“, meldete Vex sich, „ist Ire wie wir. Groß, dunkelhaarig und eher blass, obwohl seine Haut von der Sonne hier wahrscheinlich ein bisschen rot geworden ist. Er trägt einen Handschuh an der rechten Hand. Der andere trägt Schwarz und hat immer einen mannshohen Stock dabei.“

Der Wirt schaute die Toten Männer an, sagte aber immer noch nichts.

„Es ist sehr wichtig, dass wir unsere Freunde so schnell wie möglich einholen“, sagte Rue. „Wir haben Nachrichten von zu Hause, die ihre sofortige und ungeteilte Aufmerksamkeit verlangen. Schlimme Nachrichten. Die Zeit drängt.“

„Hab niemanden gesehen“, entgegnete der Wirt.

„Bist du sicher? Der erste Freund hat grüne Augen. Normalerweise spricht man bei einem Mann ja nicht von der Augenfarbe, aber wenn du einmal in diese Augen geschaut hast, vergisst du sie so schnell nicht mehr. Augen wie die einer Schlange. Und der zweite Freund trägt, wie gesagt, einen langen alten Stock mit sich herum. So was bleibt doch im Gedächtnis, oder?“

Der Wirt schüttelte den Kopf. „Ich kann euch nicht helfen, Leute.“

„Also, das“, sagte Ravel, „ist schade.“

Schneider wandte sich an die staubigen, schmutzigen Gäste. „Wie steht es mit euch? Habt ihr jemanden gesehen, auf den unsere Beschreibung passt?“

Ein paar Leute starrten unverwandt auf Schneiders Gesicht, andere schauten in ihr Bierglas. Zwei oder drei, und das wiederum weckte die Aufmerksamkeit der Toten Männer, blickten kurz hinüber zu einem Mann, der allein am Tisch saß und seine Hände fixierte. Er war so angespannt, dass er zitterte. Das lange Schweigen wog immer schwerer und schien seine schmalen Schultern nach unten zu drücken. Schließlich wurde es so schwer, dass er es offensichtlich nicht länger aushielt, aufsprang und gleichzeitig zu seiner Waffe griff. Beides misslang. Er stolperte, fummelte herum und geriet in Panik. Hopeless war so schnell bei ihm, dass keiner richtig wusste, was eigentlich geschah, bis der Mann mit einer gebrochenen Nase und ohne Waffe in der Hand auf den Boden krachte.

Hopeless ging zurück zum Tresen, legte die Waffe des Mannes hin und griff nach seinem Glas. Er hatte es gerade leer getrunken, da merkte der Mann, dass er blutete.

„Warum hast du das getan?“, fragte er. Er hatte einen eigenartigen Akzent, deutsch oder holländisch oder etwas in dieser Richtung.

„Du wolltest uns erschießen“, antwortete Vex.

„Wollte ich nicht“, widersprach der Mann, was ihm allerdings kein Mensch glaubte.

„Die Leute versuchen ständig, mich umzubringen“, erklärte ihm Rue. „Gewöhnlich wegen einer Ehefrau oder Tochter oder Schwester oder Mutter. Tatsache ist, ich bin es schon gewohnt, dass Leute auf mich schießen. Das sind wir alle. Aber normalerweise wissen wir, warum man auf uns schießt.“

Der Mann stand auf. Das Blut floss ungehindert zwischen seinen Fingern hindurch, die er sich unter die Nase hielt. „Ich wollte euch nicht erschießen.“

„Es fällt mir schwer, dir zu glauben“, meinte Ravel. „Du hast vorhin schließlich nach deiner Waffe gegriffen.“

Dazu fiel dem Mann nichts ein.

„Wie heißt du, mein Freund?“, fragte Rue.

„Joost“, antwortete der Mann.

„Joost? Was für ein Name ist das denn?“

„Ich bin Holländer“, erwiderte Joost.

Rue nickte. Das passte. Vom Akzent her, und außerdem war doch die halbe Welt auf der Suche nach Gold in den Westen gekommen.

Dann trat Anton Shudder vor, und die fünf anderen Toten Männer am Tresen schienen in den Hintergrund zu rücken, auch wenn in Wirklichkeit keiner einen Schritt machte. Shudder schaute Joost an, und dem armen panischen Holländer kam es vor, als schrumpfte die Welt auf einen sehr engen Raum zusammen.

„Du erzählst uns jetzt, was der Mann mit den grünen Augen zu dir gesagt hat“, verlangte Shudder in seinem ruhigen Tonfall.

„Kirche“, brachte Joost heraus. „Er hat etwas davon gesagt, dass er in die Kirche gehen will.“

Die Kirche, wenn man sie denn so nennen wollte, stand ein paar Meilen südlich auf einem Hügel. Ein heruntergekommenes Gebäude, in dem kaum noch Gottesdienste abgehalten wurden – und wenn, wurde die Hälfte davon fälschlich aus dem Gedächtnis zelebriert und das meiste erfunden. Drei verschiedene Gemeinden teilten sich die Kirche und eine davon war Forbidden. Das Dach der Kirche hing durch und ließ Wasser herein, wenn es regnete, die Wände ächzten und ließen Wind herein, wenn es stürmte, und die Tür knarrte und ließ Scheinheilige herein, wenn es passte.

Ein schmaler Gang trennte die beiden Bankreihen. Als Altar diente ein Tisch und als Kanzel eine Kiste zum Draufstehen. Die Kirche war früher eine Scheune und hatte den wohligen Geruch von Kuhmist nie verloren.

In der Stadt hatte einmal ein Mann namens Wooley gewohnt, ein schlagfertiger Typ, der immer schnell amüsante, wenn auch derbe Namen für Leute und Orte parat hatte. Ihm war ein Name für diese baufällige Kirchen-Scheune eingefallen, die nach Mist roch. Es war ein ziemlich pfiffiger und lustiger Name, doch Wooley starb an der Ruhr, bevor er ihn irgendjemandem mitteilen konnte. Ein echter Unglücksrabe, dieser Wooley.

Die Toten Männer marschierten vom Fuß des Hügels hinauf zu dieser erbärmlichen Kirche, in deren Fenster eine einzelne Kerze brannte. Es war Nacht, und eine warme dazu, und sie folgten dem gewundenen Pfad zwischen den vielen Gräbern hindurch. Sie gingen im Gänsemarsch mit Pleasant an der Spitze und das Mondlicht ließ seinen Schädel unter dem Hut glänzen. Oben auf dem Hügel verbreiterte sich der Weg, und hier stellten sich die Toten Männer nebeneinander auf und beobachteten die zweiflügelige Tür und das einzelne Fenster daneben.

„Nefarian Serpine“, rief Pleasant, „wenn du da drin bist, komm raus. Komm und hol dir, was du verdient hast.“

Die Kerzenflamme flackerte hinter der dünnen, gesprungenen Scheibe. Die Türflügel klapperten leise in der sanften Brise. Pleasant schaute Rue an, doch der schüttelte den Kopf. In dieser Kirche war niemand.

Pleasant machte einen Schritt nach vorn und hielt dann inne. Die anderen Toten Männer beobachteten, wie er sich langsam umdrehte, und taten es ihm gleich.

Aus den Gräbern ringsherum sprangen die Toten, schoben festgetretene Erde beiseite und warfen Grabsteine und Holzkreuze um. Sie buddelten sich aus zwei Meter Tiefe und weniger herauf, ächzten und stöhnten und stießen Geräusche aus, die durch ausgetrocknete Kehlen pfiffen. Sie rappelten sich auf, wankten, taumelten und schlurften geradewegs auf die sieben Zauberer zu, die langsam vor ihnen zurückwichen. Immer mehr krabbelten an die Oberfläche, durchstießen die Erde und fielen mit ihren Geräuschen in den anschwellenden Chor der Toten ein. Es waren Hunderte von Gräbern, manche fast sechzig Jahre alt. Einige der Toten, man nannte sie Zombies, waren noch ziemlich frisch, von anderen war nicht viel mehr als ein Skelett übrig. Möglich, dass Skulduggery Pleasant sich in diesem Augenblick ganz wie zu Hause fühlte. Falls es so war, zeigte er es nicht.

„Feuer frei!“, rief er.

Waffen wurden aus Lederholstern gezogen und keine Sekunde später wurde die Nacht von Gewehrdonner erschüttert. Die Toten Männer standen in einer Reihe und schossen konzentriert. Jede Kugel traf. Schüsse auf die Beine, um die Zombies aufzuhalten, auf die Brust, um sie zurückzutreiben, und in den Kopf, um sie in einen Tod zu schicken, von dem sie nicht zurückkommen würden. Im Fall von Zombies war es leichter, Kugeln abzufeuern, als Magie anzuwenden. Und schneller sowieso. Selbst die Skelette ohne Gehirn gingen zu Boden, wenn eine Kugel ihren Schädel zerfetzte. Knochenteile flogen herum, verwestes Fleisch platzte auf. Bald schon standen die Toten Männer in einer Wolke aus beißendem Pulverdampf, doch immer neue Zombies kamen.

„Ich muss nachladen“, sagte Vex und trat einen Schritt zurück. Die anderen Toten Männer rückten zusammen und füllten die Lücke. Als er seine Waffen geladen hatte, meldete er „Fertig“ und trat an den Platz, der sofort für ihn freigemacht wurde.

So lief es bei den Toten Männern. Das war der Tanz, den sie vollführten und mit dem sie sich gegenseitig in Deckung nahmen. Waffen liefen heiß und Finger wurden versengt und trotzdem wurde weitergeschossen und neu geladen und wieder geschossen. Und trotzdem kamen immer neue Zombies.

Drei von ihnen, diese Zombies waren noch ziemlich frisch, stürmten von hinten vor. Sie liefen auf Schneider zu, der einem ins Gesicht schoss und einem in den Hals. Die Kugel traf mitten ins Rückenmark, der Kopf flog nach hinten, riss verwestes Fleisch mit und fiel dann auf den Boden. In den dritten Zombie ließ er eine Luftsäule krachen, die den Toten von den Füßen hob. Schneider schickte noch eine Kugel hinterher, die ihn in den Hinterkopf traf, als er gerade einen Salto rückwärts schlug.

Die Zombies kamen inzwischen von allen Seiten. Die Toten Männer stellten sich in einem engen Kreis auf und drehten sich unablässig, wie ein tödlicher Kreisel. Leere Patronenhülsen fielen zu Boden. Neue rutschten in die Kammern. Hähne wurden gespannt und trafen auf Schlagstücke, Pulver wurde entzündet und Blei flog. Gesichter, Köpfe und Körper brachen auseinander. Der Kreisel der Toten Männer drehte sich bis zur Hälfte des Weges hinunter. Die sich langsamer bewegenden Zombies mussten ihren schwerfälligen Kurs ein paarmal korrigieren, nur um überhaupt nahe genug an ihre Gegner heranzukommen, dass diese ihr Fauchen vernehmen konnten.

Pleasant schlüpfte in die Mitte des Kreises, und Ravel deckte ihn, während er die leeren Colts in die Holster steckte. Dann hob er die Hände und packte die Luft. Was er da tat, war keine einfache Sache. Die Gewehre und Flinten, die sie bei den Pferden gelassen hatten, glitten aus ihren Holstern und Satteltaschen, und er ließ sie über die Köpfe der stinkenden Toten hinweg den Hügel herauffliegen.

„Munition ist aus“, meldete Hopeless und steckte seine Pistole in den Gürtel. Sein Gewehr, ein Sharps Hinterlader, fiel ihm in die ausgestreckten Hände, er legte es an und schoss weiter.

Rue war der Nächste. Er ließ seine Winchester singen und setzte den Schaft ein, wann immer eine Leiche zu aufdringlich wurde. Shudder hatte seine Büchse, ein doppelläufiges Monstrum, das er ‚Daisy‘ nannte, in der Hand. Er schoss damit aus der Hüfte und pustete jeden Zombie weg, der blöd genug war, gegen ihn anzugehen. Außer Pleasant, der ein Spencer-Gewehr bevorzugte, benutzten die anderen alle Henrystutzen. Sie fischten in ihren Taschen nach Munition und luden nach, so schnell es ging, aber es war klar, dass es mehr Zombies gab als Kugeln.

Ein kräftiger Zombie, ein Mann, der erst zwei Wochen zuvor gestorben war, stürmte in den Kreis, der daraufhin auseinanderbrach. Jeder rational denkende Beobachter hätte vielleicht angenommen, dass jetzt der richtige Moment gekommen sei, um in Panik auszubrechen, doch die Toten Männer gingen zügig, aber ruhig ihrem Geschäft nach. Sie wussten, dass ein einziger Fehler, eine Ungeschicklichkeit oder eine Fehlzündung dazu führen konnte, dass sie überrannt und in Stücke gerissen wurden. Sie duckten sich unter den zupackenden Händen weg, schossen und verteilten Hiebe und luden nach, wann immer sie einen Augenblick Zeit hatten.

Ein Gewehr nach dem anderen wurde fallen gelassen und Feuerbälle flogen. Aus Vex’ Händen schossen bunte Lichtbänder und brutzelten sich durch totes Fleisch. Rue machte sich mit seinem Bowie-Messer an die Arbeit und Hopeless packte seine berühmte Machete aus. Nur Shudder schoss noch. In seinen Taschen schien ein unendlicher Vorrat an Munition zu stecken.

„In die Kirche!“, rief Pleasant, als klar war, dass sie überrannt werden würden, und alle traten hügelaufwärts den Rückzug an.

Auf eine Handbewegung Pleasants hin öffnete sich die Doppeltür. Sie fanden sich wieder zusammen und begaben sich rückwärts unter den Schutz des Herrn. Doch der Herr war in jener Nacht entweder anderweitig beschäftigt oder er schlief während der Arbeitszeit, jedenfalls gab es dort drinnen keine Verschnaufpause. Immer mehr fleischfressende Leichen strömten herein und kraxelten über die Kirchenbänke. Die Toten Männer wichen noch weiter zurück, Schulter an Schulter. Dabei wurden sie langsamer und machten nur einen Schritt, wenn es gar nicht anders ging, wenn die schiere Zahl der Angreifer sie dazu zwang.

Schneider gestikulierte hinter ihnen, und der behelfsmäßige Altar und die Kanzel, die im Weg gestanden hatten, glitten zur Seite. Bis sie endlich die einzige Tür am anderen Ende der Kirche erreichten, hatte sich jeder noch bewegungsfähige Zombie in die Kirche gedrängt.

Auf Pleasants Signal hin öffnete Hopeless diese Tür mit einem Fußtritt und hielt sie für seine Freunde auf. Die Toten Männer drehten sich um und schneller als der Blitz waren sie draußen. Shudder kam als Letzter, doch anstatt abzuhauen, drehte er sich im Türrahmen um und öffnete sein Hemd. Pleasant, Schneider und Ravel streckten die Hände aus, ließen eine massive Wand aus Luft entstehen und verhinderten so, dass die Zombies ihrem Freund zu nah kamen. Als Shudder nickte, ließen sie die Wand in sich zusammenfallen. Die Zombies stürmten vorwärts.

Es gibt Arten von Magie, die – relativ – einfach sind, die dem Zauberer, der sie wirkt, nichts Besonderes abverlangen. Er ist danach müde, klar. Er ist abgespannt und sehr erschöpft. So ist das nun mal, wenn Magie gewirkt wird. Der Körper reagiert darauf wie auf jede andere Anstrengung auch.

Doch dann gibt es Arten der Magie, die verlangen ihren Preis. Anton Shudders Magie gehörte zu dieser Sorte. Das Risiko, das er jedes Mal einging, die Schmerzen und die Angst, die sie ihm bereitete, waren immens. Nur wenige Leute beherrschten diese magische Disziplin. Es gab sogar welche, die behaupteten, diese Disziplin könne man überhaupt nicht beherrschen. Shudder selbst gehörte zu diesen Menschen.

Seine Gist brach aus seiner Brust – eine kreischende, brüllende, albtraumhafte Version von Shudder selbst. Sie setzte sich aus jedem schlimmen Gedanken und schrecklichen Gefühlen dieses Mannes zusammen. Und betrachtete man die Reißzähne und Krallen und den schieren Irrsinn dieser Kreatur, so schienen diese Gedanken wohl zahl- und einfallsreich zu sein. Durch einen sich bewegenden Strom aus Licht und Dunkel an Shudder gefesselt, griff sie die Zombies an, als hasste sie nichts mehr auf dieser Welt. Was in diesem Moment auch zutraf. Seine Gist ging durch sie hindurch und über sie hinweg und wieder zurück, und der Lichtstrom ringelte sich um sich selbst wie eine ständig weiterwachsende Schlange. Es gab für die Zombies keinen Platz zum Ausweichen, selbst wenn sie das gewollt hätten. Sie wurden zerfetzt.

Shudders Knie knickten ein, und Rue und Vex ergriffen rasch jeder einen Arm und hielten ihn aufrecht. Mit letzter Kraft rief Shudder die Gist zurück. Sie brüllte und kreischte und wehrte sich, doch die Verbindung zwischen ihnen wurde kürzer und noch einmal kürzer, und dann wurde die Gist in Shudders Brust zurückgesaugt. Bis auf das leise Stöhnen der Zombie-Reste war es wieder still in der Kirche.

Rue und Vex führten Shudder hinaus, und Pleasant, Schneider und Ravel schnippten mit den Fingern und ließen Flammen in ihren Handflächen entstehen. Sie warfen die Flammen durch die Tür ins Innere, manipulierten sie noch ein wenig und binnen Sekunden brannte die ganze Kirche und nahm die letzten Zombies mit.

Die Toten Männer gingen den Hügel hinunter, zurück zu ihren müden Pferden, wo Hopeless auf sie wartete. Er hatte ihre weggeworfenen Gewehre eingesammelt und unterwegs noch etwas anderes aufgegriffen: einen Mann in Schwarz, bewusstlos und mit blutender Nase, die Hände in Handschellen. Er hatte auf der Erde im Staub gelegen, neben ihm sein Stab.

Sie ritten zurück in die Stadt, fanden eine leere Ecke in Sullivans Pferdestation und legten den Totenbeschwörer dort ab, während die Toten Männer sich für die Nacht Zimmer nahmen. Nur Pleasant blieb im Stall und bewachte ihn – wirklich tote Männer brauchen keinen Schlaf. So stand er mit vor der Brust verschränkten Armen da und betrachtete Noche. Sagte nichts. Rührte sich nicht – nicht einmal zum Atmen.

Kurz nach acht am nächsten Morgen erschien der Rest der Toten Männer wieder, ausgeruht und satt. Ein Eimer Wasser weckte den Totenbeschwörer. Er setzte sich mit einem keuchenden Atemzug auf und rollte sich dann mit Hustenanfällen auf dem Boden herum. Als er fertig war mit dem ganzen Gekeuche, blickte er zu seinen Kidnappern auf.

„Was machen wir mit ihm?“, fragte Schneider.

„Ich bin dafür, dass wir ihn umbringen“, meinte Rue. „Ich mag ihn nicht. Schaut euch bloß mal seine Augenbrauen an. Sie sind ganz merkwürdig. Er hat merkwürdige Augenbrauen, womöglich sind sie magisch. Er versucht, mich mit seinen merkwürdigen magischen Augenbrauen zu hypnotisieren.“

„Niemand versucht, dich zu hypnotisieren“, beruhigte Shudder ihn.

„Wir sollten sie ihm abrasieren und Experimente damit durchführen.“

„Ich fürchte, der Stress war letztendlich doch zu viel für unseren lieben Freund Saracen Rue“, stellte Ravel traurig fest. „Er war ein guter Mann, solange er lebte. Zuweilen vielleicht etwas nervig, aber trotzdem ein guter Mann.“

Rue nickte. „Man wird mich vermissen.“

Noche blickte stirnrunzelnd zu ihnen auf. „Ihr spinnt doch alle.“

„Du solltest dich mit Irrsinn auskennen“, meinte Vex. „Du warst schließlich mit Nefarian Serpine befreundet. Warum lässt du dich überhaupt mit solchen Leuten ein? Die Totenbeschwörer haben sich bis jetzt aus dem Krieg herausgehalten. Wollt ihr euch kurz vor Kriegsende wirklich noch der Verliererseite anschließen?“

„Meine Brüder und Schwestern bleiben neutral.“

„Dann bist also nur du es“, meldete sich Pleasant. „Ein skrupelloser Totenbeschwörer, der sich im Alleingang mit dem letzten von Mevolents drei Generälen zusammentut. Warum? Um ihm bei seiner Flucht zu helfen? Er läuft schon seit Monaten vor uns weg, aber wir sind ihm jetzt dichter auf den Fersen als je zuvor. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir ihn schnappen.“

Noche lächelte, und das Lächeln nahm einen ziemlich selbstgefälligen Zug an. „Aber die Zeit ist nicht euer Freund, stimmt’s? Ihr habt natürlich unbedingt recht – Mevolent ist tot, Vengeous trägt Handschellen und der Krieg ist bald zu Ende. Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass eure Sanktuarien von einer Amnestie reden. Solange der Krieg bald beendet und nicht länger hinausgezögert wird, bieten sie allen Anhängern Mevolents, die noch auf freiem Fuß sind, Straferlass an. Deshalb seid ihr ja auch so scharf darauf, Serpine in die Finger zu bekommen – weil ihr wisst, dass euch die Zeit davonläuft. Falls ihr ihn nicht kriegt, bevor die Amnestie verfügt wird, ist eure Chance auf Rache dahin. Stimmt doch, Knochenmann, oder?“

Pleasant legte den Kopf auf die für ihn typische Art schräg. „Du arbeitest mit ihm zusammen. Warum, ist mir völlig gleichgültig. Vielleicht hat er was gegen dich in der Hand. Vielleicht schuldest du ihm etwas. Vielleicht hast du auch einfach nur eine masochistische Ader. Weder du noch deine Gründe kümmern mich. Ich will nur eine Frage beantwortet haben.“

„Aus mir bekommst du nichts heraus“, höhnte Noche.

„Wir wollen nur eine kleine Information“, mischte Rue sich ein. „Eigentlich ist sie kaum eine Erwähnung wert. Sie ist kaum den Atem wert, der die Worte über meine Lippen bringen würde.“

„Nur eine klitzekleine Information“, sagte nun auch Vex, „dann lassen wir dich gehen. Du kannst dich vom Acker machen, und wir verraten niemandem, dass du uns geholfen hast.“

„Das schwören wir dir“, bekräftigte Schneider.

„Auf unser Wort kann man sich verlassen“, sagte Rue.

„Wohin ist Serpine gegangen?“, fragte Ravel.

Noche machte ein finsteres Gesicht. „Von mir erfahrt ihr nichts.“

„Bitte?“, fügte Ravel hinzu. Nach einem weiteren finsteren Blick des Totenbeschwörers straffte Ravel die Schultern. „Na gut. Du nützt uns also absolut gar nichts, oder? Dann verstehe ich überhaupt nicht, warum du die ganzen Unannehmlichkeiten auf dich genommen und dich hast gefangen nehmen lassen. Ich versteh’s wirklich nicht. Worin liegt der Sinn, Gefangener zu sein, wenn du deinen Kidnappern keine geheimen Pläne verrätst?“

„Verfehlt vollkommen den Zweck“, knurrte Vex.

„Da hast du ausgesprochen recht, Dexter“, meinte Ravel. Und an Noche gewandt, fragte er: „Was hast du zu deinen Gunsten vorzubringen? Schämst du dich wenigstens angemessen? Das solltest du. Ich an deiner Stelle würde mir mal ernsthaft Gedanken machen, was für eine Enttäuschung du für uns bist. Wir haben große Hoffnungen in dich gesetzt.“

„Die allergrößten.“

„Das ist richtig, Saracen, allergrößte Hoffnungen. Siehst du? Jetzt hast du Saracen aus der Fassung gebracht.“

„Ich hab nur was im Auge“, widersprach Rue.

„Ich habe Saracen Rue noch nie weinen sehen“, fuhr Ravel fort. „Seit heute Morgen nicht mehr, aber du hast ihn dazu gebracht, dass er weint wie ein kleines Kind. Ich hoffe, du bist stolz auf dich.“

Noche schaute sie argwöhnisch an. „Ihr seid wirklich alle verrückt.“

Anton Shudder trat vor. „Du sagst uns jetzt, wo wir Serpine finden. Ich spiele keine Spielchen wie meine Freunde. Sie reden nur so, um dich zu verwirren und dir Angst zu machen. Ich ziehe es vor, einfach zu fragen, und erwarte eine einfache Antwort.“

„Lieber würde ich sterben“, erwiderte Noche einen Tick weniger überzeugend.

„Weißt du, welche Disziplin ich gewählt habe, Kleiner?“

„Du bist … du hast eine Gist.“

„Richtig. Und wenn ich sie rauslasse, kann ich sie manchmal einfach nicht kontrollieren. Und ihren Anblick vergisst man so schnell nicht wieder. Furchterregend. Wild. Gnadenlos. Sag uns, was wir wissen wollen, oder ich lasse sie frei. Und eines kannst du mir glauben: Sie wird dir ihre volle Aufmerksamkeit schenken.“

Noche schluckte so schwer, als steckte ein spitzer Gegenstand in seinem Hals. „Serpine … er hat Lancaster in Nebraska erwähnt. Soll ein Ort sein, an dem er sich sicher fühlen könnte. Hat sich so angehört, als wollte er dort hingehen.“

Rue betrachtete ihn prüfend. „Lügst du?“

„Nein.“

„Ich traue ihm nicht.“

Ravel nickte. „Ich auch nicht.“

„Ich vertraue ihm“, verkündete Vex vergnügt. „Und ich hab mir auch das mit seinen Augenbrauen überlegt. Skulduggery, können wir ihn behalten?“

Pleasant schaute den Totenbeschwörer mit schräg gelegtem Kopf an. „Du lügst.“

„Nein, ich –“

Pleasant spreizte die Finger, und Noche hob ab, trat noch mit seinen Beinen ins Leere und flog gegen die Wand.

Die Toten Männer schwiegen. Keine Spur mehr von einem Lächeln oder einem gutmütigen Gesichtsausdruck.

„Mein Freund Anton bringt dich um“, sagte Pleasant, „aber ich werde dich auf schlimmere Weise umbringen. Warum hast du dich mit Serpine zusammengetan?“

„Bitte, ich …“

„Du hast eine einzige Chance. Wenn du mich anlügst, fange ich an, dich zu töten.“

Etwas veränderte sich in Noches Augen, etwas versickerte. Höchstwahrscheinlich schmolz seine Entschlossenheit dahin.

„Er ist auf dem Weg zum Tempel“, sagte er. „Ich sollte ihn treffen und dorthin zurückbringen.“

„Die Totenbeschwörer bieten ihm ein Versteck?“

„J-ja. Ich weiß nicht, weshalb. Es gibt da ein … eine Art Abkommen. Vor langer Zeit geschlossen.“

„Er hat dich hiergelassen, um uns aufzuhalten“, folgerte Pleasant, „und ist allein zum Tempel gegangen. Wie weit ist es?“

„Ein Dreitagesritt.“

Pleasant bog die Finger und der Totenbeschwörer rang nach Atem. „Sag uns, wo der Tempel ist.“

Sie ritten los.

Am zweiten Tag hatten sie trockenes Gras unter den Hufen ihrer Pferde.

Am dritten Tag fanden sie Serpines Pferd. Es hatte sich in einer Wasserrinne den Fuß gebrochen, und Serpine hatte nicht einmal den Anstand besessen, es zu erlösen. Hopeless legte ihm die Hand auf den Hals und jagte ihm eine Kugel in den Kopf – es war ein Akt der Barmherzigkeit. Dann stieg er wieder auf und sie ritten weiter.

Sie kamen gut voran. Serpines Spuren wurden frischer. Sie erreichten die Kuppe eines Hügels, schauten hinunter ins Tal und sahen einen Mann rennen und hinfallen. Er steuerte eine Ansammlung seltsam geformter Steine und Felsbrocken an. Vor dem Eingang zu etwas, das aussah wie eine Höhle, standen ein Dutzend Gestalten in Schwarz, alle in einer Reihe, und sie beobachteten, wie Serpine näher kam.

Die Toten Männer preschten den Hügel hinunter wie des Teufels ureigene Höllenhunde. Sie kamen so nah an Serpine heran, dass sie die Angst und Erschöpfung auf seinem schmutzigen, verschwitzten Gesicht sahen, als er sich umdrehte.

Dann wankte er durch die Reihe der Schwarzgekleideten und verschwand in der Höhle hinter ihnen.

Pleasant sprang aus dem Sattel und katapultierte sich mithilfe seiner Magie wie eine Kanonenkugel im hohen Bogen durch die Luft. Er landete wenige Schritte vor der Reihe von Totenbeschwörern.

„Aus dem Weg“, verlangte er.

Die Totenbeschwörer, trotzig, wie sie nun mal waren, machten keine Anstalten, auch nur einen Zentimeter zur Seite zu gehen. Einer in der Mitte – er hatte Platz gemacht, um Serpine durchzulassen – lächelte Pleasant an.

„Willkommen in unserem Tempel“, sagte er. „Dies ist ein Ort des Friedens und des Lernens. Seid ihr angemeldet?“

„Aus dem Weg“, wiederholte Pleasant. Seine gewöhnlich so weiche Stimme war jetzt so rau wie der Sand, über den sie auf dem Weg hierher geritten waren. Die Toten Männer stiegen hinter ihm ab, gingen langsam zu ihm hin und bildeten schließlich einen Keil in seinem Rücken. Sie hielten die Hände immer in der Nähe ihrer Waffen.

„Nefarian Serpine ist unser Gast“, erklärte der gesprächige Totenbeschwörer. „Er hat uns in der Vergangenheit einen Dienst erwiesen und steht somit unter unserem Schutz. Es tut mir leid, aber ich kann euch nicht durchlassen.“

„Wer sich mit unserem Feind verbündet, wird selbst zu unserem Feind“, sagte Pleasant.

Dem Totenbeschwörer gebührte alle Achtung dafür, dass er sich von einem wandelnden Skelett mit Revolvern an den Hüften offenbar nicht sonderlich einschüchtern ließ. „Ist das nicht eine allzu simple Sicht der Dinge? Diese kleine Philosophie lässt doch wirklich nur sehr wenig Spielraum. Ich persönlich ziehe es vor, jeden Augenblick so zu nehmen, wie er kommt, und jedes Hindernis als eine Gelegenheit zu betrachten, um immer wieder etwas anderes zu tun. Das macht das Leben interessant.“

Da Pleasants Geduldsfaden ohnehin schon ausgesprochen dünn war, genügte die Unterhaltung mit einem lächelnden Süßholzraspler wie diesem, um ihn vollends reißen zu lassen. Pleasant wollte sich an ihm vorbeidrücken und plötzlich erhob sich eine Schattenwand über ihren Köpfen. Die Toten Männer griffen nach ihren Waffen, hielten jedoch inne, bevor sie sie zogen. Waren diese Waffen erst mal aus den Holstern, käme der Tod angeflogen, und es gäbe kein Zurück.

„Ihr glaubt tatsächlich, ihr könnt uns Angst einjagen?“, sagte der Totenbeschwörer. „Man nennt euch die Toten Männer, dabei sind es meine Brüder, Schwestern und ich, die wahre Todesmagie wirken. Ihr glaubt, wir haben Angst vor dem Sterben? Wirklich?“

„Ich glaube, du nimmst den Mund sehr voll“, erwiderte Pleasant. „Ich glaube, ihr redet vom Tod, als sei er euer Freund. Aber wenn ihr wirklich seine Bekanntschaft machen wollt, können wir euch dabei gerne behilflich sein.“

„Dann bringt uns um. Doch ich warne euch. Wir stehen am Eingang zu einem Tempel. Unter unseren Füßen sind mehr von unserer Sorte, als ihr euch vorstellen könnt. Sie werden euch in Stücke reißen und ihr seid eurem Ziel kein bisschen näher gekommen.“

„Dann warten wir“, meldete sich Schneider. „Wir schlagen genau hier unser Lager auf und warten.“

„So gern ich sehen würde, wie ihr eure Zeit auf diese Art und Weise vergeudet“, erwiderte der Totenbeschwörer, „unser Tempel hat verborgene Ein- und Ausgänge, die in alle erdenklichen Richtungen führen. Ihr werdet einfach akzeptieren müssen, dass Serpine außerhalb eurer Reichweite ist. Steigt auf eure Pferde und trottet davon.“

„So leicht geben wir nicht auf“, sagte Ravel.

„Dann solltet ihr damit anfangen“, entgegnete der Totenbeschwörer. „Denn dieses Spiel habt ihr verloren. Der Knochenmann weiß es schon, deshalb ist er so still geworden. Die viele Zeit, die viele Anstrengung, der ganze Hass und die Wut, die sich aufgebaut haben … alles umsonst. Ihr seid ein paar Sekunden zu spät gekommen, Gentlemen. Das zu verdauen, kann euch nicht leichtfallen. Mein Mitgefühl ist euch gewiss. Aber das Spiel ist aus. Es ist vorbei. Vielleicht könnt ihr es in einem anderen Land irgendwann weiterspielen. Doch in ein paar Monaten oder in ein paar Jahren wird ein Friedensvertrag geschlossen und eine Amnestie erlassen. Dann wird Mr Serpine ein freier Mann sein, entspannt und sorglos, und ihr könnt absolut gar nichts dagegen tun.“

Die Toten Männer nahmen die Hände von ihren Waffen. Sie waren alt genug, um zu wissen, wann sie geschlagen waren, und sie waren weise genug, um zu wissen, dass das keine Schande war. Manchmal fielen die richtigen Karten und manchmal eben nicht.

Auf ein Nicken von Pleasant hin stiegen sie auf ihre Pferde. Die Totenbeschwörer gingen einer nach dem anderen zurück in die Höhle, und die Schattenwand war bald nichts als schwarzer Rauch im Wind. Irgendwann standen nur noch Pleasant und der Sprecher der Totenbeschwörer da.

„Wie heißen Sie?“, fragte Pleasant.

Wieder dieses Lächeln. „Kleriker Solomon Kranz, zu Ihren Diensten.“ Er deutete sogar eine Verbeugung an.

„Mr Kranz, Sie haben mich heute davon abgehalten, meine Pflicht zu tun.“

„Im Gegenteil. Ich habe Sie davon abgehalten, Rache zu üben.“

„Was auf dasselbe herauskommt. Ich werde dies nicht vergessen.“

„Das erwarte ich auch nicht“, erwiderte Kranz, doch Pleasant hatte ihm bereits den Rücken zugekehrt.

In dieser Nacht ließen sie ihre Pferde an einem Fluss ausruhen und redeten nicht besonders viel.

Pleasant saß etwas abseits von den anderen und schaute hinaus in die Dunkelheit. Zu behaupten, dass er einen eigentümlichen Zorn hegte, wäre selbstverständlich ein Understatement. Aber eigentümlich war sein Zorn dennoch, da er nicht von der Art war, die gewöhnliche Menschen verstehen konnten. Es war eine langsam brennende Glut, eine, die jeden Augenblick auflodern konnte, aber nie Gefahr lief, zu erlöschen. Sie hielt ihn aufrecht. Hielt ihn am Leben. Vielleicht war ein Teil von ihm sogar froh, dass Serpine noch einmal davongekommen war.

Solange sein Mörder und der Mörder seiner Familie am Leben war, irgendwo da draußen in der dunklen Ebene, hatte Pleasant einen Grund zu kämpfen, einen Grund, den einen Fuß vor den anderen zu setzen. Aber was blieb, wenn der Mörder ermordet war? Etwas Kaltes und Ungewisses. Gut möglich, dass er sich an all das klammerte, was er hatte – seinen Hass, seinen Zorn, seinen Job –, weil ihm das Daran-Klammern alles war. Der Krieg war bald zu Ende. Seine Zeit als Soldat war bald vorbei.

Was dann? War da draußen noch etwas anderes, etwas, das es erst noch zu entdecken galt, das ihn zum Weitermachen antrieb, wenn alles andere aufgebraucht war? Etwas oder jemand, der ihm wieder einen Grund geben konnte, der eine andere Art Feuer in ihm entfachen würde?

Aller Voraussicht nach. Er wusste es nicht. Wahrscheinlich wollte er gar nicht so weit vorausdenken.

Die Toten Männer schliefen. Skulduggery Pleasant nicht.

Nein, Skulduggery saß einfach nur da und wartete.

Da dies alles war, was er hatte.

Der Halloweenball der Horrorschriftsteller
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DER HALLOWEENBALL DER HORRORSCHRIFTSTELLER

„Die Hölle können auch andere Leute sein“, murmelte Gordon Edgley, als sie den Ballsaal betraten, „aber wenn du nach einem nie erlöschenden Fegefeuer abfälliger Bemerkungen und hämischer Kommentare suchst, brauchst du dich nur unter Schriftstellern umzuschauen.“

Die kostümierten Gäste standen in Grüppchen herum und lachten, nippten Champagner und Wein und nahmen sich leckere, aber affige Kanapees von den Tabletts vorbeigehender Kellner. Auf der verdunkelten Empore spielte ein Streichquartett. Es war, als hätte man die Musiker auf eine Seite geschoben, um im Licht Platz zu schaffen für die wenigen Auserwählten. Und wenige Auserwählte waren sie tatsächlich: Einladungen zu Sebastian Fawkes’ Partys waren seltener als ein ehrlich verdienter Dollar in der Tasche eines Politikers.

Der Spruch war echt gut, fand Gordon. Man musste noch ein bisschen daran herumfeilen, aber er hatte Potenzial.

„Einladungen zu diesen Partys sind seltener als ein ehrlich verdienter Dollar in der Tasche eines Politikers“, sagte er zu seinem Begleiter und wartete auf dessen Reaktion. Als keine kam, runzelte er die Stirn, packte die Zeile erst mal weg und nahm sich vor, später noch ein bisschen damit herumzuspielen.

Ein paar der Gesichter erkannte er wieder – das schnauzbärtige von R. Samuel Keen zum Beispiel, einem Amerikaner, in dessen Büchern ausnahmslos immer entweder ein hochbegabtes Kind oder ein medial veranlagter Hund vorkommen mussten. In seinem letzten kam beides vor. Gordon wollte es sich in seinem Wagen als Hörkassette zu Gemüte führen, doch dann hatte sich die Kassette im Rekorder verheddert. Aber es war ohnehin nicht besonders gut.

Er sah Adrian Sykes, einen Mann mit leiser Stimme aus dem Nordosten Englands, dessen Werk wahnsinnig blutrünstig und unerhört fantasievoll war. Thema der Party war, wie üblich, Horror, und Sykes war als einer von Clive Barkers Cenobiten gekommen. Nichts als schwarzes Leder und Haken. Gordon hatte ihn bisher nur ein einziges Mal getroffen, hielt ihn aber für eine durch und durch anständige Person. Oft stimmte es, dass Autoren der verstörendsten Geschichten zu den nettesten Menschen gehörten.

Es gab natürlich Ausnahmen. Der Gentleman, mit dem Sykes sich gerade unterhielt, zum Beispiel. Edgar Looms, auch Amerikaner, war ein Mann von bemerkenswerter Obszönität. Gordon war ihm vor zehn Jahren zum ersten Mal begegnet, kurz nachdem Gordons erstes Buch herausgekommen war. Seither hatte er eine ziemliche Antipathie gegen den Mann entwickelt. An diesem Abend war Looms einer der vielen, die als Frankenstein verkleidet erschienen waren – aus dem James-Whale-Film, nicht dem Buch.