Linda Chapman

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Sternenschweif

Die magische 
Versammlung

KOSMOS

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

unter Verwendung einer Illustration von Silvia Christoph, Berlin

Textillustrationen: © Biz Hull

Sternenschweif – Die magische Versammlung, erzählt von Ina Brandt

Based on characters created by Working Partners Ltd.

© Working Partners Ltd., 2008

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele

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Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-13954-7

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

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Laura saß auf einem alten Baumstamm, der am Boden lag. Hellgrünes Moos hatte sich wie ein Teppich darauf ausgebreitet. Sie stützte sich mit den Armen links und rechts ab und streckte die Beine weit von sich. Ein Schmetterling mit gelben Flügeln und schwarzen Tupfen darauf kam angeflogen. Er flatterte ein paarmal um Laura herum und setzte sich dann auf ihren Schuh. Wie sie schien er die ersten wärmenden Strahlen der Frühlingssonne zu genießen. Das Wetter sollte die ganzen nächsten Tage so bleiben. Perfekt für die Osterferien.

„Ach, Sternenschweif“, seufzte Laura zufrieden. „Es gibt einfach keinen schöneren Ort als die geheime Lichtung.“

„Ganz deiner Meinung“, erwiderte Sternenschweif und legte sanft seine weichen Nüstern auf ihre Schulter. Laura streichelte ihn und betrachtete nachdenklich sein silbernes Horn. Als sie Sternenschweif damals zusammen mit ihrer Mutter gekauft hatte, hätte sie nicht im Traum daran gedacht, dass sich hinter diesem grauen, etwas struppigen Pony ein Einhorn verbarg. Mrs Fontana, die alte Buchhändlerin in der Stadt, hatte ihr geholfen, dieses Geheimnis zu lüften. Sie hatte selbst einmal ein Einhorn besessen.

„Ich könnte stundenlang hier sitzen und mit dir reden“, fuhr Laura fort. „Das Gute ist, dass niemand außer uns je hier ist. So können wir immer sicher sein, nicht entdeckt zu werden.“

Keiner außer denjenigen, die selbst ein Einhorn besaßen, durfte ein Einhorn in seiner wahren Gestalt sehen. Es war zu gefährlich, da sonst seine magischen Fähigkeiten für falsche Zwecke missbraucht werden könnten.

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„Ist es nicht großartig, wie sehr sich Nachtwinds Flugkünste verbessert haben?“ Laura dachte an das kleine Einhorn ihrer Freundin Grace, das sie letzte Nacht besucht hatten. Als es noch ein Fohlen war, hatte sie bereits gespürt, dass sich mehr hinter dem staksigen kleinen Körper verbarg. Seitdem Grace herausgefunden hatte, dass ihr Pony tatsächlich ein Einhorn war, besuchten Laura und Sternenschweif die beiden nachts hin und wieder. Dann zeigte Sternenschweif Nachtwind den einen oder anderen Trick beim Fliegen. Das machte beiden viel Spaß. Versunken betrachtete Laura einen kleinen Vogel, der sich neben sie auf den Baumstamm gesetzt hatte und im Moos pickte. Mit schräg gelegtem Kopf schaute er sie an.

„Ich erinnere mich noch gut, wie unsicher deine ersten Flugversuche damals waren“, fuhr Laura fort. „Für Nachtwind war es natürlich toll, dass du an seiner Seite warst. Er war am Schluss schon richtig gut.“

„Ja, wie er über diesen einen hohen Baumwipfel hinweggesetzt und danach gleich abgedreht ist, das war nicht schlecht“, bemerkte Sternenschweif anerkennend.

„Allmählich fühle ich mich auch als Hüterin schon besser“, sagte Laura nachdenklich. „Am Anfang habe ich ja nicht geglaubt, dass ich es schaffe. Für mich war Mrs Fontana die beste Hüterin überhaupt. Ich dachte die ganze Zeit über, ich muss alles genau so wie sie machen. Aber jetzt weiß ich, dass meine Art auch in Ordnung ist.“

Mrs Fontana war vor einigen Monaten plötzlich gestorben. Sie hatte einen Brief für Laura hinterlassen, in dem sie ihr mitgeteilt hatte, dass sie nun die Hüterin der Einhorngeheimnisse wäre. Das war eine Auszeichnung. Man musste sich als Einhornfreund bewährt haben, um dazu auserwählt zu werden.

„Allmählich bist du schon ein richtig alter Hase“, neckte Sternenschweif sie. „Du wirst sehen, bald kannst du sogar andere in die wichtigen Aufgaben einer Hüterin einführen.“

„Großartige Idee“, antwortete Laura lachend. „Davon bin ich noch meilenweit entfernt. Ich bin jetzt erst einmal froh, dass ich herausgefunden habe, wie ich die Sache angehe. Ich habe keine Ahnung, wie das andere machen. Schließlich kenne ich keinen einzigen Hüter, den ich fragen könnte.“

„Ach, im Grunde ist es ja auch ganz egal, wie andere diese Aufgabe erfüllen“, entgegnete Sternenschweif. „Hauptsache, man steht den Leuten zur Seite, die ein Problem haben, und hilft ihnen dabei, es zu lösen.“

„Wenn ich an unsere Liste mit den Namen denke, dann haben wir noch einiges vor uns.“

In der Kiste, die Mrs Fontana ihnen hinterlassen hatte, hatte Laura eine Menge Dinge gefunden. Unter anderem die von ihr erwähnte Liste. Sie enthielt eine lange Reihe an Namen von Einhörnern und ihren Freunden. Die Einhornnamen, die in Blau geschrieben waren, bezeichneten Einhörner, die bereits nach Arkadia zurückgekehrt waren. Arkadia war das Land, aus dem alle Einhörner kamen und in das sie am Ende zurückkehrten. Violett geschriebene Namen standen für Einhörner, die mit ihrem Einhornfreund zusammenlebten. Ganz blass war die Schrift in den Fällen, wo sich das Einhorn und sein Freund erst noch finden mussten.

„Wir müssen unbedingt noch mehr über den Inhalt der Kiste erfahren“, überlegte Laura. „Wir haben zwar herausgefunden, dass dieser ovale Stein aus der Kiste rosa schimmert, wenn wir den Namen eines Einhorns und seines Freundes nennen, die Hilfe brauchen. Aber über die meisten anderen Dinge wissen wir noch gar nichts. Zum Beispiel diese fünf alten Fläschchen mit den seltsamen Einritzungen darauf. Keine Ahnung, ob sie alle einen Zaubertrank enthalten oder das einfach nur Wasser ist.“

„Den Mutmachtrank wollten wir ja bei Kareen ausprobieren, damit sie sich traut, wieder auf Silbermond zu reiten. Aber leider hast du ihn ja dann mit deinem selbst gefertigten Liebestrank für die Ponyparty verwechselt. Somit wissen wir immer noch nicht, ob es ein echter Zaubertrank ist oder nicht.“

„Das werden wir heute auch nicht mehr herausfinden“, bemerkte Laura mit einem Blick auf die Uhr. „Es ist schon spät. Ich habe meiner Mutter versprochen, ihr beim Abendessen zu helfen. Heute sind doch die alten Unifreunde von meinem Vater zu Besuch. Und meine Mutter merkt ihren Bauch jetzt mehr und mehr.“

In vier Monaten sollte Laura ein Geschwisterchen bekommen. Manchmal konnte sie es immer noch nicht fassen. Aber sie freute sich schon sehr. Ihre Mutter sollte sich jetzt eigentlich mehr ausruhen.

„Lass uns schnell nach Hause reiten!“, bat sie Sternenschweif. Sie murmelte den Zauberspruch, um Sternenschweif wieder in ein normales Pony zu verwandeln:

Strahlendes Einhorn, zauberhaft

und voller Macht,

du leuchtest hell in dunkler Nacht.

Kein fremdes Aug’ darf dich entdecken,

deine wahre Gestalt musst du verstecken.

Magisches Einhorn hier auf Erden,

sollst nun ein Pony wieder werden.

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Kaum waren die letzten Worte verklungen, stand Sternenschweif wieder als ganz normales graues Pony vor ihr. Laura stieg auf, und sie machten sich auf den Heimweg. Sie musste sich immer wieder ducken. In den schmalen Weg, der von der Lichtung durch den Wald führte, ragten die ausladenden Zweige der alten Tannen. Schließlich kamen sie auf den größeren Hauptweg, der auf die Felder führte.

„Was hältst du von einem kleinen Abendgalopp?“, fragte Laura grinsend. Sternenschweif schnaubte. Was für eine Frage! Er senkte den Kopf und preschte los. Laura jauchzte, während das zaghaft sprießende Grün der Felder an ihr vorbeisauste.

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