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Marc Halupczok

Louis de Funès

Hommage an eine unsterbliche Legende

1. Auflage März 2013

©opyright 2012 by Marc Halupczok

Lektorat: Anna Matthejitis

E-Book-Konvertierung: nimatypografik

ISBN: 978-3-939239-56-7

Bildmaterial: ddpimages

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Für Oma Helga und Kascho. Danke für die vielen

tollen Abende mit euch und Louis de Funès!

Inhalt

Vorwort

1. Der Hungerhaken aus Courbevoie (1914–1938)

2. Harte Zeiten (1939–1949)

3. Erste Erfolge (1950–1954)

4. Männer, Schweine und Paris (1955–1959)

5. Sprechende Bilder und der Teufel (1960–1962)

6. Zu den Sternen (1963–1965)

BILDTEIL 1

7. Höhepunkt auf Höhepunkt (1966–1967)

8. Der französische Erzkasperl und sein Schloss (1967–1969)

9. Von Mördern und Sonntagsfahrern (1970–1973)

10. Der Rabbi, die Keule und das Herz (1973–1977)

11. Rauchvernichtungsmaschinen und Außerirdische (1978–1980)

12. Der Vorhang fällt (1981–1983)

13. Fazit

Anhang 1Das große Louis de Funès-Quiz

Anhang 2

Quiz-Auflösung

Anhang 3

BILDTEIL 2

Vorwort

Wenn bereits wenige Gesten und Laute ausreichen, um einen seit 30 Jahren verstorbenen Schauspieler wieder zum Leben zu erwecken, und ihn selbst Kinder sofort erkennen, dann muss es sich um einen besonderen Zeitgenossen handeln. Und Louis Germain David de Funès de Galarza, kurz: Louis de Funès, war so ein besonderer Zeitgenosse. Seine Karriere ist in ihrem Verlauf einzigartig, seine Popularität, vor allem in seiner Heimat Frankreich, in Deutschland und in Russland, ungebrochen. Im Fernsehen laufen seine Abenteuer immer wieder, er gehört auch in kommerzieller Hinsicht zu den erfolgreichsten europäischen Schauspielern der Nachkriegszeit. Dabei musste er lange Jahre als unterbezahlter Barpianist auftreten und in rund 80 Filmen und diversen Theaterstücken Nebenrollen spielen, bis jemand sein besonderes Talent erkannte. Er selbst wurde sein Leben lang von der Angst getrieben, wieder in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Auch dann noch, als er bereits wohlhabender Schlossherr, Jaguar-Besitzer und Superstar war. Dabei interessierte es ihn nicht, wenn die Kritiker die Nase über seine Filme rümpften und ihm vorwarfen, er sei nur auf das schnelle Geld und leichte Unterhaltung aus. Louis de Funès wollte, dass die Kinosäle bei seinen Filmen aus allen Nähten platzen und die Leute sich amüsieren. Beides hat er geschafft. Er prägte und prägt Generationen von Filmfans, die sich immer wieder über ihren Louis amüsieren können. Egal ob er als chaotischer Polizist durch Saint-Tropez tobt, mit seinen Leibeswinden Außerirdische anlockt oder als Restaurantkritiker schlechte Köche ruiniert und so Frankreichs berühmte Küche rettet. Es gibt nur wenige (bekannte) De Funès-Filme, in denen er einen durchweg sympathischen Menschen spielt. Meist verkörperte er den Choleriker, den fiesen Vorgesetzten, die absolute Nervensäge. Dabei war er in den seltensten Fällen wirklich böse, aber dafür umso anstrengender. Auch deshalb ist es erstaunlich, dass er sich die Beliebtheit beim Publikum erarbeiten konnte, das ja gerne mal den Menschen und die Rollen, die er oder sie spielt, verwechselt.

Wie weit seine Anhängerschaft bis heute reicht, beweisen die Lobeshymnen, die Prominente auch heute noch auf den kleinen Franzosen mit spanischen Wurzeln singen. Auf der Fanseite www.defunes.de, die für dieses Buch als eine Recherchequelle genutzt wurde (siehe Danksagungen), haben sich einige ganz unterschiedliche Künstler zu Louis de Funès geäußert. So sagt Christoph Biemann, bekannt aus «Die Sendung mit der Maus»: «Ich erinnere mich noch gerne an die Kinobesuche mit meiner Tochter in den Funès-Filmen. Sie starrte stumm und gebannt auf die Leinwand. Ich dachte, sie hätte gar keinen Spaß – bis sie mir und meiner Frau begeistert die Gags bis ins Detail erzählte. Bretter, Bretter, Bretter [aus Oscar von 1967 – Anm.d.A.] ist bis heute ein Standard in unserer Familiensprache.» Rodrigo González von die ärzte teilt mit Louis nicht nur einen spanisch klingenden Namen. «Ich sammle seit 1989 Louis de Funès-Filme und habe mittlerweile ’ne Menge ausrangierter, ausgeleierter Videoverleih-Editionen... Die Melodien von Vladimir Cosma oder Michel Magne (Fantomas) haben sich so in mein Unterbewusstsein gebrannt, dass ich jetzt auf der Suche nach den Soundtracks bin, um mir die kleinen Werke in voller Länge anhören zu können.» Und der Comedian Ingo Oschmann, der sich in Sachen Gestik ohne Frage eine Menge beim kleinen Franzosen abgeschaut hat, meint: «Brust oder Keule habe ich geliebt, wie viele andere Filme von ihm auch. Aber mein absoluter Lieblingsfilm sind die Kohlköpfe. Angefangen von der Titelmusik (Générique), bis zur Handlung. Einfach nur genial. Der Film hat alles, was einen guten Film ausmacht. Super Humor und eine Traurigkeit, die mich heute noch umhaut. Wenn ich nur an den Film denke, bekomme ich Lust, ihn zu sehen. Meine Freunde und ich schauen ihn einmal im Jahr. Am 27. Januar. Das ist sein Todestag. Louis de Funès war wie ich Klassenkasper und ein Comedian mit Leib und Seele. Haut und Haar. Dafür liebe ich ihn.»

Der Sänger Tobias Sammet, Frontmann der bekannten Rockbands Edguy und Avantasia, ist in seiner Verehrung sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Im Jahr 2000 nahmen Edguy den legendären «Marche des Gendarmes» auf. Sammet (Jahrgang 1977) zu dieser Idee und seiner Bewunderung für den Franzosen im Allgemeinen: «Es gibt viele Mythen und Legenden um den großen Louis de Funès. Unumstößlicher Fakt ist allerdings, dass es in Deutschland kaum jemanden in meiner Generation gibt, der nicht mindestens zehn seiner Filme mindestens 20 Mal gesehen hat. Wer an Sonn- oder Feiertagen den Fernseher einschaltet, hat fast gar keine Chance, dem mit den Armen und den Augenbrauen in Überschallgeschwindigkeit herumwedelnden Kultfranzosen nicht zu begegnen. Als oft hektischer Choleriker mit Sinn für Humor fühlte ich mich Louis de Funès schon als Kind besonders verbunden. Seine Filme, egal ob er darin Gendarm, Ferienschreck, des Mordes verdächtigter Kriminalromanautor oder Restauranttester war, konnten Menschen generationsübergreifend zum Lachen bringen, was sicher daran lag, dass er einer der komplettesten Schauspieler war, die die Welt kannte: Seine Mimik, seine Körpersprache, dazu mit Gerd Martienzen sein mit Abstand bester deutscher Synchronsprecher, der das cholerische Auftreten des scheinbar oft am Rande eines Herzinfarkts stehenden Protagonisten perfekt aus dem französischen Original herübertransportierte: Louis de Funès war Klamauk, und darüber hinaus noch viel mehr als das. Ich kann viele seiner Filme im Deutschen zitieren, weil ich sie unzählige Male gesehen habe. So war es die logische Konsequenz meines Fandaseins, dass ich mit meiner Band Edguy im Jahr 2000 La Marche des Gendarmes – den berühmten Lalala-Song, den die Gendarmen beim Patrouillieren durch die Straßen Saint-Tropez’ vor sich hin pfiffen und sangen – im härteren Soundgewand für den französischen Markt neu aufgenommen habe. Und was eigentlich als ein auf einem regulären Album hinten versteckter Bonusklamauk gedacht war, hat sich im Laufe der Jahre zu wahrem Kult entwickelt. Egal ob im Club, im Stadion oder bei einem Festival, wann auch immer wir in Frankreich spielen, begrüßen uns die Massen mit genau diesem Stück. Louis de Funès wird immer einer der ganz Großen des niveauvollen Humors vor der Kamera bleiben, daran wird auch die Zeit und die Vergänglichkeit im Showgeschäft nichts ändern!»

Dieses Buch versucht das Phänomen Louis de Funès, sowohl von seiner privaten Seite als auch seinen beruflichen Werdegang, nachzuzeichnen. Das ist nicht immer einfach, denn Louis lebte – vor allem mit dem einsetzenden Ruhm – ein sehr zurückgezogenes Leben, was er selbst nicht sonderlich schätzte. Er wäre viel lieber über den Markt geschlendert oder ins Restaurant gegangen. Aber das war irgendwann einfach nicht mehr möglich, ohne einen Menschenauflauf zu provozieren. In Paris oder anderen großen Städten reichte es, wenn er aus dem Fenster eines Autos schaute oder am Flughafen auftauchte, um die Massen zu mobilisieren. Davon abgesehen, hatte der sehr wohlhabende Schauspieler auch große Angst vor Entführern. Nicht zu Unrecht, wie sich schnell herausstellte. Auch aus diesen Gründen verkroch er sich 1967 schließlich auf seinem Schloss in Le Cellier, einem kleinen Ort nahe Nantes ganz im Westen Frankreichs, mit damals nicht mal 2.000 Einwohnern (auch heute sind es nur unbedeutend mehr). Hier konnte er das sein, was er am liebsten war: ein normaler Mensch.

Es gab und gibt bis heute viele Spekulationen über Louis, beginnend mit seiner Jugend, über die nicht viel bekannt ist, bis hin zu seinem letzten Ruheort. Und auch in der charakterlichen Beurteilung sind die Stimmen der Zeitgenossen nicht einheitlich. Während ihn manche als den beschreiben, den wir Fans so gerne hätten (ein freundlicher Herr mit guten Manieren), gibt es auch andere Stimmen, die ihn als schwierig und ungerecht bezeichnen. Der Autor dieser Zeilen ist, neben der Recherche vor dem Fernseher und im Internet, gemeinsam mit den bekennenden Louis de Funès-Fans Peter, Uwe und Manni Ludolf im November 2012 nach Le Cellier bei Nantes gefahren, um dort das Schloss Clermont (Louis’ Wohnsitz von 1967 bis 1983), sein Grab und viele andere Orte zu besuchen und mit Menschen zu sprechen, die de Funès persönlich kannten. Eine spannende Reise, die viele Erkenntnisse brachte und zudem als Folgen neun und zehn von «SEK Ludolf – Das Schrott-Einsatz-Kommando» Ende 2012 auf dem Sender SPORT1 gesendet wurde. Eine außergewöhnliche Aktion für einen außergewöhnlichen Schauspieler, der hoffentlich niemals in Vergessenheit gerät. Wenn dieses Buch ein bisschen dazu beiträgt, hat es seinen Zweck erfüllt. Und jetzt noch mal alle zusammen: «Nein!» – «Doch!» – «Ooh!»

Marc Halupczok

Dezember 2012

1. Der Hungerhaken aus Courbevoie (1914–1938)

Der 31. Juli 1914 hätte eigentlich ein freudiger Tag werden sollen, in Courbevoie, rund acht Kilometer nordwestlich der Pariser Innenstadt. Denn gegen Abend wird in diesem Vorort einer der größten Komiker des Jahrhunderts geboren. Sein Name: Louis Germain David de Funès de Galarza. Doch die Stimmung ist aus verschiedenen Gründen gedrückt. Zum einen steht der Erste Weltkrieg im wahrsten Sinne des Wortes vor der Tür. Die Spannungen, speziell zwischen dem Deutschen Reich und Russland, wachsen im Minutentakt. Es wird nur noch wenige Stunden dauern, bevor Deutschland mobil macht und Russland den Krieg erklärt. Das mit Russland verbündete Frankreich hat keine andere Wahl, erwartet einen Angriff seiner Nachbarn und ruft ebenfalls zu den Waffen. Bereits am 03. August ist es so weit, der erwartete Krieg zwischen Frankreich und Deutschland beginnt. Davon abgesehen, haben Louis’ Eltern, Carlos Luis de Funès de Galarza und Leonor Soto y Reguera, ganz andere Probleme. Dabei war zumindest Vater Carlos, geboren 1871 in Spanien, zuvor eigentlich ganz gut gestellt. Er arbeitet als Rechtsanwalt und hat sein Auskommen. Doch als er sich in die sieben Jahre jüngere, spanisch-portugiesischstämmige Leonor verliebt, kommt es zum Eklat: Beide Familien sind gegen eine Verbindung; vor allem Leonors Altvordere sind alles andere als begeistert vom neuen Schwiegersohn aus Andalusien. Um sicherzugehen, engagieren sie sogar eine Anstandsdame, die Leonor rund um die Uhr bewachen soll. Also bleibt Carlos und seiner Geliebten nur die Flucht. Anfang des 20. Jahrhunderts, wahrscheinlich im Jahr 1904, kommen sie in Frankreich an. Doch schnell stellt sich heraus, dass er seinen erlernten Beruf als Rechtsanwalt im fremden Land nicht mehr ausüben darf. Also hält sich Carlos mit allerlei Jobs über Wasser und landet schließlich bei den Diamantschleifern und -händlern, wo er versucht, sich seinen bescheidenen Wohlstand wiederaufzubauen. Doch auch hier hat der Spanier kein Glück. Ein vermeintlich betuchter Kunde möchte seiner zukünftigen Braut einige besonders schöne Stücke zeigen, de Funès de Galarza gibt sie ihm gutgläubig mit. Überflüssig zu erwähnen, dass der Kunde niemals wieder auftaucht, die Familie steht kurz nach der Geburt von Louis vor dem Ruin. Es ist Leonor, die die Kohlen aus dem Feuer holt. Sie trifft Vereinbarungen mit lokalen Pelzhändlern und versorgt diese mit reichen Kundinnen. Sie schwärmt den wohlhabenden Damen im Ort von ihrem wundervollen Aussehen vor, das noch wundervoller wäre, wenn ein Nerz mit im Spiel wäre. Die Masche funktioniert, auch aufgrund des schauspielerischen Talents der Mutter. Und das ist wichtig, denn das junge Paar hat bereits zwei Mäuler zu stopfen. Louis’ Schwester Marie (Maria Téolinda Léonore Margarita, Spitzname: «Mine») wird 1907 geboren, sein Bruder Charles (Carlos Téolindo Javier) im Jahr 1908.

Kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges siedelt die fünfköpfige Familie nach Villiers-sur-Marne um, rund 15 Kilometer östlich vom Pariser Stadtzentrum. Hier können sich die de Funès ein kleines Häuschen mit Garten leisten, wo der kleine Louis angeblich schon früh seine Liebe zur Pflanzenwelt entdeckt. Als die Glocken aller Kirchtürme anlässlich des Kriegsendes läuten, soll der kleine Franzose gerade dabei sein, Radieschen zu säen. Über die ersten Jahre von Louis de Funès ist ansonsten wenig bekannt. Überliefert ist nur die Tatsache, dass der kleine Mann schnell den Spitznamen «Fufu» weghat und bereits sehr früh durch ein gewisses schauspielerisches Talent auffällt. Er liebt es, mit seiner Mutter über den Markt von Bécon-les-Bruyères zu schlendern, und unterhält nach diesen Besuchen seine Familie durch Imitationen der Händler. Auch seine Mutter kann er sehr gut nachmachen, was diese vermutlich nicht immer so lustig findet. Trotzdem nimmt sie sich die Zeit und unterrichtet ihren Sohn ab dem Alter von fünf Jahren im Klavierspielen. Louis zeigt durchaus Begabung und wird in seinem späteren Leben von diesem Unterricht profitieren. Wenn auch nicht immer ganz freiwillig. Abgesehen davon, sind sich alle Familienmitglieder einig, dass Louis das Temperament und die Vorliebe für wilde Grimassen von seiner Mutter geerbt hat, die durch ihre südeuropäischen Wurzeln als menschlicher Vulkan gilt. Auch diese Eigenschaften werden dem kleinen de Funès später noch einmal helfen. Eine Anekdote über seine Mutter erzählt Louis später seinen Kindern immer wieder: Ein Bruder von Vater Carlos soll einmal ein gerahmtes Photo von sich geschickt haben, damit die Kinder ihren Onkel aus Spanien wenigstens einmal auf dem Bild sehen könnten. Der Onkel trug einen dichten Schnurrbart, der Leonor gar nicht gefiel, also verbannte sie das Portrait in den hintersten Winkel ihres Kellers. Am Telefon erzählte sie ihrem Schwager allerdings, sein Konterfei hätte einen Ehrenplatz auf dem Klavier. Es kam, wie es kommen musste: Eines Tages stand der Onkel aus Madrid überraschend vor der Tür und fragte bei einer Tasse Tee mit Blick auf das Klavier, wo denn sein Bild sei. Leonor setzte ihr süßestes Lächeln auf und erklärte, sie hätte es gerade zum Vergrößern gebracht. De Funès, der bei dieser Szene dabei gewesen war und den wahren Standort des Bildes kannte, konnte sich laut seinen eigenen Söhnen auch noch 50 Jahre später über diese Geschichte amüsieren. Doch zurück in die Zwanziger Jahre. Vater Carlos hat sich mittlerweile auf die Herstellung von synthetischen Smaragden spezialisiert, was insofern verwundert, da der Spanier komplett farbenblind ist. Louis muss als Kind immer wieder aushelfen und die Steine nach Farben sortieren. Vater Carlos kann sie einfach nicht auseinanderhalten. Allerdings ist es mit der Arbeitswut des Vaters ohnehin nicht weit her; die meiste Zeit soll der Familienvorstand im Café sitzen und die Leute beobachten, wie es sich für einen Mann aus dem Süden gehört. Leonors Eltern lagen mit ihrer Einschätzung also doch nicht so falsch.

Louis entwickelt sich derweil gut, er ist neugierig und lernwillig. Doch dann beginnt auch für den Jüngsten der Ernst des Lebens. Und die sorgenfreien Kindertage haben ein Ende. Denn die Schulzeit ist für den späteren Schauspieler alles andere als ein Zuckerschlecken. Was umgekehrt auch für die Mitschüler von de Funès gilt. Denn der kleine, hagere Junge erweist sich als Störenfried und Raufbold. Von 1920 an besucht er für fünf Jahre die Schule in Villiers, anschließend führt ihn sein Weg aufs Collège Jules Ferry in Coulommiers, wo er bis zu seinem 16. Lebensjahr bleibt. Für Louis ist es die Hölle: düstere Gänge, keine Heizung, strenge Lehrkräfte. De Funès’ Betragen Mitte der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist deshalb fragwürdig, seine Noten sind ziemlich mittelmäßig. Später wird er diese Tatsache darauf zurückführen, dass ihm die Schule keinen Spaß gemacht hat. Ein bei Louis sehr beliebtes Argument für schlechte Leisitungen. Allerdings kann er in einzelnen Fächern durchaus glänzen, vor allem im Zeichnen beweist er Talent. Und in der Theatergruppe seiner Schule sticht er durch besonders gute Arbeiten hervor. Bereits im Alter von elf Jahren spielt er einen Gendarmen in Bodèses Stück «Le Royal Dindon». Die Aufführung findet 1926 im Theater von Coulommiers statt. Doch kurz darauf der Schock: Obwohl sein Vater ihm immer wieder versprochen hatte, ihn nicht ins Internat zu geben, muss de Funès schließlich doch in der ungeliebten Lehranstalt übernachten. Seine Mutter ist mit der alleinigen Erziehung von drei Kindern schlichtweg überfordert. Denn Carlos senior hat sich wenige Jahre zuvor per Schiff nach Venezuela begeben, um dort sein Smaragdgeschäft anzustoßen. Das klappt offensichtlich nicht, der Familienvater zieht nun schon seit Monaten scheinbar ziellos durch das fremde Land und schreibt seiner Familie in immer unregelmäßigeren Abständen. Leonor verliert schließlich die Geduld und macht sich auf den Weg nach Südamerika, um ihren Gatten wiedereinzufangen. Vorher nimmt sie allerdings Louis aus der Schule und gibt ihn in die Obhut eines Doktor Pouchet, der in der Nähe ein Waisenhaus leitet. Louis zeigt sich wie ausgewechselt, tobt draußen mit anderen Kindern herum, kümmert sich um die Babys des Hauses und hat endlich wieder Spaß an seinem Leben. Gemeinsam mit seinem Bruder Carlos, den der französische Teil der Familie später nur Charles nennen wird, unternimmt er ausgedehnte Radtouren weit über die Grenzen der Region hinaus. Das ist anstrengend und Louis immer noch ein ziemlicher Hungerhaken. Doch er beißt sich durch. Vielleicht mit dafür verantwortlich ist ein angeblicher Wundertrank, den Dr. Pouchet seinen Schützlingen verabreicht. Dieser soll zu schnellerem Wachstum verhelfen und dezent nach Fisch schmecken. Louis schluckt das Gebräu, wird zwar nicht größer, entwickelt aber eine ungeahnte Lebensfreude. Die erhält allerdings Anfang der Dreißiger Jahre einen erneuten Dämpfer. Denn der zurückgekehrte Papa Carlos ist schwer an Tuberkulose erkrankt und hat nicht mehr lange zu leben. Die Familie ist zwischenzeitlich ins Pariser Künstlerviertel Montparnasse gezogen und versucht zu klären, was Carlos überhaupt in Südamerika getrieben hat, aber er nimmt das Geheimnis mit ins Grab. Vorher schenkt er Louis, der kein besonders intensives Verhältnis zu seinem Vater hat, einen ausgestopften Kolibri. Dies, so erklärt Carlos, sei der kleinste Vogel der Welt. Außerdem würden Gangster den Namen des Vogels als Codewort für «Smaragd» benutzen. Louis wird das Geschenk sein Leben lang in Ehren halten. In einem anderen Punkt kommen die beiden allerdings nicht überein: Louis möchte seine schauspielerischen Fähigkeiten weiter ausbauen und einen Beruf daraus machen. Carlos hält überhaupt nichts von den Ambitionen seines Jungen und empfiehlt ihm deshalb, den Weg seines sechs Jahre älteren Bruders einzuschlagen. Der verdingt sich als Kürschner und steht sicher auf eigenen Beinen. Louis, der extra die weiterführende Schule Lycée Condorcet besucht hatte, um später studieren zu können, akzeptiert zähneknirschend (man hat es quasi vor Augen, wie das ausgesehen haben könnte) und begibt sich schließlich in die Welt der bearbeiteten Tierfelle. Neben der Praxis muss der junge Mann, der mittlerweile locker zwei Schachteln Zigaretten am Tag raucht, auch Theorie in der Berufsschule in der Rue des Tournelles büffeln, was ihm überhaupt nicht zusagt. Also sucht er nach (wenig tierfreundlicher) Zerstreuung. Der Direktor der Lehranstalt besitzt einen Kanarienvogel, den de Funès immer wieder mittels Gummiband und gebogener Haarnadeln beschießt. Schließlich verendet der Vogel elend an seinen Verletzungen, Louis wird von der Schule geworfen. Doch die Eltern geben nicht auf und schicken ihn zu einem befreundeten Kürschner im Vorort Poissonnière, wo der junge Mann für acht Francs am Tag vor allem die Nadeln und Nägel aufsammeln muss, die die Arbeiter bei ihrem Tagewerk fallen gelassen haben. Louis freundet sich mit einigen ungefähr gleichaltrigen Kollegen aus der Werkstatt an und sorgt mit ihnen für ein beträchtliches Chaos. Auf dem Hof versuchen sich die Lehrlinge gegenseitig mit gefüllten Wassereimern zu treffen, als plötzlich der Meister um die Ecke biegt und von de Funès persönlich die volle Breitseite abbekommt. Damit ist auch dieses Kapitel beendet. Das Zuhause seiner Familie ähnelt derweil einer Krankenstation. Leonor besprüht mehrmals täglich alles mit antiseptischen Mitteln, weil sie Angst hat, die Kinder würden sich mit der Tuberkulose anstecken. Vater Carlos gibt sich schließlich auf und geht ohne seine Familie nach Málaga, wo er am 19. Mai 1934 stirbt. Louis ist derweil weiter auf der Suche nach einer Beschäftigung und entdeckt plötzlich seine Begeisterung für die Photographie. Also meldet ihn seine Mutter an der renommierten Filmhochschule École nationale supérieure Louis-Lumière an. Er besucht Kurse bei einer gewissen Germaine Dulac (1882–1942), die für verschiedene Zeitungen photographiert. Dass es sich bei Germaine um eine bereits damals sehr bedeutende Regisseurin und Drehbuchautorin handelt (unter anderem schrieb sie mit Antonin Artaud «La Coquille et le Clergyman» – internationaler Titel: «The Seashell and the Clergyman» – , der noch vor «Ein andalusischer Hund» gedreht wurde und als erster surrealistischer Film der Geschichte gilt), kann de Funès wahrscheinlich noch nicht einschätzen. Dulac versucht ihre Ausbildung möglichst lebhaft zu gestalten und lässt ihre Lehrlinge auch kleine Filme drehen, um sie für die Bilderwelt zu sensibilisieren. Louis bringt seinen ganzen Kurs (an dem auch ein gewisser Henri Decaë teilnimmt, der später zu einem der bekanntesten Kameramänner der Welt werden und auch mit de Funès zusammenarbeiten wird) in der klassischen Rolle als Hanswurst zum Lachen, was ihn in seiner Tätigkeit bestätigt. Er ist der geborene Unterhalter. Doch anstatt auf sein Talent aufzubauen und sich ernsthaft mit der Materie zu beschäftigen, gewinnt wieder der Rabauke in Louis die Oberhand. Feuerwerkskörper gehören zu seinen liebsten Spielzeugen, vornehmlich wirft er sie zwischen die Beine seiner Mitschüler und amüsiert sich köstlich, wenn diese erschrocken zur Seite springen. An diesem Tag lässt er einige Knallkörper im Photolabor hochgehen, die ein Feuer verursachen. Als zwei Lehrkräfte zu löschen versuchen und sich dabei mehr selbst unter Wasser setzen, als den Brand zu bekämpfen, ist das Maß wieder einmal voll. Louis de Funès fliegt im hohen Bogen aus dem Kurs.

Seine Schwester Marie hat derweil mehr Glück (und mehr Disziplin). Die ansehnliche junge Frau hat es geschafft – sie ist mit einem Piloten verheiratet und arbeitet als Photomodell für bekannte Firmen. Auf Partys trifft sie viele Prominente. Darauf ist Louis ein wenig neidisch, zumal sie ihren kleinen Bruder damit wohl auch gerne ein bisschen aufzieht. Umso erfreuter ist Louis, als Marie ihn eines Tages bittet, sie zu der Schauspielerin Renée Saint-Cyr zu begleiten. Saint-Cyr (1904–2004) ist in den Dreißiger Jahren auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes und in Frankreich einer der ersten echten Kinostars. Der immer noch halbstarke Louis kriegt sich vor Aufregung kaum mehr ein. Doch als die Geschwister in der Wohnung der Schauspielerin eintreffen, zeigt sich der männliche Teil der beiden überrascht: Im Penthouse stehen noch gar keine Möbel. Schnell wird Louis klar, dass er reingelegt worden ist. Seine Schwester hat ihren arbeitslosen Bruder dem Star als billige Arbeitskraft angeboten, und so rutscht de Funès tagelang auf 300 Quadratmetern Parkettboden herum und schleift diesen ab. Saint-Cyr persönlich bekommt er natürlich nicht zu Gesicht.

Höchste Zeit also, sich wieder einen vernünftigen Job zu suchen. In der Rue de la Boétie, ganz in der Nähe der Avenue des Champs-Élysées, sieht Louis eines Tages einen Anschlag, auf dem Industriezeichner gesucht werden. Zwar hat er keine Ahnung von der Tätigkeit, aber er will es versuchen. Er beginnt bei dem Karosseriebauer Labourdette, dessen Tochter später interessanterweise Karriere als Schauspielerin machen wird und in Filmen wie «Weiße Margeriten» (Originaltitel: «Elena et les Hommes») an der Seite von Ingrid Bergman zu sehen ist. Da schnell herauskommt, dass de Funès kein Industriezeichner ist, darf er fortan nur noch Pläne kopieren, was ihm bald lästig wird. Warum er weiter an dem Beruf festhält und sich anschließend von der damals recht bekannten Firma Automobiles L. Rosengart (die 1955 ihre Tore schließen muss) anstellen lässt, ist nicht bekannt. Fakt ist allerdings, dass er sich auch hier nicht lange halten kann (oder will) und den Betrieb schnell wieder verlässt. Die nächste Station dieser offensichtlich völlig planlosen Suche ist die Buchhaltungsabteilung einer großen Textilfabrik. Aber auch hier gibt es ein grundlegendes Problem. Denn während de Funès Sprachen keinerlei Probleme bereiten (er ist ja mit Französisch und Spanisch aufgewachsen und lernt bald auch gutes Englisch), hapert es bei der Mathematik. In dem Buch «Louis de Funès – Seine Filme – sein Leben» von Robert Chazal wird Louis so zitiert: «Ich bin in verschiedenen Abteilungen Buchhalter gewesen, aber das hat nie sehr lange gedauert. Ich weiß wirklich nicht, warum, aber Rechnen... da blockiert es in meinem Kopf.»

Macht ja nichts, der Arbeitsmarkt hat auch in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts noch mehr zu bieten. Zum Beispiel die Anstellung als Schaufensterdekorateur, die Louis in einer Kleinanzeige findet. Da die Weihnachtszeit vor der Tür steht, ist de Funès’ erste Aufgabe, ein Fenster mit Spielzeug zu dekorieren. Hier beweist der kleine Franzose echtes Geschick. Er arrangiert eine Landschaft, die so wirken soll, als würde man aus einem Flugzeug auf die Erde schauen. Klingt heutzutage relativ normal, zur damaligen Zeit haben allerdings die wenigsten Leute wirklich aus einem Flugzeug herausschauen können (Louis inklusive). Deshalb sorgt die Idee für einiges Aufsehen, der Arbeitgeber zeigt sich sehr zufrieden und beschäftigt de Funès weiter. Er kleidet Schaufensterpuppen an und erhält schließlich den Auftrag, etwas Außergewöhnliches für eine Parfümerie zu entwerfen. Louis entscheidet sich für eine Pyramide aus Duftfläschchen. Der Legende nach ist es wirklich der letzte Flakon, der das Gebilde zum Einsturz bringt und de Funès einen weiteren Job kostet.

Doch das ist nicht das einzige Problem des jungen Mannes. Er hat sich in eine ein Jahr jüngere Frau namens Germaine Louise Élodie Carroyer verliebt, die er 1936, im Alter von nur 21, vor den Traualtar führt. Schon bald darauf, genauer: am 12. Juli 1937, wird ihr gemeinsamer Sohn Daniel geboren, was die Geldsorgen von de Funès nicht unbedingt verringert. Da auch die Beziehung alles andere als glücklich ist, entschließt sich de Funès, einfach auszureißen und unterzutauchen. Er wird sich für einige Jahre nicht mehr bei seiner Frau melden und kopiert damit, bewusst oder unbewusst, das Verhalten seines Vaters. Und noch etwas kostet reichlich Nerven: Das Militär fordert seinen Tribut. Louis wird immer wieder einberufen und untersucht. Aufgrund seines hohen Zigarettenkonsums leidet der zudem stark unterernährt wirkende Mann unter heftigen Hustenanfällen. Ein Armeearzt glaubt, auch aufgrund der familiären Vorgeschichte, sogar an Tuberkulose. Doch diese Diagnose, die den angehenden Schauspieler stark belastet, erweist sich nach einem Besuch beim Hausarzt als falsch. Er ist zwar schmächtig, erfreut sich aber bester Gesundheit. Ob die Diagnose ein Versehen oder wirklich falsch gewesen ist, lässt sich später nicht mehr nachvollziehen. De Funès ist jedenfalls davon überzeugt, dass seine Akte vertauscht wurde, und erzählt diese Geschichte bis zu seinem Tod immer wieder gerne. Doch Fehldiagnose hin oder her, Louis wird 1937 nach einem dreitägigen Kasernenaufenthalt in Mailly im Osten Frankreichs endgültig vom aktiven Wehrdienst freigestellt. Seine «Karriere» bei der Armee war, wie so viele andere, also nur von äußerst kurzer Dauer. Die Kaserne hingegen existiert bis zum heutigen Tage.