Charles Dickens


David Copperfield



Roman

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-131-2


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Vierundzwanzigstes Kapitel



Ich wandere mit Agnes auf der Straße des Lebens dahin. Ich sehe unsere Kinder und Freunde um uns her und höre das Rauschen vieler alter vertrauter Stimmen.

Welche Gesichter sind mir die deutlichsten in dem flutenden Gewühl? Alle wenden sich mir zu, wie ich meine Gedanken so frage.

Meine Tante mit einer scharfen Brille, eine Greisin von achtzig Jahren und mehr, aber noch kerzengerade und aufrecht. Sie kann ihre sechs englischen Meilen bei Wind und Wetter gehen, ohne sich niedersetzen zu müssen.

Unzertrennlich von ihr Peggotty, meine gute alte Kindsfrau. Auch sie trägt eine Brille und näht abends sehr dicht bei der Lampe. Aber nie ohne einen Wachsstumpf, das Ellenmaß in dem kleinen Häuschen und dem Arbeitskasten mit dem Bilde der St. Paulskirche auf dem Deckel neben sich.

Ihre Wangen, so hart und rot gewesen in meinen Kindertagen, dass ich mich wunderte, warum die Vögel nicht lieber an ihnen anstatt an Äpfeln pickten, sind ganz runzlig geworden, und ihre Augen, die ihr ganzes Gesicht weithin dunkel machten, sind jetzt nicht mehr so glänzend; aber ihr grauer Zeigefinger, der mir früher wie ein Muskatnußaschenreibeisen vorkam, ist immer noch der alte, und wie ich mein Kleinstes danach haschen sehe, wenn es zwischen mir und meiner Tante zu ihr hinschwankt, da muß ich an unser kleines Wohnzimmer in Blunderstone denken, damals, als ich selbst kaum laufen konnte.

Meine Tante ist jetzt endlich befriedigt. Sie ist Patin einer wirklichen lebendigen Betsey Trotwood, und Dora, die nächste, meint, sie werde von ihr verzogen.

Peggottys Tasche ist hoch aufgebauscht. Es steckt nichts Geringeres darin als das Krokodilbuch, zurzeit in recht altersschwachem Zustand, einzelne Blätter zerrissen und wieder zusammengenäht; aber immer zeigt es Peggotty den Kindern als eine kostbare Reliquie. Es ist so seltsam, wenn meine eignen Züge als Kindergesicht von den Krokodilgeschichten zu mir aufblicken und mich an meinen alten Bekannten Brooks von Sheffield erinnern.

Mitten unter meinen Jungen sehe ich in den Sommerferien einen alten Mann, der riesige Papierdrachen macht und in die Luft aufblickt mit einer Wonne, für die es keine Worte gibt. Er begrüßt mich begeistert und flüstert mir mit vielem Nicken und Winken zu: "Trotwood, es wird dich freuen zu hören, dass ich demnächst meine Denkschrift beendigen werde, wenn ich weiter nichts zu tun habe, und dass deine Tante die wunderbarste Frau von der Welt ist."

Wer ist diese tiefgebeugte Dame, die sich auf einen Stock stützt und mir ein Gesicht zeigt, in dem Spuren alten Stolzes und alter Schönheit schwach ankämpfen gegen ein verdrießliches schwachsinniges launisches Irrsein? Sie sitzt in seinem Garten, und neben ihr steht ein hageres dunkles verwelktes Weib mit einer weißen Narbe auf der Lippe.


* * * * *


"Rosa, ich habe den Namen des Herrn vergessen."

Rosa beugt sich über sie und ruft ihr in die Ohren: "Mr. Copperfield."

"Es freut mich, Sie zu sehen, Sir. Ich bemerke zu meinem Bedauern, dass Sie Trauer tragen. Ich hoffe, die Zeit wird Ihnen Linderung bringen."

Ihre ungeduldige Gesellschafterin schilt sie aus und sagt ihr, ich sei doch gar nicht in Trauer, heißt sie mich wieder ansehen und versucht ihre Aufmerksamkeit zu wecken.

"Sie haben meinen Sohn gesehen, Sir? Sind Sie mit ihm ausgesöhnt?"

Sie sieht mich starr an, legt die Hand an die Stirn und stöhnt. Plötzlich schreit sie mit schrecklicher Stimme auf: "Rosa, komm zu mir. Er ist tot." Rosa kniet vor ihr nieder, liebkost sie, schilt sie aus und sagt leidenschaftlich zu ihr: "Ich liebte ihn mehr als du." Dann lullt sie die Alte an ihrer Brust ein wie ein krankes Kind. So verlasse ich sie. So finde ich sie immer, so schleppen sie sich hin Jahr um Jahr.

Ein Schiff kommt von Indien her, und wer ist die englische Dame, die Gattin eines wortkargen alten schottischen Krösus mit großen flappigen Ohren? Julia Mills?

Es ist Julia Mills, nervös und vornehm, mit einem schwarzen Diener, der ihr Briefe und Karten auf einem goldnen Teller überreicht, und einer kupferfarbigen Dienerin in Leinenkleid mit einem bunten Tuch auf dem Kopf, die ihr das Tiffin (indisches Frühstück) im Ankleidezimmer serviert. Julia hält kein Tagebuch mehr, singt nicht mehr der "Liebe Sterbelied" und streitet ewig mit dem alten schottischen Krösus, der eine Art gelber Bär mit gegerbter Haut ist. Sie steckt im Geld bis an den Hals und spricht und denkt an weiter nichts. Sie gefiel mir besser in der Wüste Sahara.

Oder ist vielleicht das die Wüste Sahara? Denn, obgleich Julia ein Schloß hat und vornehme Gesellschaft und prächtige Diners Tag für Tag, nichts Grünes sehe ich in ihrer Nähe wachsen. Nichts, was jemals Frucht oder Blüte trägt.

Was Julia Gesellschaft nennt, sehe ich; darunter Mr. Jack Maldon in seiner Sinekure, der die Hand verspottet, die sie ihm verschafft hat, und den Doktor einen liebenswürdigen altmodischen Kauz nennt.

Ich sehe den Doktor, unsern guten treuen Freund immer noch mit dem Wörterbuch beschäftigt. Er hält beim Buchstaben D. und ist glücklich in seinem Familienleben und mit seiner Gattin. Der "General" ist nicht mehr so einflußreich wie ehemals.

In seiner Kanzlei arbeitet mein lieber alter Traddles mit geschäftiger Miene, und sein Haar, soweit sein Kopf noch nicht kahl ist, ist womöglich noch rebellischer geworden durch den beständigen Druck der Advokatenperücke. Auf seinem Tisch liegen hohe Stöße von Akten; ich sehe mich um und sage:

"Wenn Sophie jetzt dein Schreiber wäre, Traddles, hätte sie viel zu tun."

"Das stimmt, lieber Copperfield! Aber es waren doch herrliche Tage in Holborn Court! Nicht wahr?"

"Wo sie zu dir sagte, du würdest Richter werden? Aber damals war es noch nicht Stadtgespräch, Traddles."

"Jedenfalls, lieber Copperfield, wenn ich es erst einmal bin, werde ich erzählen, dass sie die Akten abschrieb."

Wir gehen fort, Arm in Arm. Ich bin zu einem Familiendiener bei Traddles eingeladen. Es ist Sophies Geburtstag, und unterwegs erzählt mir Traddles von dem Glück, das ihm zuteil geworden ist.

"Ich bin wirklich imstande gewesen, lieber Copperfield, alles zu tun, was mir am meisten am Herzen lag. Seine Ehrwürden hat jetzt die Pfründe von vierhundertfünfzig Pfund jährlich. Unsere beiden Jungen werden aufs beste erzogen und zeichnen sich durch Fleiß aus; drei der Mädchen sind recht gut verheiratet, drei leben bei uns; die drei übrigen führen seit Mrs. Crewlers Tod dem Vater die Wirtschaft; und alle sind glücklich. Mit Ausnahme der 'Schönheit'," fügt er hinzu "Ja. Es war ein großes Unglück, dass sie so einen Vagabunden heiratete. Aber er hatte etwas Blendendes an sich, was sie bestach. Wo wir sie jetzt wieder sicher zu Hause haben und ihn los sind, müssen wir sie zu trösten suchen."

Traddles Haus ist wahrscheinlich eins von denen, die er und Sophie bei ihren Abendspaziergängen im Geiste für sich eingerichtet haben. Es ist ein großes Haus, aber Traddles hebt seine Akten im Ankleidezimmer auf und seine Stiefel dabei, und er und Sophie quetschen sich in die obersten Zimmer, um die besten der "Schönheit" und den Mädchen zu überlassen. Es ist kein Platz im Hause sonst, denn immer sind mehr der Mädchen hier, als ich zählen kann. Tritt man ein, kommt eine ganze Schar an die Türe gerannt und reicht Traddles zum Küssen herum, bis er außer Atem ist. Hier wohnt für Lebenszeit die unglückliche "Schönheit" mit einem Kind; hier sehe ich zu Sophies Geburtstag die drei verheirateten Schwestern mit ihren drei Gatten, einem Schwager, einem Vetter und einer Schwägerin, die mit diesem verlobt zu sein scheint. Traddles, genau derselbe einfache, ungezierte, gute Bursche, der er immer war, sitzt am untern Ende der langen Tafel und blickt über den gedeckten Tisch, auf dem jetzt wirkliches Silber blitzt.

Dann verschwimmen diese Gesichter. Nur eins, das auf mich niederscheint wie ein himmlisches Licht, das mir alles erleuchtet, steht über ihnen. Und das bleibt.

Ich wende meinen Kopf und sehe es in seiner schönen, heiteren Ruhe neben mir. Meine Lampe brennt herunter, und ich habe tief bis in die Nacht hinein geschrieben, aber das teure Wesen, ohne das ich nichts wäre, leistet mir immer Gesellschaft.


Ende

 

 

Inhalt



Erster Band


Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel


Zweiter Band


Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel


Dritter Band


Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

 

 

 




Erster Band

Erstes Kapitel



Ob ich mich in diesem Buche zum Helden meiner eignen Leidensgeschichte entwickeln werde, oder ob jemand anders diese Stelle ausfüllen soll, wird sich zeigen.

Um mit dem Beginn meines Lebens anzufangen, bemerke ich, dass ich, wie man mir mitgeteilt hat, und wie ich auch glaube, an einem Freitag um Mitternacht zur Welt kam. Es heißt, dass die Uhr zu schlagen begann, gerade als ich zu schreien anfing.

Was den Tag und die Stunde meiner Geburt betrifft, so behaupteten die Kindsfrau und einige weise Frauen in der Nachbarschaft, die schon Monate zuvor, ehe wir noch einander persönlich vorgestellt werden konnten, eine lebhafte Teilnahme für mich gezeigt hatten,

erstens: Dass es mir vorausbestimmt sei, nie im Leben Glück zu haben, und

zweitens: Dass ich die Gabe besitzen würde, Geister und Gespenster sehen zu können. Wie sie glaubten, hingen diese beiden Eigenschaften unvermeidlich all den unglücklichen Kindern beiderlei Geschlechts an, die in der Mitternachtsstunde eines Freitags geboren sind.

Über den ersten Punkt brauche ich nichts weiter zu sagen, weil ja meine Geschichte am besten zeigen wird, ob er eingetroffen ist oder nicht.

Was den zweiten anbelangt, will ich nur feststellen, dass ich bisher noch nichts bemerkt habe. Vielleicht habe ich schon als ganz kleines Kind diesen Teil meiner Erbschaft angetreten und aufgebraucht. Ich beklage mich auch durchaus nicht, falls mir diese schöne Gabe vorenthalten bleiben sollte. Und wenn sich irgend jemand anders ihrer vielleicht bemächtigt hat, mag er sie in Gottesnamen behalten.

Ich kam in einem Hautnetz zur Welt, das später um den niedrigen Preis von fünfzehn Guineen in den Zeitungen zum Verkauf ausgeschrieben wurde. Ob damals die Seereisenden gerade knapp bei Kasse waren oder schwach im Glauben und daher Korkjacken vorzogen, weiß ich nicht; ich weiß bloß soviel, dass nur ein einziges Angebot einlief und zwar von einem Anwalt der zugleich Wechselagent war und zwei Pfund bar und den Rest in Sherry geben wollte und es entschieden ablehnte, um einen höhern Preis diese Garantie gegen das Ertrinken zu erwerben. Die Annonce wurde zurückgezogen, denn was Sherry anbelangte, so wurde meiner armen lieben Mutter eigener Sherry gerade damals versteigert.

Das Hautnetz wurde zehn Jahre später in unserer Gegend in einer Lotterie unter fünfzig Personen ausgeknobelt; je fünfzig Bewerber zahlten eine halbe Krone per Kopf, und der Gewinner hatte noch fünf Schillinge daraufzulegen. Ich selbst war gegenwärtig und erinnere mich, wie unbehaglich und verlegen mir zu Mute war, als ein Teil meines eignen Selbsts auf diese Weise veräußert wurde. Ich weiß noch, dass eine alte Dame mit einem Handkorb das Netz gewann und die ausgemachten fünf Schillinge in lauter Halfpennystücken zögernd herausholte.

Es fehlten damals noch zwei und ein halber Penny, was man ihr nur mit einem großen Aufwand an Zeit und Arithmetik begreiflich machen konnte. Tatsache ist, dass die alte Dame wirklich nie ertrank, sondern triumphierend im Bette starb; zweiundneunzig Jahre alt.

Ich ließ mir erzählen, dass sie sich bis an ihr Ende außerordentlich damit brüstete, in ihrem ganzen Leben niemals auf dem Wasser gewesen zu sein, höchstens auf einer Brücke, und dass sie bei ihrem Tee, dem sie sehr zugetan war, stets ihre Entrüstung über die Gottlosigkeit der Seeleute aussprach, die sich auf dem Meere "herumtrieben".

Es war vergebens, ihr vorzustellen, wie viele Annehmlichkeiten wir, den Tee zum Beispiel mit inbegriffen, dieser Unsitte verdanken. Stets erwiderte sie mit noch größerm Nachdruck und mit instinktivem Bewußtsein von der Gewalt ihres Einwandes: "Man hat sich trotzdem nicht herumzutreiben."

Um mich aber nicht selbst herumzutreiben und abzuschweifen, will ich wieder zu meiner Geburt zurückkehren.

Ich erblickte in Blunderstone in Suffolk oder daherum, wie man in Schottland sagt, das Licht der Welt. Ich bin ein nachgebornes Kind. Meines Vaters Augen schlossen sich sechs Monate früher, als die meinigen sich öffneten.

Es liegt etwas Seltsames für mich in dem Gedanken, dass mein Vater mich niemals gesehen hat, und noch Seltsameres in der schattenhaften Erinnerung aus meiner ersten Kinderzeit an den weißen Grabstein auf dem Kirchhof. Ich empfand unsäglichen Kummer, dass er dort draußen allein liegen mußte in der dunklen Nacht, während unser kleines Wohnzimmer warm und hell war von Feuer und Licht und das Tor unseres Hauses, fast grausam kam es mir manchmal vor, für ihn verriegelt und verschlossen.

Eine Tante meines Vaters, folglich eine Großtante von mir, von der ich bald mehr zu erzählen haben werde, galt als die angesehenste Person in unserer Familie. Miß Trotwood oder Miß Betsey, wie meine arme Mutter sie immer nannte, wenn sie ihre Angst vor dieser schrecklichen Persönlichkeit so weit überwand, sie überhaupt zu erwähnen, war verheiratet gewesen mit einem Manne, der jünger als sie selbst und sehr hübsch war. Allerdings nicht in dem Sinn des Sprichworts, "hübsch ist, wer sich hübsch beträgt," denn er stand stark in dem Verdacht, dass er Miß Betsey durchzuprügeln pflegte und einmal sogar wegen einer strittigen Unterstützungsfrage schnelle, aber entschlossene Vorbereitungen getroffen hätte, sie aus einem Fenster im zweiten Stock hinauszuwerfen.

Diese offenkundigen Beweise unverträglicher Gemütsart bewogen schließlich Miß Betsey ihn mit Geld abzufertigen und eine Scheidung auf gegenseitige Übereinkunft durchzusetzen.

Er ging mit dem Kapital nach Indien und wurde dort nach einer wilden Legende in unserer Familie einmal auf einem Elefanten reiten gesehen in Gesellschaft eines Babu. Es wird wohl ein Pavian gewesen sein oder eine Begum! Wie dem auch sei, ehe zehn Jahre um waren, kam aus Indien die Kunde von seinem Tod.

Wie meine Tante es aufgenommen hat, weiß niemand. Gleich nach der Scheidung nahm sie ihren Mädchennamen wieder an, kaufte sich ein Häuschen in einem Weiler weit draußen an der Seeküste und lebte dort mit einer einzigen Dienerin in unerbittlicher Zurückgezogenheit.

Mein Vater mußte einst ihr Liebling gewesen sein, aber seine Heirat hatte sie tödlich beleidigt, da meine Mutter nach ihrer Ansicht nur eine "Wachspuppe" war. Sie hatte meine Mutter wohl nie gesehen, wußte aber, dass sie sehr jung war, noch nicht zwanzig.

Mein Vater und Miß Betsey sahen einander nie wieder. Er war doppelt so alt als meine Mutter, als er sie heiratete, und von zarter Gesundheit. Ein Jahr darauf starb er; wie ich schon gesagt habe, sechs Monate, ehe ich zur Welt kam.

So lagen die Dinge an jenem, wie ich wohl sagen darf, ereignisvollen und wichtigen Freitag. Ich weiß natürlich über sie nichts aus eigener Anschauung und stütze meine Erinnerungen auch nicht auf eigne Sinneswahrnehmung.

Meine Mutter saß am Feuer, körperlich schwach und geistig sehr niedergedrückt, schaute, die Augen voll Tränen, in das Feuer und sann trübe nach über das Schicksal des vor der Geburt verwaisten Kindes, dessen Ankunft binnen kurzem erwartet wurde, und über ihre eigene Zukunft.

Es war ein heller, windiger Herbstnachmittag, und sie saß betrübt und niedergeschlagen da und von bangen Zweifeln erfüllt, ob sie wohl glücklich die zu erwartende schwere Stunde überstehen werde, als sie, ihre Augen trocknend, aufblickte und durch das gegenüberliegende Fenster eine fremde Dame in den Garten hereinkommen sah.

Beim zweiten Blick hatte meine Mutter schon die sichere Ahnung, dass es Miß Betsey wäre. Die untergehende Sonne schien über den Gartenzaun auf die fremde Dame, und diese schritt auf die Türe zu mit einer so unbeugsamen Strenge in Gesicht und Haltung, dass es niemand anders sein konnte.

Als sie das Haus erreichte, lieferte sie noch einen andern Beweis ihrer Identität. Mein Vater hatte oft erwähnt, dass sie sich selten wie ein gewöhnlicher Christenmensch benehme; und nun trat sie wirklich, anstatt die Glocke zu ziehen, an das nächste Fenster und drückte ihre Nase mit solcher Energie gegen das Glas, dass diese im Augenblick ganz platt und weiß wurde, wie meine Mutter oft erzählte.

Sie bekam darüber einen solchen Schrecken, dass ich es meiner Überzeugung nach nur Miß Betsey zu danken habe, wenn ich an einem Freitag zur Welt kam.

Meine Mutter war in ihrer Aufregung aufgestanden und hinter den Stuhl in eine Ecke getreten. Miß Betsey sah sich durch die Scheiben langsam und forschend im Zimmer um, wobei sie am andern Ende der Stube anfing, und wendete automatenhaft wie ein Türkenkopf auf einer Schwarzwälderwanduhr das Gesicht, bis ihre Blicke auf meiner Mutter haften blieben. Dann zog sie die Brauen zusammen und winkte wie jemand, der zu befehlen gewohnt ist, dass man ihr die Türe aufmachen solle. Meine Mutter gehorchte.

"Mrs. David Copperfield vermutlich," sagte Miß Betsey mit einer Emphase, die sich wahrscheinlich auf die Trauerkleider meiner Mutter und auf ihren Zustand bezog.

"Ja," antwortete meine Mutter schüchtern.

"Haben Sie schon von Miß Trotwood gehört?" fragte die Dame.

Meine Mutter entgegnete, sie habe das Vergnügen gehabt, hatte aber dabei das unangenehme Gefühl, nicht darnach auszusehen, als ob es ein überwältigendes Vergnügen gewesen wäre.

"Jetzt steht sie vor Ihnen," sagte Miß Betsey. Meine Mutter verbeugte sich und bat die Dame, einzutreten.

Sie gingen in das Wohnzimmer, aus dem meine Mutter gekommen, denn das Besuchzimmer auf der andern Seite des Ganges war nicht geheizt und nicht geheizt gewesen seit meines Vaters Leichenbegängnis. Als sie beide Platz genommen hatten, Miß Betsey aber nichts sprach, fing meine Mutter, nach einem vergeblichen Bemühen sich zu fassen, zu weinen an.

"O still, still, still!" sagte Miß Betsey hastig. "Nur das nicht. Lass das, lass das!"

Meine Mutter aber konnte sich nicht helfen, und ihre Tränen flossen, bis sie sich ausgeweint hatte.

"Nimm deine Haube ab, Kind," sagte Miß Betsey, "damit ich dich sehen kann."

Meine Mutter war viel zu sehr eingeschüchtert, um dieses seltsame Verlangen abzuschlagen, selbst, wenn sie gewollt hätte. Daher entsprach sie dem Wunsche und tat es mit so zitternden Händen, dass ihr Haar, das sehr reich und schön war, sich löste und auf ihre Schultern herabfiel.

"Gott bewahre!" rief Miß Betsey, "du bist ja noch ein wahres Wickelkind."

Allerdings sah meine Mutter selbst für ihre Jahre noch sehr jugendlich aus. Sie ließ den Kopf hängen, als ob es ihre Schuld wäre, und sagte schluchzend, dass sie auch fürchte, sie sei ein wahres Kind von einer Witwe und werde auch ein Kind von einer Mutter sein, wenn sie am Leben bliebe.

In der kurzen Pause, die darauf folgte, kam es ihr fast vor, als ob Miß Betsey ihr Haar berührte und zwar nicht mit unsanfter Hand; aber wie sie schüchtern hoffend aufblickte, hatte sich die Dame mit aufgeschürztem Kleid bereits hingesetzt, die Hände über ein Knie gefaltet, die Füße auf das Kamingitter gestützt, und starrte grimmig ins Feuer.

"Um Gotteswillen?" fragte Miß Betsey plötzlich. "Warum eigentlich Krähenhorst?"

"Sie meinen das Haus, Madame?"

"Warum Krähenhorst?" fragte Miß Betsey. "Hühnerhof wäre passender gewesen, wenn ihr beide einen Begriff vom praktischen Leben gehabt hättet."

"Mr. Copperfield hat ihm den Namen gegeben," erwiderte meine Mutter. "Als er das Haus kaufte, meinte er, es müßte hübsch sein, wenn Krähen darin nisten würden."

Der Abendwind fegte in diesem Augenblick so gewaltig durch die alten hohen Ulmen im Garten, dass sowohl meine Mutter wie Miß Betsey unwillkürlich hinaussahen. Als sich die Bäume zueinander neigten wie Riesen, die sich Geheimnisse zuflüsterten, und gleich darauf in heftige Bewegung gerieten und mit ihren zackigen Armen wild in der Luft herumfuhren, als ob diese Geheimnisse zu gräßlich für ihre Seelenruhe wären, wurden ein paar alte, vom Sturm zerzauste Krähennester auf den höchsten Zweigen wie Wracks auf stürmischer See hin und hergeworfen.

"Wo sind die Vögel?" verhörte Miß Betsey.

"Was?" Meine Mutter hatte an etwas anderes gedacht.

"Die Krähen, wo sie hingekommen sind?"

"Es waren überhaupt nie welche da, seit wir hier gelebt haben," sagte meine Mutter. "Wir dachten, Mr. Copperfield dachte, es sei ein großer Krähenhorst, aber die Nester waren alt und von den Vögeln längst verlassen."

"Echt David Copperfield," rief Miß Betsey. "David Copperfield, wie er leibt und lebt! Nennt das Haus Krähenhorst, wo gar keine Krähe da ist, und nimmt die Vögel auf guten Glauben, weil er die Nester sieht."

"Mr. Copperfield ist tot," gab meine Mutter zur Antwort, "und wenn Sie sich unterstehen, unfreundlich über ihn zu sprechen ..."

Ich glaube, meine arme, liebe Mutter hatte einen Augenblick die Absicht, sich an der Tante tätlich zu vergreifen. Diese hätte sie wohl leicht mit einer Hand bezwungen, selbst wenn meine Mutter in einer bessern Verfassung für einen solchen Kampf gewesen wäre als an diesem Abend. Aber es blieb bei einem schüchternen Aufstehen. Dann setzte sich meine Mutter wieder schwach nieder und fiel in Ohnmacht.

Als sie wieder zu sich kam, sah sie Miß Betsey am Fenster stehen. Es war mittlerweile ganz dunkel geworden, und so undeutlich sie einander unterschieden, hätten sie doch auch das nicht ohne den Schein des Feuers können.

"Nun?" fragte Miß Betsey und trat wieder zu dem Stuhl, als hätte sie bloß einen Blick aus dem Fenster geworfen, "und wann erwartest du ...?"

"Ich zittere am ganzen Leibe," stammelte meine Mutter. "Ich weiß nicht, was es ist, ich sterbe sicherlich."

"Nein, nein, nein," sagte Miß Betsey; "trink eine Tasse Tee!"

"Ach Gott, ach Gott, meinen Sie, dass mir das gut tun wird?" rief meine Mutter in hilflosem Tone.

"Selbstverständlich!" sagte Miß Betsey. "Es ist alles bloß Einbildung. Wie heißt denn das Mädchen?"

"Ich weiß doch nicht, ob es ein Mädchen sein wird, Madame," sagte meine Mutter unschuldsvoll.

"Gott segne dieses Kind!" rief Miß Betsey aus, unbewußt den Sinnspruch auf dem Nadelkissen in der Schublade des obern Stocks anführend, aber nicht mit Anwendung auf mich, sondern auf meine Mutter. "Das meine ich doch nicht. Ich meine doch das Dienstmädchen."

"Peggotty," sagte meine Mutter.

"Peggotty!" wiederholte Miß Betsey entrüstet. "Willst du damit sagen, Kind, dass ein menschliches Geschöpf in eine christliche Kirche gegangen ist und sich hat Peggotty taufen lassen?"

"Es ist ihr Familienname," sagte meine Mutter schüchtern. "Mr. Copperfield nannte sie so, weil ihr Taufname derselbe ist wie meiner."

"Heda, Peggotty!" rief Miß Betsey und öffnete die Zimmertür. "Tee! Deine Herrschaft ist ein bißchen unwohl, aber rasch!"

Nachdem sie diesen Befehl so gebieterisch ausgesprochen, als wäre sie von jeher Herrin dieses Hauses, und aus dem Zimmer hinausgespäht hatte, um nach der erstaunten Peggotty zu sehen, die bei dem Klang einer fremden Stimme mit einem Licht den Gang entlang kam, schloß sie die Tür wieder und setzte sich nieder wie zuvor, die Füße am Kamingitter, das Kleid aufgeschürzt und die Hände über ein Knie gefaltet.

"Du meintest, es werde ein Mädchen werden," sagte Miß Betsey. "Ich zweifle keinen Augenblick daran. Ich habe ein Vorgefühl, dass es ein Mädchen wird. Nun, Kind! Von dem Moment der Geburt dieses Mädchens an ..."

"Vielleicht ists ein Knabe," erlaubte sich meine Mutter, sie zu unterbrechen.

"Ich sagte dir bereits, ich habe das Vorgefühl, dass es ein Mädchen ist," entgegnete Miß Betsey. "Widersprich mir nicht immer. Also von dem Augenblick der Geburt dieses Mädchens an werde ich seine Freundin sein, Kind. Ich will seine Patin sein, und sie hat Betsey Trotwood-Copperfield zu heißen. Mit dieser Betsey Trotwood-Copperfield soll es im Leben glatt gehen. Mit ihren Gefühlen darf nicht gespielt werden. Armes Kleines. Sie muß gut erzogen und in acht genommen werden, dass sie ihr Vertrauen nicht auf törichte Weise jemand schenkt, der es nicht verdient. Das lass meine Sorge sein."

Bei jedem dieser Sätze zuckte Miß Betsey mit dem Kopf, als ob das erlittene Unrecht vergangener Zeiten in ihr wieder lebendig würde und sie einen deutlicheren Hinweis darauf nur mit Überwindung unterdrückte. So vermutete wenigstens meine Mutter, als sie sie beim schwachen Schimmer des Feuers beobachtete, aber zu sehr von ihrem Wesen erschreckt war und innerlich viel zu unruhig und zu verwirrt, um überhaupt irgend etwas klar beobachten zu können.

"Und war David gut gegen dich, Kind?" fragte Miß Betsey, nachdem sie eine Weile geschwiegen und die Bewegung ihres Kopfs allmählich aufgehört hatte. "Habt ihr euch gut vertragen?"

"Wir waren sehr glücklich," sagte meine Mutter. "Mr. Copperfield war viel zu gut zu mir."

"Er hat dich also verzogen?"

"Allein und verlassen zu sein und ohne Stütze in dieser rauen Welt dazustehen," schluchzte meine Mutter, "dazu hat er mich wohl nicht erzogen."

"Gut. Weine nicht," sagte Miß Betsey. "Ihr paßtet eben nicht zusammen, Kind, zwei Menschen können überhaupt nicht zusammenpassen, deshalb fragte ich. Du warst eine Waise, nicht wahr?"

"Ja."

"Und Gouvernante?"

"Ich war Bonne in einer Familie, die Mr. Copperfield häufig besuchte. Mr. Copperfield war sehr freundlich und aufmerksam gegen mich und machte mir zuletzt einen Heiratsantrag. Und ich sagte ja. Und so wurden wir Mann und Frau," sagte meine Mutter einfach.

"Ha! Armes Kind!" murmelte Miß Betsey und sah immer noch grimmig ins Feuer. "Verstehst du etwas?"

"Ich bitte um Verzeihung, Madame?" stammelte meine Mutter.

"Von der Wirtschaft zum Beispiel," sagte Miß Betsey.

"Ich fürchte, nicht viel. Nicht so viel, wie ich möchte. Aber Mr. Copperfield unterrichtete mich ..."

"Weil er selber so viel davon verstand," warf Miß Betsey hin.

"... und ich glaube, ich hätte bald Fortschritte gemacht, denn ich war eifrig im Lernen und er ein sehr geduldiger Lehrer, wenn nicht das große Unglück ...," meine Mutter verlor wieder die Fassung und konnte nicht weitersprechen.

"Schon gut, schon gut," sagte Miß Betsey.

"Ich führte mein Wirtschaftsbuch regelmäßig und schloß es mit Mr. Copperfield pünktlich jeden Abend ab," rief meine Mutter mit einem neuen Ausbruch des Schmerzes.

"Schon gut, schon gut," rief Miß Betsey. "Hör endlich auf zu weinen."

"Und es war nie ein Wort des Streites dabei oder der Uneinigkeit, außer wenn Mr. Copperfield tadelte, dass meine Dreier und Fünfer einander zu ähnlich sähen, oder dass ich meinen Siebnern und Neunern krause Schwänze gäbe," begann meine Mutter von neuem und wieder von einer Tränenflut unterbrochen.

"Du wirst dich krank machen," sagte Miß Betsey, "Du weißt doch, dass das weder für dich noch für mein Patenkind gut ist. Komm, du mußt das bleiben lassen."

Dieses Argument trug einigermaßen dazu bei, meine Mutter zum Schweigen zu bringen, obgleich ihr zunehmendes Übelbefinden die Hauptursache sein mochte. Eine längere Stille trat ein, die nur unterbrochen wurde von einem gelegentlichen "Ha!" Miß Betseys, die immer noch mit den Füßen auf dem Kamin dasaß.

"David hat sich mit seinem Geld eine Leibrente gekauft," sagte sie endlich, "und wie hat er für dich gesorgt?"

"Mr. Copperfield," sagte meine Mutter mit Anstrengung, "war so vorsichtig und gut, mir die Anwartschaft auf einen Teil davon zu sichern."

"Wieviel?" fragte Miß Betsey.

"Hundertundfünf Pfund jährlich."

"Er hätte es noch schlimmer machen können," sagte meine Tante.

Das Wort paßte gut für den Augenblick. Meiner Mutter ging es soviel schlimmer, dass Peggotty, die eben mit dem Teebrett und Lichtern hereinkam und auf den ersten Blick sah, wie krank sie war, Miß Betsey hätte es schon eher sehen können, wenn es hell genug gewesen wäre, sie so rasch wie möglich in die obere Stube hinaufbrachte und sofort Ham Peggotty, ihren Neffen, der seit einigen Tagen ohne Wissen meiner Mutter als Bote für unvorhergesehene Fälle im Hause verborgen gehalten wurde, nach der Hebamme und dem Doktor schickte.

Diese verbündeten Mächte, die sich im Verlauf weniger Minuten zusammenfanden, waren sehr erstaunt, eine fremde Dame von strengem Aussehen vor dem Feuer sitzen zu sehen, den Hut am linken Arm hängend, und sich die Ohren mit Juwelierbaumwolle zustopfend.

Da Peggotty nichts über sie wußte und meine Mutter nichts über sie hatte fallen lassen, blieb sie ein ungelöstes Rätsel in der Wohnstube, und der Umstand, dass sie ein Baumwollenmagazin in der Tasche trug und sich die Watte auf besagte Weise in die Ohren stopfte, raubte ihr nichts von ihrem Ansehen.

Nachdem der Doktor oben gewesen und wieder heruntergekommen war und offenbar vermutete, dass er mit der unbekannten Dame einige Stunden würde zusammenbleiben müssen, bemühte er sich, höflich und gesellig zu erscheinen. Er war der sanfteste seines Geschlechts, der mildeste aller kleinen Männer. Er drückte sich beim Ein- und Ausgehen seitwärts durch die Türen, um möglichst wenig Raum einzunehmen. Er ging so leise wie der Geist des Hamlet aber noch viel langsamer. Er trug den Kopf auf eine Seite geneigt, teils aus Bescheidenheit, teils aus Entgegenkommen. Es wäre zu wenig gesagt, dass er nicht einmal für einen Hund ein böses Wort gehabt hätte. Er hätte nicht einmal einem tollen Hund ein böses Wort sagen können. Höchstens ein sanftes oder ein halbes oder ein Bruchstück davon, denn er sprach so langsam, wie er ging, aber er würde nicht grob gegen ihn gewesen sein. Nicht einmal ein rasches, nicht um alles in der Welt.

Mr. Chillip sah also meine Tante, den Kopf auf die Seite geneigt, sanft an, machte eine kleine Verbeugung und sagte, auf die Watte anspielend, indem er sein linkes Ohr berührte:

"Lokale Reizung, Madame?"

"Was?" fragte meine Tante und zog die Baumwolle wie einen Kork aus einem Ohr.

Mr. Chillip erschrak so sehr über ihr barsches Wesen, wie er später meiner Mutter erzählte, dass es noch ein Glück war, dass er die Fassung nicht verlor. Er wiederholte sanft:

"Lokale Reizung, Madame?"

"Unsinn!" antwortete meine Tante und verstopfte sofort das Ohr wieder.

Mr. Chillip konnte nun weiter nichts tun, als Platz nehmen und sie schüchtern ansehen, wie sie so dasaß und ins Feuer starrte, bis er wieder hinaufgerufen wurde.

Nach viertelstündiger Abwesenheit kehrte er wieder zurück.

"Nun?" fragte meine Tante und nahm die Watte aus dem ihm am nächsten liegenden Ohre.

"Nun, Madame," antwortete Mr. Chillip, "wir ... wir machen langsam Fortschritte."

"Ba-a-ah," sagte meine Tante, den verächtlichen Ausruf förmlich hervorstoßend, und verstopfte sich wieder wie vorhin.

In der Tat, in der Tat, Mr. Chillip war geradezu bestürzt, wie er später meiner Mutter gestand; natürlich bloß vom ärztlichen Gesichtspunkt aus. Aber trotzdem starrte er Miß Betsey fast zwei Stunden lang an, bis er von neuem gerufen wurde. Nach längerer Abwesenheit kehrte er wiederum zurück.

"Nun?" fragte meine Tante und nahm abermals die Watte aus dem gleichen Ohr.

"Nun, Madame," antwortete Mr. Chillip, "wir ... wir machen langsam Fortschritte, Madame."

"Ja-a-a," knurrte meine Tante Mr. Chillip derart an, dass er es fürwahr nicht länger mehr aushalten konnte. Es war fast darnach angetan, ihm allen Mut zu nehmen, äußerte er später.

Darum ging er lieber hinaus und setzte sich draußen im Dunkeln auf die zugige Treppe, bis man wie der nach ihm schickte.

Ham Peggotty, der in die Volksschule ging und wie ein Drache über seinem Katechismus zu sitzen pflegte und deshalb sicher als glaubwürdiger Zeuge gelten kann, erzählte am nächsten Tag, er hätte eine Stunde später zur Stubentür hereingeguckt und wäre sogleich von Miß Betsey, die in großer Erregung auf- und abgegangen, erspäht und gepackt worden, ehe er die Flucht habe ergreifen können. Er berichtete ferner, dass man zuweilen das Geräusch von Fußtritten und Stimmen in den obern Zimmern gehört hätte, das wahrscheinlich die Watte nicht ganz abhielt, wie er aus dem Umstande schloß, dass ihn die Dame wie ein Opfer festhielt und an ihm ihre überströmende Aufregung ausließ, wenn die Geräusche am lautesten waren. Sie hätte ihn am Kragen gepackt gehalten und in der Stube auf- und "abgeführt" (als ob er zu viel Laudanum genossen), hätte ihn geschüttelt, ihm die Wäsche zerzaust und die Ohren verstopft, als ob es ihre eignen gewesen wären, und ihn auf andere Weise mißhandelt. Sein Bericht wurde zum Teil von Peggotty bestätigt, die ihn um halb ein Uhr, kurz nach seiner Befreiung, noch ganz rot gesehen hatte.

Der sanfte Mr. Chillip konnte niemand böse sein und wenn überhaupt je, so am allerwenigsten in solcher Stunde. Er drückte sich deshalb in das Wohnzimmer, sobald er abkommen konnte und sagte zu meiner Tante in seinen mildesten Tönen:

"Madame, es freut mich, Sie beglückwünschen zu können."

"Wozu?" fragte Miß Betsey mit Schärfe.

Mr. Chillip, wiederum verwirrt durch die außerordentliche Schroffheit meiner Tante, machte ihr eine kleine Verbeugung und lächelte sie an, um sie zu besänftigen.

"O dieser Mensch, was er nur macht," rief meine Tante ungeduldig, "kann er denn nicht sprechen!"

"Beruhigen Sie sich, meine teuere Madame," sagte Mr. Chillip mit seinen weichsten Lauten. "Es ist nicht länger Ursache zur Besorgnis mehr vorhanden, Madame. Beruhigen Sie sich."

Man hat es später für ein Wunder angesehen, dass meine Tante ihn nicht schüttelte, um das, was er zu sagen hatte, aus ihm herauszuschütteln. Was sie schüttelte, war nur der Kopf, den aber so drohend, dass es den Doktor erzittern machte.

"Nun, Madame," begann Mr. Chillip von neuem, sobald er wieder Mut gefaßt, "es freut mich, Sie beglückwünschen zu können. Alles ist nun vorbei, Madame, und glücklich vorbei."

Während der fünf Minuten, die Mr. Chillip zu dieser Rede brauchte, sah ihn meine Tante lauernd und scharf an.

"Wie befindet sie sich?" fragte meine Tante und verschränkte ihre Arme, an deren einem immer noch der Hut hing.

"Nun, Madame, sie wird bald wieder ganz wohl sein, hoffe ich," antwortete Mr. Chillip, "so wohl, wie wir es von einer jungen Mutter unter so getrübten häuslichen Verhältnissen nur erwarten können. Wenn Sie sie sogleich sehen wollen, steht dem nichts im Wege, Madame. Vielleicht tut es ihr sogar gut."

"Und sie? Wie geht es ihr?"

Mr. Chillip neigte seinen Kopf noch ein bißchen mehr auf die Seite und sah meine Tante an wie ein liebenswürdiger Vogel.

"Das Baby?" sagte meine Tante, "wie geht es ihr?"

"Madame," erwiderte Mr. Chillip. "Ich nahm an, Sie wüßten es schon. Es ist ein Knabe."

Meine Tante sprach kein Wort, nahm ihren Hut an den Bändern wie eine Schleuder, führte einen Streich damit gegen Mr. Chillips Kopf, stülpte ihn aufs Haupt, schritt hinaus und kam niemals wieder.

Sie verschwand, wie eine unzufriedene Fee oder wie eins jener übernatürlichen Wesen, die ich nach dem Volksglauben berechtigt war, sehen zu können; ging hin und ward nicht mehr gesehen.

Ich lag in meiner Wiege und meine Mutter im Bett. Betsey Trotwood-Copperfield aber blieb für immer im Lande der Träume und Schatten, in jener grauenvollen Region, die ich jüngst durchwandert. Und das Licht unseres Zimmers schien hinaus auf das irdische Ziel aller Wanderer aus dieser Region: auf den Hügel über der Asche und dem Staube dessen, der einst hienieden geweilt, und ohne den ich nie geworden wäre.

Zweites Kapitel



Die ersten Gegenstände, die bestimmte Umrisse von mir annehmen, wenn ich weit zurück in die Leere meiner Kindheit blicke, sind meine Mutter mit ihrem schönen Haar und den jugendlichen Formen und Peggotty mit überhaupt gar keiner Form und mit so dunklen Augen, dass sie ihre Umgebung im Gesicht dunkel zu machen scheinen, und mit Armen und Backen so rot, dass ich mich stets wunderte, warum die Vögel nicht lieber an ihnen statt an den Äpfeln herumpickten.

Ich glaube, mich noch daran erinnern zu können, wie die beiden Frauen in kleiner Entfernung voneinander auf dem Boden knieten, und ich unsicher von einer zur andern wankte. Ich habe auch noch eine dunkle Erinnerung an Peggottys Zeigefinger, der von der Nadel so rau war wie ein Taschenmuskatnußreibeisen.

Das mag Einbildung sein, aber ich glaube, dass das Gedächtnis der meisten Menschen weiter in die Kinderzeit zurückreicht, als man gewöhnlich annimmt; ebenso glaube ich, dass die Beobachtungsgabe bei vielen kleinen Kindern an Schärfe und Genauigkeit ganz wunderbar ist. Ich glaube sogar, dass man von den meisten Erwachsenen, die in dieser Hinsicht bemerkenswert sind, viel eher sagen könnte, sie hätten diese Fähigkeit nicht verloren, als, sie hätten sie erst später erworben; um so mehr, als solche Menschen überdies eine gewisse Frische und Sanftmut und eine Fähigkeit, sich über irgend etwas zu freuen, besitzen, lauter Eigenschaften, die sie ebenfalls aus der Kindheit mit herübergenommen haben.

Wenn ich also, wie gesagt, in die Leere meiner frühesten Jugend zurückblicke, sind die ersten Gegenstände, deren ich mich entsinnen kann, und die aus dem Wirrwarr der Dinge hervorstechen, meine Mutter und Peggotty. Was weiß ich sonst noch? Wollen mal sehen.

Es scheidet sich aus dem Nebel unser Haus in seiner mir in frühester Erinnerung vertrauten Gestalt. Im Erdgeschoß geht Peggottys Küche auf den Hinterhof hinaus; da sind: in der Mitte ein Taubenschlag auf einer Stange, aber ohne Tauben; eine große Hundehütte in einer Ecke, aber kein Hund darin, und eine Anzahl Hühner, die mir erschrecklich groß vorkommen, wie sie mit drohendem und wildem Wesen herumstolzieren. Ein Hahn fliegt auf einen Pfosten, um zu krähen, und scheint sein Auge ganz besonders auf mich zu richten, wie ich ihn durch das Küchenfenster betrachte; und ich zittere vor Furcht, weil er so bös ist. Von den Gänsen außerhalb der Seitentür, die mir mit langausgestreckten Hälsen nachlaufen, wenn ich vorbeigehe, träume ich die ganze Nacht, wie ein Mann, den wilde Tiere umgeben, von Löwen träumen würde.

Dann ist ein langer Gang da, für mich eine endlose Perspektive, der von Peggottys Küche zum Haupttor führt. Eine dunkle Vorratskammer mündet auf diesen Gang; so recht ein Ort, um des Nachts daran scheu vorbeizulaufen, denn ich weiß nicht, was zwischen diesen Tonnen und Krügen und alten Teekisten stecken mag, wenn sich nicht gerade jemand mit einem brennenden Licht in der Kammer befindet. Eine dumpfige Luft, mit der sich der Geruch von Seife, Mixed-Pickles, Pfeffer, Kerzen und Kaffee vermischt, strömt heraus. Dann sind die beiden Wohnzimmer da: Das eine, in dem abends meine Mutter, ich und Peggotty sitzen, denn Peggotty leistet uns Gesellschaft, wenn wir allein sind, und sie ihre Arbeit gemacht hat und das Empfangszimmer, wo wir Sonntags sitzen, prunkvoll, aber nicht so traulich. Für mich hat dieses Zimmer etwas Schwermütiges, denn Peggotty hat mir erzählt, ich weiß zwar nicht mehr, wann, aber es muß lange her sein, als mein Vater begraben wurde, wären die Trauergäste drin mit schwarzen Mänteln umhergegangen. Dort liest jeden Sonntag abends meine Mutter Peggotty und mir vor, wie Lazarus von den Toten auferweckt wurde. Und ich ängstige mich so sehr darüber, dass sie mich dann aus dem Bette herausnehmen und mir aus dem Schlafzimmerfenster den stillen Kirchhof zeigen müssen, wo die Toten im feierlichen Mondlicht in ihren Gräbern ruhen.

Auf der ganzen Welt, soviel ich weiß, ist nirgends das Gras nur halb so grün, wie auf diesem Kirchhof, nirgends sind die Bäume halb so schattig, und nichts ist so still, wie die Grabsteine. Die Schafe weiden dort, wenn ich früh morgens in dem kleinen Bett in dem Alkoven hinter meiner Mutter Schlafzimmer knie und hinausschaue, und ich sehe das rötliche Licht auf die Sonnenuhr scheinen und denke bei mir: Freut sich die Sonnenuhr, dass sie die Zeit angeben kann?

Dann ist unser Betstuhl in der Kirche da. Was für ein hochrückiger Stuhl! Daneben ist ein Fenster, von dem aus man unser Haus sehen kann. Und oftmals während des Morgengottesdienstes blickt Peggotty hinaus, um sich zu vergewissern, ob nicht eingebrochen oder etwas in Brand gesteckt wird. Wenn sie selbst auch ihre Augen umherwandern läßt, so wird sie doch böse, wenn ich dasselbe tue, und winkt mir zu, wenn ich auf dem Sitz stehe, dass ich den Geistlichen anblicken solle. Aber ich kann ihn doch nicht immerfort ansehen, ich kenne ihn doch sowieso auch ohne das weiße Ding, das er umhat, und fürchte immer, er könne plötzlich wissen wollen, warum ich ihn so anstaune, und vielleicht gar den Gottesdienst unterbrechen, um mich darüber zu befragen und was sollte ich dann tun?

Es ist etwas Schreckliches, zu gähnen. Aber irgend etwas muß ich doch machen. Ich blicke meine Mutter an, aber sie tut, als ob sie mich nicht sähe. Ich schaue einen Jungen im Seitenschiff an; er schneidet mir Gesichter. Ich sehe auf die Sonnenstrahlen, die durch die offne Tür hereinfallen, und da erblicke ich ein verirrtes Schaf, ich meine nicht, einen Sünder, sondern einen Hammel, der Miene macht, in die Kirche zu treten. Ich fühle, dass ich nicht länger hinschauen kann, denn ich könnte in Versuchung kommen, etwas laut zu sagen, und was würde dann aus mir werden. Ich blicke auf die Gedächtnistafeln an der Wand und versuche, an den verstorbenen Mr. Bodgers zu denken, und welcher Art wohl Mrs. Bodgers Gefühle gewesen sein mögen, als ihr Mann solange krank lag und die Kunst der Ärzte vergebens war. Ich frage mich, ob sie auch Mr. Chillip vergeblich gerufen haben und wenn, ob es ihm recht ist, daran jede Woche einmal erinnert zu werden. Ich schaue von Mr. Chillip in seinem Sonntagshalstuch nach der Kanzel hin und denke, was für ein hübscher Spielplatz das sein müßte, und was das für eine feine Festung abgeben würde, wenn ein anderer Junge die Treppen heraufkäme zum Angriff, und man könnte ihm das Samtkissen mit den Troddeln auf den Kopf schmeißen. Und wenn sich nach und nach meine Augen schließen, und ich anfangs den Geistlichen in der Hitze noch ein schläfriges Lied singen höre, vernehme ich bald gar nichts mehr. Dann falle ich mit einem Krach vom Sitze und werde mehr tot als lebendig von Peggotty hinausgetragen.

Und dann wieder sehe ich die Außenseite unseres Hauses, und die Fensterläden des Schlafzimmers stehen offen, damit die würzige Luft hineinströmen kann, und im Hintergrund des Hauptgartens hängen in den hohen Ulmen die zerzausten Krähennester. Jetzt bin ich in dem Garten hinter dem Hof mit dem leeren Taubenschlag und der Hundehütte, ein wahrer Park für Schmetterlinge, mit seinem hohen Zaun und seiner Türe mit Vorhängeschlössern, und das Obst hängt dick an den Bäumen, reifer und reicher als in irgendeinem andern Garten, und meine Mutter pflückt die Früchte in ein Körbchen, während ich dabeistehe und heimlich ein paar abgezwickte Stachelbeeren rasch in den Mund stecke und mich bemühe, unbeteiligt auszusehen.

Ein starker Wind erhebt sich und im Handumdrehen ist der Sommer weg. Wir spielen im Winterzwielicht und tanzen in der Stube herum. Wenn meine Mutter außer Atem ist und im Lehnstuhl ausruht, sehe ich ihr zu, wie sie ihre glänzenden Locken um die Finger wickelt und sich das Leibchen glatt zieht, und niemand weiß so gut wie ich, dass sie sich freut, so gut auszusehen, und stolz ist, so hübsch zu sein.

Das sind so einige von meinen frühesten Eindrücken. Das und ein Gefühl, dass wir beide ein bißchen Angst hatten vor Peggotty und uns in den meisten Fällen ihren Anordnungen fügten, gehört zu den ersten Schlüssen, wenn ich so sagen darf, die ich aus dem zog, was ich sah.

Peggotty und ich saßen eines Abends allein in der Wohnstube vor dem Kamin. Ich hatte Peggotty von Krokodilen vorgelesen. Ich muß wohl kaum sehr deutlich gelesen haben, oder die arme Seele muß in tiefen Gedanken gewesen sein, denn ich erinnere mich, als ich fertig war, hatte sie so eine Idee, Krokodile wären eine Art Gemüse. Ich war vom Lesen müde und sehr schläfrig, aber da ich die besondere Erlaubnis bekommen hatte, aufzubleiben, bis meine Mutter von einem Besuch nach Hause käme, wäre ich natürlich lieber auf meinem Posten gestorben als zu Bett gegangen. Ich war bereits auf einem Stadium von Schläfrigkeit angekommen, wo Peggotty mir immer größer und größer zu werden schien. Ich hielt meine Augen mit den beiden Zeigefingern offen und sah sie ununterbrochen an, wie sie auf ihrem Stuhle saß und arbeitete, betrachtete dann das kleine Stückchen Wachslicht, mit dem sie ihren Zwirn wichste, wie alt es aussah mit seinen Runzeln kreuz und quer, das Hüttchen mit dem Strohdach, worin das Ellenmaß wohnte, das Arbeitskästchen mit dem Schiebedeckel und einer Ansicht darauf von der St. Paulskirche mit einer purpurroten Kuppel, den messingnen Fingerhut und sie selbst, die mir ungemein schön vorkam. Ich war so müde, dass ich fühlte, ich würde einschlafen, wenn ich nur einen Augenblick meine Augen abwendete.

"Peggotty," sagte ich dann plötzlich: "Bist du einmal verheiratet gewesen?"

"Herr Gott, Master Davy!" erwiderte Peggotty, "wie kommst du nur aufs Heiraten?"

Sie antwortete so überrascht, dass ich ganz wach wurde. Dann hielt sie inne in ihrer Arbeit und sah mich an, den Faden in seiner ganzen Länge straffgezogen.

"Aber du warst doch einmal verheiratet, Peggotty?" fragte ich. "Du bist doch wunderschön, nicht wahr?" Ich hielt sie allerdings für eine andere Stilart als meine Mutter, aber nach einer andern Schule von Schönheitsbegriff gesehen, kam sie mir als vollkommenes Muster vor. In unserm Empfangszimmer war ein rotsamtenes Fußbänkchen, auf das meine Mutter einen Blumenstrauß gemalt hatte. Dieser Samt und Peggottys Haut schienen mir ganz gleich. Die Fußbank war glatt und weich und Peggotty rau, aber das machte keinen Unterschied.

"Ich, schön, Davy!" sagte Peggotty. "O Gott, nein, mein liebes Kind. Aber wie kommst du aufs Heiraten?"

"Ich weiß nicht. Du darfst nicht mehr als einen auf einmal heiraten, nicht wahr, Peggotty?"

"Gewiß nicht," sagte Peggotty mit größter Entschiedenheit.

"Aber wenn du einen Mann heiratest und er stirbt, dann geht's, nicht wahr, Peggotty?"

"Es geht schon, wenn man will, liebes Kind," sagte Peggotty. "Das ist dann eben meine Sache."

"Aber was ist deine Meinung," fragte ich.

Bei dieser Frage blickte ich sie neugierig an, weil sie mich so seltsam musterte.

"Meine Meinung ist," sagte Peggotty, als sie nach kurzem Zögern ihre Augen von mir abgewendet und wieder zu arbeiten begonnen hatte, "dass ich selbst niemals verheiratet gewesen bin, Master Davy, und dass ich auch nicht daran denke. Das ist alles, was ich von der Sache weiß."

"Du bist doch nicht böse, Peggotty?" fragte ich, nachdem ich eine Weile still gewesen.