Alexandre Dumas


Zwanzig Jahre später

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-157-2


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Dreißigstes Kapitel - Schluß



Als die zwei Freunde nach Hause kamen, fanden sie einen Brief von Athos, der sie zu einer Zusammenkunft im Grand-Charlemagne auf den andern Morgen beschied.

Beide legten sich früh nieder, aber keiner schlief. Man gelangt nicht so zum Ziel aller seiner Wünsche, ohne dass dieses Ziel, wenigstens für die erste Nacht, den Schlaf verjagte.

Am andern Morgen begaben sich beide zur bezeichneten Stunde zu Athos. Sie fanden den Grafen und Aramis in Reisekleidern.

Gut, sprach Porthos, wir reisen also zusammen.

Oh! mein Gott, ja, versetzte Aramis; seit dem Augenblick, wo es keine Fronde mehr gibt, ist in Paris nichts zu tun. Frau von Longueville hat mich eingeladen, einige Tage in der Normandie zuzubringen, und mir den Auftrag gegeben, während man ihren Sohn taufe, ihre Wohnung in Rouen in Bereitschaft halten zu lassen. Ich werde mich dieses Auftrags entledigen und mich dann, wenn es nichts Neues zu tun gibt, wieder in meinem Kloster Noisy-le-Sec begraben.

Und ich, sprach Athos, kehre nach Bragelonne zurück. Ihr wißt, mein lieber d'Artagnan, ich bin nur noch ein Landmann; Raoul hat kein anderes Vermögen, als das meinige, der arme Junge! Ich muss darüber wachen, denn ich gebe gewissermaßen nur den Namen dazu.

Und was wollt Ihr aus Raoul machen?

Ich überlasse ihn Euch, mein Freund. In Flandern gibt's einen Feldzug; Ihr nehmt ihn mit; denn ich fürchte, der Aufenthalt in Blois ist seinem jungen Kopfe gefährlich. Behaltet ihn bei Euch und lehrt ihn brav und rechtschaffen sein; wie Ihr es seid.

Und ich werde Euch also nicht mehr haben, Athos? Aber ich habe wenigstens ihn, diesen teuern Blondkopf, und obgleich er noch ein Kind ist, so werde ich doch, da Eure ganze Seele sich in ihm wiederbelebt, teurer Athos, stets glauben, Ihr seit bei mir, Ihr begleitet und unterstützet mich.

Die vier Freunde umarmten sich mit Tränen in den Augen.

Dann trennten sie sich, ohne zu wissen, ob sie einander je wiedersehen würden.

D'Artagnan kehrte in die Rue Tiquetonne mit Porthos zurück. Dieser war beständig in Gedanken versunken und grübelte nach, wer der Mann sei, den er erschlagen hatte. Als man vor den Gasthof zur Rehziege gelangte, fand man die Equipage des Barons bereit und Mousqueton im Sattel.

Hört, d'Artagnan, sagte Porthos, verlaßt den Dienst und kommt mit mir nach Pierrefonds, nach Bracieux oder nach du Vallon. Wir wollen miteinander alt werden und von unsern Kameraden plaudern.

Nein, sagte d'Artagnan, den Teufel! Der Feldzug wird eröffnet, und ich will dabei sein. Ich hoffe wohl etwas dabei zu gewinnen.

Und was hofft Ihr denn zu werden?

Marschall von Frankreich, bei Gott!

Ah, ah! rief Porthos und schaute d'Artagnan an, in dessen Gasconaden er sich nie hatte ganz finden können.

Kommt mit mir, Porthos, sprach d'Artagnan; ich mache Euch zum Herzog.

Nein, versetzte Porthos, Mouston will nicht mehr in den Krieg ziehen. Überdies bereitet man mir zu Hause einen feierlichen Einzug, worüber alle meine Nachbarn vor Ärger bersten werden.

Hierauf habe ich nichts zu erwidern, sprach d'Artagnan, denn er kannte die Eitelkeit des neuen Barons. Auf Wiedersehen also, mein Freund!

Auf Wiedersehen, teurer Kapitän, sagte Porthos. Ihr wißt, dass Ihr, wenn Ihr mich besuchen wollt, stets in meiner Baronie willkommen seid.

Ja, erwiderte d'Artagnan, wenn ich aus dem Feld heimkehre, stelle ich mich bei Euch ein.

Die Equipagen des Herrn Barons warten, sagte Mousqueton.

Die zwei Freunde trennten sich mit einem innigen Händedruck. D'Artagnan blieb auf der Türschwelle und sah mit schwermütigem Auge dem sich entfernenden Porthos nach.

Aber nach zwanzig Schritten hielt Porthos plötzlich an, schlug sich vor die Stirn, kehrte zurück und rief: Jetzt fällt mir's ein!

Was? fragte d'Artagnan.

Wer der Bettler ist, den ich getötet habe.

Ah! wirklich! Wer ist es denn?

Jene Kanaille von Bonacieux.

Und hocherfreut über diese beruhigende Gewißheit, sprengte Porthos hinter Mouston her, mit dem er an der Straßenecke verschwand.

D'Artagnan blieb einen Augenblick unbeweglich und in Gedanken versunken. Als er sich dann umwandte, erblickte er die schöne Madeleine, die, voll Unruhe auf d'Artagnans Kapitänsuniform schauend, auf der Schwelle stand.

Madeleine, sagte der Gascogner, gebt mir die Wohnung im ersten Stock. Jetzt, da ich Kapitän der Musketiere bin, sehe ich mich genötigt, meiner Würde gemäß zu leben. Aber haltet mir immerhin mein Zimmer im fünften frei, denn man kann nicht wissen, was geschieht.

 

 

Inhalt



Erster Band


Erstes Kapitel - Richelieus Schatten

Zweites Kapitel - Eine Nachtrunde

Drittes Kapitel - Zwei ehemalige Feinde

Viertes Kapitel - Anna von Österreich im Alter von sechsundvierzig Jahren

Fünftes Kapitel - Gascogner und Italiener

Sechstes Kapitel - D'Artagnan mit vierzig Jahren

Siebentes Kapitel - D'Artagnan trifft einen alten Bekannten

Achtes Kapitel - Mesner und Chorknabe

Neuntes Kapitel - D'Artagnan findet Aramis auf Planchets Pferde

Zehntes Kapitel - Der Abbé d'Herblay

Elftes Kapitel - Die zwei Hüte

Zwölftes Kapitel - Herr Porthos du Vallon de Bracieux de Pierrefonds

Dreizehntes Kapitel - Zwei Engelsköpfe

Vierzehntes Kapitel - Das Schloß Bragelonne

Fünfzehntes Kapitel - Athos' Diplomatie

Sechzehntes Kapitel - Herr von Beaufort

Siebzehntes Kapitel - Der Herzog von Beaufort im Kerker

Achtzehntes Kapitel - Grimaud tritt sein Amt an

Neunzehntes Kapitel - Die Pasteten des Pariser Bäckers

Zwanzigstes Kapitel - Marie Michons Abenteuer

Einundzwanzigstes Kapitel - Der Abbé Scarron

Zweiundzwanzigstes Kapitel - Saint-Denis

Dreiundzwanzigstes Kapitel - Eines der vierzig Fluchtmittel des Herrn von Beaufort

Vierundzwanzigstes Kapitel - D'Artagnan kommt gerade zur rechten Zeit

Fünfundzwanzigstes Kapitel - Die lange Straße

Sechsundzwanzigstes Kapitel - Das Zusammentreffen

Siebenundzwanzigstes Kapitel - Der gute Broussel

Achtundzwanzigstes Kapitel - Die Vorbereitungen zum Wiedersehn

Neunundzwanzigstes Kapitel - Die Place Royale

Zweiter Band


Erstes Kapitel - Die Fähre

Zweites Kapitel - Das Scharmützel

Drittes Kapitel - Der Mönch

Viertes Kapitel - Die Absolution

Fünftes Kapitel - Der Tag vor der Schlacht

Sechstes Kapitel - Ein Mittagsmahl aus der alten Zeit

Siebentes Kapitel - Der Brief Karls I

Achtes Kapitel - Zwei Audienzen bei Mazarin

Neuntes Kapitel - Zufall oder Vorsehung

Zehntes Kapitel - Oheim und Neffe

Elftes Kapitel - Vaterschaft

Zwölftes Kapitel - Noch eine Königin, die Beistand verlangt

Dreizehntes Kapitel - Die Schlange auf dem Wege

Vierzehntes Kapitel - Das Tedeum für den Sieg von Lens

Fünfzehntes Kapitel - Der Bettler von St. Eustache

Sechzehntes Kapitel - Der Turm Saint-Jacques-la-Boucherie

Siebzehntes Kapitel - Der Aufstand

Achtzehntes Kapitel - Die Meuterei wird zur Empörung

Neunzehntes Kapitel - Das Unglück verleiht Gedächtnis

Zwanzigstes Kapitel - Die Unterredung

Einundzwanzigstes Kapitel - Die Flucht

Zweiundzwanzigstes Kapitel - Der Wagen des Koadjutors

Dreiundzwanzigstes Kapitel - Eine neue Prüfung

Vierundzwanzigstes Kapitel - Der Schotte, treulos gegen Eid und Ehr', Gibt König Karl um einen Pfennig her

Fünfundzwanzigstes Kapitel - Der Rächer

Sechsundzwanzigstes Kapitel - Oliver Cromwell

Siebenundzwanzigstes Kapitel - Die Edelleute

Achtundzwanzigstes Kapitel - Herr Jesus!

Neunundzwanzigstes Kapitel - Echter Mut und ein guter Magen versagen nie

Dritter Band


Erstes Kapitel - Heil der gefallenen Majestät

Zweites Kapitel - D'Artagnan findet einen Plan

Drittes Kapitel - Die Lanzknecht-Partie

Viertes Kapitel - London

Fünftes Kapitel - Der Prozess

Sechstes Kapitel - Whitehall

Siebentes Kapitel - Die Arbeiter

Achtes Kapitel - Remember!

Neuntes Kapitel - Der Verlarvte

Zehntes Kapitel - Das Haus Cromwells

Elftes Kapitel - Unterredung

Zwölftes Kapitel - Die Feluke "der Blitz"

Dreizehntes Kapitel - Der Portwein

Vierzehntes Kapitel - Mißgeschick

Fünfzehntes Kapitel - Nach Frankreich

Sechzehntes Kapitel - Die Rückkehr

Siebzehntes Kapitel - Die Gesandten

Achtzehntes Kapitel - Die drei Leutnants des Generalissimus

Neunzehntes Kapitel - Das Gefecht von Charenton

Zwanzigstes Kapitel - Die Straße nach der Picardie

Einundzwanzigstes Kapitel - Die Dankbarkeit Annas von Österreich

Zweiundzwanzigstes Kapitel - Das Königtum des Herrn von Mazarin

Dreiundzwanzigstes Kapitel - Vorsichtsmaßregeln

Vierundzwanzigstes Kapitel - Der Geist und der Arm

Fünfundzwanzigstes Kapitel - Die Fallgruben des Herrn von Mazarin

Sechsundzwanzigstes Kapitel - Konferenzen

Siebenundzwanzigstes Kapitel - Mazarin in Pierrefonds

Achtundzwanzigstes Kapitel - Die Feder wirkt mehr als das Schwert

Neunundzwanzigstes Kapitel - Die Rückkehr nach Paris

Dreißigstes Kapitel - Schluß

 

 

 




Erster Band

Erstes Kapitel - Richelieus Schatten



In einem Zimmer des ehemaligen Palais Kardinal saß an einem mit Papieren und Büchern bedeckten Tisch ein Mann, den Kopf in beide Hände gestützt. Hinter ihm war ein gewaltiger Kamin, dessen Glut das prachtvolle Gewand dieses Träumers von hinten beleuchtete, während das Licht eines mit Kerzen besteckten Kandelabers ihn von vorn bestrahlte.

Beim Anblick dieses roten Hausrockes und dieser reichen Spitzen, dieser bleichen, nachsinnend gebeugten Stirne, bei der Stille in den Vorzimmern und dem abgemessenen Tritt der Wachen auf dem Flur hätte man glauben können, der Schatten des Kardinals von Richelieu weile noch in diesem Gemach.

Ach! es war allerdings nur der Schatten des großen Mannes. Frankreichs Schwäche, das gesunkene Ansehen des Königs, die Wiedererstarkung und erneute Unbotmäßigkeit der Großen, die Anwesenheit des Feindes innerhalb der Landesgrenzen, alles bewies, dass Richelieu nicht mehr war.

Noch deutlicher erkannte man aber, dass das rote Hauskleid keineswegs das des alten Kardinals sein konnte, aus der herrschenden Ode, aus den von Höflingen leeren Vorzimmern, den von Wachen erfüllten Höfen, aus dem Gefühl von Hohn und Spott, das von der einmütig gegen den Minister gesinnten Stadt empor und durch die Scheiben drang, aus dem entfernten Knattern von Schüssen, die vom erbitterten Volke planlos gegen Garden, Schweizer, Musketiere und Soldaten in der Umgebung des jetzt auch nicht mehr Palais Kardinal, sondern Palais Royal genannten Schlosses abgegeben wurden. Dieser Schatten Richelieus war Mazarin.

Mazarin aber war allein und fühlte sich schwach. Fremder! murmelte er, Italiener! das ist ihr großes Wort. Mit diesem Worte haben sie Concini ermordet, aufgehängt, in den Abgrund gestürzt. Und am liebsten würden sie auch mich vernichten, obgleich ich ihnen nie ein anderes Leid zugefügt habe, als dass ich von ihnen ein wenig Geld erpreßte.

Ja, ja, fuhr der Minister mit seinem seinen Lächeln auf seinen bleichen Lippen fort, ja, euer Geschrei sagt mir, dass das Geschick der Günstlinge unsicher ist. Aber wenn ihr dies wißt, so müßt ihr auch wissen, dass ich kein gewöhnlicher Günstling bin! Der Graf von Essex besaß einen glänzenden Diamantring, den ihm seine königliche Geliebte geschenkt hatte. Ich besitze einen einfachen Ring mit einem Namenszeichen und einem Datum, aber dieser Ring ist in der Kapelle des Palais Royal gesegnet worden. (Bekanntlich hatte Mazarin, der keine von den Weihen empfangen, welche die Ehe verbieten, Anna von Österreich geheiratet.) Sie bemerken nicht, dass ich sie mit ihrem ewigen Geschrei: Nieder mit Mazarin! bald: Es lebe Herr von Beaufort! bald: Es lebe der Herr Prinz! bald: Es lebe das Parlament! schreien lasse. Nun wohl, Herr von Beaufort ist im Gefängnis zu Vincennes, der Herr Prinz wird demnächst zu ihm kommen, und das Parlament ...

Hier nahm das Lächeln des Kardinals einen Ausdruck des Hasses an, dessen sein sanftes Gesicht unfähig zu sein schien ... Und das Parlament ... wir werden sehen, was wir damit machen; wir haben Orleans und Montargis! O, ich werde meine Zeit zu wählen wissen, die Reihe kommt an jeden.

Richelieu, den sie haßten, solange er lebte, und von dem sie beständig sprechen, seit er tot ist, stand tiefer als ich, denn er ist oft fortgejagt worden. Die Königin wird mich nie fortjagen, und wenn ich gezwungen werde, dem Volk zu weichen, so wird sie mit mir weichen, und wir werden dann sehen, was die Rebellen ohne ihren König und ihre Königin sind. Oh! wenn ich nur kein Fremder, wenn ich nur Franzose, wenn ich nur Edelmann wäre! – Und er versank wieder in seine Träumerei.

Die Lage war allerdings schwierig, und der soeben abgelaufene Tag hatte sie noch mehr verwickelt. Beständig von seinem schmutzigen Geiz angestachelt, erdrückte Mazarin das Volk mit Steuern, und dieses Volk hatte seit langer Zeit angefangen zu murren.

Doch das war noch nicht alles, denn wenn nur das Volk murrt, so hört es der Hof nicht, da er von ihm durch die Bürgerschaft und die Edelleute getrennt ist. Aber Mazarin hatte die Unklugheit gehabt, sich, an den Beamten zu vergreifen! Er hatte zwölf Staatsratsstellen verkauft, und da diese Beamten ihre Stellen sehr teuer bezahlten und die Beiordnung dieser zwölf neuen Kollegen den Preis herabdrücken mußte, so vereinigten sie sich und schwuren auf das Evangelium, diese Vermehrung nicht zu dulden und allen Verfolgungen des Hofes zu widerstehen, mit dem gegenseitigen Versprechen, falls einer von ihnen durch diese Rebellion seine Stelle verlieren sollte, ihm gemeinschaftlich den Kaufpreis zurückzuzahlen.

Am 7. Januar hatten sich sieben- bis achthundert Pariser Kaufleute versammelt und sich gegen eine neue Steuer erhoben, die man den Hausbesitzern auflegen wollte. Zehn von ihnen waren dann zum Herzog von Orleans geschickt worden. Diesem, der seiner Gewohnheit gemäß den Volksfreund spielte, erklärten sie, sie seien entschlossen, die Steuer nicht zu bezahlen, und müßten sie sich mit bewaffneter Hand dagegen wehren. Der Herzog hörte sie mit großer Leutseligkeit an, versprach, mit der Königin zu reden, und entließ sie mit dem gewöhnlichen Trostspruch der Fürsten: Man wird sehen!

Dasselbe Versprechen gab Mazarin den bei ihm mit Festigkeit und Kühnheit Beschwerde führenden Staatsräten.

Um zu sehen, versammelte man sodann den Rat und schickte nach dem Oberintendanten der Finanzen d'Emery.

Dieser d'Emery wurde vom Volke sehr verabscheut, einmal weil jeder Oberintendant der Finanzen verabscheut wird, und dann, weil er es einigermaßen verdiente. Er kam, als man ihn rufen ließ, ganz bleich und bestürzt herbei und sagte, sein Sohn sei an demselben Tag auf der Place du Palais beinahe ermordet worden. Das Volk war ihm entgegengetreten und hatte ihm den Luxus seiner Frau vorgeworfen, welche ein mit rotem Samt und goldenen Fransen tapeziertes Zimmer besaß. Ihr Vater, Nicolas Lecamus, der 1617 Sekretär des Königs war, war mit zwanzig Livres nach Paris gekommen und hatte neun Millionen unter seine Kinder verteilt, nachdem er sich eine Leibrente von vierzigtausend Franken vorbehalten hatte.

Der Sohn d'Emerys war beinahe erstickt worden. Einer von den Meuterern machte nämlich den Vorschlag, ihn zu pressen, bis er das Gold, welches er verschlungen, zurückgegeben hätte. Der Rat entschied an diesem Tage nichts, denn der Oberintendant war zu sehr von diesem Ereignis ergriffen, um den Kopf frei zu haben.

Am andern Tag wurde der erste Präsident, Mathieu Molé, dessen Mut dem des Herzogs von Beaufort und des Prinzen von Condé, das heißt der beiden tapfersten Männer jener Zeit gleich kam, ebenfalls angegriffen. Das Volk drohte ihm; aber der erste Präsident antwortete mit seiner gewöhnlichen Ruhe, wenn die Aufrührer nicht dem Willen des Königs gehorchten, so werde er Galgen auf den öffentlichen Plätzen errichten und sogleich die ärgsten Schreier aufknüpfen lassen. Diese erwiderten hierauf, es wäre ihnen nichts lieber, als Galgen errichten zu sehen, dann könne man doch die schlechten Richter hängen, welche die Gunst des Hofes mit dem Elend des Volkes erkaufen.

Das war noch nicht genug. Am 11. wurde die Königin, als sie zur Messe ging, von mehr als zweihundert Weibern verfolgt, welche schrieen und Gerechtigkeit forderten. Sie hatten indessen keine böse Absicht und wollten sich ihr nur zu Füßen werfen, um ihr Mitleid rege zu machen. Aber die Wachen verhinderten sie daran, und die Königin ging hochmütig und stolz, ohne auf ihr Geschrei zu hören, an ihnen vorüber.

Am Nachmittag versammelte sich der Rat abermals, und es wurde beschlossen, das Ansehen des Königs aufrechtzuhalten. Infolgedessen berief man das Parlament auf den nächsten Tag.

An diesem Tag, an dessen Abend unsere Geschichte beginnt, ließ der König, der damals zehn Jahre alt war, seine Garden, seine Schweizer und seine Musketiere ausrücken, stellte sie um das Palais Royal, auf den Quais und auf dem Pont Neuf auf und begab sich, nachdem er die Messe gehört hatte, in das Parlament, wo er nicht allein seine früheren Edikte bestätigte, sondern auch fünf bis sechs neue erließ, so dass der erste Präsident, der vorher für den Hof war, sich unerschrocken gegen diese Art der Gesetzgebung aussprach. Am entschiedensten protestierten aber gegen die neuen Steuern der Präsident Blanemesnil und der Rat Broussel.

Nachdem die Edikte erlassen waren, kehrte der König nach dem Palais Royal zurück. Eine große Volksmenge befand sich auf seinem Wege. Da man aber noch nicht wußte, ob er im Parlament dem Volke habe Gerechtigkeit widerfahren lassen oder es aufs neue bedrückt habe, so ertönte nicht ein einziger Freudenruf, um ihn zu seiner Wiederherstellung zu beglückwünschen. Alle Gesichter waren im Gegenteil düster und unruhig, einige sogar drohend.

Trotz seiner Rückkehr blieben die Truppen auf dem Platze, denn man befürchtete, es könnte eine Empörung ausbrechen, sobald man das Resultat der Parlamentssitzung erführe, und in der Tat hatte es kaum in den Straßen verlautet, dass der König die Steuern noch vermehrt habe, als sich Gruppen bildeten und von allen Seiten die Rufe erschollen: Nieder mit Mazarin! Es lebe Broussel! Es lebe Blancmesnil!

Man wollte diese Gruppen zerstreuen und das Geschrei ersticken, aber, wie dies in solchen Fällen geschieht, die Gruppen wurden zahlreicher, und das Geschrei verdoppelte sich. Man hatte den Leibwachen des Königs und den Schweizerwachen soeben Befehl gegeben, nicht nur den Platz vor dem Schloß zu halten, sondern auch in den besonders aufgeregten Straßen Saint-Denis und Saint-Martin zu patrouillieren, als man im Palais Royal den Vorsteher der Kaufmannschaft meldete. Dieser erklärte, wenn man nicht auf der Stelle diese feindseligen Demonstrationen aufgebe, werde ganz Paris in zwei Stunden unter den Waffen sein.

Man beratschlagte, was man tun solle, als Comminges, Leutnant bei den Garden, mit zerrissenen Kleidern und blutigem Gesicht erschien. Sobald die Königin ihn erblickte, stieß sie einen Schrei des Erstaunens aus und fragte ihn, was er habe.

Beim Anblick der Garden waren die Geister gänzlich in Wut geraten. Man hatte sich der Glocken bemächtigt und Sturm geläutet. Comminges hatte den Hauptaufrührer verhaftet und, um ein Beispiel zu geben, befohlen, ihn an der Croix du Trahoir aufzuhängen. Demzufolge hatten ihn die Soldaten fortgeschleppt. Aber in den Hallen waren sie mit Steinwürfen und Hellebarden angegriffen worden. Der Rebell hatte diesen Augenblick benützt, um zu entfliehen. Er hatte die Rue Tiquetonne erreicht und sich in ein Haus geworfen, dessen Türen man sogleich einstieß. Man fand aber den Mann nicht. Während Comminges sich nach Zurücklassung eines Postens nach dem königlichen Schloß begab, war er angegriffen worden und hatte selbst einen Steinwurf an die Stirne bekommen.

Die Erzählung des Leutnants bestätigte die Worte des Vorstehers der Kaufmannschaft. Man war nicht im stände, einer ernstlichen Empörung Trotz zu bieten. Der Kardinal ließ im Volk ausstreuen, die Truppen würden sich zurückziehen, und gegen vier Uhr abends konzentrierten sie sich wirklich nach dem Schlosse zu. Man stellte einen Posten an der Barriere des Sergens, einen andern bei den Quinze-Vingts, einen dritten bei der Butte Saint-Roch auf. Man füllte die Höfe und die Erdgeschosse mit Schweizern und Musketieren und wartete.

So standen die Dinge, als wir unsere Leser in Mazarins Zimmer einführten. Wir haben gesehen, in welchem Gemütszustand er das bis zu ihm dringende Gemurmel des Volkes und das Echo der Flintenschüsse in seinem Zimmer hörte.

Plötzlich erhob er das Haupt; die Stirne halb gefaltet, wie ein Mann, der seinen Entschluß gefaßt hat, heftete er seine Augen auf eine ungeheure Pendeluhr, die eben sechs schlug, nahm eine auf dem Tisch in seiner Nähe liegende Pfeife und pfiff zweimal.

Eine geheime Tapetentüre öffnete sich geräuschlos, ein schwarz gekleideter Mann trat stillschweigend hervor und blieb aufrecht hinter dem Lehnstuhl stehen.

Bernouin, sprach der Kardinal, ohne sich umzudrehen, denn da er zweimal gepfiffen hatte, so wußte er, dass es sein Kammerdiener sein mußte, welche Musketiere haben die Wache im Palais? – Die Kompagnie Treville von den schwarzen Musketieren, Monseigneur. – Gut. Ist ein Offizier dieser Kompagnie im Vorzimmer? – Der Leutnant d'Artagnan. – Ein guter, glaube ich. – Ja, Monseigneur. – Gib mir eine Musketieruniform und Hilf mir beim Ankleiden.

Der Kammerdiener entfernte sich ebenso schweigend, als er eingetreten war, und kam nach einem Augenblick mit dem verlangten Anzug zurück.

Still und nachdenklich begann nun der Kardinal sich zu entkleiden, und das militärische Kleid anzuziehen, das er, durch seine früheren Feldzüge in Italien geübt, mit ziemlicher Leichtigkeit trug. Als er vollständig angekleidet war, sagte er: Hole mir Herrn d'Artagnan.

Als der Kardinal allein war, betrachtete er sich mit einer gewissen Zufriedenheit im Spiegel; er war noch jung, denn er zählte kaum sechsundvierzig Jahre; Mazarin war ein Mann von zierlicher Gestalt, wenn auch etwas unter der Mittlern Größe, hatte eine lebhafte, schöne Gesichtsfarbe, einen feurigen Blick, eine große, jedoch ziemlich proportionierte Nase, eine breite, majestätische Stirne, kastanienbraune, etwas krause Haare und einen sehr dunklen Bart. Dann zog er sein Wehrgehänge an, beschaute seine schönen, sorgfältig gepflegten Hände, warf die zu der Uniform gehörigen Handschuhe von Damhirschleder, die er bereits genommen hatte, beiseite und schlüpfte in einfache seidene Handschuhe.

In diesem Augenblick öffnete sich die Türe wieder. Herr d'Artagnan, sprach der Kammerdiener. Der Eintretende war ein Mann von neununddreißig bis vierzig Jahren, von kleiner Gestalt, aber gut gebaut, mager, mit lebhaftem, geistreichem Blick, der Bart schwarz und die Haare mit Grau vermischt, wie dies immer geschieht, wenn man das Leben zu gut oder zu schlecht gefunden hat, und besonders wenn man sehr brünett ist.

D'Artagnan trat vier Schritte vor; er erkannte das Zimmer, wo er einmal zu Richelieus Zeit gewesen war. Da er niemand erblickte, als einen Musketier von seiner Kompagnie, so heftete er seine Augen auf diesen, und bei dem ersten Blick war er überzeugt, dass er den Kardinal vor sich habe.

Er blieb in ehrfurchtsvoller, aber würdiger Haltung stehen. Der Kardinal schaute ihn prüfend mit seinen mehr seinen, als tiefen Augen an und sagte nach kurzem Stillschweigen: Ihr seid Herr d'Artagnan? – Ja, Monseigneur, antwortete der Offizier.

Der Kardinal betrachtete noch einen Augenblick den klugen Kopf und das Gesicht, dessen übermäßige Beweglichkeit durch die Jahre und die Erfahrung gemildert worden war; aber d'Artagnan ertrug die Prüfung wie ein Mann, der einst den forschenden Blick weit durchdringenderer Augen ausgehalten hatte.

Mein Herr, sagte der Kardinal, Ihr werdet mit mir gehen, oder vielmehr, ich gehe mit Euch.

Zu Euren Befehlen, Monseigneur, antwortete d'Artagnan.

Ich will die Posten um das Palais Royal selbst visitieren; glaubt Ihr, dass Gefahr dabei ist?

Gefahr, Monseigneur? fragte d'Artagnan, und welche?

Das Volk soll äußerst aufgeregt sein.

Die Uniform der Musketiere des Königs ist sehr geachtet, Monseigneur, und wäre sie es nicht, so machte ich mich dennoch anheischig, mit vier Mann hundert von diesen Lumpenkerlen in die Flucht zu schlagen.

Ihr habt gesehen, was Comminges begegnet ist.

Herr von Comminges ist bei den Garden und nicht bei den Musketieren.

Womit Ihr sagen wollt, versetzte der Kardinal lächelnd, die Musketiere seien bessere Soldaten als die Garden.

Jeder liebt seine Uniform, Monseigneur.

Mich ausgenommen, sprach Mazarin, denn Ihr seht, dass ich die meinige abgelegt habe, um die eurige anzuziehen. Bernouin, meinen Hut!

Der Kammerdiener brachte einen breitkrempigen Uniformhut; der Kardinal setzte ihn sehr unternehmend auf und wandte sich dann wieder zu d'Artagnan um.

Ihr habt gesattelte Pferde im Stall, nicht wahr? – Ja, Monseigneur. – So gehen wir. – Wieviel Leute befiehlt Monseigneur? – Ihr sagtet, mit vier Mann würdet Ihr Euch anheischig machen, hundert solche Lumpenkerle in die Flucht zu schlagen; da wir zweihundert begegnen könnten, so nehmt acht. – Wann beliebt es Eurer Eminenz? – Ich folge Euch sogleich; leuchte uns, Bernouin.

Zweites Kapitel - Eine Nachtrunde



Zehn Minuten nachher entfernte sich die kleine Truppe durch die Rue des Bons-Enfants. Der Anblick der Stadt bot alle Merkmale großer Aufregung; zahlreiche Gruppen durchzogen die Straßen und blieben stille stehen, um die sechs Reiter mit drohenden und spöttischen Mienen vorüberziehen zu sehen. Von Zeit zu Zeit vernahm man Lärm aus der Gegend der Hallen. Flintenschüsse knallten in der Richtung der Rue Saint-Denis, und zuweilen begann plötzlich, ohne dass man wußte warum, von der Volkslaune in Bewegung gesetzt, eine Glocke zu läuten.

D'Artagnan verfolgte seinen Weg mit der Sorglosigkeit eines Mannes, auf den dergleichen Lappalien keinen Eindruck machen. Hielt sich eine Gruppe mitten in der Straße, so spornte er sein Pferd gegen sie, ohne Achtung zu rufen, und siehe da, Rebellen oder Nichtrebellen, sie schienen zu wissen, mit wem sie es zu tun hatten, sie öffneten ihre Reihen und ließen die Patrouille durchziehen. Der Kardinal beneidete ihn um diese Ruhe, die er der Gewöhnung an Gefahren zuschrieb, aber er faßte darum nicht minder für den Offizier, unter dessen Befehle er sich für den Augenblick gestellt hatte, jene Achtung, welche selbst die Klugheit dem sorglosen Mute zugesteht.

Als man sich dem Posten der Barriere des Sergens näherte, rief die Wache: Wer da? D'Artagnan antwortete und rückte, nachdem er den Kardinal um das Losungswort gefragt hatte, vor.

Dort ist Herr von Comminges, der diesen Posten befehligt, sagte d'Artagnan zu dem Kardinal.

Der Kardinal lenkte sein Pferd auf diesen Offizier zu, der mit einem anderen berittenen Offizier plauderte. D'Artagnan blieb aus Diskretion zurück.

Bravo, Guitaut, sprach der Kardinal zu dem Reiter, ich sehe, haß Ihr trotz Eurer vierundsechzig Jahre immer noch derselbe seid, immer munter, immer rüstig; was sagtet Ihr zu diesem jungen Manne?

Monseigneur, ich sagte ihm, dass der heutige Tag sehr einem aus der Zeit der Ligue gleiche, die ich in meinen Jugendjahren gesehen habe. Wißt Ihr, dass sie schon von Barrikadenbauen reden?

Und was antwortete Euch Herr von Comminges, mein lieber Guitaut?

Monseigneur, sprach Comminges, ich antwortete, zu einer Ligue fehlt heute etwas Wesentliches, nämlich ein Herzog von Guise; überdies macht man nicht zweimal das Gleiche.

Nein, aber sie werden statt einer Ligue eine Fronde machen, sagte Guitaut.

Was ist das, eine Fronde?

Monseigneur, das ist der Name, den sie ihrer Partei geben.

Und woher kommt dieser Name?

Der Rat Bachaumont soll vor einigen Tagen im Palaste gesagt haben, alle Empörer gleichen den Burschen, welche in den Gräben von Paris mit der Schleuder spielen (französisch: fronder ) und sich zerstreuen, sobald der Polizeileutnant kommt, um sich abermals zu versammeln, wenn er vorübergegangen ist. Sie haben das Wort aufgeschnappt, und nennen sich Frondeurs; heute und gestern war alles à la Fronde, das Brot, die Hüte, die Handschuhe, die Muffe, die Fächer; doch halt, hört einmal. – Man hörte ganz deutlich singen:

Ein Frondewind
Bläst frisch und munter,
Bläst Mazarin
Den Hut herunter.

Der Unverschämte! murmelte Comminges. Soll ich diesem Kerl eine Kugel zuschicken, um ihn besser singen zu lehren?

Nein, nein, rief Mazarin. Diavolo, mein lieber Freund, Ihr würdet alles verderben; es geht im Gegenteil vortrefflich. Ich kenne Eure Franzosen vom ersten bis zum letzten, wie wenn ich sie gemacht hätte: sie singen und werden bezahlen. Komm, Guitaut, komm, wir wollen nachsehen, ob man bei Quinze-Vingts ebensogut Wache hält, als an der Barriere des Sergens.

Das ist richtig, murmelte Comminges, als er ihn wegreiten sah, wenn man ihn nur bezahlt, mehr verlangt er nicht.

Man schlug wieder den Weg in die Rue Saint Honoré ein, wobei man fortwährend Gruppen auseinander sprengte. In diesen Gruppen sprach man nur von den Edikten; man beklagte den jungen König, der auf diese Art, ohne es zu wissen, sein Volk zu Grunde richtete; man warf die ganze Schuld auf Mazarin; man sprach davon, sich an den Herzog von Orleans und an den Prinzen zu wenden; man pries Blancmesnil und Broussel.

D'Artagnan ritt mitten durch diese Gruppen so sorglos, als ob er und sein Pferd von Eisen wären; Mazarin und Guitaut plauderten ganz leise miteinander; die übrigen Musketiere, die endlich den Kardinal erkannt hatten, folgten stillschweigend.

Man kam in die Rue Saint-Thomas-du-Louvre, wo der Posten der Quinze-Vingts war, und ritt, da sich hier alles ruhig verhielt, zu dem dritten Posten an der Butte Saint Roch. Diesen befehligte der Kapitän der Garden des Königs, Villequier, der dem Kardinal heftig grollte. Er hatte sich besonders zurückgesetzt gefühlt, weil Mazarin seinerzeit die Verhaftung des Herzogs von Beaufort nicht durch ihn, obwohl er der einzig Berechtigte dazu gewesen sei, sondern durch Guitaut habe ausführen lassen.

Auf Befehl Mazarins, der sich selbst zurückhielt, ritt sein Begleiter aus Villequier zu.

Ah, Ihr seid es, Guitaut, sprach dieser mit seinem gewöhnlichen übellaunigen Tone. Was zum Teufel wollt Ihr hier?

Ich komme, um Euch zu fragen, ob es hier etwas Neues gebe?

Was zum Teufel soll es hier geben? Man ruft: Es lebe der König und nieder mit Mazarin! Das ist nichts Neues: wir sind schon seit geraumer Zeit an dieses Geschrei gewöhnt.

Und Ihr macht Chorus dazu, erwiderte Guitaut lachend.

Meiner Treu, ich fühle oft große Lust in mir, und ich finde, dass sie ganz recht haben, Guitaut. Gern gäbe ich fünf Jahre von meinem Gehalt, wenn der König fünf Jahre älter wäre.

Wirklich! Und was würde geschehen, wenn der König fünf Jahre älter wäre?

Dann käme doch der Augenblick, wo der König volljährig würde und seine Befehle selbst geben müßte, und, wahrlich, es ist doch mehr Vergnügen dabei, dem Enkel Heinrichs IV., als dem Sohne des Pietro Mazarin zu gehorchen. Für den König, Mord und Hölle, ließe ich mich mit Vergnügen töten; wenn ich aber für Mazarin getötet würde, wie dies heute Eurem Neffen beinahe widerfahren wäre, so könnte kein Paradies, so schön es auch wäre, mich je darüber trösten!

Und er wandte sich auf den Fersen um und kehrte, eine Fronde-Melodie pfeifend, in die Wachtstube zurück.

Mazarin kam ganz nachdenklich in seinen Palast zurück. Was er nach und nach von Comminges, von Guitaut und von Villequier gehört hatte, bestätigte ihn in der Ansicht, dass er im Fall ernster Ereignisse niemand für sich hätte, als die Königin, und auch die Königin hatte so oft ihre Freunde verlassen, dass ihre Unterstützung dem Minister, trotz der Vorsichtsmaßregeln, die er getroffen, sehr ungewiß und zweifelhaft erschien.

Während dieses ganzen nächtlichen Rittes hafte der Kardinal einen Mann prüfend betrachtet. Dieser Mann, welcher bei dem Drohgeschrei des Volkes ganz gleichgültig geblieben war, und dessen Gesicht sich bei den Scherzen Mazarins, sowie den Anspielungen der andern nicht im mindesten verändert hatte, dieser Mensch erschien ihm ein ganz besonderes, in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft recht brauchbares Wesen.

Überdies war ihm der Name d'Artagnan nicht ganz unbekannt, und obgleich er erst gegen 1634 oder 1635, d. h. sieben oder acht Jahre nach den von uns in den Drei Musketieren, erzählten Ereignissen, nach Frankreich gekommen war, so schien es dem Kardinal doch, als hätte er von ihm als von einem Manne gehört, der sich als ein Muster von Mut, Gewandtheit und Ergebenheit bemerkbar gemacht hatte.

Dieser Gedanke bemächtigte sich seiner so sehr, dass er sich ungesäumt Licht zu verschaffen beschloß. Aber die Auskunft, die er über d'Artagnan zu erhalten wünschte, durfte er nicht von d'Artagnan selbst verlangen. An den wenigen Worten, die der Leutnant der Musketiere gesprochen hatte, erkannte der Kardinal seinen gascognischen Ursprung, und Italiener und Gascogner kennen einander zu gut und gleichen sich zu sehr, um gegenseitig an das zu glauben, was sie von sich sagen. Als er daher an den Garten des königlichen Schlosses gelangte, ersuchte er d'Artagnan, ihn im Schloßhofe zu erwarten, und machte Guitaut ein Zeichen, ihm in den Garten zu folgen.

Mein lieber Guitaut, sprach er sodann, sich auf den Arm des alten Kapitäns der Garden stützend, ich nahm Euch mit, um Euch zu fragen, ob Ihr unsern Musketierleutnant bemerkt habt? – Ich habe nicht mehr nötig gehabt, ihn zu bemerken, denn ich kenne ihn seit geraumer Zeit. – Was ist er für ein Mensch? – Wie denn? sprach Guitaut, über diese Frage erstaunt. Er ist ein Gascogner. – Ja, ich weiß das, aber ich wollte Euch fragen, ob er ein Mann sei, in den man Vertrauen setzen könne? – Herr von Treville hält große Stücke auf ihn, und Herr von Treville ist, wie Ihr wißt, einer der ergebensten Freunde der Königin. – Ich wünschte zu wissen, ob er ein Mann ist, der seine Proben bestanden hat? – Wenn Ihr darunter versteht, ob er ein braver Soldat sei, so kann ich Euch mit ja antworten. Bei der Belagerung von La Rochelle und bei Perpignan hat er, wie ich hörte, mehr als seine Pflicht getan. – Aber Ihr wißt, Guitaut, wir armen Minister bedürfen oft noch anderer Männer, als der Tapferen. Wir brauchen geschickte Leute. War Herr d'Artagnan zur Zeit des Kardinals nicht in eine Intrigue verwickelt, in der er sich dem Gerüchte zufolge mit großer Gewandtheit benommen hat? – Monseigneur, sagte Guitaut, der wohl einsah, dass ihn der Kardinal zum Sprechen bringen wollte, in dieser Beziehung sehe ich mich genötigt, Eurer Eminenz zu sagen, dass ich nicht mehr weiß, als was Ihr selbst durch öffentliche Gerüchte erfahren konntet. Ich meinerseits habe mich nie in Intriguen gemischt und bin immer nur ein Kriegsmann gewesen. Wendet Euch an irgend einen Intriganten der Zeit, von der Ihr sprecht, und Ihr werdet bekommen, was Ihr haben wollt, wohl verstanden, wenn Ihr bezahlt. – Ei, bei Gott, versetzte Mazarin mit einer Grimasse, die er unwillkürlich zu machen pflegte, wenn man bei ihm die Geldfrage im Sinne Guitauts berührte ... man wird bezahlen ... wenn man es nicht anders machen kann. – Fordert mich Monseigneur im Ernste auf, ihm einen Mann zu nennen, der in alle Kabalen dieser Zeit verwickelt war? – Per Bacco! versetzte Mazarin, der nachgerade ungeduldig wurde, wer ist dieser Mann? – Der Graf von Rochefort. – Der Graf von Rochefort? – Leider ist er seit bald vier oder fünf Jahren verschwunden, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. – Ich werde es erfahren, Guitaut, sprach Mazarin. Ihr glaubt also, Rochefort ... – Er war der ergebenste Anhänger des Kardinals, Monseigneur. Aber ich sage Euch zum voraus, es wird Euch viel kosten, der Kardinal war verschwenderisch gegen seine Kreatur. – Ja, ja. Guitaut, sagte Mazarin, er war ein großer Mann, aber er hatte diesen Fehler; ich danke, Guitaut, ich werde Euren Rat benutzen und zwar noch diesen Abend.

Und da in diesem Augenblick die zwei Sprechenden zu dem Hof des Palais Royal gelangt waren, so grüßte der Kardinal Guitaut mit einem Zeichen der Hand und näherte sich einem Offizier, den er auf- und abgehen sah.

Es war d'Artagnan, der nach dem Befehl des Kardinals ihn erwartete.

Kommt, Herr d'Artagnan, sprach Mazarin mit seiner flötenweichsten Stimme, ich habe Euch einen Auftrag zu geben.

Der Kardinal ging in sein Zimmer, schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt, faltete es zusammen, siegelte es und sprach: Herr d'Artagnan, Ihr tragt diese Depesche in die Bastille und bringt die Person zurück, auf die sie sich bezieht. Nehmt einen Wagen und berittene Begleitung und bewacht den Gefangenen sorgfältig.

D'Artagnan nahm den Brief, legte die Hand an seinen Hut, drehte sich auf dem Absatz um, wie es nur der geschickteste Sergeant beim Vorexerzieren machen kann, ging hinaus, und einen Augenblick nachher hörte man ihn mit seinem kurzen Ton kommandieren: Vier Mann Eskorte, einen Wagen, mein Pferd!

Fünf Minuten nachher vernahm man Wagengerassel und den Hufschlag der Pferde auf dem Pflaster des Hofes.

Drittes Kapitel - Zwei ehemalige Feinde



D'Artagnan kam um halb neun Uhr in die Bastille. Er ließ sich bei dem Gouverneur melden, der ihm, als er erfuhr, dass er im Namen und auf Befehl des Ministers kam, bis auf die Freitreppe entgegenging.

Der Gouverneur der Bastille war damals Herr du Tremblay, ein Bruder des berüchtigten Kapuziners Joseph, dieses furchtbaren Günstlings von Richelieu, den man die graue Eminenz nannte.

Herr du Tremblay empfing d'Artagnan mit der größten Höflichkeit und lud ihn ein, mit ihm zu Nacht zu speisen.

Ich würde dies mit dem größten Vergnügen tun, sprach d'Artagnan; aber wenn ich mich nicht täusche, steht auf dem Umschlag des Briefes: sehr eilig.

Das ist richtig, sagte Herr du Tremblay. Holla, Major, man lasse Nro. 256 herabkommen.

Beim Eintritt in die Bastille hörte man auf, ein Mensch zu sein, und wurde eine Nummer.

D'Artagnan schauderte beim Gerassel der Schlüssel. Er blieb zu Pferde, ohne absteigen zu wollen, und betrachtete die Gitterstangen, die tiefen Fenster und die ungeheuern Mauern.

Ich verlasse Euch, sprach Herr du Tremblay, als ein Glockenschlag erklang. Man ruft mich, um den Entlassungsbefehl zu unterzeichnen. Auf Wiedersehen, Herr d'Artagnan.

Der Teufel soll mich holen, wenn ich dir deinen Wunsch zurückgebe, murmelte d'Artagnan. Schon bei einem Aufenthalt von fünf Minuten fühle ich mich krank. Ich denke, dass ich lieber auf dem Stroh sterben, als auf dem Posten eines Bastillegouverneurs zehntausend Livres Renten sammeln möchte.

Kaum hatte er diesen Monolog vollendet, als der Gefangene erschien. Sobald d'Artagnan ihn erblickte, machte er eine Bewegung des Erstaunens, die er aber sogleich wieder bewältigte. Der Gefangene stieg in den Wagen, ohne, wie es schien, d'Artagnan erkannt zu haben.

Meine Herren, sagte d'Artagnan zu den vier Musketieren, man hat mir befohlen, den Gefangenen auf das schärfste zu bewachen. Ich will daher zu ihm hineinsteigen. Herr von Lillebonne, habt die Güte, mein Pferd am Zügel zu führen.

Sehr gern, mein Leutnant, antwortete der Angeredete.

D'Artagnan sprang vom Pferde, gab den Zügel dem Musketier, stieg in den Wagen und rief in einem Tone, in dem sich unmöglich auch nur die geringste Bewegung erkennen ließ: Ins Palais Royal, im Trab!

Sogleich entfernte sich der Wagen, und d'Artagnan warf sich, die herrschende Dunkelheit benutzend, dem Gefangenen um den Hals.

Rochefort! rief er, Ihr, Ihr seid es! Ich täusche mich nicht! – D'Artagnan! rief Rochefort erstaunt. – Ach, mein armer Freund, fuhr d'Artagnan fort; da ich Euch seit vier bis fünf Jahren nicht gesehen habe, so hielt ich Euch für tot. – Meiner Treu! erwiderte Rochefort, es ist kein großer Unterschied zwischen einem Toten und einem Begrabenen, und ich bin ein Begrabener. – Wegen welches Verbrechens seid Ihr in der Bastille? – Ich weiß es nicht. – Mißtrauen gegen mich, Rochefort? – Nein, auf Edelmannswort, denn ich kann unmöglich aus der Ursache hier sein, die man angibt. – Welche Ursache? – Als Dieb. – Ihr, Dieb? Rochefort, Ihr scherzt. – Nun, so hört, was geschehen ist. Eines Abends nach einer Orgie bei Reinard in den Tuilerien mit dem Herzog d'Harcourt, Fontrailles, von Rieux und anderen treiben wir in tollem Übermut das von dem Herzog von Orleans erfundene Vergnügen, in den Pariser Straßen den Leuten unvermerkt die Mäntel abzuziehen. Ich und Rieux hatten uns auf das eherne Pferd am Pont Neuf geschwungen, das Heinrich IV. trägt, als auf den Hilferuf eines Bestohlenen die Wache erscheint. Die andern entkommen, ich und Rieux werden, als wir vom Denkmal herunterspringen, gefaßt. Man steckt mich ins Gefängnis, und als ich nach acht Tagen an den Kardinal schreibe, holt man mich ab und führt mich in die Bastille, wo ich seit fünf Jahren sitze. Nun, was meint Ihr hierzu? – Nein, mein lieber Rochefort, das kann nicht der Grund Eurer Einkerkerung sein, Ihr werdet ihn übrigens wahrscheinlich jetzt erfahren. – Wohin führt Ihr mich denn? – Zu dem Kardinal. – Was will er von mir? Ihr müßt es wissen, denn daraus, dass Mazarin Euch gesandt hat, sehe ich, dass Ihr jetzt sein Günstling seid. – Ich weiß es nicht, ich befand mich zufällig im Vorzimmer, und der Kardinal wandte sich an mich, wie er sich an jeden andern gewendet hätte. Ich bin immer noch Leutnant bei den Musketieren, und dies, wenn ich richtig zähle, seit ungefähr einundzwanzig Jahren. – Es ist Euch doch kein Unglück widerfahren, und das ist schon viel. – Welches Unglück sollte mir widerfahren? Irgend ein lateinischer Vers sagt: Der Blitz trifft die Täler nicht; und ich bin ein Tal, mein lieber Rochefort, und zwar eines von den tiefsten. – Mazarin ist also immer noch Mazarin? – Mehr als je, mein Lieber; man sagt, er sei mit der Königin verheiratet. – Verheiratet! – Ist er nicht ihr Gemahl, so ist er sicherlich ihr Geliebter. – Einem Buckingham widerstehen und einem Mazarin nachgeben! – So sind die Frauen, versetzte d'Artagnan philosophisch. – Die Frauen Wohl, aber die Königinnen! – Ei, mein Gott, in dieser Hinsicht sind die Königinnen zweimal Frauen. – Und Herr von Beaufort ist immer noch im Gefängnis? – Immer noch, warum? – Da er mir wohlwollte, so hätte er mich herausbringen können. Und wie steht es mit dem Krieg? – Man wird ihn haben. – Mit Spanien? – Nein, mit Paris. – Was wollt Ihr damit sagen? – Hört Ihr die Flintenschüsse? – Ja. Nun? – Es sind aufrührerische Bürger. – Glaubt Ihr, man könnte aus den Bürgern etwas machen? – Gewiß, sie versprechen alles, und wenn sie einen Führer hätten ... – Es ist ein Unglück, nicht frei zu sein. – Ei, mein Gott, verzweifelt doch nicht. Wenn Mazarin Euch holen läßt, so geschieht es einfach, weil er Euch braucht, und wenn er Euch braucht, nun, so mache ich Euch mein Kompliment. Es ist lange her, dass niemand meiner mehr bedurft hat; Ihr seht auch, wie weit ich es gebracht habe. – Beklagt Euch doch bei ihm! – Hört, Rochefort, einen Vertrag ... – Welchen? – Ihr wißt, dass wir gute Freunde sind. – Bei Gott, ich trage die Male Eurer Freundschaft an mir: Drei Degenstiche! ... – Nun wohl, wenn Ihr wieder in Gunst kommt, vergeßt mich nicht. – So wahr ich Rochefort heiße, aber unter der Bedingung der Gegenseitigkeit. – Abgemacht: hier ist meine Hand. – Die erste Gelegenheit also, die Ihr findet, um von mir zu sprechen ... – Ich spreche von Euch: und Ihr? – Ebenso. – Und soll ich von Euren Freunden sprechen? – Von welchen Freunden? – Von Athos, Porthos und Aramis. Habt Ihr sie denn vergessen? – Beinahe. – Was ist aus ihnen geworden? – Ich weiß es nicht. – Wirklich? – Ah, mein Gott ja, wir haben uns verlassen, wie Ihr wißt; sie leben noch, das ist alles, was ich von ihnen sagen kann. Von Zeit zu Zeit erhalte ich mittelbare Nachrichten von ihnen; aber der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, in welchem Winkel der Erde sie sich aufhalten. Nein, auf Ehre! ich habe nur noch Euch zum Freunde, Rochefort. – Und der herrliche, wie nanntet Ihr doch den Burschen, den ich zum Sergeanten im Regimente Piemont machte? – Planchet. – Ja, so ist es, der herrliche Planchet; was ist aus ihm geworden? – Er hat einen Zuckerbäckerladen in der Rue des Lombards geheiratet. Der Bursche war stets ein großer Freund von Süßigkeiten. Er ist nun Pariser Bürger und treibt in diesem Augenblick wohl ohne Zweifel Aufruhr. Ihr werdet sehen, er ist Schöppe, ehe ich Kapitän bin. – Nur munter! mein lieber d'Artagnan, wenn man ganz unten am Rade ist, so dreht sich das Rad und hebt einen empor. Vielleicht ändert sich Euer Schicksal noch diesen Abend. – Amen, sprach d'Artagnan, den Wagen anhaltend.

D'Artagnan stieg, da sie sich ihrem Ziele näherten, wieder zu Pferde und setzte sich an die Spitze der Eskorte. Fünf Minuten nachher gelangte man in den Hof des Palais Royal. D'Artagnan führte den Gefangenen über die große Treppe und ließ ihn durch das Vorzimmer in den Korridor gehen. Vor der Tür zu Mazarins Kabinett angelangt, wollte er eben sich melden lassen, als Rochefort die Hand auf seine Schulter legte und lächelnd zu ihm sagte:

D'Artagnan, soll ich Euch eines sagen, woran ich auf dem ganzen Wege dachte, als ich die Gruppen von Bürgern sah, durch die wir fuhren und die Euch und Eure vier Leute mit flammenden Augen betrachteten? – Sprecht, antwortete d'Artagnan. – Ich durfte nur um Hilfe rufen, um Euch und Eure Eskorte in Stücke hauen zu lassen, und dann war ich frei. – Warum habt Ihr es nicht getan? – Geht doch! Geschworene Freundschaft! Aber wenn mich ein anderer als Ihr geführt hätte ...

D'Artagnan neigte das Haupt, sprach zu sich: Sollte Rochefort besser geworden sein, als ich? und ließ sich bei dem Minister melden.

Laßt Herrn Rochefort eintreten, rief mit ungeduldigem Tone Mazarin, sobald er die zwei Namen gehört hatte, und sagt Herrn d'Artagnan, er möchte warten; ich bin noch nicht mit ihm fertig.

Diese Worte machten d'Artagnan ganz heiter. Lange Zeit hatte niemand seiner bedurft, und diese Aufforderung erschien ihm als ein glückliches Vorzeichen. Was Rochefort betrifft, so brachte sie auf diesen keine andere Wirkung hervor, als dass sie ihm seine vollständige Fassung verlieh. Er trat in das Kabinett ein und fand Mazarin am Tische sitzend in seiner gewöhnlichen Tracht, d. h. als Monsignore, was ungefähr die Kleidung der Abbés jener Zeit war, ausgenommen, dass er violette Strümpfe und einen violetten Mantel trug.

Die Türen schlossen sich wieder. Rochefort sah Mazarin verstohlen an und ertappte den Minister auf einem Blick, der den seinigen kreuzte.