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Nr. 2639

 

Die grüne Sonne

 

Flug ins Nirgendwo – Perry Rhodan erreicht die Flotte der Geisterschiffe

 

Hubert Haensel

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Seit dem dramatischen Verschwinden des Solsystems mit all seinen Bewohnern hat sich die Situation in der Milchstraße grundsätzlich verändert.

Die Region um das verschwundene Sonnensystem wurde zum Sektor Null erklärt und von Raumschiffen des Galaktikums abgeriegelt. Fieberhaft versuchen die Verantwortlichen der galaktischen Völker herauszufinden, was geschehen ist. Dass derzeit auch Perry Rhodan mitsamt der BASIS auf bislang unbekannte Weise »entführt« worden ist, verkompliziert die Sachlage zusätzlich. Um die LFT nicht kopflos zu lassen, wurde eine neue provisorische Führung gewählt, die ihren Sitz auf dem Planeten Maharani hat.

Perry Rhodan kämpft indessen in der von Kriegen heimgesuchten Doppelgalaxis Chanda gegen QIN SHI. Diese mysteriöse Wesenheit gebietet über zahllose Krieger aus unterschiedlichen Völkern und herrscht nahezu unangefochten in Chanda. Um ihre Macht zu brechen, benötigt Rhodan Unterstützung und Verbündete. Als Helfer könnte sich Ramoz erweisen, der angeblich in Chanda zu Hause ist. Er gibt ein neues Ziel vor: DIE GRÜNE SONNE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Mondra Diamond – Perry Rhodans Gefährtin betrachtet Ramoz als Verbündeten.

Perry Rhodan – Der Unsterbliche schenkt Ennerhahl vorläufig sein Vertrauen.

Gucky – Der Mausbiber schätzt den katzenhaften Ramoz nicht besonders.

Ennerhahl – Der Geheimnisvolle stellt sich in den Dienst einer gemeinsamen Sache.

Ramoz – Mondras einstiges Haustier sieht sich noch immer am liebsten an ihrer Seite.

1.

 

Als die PARTOGA in den Linearraum eintrat, ahnte Jeketi, dass bald nichts mehr so sein würde, wie es gewesen war.

Warum, war ihm nicht klar. Schon gar nicht, woher er diese Kenntnis bezog. Trotzdem zweifelte er keine Sekunde daran.

Ihm oblag die Sicherheit des Frachters und seiner fünfköpfigen Besatzung. Die PARTOGA war alt und verbraucht. Kommandant Sakkruz behauptete sogar, sie sei behäbig geworden. Niemand widersprach ihm, weil es die Wahrheit war.

Jeketi holte die Messwerte auf seinen Schirm.

Keine Kursabweichung. Die erzielte Überlichtgeschwindigkeit lag nur geringfügig unter der Norm. Diesmal war es gelungen, mit beinahe siebzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit in den Linearraum einzudringen.

Energiekontrolle? Nirgendwo war ein jäher Leistungsabfall zu verzeichnen.

Die Furcht blieb dennoch. Und sie wurde stärker, eine unsichtbare Last, die Jeketi an diesem Tag fortwährend begleitete.

Als er sich zum ersten Mal den brennenden Schweiß von der Kopfhaut wischte, war schon die halbe Überlichtetappe vorbei, der bedrohlichste Abschnitt eines Überlichtmanövers mit ungeschützten Kristallen.

Jeketi dachte an die Fracht der PARTOGA. Heimatkristalle. Das Schiff war voll von ihnen, überwiegend Ramol-3 und Ramol-4, die höchste Qualität. Jeketi entsann sich nicht, das Schiff jemals mit einer derart brisanten Fracht gesehen zu haben. Die Kristalle in den Laderäumen waren ein Vermögen wert.

Träge tropfte die Zeit dahin.

Als der Alarm schrillte, hatte die PARTOGA den Rücksturzpunkt schon fast erreicht, nur wenige Lichtjahre trennten den Frachter vom nächsten Orientierungsmanöver. Der Alarm war automatisch ausgelöst worden, die Messwerte signalisierten eine wachsende Kursabweichung.

»Korrekturmanöver einleiten!«

Endlich wurde Sakkruz munter. Auch die anderen schreckten aus ihren zufriedenen Träumen auf, die von der üppigen Fracht genährt wurden. Jeketi hatte sie gewarnt: Zu viele hochwertige Kristalle in den Frachträumen stellten in diesem Rohzustand ein unkalkulierbares Potenzial dar.

Im Hintergrund der Zentrale wurde es lauter, die Korrekturmanöver griffen nicht.

»Das Linearmanöver beenden!«, dröhnte die Stimme des Kommandanten.

Jeketi sah es in seinen Anzeigen: Das Schiff jagte unbeirrt weiter durch den Zwischenraum, die Geschwindigkeit nahm sogar zu.

Die Kursangaben verwischten.

»Es ist ein Flug ins Nichts«, murmelte Jeketi.

Chanda war gefährlich, das wusste jeder, der sich weit in den Raum hinauswagte. Nun erwischte es die PARTOGA. Ein Schiffsname mehr, der für kurze Zeit in den Vermisstenlisten stehen und schnell in Vergessenheit geraten würde.

Und auf einmal, da er die Gefahr vor Augen hatte, wich Jeketis Furcht einer ruhigen Gelassenheit. Er hatte es gewusst, aber seine Vorahnungen sprachen von Veränderung, nicht vom Tod. Kein Grund also, in Panik zu geraten.

Unbekannten Kräften folgend, jagte der Frachter durch den Linearraum.

Ein dumpfes Grollen rollte aus dem hinteren Bereich des Schiffes heran. Warnmeldungen zeigten eine Explosion in einem der Laderäume. Druckabfall. Die Außenhülle war in dem Bereich aufgebrochen, in dem die Ramol-4 lagerten.

Es war Jeketis Aufgabe, das Leck und die Kristalle zu sichern. Er stemmte sich aus dem Sessel hoch. Mit beiden Händen griff er nach dem schweren Schutzhelm und hob ihn auf die Schultern. Fauchend saugten sich die Dichtungen fest. Er schmeckte den Zustrom von frischem Sauerstoff.

Im Helmfunk überschlugen sich die Stimmen der anderen. Sie redeten von schweren Energieentladungen im Frachtbereich.

Jeketi hastete an ihnen vorbei, ohne von ihren Bemühungen Notiz zu nehmen, das Schiff unter Kontrolle zu bringen. Erst als er das Schott erreichte und den Öffnungsmechanismus betätigte, drehte er sich noch einmal um.

Er erstarrte.

Jeketi sah, dass er sich soeben aus dem Sessel vor der Ortungs- und Überwachungskonsole hochstemmte und mit beiden Händen nach dem Schutzhelm griff.

Für einen Moment hielt er den Atem an. Er konnte das Gesicht des Mannes nicht sehen, der sich da von der Ortung löste, aber jede Bewegung erschien ihm so unglaublich vertraut.

Der Helm rastete ein. Gleich würde er mit zwei Fingern der rechten Hand den Dichtungswulst abfahren, um eventuelle Verschiebungen aufzuspüren. Völlig unnötig eigentlich. Niemand außer ihm war derart übervorsichtig.

Genau die erwartete Bewegung kam. Jeketi vergaß völlig, dass er die Zentrale verlassen wollte. Das Schott stand bereits offen, doch er starrte auf den Mann im schweren Schutzanzug, der kein anderer sein konnte als er selbst.

Der andere wandte sich um, griff mit der linken Hand nach der Sessellehne und stieß sich daran ab. Das war eine dumme Angewohnheit, nicht mehr.

Jeketi wusste, dass der Mann, der nun mit schnellen Schritten zum Hauptschott eilte, gleich den Kopf heben würde.

Jetzt.

Der andere schien ihn nicht zu registrieren, bemerkte nicht einmal, dass das Schott schon geöffnet war – aber Jeketi sah das Gesicht hinter dem Transparenthelm, sein eigenes Gesicht. Nicht so, als schaue er in einen Spiegel, sondern seitenrichtig. Die aufgequollene Narbe rechts neben dem Nasenflügel, der leicht schief wirkende Mund ...

... das war er selbst!

Es gab ihn zweimal.

»Bei allen Geistern der Materiebrücke, wer bist du?«

Jeketi wusste nicht, ob er die Frage hinausschrie, ob er sie überhaupt aussprach. Vielleicht formulierte er sie nur in seinen Gedanken.

Mehr war nicht, denn die PARTOGA stürzte aus dem Linearraum.

Aber das spürte Jeketi schon nicht mehr.

 

*

 

Jemand wimmerte vor Unruhe und Schmerz.

Der Laut gefiel Jeketi nicht. Trotzdem dauerte es geraume Zeit, bis ihm klar wurde, dass er selbst dieses Wimmern hervorbrachte.

Er lag auf dem Rücken und hatte die Arme über den Helm gelegt, als müsse er sich vor einer Bedrohung schützen.

Vor ihm selbst!

Schlagartig war die Erinnerung wieder da. Jeketi wälzte sich auf die Seite und stemmte sich auf die Knie. Unmittelbar hinter ihm war das Zentraleschott, es hatte sich selbsttätig wieder geschlossen. Die Fehlermeldung leuchtete, demnach hatte niemand den Raum verlassen.

Dormaga, der Triebwerksspezialist, lag nur zwei Schritt entfernt am Boden. Er war bewusstlos. Ebenso der Kommandant und die beiden anderen Besatzungsmitglieder.

Der zylinderförmige Versorgungsroboter, nicht größer als Jeketis Unterarm mit der ausgestreckten Hand, balancierte auf der Lehne des Kommandantensessels und bemühte sich, Sakkruz mit einer Injektion aufzuwecken. Der Kommandant zuerst, das war im Fall einer Havarie die Regel.

Die Besatzung war vollzählig. Trotzdem schaute Jeketi forschend durch die kleine Zentrale. Er suchte nach dem anderen, seinem Doppelgänger. Überdeutlich erinnerte er sich daran, doch inzwischen war da niemand mehr.

Wie lange war er ohne Besinnung gewesen?

Drei Brucheinheiten bis zum Tageshöchststand fehlten laut Zeitanzeige. Ein Unding. Die PARTOGA war bereits im zweiten Bruch des Nachmittags in den Linearflug eingetreten.

Jeketis Blick streifte das Datumsfeld. Die Anzeige war leer. Er verstand erst nach mehreren Augenblicken, was das bedeutete. Das Datum ließ sich nicht manipulieren, nur genügend Brucheinheiten brachten die Sternzeit voran.

Der Bordkalender war auf fünfhundert Perioden justiert. Er konnte nicht abgelaufen sein ...

Unmöglich!

Impulsiv tastete Jeketi über seinen Leib. Durch den Schutzanzug spürte er die Berührung, er hatte auch nicht den Eindruck, dass er abgemagert war. Er konnte höchstens einen Tag bewusstlos gewesen sein, das erklärte die verschobene Zeitanzeige. Aber keinesfalls fünfhundert Perioden.

Die Mehrzahl der Schirme und Anzeigen war erloschen. Zweifellos aufgrund der Selbstabschaltung, wenn Eingaben über einen gewissen Zeitraum ausblieben. Das machte den Tageswechsel plausibel.

Nur der Hauptschirm blieb stets aktiv. Die Wiedergabe zeigte den Weltraum, wahllos verstreut etliche Sternhaufen, dazwischen Gasschleier und Dunkelbereiche. Offenbar nur wenige Lichtjahre entfernt leuchteten die Wirbel eines Viibad-Riffs.

Kein Zweifel, der Frachter war im Bereich der Materiebrücke zurückgefallen und wahrscheinlich sehr viel näher an Dosa als an Zasao.

»Steh nicht dumm herum!«, herrschte der Kommandant Jeketi an. »Hast du keine Aufgabe?«

Die Injektion hatte Sakkruz schneller als erwartet auf die Beine gebracht. Jeketi sah, dass der Zylinderroboter sich bereits um den nächsten Patienten kümmerte.

»Ich meine ... Es scheint einige Probleme ...«

»Natürlich gibt es Probleme!« Der Kommandant schnaubte verächtlich. »Eine Explosion im Frachtbereich, ein Leck ...«

Jeketi setzte zu einer Erwiderung an, doch der Kommandant unterbrach ihn sofort. Also verließ er die Zentrale. Er hatte es nicht nötig, mühsam darauf hinzuweisen, dass der Frachter keineswegs erst vor wenigen Augenblicken den Linearflug beendet hatte. Sakkruz würde den fehlenden Tag früh genug bemerken.

Der Frachter war nicht groß. Verglichen mit den modernen Schiffen nahm sich die PARTOGA eher wie ein Beiboot aus. Ihre Konstruktion vereinte die Bughalbkugel mit einer verdickten Zentralspindel und dem Heckzylinder.

Schnell erreichte Jeketi die Laderäume. Er hatte Verwüstungen erwartet, aber nichts dergleichen war eingetreten.

Kein Druckverlust, nicht einmal im Hauptlager mit den Ramol-4-Kristallen. Lediglich die Innenüberwachung des Frachtraums arbeitete nicht mehr. Für Jeketi bedeutete dies das geringste Problem. Immerhin konnte er feststellen, dass die Lecksicherung schnell gegriffen hatte und das Prallfeldsystem die beschädigten Hüllenelemente überbrückte. Wie viele Kristalle vom Sog der entweichenden Atmosphäre nach draußen gerissen worden waren, ließ sich bisher nicht feststellen, der PARTOGA fehlte eine interne Massekontrolle. Solche Errungenschaften hatten die wenigsten Schiffe an Bord.

Jeketi ließ das Innenschott aufgleiten.

Schon nach wenigen Schritten blieb er überrascht stehen. Er hatte erwartet, eine zerfetzte Wandkonstruktion zu sehen, aufgerissene, zum Teil ausgeglühte Metallverstrebungen und dazwischen die Überreste der wuchtigen Statikelemente. Stattdessen klaffte in der Hülle ein zwar unregelmäßiges, an den Rändern jedoch völlig glattes Loch. Es sah aus, als hätte ein überschwerer Desintegrator den Rumpf aufgeschnitten. In dem Bereich waren die Heimatkristalle aufgeschichtet worden, die in den energetischen Trennfächern keinen Platz mehr gefunden hatten.

Es hätte trotz allem schlimmer kommen können.

Jeketi prüfte die Prallfeldsicherung.

Das war der Moment, in dem er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Eines der Besatzungsmitglieder musste ihm gefolgt sein. Jeketi wandte sich halb um ...

... und erstarrte.

Der Mann, der keine fünfzehn Schritt entfernt neben einem der Kristalltresore stand, gehörte nicht auf die PARTOGA. Er war auch kein Xylthe.

Er trug einen Anzug aus blauem, offenbar sehr dünnem, lackartig glänzendem Material. In mittlerer Höhe des Oberkörpers traten beidseits fingerbreite hellrote Wülste hervor, die sich bis knapp zu den Knien erstreckten. Die Schultern wurden von grauen Platten bedeckt, auch im vorderen Bereich des Oberkörpers gab es mehrere graue Elemente – vielleicht Waffen oder Schutzschirmprojektoren.

Der Eindringling trug keinen Helm. Jeketi konnte auch nichts erkennen, was nach einem Helm aussah.

Der Fremde sah ihn ebenfalls abschätzend an. Haare wölbten sich über seinen Augen, auf der Schädeldecke wucherten sie geradezu üppig. Das war ein Anblick, der Jeketi Übelkeit bereitete.

»Woher kommst du?«, fragte er scharf.

Der Fremde sah ihn nur an. In seinem Blick lag etwas Zwingendes. Er antwortete nicht. Stattdessen wandte er sich wieder dem Kristalltresor zu.

»Lass die Finger von den Heimatkristallen!«, warnte Jeketi.

Mit einem kleinen, aus flachen Gliedern zusammengesetzten Instrument strich der Mann über den Tresor.

Jeketi zog die Waffe. Er trug lediglich einen leichten Nadler, doch die Sprengwirkung der winzigen Geschosse reichte aus, um einen Gegner kampfunfähig zu machen.

»Die Kristalle gehen dich nichts an!«, sagte Jeketi heftig. »Nimm die Finger weg!«

Der Fremde sah ihn nur an. Er verzog die Mundwinkel und fuhr in seiner Tätigkeit fort.

Jeketi schoss. Die Nadel schlug neben dem Mann auf und explodierte in einer kleinen Glutwolke.

»Keine unbedachte Bewegung! Geh vorsichtig zurück, streck die Arme zur Seite aus!«

Der Mann in dem blauen Anzug wich tatsächlich zurück. Endlich sagte er etwas, das Jeketi aber nicht verstand. Gleichzeitig griff er zu seinem Gürtel, an dem verschiedene Gegenstände hingen.

Jeketi gab den zweiten Schuss ab. Das Projektil traf den Fremden an der rechten Seite. Die Nadel explodierte neben einem roten, wulstartigen Strang und riss das Gewebe auf. Das war alles.

Der Fremde lachte. Er löste ein stabförmiges Etwas vom Gürtel.

Nacheinander feuerte Jeketi drei Nadeln ab. Sie trafen den Mann in der Leibesmitte, drangen in den Anzug ein und detonierten.

Fast schien es Jeketi, als sehe der Fremde ihn ungläubig und erstaunt zugleich an. Dann blickte der Unbekannte an sich hinab. Mit beiden Händen fasste er sich an den Leib.

Langsam sank er auf die Knie, während sich der Anzug rot färbte.

Bevor Jeketi ihn erreichte, kippte er vornüber und blieb reglos liegen.

2.

 

»Seit wann ist Ramoz bei Bewusstsein?«, wollte Mondra Diamond wissen.

Der Mantar-Heiler Lershimon reagierte nicht auf ihre Frage. Spontan wandte er sich Gucky und Perry Rhodan zu, die mit Mondra im Empfangsraum der Medoabteilung materialisiert waren.

»Alle wohlauf und in Ordnung?«, fragte der Ara.

Vor höchstens zwanzig Minuten waren Rhodan und der Mausbiber mit MIKRU-JON am Treffpunkt aller Schiffe erschienen und auf dem Werftmodul gelandet. Wenig später hatte Mondra die Nachricht erhalten, dass Ramoz erwacht sei. »Du musst nicht zu Fuß zur Medoabteilung gehen – wir teleportieren!« Guckys spontaner Ausruf klang ihr noch in den Ohren nach.

Nun standen sie zu dritt in der Medoabteilung, und dem Chefmediker des BASIS-Tenders CHISHOLM fiel nichts Banaleres ein als die Frage, ob alles wohlauf sei. Damit wandte er sich ausgerechnet an die beiden Aktivatorträger, die vor Gesundheit strotzten. Lershimon war von der Teleportation überrascht worden, kein Zweifel.

Mondra widmete sich der optischen Überwachung des Krankenzimmers. Die holografische Wiedergabe zeigte zwei nahezu entgegengesetzte Perspektiven.

Die niedrige Medoliege wurde scheinbar von auslaufenden Wellen umflossen. Das medizinische Inventar stand inmitten von üppig blühendem Strandgras, und in der Ferne verlor sich der Blick in einer weiten Bucht. Dort rollte die Brandung höher heran, gischtend überschlugen sich die Wellen.

Diese virtuelle Umgebung konnte nur Ramoz selbst aus dem Bestand ausgewählt haben. Wobei offenblieb, ob er das Motiv bewusst herausgesucht oder lediglich zufällig erwischt hatte. Mondra nahm sich vor, ihn danach zu fragen. Immerhin war das eine Umgebung, die ihr ebenfalls gefiel.

Das Meer schimmerte in warmem Purpur und Gold. Die tief über dem Horizont stehende Sonne spiegelte sich im Wasser.

Krabbenähnliche Tiere huschten über den Sand. Eigentlich fielen die Winzlinge nur durch ihren langen Schattenwurf auf.

Ramoz kauerte auf allen vieren neben der Liege. Vergeblich hatte er versucht, einige der flinken Krabben zu fangen, nun ruckte er herum. Dabei hielt er den Kopf schräg, als lausche er einem fernen Ruf.

Sein Mund bewegte sich.

»Mondra!«

Artikulierte er wirklich ihren Namen? Oder war es nicht mehr als ein kurzes, heiser klingendes Fauchen?

Ramoz hatte offenbar eine der verborgenen Kameras entdeckt. Weshalb sonst hätte er plötzlich aus weit aufgerissenen Augen in die Höhe gestarrt?

Mondra Diamond empfand seinen Blick als durchdringend. Ein kühles Frösteln konzentrierte sich in ihrem Nacken, explodierte schon in der nächsten Sekunde und perlte als eisiger Schauder ihren Rücken hinab. Endgültig hatte sie den Eindruck, dass Ramoz sie sehen konnte – durch die Wand hindurch und trotz des grünlich leuchtenden HÜ-Schirms, der den Raum sicherte.

In der Überwachung wirkte er wie ein hungriges Raubtier. Die Infraroterfassung ließ seine Spuren im virtuellen Ufersand deutlich erkennen. Geradezu hysterisch musste Ramoz sich im Kreis gedreht haben.

Er zog die Lippen zurück und entblößte die Zähne. Vielleicht sollte das ein Lächeln sein, das ihr galt, wenngleich seine spitzen Reißzähne nicht dazu passten. Sie waren ein Relikt seiner Metamorphose vom luchsartigen Tier hin zur humanoiden Intelligenz.

»Ramoz' Zustand schwankt schon seit einer Weile zwischen den Extremen.« Jetzt erst antwortete Lershimon, er hatte die Frage also doch vernommen.

Mondra schreckte aus ihrer Betrachtung auf und wandte sich dem Mediker zu. Mit einer fahrigen Handbewegung fuhr der Ara sich über den hoch aufgewölbten kahlen Schädel.

»Wir müssen Ramoz einer tiefer gehenden psychischen und physischen Analyse unterziehen. Er war übergangslos wach ...«

»... sofort in dieser tierischen Phase?«, fragte Perry Rhodan.

Er hatte es sich nicht nehmen lassen, Mondra zur Medoabteilung zu begleiten. Ennerhahl stand weiterhin auf dem Landedeck bei der Lichtzelle. Möglicherweise fühlte er sich vor den Kopf gestoßen, weil er abrupt allein gelassen worden war. Das Gleiche galt für Nemo Partijan und den Iothonen Quistus. Aber daran dachte Rhodan in diesen Momenten nicht. Es gab wichtige Dinge und solche, die wichtiger waren.

Mondra reagierte schroff: »Ich habe nicht verlangt, dass du mich begleitest und alle anderen sich selbst überlässt.«

Es gefiel ihr nicht, wenn Perry geringschätzig über den Humanoiden redete, auch wenn ihr bewusst war, dass er es nicht so meinte. Sie verstand selbst nicht, wieso aus ihrem luchsartigen vierbeinigen Begleiter ein durchaus ansehnlicher Mann geworden war.

»Vergleich Ramoz nicht länger mit einem Tier, das hat er nicht verdient«, fuhr sie versöhnlicher fort. »Ich glaube, dass sehr viel mehr in ihm steckt ...«

»Wenn du jemanden brauchst, dem du den Nacken kraulen kannst, hast du mich«, platzte der Ilt heraus.

Auch du, mein Freund Gucky?

Es war besser, wenn sie dazu schwieg. Mondra wandte sich wieder dem Holo zu.

Ramoz war im Begriff, sich aufzurichten. Ruckartig stieß er sich mit den Armen vom Boden ab, brachte den Oberkörper gekrümmt in die Höhe, und für wenige Sekunden schien es, als müsse er seinem Gleichgewicht hinterherlaufen. Er machte mehrere schnelle Schritte und richtete sich dabei immer gerader auf.

Als er sich dann umdrehte und sein Blick den optischen Sensor suchte, stieß er einen Triumphschrei aus.

»Er freut sich, dass er so schnell gelernt hat, auf zwei Beinen zu stehen.«

Die Bemerkung kam von Gucky. Mondra überhörte sie geflissentlich. In gewisser Hinsicht hatte der Ilt Narrenfreiheit, daran hatte sich in mehr als drei Jahrtausenden nichts geändert, und wahrscheinlich würde das so bleiben.

Angespannt sah sie, dass Ramoz nahezu aufrecht stand. Er schwankte kaum mehr, nur seine Beine zitterten leicht, als hätten sie Mühe, den Körper zu tragen.

Ramoz tappte durch das Krankenzimmer. Dabei produzierte er Laute zwischen einem kehligen Keckern und menschlicher Stimme, wie ein Kind, das sich immer eifriger in seiner eigenen nachahmenden Sprache artikulierte, ohne jedoch verständlich zu werden.

Mondra schaffte es nicht sofort, sich vom Anblick ihres Schützlings zu lösen. Aber dann schaute sie Pic Lershimon auffordernd an.

»Mir wurde über MultiKom mitgeteilt, dass Ramoz mich sofort sprechen wolle. Was ich von ihm höre, klingt nicht gerade danach. Ich erwarte eine plausible Erklärung. In seinem Zustand ...«