Gunter Pirntke (Herausgeber)

Alexandre Dumas

Der Mann in der eisernen Maske

Impressum:

Covergestaltung: Alexandra Paul

Digitalisierung: Gunter Pirntke

© 2012 by andersseitig.de

ISBN: 9783955010973


andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de


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Inhalt

Impressum:

Fontainebleau

Das Bad

Die Schmetterlingsjagd

Was man fängt, wenn man Schmetterlinge jagt

Das Ballett der Jahreszeiten

Die Nymphen im Park von Fontainebleau

Was unter der Königseiche gesprochen wurde

Die Unruhe des Königs

Das Geheimnis des Königs

Ereignisse einer Nacht

Aramis' Korrespondenz

Der Commis, der exakt arbeitet

Fontainebleau um zwei Uhr morgens

Das Labyrinth

Was sich wirklich im »Schönen Pfau« zugetragen hatte

Ein Jesuit des elften Jahres

Staatsgeheimnis

Mission

Glücklich wie ein Fürst

Geschichte einer Nayade und einer Dryade

Königliche Psychologie

Was weder die Najade noch die Dryade wußten

Der neue Jesuitengeneral

Das Gewitter

Tubie

Malaga

Der Brief des Herrn Baisemeaux

Die Ratte und der Käse

Was man von Planchets Haus aus sieht

Die Vorstellung Portbos'

Erklärungen

Madame und de Guiche

Montalais und Malicorne

Wie de Wardes bei Hof aufgenommen wurde

Der Kampf

Das Souper des Königs

Wie d'Artagnan sich seines Auftrags entledigte

Der Arzt

Zwei Pfeile im Köcher

Kampfansage

Die Flucht

Botschafter

Chaillot

Bei Madame

Louises Taschentuch

Eine Leiter am Fenster der Ehrendame

Die Fackelpromenade

Die Erscheinung

Das Porträt

Hampton-Court

Madames Kurier

Saint-Aignan befolgt Malkomes Rat

Zwei alte Freunde

Das Fell des Bären

Bei der Königin-Mutter

Eifersucht

Porthos' Metbode

Umzug, Falltür und Porträt

Rivalen

König und Adel

Sturm

Wunden

Was Raoul erraten hatte

Drei Tischgenossen, die nicht wenig erstaunt sind, zusammen zu soupieren

Was im Louvre vorging, während in der Bastille gespeist wurde

Nebenbuhler

Der Gefangene

Ein zweites Souper in der Bastille

Der General

Der Versucher

Krone und Tiara

Nektar und Ambrosia

Das blaue Zimmer

Colbert

Majestätsverbrechen

Der Schatten des Herrn Fouquet

Der Morgen

In der Bastille

Die Dankbarkeit des Königs

Der falsche König

Porthos glaubt, seinem Herzogstitel nachzulaufen

Drei Wochen später

Das Abendmahl

Der Wagen des Herrn Colbert

Belle-Isle-en-Mer

Wettlauf der Gedanken

Die Ahnen Porthos'

Locmaria

Der Tod eines Titanen

Die Kunde des Herrn de Gesvres

König Ludwig XIV.

Athos' Alter

Der Todesengel

Louise

Ludwig XIV. auf der Jagd

D'Artagnans Tod

Fontainebleau

Madame, die Schwägerin des Königs, war die Heldin des Festes. Sie empfing Deputationen der Garamanthen, Hyperboreer, Kaukasier und Patagonier, die aus dem Erdboden zu wachsen schienen, nur um sie zu begrüßen, und jedem der Gesandten dieser exotischen Völker schenkte der König irgendeinen Edelstein oder ein Schmuckstück.

Dann verglichen die Deputierten in mehr oder minder grotesken Versen den König mit der Sonne, Madame mit Phöbe, und man sprach nicht mehr von der Gattin des Königs oder Monsieur, seinem Bruder; es war, als ob Ludwig nicht Maria Theresia von Österreich, sondern Henriette von England geheiratet hätte.

Strahlend genoß das Paar in tiefen Zügen den köstlichen und süßen Trank der Vergötterung. Der Schönheit, Macht und Liebe.

Alle Welt war erstaunt über den Einfluß, den Madame so rasch über den König gewonnen hatte. Niemand bezweifelte mehr, daß Madame die wahre Königin war.

Wirklich, der König suchte nur mehr in ihren Augen Inspirationen, und er war trunken vor Freude, wenn Madame zu lächeln geruhte.

Die Folge dieser Machtgruppierung war, daß Monsieur nicht mehr die zweite Persönlichkeit des Reiches, sondern in der Tat nur mehr die dritte darstellte.

Jeden Abend fand er Madame erschöpft. Die Jagden zu Pferd, die Bäder in der Seine, die Gartenpartien, die Bälle, Konzerte - das alles war anstrengend genug, um nicht nur eine geschmeidige Frau, sondern sogar einen robusten Schweizer des königlichen Dienstes zu ermatten. Allerdings, wir müssen einräumen, daß Bälle, Konzerte und Spaziergänge eine Frau weniger erschöpfen als den zähesten Sohn der dreizehn Kantone.

Monsieur hatte nicht einmal die Genugtuung, daß Madame am Abend ihrer neuerworbenen königlichen Würde entsagte. Sie bewohnte mit der jungen Königin und der Königin-Mutter einen Pavillon.

Der Chevalier de Lorraine wich nicht von Monsieurs Seite und, so oft der Bruder des Königs eine Wunde empfing, träufelte er mit Vergnügen etwas von seiner Galle hinein.

So geschah es, daß Monsieur eines Tages gegen zwei Uhr, nachdem er sich spät erhoben und viel Zeit auf seine Toilette verwendet hatte, auf den Gedanken verfiel, seine Hofhaltung zu versammeln und mit Madame nach Moret, wo er ein hübsches Landhaus besaß, zum Souper zu fahren.

Er spazierte also zum Pavillon der Königinnen und war, als er eintrat, nicht wenig erstaunt, niemand vom Dienst des Königs vorzufinden.

Eine Tür zur Linken führte zu den Gemächern Madames, eine zur Rechten zu denen der jungen Königin.

Monsieur trat bei seiner Frau ein und erfuhr von einer Wäschebeschließerin, daß der gesamte Hof schon um elf Uhr zur Seine aufgebrochen war, um zu baden.

Schön, dachte Monsieur, der Gedanke ist nicht übel. Bei dieser dumpfen Hitze wird mir ein Bad nur angenehm sein.

Er rief nach seinen Leuten, aber niemand kam.

So ging er in die Stallungen.

Ein Stallbursche meldete ihm, daß weder Kaleschen noch Karossen zur Stelle wären.

Da befahl Monsieur, daß man zwei Pferde, eines für ihn, eines für seinen Diener satteln sollte.

Aber es waren auch keine Pferde mehr da.

Jetzt wurde Monsieur blaß vor Zorn.

Er eilte in das Gebetszimmer seiner Mutter, Anna von Österreich. Durch einen halb zurückgeschlagenen Vorhang bemerkte er seine junge Schwägerin, die vor der Königin-Mutter kniete und in Tränen aufgelöst war.

Niemand hatte Monsieur bemerkt.

Sachte trat er näher. Seine Neugierde war erwacht. Die junge Königin weinte nicht nur, sie beklagte sich offenbar.

»Ja«, sagte sie, »der König vernachlässigt mich, er denkt nur noch an Vergnügungen, an denen ich nicht teilnehme.«

»Geduld, Geduld, mein Kind«, antwortete Anna von Osterreich auf spanisch.

Dann fügte sie, gleichfalls auf spanisch, Ratschläge hinzu, die Monsieur nicht verstand.

Wieder antwortete die junge Königin mit Beschuldigungen, in die sich Seufzer und Tränen mischten.

Monsieur horte aufmerksam zu und begriff zuweilen ein oder das andere Wort.

Schließlich befürchtete er, er könnte an der Tür lauschend überrascht werden, und so entschloß er sich zu husten.

Die beiden Königinnen wandten sich um.

Als die junge Königin den Prinzen eintreten sah, stand sie hastig auf und trocknete ihre Augen.

Die Königin-Mutter lächelte.

»Was wollen Sie, mein Sohn?« fragte sie.

»Nichts. Ich suchte ... ich suchte Madame.«

»Sie ist zum Baden gefahren.«

»Und der König?« fragte Monsieur in einem Ton, der die Königin erzittern ließ.

»Er auch, mit dem ganzen Hof«, antwortete Anna.

»Und Sie, Madame?« wandte Monsieur sich an Maria Theresia.

»Ach, ich bin ja der Schrecken aller, die sich amüsieren wollen.«

»Ich auch, scheint es.«

Anna von Österreich gab ihrer Schwiegertochter einen Wink. Die junge Königin zog sich schluchzend zurück.

»Das ist ja eine traurige Haushaltung«, brummte Monsieur. »Was halten Sie davon, meine Mutter?«

»Im Gegenteil, ich finde, daß alte Welt nur ihr Vergnügen sucht.«

»Und darum müssen Leute hier ärgerlich sein, denen solche Vergnügungen lästig sind.«

»Wie, auch Sie sind über dieses Bad erbittert?«

«Gewiß! Der König geht mit meiner Frau baden und nimmt die Königin nicht mit? Madame geht mit dem König baden und erweist mir nicht einmal die Ehre, mich davon zu verständigen? Da soll meine Schwägerin zufrieden sein? Und ich soll mich erfreut zeigen?«

»Lieber Philippe, Sie übertreiben! Sie haben Buckingham aus Eifersucht vom Hofe gejagt, Sie haben Herrn de Guiche in die Verbannung gebracht, Sie wollen doch nicht jetzt den König aus Fontainebleau verscheuchen!«

Damit stand sie auf und ließ Monsieur allein, rasend in seinem Zorn.

Monsieur blieb einen Augenblick wie betäubt. Endlich sammelte er wieder seine Kräfte, kehrte in den Stall zurück, suchte den Stallburschen und verlangte eine Karosse oder ein Pferd. Als er die Antwort erhielt, es sei weder ein Wagen noch ein Reittier zurückgeblieben, nahm er eine Peitsche und verfolgte den unglücklichen Burschen, so sehr der auch schrie und sich entschuldigte, und trieb ihn mit Peitschenhieben durch den Hof des Gesindehauses. Als er endlich außer Atem und schweißüberströmt war, kehrte er in seine Gemächer zurück, zerschlug einige reizende Nippes, warf sich dann gestiefelt und gespornt in sein Bett und begann zu weinen.

Das Bad

In Valvins, unter dem dichten Laub der Silberweiden, die ihre Ruten in das Wasser tauchten, diente eine lange, flache Barke, deren Baldachin mit blauen Vorhängen geschützt war, den badenden Dianen als Zufluchtsstätte. Zwanzig Aktäons, mit Federbüschen geschmückt, warteten bereits badelustig am duftenden Ufer.

Aber selbst die scheue Diana, die sich in ihre lange Chlamys gehüllt hatte, war nicht so keusch wie Madame, die doch jung und schön war wie jene Göttin. Sie hatte sich in einen langen, dichten Schleier gehüllt, der sie selbst gegen den durchdringendsten Blick schützte.

Als Madame dann die Badetreppe heraufstieg, riefen alle diese zwanzig, zu Dichtern gewordenen Höflinge, das seien nicht Wassertropfen, sondern Perlen, die von Madames Körper in den glücklichen Fluß zurückströmten.

Der König hieß sie schweigen, denn er fürchtete die Bescheidenheit dieser Frau und die Würde der Prinzessin zu verletzen.

Jetzt gab es in der Barke ein allgemeines Schweigen. Nur an den Bewegungen der Vorhänge konnte man erraten, daß die Frauen, die Madame bedienten, auf und ab gingen.

Lächelnd hörte der König seinen Edelleuten zu; es war leicht zu erkennen, seine Aufmerksamkeit gehörte nicht ihren Reden.

Als endlich gemeldet wurde, daß Madame angekleidet war, und daß die Göttin wieder erscheinen würde, sah man die Pagen mit den Handpferden herbeieilen. Die Kaleschen, die im Walde versteckt geblieben waren, näherten sich, eine Unmenge von Dienern, Trägern und Frauen, die während des Bades abseits geblieben waren, kamen herbei.

Diese ganze Menge sammelte sich am Ufer des Flusses, gar nicht die Bauern aus der Umgebung zu zählen, die aus Neugierde herbeigekommen waren. Zehn Minuten lang gab es das lustigste Durcheinander von der Weh.

Jetzt war der König ans Ufer gestiegen und hatte Madame den Arm gereicht. Freude und Gesundheit ließen ihre Augen erstrahlen. In tiefen Zügen genoß sie, durch den Schirm gegen das Sonnenlicht geschützt, den ein Page trug, die würzige Luft.

Als Madame ihr Pferd erreicht hatte, nahm der König sie in seine Arme, während Madame, die mit ihrem Fuß den Steigbügel suchte, ihren Arm um den Hals des Königs legte.

Fast unwillkürlich streifte Ludwig diesen Arm mit seinen Lippen, als er zurücktrat. Dann dankte die Prinzessin ihrem königlichen Stallmeister mit einem freundlichen Lächeln, und einen Augenblick später war alle Welt auf den Pferden.

Der König und Madame ließen die Kaleschen, die Vorreiter und Läufer vorbei.

Zahlreiche Kavaliere, vom Zwang der Etikette befreit, folgten den Karossen, in denen die Ehrendamen Platz genommen hatten.

Der König und Madame folgten im Schritt. Hinter Seiner Majestät und der Prinzessin kamen in respektvollem Abstand die Höflinge, die stets in Blickweite des Königs bleiben wollten. An dem unterdrückten Gelächter war wohl zu erkennen, daß sie den armen abwesenden Monsieur nicht mit Scherzen verschonten. Den Vertraulichkeiten, die man einander zuflüsterte, folgte helles Gelächter. Alle Welt war fröhlich, lachte und schrie. Dieser jubelnde Jagdzug wurde im Schloß gehört, bevor man seiner ansichtig wurde.

Von den Zurufen der Menge jubelnd begrüßt, hielt der König mit Madame seinen Einzug.

Nun beeilte sich Madame, Monsieur aufzusuchen, denn sie begriff instinktiv, daß er allzu lange der Freude entbehrt hatte, sie zu sehen. Aber sie wurde nicht empfangen. Man meldete ihr, Monsieur schlafe.

Der König begegnete nicht Maria Theresia, die bereits wieder lächelte wie immer, sondern Anna von Osterreich, die ihn erwartet hatte und zu sich rief.

Was die beiden besprochen haben, oder genauer gesagt, was seine Mutter König Ludwig XIV. mitteilte, ist nie bekannt geworden. Doch konnte man es erraten, als man nachher das ärgerliche Gesicht Seiner Majestät sah.

Die Schmetterlingsjagd

Als der König in seine Gemächer zurückkehrte, um einige Befehle zu erteilen und sich zu sammeln, fand er auf seinem Toilettentisch ein kleines Billett. Die Schrift war offenbar verstellt.

Er zerriß den Umschlag und las.

»Kommen Sie rasch, ich haben Ihnen tausend Dinge zu erzählen.«

Der König hatte sich noch nicht lange genug von Madame getrennt, als daß tausend Dinge vorgefallen sein konnten, die sie ihm zu sagen hatte.

Jedenfalls war dieses Billett so überstürzt geschrieben, daß der König nachdenklich wurde.

Er machte sich ein wenig mit seiner Toilette zu schaffen, dann ging er zu Madame.

Die Prinzessin, die wohl nicht den Anschein erwecken wollte, daß sie ihn erwartete, war mit ihren Damen in den Park gegangen.

Sofort verlangte der König nach seinen Edelleutcn und lud sie ein, ihm gleichfalls dahin zu folgen.

Madame jagte auf dem von Heliotropen- und Ginsterbeeten umkränzten Rasen Schmetterlinge.

Sie sah den muntersten und jüngsten ihrer Hofdamen zu, wie sie den flatternden Faltern nacheilten, während sie selbst ungeduldig auf den König wartete.

Jetzt hörte sie den Sand unter den Schritten Ludwigs XIV. knirschen und wandte sich um. Der König war barhäuptig. Mit dem Knauf seines Stockes hatte er ein Pfauenauge niedergeschlagen, das Herr de Saint-Aignan aufhob.

»Sie sehen, Madame«, sagte der König, »auch ich beteilige mich an Ihrer Jagd.« Dann wandte er sich seinen Begleitern zu. »Meine Herren, nehmen Sie sich bitte der Damen an.«

Das bedeutete, daß er allein sein wollte.

Was jetzt folgte, bot einen recht seltsamen Anblick. Alte Höflinge hüpften hinter den Schmetterlingen her, verloren ihre Hüte und machten Bewegungen, als ob sie tanzten.

Der König reichte Madame seinen Arm und geleitete sie zu einer moosbedeckten Bank, die das schüchterne Genie eines Gärtners als malerische Unterbrechung des allzu strengen höfischen Parks ersonnen hatte.

»Hier können wir doch gut plaudern?« fragte er.

»Ja, Sire, und ich habe ein großes Interesse daran, nur von Ihnen gehört, aber von allen gesehen zu werden. Hat mein Billett Sie überrascht?«

»Es hat mich erschreckt! Dennoch habe ich Ihnen vielleicht noch wichtigeres zu sagen.«

»Kaum. Wissen Sie, daß Monsieur mich nicht empfangen hat?«

»Madame, ich glaube, wir haben einander dasselbe zu sagen.«

»Was ist Ihnen denn zugestoßen?«

»Sie erlauben also, daß ich beginne?«

»Ja, denn ich für meinen Teil habe bereits alles gesagt.«

»Gut, Sie müssen also wissen, daß meine Mutter mich bereits erwartete; sie hat mich in ihr Zimmer gerufen.«

»Oh«, rief Madame beunruhigt, »die Königin-Mutter? Das ist ernst.«

»Meine Mutter teilte mir mit, daß Monsieur wie ein Rasender zu ihr gekommen ist und tausend Klagen über Ihre... verzeihen Sie mir... über Ihre Koketterie vorgebracht hat. Meine Mutter hat ihn beruhigt, aber er hat behauptet, daß er immer nur beruhigt wird, und daß er es nicht länger ertragen kann.«

»Hätte er nicht besser getan, sich gar nicht erst zu beunruhigen?«

»Das habe ich auch gesagt.«

»Ach, gestehen Sie selbst, Sire, die Leute sind recht böse! Ein Schwager, eine Schwägerin können nicht miteinander plaudern, können nicht an ihrer Gesellschaft Gefallen finden, ohne daß Argwohn geäußert wird. Wir tun doch nichts Böses, Sire, wir haben doch nicht einmal Lust, Böses zu tun.«

Dabei sah sie den König so herausfordernd an, daß selbst ein kaltherziger Mann in Feuer geraten mußte.

»Nein, wirklich nicht«, seufzte Ludwig.

Madame blickte zu Boden.

»Monsieur ist eifersüchtig«, murmelte sie in einem Ton, dessen Reiz und Süßigkeit nicht mit Worten wiederzugeben war.

»Oh«, rief der König plötzlich, »Sie haben recht! Und das Schlimmste wissen Sie noch gar nicht! Auch die Königin ist eifersüchtig, eifersüchtig bis zur Raserei. Sie weint, beklagt sich bei meiner Mutter, führt Beschwerde dagegen, daß wir diesen Ausflug ins Bad unternommen haben. Monsieur kam dazu, hörte das Wort banos, und alles war ihm klar. Wütend mischte er sich in das Gespräch und führte so rauh Klage, daß meine Mutter sich zurückziehen mußte. Kurz, Sie werden es mit einem eifersüchtigen Gatten zu tun haben, ich aber soll unerbittlich und ewig das Gespenst der Eifersucht mit geschwollenen Augen, eingefallenen Wangen und düsterem Munde um mich sehen.«

»Armer König!« murmelte Madame, deren Hand die Ludwigs berührte.

Er nahm ihre Hand, und um sie drücken zu können, ohne die neugierigen Höflinge zu alarmieren, die noch eifriger auf Sensationen als auf Schmetterlinge aus waren, nahm der Kö¬nig das verendete Pfauenauge auf. Die beiden beugten sich über den Schmetterling, als ob sie die tausend Stäubchen auf seinen Flügeln zählen wollten.

Weder Ludwig noch Henriette sprach. Sein Haar streifte das ihre, ihre Hände brannten aneinander.

So verstrichen fünf Minuten.

Was man fängt, wenn man Schmetterlinge jagt

»Nun?« fragte Henriette endlich, um das Schweigen zu brechen.

»Was wollen Sie sagen?«

»Ich muß wohl zu einem Entschluß kommen, und Sire, seien Sie überzeugt, daß ich diesen Entschluß nicht gefaßt habe, ohne grausam mit mir selbst zu kämpfen. Sire, ich muß nach England zurück! Ich bin übrigens sogar überzeugt, daß es der Wille Ihrer Mutter ist.«

»Genug, ich beschwöre Sie! Sie sprechen von dieser Abreise mit einer Ruhe …«

»Ich bin nicht geboren, um glücklich zu sein, Sire. Und seit meiner Kindheit bin ich gewöhnt, meine liebsten Pläne durchkreuzt zu sehen.«

»Sagen Sie die Wahrheit? Ihre Abreise würde Ihnen einen Plan durchkreuzen, der Ihnen lieb war?«

»Vorsicht, Sire, man nähert sich uns.«

Der König blickte um sich.

»Nein, es ist nichts«, sagte er, »hören Sie, Henriette, statt der Eifersucht Monsieurs eine Abreise entgegenzusetzen, die mich auf das grausamste ...«

Henriette zuckte ungläubig die Achseln.

»Ihr Herz sagt Ihnen also nichts?«

»Mein Gott, was soll es mir denn sagen?«

»Wie beweist man jemand, daß er unrecht hatte, eifersüchtig zu sein?«

»Indem man ihm keinen Anlaß dazu gibt... nur ihn liebt.«

»Ich war auf etwas Besseres gefaßt. Ich dachte, Sie würden sagen, daß man die Eifersüchtigen beruhigt, indem man ihnen die Zuneigung verheimlicht, die man dem Gegenstand ihrer Eifersucht entgegenbringt.«

»Etwas Derartiges zu verheimlichen ist schwierig, Sire.«

»Nur durch Überwindung von Schwierigkeiten gelangt man zum Glück.«

»Nun gut, Sire. Wenn es sich darum handeln würde, daß ich nicht auf eine Frau eifersüchtig sein soll, so würde ich zunächst die größte Beruhigung darin finden, daß mein Gatte sich nicht mehr mit jener Frau beschäftigt. Wenn ich aber volle Sicherheit erhalten sollte, müßte ich sehen, daß mein Gatte sich für eine andere Frau interessiert.«

»Oh, ich verstehe«, meinte Ludwig lächelnd. »Allerdings, liebe Henriette, Ihr Gedanke ist gut, aber nicht gerade vom Mitleid diktiert. Sie wollen den Geist des Eifersüchtigen kurieren, indem Sie seinem Herzen eine Wunde schlagen. Dann ist er die Furcht los, aber er hat sie gegen etwas schlimmeres eingetauscht.«

»Gewiß, aber der Eifersüchtige ist dann wenigstens nicht mehr gegen seinen wirklichen Feind argwöhnisch, er tut der Liebe keinen Abbruch mehr. Alle seine Anstrengungen verpuffen, ohne jemand schaden zu können. Mein System, das gebe ich wohl zu, ist für die Eifersüchtigen nicht sonderlich gesund, aber es ist ja schließlich auch zum Wohl der Verliebten ausgedacht. Wer, Sire, wenn man Sie vielleicht ausnehmen will, hat jemals Mitleid mit Eifersüchtigen gehabt? Sind sie nicht arme melancholische Dummköpfe, die ohne Anlaß ebenso unglücklich sind wie mit Anlaß? Geben Sie ihnen keinen Vorwand, eifersüchtig zu sein - sie werden es doch bleiben. Diese Krankheit wurzelt in der Phantasie und ist, wie alle eingebildeten Krankheiten, unheilbar.«

»Gut gesagt«, meinte der König lächelnd.

Jetzt näherte sich eine Menge junger Damen, denen einige Kavaliere folgten. Ein Schwärmer, dessen Flügel gezeichnet waren wie die Fittiche eines Nachtkauzes, war die Ursache dieser Bewegung.

Diese seltene Beute hatte sich in den Netzen von Mademoiselle de Tonnay-Charente, einer Ehrendame Madames gefangen. Triumphierend setzte sich die Königin der Falterjagd etwa zwanzig Schritt von der Bank entfernt ins Gras, auf der Ludwig und Madame Henriette saßen.

Mademoiselle de Tonnay-Charente war sehr schön; bereitwillig ließen die Herren alle anderen Frauen im Stich, nur um ihr zu ihrem Jagdglück zu gratulieren.

Der König und die Prinzessin beobachteten diese Szene wie erwachsene Zuschauer ein kindliches Spiel.

»Da drüben amüsiert man sich«, sagte der König.

»Sehr, Sire. Ich habe immer bemerkt, daß man sich amüsiert, wo Jugend und Schönheit ist.«

»Was halten Sie eigentlich von Mademoiselle de Tonnay-Charente, Henriette?«

»Sire, sie ist gewiß ein recht wirksames Heilmittel«, meinte Madame mit einem Seufzer. »Sie wird den Eifersüchtigen beruhigen, davon bin ich überzeugt, aber vielleicht wird sie jemand anders eifersüchtig machen.«

»Henriette! Sie erfüllen mein Herz mit Freude! Wirklich, Sie haben recht, Mademoiselle de Tonnay-Charente ist zu hübsch, um nur eine Liebe zu bemänteln.«

»Sire, wenn ich Ihnen einen solchen Rat geben wollte, würde ich Ihnen ja eine Waffe gegen mich in die Hand geben. Das wäre ja Narrheit oder Vermessenheit, wenn ich Ihnen empfehlen wollte, eine Frau zur Heroine einer vorgetäuschten Liebesintrige zu machen, die schöner ist als jene, die Sie wirklich zu lieben vorgeben.«

Der König nahm Madames Hand und stammelte einige Worte, die so zärtlich und zugleich so leise gesprochen waren, daß selbst der Geschichtsschreiber, der doch alles hören müßte, sie nicht verstand.

»Gut«, sagte er dann laut, »Sie werden mir selbst die Frau aussuchen, die unsere Eifersüchtigen beruhigen wird. Dieser Frau werde ich alle meine Aufmerksamkeit schenken, alle Zeit, die ich meiner Arbeit rauben kann. Ihr werde ich die Blume schenken, Henriette, die ich für Sic gepflückt habe, den Blick, den ich nicht wagen werde, Ihnen zu widmen. Aber wählen Sie gut!«

»Ich werde suchen«, sagte Madame, »aber nicht so, wie Sie es wollen, denn all der Weihrauch, den Sie auf dem Altar einer anderen Göttin verbrennen wollen, Sire, wird mich eifersüchtig machen und bekümmern. Darum werde ich, Sire, eine Frau wählen, die Sie nicht zu sehr ablenkt und mein Bild in Ihrer Seele unangetastet läßt. Sire, sehen Sie doch dort zu dem Scheeballbusch hinüber. Wie gefällt Ihnen diese Nachzüglerin, die einsam den anderen folgt?«

»Mademoiselle de La Valliere?«

»Gefällt sie Ihnen nicht, Sire?«

»Sehen Sie denn nicht, daß diese arme Kleine mager ist?«

»Bin ich etwa fett?«

»Aber sie ist ja sterbenstraurig!«

»Das wird ein hübscher Kontrast sein, denn von mir behauptet man ja, daß ich allzu heiter wäre.«

»Henriette«, rief der König mißmutig, »Sie haben mir ja die fehlerhafteste von allen Ihren Ehrendamen gewählt!«

»Ja, aber immerhin, es ist eine von meinen Ehrendamen, beachten Sie das!«

»Mag sein, aber was hilft mir das?«

»Um sie zu besuchen, werden Sie unvermeidlich auch zu mir kommen müssen. Unsere Eifersüchtigen werden sich bewußt werden, daß sie zu Unrecht geglaubt haben, Sie kämen meinethalben zu mir. Ihre Besuche galten Mademoiselle de La Valliere.« »... die hinkt!« »Es ist kaum zu bemerken.« »Und die nie den Mund auftut.« »Aber wenn sie es tut, zeigt sie reizende Zähne.« »Sie könnte einem Anatomen als Modell dienen.« »Wenn Ihre Gunst auf sie fällt, werden ihre Formen sich runden.« »Henriette!« Madame lachte.

»Abgemacht und unterzeichnet!« »Es ist also abgemacht.«

»Aber Sie bewahren mir eine brüderliche Freundschaft, eine königliche Galanterie, nicht wahr?«

»Mehr, ein Herz, das nur auf Ihren Befehl schlägt.«

»Ihre Mutter wird mich also nicht mehr für eine Feindin halten, Maria Theresia wird nicht mehr vor Monsieur spanisch sprechen, der immer in Wut gerät, wenn man vor ihm eine fremde Sprache spricht, weil er glaubt, daß man ihn lästert, und schließlich wird man den König doch wohl nicht mehr illegitimer Zuneigungen beschuldigen, wenn wir, wie es ja wahr ist, füreinander nur eine reine, von allen Hintergedanken freie Sympathie empfinden.«

»Ja, aber man wird etwas anderes sagen. Man wird finden, daß ich keinen Geschmack habe. Immerhin, was können die Interessen meiner Eigenliebe gelten, da Ihre Ruhe auf dem Spiel steht?«

»Nicht meine Ruhe, Sire, sondern meine Ehre. Und dann, glauben Sie mir, Sie sollen nicht voreilig schlecht von der La Valliere denken. Sie hinkt, das ist wohl wahr, aber sie entbehrt nicht eines gewissen gesunden Verstandes. Dann heißt es ja auch, daß alles, was der König anrührt, sich in Gold verwandelt. Seien Sie geschickt und vorsichtig, aber auch nicht herzlos.«

Damit verabschiedete sich die Prinzessin von dem König und näherte sich der heiteren Schar.

Das Ballett der Jahreszeiten

Nach dem Imbiß, der gegen fünf Uhr eingenommen wurde, begab sich der König in sein Arbeitskabinett, in dem die Schneider bereits warteten.

Jetzt galt es endlich, dieses Frühlingskostüm für das lange vorbereitete Ballett zu probieren, dem bereits ein so großer Ruhm voraneilte, und das so viel Phantasie und so viele Gedanken der Hofschneider in Anspruch genommen hatte.

Inzwischen hatte sich in ganz Fontainebleau die Nachricht verbreitet, daß das Ballett an diesem Abend stattfinden sollte. Überall, wo davon gesprochen wurde, entbrannte die Koketterie und der Ehrgeiz.

Um neun Uhr hatte der König seine Toilette beendet. Er erschien in seiner offenen, mit Blumen und Laub geschmückten Karosse.

Die Königinnen hatten auf einer Estrade am Ufer Platz genommen. Binnen fünf Stunden hatten Zimmerleute Theatertribünen aufgebaut, die Tapezierer hatten die Sitze bezogen und wie auf den Wink einer Hand, an der ein Zauberring funkelte, hatten tausend Hände sich gerührt, hatten alles fertiggebracht, während die Feuerwerker bereits die Szene illuminierten.

Da der Himmel bestirnt und wolkenlos war und kein Luftzug die Wipfel bewegte, hatte man die Tribünen ungedeckt gelassen. So erblickte man darüber das Firmament und die bläulichen Silhouetten der Hügelkette.

Als der König erschien, waren die Tribünen bereits besetzt. Die Menge köstlich mit Edelsteinen und Gold geschmückter Menschen wirkte so blendend, daß man zunächst kein einzelnes Gesicht unterscheiden konnte. Das Auge mußte sich erst an den Glanz gewöhnen, bis die auffälligsten Schönheiten hervortraten.

Die Szene stellte zunächst einen Hain dar, in dem Faune umherhüpften; eine Dryade, die auftauchte, reizte die Faune, sie zu verfolgen. Andere Dryaden kamen ihr zu Hilfe, und so entstand eine Kampfszene, die sich in einem Tanz auflöste.

Jetzt sollte unvermittelt, um Ordnung und Friede wiederherzustellen, der königliche Frühling mit seinem Gefolge seinen Einzug halten.

Die Elemente und die geringeren Chargen der Mythologie, mit ihren Attributen bewaffnet, folgten den Spuren ihres anmutigen Herrschers.

Als der König auftrat, war der Applaus stürmisch.

Er trug eine aus Blumen gewundene Tunika, die seine geschmeidige Gestalt eher leichter erscheinen ließ. Seine Beine, die zu den edelgeformtesten gehörten, deren man bei Hof ansichtig werden konnte, staken in fleischfarbenen Seidenstrümpfen, die so durchsichtig waren, daß man sie kaum wahrnahm. Entzückende Schühchen aus blaß-lila Seide schmiegten sich an seine zarten Füße. Die Büste stand in Harmonie zu diesem Körper. Schönes, lockiges Haar, frische Züge, strahlende blaue Augen und ein Mund, dessen Lippen Begierde erregen konnten - das war der Fürst des Jahres, der es verdiente, an diesem Abend König der Liebe genannt zu werden.

Sein Schritt hatte etwas von der Majestät und zugleich von der Leichtigkeit eines Gottes. Der König tanzte nicht, er schwebte.

Der Einzug des Königs, wir sagten es schon, hatte Aufsehen erregt. Jetzt bemerkte man den Zeremonienmeister, der sich dem König und Madame zu nähern suchte.

»Was gibt es, Saint-Aignan?« fragte der Frühling.

»Großer Gott, Sire«, erklärte der Holling totenblaß, »Herr de Guiche ist hier.«

Der König runzelte die Stirn.

»Er ist hier?«

»Ja, Sire, und für das Ballett kostümiert.«

»Sie täuschen sich.«

»Sire, wenn Eure Majestät geruhen will, dort hinüberzublicken ... der Graf wartet.«

Lebhaft wandte Ludwig sich um. In der Tat, de Guiche, der vom König verbannte glühende Verehrer Madames, erwartete strahlend in seinem Vertumnuskostüm, daß der König das Wort an ihn richte.

Wer beschreibt die Verblüffung des Königs, die Wut Monsieurs, das Flüstern und erregte Tuscheln der Höflinge?

Der König hatte einen Blick mit Madame gewechselt, die ihm zu sagen schien: da man eifersüchtig ist, teilen Sie doch den Argwohn! Wer an zwei Rivalen denkt, achtet nicht auf den Einzelnen.

Und so lächelte der König de Guiche zu.

Nur Monsieur begriff diese Szene nicht.

Jetzt setzte das Ballett wieder ein. De Guiche strahlte, aber sein Glanz war der des Höflings, der sich gern mit der zweiten Rolle begnügt.

Madame widmete ihm nicht einen einzigen Blick.

Allmählich verwandelte seine Freude sich in Kummer und Unruhe. Jetzt war sein Tanz ohne Elan, seine Beine wurden schwer, seine Arme matt.

Nun war der König wirklich der erste Tänzer der Quadrille.

Die Nymphen im Park von Fontainebleau

Einen Augenblick genoß der König seinen Triumph, dann wandte er sich zu Madame um, um sie zu bewundern.

Junge Leute lieben vielleicht glühender, leidenschaftlicher als Menschen reiferen Alters, aber bei ihnen sind noch alle Empfindungen wach, die Eigenliebe ist bei ihnen fast immer ebenso stark wie die Liebe selbst.

Darum dachte auch Ludwig erst an Madame, nachdem er seinen eigenen Triumph ausgekostet hatte, und Madame dachte so sehr an sich, daß sie darüber fast den König vergaß.

Zwischen diese Liebe und Eigenliebe geraten, war de Guiche das Opfer. Alle Welt konnte beobachten, wie niedergeschmettert der Unglückliche war. Man hatte gesehen, wie seine Arme schlaff wurden, seine Stirn sich neigte und seine Augen ihren Glanz verloren, und man war bei diesem Mann nicht wenig beunruhigt, wenn er in einer Frage der Eleganz und des guten Geschmacks versagte.

Es gab Leute genug, die seine Lage gerade seiner Höflingsgeschicklichkeit zuschrieben, aber die anderen, und gerade sie waren die Klarsehenden, gewahrten auch seine Blässe, die Stumpfheit seines Ausdrucks, die sich nicht verbergen ließ, und sie schlossen mit Recht daraus, daß de Guiche nicht Komödie spielte.

Aber alle diese Kommentare gingen unter in dem allgemeinen Beifallsjubel. Die Königinnen hatten Beifall gespendet und die Zuschauer mit ihren Ovationen nicht zurückgehalten.

Als der König sich in seine Loge zurückgezogen hatte, um das Kostüm zu wechseln, näherte sich de Guiche, während Monsieur, nach seiner Gewohnheit als Frau gekleidet, tanzte, und Madame, die den nächsten Auftritt erwartete, inmitten der Menge einen einsamen Platz gefunden hatte, um im voraus die choreographische Wirkung der Szene zu prüfen.

Sie war so von ihrer Betrachtung in Anspruch genommen, daß sie nicht sah oder wenigstens zu sehen schien, was rings um sie vorging. Zwei ihrer Ehrendamen, die als Baumnymphen kostümiert waren, sahen de Guiche näher treten und zogen sich diskret zurück.

Jetzt verneigte sich der Graf vor Ihrer Königlichen Hoheit. Aber sie schien seinen Gruß nicht zu bemerken, denn sie wandte sich nicht um.

Ein Schauer lief durch die Adern des Unglücklichen. Auf eine so vollkommene Gleichgültigkeit war er nicht gefaßt gewesen, er, der nichts gesehen und nichts gehört hatte, darum also auch nichts ahnen konnte.

Als er sah, daß sein Gruß nicht beantwortet wurde, sagte er mit einer Stimme, die seine vergebliche Anstrengung, ruhig zu bleiben, wohl verriet: »Ich habe die Ehre, Madame meinen ehrfurchtsvollen Respekt zu Füßen zu legen.«

Jetzt geruhte Ihre Königliche Hoheit, sich umzuwenden.

»Ach, Herr de Guiche, Sie sind es! Guten Abend!«

Und sie wandte sich wieder ab.

Der Graf war seiner kaum mehr mächtig.

»Königliche Hoheit hat wunderbar getanzt«, sagte er.

»Finden Sie?« erwiderte Madame nachlässig.

»Ja, die Rolle entsprach durchaus dem Charakter Eurer Königlichen Hoheit.«

Jetzt wandte Madame sich wieder um und sah de Guiche an.

»Wie meinen Sie das?«

»Sie stellten eine Gottheit dar, die schön ist, leichtherzig und geneigt, alles zu verachten.«

Einen Augenblick zögerte Madame, die Lippen aneinander gepreßt.

»Aber Sie sind doch auch ein vollendeter Tänzer«, sagte sie endlich.

»Ach, Madame, ich gehöre zu jenen, auf die man nicht aufmerksam wird, oder die man vergißt, wenn man ihnen zufällig einen Augenblick lang Aufmerksamkeit schenkte.«

Damit verneigte er sich und ging.

Madame begnügte sich damit, leicht die Achseln zu zucken. Da ihre Ehrendamen, wie wir bereits sagten, aus Diskretion beiseite getreten waren, rief sie sie mit einem Blick zu sich.

»Haben Sie gehört, Mesdemoiselles, was Herr de Guiche gesagt hat?« fragte die Prinzessin.

»Nein, Madame.«

»Wirklich, es ist seltsam«, sagte Henriette mitleidig, »wie sehr die Verbannung diesen armen Herrn de Guiche geistig mitgenommen hat.« Und lauter, damit der Unglückliche kein Wort verliere, fügte sie hinzu: »Zuerst hat er schlecht getanzt, und dann hat er mir armseliges Zeug gesagt.«

Damit stand sie auf und trällerte die Melodie, nach der sie in der nächsten Szene tanzen sollte.

Guiche hatte alles gehört. Auf die Gefahr hin, die ganze Festordnung zu durchkreuzen, floh er.

Eine Viertelstunde später aber kehrte er zurück. Offenbar hatte er einer furchtbaren Kraft bedurft, um der Narrheit Herr zu werden, die ihn fortgerissen hatte; vielleicht ist das Menschenherz so beschaffen, daß der Liebende nicht lange von der Geliebten fernbleiben kann, selbst wenn sie sein Herz zerfleischt.

Madame führte eben ihre Szene zu Ende. Sie bemerkte ihn wohl, achtete aber nicht auf ihn. Er kehrte ihr sogar den Rücken, als sie, von ihren Nymphen geleitet und von hundert Schmeichlern gefolgt, vorbeikam.

Am anderen Ende des Theaters, in der Nähe des Teiches, hatte eine Frau Platz genommen, um ein erleuchtetes Fenster des Tribünenbaues zu beobachten.

Dieses Fenster war das der königlichen Loge. De Guiche näherte sich dieser Frau und grüßte. Sie war aufgestanden, als ob sie bei Gedanken ertappt worden wäre, die sie vor sich selbst zu verheimlichen wünschte. »Guten Abend, Herr Graf.«

»Ach, Mademoiselle de La Valliere, ich freue mich, Sie zu treffen. Nein, gehen Sie nicht, ich bitte Sie! Der Abend ist schön. Sie lieben die Einsamkeit und meiden den Lärm! Ich verstehe das. Alle Frauen von Herz empfinden so.«

»Was haben Sie nur, Herr Graf?« fragte La Valliere fast erschrocken. »Sie scheinen mir erregt.«

»Verzeihung, ich weiß selbst nicht, was ich rede! Vergeben Sie mir! Madame hatte recht, nur zu recht, die Verbannung hat mich wirr gemacht.«

»Aber der König hat Sie doch gut aufgenommen, Herr Graf?«

»Finden Sie? Gut aufgenommen ... vielleicht...«

»Gewiß, denn Sie kamen doch schließlich ohne seine Erlaubnis.«

»Das ist wahr, Sie haben recht, Mademoiselle. Adieu!«

Er floh wie ein Wahnsinniger in Richtung des Teiches.

Mein Gott, dachte La Valliere, er leidet, und ich beginne zu begreifen, was ihn leiden macht.

Jetzt näherten sich ihre Gefährtinnen, die Tonnay-Charente und Montalais. Sie hatten ihren Dienst beendet, ihre Nymphengewänder abgelegt und kehrten nun, von der schönen Nacht ermuntert, zu ihrer Gefährtin zurück.

»Ach«, riefen sie, »schon da? Und wir dachten, wir kämen als erste zu unserem Stelldichein!«

»Ich bin schon seit einer Viertelstunde da.«

»Hat Sie das Ballett nicht amüsiert?«

»Nein, ich ziehe diese dunklen Wälder vor, in denen zuweilen ein Licht aufflammt, das wie ein rotes Auge vorübergleitet ... wie ein Auge, das sich bald schließt und bald öffnet.«

«Mein Gott, wie poetisch sie ist, diese La Valliere«, sagte Mademoiselle de Tonnay-Charente.

»Wirklich unerträglich!« rief Montalais. »So oft man sich amüsieren will, weint La Valliere. Dafür lacht sie, so oft uns das Weinen ankommt.«

»Ach«, rief Mademoiselle deTonnay-Charente, »ich bin da ganz anders, ich bin durchaus Frau, ich freue mich, wenn man mir schmeichelt, wer mir schmeichelt, gefällt mir, und wer mir gefällt ...«

»Nun?« fragte Montalais, »du sprichst ja nicht aus.«

Die Tonnay-Charente lachte auf.

»Sagen Sie, Louise, wie man es anstellen muß, um Ihnen zu gefallen.«

»Das ist meine Sache. Übrigens, wir haben uns vorgenommen, uns heute nacht zu amüsieren, da wir unbeaufsichtigt und ohne Eskorte sind. Wir sind unser drei, wir wissen wenigstens bestimmt, daß wir einander gefallen, und das Wetter ist herrlich. Die Freiheit ist so schön! Wir wollen untergefaßt zu den großen Bäumen hinüber gehen. Da unten ist alle Welt beschäftigt, man sattelt die Pferde und spannt die Wagen an ...«

»Still!« flüsterte Mademoiselle de Montalais »ich höre Schritte!«

»Rasch, wir wollen uns im Schilf verstecken! Bück' dich, Athenais, du bist zu groß!«

Fast im selben Augenblick traten zwei Edelleute auf, die am Ufer entlang schritten.

»Hier war sie eben erst«, sagte der eine, »wenn ich sie nicht selbst gesehen hätte, hielte ich es für eine Vision, aber ich habe mit ihr gesprochen.«

»Bestimmt?«

»Ja, aber vielleicht habe ich ihr Furcht eingeflößt. Ich war noch ganz verwirrt. Sie hat gewiß kein Wort verstanden.«

»Oh, beunruhigen Sie sich nicht, mein Freund, sie ist gütig, sie wird Ihnen nicht böse sein. Sie hat Geist, sie hat gewiß verstanden.«

»Dann wird sie sprechen.«

»Sie kennen Louise nicht. Sie besitzt alle Tugenden und hat keinen einzigen Fehler.«

Die Stimmen der beiden jungen Leute verhallten in der Ferne.

»La Valliere«, flüsterte die Tonnay-Charente, »der Herr Vicomte de Bragelonne nennt Sie Louise, wenn er von Ihnen spricht. Wie kommt das?«

»Wir sind zusammen erzogen worden. Schon als Kinder kannten wir einander.«

»Und dann ist Herr de Bragelonne mit dir verlobt, alle Welt weiß das!«

»Oh, ich wußte das nicht! Ist das wahr, Mademoiselle?«

»Herr de Bragelonne hat mir die Ehre erwiesen«, gestand Louise errötend, »mich um meine Hand zu bitten, aber ...«

»Aber...?«

»Aber es scheint, daß der König seine Einwilligung nicht geben will.«

»Was geht das den König an, was hat der König da zu sagen? Wer ist der König?« rief Aure zornig. »Hat er das Recht, sich in solche Dinge zu mengen? Die Politik ist die Politik, aber die Liebe ist die Liebe! Wenn du Herrn de Bragelonne liebst und er dich auch liebt, könnt ihr heiraten! Meine Einwilligung habt ihr.«

»Wir wollen weitergehen!«

Die drei Mädchen nahmen ihre faltigen Seidenröcke auf und eilten zur dunkelsten Stelle des Parkes.

Im selben Augenblick richtete sich ein Mann, der sich im Weidengestrüpp eines Grabens verborgen hatte, lebhaft auf und eilte hastig zum Schloß.

Die drei Mädchen erreichten die Lisere des Parks, dessen Alleen sie so gut kannten.

Vom Schloß her hörte man verklingende Musik, dann sandte die Nachtigall ihren süßen, köstlichen Gesang zum nächtlichen Himmel empor.

In der Dunkelheit sah man in den Baumwipfeln die Augen der Nachtkäuze glitzern.

So war dieses Fest des Hofes zugleich auch das Fest der geheimnisvollen Gäste des Waldes. Gewiß lauschte der Hase im Heidekraut, der Fasan im Geäst, der Fuchs in seinem Bau.

Man ahnte dieses unsichtbare, nächtliche Leben nur, wenn plötzlich ein Rascheln durch das Laubwerk ging.

Dann stießen die Nymphen des Waldes wohl einen leichten Schrei aus, beruhigten sich aber sofort wieder, lachten und gingen weiter.

So kamen sie zu der Königseiche, diesem alten, ehrwürdigen Baum, der in seiner Jugend die Seufzer Heinrichs II. und der schönen Diane de Poitiers, später die Heinrichs IV. und der schönen Gabrielle d'Estrecs gehört hatte.

Unter dieser Eiche hatten die Gärtner eine Ruhebank aus Moos errichtet, die so weich war, daß nie die müden Glieder eines Königs ein sanfteres Lager gefunden hatten.

Was unter der Königseiche gesprochen wurde

»Welches Vergnügen«, sagte Montalais, »so allein zu sein, frei und ungezwungen!«

»Ja«, meinte Mademoiselle deTonnay-Charente, »denn so glänzend der Hof auch sein mag, jede Samtfalte birgt eine Lüge, und das Feuer der Diamanten ist falsch.«

»Ich lüge niemals«, meinte La Valliere; »wenn ich nicht die Wahrheit sagen darf, schweige ich.«

»Athenais«, sagte Montalais, »sagen Sie uns doch, was Sie über Herrn de Montespan denken.«

»Er ist sehr schön, glaube ich.«

»Das ist in meinen Augen kein geringer Vorteil.«

»Ich möchte sogar sagen, daß er von allen Männern, die man hier ringsum zu sehen bekommt, der schönste und der ...«

»Was ist das?« fragte La Valliere, die erschrocken zusammengezuckt war.

»Wohl irgendein Hirsch im Gehölz.«

»Ich habe nur vor Männern Angst«, meinte Athenais.

»Wenn sie nicht Herrn Montespan ähnlich sind.«

»Genug mit diesen Scherzen! Er ist aufmerksam zu mir, aber das verpflichtet zu nichts. Ist nicht etwa Herr de Guiche aufmerksam zu Madame?«

»Der arme Junge!« seufzte La Valliere.

»Warum finden Sie ihn arm? Madame ist sehr hübsch und eine große Dame.«

La Valliere schüttelte traurig den Kopf.

»Wenn man liebt, kommt es darauf nicht an. Man liebt das Herz und die Augen des Geliebten.«

Montalais begann zu lachen.

»Das Herz! Die Augen! Zuckerwerk! Wie kann man einen Mann beklagen, der eine Frau wie Madame liebt? Wenn da einer von beiden Fehler begeht, so ist es der Graf.«

»Nein, es ist Madame«, versicherte La Valliere, »sie hat nicht einmal das Bedürfnis, zu erfahren, was Liebe ist. Herr de Guiche liebt sie, aber sie erwidert dieses Gefühl nicht.«

Athenais lächelte verächtlich.

»Liebt man denn?« fragte sie. »Wo sind plötzlich Ihre vornehmen Gefühle? Die Tugend einer Frau zeigt sich erst in der Abwehr jeder mutigen Liebesintrige. Eine Frau, die ein großmütiges Herz besitzt und gut veranlagt ist, mag die Männer wohl ansehen, sich lieben lassen, anbeten sogar, sie kann sogar einmal in ihrem Leben sagen: mir scheint, wenn ich nicht wäre, was ich bin, hätte ich jenen Mann da weniger verabscheut als die anderen.«

»Das also versprechen Sie Herrn de Montespan?«

»Ihm, wie jedem anderen. Ich erkenne ihm eine gewisse Überlegenheit zu, das sollte nicht genügen? Meine Liebe, wenn man Frau ist, dann ist man von Fünfzehn bis Fünfunddreißig in dem Königreich, das die Natur uns zugewiesen hat, Königin. Herz können Sie sich leisten, wenn Sie nichts anderes mehr zur Verfügung haben.«

»Großartig!« rief Montalais, »das nenne ich eine Frau, die mit den Dingen umzuspringen weiß! Sie werden es weit bringen, Athenais!«

»So, geben Sie mir denn nicht recht?«

»Ich applaudiere mit Händen und Füßen!«

»Sie scherzen doch, nicht wahr, Montalais?« fragte Louise.

»Durchaus nicht, ich gebe ihr durchaus recht, nur möchte ich diese Theorie nicht in die Praxis umsetzen. Manchmal nehme ich mir Dinge vor, daß der König von Spanien mich darum beneiden könnte. Wenn es aber dann an die Verwirklichung geht - aus! Nichts!«

»Sie werden schwach?« fragte Athenais verächtlich.

»Schandbar schwach.«

»Eine unglückliche Natur. Aber Sie wählen doch wenigstens?«

»Das Schicksal treibt seinen Spaß mit mir. Ich träume von Kaisern und finde ...«

»Aure! Aure! Um Himmels willen, opfern Sie doch nicht Menschen, die Ihnen aufrecht ergeben sind, der Lust, ein Scherzwort zu prägen!«

»Ach, darüber mache ich mir wenig Gedanken, die Leute, die mich lieben, sind froh genug, daß ich ihnen nicht den Laufpaß gebe. Mein Pech, daß ich eine Schwäche habe. Um so schlimmer für sie, wenn ich mich an ihnen räche. Meiner Treu, das tu' ich noch!«

»Sie haben ganz recht«, meinte Athenais, »und vielleicht kommen Sie auch noch ans Ziel. Man nennt das Koketterie, Mesdemoiselles. Die Männer, die ja in vielen Dingen seltsam albern sind, sind es zumal in diesem Punkt: sie verwechseln, wenn sie von der Koketterie einer Frau sprechen, Stolz und Flatterhaftigkeit. Ich bin stolz, nicht so einfach zu nehmen, ich weise die Männer, die mich umwerben, zurück, aber ich tue es nicht, um sie an mich zu fesseln. Mich finden sie nur kokett, weil ihre Eigenliebe sie glauben lehrt, daß ich sie in Wirklichkeit doch begehre. Dank dieser Koketterie magert der Verliebte ab, der eben noch in seinem Stolz ganz aufgeblasen ist, binnen einer Minute. Schon wollte er uns günstig seinen Schutz anbieten, da muß er wieder auf die Knie sinken. Wenn wir so verfahren, haben wir statt eines eifersüchtigen, unbequemen Gatten einen Geliebten, der immer in Unruhe und immer unterwürfig ist, einzig und allein darum, weil er in uns jeden Tag eine neue Geliebte findet. Das, Mesdemoiselles, ist der Vorteil der Koketterie. Damit ist man unter den Frauen Königin.«

»Ach, wie geschickt Sie sind!« rief Montalais, »wie gut Sie das alles verstehen!«

»Ich verstehe gar nicht«, sagte Louise, »Sie sprechen gar nicht wie Geschöpfe, die auf dieser Erde leben.«

»Eine feine Erde, die Ihre!« rief Montalais.

»Eine Erde«, sagte Athenais, »auf der der Mann die Frau bezaubert, mit Weihrauch betäubt und dann, wenn sie ihm preisgegeben ist, beschimpft.«

»Warum preisgegeben?« fragte Louise.

»Erklären Sie mir doch, meine Liebe, welches Mittel Sie anwenden wollen, um nicht preisgegeben zu sein, wenn Sie sich fortreißen lassen wollen zu lieben.«

»Oh«, rief das junge Mädchen, »wenn Sie wüßten, was ein Herz ist, würde ich Ihnen das erklären, und ich würde Sie sogar überzeugen. Ein liebendes Herz ist stärker als all Ihre Koketterie und all Ihr Stolz. Niemals kann ein Mann eine Frau wirklich anbeten, wenn er nicht selbst fühlt, daß er wiedergeliebt wird. Mögen doch die Alten der Komödie sich einbilden, daß kokette Frauen sie anbeten. Der junge Mann versteht sich darauf, er irrt nicht. Wenn er sich auch um eine Kokette bemühen mag, wird er doch nie wirklich in sie verliebt sein. Die Liebe, wie ich meine, ist vollkommene Preisgabe, ein unaufhörliches Opfer ohne Vorbehalte. Sie kann nicht nur das Opfer des einen der beiden Liebenden sein. Das wäre die vollkommene Verleumdung des Prinzips von den beiden Seelen, die in eine zusammenströmen wollen. Wenn ich je lieben sollte, werde ich meinen Geliebten bitten, mich frei und rein zu lassen. Er wird mich verstehen, wenn ich ihm sage, daß mir die Weigerung selbst Schmerz bereitet, aber er wird mein Opfer begreifen, er wird mich achten, wird nicht versuchen, mich, wie Sie es nannten, zu beschimpfen, wenn ich betäubt bin. So liebe ich. Sie werden mir jetzt sagen, daß mein Geliebter mich verachten wird, aber ich glaube es nicht, er wäre denn der niedrigste aller Männer. Mein Herz sagt mir, daß ich nicht einen solchen wählen würde. Mein Blick wird ihn für sein Opfer belohnen oder ihm Tugenden aufzwingen, von denen er nie geglaubt hätte, daß er sie besaß.«

»Aber Louise!« rief Montalais, »das meinen Sie doch nicht ernst! Raoul de Bragelonne liebt Sic! Der arme Junge wird ja zuletzt ebenso Opfer ihrer Tugend, wie er ein Opfer meiner Koketterie oder von Athenais' Stolz wäre.«

Die beiden jungen Mädchen lachten.

La Valliere schüttelte den Kopf.

»Wenn Sie auch nur ein Viertel von dem, was Sie da sagen, vor einem Mann sagen wollten«, entschied sie, »oder wenn ich nur glauben müßte, daß Sie wirklich so denken, würde ich auf der Stelle vor Scham sterben.«

»Dann werden Sie wohl sterben müssen«, meinte Mademoiselle de Tonnay-Charente. »Denn wenn auch kein Mann zur Stelle ist, so erklären wir Ihnen doch, daß wir Sie aus tiefster Überzeugung für eine Kokette aus Instinkt halten, für eine naive Kokette, also für die gefährlichste Abart dieser Spezies, die es nur geben kann.«

Wieder lachten die beiden Mädchen.