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Günther Wessel

Das schmutzige Geschäft
mit der Antike

Günther Wessel

Das schmutzige Geschäft
mit der Antike

Der globale Handel
mit illegalen Kulturgütern

Mit einem Vorwort von Markus Hilgert
und einer Schlussbemerkung von
Friederike Fless

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»Und Geld ist immer das Motiv?«

»Nein, sehr viel Geld.«

Der Basler Kunsthändler Christoph Leon im Interview

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

2., aktualisierte und erweiterte Auflage, März 2016

Abbildungen auf dem Einband: Vorderseite/oben: Skulptur aus der antiken Stadt Palmyra im Museum von Damaskus, 14. März 2014 (Getty Images/AFP Photo/Joseph Eid); Vorderseite/unten: zerstörte Antiken im Museum im ägyptischen Mallawi nach der Plünderung des Museums, 17. August 2013 (picture alliance/Roger Anis/Demotix); Rückseite: Raubgrabungslöcher nahe der Pyramiden von Gizeh, 2014 (Monica Hanna)

ISBN 978-3-86284-311-4

Inhalt

Vorwort

Von Markus Hilgert

Einleitung
Der Handel mit illegalen Kulturgütern:
Ein unseliger Boom

1 Ägypten:
Grabungslöcher und Knochenhügel

2 Irak und Syrien:
Terrorfinanzierung durch Raubgrabungen?

3 Deutschland:
Wo Hobbyarchäologen wühlen

4 Spurensucher, keine Schatzgräber:
Die Archäologen und die Archäologie

5 Tunnel und Diplomatenkoffer:
Die Schmuggler

6 Geldanlage oder Kunstgenuss?
Die Sammler

7 Die Gier des Kurators:
Museen und ihre Verantwortung

8 Nur saubere Ware? Die Händler

9 Antiken in der Waschanlage:
Wie illegale Kulturgüter legal werden

10 »Wo ein Markt ist, gibt es auch immer Fälschungen.«

11 Ein grauer Markt:
Die Dimensionen des Handels mit illegalen Kulturgütern

12 Schutzgesetze? Rechtliche und politische Bemühungen
sowie Versäumnisse beim Kulturguthandel

Schluss
»Kaufen Sie das Zeug nicht!«

Schlussbemerkung

Von Friederike Fless

Anhang

Quellen

Dank

Zum Autor

Vorwort

Flughafen Lyon, Gate Q 01, bis zum Rückflug nach Berlin bleiben mir noch drei Stunden – Zeit, in der ich schreiben kann. Vor mir auf dem Tisch liegt das inzwischen stark mitgenommene Manuskript von Günther Wessels »Das schmutzige Geschäft mit der Antike«, mein ständiger Begleiter in den letzten Tagen – und Nächten.

Es ist Freitag, der 19. Juni 2015. Ich bin noch ein wenig benommen. Die vergangenen zwei Tage habe ich in einem fensterlosen, abhörsicheren, videoüberwachten Raum zugebracht, in der Zentrale von Interpol. Konzentriert und systematisch haben Vertreterinnen und Vertreter von Ermittlungs- und Zollbehörden aus aller Welt, internationalen Organisationen und Fachinstitutionen den illegalen Handel mit Kulturgütern unter die Lupe genommen, haben Ermittlungsergebnisse ausgetauscht, Forschungsvorhaben vorgestellt und Strategien abgestimmt. Ich bin beeindruckt: Eine breite, mächtige Koalition im Kampf gegen die organisierte Kriminalität im Bereich des illegalen Kulturguthandels hat sich formiert. Und beinahe täglich gewinnt sie an Schlagkraft durch neue Partner, die ihren eigenen Beitrag zum Schutz des materiellen Kulturgedächtnisses der Menschheitsgeschichte leisten wollen. Was ist geschehen? Woher kommt diese massive, globale Sorge um das Kulturerbe der Welt?

Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her, dass die britische Tageszeitung The Guardian in einem aufsehenerregenden Bericht eine direkte Verbindung zwischen dem Handel mit illegal ausgegrabenen Antiken aus Syrien und der Finanzierung der islamistischen Terrormiliz IS herstellte (siehe Kapitel 2). Gewiss, die Annahme einer solchen direkten Verbindung zwischen illegalem Antikenhandel und Terrorismus beruht bislang lediglich auf Indizien. Aber allein der durchaus begründete Verdacht, dass mit dem scheinbar »harmlosen«, gerade auch in Europa besonders lukrativen Handel mit archäologischen Objekten wie Rollsiegeln, Schmuckstücken, Keilschrifttafeln, Statuen oder Mosaiken die unaussprechlichen Gräuel an der Zivilbevölkerung in Syrien und im Irak mitfinanziert werden könnten, hat eine weltweite Schockwelle ausgelöst.

Wachgerüttelt wurden nicht nur diejenigen, die bis dahin insistiert hatten, Raubgrabungen und illegaler Handel mit Kulturgütern seien Kavaliersdelikte, denen man angesichts der vielfältigen, drängenden Herausforderungen an die Menschheit keine zusätzliche Aufmerksamkeit schenken könne und wolle. Ein Bewusstseinswandel hatte sich vielmehr auch in der Öffentlichkeit sowie in den Medien vollzogen, wo das Thema bis zu diesem Zeitpunkt weder angemessen präsent noch als schwerwiegende gesellschaftliche und politische Herausforderung erkannt worden war.

Mit den Propagandavideos des IS, die seit Ende Februar dieses Jahres veröffentlicht wurden und mutwillige, ideologisch motivierte Zerstörungen von Museen und archäologischen Stätten im Nordirak zeigen, hat sich jedoch noch eine andere, tiefer gehende Erkenntnis eingestellt: Religiöse oder konfessionelle Konflikte, politische Instabilität und wirtschaftliche Krisen stellen immer eine besondere Bedrohung für materielle wie immaterielle Kulturgüter dar. Je länger diese Krisensituationen andauern, je weiter sich die betroffenen Territorien ausdehnen und je schwächer der politische Wille und die Entschlossenheit sind, der schleichenden Zerstörung Einhalt zu gebieten, desto größer ist die Gefahr, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern ein menschliches Kulturerbe in Trümmern hinterlassen werden.

Der kulturelle Reichtum der Vergangenheit, aus dem wir mit vielfach unreflektierter Selbstverständlichkeit unsere individuellen und kollektiven Orientierungsraster, unsere Entwicklungs- und Modernitätsnarrative sowie unsere ethischen Grundsätze ableiten, ist keine quantité négligeable, kein schmückendes Beiwerk, das es nur dann zu schützen gilt, wenn alle menschlichen Grundbedürfnisse bereits befriedigt sind. Denn uneingeschränkte Orientierung und verantwortete Handlungsfähigkeit sind Grundbedürfnisse des Menschen. Zugleich sind sie sein wichtigstes unterscheidendes Merkmal und sein größtes Kapital.

Wer glaubt, Raubgrabungen, Plünderungen und illegaler Handel mit Kulturgut seien ein Phänomen der jüngeren Zeit, das auf Länder wie Ägypten, Irak, Syrien oder Afghanistan beschränkt ist, täuscht sich gewaltig. Raubgrabungen in allen Regionen der Welt sind vermutlich so alt wie die Gewohnheit des Menschen, wertvolle Dinge unterirdisch zu verbergen, sei es zu deren Schutz, sei es in einem zeremoniellen oder kultischen Zusammenhang. Systematische Raubgrabungen etwa im Irak sind bereits für die Zeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts dokumentiert, das heißt für eine Epoche, als im Zuge einer kulturellen Aneignung der Vergangenheit in kolonialem Kontext Staaten wie England, Frankreich oder Deutschland wissenschaftliche Expeditionen in das Land zwischen Euphrat und Tigris entsandten, um archäologische Objekte für Forschung und Museen in Europa zu gewinnen. Plünderungen archäologischer Stätten in großem Umfang hat der Irak erneut seit den 1990er Jahren zu beklagen, als Krieg und innenpolitische Instabilität nicht nur den flächendeckenden Schutz dieser Stätten unmöglich machten, sondern auch eine wirtschaftliche Krise auslösten, die wie immer die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft am schlimmsten traf.

Raubgrabungen aus schierer menschlicher Not wie aus schnöder Habgier haben jedoch stets zwei Dinge miteinander gemein:

1. Sie stellen langfristig die mit Abstand größte Bedrohung für das kulturelle Erbe der Menschheit dar, eine Bedrohung, die weitaus umfassender ist als propagandistisch inszenierte Zerstörungsorgien oder Schäden durch militärische Kampfhandlungen.

2. Sie sind auf einen Markt mit gut ausgebildeter Infrastruktur und vor allem mit entsprechender Nachfrage angewiesen. Solange es möglich ist, mit illegal ausgegrabenen Kulturgütern einen lukrativen Handel zu treiben und ohne beträchtliche Risiken Geld zu verdienen, wird es Raubgrabungen und Plünderungen archäologischer Stätten geben; solange der Handel die Gier von Personen und Institutionen nach stets neuen Objekten befriedigen und damit die Nachfrage nur noch mehr anheizen kann, ist ein Ende der schleichenden Auslöschung unseres gemeinsamen kulturellen Erbes nicht abzusehen.

Dies ist jedoch nicht nur eine kulturelle Katastrophe für diejenigen Staaten, deren vielfach jahrtausendealte archäologische Stätten der ungebremsten Nachfrage nach »grabungsfrischen« Objekten im Handel zum Opfer fallen. Der illegale Handel mit Kulturgütern wird zunehmend auch zur außenpolitischen Herausforderung für sogenannte Markt- oder Transitstaaten, in denen dieser Handel stattfindet. Denn ganz zu Recht fordern Regierungen, deren Länder von Raubgrabungen betroffen sind, bei diesen Markt- oder Transitstaaten strengere rechtliche Rahmenbedingungen und effektive Instrumente für die Bekämpfung des illegalen Handels auf nationaler Ebene ein. Dabei fällt auf, dass politische und wirtschaftliche Asymmetrien, deren Ursprünge in die Zeit des Kolonialismus zurückreichen, im Verhältnis dieser beiden Staatengruppen zueinander vielfach bis heute wirksam sind.

Wer Maßnahmen gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern ergreifen will, muss zunächst verstehen, wie dieser Handel funktioniert, wer die Akteure sind, wie sie operieren und kommunizieren, wie die Verbindungen zu anderen Bereichen der organisierten Kriminalität beschaffen sind, womit besonders gern gehandelt wird und wieviel Gewinn sich damit erzielen lässt. Aus Sicht der Kriminologie zählt der illegale Handel mit Kulturgütern zu den Dunkelfeldern der organisierten Kriminalität. Ein Dunkelfeld zeichnet sich dadurch aus, dass es kein umfassendes, systematisches Wissen über diesen Bereich der Kriminalität gibt und dass Methoden sowie Instrumente fehlen, um möglichst schnell an dieses systematische Wissen zu gelangen.

Im Falle des weitverzweigten, illegalen Kulturguthandels zeichnet sich inzwischen ab, wie dieses Wissensdefizit mittelfristig behoben werden kann. Entscheidend ist dabei zunächst die Vernetzung der in diesem Bereich bereits vorhandenen Kompetenzen, Kapazitäten und Infrastrukturen auf internationaler Ebene, die gegenwärtig beispielsweise von der UNESCO, dem Internationalen Museumsrat ICOM oder Interpol mit großem Engagement vorangetrieben wird. Unverzichtbar ist weiterhin die wissenschaftliche Dunkelfeldforschung, deren Ziel es vor allem sein muss, effektive Verfahren für eine zuverlässige Erhellung des Dunkelfeldes zu entwickeln. In Deutschland geschieht dies gegenwärtig im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Verbundprojekts »ILLICID. Illegaler Handel mit Kulturgütern in Deutschland« (siehe Kapitel 11). Gerade in Europa muss Dunkelfeldforschung zum illegalen Kulturguthandel in Zukunft aber auch staatenübergreifend erfolgen, wenn sie den Gegebenheiten des europäischen Binnenmarktes entsprechen will.

Schließlich sind es detailreiche Untersuchungen wie das vorliegende Buch, die einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des »schmutzigen Geschäfts mit der Antike« leisten können. Denn basierend auf umfassenden, sorgfältigen Recherchen entwirft Günther Wessel nicht nur ein atemberaubendes Panorama der Hintergründe, Funktionsweisen und vielfältigen Akteure des illegalen Kulturguthandels, das alle Facetten dieses schillernden Milieus abbildet und damit die wissenschaftliche Dunkelfeldforschung ideal ergänzt. Schärfen wird Wessels ebenso seriöser wie fesselnder Bericht vielmehr auch das öffentliche Bewusstsein für die menschenverachtenden und kulturzerstörenden Praktiken derjenigen Personen und Institutionen, die dem illegalen Handel mit Kulturgütern zuarbeiten oder ihn unterstützen: Niemand kann jetzt noch glaubwürdig behaupten, er habe nicht gewusst oder wissen können, welchen Schaden diese Form der organisierten Kriminalität der gesamten Menschheit und ihrem kulturellen Gedächtnis zufügt.

Prof. Dr. Markus Hilgert

(Direktor, Vorderasiatisches Museum im Pergamonmuseum, Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz)

Einleitung
Der Handel mit illegalen Kulturgütern:
Ein unseliger Boom

Alles beginnt mit dem Sammler, der zu einem Händler oder zu einer unsauberen Auktion geht, um ein Objekt zu kaufen. Er ist der Erste in der Reihe, der zahlt. Und alle anderen sind seine Komplizen: derjenige, der es außer Landes schmuggelt, der, der ausgräbt, und derjenige, der Kinder zum Ausgraben anheuert.

Monica Hanna, Archäologin

Es ist eine verschwiegene Szene. Eine, die nicht auffällt, die gediegen daherkommt, die kultiviert über ihre Stücke spricht, die vom Atem der Geschichte schwärmt, den Zeugnissen der Vergangenheit, von jahrtausendealter Kulturgeschichte, die so fassbar würde. Eine Szene, die sich für die Ästhetik ihrer Sammlerstücke begeistert, aber nur selten wissen will, dass an diesen manchmal Blut klebt, sie häufig illegal aus ihren Herkunftsländern ausgeführt wurden.

Aus dunklem Hintergrund strahlen sie den Betrachter an: eine Isiskrone aus Ägypten, ein sabäisches Kalksteinidol, der späthellenistische bronzene Kopf eines Maultieres. Das Fragment eines hölzernen ägyptischen Sarkophages. Und 657 weitere Objekte, alle schön fotografiert. Ein Auktionskatalog. Mehr als 330 Seiten, Hochglanz, Schutzgebühr 15 Euro. Sehr edel, sehr aufwendig. Doch in einem Punkt sind die ansonsten sehr präzisen Beschreibungen im Katalog recht ungenau: bei der Herkunftsbezeichnung, der sogenannten Provenienz. »Seit 1982 in englischem Familienbesitz« heißt es beispielsweise bei einer römischen Marmormänade, die für 140 000 Euro verkauft wurde. Oder: »Aus US-amerikanischer Privatsammlung erworben vor 1983«. Das meiste Geld brachte ein Porträt Cäsars: 160 000 Euro zahlte jemand für den nasenlosen Marmorkopf. Insgesamt erlöste die Auktion an einem Frühsommertag im Jahr 2014 knapp 1,8 Millionen Euro. Es war nur eine von mehreren Antikenauktionen, die das angesehene deutsche Auktionshaus Gorny & Mosch jährlich durchführt.

Auktionshäuser gibt es viele, auch solche, die wie Christie’s oder Bonhams in London noch weitaus teurere Stücke handeln. Das Museum von Northampton in England ließ im Juli 2014 trotz aller Proteste aus Großbritannien und Ägypten über das Auktionshaus Christie’s eine etwa 4500 Jahre alte Kalksteinstatue versteigern. Die 75 Zentimeter hohe Skulptur des Schreibers Sekhemka war einem ungenannten Bieter knapp 16 Millionen Pfund, etwa 20 Millionen Euro, wert. Ob die Statue noch einmal öffentlich gezeigt wird, ist fraglich. Der erzielte Preis reiht sich in Rekordsummen ein: 2007 brachte eine Artemis-Figur aus einem Museum in Buffalo (USA) bei einer Auktion in New York 28,6 Millionen US-Dollar und eine nur acht Zentimeter große mesopotamische Löwinnenfigur im selben Jahr ebenfalls in New York gar 57 Millionen US-Dollar. Der Markt für Kunstgegenstände früherer Hochkulturen ist lukrativ, die Nachfrage groß und die Versuchung groß, diese nicht nur auf legalem Wege zu befriedigen.

Mir war die Szene lange unbekannt. In Brüssel, wo ich mehrere Jahre lebte, finden sich in den Seitenstraßen des Grand Sablon, eines Platzes im Herzen der Stadt, nicht nur die schönsten und auch teuersten Schokoladen- und Pralinenläden der Erde, sondern auch einige sehr exquisite Geschäfte, die mit Antiquitäten und Antiken handeln. Die meisten haben nur kurze Geschäftszeiten, dafür wird eine Telefonnummer angegeben. Man muss anrufen, will man das Angebot, das durch die Scheiben schimmert, näher in Augenschein nehmen. So pressten wir die Nasen an die Schaufenster, wunderten uns kurz, woher die Fülle an ägyptischen Kanopen, Rollsiegeln aus Mesopotamien oder streng blickenden Idolen von den Kykladen stammte, gingen dann aber weiter, um bei Pierre Marcolini Schokoladenkunstwerke eher zu bestaunen als zu kaufen oder an der Bude vor der Kirche Notre-Dame de la Chapelle eine Portion Pommes frites zu verspeisen.

2003 dachte ich wieder an diese Läden. In diesem Frühjahr gingen die Bilder vom geplünderten Irakischen Nationalmuseum in Bagdad durch die Weltpresse. Innerhalb von zwei Tagen war das Museum ausgeraubt worden. Die Räuber rafften Zeugnisse aus 7000 Jahren Zivilisationsgeschichte zusammen. Sie zerschlugen Statuen und raubten deren Köpfe, zertrümmerten Vitrinen, stahlen, was ging. Keiner hinderte sie daran, kein Panzer stand vor dem Museum, um die Kultur zu schützen (vor dem Energieministerium hatten die Amerikaner Panzer auffahren lassen). Rund 15 000 Kunstwerke sollen entwendet worden sein – assyrische Plastiken aus Bronze, Goldarbeiten der Sumerer, zahlreiche Rollsiegel mit Keilschrifttexten. Was passierte mit dem Beutegut?

Viersen, Sommer 2010: Die Polizei der Stadt am linken Niederrhein bekommt einen Tipp aus den nahen Niederlanden. Jahrtausendealte Kunstschätze aus Mesopotamien sollen verkauft werden. Ihr angeblicher Wert: 15 Millionen Euro. Die Polizei handelt schnell und schickt einen verdeckten Ermittler zu dem Kunstdeal, der in einer Viersener Spielhalle über die Bühne gehen soll. Vier Händler – zwei Iraker, zwei Deutsche (einer mit irakischen, einer mit türkischen Wurzeln) aus Viersen und den Nachbarstädten Krefeld und Mönchengladbach. Die potenziellen Käufer stammen aus der Türkei und waren über die Schweiz nach Viersen gereist. Doch der Deal platzt. Die Polizei sucht nun undercover den Kontakt zu den Händlern. Beamte geben sich als interessierte Käufer aus. Die Händler stimmen einem Treffen, wieder in der Spielhalle, zu und bieten eine Terrakottafigur aus der Isin-Larsa-Zeit (2. Jahrtausend v. Chr.) und vier Rollsiegel für 2,5 Millionen Euro an. Sie werden verhaftet, bei einer Hausdurchsuchung findet die Polizei weitere neun Artefakte, das älteste circa 5000 Jahre alt. Unter den Fundstücken ist auch ein Rollsiegel aus grünem Calcit, das noch 2003 im Irakischen Nationalmuseum ausgestellt war. Doch nur wenige Tage später sind die Dealer wieder auf freiem Fuß. Man konnte sie nicht belangen, da nicht beweisbar war, dass die Männer wissentlich mit Hehlerware gehandelt hatten.

Brüssel, Sommer 2014: Der französische Archäologe Olivier Perdu spaziert durch das Antiquitätenviertel am Place Sablon. In der Auslage eines Händlers entdeckt er das Fragment einer ägyptischen Statue. Er ist verdutzt: Grüner Stein, knappe 15 Zentimeter hoch, erinnerte sie ihn an eine andere Statue, die er 1989 im Ägyptischen Museum in Kairo intensiv untersucht hatte. Das Brüsseler Stück scheint ein Zwilling zu sein. Perdu sieht genauer hin und stellt fest: Es sieht dieser Statue nicht nur ähnlich, es ist ein Teil von ihr – die Antike wurde bei der Plünderung des Museums im Jahre 2011 zerschlagen und gestohlen, kam auf verschlungenen Wegen nach Brüssel und wurde nun als aus altem Besitz stammend ausgegeben. Inzwischen befindet sich das Objekt wieder in Kairo. Der Brüsseler Händler, der von der Herkunft des Artefakts angeblich nichts wusste, betreibt weiter sein Geschäft.

Seit etwa 20 Jahren boomt das Geschäft mit geraubten Kulturgütern. Schon früher wurde in vielen Ländern illegal gegraben – auch in Deutschland –, schon früher wurden Grabungsfunde illegal ausgeführt. Im Jahre 1983 verabschiedete Ägypten sein aktuelles Antikengesetz: Seither ist der Handel mit ägyptischen Antiken sowohl innerhalb des Landes als auch deren Verkauf ins Ausland verboten. Ägypten gab sich erst spät solch ein Gesetz; aus Griechenland dürfen schon seit 1834 keine Antiken mehr ins Ausland verkauft werden, aus der Türkei und den anderen Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches wie dem Irak und Syrien seit 1869.

Seit die Preise für Kunst steigen und der Nahe Osten und Nordafrika immer mehr von politischen Unruhen erschüttert werden, nehmen die Raubgrabungen zu, wie mir zahlreiche Archäologen vor Ort bestätigten. Noch in den 1990er Jahren nahmen Händler, Sammler und auch Museen an, dass der Handel mit Antiken weitgehend legal sei. Viele Antiken, die damals auf den Markt kamen, stammten wirklich aus alten Sammlungen. »Damals haben sich viele Leute mit Geld auf Antiken gestürzt«, sagt der Archäologe Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. »Aktien sind in ihrem Wert verfallen, auch Devisenspekulationen waren nicht mehr so lohnend. Damals kamen tatsächlich alte Schweizer Sammlungen zum Verkauf. Und diese Objekte waren gesucht, denn man konnte sicher sein, sie stammen nicht aus neuen Grabungen. Da gab es Dokumentationen, die lange zurückreichten.« Kam doch mal ein Stück aus einer neueren Raubgrabung – und Müller-Karpe beeilt sich zu versichern, dass die Objekte aus den alten Schweizer Sammlungen mitnichten unbedingt legal erworben wären – auf den Tisch eines Kunsthändlers oder Auktionshauses, so sprach man von einem Einzelfall, dem berühmten faulen Apfel in einem ansonsten gesunden Obstkorb.

Doch irgendwann wurde deutlich, dass diese Annahme falsch war. Spätestens als der englische Journalist und Kulturhistoriker Peter Watson gemeinsam mit der italienischen Journalistin Cecilia Todeschini im Jahr 2006 das Buch »Die Medici-Verschwörung. Der Handel mit Kunstschätzen aus Plünderungen italienischer Gräber und Museen« vorlegte, war klar, dass ein großer Teil des Antikenhandels in illegale Aktivitäten verstrickt ist. So wurde damals bewiesen, dass Marion True, die zuständige Kuratorin das Getty-Museums in Malibu, Kalifornien, zahlreiche Stücke aus Raubgrabungen in Italien und Griechenland für die Sammlung erworben hatte.

Trotzdem argumentieren viele Händler noch heute, dass der Handel für den Erhalt der Antiken wichtig sei. Nur der monetäre Mehrwert würde Bauern in irgendeinem Land dazu bringen, archäologische Zufallsfunde nicht wegzuwerfen. Ursula Kampmann, Sprecherin der International Association of Dealers in Ancient Art (IADAA) und Geschäftsführerin der Zeitschrift MünzenWoche, erzählt mir, wie Bauern in Thailand Reste einer Stupa, eines buddhistischen Bauwerks mit einem spitz zulaufenden, mit Gold verkleideten Kuppelgewölbe, gefunden hätten. Die Goldbleche hätten sie sofort zum Goldschmied gebracht und einschmelzen lassen. »Hätten die Leute gewusst, dass es einen Kunsthandel gibt, wären wenigstens die Bleche vermutlich erhalten geblieben, weil man sich dann erhofft hätte, etwas mehr dafür zu bekommen. Der Handel inspiriert eigentlich die Leute überhaupt erst, die Dinge aufzubewahren.«

Michael Müller-Karpe kennt das Argument. Er gesteht ihm einen gewissen, aber geringen Wahrheitsgehalt zu, meint aber auch: »Der Anteil der Zufallsfunde, also dass jemand beim Graben eine Tonscherbe findet, ein Schüsselchen oder eine Goldmünze, ist in der Masse der angebotenen archäologischen Funde verschwindend gering. Die Mondlandschaften in den irakischen archäologischen Stätten entstehen nicht durch Zufallsfunde, sondern dadurch, dass Menschen gezielt in die archäologischen Stätten gehen und die Objekte planmäßig plündern. Dieses Argument des Handels ist scheinheilig, es ist im Grunde eine Entschuldigung von etwas, was nicht zu entschuldigen ist.«

Der Schmuggel von gestohlenen oder illegal ausgegrabenen Antiken gilt hierzulande oft als Kavaliersdelikt. Dabei ist er längst die Boombranche des Schwarzmarktes. Experten wie Sylvelie Karfeld, die sich beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden mit dem Thema befasst, zitieren Schätzungen der UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) und des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, UNODC), nach denen die Umsätze des illegalen Antikenhandels jährlich bei sechs bis acht Milliarden US-Dollar liegen. Damit konkurriert der Antikenhandel um einen der vorderen Plätze auf der Liste der umsatzstärksten illegalen Erwerbsquellen. Nur mit Drogen und Waffen wird mehr Geld gemacht. Der Rechtsanwalt Robert Kugler aus Berlin, der sich schon lange mit Kulturgüterschutz beschäftigt, sagt sogar, dass der Handel mit archäologischen Objekten aus Raubgrabungen ein Betätigungsfeld des organisierten Verbrechens geworden ist.

Händlerorganisationen bezweifeln diese Zahlen. Ihrer Meinung nach sind sie stark überhöht. Sie berufen sich auf eigene Untersuchungen: Die schon erwähnte IAADA, ein Zusammenschluss von 32 Händlern aus acht Ländern, schätzt den jährlichen Umsatz aller europäischen und US-amerikanischen Auktionshäuser und Antikenhändler im Jahr 2013 auf eine Summe zwischen 150 und 200 Millionen Euro.

Natürlich sind alle Zahlen Schätzungen – es gibt keine genauen Erkenntnisse. Das liege in der Natur der Sache, sagt Markus Hilgert, der Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin. Er ist Koordinator des seit Frühjahr 2015 angelaufenen und zunächst auf drei Jahre befristeten Forschungsprojektes ILLICID, das den illegalen Handel mit Kulturgut in Deutschland interdisziplinär untersuchen soll. »Das Problem ist, dass es sich bei diesem Feld um etwas handelt, was man in der Kriminologie als Dunkelfeld bezeichnet, das heißt, man kennt die Akteure nicht unbedingt, man weiß nicht, wie die Akteure agieren, welche Netzwerke sie nutzen, man weiß relativ wenig Genaues über den Umsatz in diesem Dunkelfeld, man weiß wenig über die Objekte, über deren Stückelung.« All das gelte es erst zu erforschen.

Archäologen reden nicht gern über Zahlen und den monetären Wert von Antiken. Sie betonen vielmehr, dass mit den illegalen Ausgrabungen die Vergangenheit von Völkern vernichtet wird. Denn für die Wissenschaft und das kulturelle Gedächtnis der Menschheit sind die isolierten Kunstgegenstände verloren. Sie erzählen keine Geschichte mehr. Sind sie erst einmal im Ausland, in der Hand von Händlern oder Sammlern, weiß oft keiner mehr, wo sie ausgegraben wurden. Was lag sonst in dem Grab? Gab es ein Skelett, Mann oder Frau? Gab es Waffen, gab es Schmuck? Welche Gebrauchsgegenstände waren dem Verstorbenen mitgegeben?

Das Geschäft mit illegalen Fundstücken verbindet die honorigen Spitzen der Gesellschaft mit der Unterwelt. Die einen wollen ihr Geld gewinnbringend investieren oder ein einzigartiges Prestigeobjekt fürs Wohnzimmer kaufen. Die anderen organisieren auf professionelle Weise den Nachschub aus den Krisengebieten der Welt. In Ägypten, Syrien, Afghanistan oder dem Irak werden heute Fundstätten so brutal geplündert wie nie zuvor. Schmuggler und Hehler bringen das Raubgut über ungesicherte Grenzen ins Ausland und schließlich nach Westeuropa oder in die USA. Honorige Auktionshäuser, Privatleute, Galerien oder Internethändler verkaufen die Ware weiter. In Paris, London, Brüssel, München oder Berlin. Auch Terrorgruppen sollen am Geschäft mit illegalen Grabungen verdienen. Im Sommer 2014 ging kurz die Meldung durch die Presse, dass die Terrororganisation ISIS sich auch mit dem Verkauf illegal ausgegrabener Antiken finanziere. Seit Sommer 2015 ist das bewiesen. »An vielen Stücken klebt Blut«, sagt Michael Müller-Karpe. Es sind nicht nur Opfer des Terrors, der mit den Erlösen finanziert wird, oft genug sind es Kinder, die in ungesicherte Schächte kriechen, um die Kostbarkeiten aus dem Boden zu holen. Die ägyptische Archäologin Monica Hanna bestätigt seine Aussage: »Es ist ein Verbrechen, bei dem Kinder sterben. Da hängen Menschenleben dran.«

Als ich erstmals davon hörte, wieviel Geld im illegalen Antikenhandel umgesetzt wird, war ich geschockt. Sechs oder acht Milliarden Dollar im Jahr. Wie konnte das möglich sein? Ich begann mit meiner Recherche. Ich beschloss, nach Ägypten zu fahren, wo – wie mir Archäologen berichten – seit 2011 die illegalen Grabungen immer mehr werden. Meine Recherche führte mich viel weiter, als ich anfangs dachte. Sie führte mich quer durch Deutschland, in verschiedene Nachbarländer, nach Italien, Ägypten und in die USA. Ich traf auf ehrliche Sammler und Menschen, die nicht so genau hingucken wollen, auf Wissenschaftler, die zornig sind oder schier verzweifeln, auf Menschen, die dafür kämpfen, den Antikenhandel einzudämmen, auf Kriminalbeamte, die oftmals nur mit den Schultern zucken können, auf Händlervertreter, die den illegalen Antikenhandel als Problem weniger schwarzer Schafe ihrer Branche abtun. Und auf Dorfbewohner, die ihr Verhältnis zu ihrer und der Menschheitsgeschichte verlieren. Es geht im Folgenden um Gier, Wissenschaft und falsch verstandene historische Betrachtung. Um internationalen Schmuggel, einen habsüchtigen Markt, der auch über Leichen geht, um schön geschmückte Bürgervillen. Und am Ende auch um Forderungen an Politiker.

Denn bislang laufen illegale Geschäfte mit Kunstschätzen in Deutschland besonders gut, weil die Branche strengen gesetzlichen Schutz zu verhindern wusste. Händler verschleiern Herkunft und Provenienzen, genießen Rechtslücken und die Ohnmacht der Behörden. Michael Müller-Karpe: »Deutschland spielt als Drehscheibe eine ganz unrühmliche Rolle, es gibt kaum ein Land, in dem der Markt so ungehindert florieren kann.«

1

Ägypten: Grabungslöcher und
Knochenhügel

Man muss sich eines klarmachen: Es ist ein Verbrechen. Es ist wie mit Blutdiamanten. Es ist ein Verbrechen, bei dem Kinder sterben. Da hängen Menschenleben dran.

Monica Hanna, Archäologin

Ende August 2014 fliege ich nach Ägypten. Bei der Einreise in Kairo ist die Menschenschlange lang, nur wenige Urlauber aus Westeuropa sind darunter. Die politischen Unruhen seit dem Januar 2011 und der erneute Sturz der Regierung durch das Militär 2013 haben den Tourismus fast zum Erliegen gebracht.

Kairo im Spätsommer: Es ist heiß, heiß und stickig. Und staubig. Die Stadt versinkt unter einer Dunstglocke. Die schluckt alle Farben, das Blau des Himmels ist blass, die Häuserwände wirken graubraun, auch wenn sie in Wahrheit rot sind, das Grün der wenigen Palmen am Nilufer ist staubig. Der Fluss fließt träge durch die Stadt. Am Ufer baden ein paar Kinder, ein Junge schwimmt neben einem Boot her. Überall Autos, dicht an dicht. Das Verkehrschaos ist gewaltig.

Nur wenige Touristen schlängeln sich durch die Autokolonnen am zentralen Tahrir-Platz. Auf einer Freifläche stehen Panzer und Mannschaftswagen. Durch Stacheldrahtverhaue und Sperrgitter führt ein schmaler Fußweg zum Ägyptischen Museum. Es gibt trotz Sicherheitscheck keine Warteschlange am Eingang. Unruhige Zeiten sind schlecht für den Tourismus.

Im Museum eine Überfülle von Artefakten aus 2000 Jahren vorchristlicher ägyptischer Geschichte. Nicht so sortiert und nicht so übersichtlich präsentiert, wie man das als mitteleuropäischer Museumsbesucher gewohnt ist – die Objekte stehen in alten Vitrinen, oft zu eng nebeneinander, meist nur spärlich beschrieben und erläutert. Die museale Inszenierung ist schlicht, mitunter charmantaltmodisch. Kaum ein Stück wird präsentiert, wie das in europäischen Sammlungen meist der Fall ist, raffiniert ausgeleuchtet mit dunklem Hintergrund. Hier stehen Mumien und Steinskulpturen, hölzerne Sarkophagfragmente und jahrtausendealter Schmuck in atemberaubender Fülle nebeneinander, oft so dicht, dass ein Stück das andere einfach überstrahlt.

Eine kleine Extraabteilung ist wenigen besonderen Stücken gewidmet. Es sind Artefakte, die bei den Plünderungen des Ägyptischen Museums im Januar 2011 gestohlen wurden und dann in verschiedenen Ländern Westeuropas und Nordamerikas im Handel auftauchten. Teilweise wurden sie von ehrlichen Händlern zurückgegeben, teilweise von der Polizei beschlagnahmt und staatlicherseits zurückerstattet.

Bevor ich nach Ägypten aufbrach, habe ich in Köln mit Wafaa El Saddik gesprochen. Dort und in Kairo lebt sie mit ihrem Mann. El Saddik war von 2004 bis Ende 2010 als erste und einzige Frau Generaldirektorin des Ägyptischen Museums in Kairo und berichtet auch in ihrem Buch »Es gibt nur den geraden Weg. Mein Leben als Schatzhüterin Ägyptens« von ihrer Zeit dort. Sie beschreibt, wie sie im Fernsehen sah, wie der »hässliche Klotz« der Ägyptischen Nationalpartei in Flammen aufging, wie sie »im ersten Augenblick eine gewisse Genugtuung« verspürte, wie das Telefon klingelte und sie erfuhr, dass das Ägyptische Museum (also »ihr« Museum), das Museum in Memphis und die Magazine der historischen Stätten geplündert wurden. Sie schreibt: »In dieser frühen Phase des politischen Umbruchs geschehen schreckliche Dinge. Es gibt ein Sicherheitsvakuum, da Polizei, Militär und Sicherheitsdienste die archäologischen Stätten und Depots im Stich lassen. Das hat Plünderungen, an manchen Orten die völlige Zerstörung der Grabungsplätze zur Folge.«

Im Gespräch präzisiert sie ihre Aussagen noch. Sie sagt, dass die Plünderer genau wussten, was sie wollten – so beispielsweise im Ägyptischen Museum: »Die meisten Objekte, die gestohlen wurden, stammen aus einer bestimmten Epoche, nämlich der Amarna-Zeit [ungefähr die Epoche Echnatons, also in etwa der Zeitabschnitt um 1500 v. Chr., G.W.], obwohl sie nicht im selben Saal standen. Das heißt, die Diebe wussten ganz genau, was sie wollten: eine Gruppe von Statuen des Großvaters von Echnaton, eine komplette Sammlung von Uschebti-Figuren, und dann haben sie im Saal des Tutanchamun ein paar Objekte gestohlen und anderes wieder woanders.« Mit Empörung spricht Wafaa El Saddik von den Plünderungen und Raubgrabungen in Ägypten. Es seien nicht nur Arme, die aus Verzweiflung grüben, auch die Gebildeten treibe die Gier. »In Mittelägypten, in El Hibeh, wurde das ganze Grabungsareal mit Bulldozern ausgegraben. Da lagen Knochen überall. Die haben die Mumien zerrissen, um Schmuck oder Gold zu finden, und die Gräber total zerstört.«

Im Ägyptischen Museum in Kairo sehe ich auch einige Stücke, die aus Deutschland nach Ägypten zurückgegeben wurden, die allerdings bereits vor den Plünderungen der Museen und Lagerstätten außer Landes geschmuggelt worden waren. So hatten Stuttgarter Zollbeamte bei einer Kontrolle im süddeutschen Weil am Rhein ägyptische Altertümer gefunden. Unter Teppichen lagen die Stücke, die wohl von Luxor aus über den italienischen Hafen La Spezia und die Schweiz bis nach Deutschland gebracht worden waren und nach Belgien weitertransportiert werden sollten: die Statue einer Familiengruppe, ein kleiner Obelisk und ein Naos (Schrein), auf dem Chaemwase (um 1281 v. Chr.–1225 v. Chr.), der Sohn Ramses’ II., opfernd vor dem Gott Horus kniet.

Im April 2009 meldete das Auswärtige Amt die Sicherstellung der vier Objekte. Doch dauerte es noch fünf Jahre, bis die Stücke endlich an Ägypten zurückgegeben werden konnten. Den Grund liefert das deutsche Kulturgüterschutzgesetz (siehe Kapitel 12), laut dem als anerkanntes Kulturgut eines Staates nur Dinge gelten, die in einem Verzeichnis des Herkunftsstaates geführt werden. Ägypten führt keine solchen Listen.

In Kairo bin ich mit Monica Hanna verabredet. Die 31-Jährige ist Archäologin und Aktivistin. Schnell und quirlig, gut vernetzt, immer mit Handy und iPad unterwegs. Als Jugendliche entdeckte sie ihre Liebe zur Archäologie, arbeitete schon zu Schulzeiten in den Laboratorien des Ägyptischen Museums, studierte Archäologie an der American University in Kairo, unterrichtete dann Englisch, machte ihren Doktor in Archäologie in Pisa und forschte im Rahmen eines Projektes der Berliner Humboldt-Universität in Luxor. Heute unterrichtet sie an der American University in Kairo. Ein Energiebündel. Denn nebenher baut sie die Egypt’s Heritage Task Force auf – ein Netzwerk aus Wissenschaftlern und Menschen, die nahe den Ausgrabungsstätten leben, das Raubgrabungen in Ägypten beobachtet und sie auch zu verhindern sucht. Seit etwa zwei Jahren. Mehrere tausend Follower weltweit hat die Facebook-Seite des Netzwerkes inzwischen, auf der gestohlene oder vermutlich raubgegrabene Artefakte identifiziert werden.

So groß die Anerkennung ihrer Arbeit im Ausland ist, so wenig wird sie mitunter in ihrem Heimatland geschätzt. Der frühere ägyptische Minister für Altertümer Mohammed Ibrahim Ali behauptete beispielsweise im Staatsfernsehen, Hanna würde vom Ausland bezahlt, um Ägypten schlechtzumachen. Monica Hanna lacht darüber. Ägypten schlechtmachen? Sie spräche nur Klartext, sie könne es auch, anders als viele ausländische Forscher. »Internationale Forscherteams trauen sich nicht, Druck auf die Regierung auszuüben«, zitiert die Zeit sie im Juni 2014. »Sie fürchten, dass ihnen das Ministerium für Altertümer die Lizenz entzieht und ihre Ausgrabungen stoppt.« Sie brauche diese Rücksicht nicht zu nehmen, auch keine diplomatische. Es sei auch ihr Land. Und in der Situation sei eine eindeutige Sprache auch angebracht.

Nun also Klartext: »Seit 2011 haben die illegalen Ausgrabungen stark zugenommen. Es gab in Ägypten immer Raubgräber, doch seither wird überall geplündert. Früher gruben die Leute nur unter ihren Häusern, inzwischen gehen sie in die archäologischen Stätten, um dort zu plündern.« Überall entlang des Nils, überall, wo archäologische Stätten vermutet würden. Auch dort, wo Archäologen ständig arbeiteten. »Direkt an den Pyramiden von Gizeh haben wir schon Spuren illegaler Grabungen gefunden.«

Monica Hanna schaltet ihr iPad ein und zeigt mir Fotos. Hunderte Bilder bauen sich auf. Sie klickt sie an. Grablöcher in der Wüste, winkende Kinder mit Stücken von Holzsarkophagen, Knochenhaufen, Fetzen von Mumientüchern. Sie ruft Google Earth auf, gibt »Abu Sir al Malaq, Al Wasta, Gouvernement Bani Suwaif, Ägypten« ein. Das Satellitenbild ist sehr deutlich: Der Nil fließt im Osten, dann Felder, schließlich die Kleinstadt Abu Sir al Malaq selbst. Westlich des Ortes erstreckt sich ein schmaler Wüstenstreifen, dort liegt am Ortsrand auch, abgelegen von der Siedlung, eine Kirche. Sie zoomt weiter hinein ins Bild: Südlich der Kirche sind dunkle Punkte in der Wüste zu erkennen. »Das sind Grabungslöcher. Jeder Punkt ist ein Loch.« Wie Pockennarben reiht sich Grabungsloch an Grabungsloch, deutlich vom Satelliten erfasst. Vergleicht man heutige Satellitenbilder archäologischer Stätten mit solchen, die fünf oder sechs Jahre alt sind, wird deutlich, dass die Zahl dieser Grabungslöcher extrem zugenommen hat.

Ich beschließe nach Abu Sir zu fahren. Und nach Sakkara und Meidum. Sakkara ist einer der Orte, die nach der Revolution im Frühjahr 2011 am stärksten von Raubgrabungen heimgesucht wurden. Sakkara war aber auch schon früher besonders betroffen, wie Stephan Seidlmayer, der Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Kairo, der Süddeutschen Zeitung in einem Interview am 3. August 2011 berichtete: »Das Gebiet ist sehr reich an Fundstätten, dort gab es aber auch schon vor der Revolution Probleme mit Raubgrabungen.« Die Menschen vermuteten Schätze in der Erde und den Magazinen der Archäologen. »Ein ägyptischer Kollege aus Sakkara meinte«, so Seidlmayer, »vielleicht sollten wir einen Tag der offenen Tür machen. Dann sehen die Leute, dass in den Lagerräumen keine goldenen Schätze liegen.«