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Nr. 1453

 

Der unbekannte Feind

 

Ein Präsent für Perry Rhodan – ein Geschenk des Teufels

 

von Kurt Mahr

 

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Der doppelte Schock der galaktischen Heimkehrer aus Tarkan, sich fast um 700 Jahre verspätet zu haben und die Heimat durch eine undurchdringliche Barriere abgeschottet zu finden, an der schon viele Raumfahrer gescheitert sind, ist längst überwunden.

Inzwischen schreibt man den Juli des Jahres 1144 NGZ, und die galaktische Barriere ist für einige schon durchaus passierbar geworden. So haben die CIMARRON, mit Perry Rhodan an Bord, und die BLUEJAY mittels des von Geoffry Waringer entwickelten Pulswandlers die erste Absperrung längst durchbrechen und mit den Widdern, den von Homer G. Adams geleiteten Widerständlern, die im Untergrund agieren, Kontakt aufnehmen und selbst den Viren-Wall überwinden können.

Diese Begegnung mit einem alten Freund und die Bildung einer neuen Allianz führen letztlich zur großangelegten Aktion auf Uulema und zum ersten Sieg über die Cantaro, die neuen Herren der Milchstraße.

Dieser erste Sieg soll vorläufig aber auch der letzte bleiben, denn das Debakel im Perseus-Sektor führt bei den Kräften des Widerstands zur militärischen Katastrophe.

Auch wenn Perry Rhodan und viele andere der Vernichtung entgehen konnten – der Gegner hat den Terraner weiterhin im Visier. Und niemand ahnt, wer er ist, DER UNBEKANNTE FEIND ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Dem Terraner steht ein großer Schock bevor.

Ferrell Ubar, Lonica Massengill und Arthrop Lon-Sonath – Die Crew einer Space-Jet verschwindet.

Roi Danton und Atlan – Zwei Totgeglaubte erscheinen.

Sedge Midmays – Mediker der CIMARRON.

Pedrass Foch – Der Drakist wird einer Mnemosektion unterzogen.

1.

 

Der Sturm trieb die Wolken in grauen Strähnen über den düsteren Himmel. Die Gipfel der Berge waren im Dunst verschwunden. Mitunter funzelte das trübe rote Auge der Sonne Megaira durchs aufreißende Gewölk. Es war warm, 30 Grad zirka, und es würde bald anfangen zu regnen. Um diese Zeit des 60 Stunden langen Tages regnete es immer auf der Hochebene, die sie auf den Namen Lethe getauft hatten, im Innern der nordäquatorialen Festlandmasse des gottverlassenen Planeten Sisyphos.

Er starrte vor sich hin, ohne zu sehen. Ein paar hundert Meter entfernt ragte der mächtige Leib des Raumschiffes auf, mit dem er hierhergekommen war. Er nahm ihn nicht bewusst wahr. Die CIMARRON war kaum mehr als ein Wrack. Die Salven der cantarischen Raumschiffe hatten ihr die Hülle an mehreren Stellen zerfetzt. Ein Wunder war's, dass die Triebwerke durchgehalten hatten. Mit ihrer Hilfe war das angeschlagene Schiff in den Hyperraum entkommen und hatte die Verfolger abgehängt.

Er – der Mann, in dessen Seele der Schmerz der Enttäuschung brannte – trug einen SERUN. Aber der Helm blieb offen. Der Regen, der jetzt in dicken, vom Wind getriebenen Tropfen zu fallen begann, störte ihn nicht. Ab und zu fuhr er sich gedankenverloren mit der Hand übers Gesicht, um das Regenwasser fortzuwischen. Sonst starrte er nur ins Halbdunkel. Die Sonne Megaira war jetzt nicht mehr zu sehen. Sie hielt sich hinter den schweren schwarzen Wolken versteckt. Der Sturm pfiff durch die exotischen Gewächse des Waldes. Im Süden, wo die Hochebene sich allmählich zum Tiefland hin senkte, zuckten Blitze auf. Der Donner war nicht zu hören, so laut heulte der Sturm.

Der Mann blieb auf dem kleinen Felsklotz sitzen, den er sich als Rastplatz ausgesucht hatte. Er beobachtete ein großes Insekt, das einem terranischen Hirschkäfer ähnelte und mit dem verästelten Geweih den rechten Stiefel des SERUNS angriff. Das Material des Stiefels war von solcher Beschaffenheit, dass es Attacken dieser Art mühelos standhielt. Aber der Käfer wollte das nicht einsehen, und je länger die hellgraue Substanz sich seinen Bemühungen widersetzte, desto heftiger wurden seine Vorstöße.

Der Mann beobachtete das Geschehen eine Zeitlang und war schon dabei, das außer Rand und Band geratene Insekt mit dem Fuß beiseite zu stoßen; da geschah etwas Unerwartetes. Der Felsklotz lag auf einer großen Lichtung. Diesseits der Ränder des Waldes wuchsen nur Gras und staudenförmige Pflanzen, die etwa einen halben Meter hoch wurden und miniaturisierte Versionen irdischer Bananen zu sein schienen. Der Wind peitschte die breiten, fleischigen Blätter und wollte die Stauden zu Boden drücken. Die dünnen Stämmchen der Pflanzen waren jedoch biegsam. Sie neigten sich zwar; aber sie brachen nicht. Eine der Stauden wuchs in unmittelbarer Nähe des Felsblocks. Eine Bö griff nach ihr, so dass der Stamm fast in die Horizontale gepresst wurde und die Blätter am Boden schleiften. Eines der Blätter berührte den Käfer, der immer noch wie ein Wilder gegen den Stiefel des Mannes anrannte. Da zog sich das Blatt plötzlich zusammen. Es wurde schlank wie ein Seil. Wie ein Greifarm schnappte es sich das Tier und schnellte es in die Höhe. Die Staude richtete sich wieder auf. Das Blatt, das zum Tentakel geworden war, beförderte den Käfer dorthin, wo die übrigen Blätter aus dem Stämmchen sprossen. Das Insekt war schon bei der ersten Berührung erstarrt. Es verschwand im Blättergewirr. Die Blätter schlossen sich um den Tierkörper und gerieten in zuckende, vibrierende Bewegung. Binnen Sekunden war der Käfer zermahlen, in winzige Stücke zerlegt, die der Pflanze als Nahrung dienten.

Der Mann stand auf. Sisyphos war eine alte Welt, mindestens doppelt so alt wie die Erde. Im Lauf ihres Daseins musste es zahlreiche Katastrophen gegeben haben, die die Natur dazu zwangen, sich zur Sicherung des Überlebens der Arten immer neue Methoden einfallen zu lassen. Eine davon hatte er soeben in Tätigkeit gesehen: Pflanzen, die große Käfer angriffen und sich von ihnen ernährten.

Der Regen fiel jetzt so dicht, dass der mächtige Umriss der CIMARRON nur noch als Schatten zu erkennen war. Der Mann zog in Erwägung, den Helm zu schließen und mit Hilfe des Gravo-Paks zum Schiff zurückzukehren. In diesem Augenblick sprach der Mikroempfänger an, der unter der Haut hinter dem rechten Ohr saß.

»Sedge Midmays ruft Perry Rhodan«, ertönte eine vertraute Stimme.

Der Mann griff sich zum Hals, als wolle er sich vergewissern, dass das winzige Mikrophon noch über dem Kehlkopf saß.

»Hier Rhodan«, antwortete er, weiter nichts.

»Wir sind soweit«, sagte die Stimme aus dem Empfänger. »Alle Vorbereitungen für die Mnemosektion sind getroffen.«

Der Mann zögerte eine Sekunde. Er schien zu überlegen, ob diese Mitteilung für ihn von Bedeutung war oder nicht. Dann sagte er: »Gut, ich komme.«

 

*

 

Sedge Midmays war ein fähiger Mediker, daran gab es keinen Zweifel. Warum er sich nicht der Mittel seiner eigenen Zunft bediente, um sich ein etwas attraktiveres Aussehen zu verleihen, war jedermann ein Rätsel. Er war von mittlerer Größe. Das dichte dunkle Haar trug er in Ringellöckchen. Über den Augen sprossen buschige Brauen. Die Nase war von beeindruckender Größe und an der Spitze rötlich verfärbt. Wulstige Lippen deuteten darauf hin, dass irgendwann einmal ein Afroterraner sich in Midmays' Ahnenreihe eingeschlichen haben musste. Die Arme waren behaart bis zu den Handrücken hinab. Wenn Sedge Midmays sich gehend bewegte, dann tat er es mit steil nach außen gerichteten Füßen. Sein Gang war watschelnd, und es hielt sich das Gerücht, er habe Plattfüße.

Sedge Midmays war hässlich, aber eine Fachkraft ersten Ranges. Er sprach mit tiefer, angenehmer Stimme, und der Blick der braunen Augen verriet ein hohes Maß an Intelligenz. Er empfing Perry Rhodan an der Tür des kleinen Raumes, den er sich eigens für diesen Zweck eingerichtet hatte. In einem Gliedersessel, der von einer Fülle technischen Geräts umgeben war, ruhte halb sitzend, halb liegend ein junger Mensch, der auf den ersten Augenblick einen recht unscheinbaren Eindruck machte. Kurzgeschorenes Blondhaar, wässrig-blaue Augen, Stupsnase und blasser Teint vermittelten ein Bild harmloser Durchschnittlichkeit. Hinzu kamen ein Stiernacken und ein deutlich ausgebildeter Schmerbauch – nein, Pedrass Foch wirkte keineswegs eindrucksvoll. Man musste ihn kennen, um zu wissen, dass die äußere Erscheinung trog, und zwar gründlich.

Die Begrüßung war kurz und ernst. Pedrass Foch war als Spaßmacher bekannt; aber nach den katastrophalen Ereignissen der vergangenen Tage stand auch ihm der Sinn nicht mehr nach Scherzen. Sedge Midmays verlor keine Zeit. Er begann, die Prozedur der Mnemosektion zu erklären.

»Die Geräte erzeugen ein sorgfältig strukturiertes Hyperfeld. Das Feld durchdringt das Gehirn des Patienten und sucht die Speicherzellen des Gedächtnisses ab. Der Inhalt der Zellen tritt in Wechselwirkung mit dem Hyperfeld und erzeugt Schwankungen der Struktur, die von Messgeräten aufgezeichnet werden. Die Mnemosektion erzeugt mithin lange Serien von Impulsen, in denen der Inhalt des Gedächtnisses kodiert ist. Die Mnemosektion ist im Grunde genommen ein einfaches und ungefährliches Verfahren. Die Schwierigkeit entsteht erst dann, wenn wir uns an die Dekodierung der Impulsfolgen machen. Die Entschlüsselung ist äußerst kompliziert. Ich rechne damit, dass der Syntron-Verbund mehrere Stunden bis Tage damit beschäftigt sein wird, je nachdem, wie viele von den acht Rechnern wir auf das Problem ansetzen können.«

»Man wird dir den größten Teil des Systems zur Verfügung stellen«, antwortete Perry Rhodan. »Wir brauchen nur eine Komponente, die die Reparaturroboter kontrolliert.«

Pedrass Foch hatte ein schmales, schmerzhaftes Lächeln aufgesetzt.

»Ich sehe ein, dass es wichtig ist, meine Erinnerung zu durchsuchen«, sagte er. »Ich war monatelang bei den Cantaro in Gefangenschaft und erinnere mich an so gut wie keine Einzelheiten mehr. Wahrscheinlich haben die cantarischen Schufte etwas mit meinem Gehirn angestellt, so dass das Gedächtnis blockiert ist. Wie gesagt: Ich erkenne an, dass mit allen Mitteln nach zusätzlichen Informationen gesucht werden muss. Ich wünsche dir Erfolg, Sedge. Aber bitte bedenke eines!«

»Was ist das?«

»Ich bin auch nur ein Mensch. Ich habe in der Vergangenheit Dinge getan, auf die ich heute nicht mehr besonders stolz bin. Das alles wird auch zum Vorschein kommen. Wenn du ...«

»Keine Sorge«, unterbrach der Mediker. »Deine Privatsphäre wird nicht angerührt. Erinnerungen des alltäglichen Lebens sind leicht von den Eindrücken zu unterscheiden, die die Cantaro geblockt haben, wie du meinst. Wir stecken unsere Nase nicht dort hinein, wo sie nicht hingehört.«

»Na, dann bin ich beruhigt«, seufzte Pedrass Foch und drückte sich noch ein wenig tiefer ins Polster des Sessels.

»Wir fangen jetzt an«, erklärte Sedge Midmays.

»Bleibt Pedrass bei Bewusstsein?«, erkundigte sich Perry Rhodan.

»Sobald das Feld zu wirken beginnt, verfällt er in narkotischen Schlaf«, antwortete der Mediker. »Pedrass, bist du bereit?«

»Nur zu«, murmelte der letzte Überlebende der Organisation Drake.

»Geräte: Start«, sagte Sedge Midmays.

Ein unsichtbarer Servomechanismus nahm den Befehl auf und veranlasste, dass die entsprechenden Schaltungen vorgenommen wurden. Ein leises Summen war zu hören, mehr nicht. Pedrass Foch schloss die Augen. Seine regelmäßigen Atemzüge bewiesen, dass der Schlaf eingesetzt hatte.

»Bild«, forderte Midmays.

Eine Videofläche entstand. Mehrere Linien waren darauf zu sehen, horizontal verlaufend und übereinander angeordnet. Die Linien waren schnurgerade, ohne die geringste Unebenheit. Der Mediker gab einen knurrenden Laut von sich.

»Sieht so aus, als hätten sie ihm diesen Teil des Gedächtnisses gelöscht«, sagte er. »Da ist kein einziges Informationsbit mehr vorhanden.«

Eine Minute verging. Der Schlafende hatte den Mund ein wenig geöffnet. Leises Stöhnen war zu hören.

»Hat er Schmerzen?«, fragte Rhodan.

»Höchst unwahrscheinlich, zumindest nicht von der Mnemosektion.« Sedge Midmays schüttelte den Kopf. »Aber es kann sein, dass er träumt.«

Als wäre damit ein Stichwort gegeben worden, begann eine der Linien auf der Bildfläche zu flackern. Die beiden Männer beobachteten gespannt. Es gab insgesamt fünf Messspuren, wie der Mediker sie nannte. Vier davon waren weiterhin flach und eben. Auf der untersten rasten spitze Zacken mit einer Geschwindigkeit, dass das Auge ihnen kaum zu folgen vermochte, von links nach rechts. Sekunden später jedoch begann das Bild sich zu stabilisieren. Sedge Midmays hatte ein paar Anweisungen gegeben, deren Sinn Perry Rhodan nicht verstand. Die huschenden Zacken wurden langsamer und kamen schließlich ganz zur Ruhe. Die unterste Messspur sah jetzt aus, als hätte jemand die Kontur eines alten Sägeblatts nachgezeichnet, mit Zacken unterschiedlicher Höhe und abgebrochenen Spitzen.

»Fündig! Da ist was! Oh, sehr deutliche Informationen im blockierten Sektor.« Man merkte Midmays die Erregung an. Immer wenn er erregt war, wurde er wortreich. »Jetzt müssten wir sie nur noch dekodieren können, dann wüssten wir, was es war, woran Pedrass sich nach dem Willen der Cantaro nicht mehr erinnern soll. Ich werde die Daten sofort an den Syntron weiterleiten. Hast du Vorkehrungen getroffen, dass mir das System zur Verfügung steht? Ich meine, je früher wir uns an die Entschlüsselung machen, desto eher ...«

Die Worte sprudelten ihm nur so aus dem Mund. Rhodan legte dem aufgeregten Mediker die Hand auf den Arm.

»Immer nur mit der Ruhe, Sedge«, sagte er, und zum ersten Mal, seit er das kleine Labor betreten hatte, spielte ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Du brauchst dich nur in der Zentrale zu melden, dann bekommst du alle Rechnerkapazität, die nicht für die Reparatur gebraucht wird. Ich lasse dich jetzt allein, damit du dich auf die Mnemoskopie konzentrieren kannst. Ich will nicht, dass da meinetwegen etwas schiefgeht.«

»Oh!« Sedge Midmays wirkte betreten. »Ich rede wieder zu viel, wie?«

»Das ist es nicht.« Das Lächeln war verschwunden. »Aber ich brauche ein wenig Zeit zum Nachdenken. Es gibt ein paar Dinge zu planen.«

 

*

 

Sie waren voller Stolz und Optimismus gewesen, als sie den cantarischen Stützpunkt auf Uulema ausgehoben hatten. Zum ersten Mal war ein entscheidender Schlag gegen den Feind geführt worden, der in der Milchstraße und Umgebung als unbesiegbar galt. Eine kombinierte Streitmacht von Widdern und Freihändlern hatte die Anlagen auf dem dritten Planeten der Sonne Shirica dem Boden gleichgemacht, den cantarischen Projektleiter Veegran, der für den Ausbau des Stützpunkts verantwortlich war, gefangen genommen und riesige Mengen Informationsmaterial erbeutet. Das alles war fast ohne eigene Verluste vonstatten gegangen, und man hatte obendrein noch Pedrass Foch – vermisst seit dem schicksalhaften Durchbruch der BLUEJAY und der CIMARRON durch den Chronopuls-Wall – aus der Gefangenschaft der Tyrannen befreien können.

Es hatte Grund genug gegeben, stolz und optimistisch zu sein. Zwar hatte Veegran sich nicht verhören lassen, sondern es vorgezogen, seinem Leben ein Ende zu machen, nachdem man ihn kurz zuvor eine obskure Bemerkung über die Herren der Straßen hatte murmeln hören. Aber die Entschlüsselung des Datenmaterials war gelungen – wenigstens zum Teil –, und da waren, auf der zweithöchsten Kodierungsebene, Informationen zum Vorschein gekommen, die jedermann auf Arhena zum Spitzen der Ohren veranlasste.

Es schien, dass im Innern eines Schwarzen Loches mit dem Namen Anti-Paura ein Wesen namens Lakardón mit Experimenten oder ähnlicher Aktivität beschäftigt war und dabei so gute Fortschritte erzielte, dass die Herren der Straßen mit ihm zufrieden waren. Hier wieder der Hinweis der mysteriösen Herren, die in der Hierarchie der Cantaro eine übergeordnete Rolle zu spielen schienen – aber das interessierte im Augenblick niemand so recht: Viel wichtiger war der Hinweis auf das Anti-Paura-Black-Hole und auf das Geschöpf mit dem Namen Lakardón.

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