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NEO-Story 4

 

Gemeinsame Geschichten

 

 

 

Eine PERRY RHODAN NEO-Erzählung

 

von Hermann Ritter

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Er ist ein alter Mann: geboren auf dem Planeten Ferrol, hineingewachsen in die Wirren des ferronisch-topsidischen Krieges, ein guter Freund der Menschen. Als er dazu aufgefordert wird, von seiner Vergangenheit zu erzählen, werden die gemeinsamen Geschichten in ihm wach, die Menschen und Ferronen verbinden ...

Bereits Jahrhunderte, bevor die Ferronen erstmals mit den Menschen in Kontakt traten, gab es merkwürdige Legenden. Sie erzählten davon, dass in uralten Zeiten Wesen von den Sternen gekommen waren, um mit den Ferronen zu sprechen. Kaum jemand nimmt die Geschichten ernst.

Doch eine Gruppe junger Wissenschaftler bricht auf, um alte Hinterlassenschaften aus der Vergangenheit zu prüfen. Womit sie nicht rechnen: Während sie nach Beweisen suchen, dass es früher Begegnungen mit Außerirdischen gegeben hat, tauchen ebendiese Außerirdischen über den Welten des Wegasystems auf. Leider bringen sie nicht den Frieden, sondern Krieg und Verwüstung ...

Es war eigenartig, den alten Mann in seinem Sessel zu beobachten. In seinen Rücken hatte er ein blaues Kissen gestopft, damit er bequem sitzen konnte. Über den Oberschenkeln lag eine braune Wolldecke, die er sich mit seinen altersfleckigen Händen auf beiden Seiten so lange zurechtgeschoben hatte, bis sie faltenfrei auf seinen Beinen lag. Dazu kam ein roter, fast schon wieder in Mode befindlicher Pullover. Ein enger Kragen, dazu vorne ein V-Ausschnitt, unter dem man den oberen Rand eines schwarzen Shirts sehen konnte. Sein Kopf lehnte bequem an der Lehne des Stuhls, zwischen den beiden halbmondförmigen Holzteilen, die links und rechts die Lehne begrenzten.

Jetzt nahm er die Pfeife aus dem Mund und betrachtete sie einen Augenblick. Fast liebevoll fuhren seine Hände über den warmen Pfeifenkopf, dann über das Mundstück. Er lächelte, als sein Blick auf die Bissspuren fiel. Irgendwann würde er das Mundstück austauschen müssen.

Aber so ist das mit Dingen, die langsam alt werden. Man hat sich an sie gewöhnt, auch wenn sie nicht mehr perfekt sind. Und man ist nicht willens, sie zu verändern.

Mit einer ruhigen Bewegung führte er das Mundstück wieder an die Lippen. Er sog den schweren, grauen Rauch ein. Behaglich schloss er die Augen, während der Schmauch die Mundhöhle füllte. Dann blies er ihn über die Nase wieder aus und öffnete die Augen.

»Verzeihung.« Er nickte kurz in Richtung der Kamera. Dann beugte er sich zur Seite und schoss zielsicher einen Pfropfen Spucke in die Schale, die rechts vom Sessel auf dem Boden stand. »Ein ferronisches Laster.« Er lachte leise.

Die Kamera schwebte ein wenig zur Seite, sodass der alte Mann der irdischen Reporterin direkt in die Augen schauen konnte. Die Kamera bewegte sich lautlos ein Stück nach oben, um die Szene aus dem besten Blickwinkel einzufangen. »Sie wollen wirklich wissen, was sich damals ereignet hat?«

Die Reporterin nickte.

»Gut.« Eine blaue Hand wischte kurz über die Lippen. Der alte Mann lachte. »Da ist man so alt wie ich – und immer noch eitel.« Er lächelte in die Kamera, wie nur alte Männer lächeln können. »Sie schneiden das nachher alles zusammen, oder?«

»Reden Sie einfach. Wir übernehmen den Rest.«

»Gut.« Er räusperte sich. »Was macht ein alter Ferrone auf der Erde? Warum sitze ich hier in einem Sessel, eine Pfeife im Mund, und erzähle Ihnen einen Teil ihrer Geschichte? Weil Ihre Geschichte auch meine Geschichte ist. Es ist meine Geschichte, es ist die Geschichte der Ferronen, und es ist die Geschichte von Perry Rhodan. Und es ist ein Kreis, der sich für mich schließt. Wissen Sie: Ich habe die Menschen immer gesucht. Bevor jemand auf Ferrol, Rofus oder sonst irgendwo im Wegasystem wusste, dass es sie gibt, war ich davon überzeugt, dass es irgendwo da draußen Brüder im All gibt.«

Die Pfeife wanderte wieder zwischen die Lippen. Er nahm erneut einen Zug. Dieses Mal stieß er den Rauch durch den Mund aus. Eine graue Wolke waberte an der fliegenden Kamera vorbei. »Entschuldigung!« Der alte Mann wischte mit der freien Hand durch die Luft, wedelte durch die Wolke, um den Rauch zu vertreiben. »Ich wollte Ihre Aufnahme nicht stören.«

Die Reporterin lachte. »Nein, nein, das stört nicht. Das meiste können wir mit Bildbearbeitung nachher in Ordnung bringen. Aber mir ist es lieber, Sie sind authentisch ...«

»Gut.« Der Ferrone sog noch einmal an seiner Pfeife. »Dann will ich mal authentisch sein und Ihnen meine Geschichte erzählen. Unsere Geschichte, wenn Sie so wollen.«

 

Das Licht des kleinen Mondes schien in dieser Nacht ohne störende Wolken direkt in mein Zimmer. Mein Vater hatte in seiner Jugend angefangen, mit Glas zu arbeiten. Es gab keinen Raum in meinem Elternhaus, in dem er nicht seine Spuren hinterlassen hätte.

Da war die große Deckenlampe im Wohnzimmer, die er aus fast einhundert kleinen Glasstücken zusammengesetzt und mit klobigen Bleistreben verlötet hatte. Da war die Stehlampe auf der kleinen Kommode im Flur. Wenn man sie anschaltete, erstrahlte sie in einem sanften Rotton. Drehte man jedoch den Glasaufsatz auf die Rückseite, konnte man erkennen, dass ihm das rote Glas auf der Rückseite ausgegangen war. Schwarze, grüne und braune Glasstücke füllten den Rest der Wölbung. Und das Licht, das diese Seite gab, war viel bunter als der reine Rotton der anderen Seite. Sein Meisterwerk war aber das Fenster, das er für mein Kinderzimmer angefertigt hatte.

Ich war sein erstes Kind, ein Sohn. Und ich blieb das einzige Kind.

Seine ganze Liebe, seine ganze Kreativität steckte er in das Fenster für mein Zimmer. Es bestand auf fünf Teilen. Vier Stücke bildeten den Rand, während in der Mitte ein kreisrundes Glasstück eingefasst war. Die vier Stücke hatte er mit wunderschönen Mosaiken versehen. In der Mitte des Fensters war die Wega zu sehen, hell flammend und umgeben von weißem Glas, durch welches das Mondlicht jetzt des Nachts in mein Zimmer schien.