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Über dieses Buch:

Viel ist nicht los hinterm Deich. Auf der Halbinsel Eidersted herrscht gähnende Langeweile – davon kann auch Dorfpolizist Hinnercks ein Liedchen singen. Mit Vorliebe sitzt er gemeinsam mit Helge in der »Goldenen Möwe« und klagt dem Freund sein Leid. Bis die Nordseeidylle abrupt von vier bayerischen Bazis gestört wird, die sich an die Küste verirrt haben. Als es kurz darauf auch noch zu mysteriösen Todesfällen kommt, sehnt Hinnercks geradezu die alte Beschaulichkeit zurück. Zum Glück bekommt er bei der Aufklärung der Todesfälle tatkräftige Unterstützung – von Hauptkommissarin Denkewitz aus Husum. Die ist zwar sehr attraktiv, sorgt aber auch für so einige Scherereien …

Über die Autorin:

Christiane Martini, geboren in Frankfurt am Main, ist Diplom-Musiklehrerin und Absolventin des Konzertexamens. Sie leitet ihre eigene Musikschule »CasaMusica« und ist Dozentin für Blockflöte, Querflöte und Klavier. Neben eigenen Kompositionen hat sie auch zahlreiche musikalische Lehrwerke verfasst. Christiane Martini ist nicht nur Musikerin, sondern als Autorin in verschiedenen Genres zu Hause. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in der Nähe von Frankfurt und wurde von ihrer Heimatstadt Dreieich mit einem kulturellen Förderpreis für Musik und einem Stipendium ausgezeichnet.

Christiane Martini veröffentlichte bei dotbooks ihre Romane »Mops Maple« und »Saitensprung mit Kontrabass«, den historischen Roman »Die Meisterin aus Mittenwald«, die Katzenkrimis um Kater Caruso sowie die heiteren Kriminalromane »Tote Oma im Weihnachtsfieber«, »Tote Oma mit Schuss«, »Tote Oma auf Eis« und »Tote Oma Ahoi!«. Die letzten drei »Tote Oma«-Bände sind im Sammelband »Mord mit Seebrise« erhältlich.

»Tote Oma mit Schuss« ist zudem Teil des Sammelbands »Morden im Norden - Vier Krimis in einem eBook«.

Die Reihe um den schlauen Kater Caruso und seine Katzenbande umfasst die folgenden Bände:
»Meisterdetektiv auf leisen Pfoten – Carusos erster Fall«
»Venezianischer Mord – Carusos zweiter Fall«
»Die venezianische Schachspielerin – Carusos dritter Fall«
»Schatten über der Serenissima – Carusos vierter Fall«
Alle vier Fälle sind auch im Sammelband erhältlich:
»Mord in der Lagunenstadt – Kater Caruso ermittelt in Venedig«

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Originalausgabe September 2015

Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de, unter Verwendung von Thinkstockphoto/adisa, Image Sours Pink, serazetdinov, lattesmile

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-305-7

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Christiane Martini

Tote Oma mit Schuss

Kriminalroman

dotbooks.

Für Stephan und Johann Christoph,

Euch beiden Waidmannsheil und fette Beute!

Kapitel 1

Es ist Sommer in Nordfriesland. Die Wäsche flattert frisch gewaschen im Wind, Schönwetterwolken ziehen vom Meer in Richtung Landesinneres, und die Schafe grasen träge auf den Wiesen. Genau genommen befinden wir uns auf Eiderstedt in Osterhever, gleich hinterm Deich. Die Halbinsel ist in verschiedene Köge eingeteilt, und Helge, der ziemliches Magengrummeln verspürt, ist in Norderheverkoog mit dem Fahrrad unterwegs.

Er sei ein »Ökofuzzi«, sagen die Bewohner des Koogs. Diese Bezeichnung findet Helge aber nicht zutreffend, er möchte dann schon lieber ein »Ersatzenergiefuzzi« genannt werden. Denn mit »Ersatzenergie« hat er täglich zu tun. Er produziert nämlich aus Mais wertvollen Strom. Gleich hinterm Deich hat er zwei riesige Felder gepachtet, und zwar von Heiko.

Heiko besitzt einen großen Bauernhof mit ziemlich viel Land drumherum. Den größten Teil hat er an Helge verpachtet und den anderen an Friedje. Der hat ziemlich viele Schafe.

Vom schwarzen bis zum hellen Schaf, vom am Hinterteil verschmierten bis zum glatt geschorenen, vom Lamm bis zum alten, verzottelten Bock ist jegliche Ausführung zu finden. Aber egal, wie sie aussehen, sie laufen frei herum, und alle machen den gleichen Dreck. Überall liegen sie, die stinkenden, aufgehäuften »Landminen«.

Helge ist ziemlich genervt darüber und macht oft Jagd auf die Schafe. Dann rast er mit seinem Bonanzarad kreuz und quer auf dem Deich herum, sodass der Fuchsschwanz, den er an der Stange am Gepäckträger befestigt hat, im Wind weht. Natürlich macht er dies im Slalom um die elenden Dreckhaufen herum, aber manchmal fährt er auch mittendurch, sodass die Schiete nur so spritzt.

Maulwürfe können auch hervorragend häufeln, aber die gibt es auf dem Deich zum Glück nicht auch noch. Und wenn, dann würde Helge sie eiskalt mit Gummibärchen umbringen.

Gummibärchen wirken tödlich bei Maulwürfen, das behauptet Oma Else. Sie führt eine Pension, und sie muss es wissen, denn in ihrem Alter, da weiß man, wie die Dinge laufen. Zumindest bestimmte, die für ihr Alter geeignet sind. Pärchenbildung ist vielleicht nicht mehr so ihr Ding. Obwohl, manchmal schwoft sie mit dem alten Werner beim Lammfest auf der Bühne herum. Das geht zwar nur ganz langsam, aber die Blicke, die sich die zwei dabei zuwerfen, sprechen von ziemlicher Vertrautheit. Na, hier wollen wir aber mal nicht weiter drauf herumreiten, vielleicht kommt das noch später.

Apropos reiten, geritten wird hier in Nordfriesland natürlich viel. Es gibt jede Menge Pferde. Auch Heiko hat welche, und auf denen dürfen seine Feriengäste reiten. Derzeit hat er vier Gäste, und da er nur eine Ferienwohnung hat, ist er also ausgebucht. Man kann es kaum glauben, aber es sind vier junge Bazis, die sich an die Küste verirrt haben.

Heiko hat ein bisschen Schwierigkeiten gehabt, den einen von ihnen am Telefon zu verstehen. Sie wollten das Wochenende an der Nordsee verbringen, so viel war klar. Und proben wollten sie, denn sie spielen in einer Band, Gevatter Blechschuss heißen die.

Heiko bekam ihre Anfrage ganz kurzfristig. Es war fünf, und er saß gerade beim Abendbrot. Er und seine Frau Inge essen immer so früh. Um sieben gibt’s Frühstück, um elf gibt’s Mittag, und um fünf gibt’s Abendbrot, und daran ist nicht zu rütteln. Das ist Gesetz, das war schon immer so. Vererbt sozusagen von den Eltern. Wer außerhalb der Zeiten was will, ist gerne gesehen und wird angehört, aber eine Störung beim »heiligen Mahl«, das geht eigentlich gar nicht. Doch in diesem Fall hat Heiko eine Ausnahme gemacht, weil er einen Anruf von Inge erwartete, die in Husum mit der Schwiegermama beim Arzt war.

»Grüß Gott«, hörte er am anderen Ende eine Stimme.

»Moin«, sagte Heiko nur, weil er überrascht und genervt zugleich war, denn das war nicht seine Inge und bestimmt auch nicht der Arzt.

»Ja, tut mir leid, ist’s noch so früh bei euch da oben? Ja, soll ich dann vielleicht nochemol anrufen?«

»Wat wollen Sie denn?«, keifte Heiko nun völlig entnervt in den Hörer, denn der Duft seiner Wirsingsuppe drang in seine Nase, und der Teller wollte leer gelöffelt werden.

»Jo mei, mir san vier Buam aus Bayern und mir wolln a Ferienwohnung fürs kommende Wochenend, so von Freitag bis Sonntag.«

»Kommendes Wochenende« und »Ferienwohnung« hatte Heiko verstanden, den Rest nicht. Sein Blick streifte den Ferienkalender, und tatsächlich war an diesem Wochenende noch was frei.

»Dat geht klar«, sagte er, »da is noch wat frei. Zehn Uhr is Ankunft und wieder Abfahrtszeit, daran halten Sie sich bitteschön. Vor der Zeit ankommen geht nicht, wir haben nämlich Bettenwechsel, und vor zehn sind wir nicht fertig.«

Heiko hatte nun den Löffel in die Suppe getunkt und den Duft direkt unter der Nase. Er wollte, er musste jetzt seine Suppe essen, sonst würde er grantig werden. Aber natürlich durfte er keinen Gast vergraulen, das hat seine Inge angeordnet, und die würde sonst fuchsteufelswild werden. Da er ihre Pantoffeln schon hat fliegen sehen, wollte er dies unter allen Umständen vermeiden.

»Ham Sie auch einen Namen?«, fragte er so freundlich, wie es ging.

»Jo, freilich, I bin der Schleuser Berti.«

»Is gut«, meinte Heiko, »hab’s notiert. Bis Freitag.«

»Jo, freilich, grüaß di Gott und pfiat di«, sagte Berti am anderen Ende. Aber bevor er noch etwas sagen konnte, hatte Heiko bereits aufgelegt und sich den Löffel Suppe in den Mund geschoben. Eigentlich hätte er ihn am liebsten wieder ausgespuckt, denn die Suppe war jetzt kalt, und Wirsingsuppe musste nun mal heiß sein.

Entnervt ging Heiko in die Küche und schüttete die Suppe zurück, um sie wieder aufzuwärmen.

Als er sich erneut einen Teller auftun wollte, klingelte wieder das Telefon. Diesmal musste der- oder diejenige einen Moment warten. Um keine Zeit zu verlieren, schöpfte sich Heiko ein paar Löffel Suppe direkt aus dem Topf in den Mund. Hmm, wie das schmeckte! Und spritzte und kleckerte. Aber egal, niemand hatte es gesehen. Oder doch?

Wer spazierte denn da an seinem Küchenfenster vorbei und schaute ihm beim letzten Löffel direkt ins Gesicht? Den Mann kannte er nicht. Komisches Outfit hatte der Mann, ganz in Grün war er gekleidet.

»Pfui, essen alle Friesen hier so widerlich?«, empörte er sich und war im gleichen Moment am Fenster vorbeigeschritten.

Heiko schämte sich einen Moment, weil er die Tropfen an seinem Kinn spürte. Aber dann musste er lauthals lachen und steckte sich noch zwei weitere Löffel voll Suppe in den Mund, dass es nur so spritzte. Schon lange hatte es nicht mehr so viel Spaß gemacht, Wirsingsuppe zu essen. Aber dann bemerkte er den andauernden Klingelton. Solch eine Ausdauer konnte nur seine Inge haben. Er musste sich eine gute Ausrede einfallen lassen, sonst würde sie böse werden. Die Post! Er würde einfach sagen, der Briefträger wäre da gewesen und hätte ihn in ein Gespräch verwickelt. Gesagt, getan. Und die Spuren der Suppenkasperei entfernte er natürlich.

Wenig später schloss er seine Inge lächelnd in die Arme. Zu viel Freundlichkeit durfte aber nicht sein, sonst würde sie misstrauisch werden.

»War wat?«, sie schaute ihn forschend an.

»Nö«, meinte Heiko vielleicht etwas zu schroff, aber damit war der übliche Umgangston wiederhergestellt.

Auch Oma Elses Pension Zur goldenen Möwe ist ausgebucht. Was an der Pension golden ist, weiß eigentlich keiner so genau, aber das Schild sieht sehr hübsch aus, goldene Möwe eben. Derzeit verweilt bei Else eine junge Frau. Sie hat außergewöhnlich schöne Beine, das ist auch Oma Elses Blick nicht entgangen, obwohl sie sich eigentlich für solchen nackten Firlefanz nicht interessiert, zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Mit ihren langen Beinen, die die junge Frau mit kurzen Röcken oder Hotpants und High Heels zur Schau trägt, sieht sie echt klasse aus. Das sagt Werner. »Aber die Krasseste bist du«, hat er Else ins Ohr geflüstert und dabei seine Hand auf ihren runden Po gelegt, als er ihren entrüsteten Blick sah. Sie errötete, was sie nicht so schnell tat, und schenkte ihm einen vielsagenden Blick. Das ist gestern gewesen, als er kurz auf ein Bierchen hereingeschaut hatte.

Oma Else ist gerade auf dem Weg in die Küche, um das Frühstück, Kaffee, Brötchen und ein gekochtes Ei an Tisch zwei zu bringen. Dort sitzt ein in Grün gekleideter, wortkarger Mann. Er hat neben seinem Teller ein Buch über Vögel liegen und scheint sich für Watttiere zu interessieren.

Als Oma Else ihm nun das Frühstück serviert, schaut er kurz auf.

»Wann kommt denn die Flut, meine Gnädigste?«

»Gnädigste« hatte Else noch keinen sagen hören. Das ist wohl ein feiner Pinkel, den sie hier wohnen lässt.

Na, wat soll’s?, denkt sie. Und dann sagt sie: »Es gibt da den Gezeitenkalender. Ich bring Ihnen den gleich. Wollen Sie ins Watt?«

Der Mann mit dem langweiligen Namen Helmut Gruber hat nun bereits wieder sein Vogelbuch zur Hand genommen und antwortet nur mit einem Brummen. Auch als Oma Else ihm den Kalender bringt, gibt er nicht mehr als ein »Danke« von sich.

Seltsamerweise interessiert er sich nicht im Geringsten für die Frau mit den langen Beinen, Lisa Denkewitz, an Tisch eins. Sie würde sich aber alsbald für ihn interessieren, das wissen beide jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

An Tisch drei der kleinen Frühstückspension Zur goldenen Möwe sitzt noch keiner, dort wird aber in den nächsten Tagen Peter Großmann, Akquisiteur eines Windkraftunternehmens, sitzen. Allerdings nicht für lange Zeit.

Die Frühstückspension bietet neben der Möglichkeit, dort zu übernachten, auch die Gelegenheit, bei kalten oder warmen Getränken zu plauschen, zu tratschen und natürlich zu lästern … Gesprächs- und Zündstoff gibt es hinterm Deich wahrlich genug. Auch süße Kleinigkeiten wie rote Grütze, Blaubeerpfannkuchen und Friesenschmarrn bietet Oma Else an.

Helge ist nun direkt auf dem Weg zur Goldenen Möwe. Er kehrt fast täglich auf ein oder zwei oder auch mehr Gläschen Korn dort ein. Eines seiner Lieblingsgetränke, das er sich vor achtzehn Uhr gerne schmecken lässt, ist Tote Oma. Eigentlich gibt es in Friesland Kaffee mit Schuss und Schlagsahne, und den nennt man Tote Tante, aber alle, die bei Else einkehren, nennen das herrliche Kaffeegesöff Tote Oma. Oma Else ist das egal, für sie ist die Hauptsache, dass der Umsatz stimmt.

Helge ist gerne mit seinem Bonanzarad unterwegs. Das macht er so oft wie möglich, um Benzin zu sparen. Er fährt gerade die Einfahrt hinauf, als ein Auto an ihm vorbeibrettert und mit quietschenden Reifen vor der Pension zum Stehen kommt.

Wer steigt aus? Natürlich Hinercks. Er ist der Dorfpolizist von Norderheverkoog.

Kapitel 2

»Moin, Hinercks, wohl zu viel getrunken, wat?«, ruft Helge säuerlich aus der Entfernung.

»Nö, hab doch heute dienstfrei. Aber zu diesem Zweck bin ich jetzt gekommen«, erwidert Hinercks aus seinem Autofenster heraus. Er steigt grinsend aus seiner alten Nuckelpinne, einem VW Polo, und Helge fährt mit seinem Bonanzarad vor.

Helge bremst so geschickt, dass sich das Fahrrad querstellt und viele kleine Steinchen, die eigentlich fein säuberlich auf dem Boden herumliegen, um den Weg zu zieren, auf Hinercks Füße regnen.

»Mensch, Helge, pass doch auf, sonst …«, entrüstet sich Hinercks.

»Na, wat sonst?«, fällt Helge ihm ins Wort. Helge hat Hunger, und immer wenn sein Magen leer ist, wird er streitsüchtig. Das lässt sich dann nur durch Nahrungsaufnahme bekämpfen. »Bekomme ich jetzt ein Verwarnungsgeld wegen falsch bremsen, oder wat?«, meint er bissig.

»Na, nu is aber gut, Helge. Meine Laune is heute auch nicht die beste. Komm, wir trinken ’ne Tote Oma. ’nen Toten könnt ich echt mal wieder gut gebrauchen. Es ist ja nur tote Hose, was hier abgeht. So ’n richtiger Fall, das wär doch mal was. Aber es klaut ja noch nicht ma einer ’n Fahrrad oder ’n Schaf. Das einzig Ereignisreiche war der Blitzeinschlag bei Albert, unserm Doktor, vor einer Woche. Das Feuer war echt klasse, aber das war leider nicht in meinem Zuständigkeitsbereich, und da niemand zu Tode kam, ist die Sache an mir vorbeigegangen. Schwups, weg war sie.«

»Sei froh, sonst hättest du ’nen Bericht schreiben müssen.«

»Den hätt ich glatt in Kauf genommen. Die Langeweile jeden Tag ist schlimmer, als du dir vorstellen kannst.«

Helge nickt verständnisvoll.

»Tut mir aber echt leid, dass dem Doktor sein Reetdach abgebrannt ist.«

»Nächste Woche bekommt der ’n Neues.«

»Ach ja?«

»Ja«, sagte Helge forsch.

»Komm, wir gehen rein«, sagt Hinercks.

»Geh du voran.«

»Is gut.«

Hinercks zieht seine Jacke straff, nimmt Haltung an und geht wie ein stolzer Gockel in Oma Elses Pension. Seine Jacke ist grün und arg abgetragen. Jeder hinterm Deich kennt Hinercks so, und er nimmt den ollen Kram in Kauf. Olle Jacke, olles Auto, olle Waffe.

Aber als er nun das unbekannte Fräulein dort am Fenster sitzen sieht, deren Beine kaum enden wollen, hätte er am liebsten kehrtgemacht.

Aber Helge schiebt Hinercks vor sich her. »Da am Tresen ist noch wat frei, komm.«

Hinercks eilt schnurstracks zum Tresen und setzt sich sofort, damit ihn das Fräulein erst gar nicht mustern kann. Er dreht sich auch nicht nach ihr um.

»Na, du hast’s ja eilig, Hinercks«, meint Else. »Alles klar mit dir?«

»Jo«, sagt Hinercks und versucht, sich etwas zu entspannen.

»Wat soll’s denn sein?«, fragt Else. »Wie immer?«

Hinercks gibt keine Antwort. Es ist ihm peinlich, wie sonst einen Korn zu bestellen. Wat denkt denn dann dat schöne Frollein von mir?, geht es ihm durch den Kopf. Bulle trinkt im Dienst. Die weiß ja nich, dass ich heut dienstfrei habe.

Helge knufft ihn in die Seite. »He, Hinercks, nimmst du auch ’ne Tote Oma mit Schuss?«

»Nööö«, meint Hinercks wie aus der Pistole geschossen und zieht dabei das »ö« ganz lang. »Höchstens mit einem Schüsschen. Und bring mir ’ne kalte Milch dazu.«

»Kalte Milch?«, fragt Helge in einem Ton, als wollte man andeuten, dass der andere nicht ganz richtig im Kopf ist.

»Jo«, meint Hinercks, etwas übertrieben euphorisch. »Milch ist überaus gesund, da ist viel Kalzium drinne, das ist gut für die Knochen.«

»Schon klar, Hinercks. Aber wat hast du denn mit den Knochen? Bist doch fit wie ’n Turnschuh.«

»Jo, da haste recht.«

»Erzähl mal, Hinercks, gibt’s was Neues bei dir?«, fragt Helge. Er weiß, dass das ein heikles Thema ist, aber er will testen, ob bei Hinercks noch alles knusper ist. Und das ist es. Denn bei dieser Frage sackt Hinercks augenblicklich in sich zusammen und schnauft frustriert.

»Ach ja«, meint er nur.