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Für die beiden Monster Elmar und Oliver

1

Zottelkralles Höhle lag gut versteckt unter einem alten Gartenschuppen. Direkt neben der von Stinkefell und Trüffelzahn. Für den Haupteingang hatte Zottelkralle drei Holzbretter im Schuppenboden gelockert. Und neben der Schuppentür, sorgfältig verborgen zwischen einem hohen Brennnesselwald, lag der Notausgang. Denn Zottelkralle war ein Erdmonster und Erdmonster sind vorsichtige Wesen.

In Zottelkralles Höhle roch es nach Regenwürmern und Tausendfüßlern wie bei allen Erdmonstern. Aber der Höhlenboden war mit weichen Menschenpullovern gepolstert. Und in den Ecken stapelten sich die Menschensachen, die er zusammengestohlen hatte.

Zottelkralles Nachbarn Stinkefell und Trüffelzahn kamen ihn nur sehr ungern besuchen.

»Igittigittigitt!«, stöhnte Stinkefell jedes Mal, wenn er den struppigen Kopf in Zottelkralles Höhle steckte. »Hier riecht es ja widerlich.« Und dann hielt er sich immer mit mindestens zwei seiner vier Tatzen die dicke Nase zu.

Trüffelzahn murmelte nur was von Menschendreck und verschwand gleich wieder in ihrer Höhle. Dort roch es nämlich köstlich nach Hunderten von Kellerasseln.

Zottelkralle war völlig egal, was die beiden dachten. Sollten sie doch Kellerasseln knacken und glücklich ihre Flohstiche kratzen. Sollten sie sich ruhig grunzend im Schlamm wälzen und glitschige Nacktschnecken verschlingen. Ihm reichte das nicht.

O nein.

Wenn die anderen beiden nachts die Mülltonnen der Menschen nach allerlei Scheußlichkeiten durchwühlten, schlich Zottelkralle auf pelzigen Sohlen zum Menschenhaus.

Wie ihn die erleuchteten Fenster anlockten! Und die Musik. Oh, die schauderlich schöne Klimpermusik! Weich wie Würmer wurden seine Knie davon.

Meist lugte Zottelkralle nur durch die Scheiben oder lauschte mit feinen Monsterohren an der Mauer. Aber manchmal, wenn die Nacht besonders dunkel war und nichts im Menschenhaus sich rührte, öffnete er die große Tür und schlich hinein. Das lächerliche Türschloss war ein Klacks für seine Monsterkrallen.

Ach, was gab es dadrin für aufregende Dinge! Zottelkralles Nachtaugen brauchten kein Licht, um die Wunder in der Finsternis zu entdecken. Grunzend wälzte er sich auf den dicken Teppichen und drückte sein Fellgesicht in die weichen Kissen. Aus dem eiskalten Ding, in dem die Menschen ihr Essen sammelten, stahl er die köstlichsten Speisen und stopfte sie schmatzend in sich hinein.

Zum Schluss aber schaute er sich jedes Mal die schlafenden Menschengesichter an und staunte über ihre nackte, felllose Haut.

»Diese Menschen sehen aus wie Nacktschnecken«, spottete Stinkefell immer. »Wie riesige bleiche Nacktschnecken.«

Na, war ihr struppiges Monsterfell vielleicht besser?, dachte Zottelkralle. Dauernd setzten sich Flöhe oder Läuse hinein. Den Ärger hatten Menschen bestimmt nicht. Sie rochen auch nicht nach feuchter Erde, sondern nach Seife. Hmmm, Seife!

Einmal nahm Zottelkralle so ein Ding aus dem Menschenhaus mit. In seiner Höhle fraß er es dann auf. Es schmeckte herrlich.

»Mit dir wird es noch mal ein schlimmes Ende nehmen!«, sagte Trüffelzahn. »Du stinkst schon wie ein Mensch. Pfui Mäusedreck!«

»Na und?«, fragte Zottelkralle, und seine grünen Augen wurden ganz rot vor Wut. »Ihr werdet noch staunen. O ja!«

»Worüber denn?«, fragten seine Monsterfreunde beunruhigt.

Doch Zottelkralle bleckte nur die Zähne und grinste. Sein köstlich kluger Plan ging die zwei überhaupt nichts an.

O nein.

 

2

Zottelkralles Plan war ganz einfach. Er wollte zu den Menschen ziehen. Jawohl. Schließlich hielten sich manche von ihnen Katzen und Hunde, wieso dann nicht auch ein Erdmonster? Wo Erdmonster doch viel schlauer sind als Hunde oder Katzen und viel unterhaltsamer.

In dem Haus, zu dem Zottelkralle immer schlich, wohnten drei Menschen – zwei große und ein kleiner. Der große Mensch mit den Haaren im Gesicht war fast nie da. Die große Menschenfrau war Zottelkralle unheimlich, weil sie Glas vor den Augen hatte. Aber der kleine Mensch war genau richtig.

Er war nur doppelt so groß wie ein Erdmonster, hatte ein gemütlich aussehendes Bett und rätselhafte Spieldinger. Genau die richtige Gesellschaft für ein schneckenschlaues Monster.

Eines Abends, als Trüffelzahn und Stinkefell längst in der Dunkelheit nach Würmern herumwühlten, stopfte Zottelkralle eine Dose Würmer in seine Tasche. Erdmonster bekommen fürchterlichen Haarausfall, wenn sie nicht ab und zu einen Wurm fressen. Und in Menschenhäusern hatte Zottelkralle noch nie Würmer gefunden. Weiß der Geier, was die gegen Haarausfall aßen.

Sein Monsterherz klopfte wild, als er den Tunnel zu seinem Hauptausgang hinaufkroch. Er schubste die losen Holzbretter zur Seite und hopste auf den staubigen Schuppenboden. Dann schob er die Bretter wieder an ihren Platz und lief in den nächtlichen Garten hinaus.

In der Dunkelheit hörte er Stinkefell und Trüffelzahn streiten. Erdmonster streiten sich dauernd und meist endet so ein Streit mit einem Ringkampf. Was bei vierarmigen Monstern eine teuflisch wilde Sache ist.

Geht bestimmt um einen besonders fetten Wurm, dachte Zottelkralle. Die Monsterspucke lief ihm im Maul zusammen, aber er lief weiter. Schließlich hatte er Wichtigeres vor. Jawohl.

Sollten die zwei sich doch bis an ihr Lebensende wegen alberner Würmer prügeln, in ihren muffigen Höhlen hocken und sich im Winter die Schwänze abfrieren. Er, Zottelkralle, würde in einem warmen Menschenbett liegen und Menschentorte fressen. O ja! Mit hastigen Schritten lief er auf das Menschenhaus zu.

Dunkel und still lag es da. Nur ein schwaches Licht brannte über dem Eingang. Auf krummen Beinen kletterte Zottelkralle die drei Stufen zur Haustür hinauf. Vorsichtig schob er eine spitze Kralle in das Schloss. Knacks!, sprang die Tür auf. Das Erdmonster schob sich hindurch und lauschte.

Nichts. Nur ein leises Ticken irgendwo. Leise schloss Zottelkralle die Tür und huschte zur Treppe. Er wusste genau, wo er hinwollte.

Das Zimmer des kleinen Menschen war im ersten Stock, gleich neben der Treppe. Die Tür war nur angelehnt. Mondlicht fiel durch die Vorhänge ins Zimmer. Von dem Menschlein war kaum etwas zu sehen, nur helles, zerwühltes Haar auf dem Kopfkissen.

Zottelkralles gespitzte Ohren lauschten dem ruhigen Atem. Unschlüssig stand er da, die Tasche in der Hand. Er holte seine Dose hervor und stopfte sich einen angetrockneten Wurm in den Mund. Hm, ja, das tat gut.

Schmatzend tapste er auf das Bett zu, stellte seine Tasche auf den Nachttisch und kroch zu dem kleinen Menschen unter die Decke. Ah, war das warm! Und hmmmm! Zottelkralles Nase schnüffelte genüsslich. Da war auch wieder dieser herrliche Seifengeruch! Grunzend vor Wohlbehagen wühlte er sich in die weichen Kissen.

Ha, wenn Trüffelzahn und Stinkefell mich jetzt sehen könnten, dachte er. Zerplatzen würden die vor Neid. Und dann war er auch schon eingeschlafen.

3

Der kleine Mensch, in dessen Bett Zottelkralle gekrochen war, hieß Kalli. Und er wurde davon wach, dass etwas neben ihm schnarchte. Laut und regelmäßig. Kalli kniff sich in den Arm. Aber das Schnarchen war immer noch da.

Vorsichtig hob er die Decke, schob ein Bein heraus, dann noch eins – und sprang aus dem Bett. Hastig knipste er das Licht an. Was er sah, verschlug ihm den Atem.

Etwas Rotes, Struppiges kroch unter seiner Decke hervor. »Hey, was ist los?«, knurrte es ärgerlich. »Mach sofort das Licht aus!«

Erschrocken gehorchte Kalli. Aber auch im Mondlicht war das scheußliche Vieh deutlich zu sehen.