Bjørnstjerne Bjørnson


Synnøve Solbakken



Erzählung

Impressum




Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-144-2


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Neuntes Kapitel



Guttorm und Karen Solbakken hatten schon gegessen, als Synnøve rot und außer Atem eintrat. "Aber mein liebes Kind, wo bist du nur gewesen?" fragte die Mutter.

"Ich blieb mit Ingrid zurück," sagte Synnøve und blieb stehn, um ein paar Tücher abzulegen; der Vater suchte im Schrank nach einem Buche.

"Was hattet ihr beiden euch denn zu erzählen, dass es so lange dauerte?"

"Ach, nichts Besondres!"

"Dann wäre es doch sicher besser gewesen, du hättest dich zu den Kirchgängern gehalten, mein Kind!" Sie erhob sich und setzte ihr zu essen hin. Als sich Synnøve zum Essen niedergesetzt und die Mutter ihr gerade gegenüber Platz genommen hatte, sagte sie: "Waren da etwa noch andre, mit denen du gesprochen hast?"

"Ja, da waren noch viele andre," sagte Synnøve.

"Aber das Kind darf doch wohl mit den Leuten reden," sagte jetzt Guttorm.

"Freilich darf sie das," sagte die Mutter ein wenig freundlicher; "aber sie hätte sich doch zu ihren Eltern halten müssen." Hierauf wurde nichts erwidert.

"Das war ein gesegneter Kirchtag," sagte die Mutter; "es tut einem gut, die Jugend vor dem Altare zu sehn."

"Man denkt an seine eignen Kinder," sagte Guttorm.

"Darin hast du recht," versetzte die Mutter und seufzte, "niemand kann wissen, wie es ihnen ergehn wird." Guttorm saß lange schweigend da.

"Wir haben Gott für vieles zu danken," sagte er endlich; "er hat uns ein Kind behalten lassen." Die Mutter saß da und zog mit dem Finger über den Tisch; sie sah nicht auf.

"Sie ist doch unsre größte Freude," sagte sie leise; "sie ist auch gut geartet," fügte sie noch leiser hinzu. Es entstand eine lange Pause.

"Ja, sie hat uns viel Freude gemacht," sagte Guttorm, und mit weicher Stimme fuhr er nach einer Weile fort: "Der liebe Gott mache sie glücklich!" Die Mutter fuhr wieder mit dem Finger über den Tisch, es fiel eine Träne darauf, die sie wegwischte.

"Warum ißt du nicht?" sagte der Vater, als er nach einer Weile aufblickte.

"Danke, ich bin satt," antwortete Synnøve.

"Aber du hast ja gar nichts gegessen!" sagte nun auch die Mutter; "du hast einen weiten Weg gemacht."

"Ich kann nicht essen," erwiderte Synnøve und zog einen Zipfel ihres Busentuches heraus.

"Iß, mein Kind!" sagte der Vater.

"Ich kann wirklich nicht," erwiderte Synnøve und fing an zu weinen.

"Aber liebes Kind, weshalb weinst du denn?"

"Ich weiß es nicht!" und sie schluchzte.

"Sie weint so leicht!" sagte die Mutter. Der Vater erhob sich und trat ans Fenster.

"Da kommen zwei Männer den Weg herauf," sagte er.

"So? Um diese Zeit?" fragte die Mutter, und nun trat auch sie an das Fenster. Sie schauten lange hinab.

"Lieber, wer mag das sein?" sagte schließlich Karen, aber es klang nicht wie eine Frage. "Ich weiß es nicht," erwiderte Guttorm, und sie standen da und schauten hinaus.

"Ich kann das nicht recht verstehn," sagte sie.

"Ich auch nicht," meinte er. Die Männer kamen näher heran.

"Sie müssen es doch sein," sagte sie endlich.

"Ja, es wird wohl so sein," versetzte Guttorm. Die Männer kamen immer näher heran, der ältere blieb stehn und schaute zurück, der jüngere ebenfalls; dann gingen sie weiter.

"Hast du eine Ahnung, was sie wollen mögen?" fragte Karen in demselben Ton wie vorhin.

"Nein, ich habe keine," erwiderte Guttorm. Die Mutter wandte sich ab, trat an den Tisch, trug ab und räumte ein wenig auf.

"Du mußt dich wieder anziehn, Kind," sagte sie zu Synnøve, "denn es kommen Fremde hierher."

Kaum hatte sie das gesagt, als Sämund die Tür öffnete und hereinkam, Thorbjørn folgte ihm.

"Gesegnetes Beisammensein," sagte Sämund, blieb einen Augenblick an der Tür stehn und ging dann sachte vor, um die Anwesenden zu begrüßen. Thorbjørn ging hinter ihm drein. Zuletzt kamen sie zu Synnøve, die noch hinten in einer Ecke mit ihrem Tuch in der Hand dastand und nicht wußte, ob sie es umbinden solle oder nicht; sie wußte wohl kaum, dass sie es in der Hand hielt.

"Ihr müßt zusehn, wie ihr einen Platz zum Sitzen findet," sagte die Frau.

"Danke, es ist übrigens kein weiter Weg bis hierher," sagte Sämund, setzte sich aber doch; Thorbjørn nahm neben ihm Platz.

"Ihr wart heute gleich weg nach der Kirche," sagte Karen.

"Ja, ich habe nach euch gesucht," entgegnete Sämund.

"Es waren viele Leute da," sagte Guttorm.

"Ja, es waren sehr viele Leute da," wiederholte Sämund; "es war auch ein schöner Kirchtag."

"Ja, wir sprechen eben auch davon," sagte Karen.

"Es ist so wunderlich, einer Konfirmation beizuwohnen, wenn man selber Kinder hat," fügte Guttorm hinzu; seine Frau setzte sich auf die Bank.

"Das ist so," sagte Sämund; "man wird veranlaßt, ernstlich über sie nachzudenken und gerade das ist der Grund, weswegen ich heute Abend noch hierhergeschlendert bin," setzte er hinzu, sah sich zuversichtlich um, nahm ein neues Stück Kautabak und legte das alte sorgfältig in die Messingdose. Guttorm, Karen, Thorbjørn, alle wichen sich mit den Augen aus, jedes sah woanders hin.

"Ich dachte, ich wollte Thorbjørn nur lieber hierherbegleiten," begann Sämund langsam; "allein wäre er wohl schwerlich so bald herübergekommen; auch fürchtete ich, er führe seine Sache nicht zum besten." Er sah Synnøve von der Seite an; sie fühlte seinen Blick.

"Es verhält sich nämlich so, dass er, seit er alt genug geworden war, dass er Verstand für so etwas hatte, sein ganzes Sinnen auf Synnøve gerichtet hat und auch sie kann wohl nicht leugnen, dass sie ihm ihr Herz zugewandt hat. Aber da denke ich, es ist am besten, die beiden kriegen sich. Ich war nicht sehr dafür, solange ich sah, dass er sich kaum selber regieren konnte, geschweige denn andre; aber jetzt, glaube ich, kann ich für ihn bürgen, und wenn ich es nicht kann, so kann sie es; denn sie hat jetzt doch wohl die größte Macht über ihn. Was denkt ihr darüber, wollen wir sie zusammengeben? Es hat wohl noch keine Eile, aber ich weiß auch nicht, weshalb wir warten sollten. Du, Guttorm, bist in guten Verhältnissen, ich habe freilich nicht so viel und habe mehrere, unter die ich teilen muß, aber trotzdem denke ich, dass es sich machen läßt. Ihr müßt nun sagen, wie ihr hierüber denkt, sie frage ich zuletzt, denn ich glaube zu wissen, was sie will."

So sprach Sämund. Guttorm saß zusammengesunken da, legte abwechselnd die eine Hand über die andre, machte mehrmals Miene aufzustehn, indem er jedes mal tiefer aufatmete; es gelang ihm aber erst beim vierten oder fünften Mal, da erst bekam er den Rücken gerade, strich sich mehrmals über das Knie und sah zu seiner Frau hinüber, doch so, dass sein Blick von Zeit zu Zeit Synnøve streifte. Diese rührte sich nicht, niemand konnte ihr Gesicht sehn. Karen saß am Tisch und strich mit dem Finger darüber hin. "Die Sache liegt ja so, dass dies ein gutes Anerbieten ist," sagte sie.

"Ja, ich meine, wir müssen es mit Dank annehmen," sagte Guttorm mit lauter Stimme, als fühle er sich sehr erleichtert, und sah von seiner Frau zu Sämund hinüber, der seine Arme gekreuzt und sich an die Wand gelehnt hatte.

"Wir haben nur diese eine Tochter," sagte Karen, "wir müssen uns die Sache bedenken."

"Dafür wird es Rat geben," sagte Sämund, "aber ich wüßte nicht, was dich verhindern sollte, gleich zu antworten, sagte der Bär, als er den Bauern fragte, ob er seine Kuh bekommen könne."

"Wir können wohl sofort antworten," erwiderte Guttorm und sah zu seiner Frau hinüber.

"Es ist nur das eine zu bedenken, dass Thorbjørn ein wenig wild sein möchte," sagte sie, aber ohne aufzusehn.

"Ich glaube, das hat sich geändert," entgegnete Guttorm; "du weißt selber, was du heute gesagt hast." Die Eheleute sahn nun eins das andre an; das mochte wohl eine ganze Minute währen.

"Wenn wir uns nur auf ihn verlassen könnten!" sagte sie.

"Ja," nahm nun Sämund abermals das Wort, "was den Punkt betrifft, so muß ich wiederholen, was ich vorhin gesagt habe; die Fuhre wird gut gehn, wenn sie die Zügel führt. Es ist erstaunlich, was für eine Macht sie über ihn hat; das merkte ich damals, als er daheim bei mir krank lag und nicht wußte, ob es zur Genesung ginge oder nicht."

"Du mußt nicht so schwierig sein," sagte Guttorm; "du weißt, was sie selber will, und wir leben doch nur für sie!" Da sah Synnøve zum ersten mal auf und sah den Vater innig und dankbar an.

"Ach ja," sagte Karen nach kurzem Schweigen und fuhr ein wenig härter als bisher über die Tischplatte; "habe ich so lange widerstanden, so geschah es wohl, weil ich eine gute Absicht damit hatte. Ich war vielleicht nicht so hart wie meine Worte" sie sah auf und lächelte, aber Tränen traten ihr in die Augen. Da erhob sich Guttorm: "So ist denn in Gottes Namen das geschehn, was mein liebster Wunsch hier auf dieser Welt gewesen ist," sagte er und ging durch das Zimmer zu Synnøve hinüber.

"Ich bin deswegen nie besorgt gewesen," sagte Sämund und erhob sich nun auch; "was zusammenkommen soll, kommt zusammen." Er ging auch hinüber.

"Nun, was sagst denn du dazu, mein Kind?" fragte die Mutter, die ebenfalls zu Synnøve herangetreten war.

Diese saß noch da; sie standen alle rings um sie herum, alle, mit Ausnahme von Thorbjørn, der auf demselben Flecke saß, wo er sich zuerst hingesetzt hatte.

"Du mußt aufstehn, Kind," flüsterte die Mutter ihr zu. Sie erhob sich, lächelte, wandte sich ab und weinte.

"Gott sei mit dir jetzt und allezeit!" sagte die Mutter, schlang die Arme um sie und weinte mit ihr. Die beiden Männer gingen durch das Zimmer, jeder nach seinem Platz.

"Du muß zu ihm hingehn," sagte die Mutter noch immer weinend, ließ sie los und schob sie sanft vorwärts. Synnøve tat einen Schritt, blieb aber stehn, weil sie nicht weiter zu gehn vermochte; Thorbjørn sprang auf und ging auf sie zu, ergriff ihre Hand und hielt sie fest, wußte nicht, was er weiter tun sollte, und blieb stehn, ihre Hand in der seinen, bis sie sie ihm leise wieder entzog. Dann standen sie still und schweigend nebeneinander da.

Die Tür wurde lautlos geöffnet, jemand steckte den Kopf herein.

"Ist Synnøve hier?" fragte eine schüchterne Stimme; es war Ingrid Granliden.

"Ja, sie ist hier; komm nur herein!" sagte der Vater. Ingrid zögerte ein wenig.

"Komm nur! hier ist alles in Ordnung!" fügte er hinzu. Jetzt sahen alle sie an. Sie schien ein wenig verlegen zu sein; "es ist noch jemand draußen," sagte sie.

"Wer ist das?" fragte Guttorm.

"Es ist die Mutter," sagte sie leise.

"Laß sie hereinkommen!" riefen vier Stimmen auf einmal. Und die Frau auf Solbakken ging auf die Tür zu, während die andern sich glücklich ansahn.

"Du kannst getrost hereinkommen, Mutter," hörten sie Ingrid sagen. Und dann trat Ingebjørg Granliden in ihrer weißen Haube herein.

"Ich merkte es wohl," sagte sie, "obwohl Sämund nie etwas sagen kann; und da konnten Ingrid und ich es nicht länger aushalten, wir mußten hierherkommen."

"Ja, hier ist alles so, wie du es haben willst," sagte Sämund und trat beiseite, damit sie zu ihnen herankommen könnte.

"Gott segne dich, dass du ihn zu dir hingezogen hast," sagte sie zu Synnøve, umarmte sie und streichelte sie; "du hast bis zum äußersten festgehalten, du, mein Kind; es kam doch so, wie du wolltest." Und sie streichelte ihr Haar und Wangen, die Tränen rannen ihr über das Gesicht; sie achtete nicht darauf, sondern trocknete nur sorgfältig Synnøves Tränen ab.

"Ja, es ist ein guter Junge, den du bekommst," fuhr sie fort, "und nun bin ich seinetwegen ohne Sorge!" und sie zog sie noch einmal an sich.

"Mutter weiß mehr in ihrer Küche als wir andern, die wir mitten darinstehn," sagte Sämund.

Das Weinen und die Erregung beruhigten sich allmählich. Die Hausfrau fing an, an das Abendessen zu denken, und bat die kleine Ingrid, ihr zu helfen, "denn Synnøve taugt heute abend zu nichts". Und so machten diese beiden sich daran, Sahnegrütze zu kochen. Die Männer vertieften sich in ein Gespräch über die diesjährige Ernte und was es sonst gab. Thorbjørn hatte sich abseits ans Fenster gesetzt, und Synnøve trat lautlos zu ihm heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Wonach siehst du?" flüsterte sie. Er wandte den Kopf herum, sah sie lange und zärtlich an und dann wieder hinaus.

"Ich sehe nach Granliden hinüber," sagte er; "es ist so wunderbar, es von hier aus zu sehen!"

 

Inhalt




Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

 

 

 

Erstes Kapitel



In einem weiten Tal findet man zuweilen eine nach allen Seiten hin freiliegende Erhöhung, auf die die Sonne ihre Strahlen vom Aufgang bis zum Untergang hinabsendet. Und die, die hart am Fuße der Berge wohnen und weniger Sonne haben, nennen eine solche Stelle einen Sonnenhügel. Die, von der hier erzählt werden soll, wohnte auf einem solchen, von dem auch der Hof seinen Namen erhalten hatte. Dort blieb der Schnee zuletzt liegen im Herbst, dort schmolz er auch im Frühling zuerst wieder.

Die Besitzer des Hofes waren Haugianer und wurden Leser genannt, weil sie eifriger in der Bibel lasen als alle andern Leute. Der Mann hieß Guttorm und die Frau Karen; sie bekamen einen Knaben, der wieder starb, und drei Jahre lang kamen sie nicht an die Ostseite der Kirche. Nach dieser Zeit bekamen sie ein Mädchen, das sie nach dem Knaben nannten; er hatte Syvert geheißen, und sie wurde Synnøv getauft, da sie nichts Näherliegendes fanden. Die Mutter aber nannte sie Synnøve, weil sie, solange das Kind klein war, die Gewohnheit hatte, "mein" hinten an den Namen anzuhängen, und meinte, dass es so leichter auszusprechen sei. Wie es nun auch sein mochte: als das Mädchen größer wurde, nannten sie alle Synnøve wie die Mutter, und die meisten sagten, seit Menschengedenken sei im ganzen Kirchspiel kein so schönes Mädchen herangewachsen wie Synnøve Solbakken. Sie war noch ganz klein, als die Eltern sie an jedem Sonntag, wo gepredigt wurde, mit in die Kirche nahmen, obwohl Synnøve anfangs nichts weiter begriff, als dass der Pfarrer dastand und den Zuchthaus-Bert ausschalt, den sie gerade unter der Kanzel sitzen sah. Der Vater aber wollte, dass sie mitgehn sollte, "um sich zu gewöhnen", wie er sagte; und die Mutter wollte es auch, "da man ja nicht wissen konnte, ob daheim jemand acht auf sie gebe". War auf dem Hofe ein Lamm, ein Zicklein oder ein kleines Ferkel, das nicht gedeihen wollte, oder eine Kuh, der etwas fehlte, so ward das betreffende Tier immer Synnøve zu eigen gegeben, und die Mutter wollte wissen, dass es sich von der Stunde an erhole; der Vater glaubte nicht so recht, dass es daher käme, aber "es war ja einerlei, wem von ihnen das Vieh gehörte, wenn es nur gedieh".

Jenseits des Tals und hart am Fuße des hohen Berges lag ein Hof, der Granliden hieß, weil er mitten in einem großen Tannenwalde lag, dem einzigen in weitem Umkreise. Der Urgroßvater des Besitzers war mit unter denen gewesen, die in Holstein gelegen und auf die Russen gewartet hatten, und von diesem Zuge hatte er viele fremde und merkwürdige Sämereien in seinem Tornister mit heimgebracht. Die hatte er rings um seine Hofgebäude gepflanzt; im Laufe der Zeiten war aber eine Pflanze nach der andern ausgegangen, nur einige Tannenzapfen, die merkwürdigerweise dazwischengekommen waren, waren zu einem dichten Walde herangewachsen und beschatteten nun die Gebäude von allen Seiten. Der Holsteinfahrer hatte nach seinem Großvater Thorbjørn geheißen, sein ältester Sohn nach seinem Vater Sämund, und so hatten auf diesem Hofe die Besitzer abwechselnd Thorbjørn und Sämund geheißen, seit unvordenklichen Zeiten. Aber die Sage ging, dass in Granliden nur jeder zweite Mann Glück habe, und das war nicht der, der Thorbjørn hieß. Als der jetzige Besitzer, Sämund, den ersten Sohn bekam, machte er sich allerlei Gedanken darüber, wagte aber doch nicht, die Familientradition zu durchbrechen, und so nannte er ihn denn Thorbjørn. Er grübelte nun darüber, ob der Knabe nicht so erzogen werden könnte, dass er an dem Steine, den ihm das Schicksal und das Gerede der Leute in den Weg gelegt hatten, glücklich vorüberkommen könnte. Er war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte, einen widerspenstigen Sinn bei dem Knaben zu spüren. "Das muß ausgetrieben werden," sagte er zu der Mutter, und sobald Thorbjørn drei Jahre alt geworden war, setzte sich der Vater oft mit einer Rute in der Hand hin, zwang ihn, alle Holzscheite wieder auf ihren Platz zu legen, die Tasse wieder aufzuheben, die er hinuntergeworfen, die Katze zu streicheln, die er gekniffen hatte. Die Mutter pflegte hinauszugehn, wenn den Vater diese Laune anwandelte.

Sämund wunderte sich darüber, dass, je größer der Knabe ward, um so mehr an ihm zu tadeln war, und das, obgleich er immer strenger behandelt wurde. Er hielt ihn frühzeitig zum Lesen an und nahm ihn mit aufs Feld, um ihn unter Augen zu haben. Die Mutter hatte einen großen Haushalt und kleine Kinder, sie konnte nichts weiter tun, als den Sohn streicheln und ihm jeden Morgen, wenn sie ihn ankleidete, gute Ermahnungen geben und freundlich mit dem Vater reden, wenn sie an Sonn- und Feiertagen zusammensaßen. Thorbjørn aber dachte, wenn er Schläge bekam, weil ab nicht "ba", sondern "ab" hieß, und weil er die kleine Ingrid nicht prügeln durfte, wie der Vater ihn prügelte: Es ist doch merkwürdig, dass ich es so schlecht haben soll, während alle meine kleinen Geschwister es so gut haben!

Da er meistens bei dem Vater war und nicht wagte, sonderlich viel mit ihm zu reden, wurde er wortkarg, obwohl er keineswegs gedankenarm war. Einmal, als sie das nasse Heu wendeten, entschlüpfte es ihm jedoch: "Weshalb ist alles Heu da drüben auf Solbakken trocken und eingefahren, während es hier nass ist?"

"Weil sie mehr Sonne haben als wir." Es war dies das erste mal, dass es ihm zum Bewußtsein kam, dass er selber von dem Sonnenglanz da drüben, über den er sich so oft gefreut hatte, ausgeschlossen sei. Seit jenem Tage war sein Blick öfter nach Solbakken hinübergerichtet als bisher.

"So sitz doch nicht da und gaffe," sagte der Vater und versetzte ihm einen Puff; "hier unten müssen wir uns abmühen, soviel wir können, groß und klein, wenn wir etwas unter Dach und Fach haben wollen."

Als Thorbjørn etwa sieben oder acht Jahre alt sein mochte, wechselte Sämund seinen Knecht. Der neue hieß Aslak, und er war, wie es schien, schon weit in der Welt herumgekommen, obwohl er hier nur Kleinknecht war. An dem Abend, als er kam, war Thorbjørnschon zu Bett gegangen, aber am nächsten Tage, als er dasaß und lernte, schlug jemand die Tür mit einem solchen Fußstoß auf, wie er es noch nie gehört hatte, und das war Aslak, der mit einem großen Arm voll Holz hereingepoltert kam und es mit einer solchen Gewalt zu Boden warf, dass die Scheite nach allen Seiten auseinanderflogen. Er selber sprang hoch in die Luft, um den Schnee abzuschütteln, und bei jedem Sprung rief er: "'Es ist kalt,' sagte die Braut des Kobolds, als sie bis an den Gürtel im Eis steckte." Der Vater war nicht zu Hause, die Mutter aber fegte den Schnee zusammen und trug ihn stillschweigend hinaus.

"Wonach glotzt du denn da?" fragte Aslak Thorbjørn.

"Nach nichts Besonderm," erwiderte dieser, denn er fürchtete sich.

"Hast du den Hahn gesehn, den du da hinten im Buche hast?"

"Ja!"

"Er hat eine Menge Hühner um sich, wenn das Buch zu ist; hast du das gesehn?"

"Nein!"

"Nun, so sieh nach!" Der Knabe tat es.