DEUTSCHE LITERATUR BEI MATTHES & SEITZ BERLIN

Thor Kunkel
SCHAUMSCHWESTER

272 Seiten, Klappenbroschur, Klappencomic

ISBN 978-3-88221-690-5

»Die Krankheit namens Mensch ist verschwunden. Innerhalb weniger Generationen wurden aus Milliarden Millionen und aus diesen wiederum ein paar Hunderttausend, von denen die meisten im Inneren Afrikas, in den Dschungelgebieten Brasiliens und an der südchinesischen Küste vor sich hin vegetieren. [ … ]

Nein, meine Schwestern, es brauchte keine Roboter, keine biologischen Waffen oder nanotechnologischen Invasoren, um die menschliche Rasse zum Aussterben zu bewegen. Ebenso wenig hatten künstliche Intelligenzen ihre Schöpfer über Nacht in einen Atomkrieg gestürzt. Die Menschheit verabschiedete sich einfach aus den halb ausgenutzten Möglichkeiten, die sie hatte. Was vor tausend Jahren, in einer warmen Sommernacht irgendwo an der Mittelmeerküste begann, lässt sich heute kaum noch rekonstruieren. Eines jedoch lässt sich mit Sicherheit sagen: Das viel beschworene Drama des Abstiegs, das erbitterte Ringen zwischen Mensch und Maschine – es war ausgeblieben. Die Ablösung vollzog sich im Stillen, im Halbdunkel, fast zärtlich, in den Ehebetten und mit dem vollen Einverständnis des Menschen.«

Viktoras Pivonas
TALISMAN

288 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-88221-650-9

»Gerne hätte ich weitergeträumt, wäre nicht das Hecheln der Flintenweiber gewesen, das ich zu hören meinte, lang‘ schon, ehe es wirklich mein Ohr erreichte. Kaum aus den Federn, schon auf der Flucht. War ihre Neigung befriedigt, schützten mich vor den Jägerinnen Gebete am wenigsten, obschon solche Anrufungen bevorzugte Sache der Ängstlichen, der Dichter und der Männer war. Gleichviel, ich schickte meinem Vergnügen ein Stoßgebet nach. Doch der Himmel teilte sich nicht. Kein Blitz verschmolz meine Spur mit der Erde und keine gnädige Böe fegte die tiefhängenden Lüfte davon, worin meine Witterung sich hielt, warm noch, für die Nüstern der nun mordlüsternen Witwen.

Ich war es so leid, gejagt zu werden. Keine Wahl. Selbst beim Spiel blieben die Witwen bewaffnet und scheuten kein Mittel, danach ihr Opfer ans Bett zu fesseln. Doch ehe ich das zuließ, verriete ich meine Bibliotheken. Was nicht viel hieß. Das war kein Reichtum. Ich konnte zwar schreiben; lesen nur meine eigene Schrift.«

Wolfgang Hegewald
FEGEFEUERNACHMITTAG

Mein Leben. Von ihm selbst erzählt Kolportageroman

256 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-88221-647-9

»Wie fand einer heraus, ob sein Schreiben ein Irrtum wäre?

Wie installierte man im eigenen Bewußtsein ein Alarmsystem, das bei drohendem Verkennungsfuror und dialektisch gewendetem Erwählungspathos sofort anschlug?

Wie lange durfte sich einer mit seiner Demütigungsbereitschaft arrangieren, ohne bleibenden Schaden zu nehmen?«

»Hegewald schreibt sich seinen Frust mit einer solchen Leichtigkeit vom Herzen, dass die Lektüre der 42 Episoden aus dem selbstquälerischen Alltag eines schreibenden Taugenichts ein wahres Vergnügen ist. [A]uch dieses Bändchen [zeigt], dass Hegewalds Sprache eigentlich fast alles kann: Er kann das Schwere leicht erzählen, er kann die Originalität des Lebens in Worte fassen, ohne dass sie auf dem Weg dorthin verlorengeht, und vor allem entlockt er der Sprache eine seltene Vielfalt.«

Sarah Elsing, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Januar 2010

Volker H. Altwasser
LETZTE HAUT

480 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-88221-744-5

»Aufgeregt zwitscherten Spatzen irgendwo in den Wipfeln der jungen Bäume, die im Lager Buchenwald entlang der Hauptstraße angepflanzt worden waren. Obersturmführer Schmelz hob beim Gehen den Kopf, musste ihn aber der strahlenden Junisonne wegen schnell wieder senken. Er blinzelte ein paar Mal und konzentrierte sich wieder auf das nahe Ende der Straße: Das eiserne Tor des Inneren Lagers, das mit jedem Schritt größer wurde. Was für eine schöne Schmiedearbeit das sei, meinte Kurt Schmelz. Sie müsse gutes Geld gekostet haben.«

»[ … ] ein Buch, das unter die Haut geht.«

Gerd Richardt, Ostseezeitung, März 2009

»Dass Altwasser sich die Freiheit der Generation nimmt, diese Geschichte nicht aus Sicht von Tätern oder Opfern zu erzählen, sondern aus der eines typischen Opportunisten, dass er einem Gesichtslosen ein Gesicht gibt, darin liegt sein immenser Mut als Physiognom. So viel moralische Differenzierung müsste die Bundesrepublik in ihrem sechzigsten Jahr schon aushalten können.«

Christopher Schmidt, Süddeutsche Zeitung, Mai 2009

Esther Kinsky
SOMMERFRISCHE

128 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-88221-722-3

»Gelächterwolken, Streitfetzen, Schweigen treiben wolkenweise durch den Abend, ein fremdes Schweigen bleibt im Mückengitter von zwei Lachern hängen und schämt sich, ein Kreischen, Keuchen, Atemhasten lässt sich erschöpft auf dem Weinspalier nieder, in dem es von bitteren Wortschnitzen wimmelt, die nicht wissen wohin. Und alles ruht in der großen Beuge der Autobrücke über den Fluss, im Spuckfeld der Lastwagenfahrer, die doch nur träumen können vom süßen Leben im üdülö.«

»Esther Kinsky schreibt Sätze wie Gedichtzeilen. Hier sitzt kein Wort an der falschen Stelle, sie braucht keine Metaphern oder Vergleiche, um präzise zu sein [ … ], weil es für jedes Ding das richtige Wort gibt. Und Esther Kinsky gelingt es, diese Worte zu finden.«

Verena Mayer, Literaturen, 7/8, 2009

»In Sommerfrische schenkt Esther Kinsky dem Garstigen und Schäbigen für den Augenblick der Benennung den Glanz der Aufmerksamkeit. Und was für einen Glanz!«

Jörg Plath, DeutschlandRadioKultur, März 2009

Michael Roes
DIE FÜNF FARBEN SCHWARZ

576 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-88221-648-6

»Der größte Augenblick der Bewusstheit ist der Dämmerzustand, die Grenze, an der Wahrnehmung und Imagination für einen Augenblick ununterscheidbar miteinander verschmelzen.«

»Beschenkt wird der Leser mit unzähligen Passagen über das chinesische Alltagsleben, mit farbenprächtigen und atmosphärischen Schilderungen einer fremden Welt, wild wuchernden Traumsequenzen und mit tiefsinnigen Einsichten und philosophischen Höhenflügen eines originellen Denkers.«

Tom Thelen, Titel-Magazin, Oktober 2009

»Das Ringen des Leipziger Odysseus um die Gunst der ortsfremden Verhältnisse und sein allmähliches Abgleiten in die städtische Unterwelt als Vertrauter einer jugendlichen Gang begleitet Michael Roes mit brillanten Ausführungen zur Kunst des Schwertkampfes und der Kalligrafie, zu Gräberkunde und Frühgeschichte. [ … ] Der Text bewegt sich von Setzung zu Setzung; ein zwischen Lyrik und Dialektik changierender Gesang von Jenseits und Sterblichkeit. Ein vollkommeneres Objekt als dieses kann man sich für einen leidenschaftlichen Sprach- und Feldforscher nicht vorstellen.«

Gisela von Wysocki, DIE ZEIT, November 2009

1

Ich konnte mich an diesem späten Dienstagmorgen an nichts mehr erinnern. Seit gestern war ich fünfunddreißig. Ich hatte mich volllaufen lassen. Allein, wie ich dachte, bis ich vor dem Klo in Panik geriet. So sehr ich auch presste, kein Tropfen traf die Schüssel. Ging der Suff mir nun doch schon an die Grundausstattung? Ab jetzt Katheter, nur noch durchs Schläuchle ins Tütchen?

Nicht möglich. Abgesehen von diesen rituellen Besäufnissen an meinen Geburtstagen war ich seit drei Jahren trocken.

Ich wischte die Wampe beiseite, wagte einen Blick nach unten und sah das Kondom. Auf meiner Stirn befand sich ein Herz und diese liegende Acht, das mathematische Zeichen für Unendliches. Tätowiert!

Nein, nur Kugelschreiber.

Aber wer. Wer?!

Hatte Jessi nun doch vor der Verblödung ihres Martinchens kapituliert und war zu mir zurückgekommen?

Unwahrscheinlich. Jessica hatte ich der Kunst geopfert und zwar gründlich. Damals war ich noch so hemmungslos jung, dass ich glaubte, ich besäße so etwas wie Talent. Ich bewarb mich an mehreren Kunsthochschulen und wurde in aller Pracht abgelehnt. Ich probierte es als Autodidakt. Fotografie. Wie damals alle Trägen und Begabungslosen, die trotzdem bewundert werden wollten. Mit einer geborgten Kamera knipste ich Jessicas Blumenkasten. Sie pflegte den Brauch, die Nassrasierer ihrer Ex-Männer in die Muttererde zu stecken. Ich nannte das Bild »Metamorph EinskommaPie«, weil ich auch das für Kunst hielt. Meine Motivsuche fand die Arschkimme fetter Männer beim Reifenwechsel, einen Eierbecher voller Zehennägel, ein Gesteck von Tampons im Kartoffelbrei (»Kopf Jesu Christ«) sowie eine Wasserleiche im Halbprofil und schließlich mich selbst – zentral gehängt – als onanierender Fossibär. Den Rest der Wand füllte ich mit Jessicas Nacktfotos auf. Zu hoffnungsblöde um Grenzen der Peinlichkeit zu kennen, lud ich auf benutztem Toilettenpapier zur Vernissage, kaufte eine Lederhose und ließ das Hemd darüber hängen. Nach der Ausstellung war ich so isoliert, dass ich meinen Anrufbeantworter gegen zwei Pornos und einen halben Kasten Bier tauschen konnte. Ich schaffte es noch nicht einmal in Jessicas Blumenkasten. Nein, Jessica und die Kunst moderten schon in den tieferen Sedimentschichten meiner Vergangenheit.

Wer dann? Meine zwei Zimmerchen mochten keine Frauen. Sie hielten sich stur in einem Zustand, der alles Weibliche nur zu Putz- und Fluchtimpulsen animierte. Wenn aber doch? Wenn es da draußen tatsächlich eine Frau gab, die so infektionsverachtend, so verzweifelt oder – (Herr Kornblum, nun mal nicht ulkig) – so verliebt war, um mir für die Nacht in die Suhle zu folgen? Wie musste sie sein, diese Frau? Eine Krankenschwester oder Nutte? Eine Altenpflegerin? Jemand, den schon beruflich kein menschlicher Bodensatz mehr schrecken konnte? War ich gestern eingeliefert worden? Hatten ein Helfersyndrom und ein paar Mutterinstinkte mich in der Stabilen Seitenlage erwischt? Wirkte ich im Koma anziehend auf Frauen?

Dem widersprach, dass ich Kondom trug. Meine Hilflosigkeit war also im Rahmen geblieben.

Weiter! Schritt für Schritt zurück! Irgendwo am Wegesrand würde sie aus dem Nebel auftauchen, die herrliche Schnalle.

Also gestern. Montag. Wie war das?

Der Vormittag ging für Ronnys Gerüstbaufirma drauf. Der Nachmittag auch. Gegen Mittag war unverhofft ein Auftrag herein gekommen. Ich schleppte wie ein Irrer Stangen und Schellen, reichte die Bretter für die Plattformen hoch, schraubte rasend, fetzte die Planen an die Gestänge und ließ mich von Ronny »alte Rummelnutte« loben. Wer das zu hören bekam, gefiel Ronny und durfte damit rechnen, am Abend ein paar Scheine mehr in die Brusttasche gestopft zu bekommen. Darauf legte ich es an. Ich schuftete mir den heutigen Tag frei. War sie der Typ »bauarbeiter-horny«? Doch, diese Legende lebt tatsächlich. Das gabs schon hin und wieder. Frauen, die es scharf fanden, wenn einem der Schweiß in Strömen rann und die Augen aus den Höhlen traten. Bitte nicht! Ich war der Miete wegen auf dem Bau, nicht um ein Muskelshirt zu füllen oder aus anderen religiösen Gründen.

Aber ich hatte nichts bemerkt. Keine Frau, die auf ihrem Wildwechsel um die Baustelle strich.

Jedenfalls keine, bei der es sich lohnte, sie zu bemerken. Die letzte Möglichkeit war Husseins Kneipe, mein Zuhause, wenn ich nicht zu Hause sein wollte. Danach war ich, soviel stand fest, mit der Fernbedienung und zwei Flaschen Kümmerling privat.

Also Hussi. Als ich bei ihm reinschaute war es bereits später Nachmittag. Draußen jedenfalls, denn in der Kneipe gab es keine Tageszeiten. Wer hier am Tresen saß, hatte irgendwann alles verloren, worauf er einmal gesetzt hatte. Frau, Kind, Arbeit, die Würde oder sogar den Hund. Man achtete darauf, dass die Vorhänge allzeit geschlossen blieben. Ganz gleich, ob draußen die Sonne schien oder doch noch ein Wirtschaftswunder lostobte – man wollte es nicht mehr mit ansehen. Man wollte sich. Und trinken. Das war der letzte und kleinste Nenner, auf den man heruntergekommen war, und der war immerhin ein gemeinsamer. Neben Hussis Theke hing eine Korktafel. Nicht IKEA, eine Bastelarbeit aus Tausenden halbierter Weinkorken. Links oben mahnte der Sparverein: »Zahltag ist immer noch Donnerstach, Herrschaften. Sonst nix mit Ausflug am 5. und Ostler kuckn!« Darunter gab es die Ergebnisse der letzten beiden Preisskats und – frisiert mit einem Rand Smileys – die Einladung zum Tanz in den Mai. Schließlich, ein groß kopiertes Passfoto von Wilfried. Selbst auf dem sah kein Pixel nüchtern aus. Rechts unten hatte jemand mit Filzstift einen schwarzen Balken gemalt. Warum? Weil Wilfried seinen Hintern nicht mehr auf den Thekenhocker schnaufen konnte, weil Willi nun mal schweinetot war. Sein Hocker würde genau sieben Tage und eine Schweigeminute leer bleiben. Solange würde auch Willis Vier-Ce-Ell Doppelkorn stramm seine Mahnwache stehen. Das frische Glas und eine Kerze genau da, wo er immer auf den Unterarmen lag und Lottosechser im Systemspiel oder seine Magda herbeifaselte. Prost Wilfried, der letzte Absacker hätte nicht sein müssen! Absacker. Na wenigstens stimmts diesmal wörtlich.

Als ich durch den Türvorhang tauchte, lachte Dieti gerade über seinen Witz und fasste im Suff nach dem Toten-Willi-Glas. Hussi, der Kneipier, griff ihm dazwischen, kippte es in die Spüle und gab Dieti den letzten »aufs Haus«. Gleiches Glas, gleiche Füllung. Nur eben jetzt nicht mehr Willi-Glas. So ging das. Dieti ist der nächste leere Hocker. Das wusste Hussi. Das wussten alle, auch Dieti.

Er taumelte vor die Musik-Box. Er feierte seinen neunten Entzug auf Bonnies Ranch, wie die Bonhoeffer-Klinik draußen hieß. Karola half ihm beim Einfummeln der Münze und schwerer Country keckerte geil in die Bude. Karola drehte besoffen den Hintern, als wenn der noch die Mühe wert wäre. Dieti erfand: Er drückt vor seiner Plautze irgendwelche Knöpfe. Es würde wohl auf ein Saxophon hinauslaufen, nahm man beruhigt hin und lockerte den Griff um die Gläser. Ein Luftgitarrensolo Dietis wäre jetzt allen zu heftig. Ein Gitarrensolo Dietis kostete Stühle, Gläser, vielleicht ein Auge.

Dieti piepte, pfiff, röhrte sein Saxophon in Garth Brooks hinein, dass die Abzugshaube schwitzte. Ich steckte mir die Zigarette zwischen die Zähne und klappte seinen Rhythmus in die Hände. Er peitschte ein Solo hin und sprang mir dann in die Arme. Allgemeiner Applaus, sein kurzer, fiebriger Ruhm. Er wollte jetzt unbedingt auf den Mund küssen. Ich zickte nicht, machte mit und führte dann die Diva am Arm auf den Hocker zurück. Er hob eine Arschbacke und furzte. Karola tat begeistert mit. Manfred, ein Contergan-Fall, wollte es nicht so recht gelingen. Er schiss sich das Dünne ein und ging unter großem Hallo »für Königstiger«. Karola versuchte die Beine übereinander zu schlagen, gab es aber schnell auf. Sie knetete meine Innenschenkel hoch oben und fühlte sich sortiert, friedlich, sicher. Ich auch. Im tiefsten Zuhause eben. Wenn meine dunkle Nachtaffäre auch nur zum Pinkeln durch diese Kneipe geweht wäre, würde ich das auf der Stelle erfahren. Unmöglich, hier ungesehen und ungeprüft rein- oder rauszukommen. Im Gegenteil, bei Hussi gab es nicht die kleinen abgezirkelten Gesprächsblasen um Tresen oder den einzelnen Tisch. Bei Hussi wurde laut und frei in den Raum geredet, ganz gleich, wer wo saß. Wenn man für sich sein wollte, war hier der falsche Ort. Ich hab es immer mal wieder ausprobiert. Hatte ich jemanden kennengelernt, bestellte ich die Frau gern zu Hussi und kam etwa eine halbe Stunde zu spät. Das reichte völlig. Wenn ich eintraf, hatte meine Bekanntschaft schon rote Flecken im Gesicht und erzählte speichelsprühend Sachen, für die sie sich vor der Tür sofort zu schämen begann. Wäre mein Mädchen, ich sagte nun schon tatsächlich »mein Mädchen«, wäre sie an diesem Tag auch nur zehn Minuten in der Hussi-Höhle gewesen, ich würde jetzt mehr über sie wissen als für eine durchschnittliche Rasterfahndung nötig wäre. Ich suchte gerade nach Frageworten, nebensächlich genug, um nicht Dartscheibe der allgemeinen Belustigung zu werden. Obwohl hier alles am Limit trank, galt ein Blackout noch immer als Zeichen püppihafter Schwächlichkeit.

»Na Gemeinde, heute ja auch nicht mehr los als gestern, wie?«

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen: Auftritt Ronny. Er brüllte wie immer sein »Heil Hitler!« in den Raum und war Ronny wie Ronny nun mal war. Acht Jahre auf Totschlag eingesessen und gleich hier, in der Nähe des Knastes, geblieben. Man weiß ja nie. Den Führergruß hatte er sich angewöhnt, um, wie er sagte, »gepflegt und sauber verweilen zu dürfen«. Er brüllte ihn in ausnahmslos jede Kneipe (er sagte »Stube«) und Gnade dem, der zurückgrüßte. Nur der Ansatz einer Erwiderung, ein kleines Handstrecken oder ein schütteres »Sieg heil«, genügte, um Ronnys Rechts-Links-Kombination an den verwirrten Mann zu bringen. Der Fascho fand sich frisch demoliert vor der Tür wieder und Ronny »verweilte gepflegt in sauberer Stube«. Ronny war rot wie zehn Sowjetparteitage und es störte ihn dabei wenig, dass er als mein Chef und Unternehmer die letzte Sau war.

»Na, Hussi, du serbo-kroatisches Mistvieh? Hat sich noch kein Volksgenosse gefunden, dir den unarischen Arsch abzufackeln?«

Hussi stellte ihm seinen Pfefferminztee hin, Ronny war neben mir unser Quoten-Trockener, und grinste zurück.

»Halts Maul, alte Pfütze.«

Ronny zwirbelte vergnügt seinen Kaiser-Wilhelm-Schnauzer und würde gleich anstrengend werden vor lauter Popcornlaune. Ich hatte seine wurschtige Fröhlichkeit schon den ganzen Tag ertragen müssen. Also klopfte ich meinen Abschied auf den Tresen und schnappte die Tüte mit Bockwurst und Kümmerling. Ich folgte meiner Geburtstagseinladung.

Das war’s also. Für gestern. Bei Hussi. Der Rest ist bekannt. Oder eben nicht. Klar war nur, dass ich mich schon auf dem Weg zu meinem Fest verloren haben musste.

Das Türschloss war unbeschädigt, einen zweiten Schlüssel besaß ich nicht, und die Rekonstruktion meiner Bahnen hatte mich ihr keinen Schritt näher gebracht. Keine heiße Spur – wortwörtlich.

Sie saß auf der Treppe. Sie saß auf der Treppe. Das Licht fiel durch die Gitterstäbe des Flurfensters, und es sah aus, als würde sie ihr Gesicht in der Abendsonne grillen.

»Na?«, sagte sie.

Sie öffnete nicht einmal die Augen. Sie hob nur den Arm und ließ eine Tüte baumeln.

»Schrippn und Aspirin.«

Mein Blick raste an ihr hinauf und hinab. Bevor sie die Augen aufschlug und mich ansah, wollte ich so viel wie möglich von ihr schaffen.

»Brüste wie Rehschnauzen, Mund auf Ampelrot, Haar schwarz wie frische Teer-Allee, der Hintern – ein Michelangelo in Kondensmilch gebadet. Du wolltest alle zwei Minuten dein Ohr an meinen Arsch legen, um das Meer rauschen zu hören.«

Erwischt! Beim Spannen erwischt!

»Ja.«

Meine Stimme quietschte nach oben weg. Ich musste nachräuspern.

»Ja, kann man so sagen.«

»Man? Das hast du gesagt, du, mein Lieber. Und nicht nur einmal.«

Ihre Lider klappten hoch und rasteten ein wie Knastluken. Husky-Augen. Ich fröstelte plötzlich.

»Oder siehste das heute anders?«

»Was ich sage, meine ich auch so.«

Großer Gott, wie peinlich war ich eigentlich? Wollte ich ihr den Marlboro-Mann geben?

Sie grinste aber nicht, sie sah mich nur an. Kein Wimpernschlag, nicht einer. Ein Alligator auf seinem warmen Fels. Meine Pupillen flackerten noch vom Restsuff, und ich beschloss, dass es für mich vorteilhafter war, wenn ich am Gürtel polkte und mein Blickfeld dahin verlegte.

»Gut. Das ist gut«, sagte sie. »Das passt.«

Sie ging an mir vorbei in die Wohnung, strampelte im Flur die Hochhackigen ab und schlurfte aufs Klo. Sie ließ die Tür offen.

»Aber ich hab ein Kind. Und ich bin verheiratet, soso jedenfalls.«

»Aha.«

Auch blöde, aber was sollte ich darauf schon sagen? Die offene Tür und ihr Plätschern ließen meinen Geist nicht unbedingt mit dem Florett parieren.

»Was aha

Nun aber mal raus aus der Ringecke!

»Du hast ein Kind. Du bist verheiratet. Kein Problem.«

»Richtige Antwort. Ich liebe dich«, raunte sie so plötzlich so nah hinter mir, dass ich mich vor Schreck verschluckte. Sie hatte nicht gespült und erwischte mich unvorbereitet. Ich fühlte mich wie ein Schuljunge und spürte, wie ich wütend auf sie wurde. Oder auf mich. Wohin war mein Heimvorteil!

»Hören Sie …«

»Sie? – SIE?! – Mein Bester, wir haben gevögelt wie die Karnickel. Du hast mir einen Antrag gemacht und ich hab Ja gesagt. Sie? Sagen wir jetzt Sie

»Ich hab Ihnen … Ich hab dir …«

Sie nickte. Wieder dieser Blick. Würde er sich gnädig verdunkeln, wenn sie im Bett war? Wenigstens dann? Wenn die Augen »Spiegel der Seele« sind, dann war die ihre im Moment schockgefrostet.

Ich brauchte jetzt unbedingt einen Schluck. Egal, ob ich damit gegen mein Trockenheitsgebot verstieß: Ich stand am Rande einer Ehe. Ich ging ins Wohnzimmer, kippte ein paar Neigen zusammen, rührte mit dem Finger um und ließ das Gesöff in der Kehle gurksen. Nicht mein Trinkstil, selbst in der Not nicht, aber vielleicht würde sie sich vor diesem Saufaus zur Vernunft ekeln. Es schmeckte wie Latzhose mit Rohrfrei versetzt, aber ich schluckte und schluckte. Gestern noch war ich der erste Mann an Bord meines kleinen Kutters. Nein, es ging mir nicht prächtig, aber ich allein bestimmte den Kurs. Mein Logbuch war kein Haushaltsbuch, würde es nie werden, ich besaß ja nicht einmal einen Kühlschrank. Sie musste doch sehen, dass hier kein Wochenendeinkäufer stand, kein All-Inclusive-Verreiser, kein Mitglied des Elternbeirates. Sollte ihr Kind Papi sagen, wenn es eine Wodka-Fahne roch?

Es störte sie wenig, schlimmer: Ich schien ihr noch immer zu gefallen. Sie nahm mir das Glas aus der Hand und stürzte den Rest herunter. Sie lächelte mich an und mir wurde, als würde mir jemand einen vorgewärmten Bademantel über die Schultern hängen.

»Willst du mich heiraten?«

Hatte ich das jetzt gesagt?

Terri war ein Wunder in mindestens sechs Versionen. Wenn ich in diesen viereinhalb Wochen es tatsächlich schaffte, eine Minute allein zu sein, stiegen mir die Tränen in die Augen und ich biss mir auf die Handballen. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Terri, eigentlich Theresa (nie war ein Name unpassender), gab es als Klein-Terri: eine knallvergnügte Rotzgöre, die sich den Löffel an die Nase klebte und aus einem Satz Wäscheklammern die Flotte unserer Hochzeitsyachten erfand. Sie war Terra-Terrilei, thronte mondän auf der Mauer bei den Mülltonnen und sang betrunken in den Hof, dass die Scheiben glühten. Selbst Farian, das Nazi-Schwein von einem Hauswart, holte nicht etwa die Bullen, sondern ein Kissen aufs Fensterbrett. Er stützte seine feisten Unterarme darauf, senkte die Bulldoggen-Stirn und hörte so feierlich zu, als würde er gerade zum Hausmeister der Tafelrunde geschlagen. Und Terri als Schlampe, Luder, Vamp! Einmal, in einer Nacht, ich hatte uns gerade ein paar Tetrapaks Rotwein aus der Aral nachgeheizt, schloss ich die Tür auf und stand in einer Einflugschneise aus Teelichtern. Es war ja nicht so, dass ich seit Jessica in Askese gelebt hatte. Ich misstraute seitdem zwar allem, was sich über drei Wochen hinaus planen ließ, aber damit war ich in dieser Stadt nicht allein. Im Gegenteil. Es gab Hobbyvampire, schöne Frauen, die die Nacht mit allen geschwollenen Sinnen wollten, aber noch vor dem Morgen in ihre Ehegruft zurück mussten. Oder die, denen man zu viel angetan hatte: besser, einen Moment blind vor Lust als wieder was auf lange Sicht. Gelangweilte gab es (»Och ja du, warum auch nicht.«), kickversessene Touristinnen, Swinger, Rächerinnen, Schnupperkurstanten, Unersättliche oder jene, die einfach mal wieder was neben sich atmen hören wollten. So schnell war ich also nicht mehr zu verblüffen. Dachte ich. Jedenfalls bis dahin. Denn was Terri bot, verkükte selbst meine heißesten Erlebnisse auf Doktorspiel-Niveau. Nur ein Geschenkband um die Hüfte, nie zu langsam, nie zu hastig, bog und räkelte sie sich, hob sich auf die Zehenspitzen, spannte sich wie eine Gepardin ins Hohlkreuz, ließ ihre Haarspitzen die Grübchen (für meine Daumen) über ihrem Hintern küssen. Sie dampfte. Ihre Hände wölbten sich unter die Brüste, betteten sie wie Kronjuwelen, flossen an ihr herunter, zeichneten sie nach, die Linien ihrer Seiten, ruhten aus im Segelschwung der Taille, nur um mir dann ein für alle mal klar zu machen, dass meine Welt allein schon deshalb Leben verdient, weil sie durch diese zwei perfekten Arschkugeln teilbar war. Terri tanzte nicht, sie geilte nicht herum, sie feierte ihr Fleisch. Welcher Friede, welches Tombola-Glück musste es sein, sich schon selbst so sehr lieben zu können? Ich kam wie ein Backfisch in die Hose und merkte es nicht einmal.

Ganz anders aber Terri die Vierte, eigentlich die Terri, die mir ganz zu Anfang begegnete. Trockeneis-Terri. Herzlos wie ein Android auf Kontrolle und Beobachtung programmiert. Sie fraß ihre Blicke in jede Regung, jede Geste. Ihr entging nichts und niemand. Als ich sie das erste Mal Ronny vorstellte und er, wieder ganz das brüllende Urviech, eine harmlose Zweideutigkeit über ihren Hintern abließ, richtete sie nur fünf Sekunden die Fadenkreuze ihrer Augen auf ihn. Der große Ronny reagierte nicht anders als ich. Ein kurzes Schielen, ein Schreck, als wenn er an eine Phase Baumstrom gefasst hätte. Dann der Oberlippenschweiß, das Wegflackern der Pupillen, sein kippliges Kichern. Terri erlöste ihn, indem sie ihm auf die Stirn küsste und nachsichtig den Schritt tätschelte. Achja, Ronny Er grunzte selig wie ein Säugling. Erst im Nachhinein begriff er und wurde wütend über diese Demütigung. Genauso wie ich. Aber da wars vorbei, da wäre schon jede Reaktion noch lächerlicher gewesen. Dem Himmel sei Dank, dass ich meine Liebste in diesen Tagen nur zwei Mal so erlebt hatte.

Terri die V. war schon wieder Platin. Eine perfekte Mischung aus Hausfrau, Gastgeberin und, jetzt kommts, Handwerkerin. Tatsache! Sie kochte nicht nur, dass ich mich noch wie eine Raupe in ihre Mahlzeiten fraß, wenn sie längst kalt waren, sie fuhrwerkte auch mit Bohrmaschine, Stichsäge und selbst mit einem Trennschleifer durch meine Bude, als hätte der Baumarkt mir diese Frau geliefert. Sie verlegte meine Telefonanlage, brannte den Lack mit der Lötlampe von den Regalen und beizte sie neu, drückte einen sechzig Zentimeter langen Bohrer durch die Balken des Dachgeschosses, dübelte und versenkte, die brandroten Lippen voller Schrauben, schoss Bolzen, tackerte und schweißte sogar einen Dachträger an meinen elenden Corsa. Alles mit bester Laune. Ein Traum in Latzhose ohne Shirt und BH darunter. Es konnte vorkommen, dass ich sie von hinten liebte und dabei spürte, wie sie vorn vom Schlagbohrer durchrüttelt wurde. Wie auch immer, ich war verloren. Süchtig.

Und Terri die Sechste? Tja. Es war mir eigentlich ganz recht, dass Terri Nummer sechs vor allem schlief. Ich schlief ja auch, ich hatte es bitter nötig. Mich wunderte manchmal schon, dass es ganze Tage gab, an denen sie das Bett nicht verließ. Es verwirrte mich, doch ich drehte es mir zurecht. Ich erklärte es zu meiner Chance, endlich etwas für sie tun zu können. Wenn sie schlief, dann mit der gleichen Absolutheit, wie alle Sorten Terri das Ihre taten. Sie lag am Morgen deckungsgleich so, wie ich sie am Abend zuvor ein letztes Mal gestreichelt, geküsst und bestaunt hatte. Selbst wenn sie erwachte, an diesen drei Terri VI-Tagen, kam sie nie so recht zu sich. Eine kranke Terri? Eine sehr, sehr erschöpfte? Sie sprach kaum, und wenn, dann war das nur ein Wispern. Manchmal antwortete sie gar nicht oder weh »Ich dich auch, ich dich doch auch«, ganz gleich, was ich gefragt hatte. Verwaschene Wolkenschlieren in ihren Augen, den Blick an irgendeine Ferne verloren. Einmal, ja, einmal weinte sie auch, weinte, als hätte sie für das Wort Modell gesessen. Es schüttelte sie, Tränen und Rotz stürzten aus Augen Mund Nase, sie wimmerte wie eine Dreijährige. Ich wiegte sie. Sie wollte keine Sekunde allein sein. Sie umschlang mich mit Armen und Beinen und ich trug sie durch die Wohnung, ihr nasses, armes Kindergesicht in meiner Halsbeuge. Ich heulte gleich mal einfallslos mit. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte, wen oder was ich zu erschlagen, zu vierteilen, zu pulverisieren hatte, damit es wieder gut in ihr würde. Ich hielt sie noch die nächste Nacht und flößte Hussis Hühnersuppe in ihren matten Schnabel. Nichts. Dann, nach drei langen Nächten am frühen Morgen – ich musste wohl doch weggenickt sein –, wachte ich mit dem Gefühl auf, kurz vor einer enormen Ejakulation zu stehen. Richtig. Sie reizte mich zwischen zwei Fingerspitzen so leicht und taktsicher, wie ich es nur von ihr kannte. Da war sie wieder, die grinsende Terri 1, die Göre! Sie hatte Hunger auf »Wuascht und Torte«, wollte sofort geliebt werden, zu trinken sollte auch sein, und sie schmollte, weil ich nicht auf der Stelle begeistert war, dass sie mir Zöpfe und Ohrclips (Landschildkröten) ins Schamhaar geflochten hatte.

»Wir lieben dich, Robert Kornblum, wir lieben dich!«

Wir?

Genau. In ihren vielen Terris war sie so verschieden, dass man von jeder einzelnen hochauflösende Filme drehen könnte, und niemand, wahrscheinlich nicht einmal ihre Mutter, hätte auch nur gespürt, dass er immer nur denselben Star sah. Jedes Gesicht, jede Stimme und Haltung, ja sogar ihr Alter war bei Terri sechsfach so von Grund auf anders, dass ich mir sicher war, nicht wieder nur in einem dieser koketten Spielbetriebe des »Ewigweiblichen« zu stecken. Terri wusste nicht, konnte also nicht mit dem Wissen spielen, in wie vielen Arten sie mich umlegte. Sie schummelte und log sich nicht einfach von Rolle zu Rolle, sie roch in jeder sogar anders. Würde, nur mal angenommen, Terri-Typ IV einen Mord begehen, sich danach aber in Typ I zurück verwandeln, dann, jede Wette, ergäbe selbst die Speichelprobe eine ganze DNA kindlicher Unschuld. Sie könnte noch Blut an den Händen haben, man gäbe ihr statt Handschellen einen Bonbon aus dem Glas.

Ich unterbreitete ihr meine Terri-Theorie – sie hatte keinen Schimmer, wovon ich redete. Sie lachte nur und knaubelte an ihren Zehen.

»Du spinnst, Kornblum, aber es steht dir.« Und: »Haben die Bullen bei den Verhören wirklich Bonbongläser da?«

Ich schwor, flüsterte, schrieb und grölte ihr, wie sehr ich sie liebte, dass ich sie alt und fett und stinkend wollte, nur damit sie mir niemand nahm. Am besten sofort zusammen sterben, ineinander verknäuelt, Pyramide drüber und ab in die Ewigkeit. Nichts reichte. Kein Wort. Wenn es stimmt, dass sich die Liebe eines Mannes in den paar Sekunden nach dem Abspritzen offenbart (Fluchtgedanken oder nicht), dann liebte ich im Vollbild aller Möglichkeiten. Ich verschoss mich in ihr bis zur Bewusstlosigkeit und wurde selbst dann nicht schlaff. Kein Gedanke, auch nur eine Handbreit von ihr zu rücken. Für die Nacht bauten wir das Nötigste auf Reichweite um das Bett. Wasser, Sekt, Moskovskaya, Napfkuchen, Fleischwurst. Kam es vor, dass wir ein paar Minuten einschliefen, blieben wir ineinander und – da bin ich sicher – unsere Unterleiber bewegten sich weiter. Wie die von manchen Tieren, denen man die Rübe weghacken konnte und der Rumpf gibt trotzdem nicht auf. Schlimm war der Morgen. Oder der Vormittag. Oder der späte Nachmittag. Der Moment, in dem wir uns trennen mussten. Das soll ja bei Katzen ähnlich sein: Das Weibchen hat da so Widerhaken und zieht sich der Kater aus ihm, setzt es bestialische Schmerzen. Wir hielten unsere Gesichter, zerbissen uns die Unterlippen, flennten wie Robbenheuler und dann, langsam langsam, spalteten wir uns mit einem Wimmern zurück in zwei fröstelnde Einzelne. Blumen, Schwüre, Endgültigkeitserklärungen – sah ich sie an, wurde das so vermurkelt, so eisenbahnplattenhaft klein, wie alles wird, wenn man schnell mit seiner Boeing 747 aufsteigt. Es passte einfach nichts mehr von dem, was ich gelernt hatte. »Ich liebe dich!« klang piefig wie »Jürgen, reich mir mal bitte den Schwartenmagen.« Stand sie im Mantel in der Tür – ja, wie dann? Winkewinke, Abschiedsküsschen?

Haben wir probiert, doch. Die ganzen Standards. Rechts, links, Mitte Stirn, ich wünsch dir einen traumhaften Tag. Sie tapperte danach trostlos die Treppe hinunter, ich stand oben, spürte, wie ich ihre Gravitation verlor und begann von eins komma zwei Millionen herunterzuzählen. Irgendwomit musste die vergeudete Lebenszeit ja zu füllen sein. Ich kam nicht ganz bis zwanzig, da, drei Stockwerke tiefer, stotterten ihre Absätze und verstummten. Ihre Tasche knallte auf die Dielen, dann hallte das Treppenhaus von ihren gierigen Tritten. Ich stürzte ihr entgegen und wir krachten etwa auf der Hälfte des Weges ineinander. »Lassen Sie sofort die Frau los oder ich hole die Polizei!« und sie hatte ja Recht, die Nachbarin, die liebe verhuschte Frührentnerin vor ihrer Ein-Zimmer-Einsamkeit. Was sich da abspielte, sah so gar nicht nach zwei-junge-Menschen-mögen-sich-halt-eben aus. Theresa, an die Wand gespießt, Röcheln, spitze Schreie, Ohrfeigen, Bisse in den Hals. Ich, wie ich ihren Kopf mit der Faust in den Haaren zurückriss, um ihr Gesicht zu lecken. Der hochgezerrte Rock, das Shirt in Fetzen – na da hörts doch auf, da muss man mitm Schlauch zwischen!

Theresa stemmte mich von sich und lächelte der angejahrten Sitte allerliebst ins Gesicht.

»Pfeifen langt völlig, gute Frau, ich meine: nur, falls jemand kommt.«

Die Dame kneipte mit den Augen und knallte empört die Tür, dass der Putz in Krampfadern erblühte. Nein, tat sie nicht. Sie grinste! Ich schwöre: Theresa und das ehrwürdige Mädchen fixierten sich kurz. Zwischen ihnen rastete irgendetwas ein, von dem ich wahrscheinlich nie einen Begriff erhalten werde. Kein violetter Blitz zwischen den Polen, kein Brummen der Ladungen in der Luft. Für den Moment war ich draußen, ausgeschlossen, stand mit heruntergelassenen Hosen doof hinterm Zaun. Die Alte sah Theresa an und Theresa die Alte. So ein Spritzer hellwaches Fragen in den Augen. Theresa hielt stand und, Peng, schon strahlte der Bratwurst-Teint aus allen Falten Verständnis. Omi erinnerte an einen vergnügten Kormoran, wie sie da kichernd ihr Köpfchen zwischen die Schultern zog und – leise leise – die Tür schloss. Ich suchte Terris Blick, sie zuckte mit den Schultern. Die Fee war damit beschäftigt, meine Nase in den Mund zu nehmen. Und mir, einer männlichen Schabe, die Vierte Dimension erläutern? Warum? Wir würden dreieinhalb Stunden getrennt sein, wir hatten Abschied zu feiern. Fick mich, Liebster!

Was ich sagen will: Es gab eigentlich nichts Genaues zu sagen über Theresa und mich. Schnauze halten. Wittgenstein. Wenn ich ihr von meiner Liebe faselte, erntete ich nur spöttisches Funkeln. Frau mit Senfbecher (Wein), Liegender Akt danach, Dame mit Mettwurstbrot – genau das wars: Bilder, Filme, kleine Terri-Spots! Alle Worte ersoffen in diesem Bilder-Tsunami. Ganz gleich, was Theresa tat, ich konnte es nur bewundern, sprachlos, mit blöde hängender Unterlippe. Sie quetschte auf zungengebeulter Wange Pickel aus – in mir keimte Hymnenstimmung. Sie spießte ein Stück Hackfleisch mit einem Zahnstocher auf, fütterte mich und bohrte sich dann mit dem Ding nachdenklich im Ohr – gab es größere Anmut? »Um herauszufinden, wie sehr man liebt, muss man nur morgens um vier dem Schatz dabei helfen, seine Gulaschkotze durch den Abfluss zu pürieren. Finger weg, wenn es da eine Nuance Unwillen oder gar Ekel setzt. Sollte das Feuerchen in Bauch und Brust aber fröhlich weiter knistern: Festhalten! Festhalten! Festhalten! – Freitag, 14. 5. 2009, ungefrühstückt«, schrieb ich in mein Tagebuch. Jadoch, ich war vor Glück so dement, ich führte plötzlich ein Tagebuch. Wohin auch mit all dem? Ein Loch graben, hinein damit und zu?

Aber raus musste es. Mich zerriss es fast, den Urgrund und Sinn aller Gattungsgeschichte zu kennen und nicht vom Berge Sinai herab messianisieren zu dürfen. »Wahrlich ich sage euch …« Ich erinnerte mich, vor tausend und abertausend Jahren so etwas besessen zu haben, was man vor anderen gern einen »besten Freund« nennt. Moralfrei. Verschwiegen. Parteiisch bis zur Selbstaufgabe. Hauke Brettschneider.

Das Problem war, dass sich seit dem Tag X, dem Tag meiner Terri-Erscheinung, die Außenwelt rasant verkarstet hatte. Wen sah ich denn noch, wen traf ich? Hussi hatte meinetwegen bereits eine Krisensitzung des Sparvereins einberufen und die schrammte mit nur einer Stimme (Ronny) daran vorbei, eine Fahndung nach mir auszulösen. Stattdessen musste Karola irgendwann delegiert worden sein, mir den Rotkäppchen-Korb (zwei Literflaschen Roten, eine Großpackung Kümmerling, zehn Warsteiner, eine Büchse Rindfleisch im eigenen Saft, Aspirin) vor die Tür zu stellen. Karte, vorn eine belebende Fellatio-Studie, hinten: »Liebes Kornblümchen, alte Sau, biste krangk? Besser dich! Dieti is tot, hat dich aber noch schön gegrüst obwoler schon ganz gelb war. Hussi Rede war Scheiße (kanste besser), Fellversaufen aber 1A. Meld dich!!!!!!!!!!!!!!! Korb is von uns alle (Ronny auch, obwoler dich gefeuert hat)«

Ich hatte nicht einmal zurückgerufen. Ebensowenig wie ich die Post öffnete, auf Klingeln und Klopfen reagierte oder eine Unterhose wechselte – ich zog überhaupt keine an. So strahlend gut ich mich fühlte, ich war im freien Fall ins Asoziale, ein Sozialphobiker vergnügter Sorte. Terri und ich, zwei Kyniker in der Tonne, nun macht euch mal alle hübsch aus unserem Licht.

Und trotzdem, es war alles zu groß für mich, ich musste es unbedingt mit jemandem in verdauliche Häppchen zerreden. Ich rief ihn an, den guten Hauke Brettschneider. Terri hatte sich für zwei Stunden zu irgendwelchen Besorgungen losgerissen, und ich überredete ihn, sofort zu kommen.

Alles sollte er wissen, die ganze Pracht und Herrlichkeit. Wie frischgebadet so ein Leben sich plötzlich anfühlen könne, dass Gott keine Hülsenfrucht war, sondern wirklich und wahrhaftig vorhanden, und zwar in jeder Salzstange, unter der Dusche, zwischen zwei Tellern eines Frühstückstisches. Theresa und ich, wir werden vor Nachwuchs platzen. Im Alter von siebenundneunzig wollten wir unbedingt zeitgleich von einer Parkbank kippen. Je eine Amsel auf der Schulter. Und Herein! Herein! in die unendlichen Weiten, die diese Frau mir auftat. – Eben all das grellbunte, idiotische Zeug, was man so absondert, wenn man bis zur Unkenntlichkeit verliebt ist.

Hauke kam, ich war schon bei meiner zweiten Flasche. Ich schenkte mir nach, legte mich auf den Rücken und ließ mein Seelchen zur Zimmerdecke steigen. Ich schielte vor Glück oder Suff und – Hauke schwieg, trank, schwieg, hörte sich alles an, was ich ihm da herunterraste. Dann grinste er unsicher »Dich hats erwischt, und also bist du momentan zutiefst gestört, arscheinwärts, gewissermaßen.«

Er legte den Kopf schief und betrachtete mich wie etwas, was man zwar interessant findet, aber lieber nur mit einem spitzen Stock anstoßen will.

Als ich ihm dann aber – nicht ohne Stolz – den Karton ungeöffneter Briefe, Rechnungen und Was-weiß-ich präsentierte, wurde sein Grienen schmaler. Ganz wie es ein echter Freund zu tun hat, stellte er besorgt sein Glas ab, zog sich die Kiste zwischen die Beine und startete das Notfallprogramm. Stay and play or scoop and run, kämpfe noch am Ort um das Leben des Patienten oder schnapp ihn und ab in den Rettungshubschrauber. Hauke kniff die Augen zusammen als wären sie entzündet. Ich quatschte, krähte, pfiff völkisches Liedgut oder randalierte einfach vor mich hin. Seine Hände rissen immer unbeherrschter an den Kuverts.

»Eigentlich«, er stierte auf ein Papier, lachte wie ein Schuss und stieß den Karton mit dem Fuß von sich. »Eigentlich, mein Guter, gehörst du nun zu den Fällen, wo sich jede lebensverlängernde Maßnahme erübrigt.«

»Pah! Nun sei er mal nicht so ein Fliegenbeinzähler!«

»Es kann nur Stunden dauern, und die Gerichtsvollzieher stehen in Sechserreihen vor der Tür.«

»Wenn du Terri gesehen hast, wirst du verstehen und Halleluja grölen.«

Moment! Wo war sie eigentlich? Ich wühlte unter den verschwitzten Laken den Wecker hervor. Beide Zeiger standen fest auf 16.17 Uhr, pulsten unter ihren Kaugummis wie gefangene Tierchen. Ich erinnerte mich, dass ich den Zeitpunkt unserer ersten Bettbegegnung für die Nachwelt hatte festhalten wollen und grinste dabei schon wieder wie Kindergeburtstag. Hauke stöhnte.

»Ich tu mir das nicht weiter an! Du gehörst in einen Raum ohne Klinken. Sauber gefliest, morgens und abends mit einem C-Rohr ausgespritzt. Ich füttere dich mit Fleisch an ‘ner Eisenstange. Machs gut!«

»Wie spät ist es?!«

Hauke sah auf die Uhr und knurrte etwas, was wie Acht oder Nacht klang.

»Nicht wahr!«

Hauke zeigte mir die Uhr.

»Also, dieser kleine korpulente Zeiger hier hat eine dürre Schwester. Und wenn …«

»Hör auf, du Idiot! Ihr muss was passiert sein!«

»Das lässt für dich hoffen.«

Ich war schon am Telefon, wählte, grabschte mit der anderen Hand nach irgendeinem Shirt, einer halbwegs veröffentlichbaren Hose. Terri war anderthalb Stunden überfällig. Sie lag unter einem Bus. Ein Kommando Tamilen hatte sie verschleppt. Sie dümpelte im Schilf, ein Vergewaltiger in verschwitztem Unterhemd holte sich auf ihre Leiche einen runter. Ich hatte sie zu retten, und ich Arschloch quatschte hier mit diesem Penner.

»Und ich Arschloch quatsche hier mit dir Penner!«

Hauke setzte zu einer seiner legendären Kopfnüsse an, sah dann aber an mir irgendwas, was ihn zurück hielt. Mitleid wie vor einem halbzerfahrenen Welpen. Ich selbst sah kaum noch etwas. Hauke, das vermüllte Zimmer, die Kisten mit den Rechnungen, alles waberte in einer unerträglichen Hitze. Ich erbrach mich, Hauke sprang mit beiden Füßen auf den Sessel und fischte das Telefon am Kabel zu sich heran.

»Ihre Nummer!«, brüllte er mich an.

»Wie?!«

»Sag mir ihre Nummer, Sackgesicht!«

Ich jammerte ihm die Nummer hin. Hauke wählte und ließ mich mithören. Die Ruftöne dröhnten wie Nebelhörner ins Leere. Anrufbeantworter. Ihre liebe Stimme – das einzige, was mir von ihr bleiben würde: »Sagt was oder lasst es. Terri«. Ich jaulte auf.

Auf meinem Gesicht klatschte es zwei Mal und im Raum wurde es ruhig. Nur der letzte Quietschlaut eines niederen Nagers hallte nach. War ich das? Hatte ich gequietscht?

»Herrgott, reiß dich zusammen!«

Ich sah Hauke an.

»Und sieh mich nicht an mit diesen blöden Bambi-Augen! Ist ja ekelhaft!«

Er sagte »e-kel-haft«!

War es der Rhythmus der Vokabel oder die Vorstellung, Terri müsse mich so wehleidig erleben – ich wurde nüchtern und klar und wurde belohnt. Das Telefon, es klingelte. Hauke riss mich zurück und nahm den Hörer. Zu meiner Schonung jetzt ohne die Lautsprecher. Er blickte mich giftig an, sprach aber sehr ruhig und sachlich: »Nein, ich bin nur der, naja, Freund dieses Mannes … Ja, er ist hier … Nur … Sie können mit mir reden …« Er wehrte mich mit dem Unterarm ab, musste mich aber bald wegtreten. »Hm. Hm. Verstehe. Hm.« Wie ich ihm diese Vernunftlaute samt Unterkiefer hätte wegdreschen können!

Hauke erwischte mich mit einer Beinschere, und stopfte mir den Handballen zwischen die Zähne. »Ja, kein Problem, wir kommen.«

Er presste mir die Nasenflügel zusammen und löste vorsichtig seine Hand aus meinem Gebiss. Fachmännisch redete er zum Halbkreis meiner Zahnspuren:

»Wenn das, wie ich annehme, die gemeine Tollwut ist, die dich da umtreibt, dann …«

»Was ist ›kein Problem‹, WAS?!!!!!« Wer war da am Apparat, die Gerichtsmedizin?

»Herzdame ist blau, sturzbesoffen. Und sie muss sich mit den letzten Drinks auch noch ein paar Bullen zur Brust genommen haben. Beleidigung. Anzeige. Aber wir können sie aus ner Ausnüchterungszelle kratzen. Wäre gut, wenn du da halbwegs trocken aufschlagen könntest.«

Er steckte sich eine Zigarette hinter das Ohr und zerrte mich an den Haaren ins Bad. Schnelle Griffe, ein finaler Halbnelson und ich lag in der Wanne wie eine Schweinehälfte. Er riss den Duschkopf ab und jagte den kalten Strahl über mich. Ein Dickhäuterpfleger kurz vor Dienstschluss. Keine Gnade mit der Kreatur. Wenn ich aus der Wanne robben wollte, meine Hände schon den Rand umklammerten, trat er einfach drauf. Ich ging auf Hechelatmung und verlegte mich darauf, die Prozedur zu überleben – ich krümmte mich in Embryonalstellung um meine Restwärme. Endlich zündet Hauke sich die Zigarette an und drehte den Hahn ab.

»Sag Erbschaftssteuergesetzgebung.«

»Erbafschssteuergesetztsgebung.«

Haukes Miene verdüsterte sich weiter.

»Das Beste ist, du sagst gar nichts. Ich übernehme die Verhandlungen. Wenn du noch mal göbeln musst, dann bitte jetzt. Können wir nachher nicht brauchen.«

Hauke – mein Ritter!

Terri lag nicht auf einer kahlen Gummimatte inmitten ihrer Exkremente, sie kniete auch nicht im flackernden Neon vor der Zellenwand, um mir mit splitternden Fingernägeln ihre letzten Botschaften in den Putz zu kratzen, Terri saß auf einem Bürostuhl, drehte ihn ein wenig mit dem Hintern und wippte mit dem Fuß.

»Wurde auch Zeit!«, sagte sie.

Ein Beamter, ein dicker Junge, in die Uniform wie in Naturdarm gedrückt, verfächelte tapfer den Qualm ihrer Zigarette. Seine Schweinebäckchen flammten hellrot auf, als wir eintraten. Kein Zweifel, der Mann war verlegen, wir hatten ihn bei irgendetwas erwischt, und Hauke, kluger Hauke, setzte sich ohne Gnade auf die Situation.

»Soso, Ausnüchterungszelle also. Kaffee Kuchen Konversation. Na da bechert man doch gern mal einen überm Limit.«

Der Dicke schnappte leer, dass die Lippen plappten und ging daran, seine Papiere messerscharf auf Kante zu legen.

»Terri …«

Er nannte sie Terri?!

»Äh, Frau Mind erholte sich erfreulich rasch und entschuldigte sich in aller Form. Und, ähm, angesichts ihrer Situation – also wir sind ja keine Unmenschen sind wir nicht.«

Grinsen.

Ihrer Situation?

»Das heißt also, Sie halten sie grundlos hier fest?«, blaffte Hauke.

Er hatte sich offenbar in den Bullennacken verbissen. Er stand unter Waffen, und nun sollten die auch benutzt werden. Terri musterte ihn interessiert.

»Grundlos! Herr Mind, ich bitte Sie! Ich habe keinesfalls vor, mich in Ihre Privatangelegenheiten zu mischen, aber Sie sollten sich schämen, eine … eine solche Frau so zu behandeln!«

Fünf kleine Weißwürste ballten sich zu einem Kinderfäustchen, das Kinn riss den Hals aus seiner gemütlichen Dreifaltigkeit, die Rangabzeichen funkelten scharf: ehrliche Empörung, ehrlich und hausbacken. Terri gluckste ein Lachen herunter, sekundierte dann aber ihren heißfackelnden Beamten mit Schmerz im Blick. Ja, dieser Herr Mind, was für ein Miststück! Hauke sah sich kurz vor einem technischen K.O. Sein Blick glitt an Terris Leidensmiene ab und graste unsicher in meinem Gesicht. Hohe Zeit, einzugreifen. Ich hustete mich in die Verhandlung.

»Hören Sie, guter Mann, ich bin hier der Herr Mind und richtig, unsere privaten Probleme gehen Sie rein gar nichts an.«

Das war schlaff. Das war Schuldbekenntnis. Ich spielte es ihm genau in den Ton, in dem er sich zu Hause fühlte: kleiner bockiger Gatte am Fuße der Staatsgewalt. Erst prügeln, dann wimmern, Freundchen das kennen wir.

»Das kennen wir. Hauchen Sie mich an!«

Hauke schlug mit der flachen Hand auf den Empfangstresen. Terri quietschte geil.

»Das wird er nicht tun! Hören Sie, als Anwalt und Freund dieser Familie sage ich Ihnen: Dieser Mann ist in Sorge um seine … seine etwas verwirrte Frau. Und er kann ihr besser helfen als Sie mit Ihrem Kaffee-Pläuschchen. Übrigens: Ist das der Stil Ihrer Dienstverrichtung? Dürfte ich dazu einmal Ihren Vorgesetzten befragen?«

»Verwirrt?!!!«, kreischte Terri.

Sie sprang auf, riss sich das Shirt hoch und präsentierte meine, unsere!, Liebesspuren. Die Haut, weiß wie Engelsschwinge, ihr Gesicht war ein einziger Schrei der Klage. Aus den Knutschflecken, den zarten Kratzerchen meiner Fingernägel wurden Stigmata tausendjährigen Frauenleidens. Hauke erbleichte.

»Verwirrt?!«, wiederholte sie und sah empört in die Runde.

Drei blöde glotzende Männer vor Halbakt – was für ein Motiv! Terri kicherte.

»Hilfe, seid ihr süß!«

Wir sind WAS?!

Terri stopfte ihr Hemd in den Hosenbund zurück, tätschelte leichthändig den Beamtenkopf aus der Versenkung und quirlte zwischen uns, noch bevor wir aus der Welt der Zeitlupen auftauchen konnten. Sie hakte sich unter, das Prinzip »Leben«, umpfahlt von zwei gehbehinderten Idioten. Schöner Abend, Danke Jungs, und was machen wir jetzt? Wir waren noch immer zu keiner Reaktion fähig. Sie aber schon. Sie wandte sich noch einmal munter an den Beamten und zwitscherte:

»Meine knuffige Lieblingspolizei, wir müssen los. Nimms meinen beiden Lothars nicht übel – sie meinen es nicht böse.«

Der Dicke nickte und griff nach Dienstmütze und Mantel. Tatsächlich, ein Impuls wie Feierabend durchzuckte ihn. Der wollte mit, der arme Mann, raus aus dem Muff seines Dienstzimmerchens und hochauf zum Parallelflug mit dieser duftenden Frau. Terri lachte und führte uns ab. Spiel-Ende. Als wir losfuhren stand er in der Tür, einsam wie der Mann im Wetterhäuschen.

»O Himmel, wat‘n Eimer Scheiße, der Mann!«

Terri drehte den Innenspiegel vor ihr Gesicht, sie wollte sich schminken. Hauke drehte ihn wieder zurück und riss am Schalthebel, als habe er ein Schwein zu tranchieren. Machtworte, wenigstens eine schnelle Zurückweisung, vielleicht nur meine Hand, beruhigend und bestimmt auf Terris Schulter – das erwartete er jetzt von mir. Er war bedient und, Liebe hin Liebe her, er verlangte, dass »der Arsch angeschraubt bleibt«, ganz gleich wie sehr es einen durchglühte.