Für alle, denen Gestalttherapie auf ihrem Weg geholfen hat
oder noch helfen wird.

Vorwort

Es ist ein interessantes Unterfangen, sich nach 14 Jahren als selbstständig arbeitende Gestalttherapeutin nochmals intensiv, in Form dieses Buches, mit der „Gestalt“ zu befassen.

Einige Zeit habe ich darüber nachgedacht, was mich zu Beginn meiner Arbeit zur Gestalttherapie hingezogen hat, denn als sehr neugieriger Mensch hatte ich schon so einiges „Therapiezeugs“ ausprobiert. Letztendlich war – und ist – der entscheidende Punkt, dass Gestalttherapeuten nicht mit dem „weisen Rat“ um die Ecke kommen oder dem Klienten eigene Vorstellungen oder Interpretationen als Tatsachen mitteilen, dass sie aber dennoch als Person in oftmals intensivem Kontakt und in Beziehung zum Klienten stehen.

Sehr positiv überrascht war ich auch von der Vorgehensweise, mir als Klientin meine inneren Widerstände – und davon gab es jede Menge! – zu lassen. Stattdessen wurde erforscht, wozu diese Widerstände, mein „Aufruhr“, meine Wut, meine „Macken“, wohl gut wären – mit für mich oftmals überraschenden Ergebnissen und interessanten Aha-Effekten!

Gestalttherapie: eine Therapieform, bei der es nicht um „Macht“ geht, nicht um das Spielchen „Wer ist jetzt gerade schlauer?“ oder „Wer führt wen gerade an der Nase herum?“, sondern eine Vorgehensweise, die vor allen Dingen eine Beziehung zwischen Klient und Therapeut mit gegenseitiger Würdigung aufbaut mit dem Ziel, den Klienten zu unterstützen, seinen eigenen Weg zu finden, mit allen Entwicklungsmöglichkeiten und Ressourcen.

Ein weiteres, mir persönlich äußerst angenehmes Phänomen ist die große Flexibilität der Gestalttherapie, was die Integration verschiedenster Techniken und Medien angeht. Ich persönlich arbeite gerne mit Körperübungen, Tanz, kunsttherapeutischen Elementen, Rollenspielen und systemischen Ansätzen. Mit der inneren Haltung einer Gestalttherapeutin kann ich alles von mir Gelernte integrieren und anbieten, was mir für die jeweilige Situation und Befindlichkeit des Klienten sinnvoll erscheint und natürlich was der Klient selbst ausprobieren möchte.

Es würde mich außerordentlich freuen, wenn die eine oder andere Leserin und der eine oder andere Leser durch dieses Buch dazu inspiriert wird, einmal hineinzuschnuppern in die Gestalttherapie, und Mut fasst, ein bisschen zu experimentieren und mehr über sich selbst zu erfahren.

Gute Reise!

Antje Abram
Köln, im Herbst 2013

5. Integration anderer Therapierichtungen

5.1 Psychodrama

Als Begründer des Psychodramas gilt der amerikanische Psychiater Jakob Levy Moreno (1892 in Bukarest geboren, 1974 in New York gestorben). Fritz Perls, der selbst ein großer Theaterliebhaber war, bezieht sich in seinem Buch Das Ich, der Hunger und die Aggression positiv auf Moreno, weil er in seinen Augen den Missstand von Sigmund Freud überwindet, den Klienten zu einem passiven Objekt der Interpretation zu machen. Die Grundidee des Psychodramas liegt darin, alles, was da ist, auf eine Bühne zu bringen und darzustellen – sei es eine reale Situation aus dem Leben eines Teilnehmers, sei es eine Sehnsucht oder ein Wunsch, sei es die momentane Situation in einer Gruppe, vielleicht auch ein Traum oder ein Gefühl – alles ist möglich, ähnlich wie bei der Gestalttherapie. Der Klient hat die Möglichkeit, selbst eine Rolle im Psychodrama zu übernehmen, er kann aber auch „Regie führen“ bei seinen eigenen Szenen und den Akteuren Anweisungen geben. Die dritte Möglichkeit besteht darin, einfach zuzuschauen, was die Akteure zu seinem Thema spielen und darstellen.

Darüber hinaus kann auch die ganze Gruppe oder die Gruppendynamik Thema des Spiels auf der Bühne sein (s. Beispiel).

Beim Psychodrama ist zwar immer die Rede davon, „etwas auf die Bühne zu bringen“, tatsächlich steht jedoch in den seltensten Fällen eine wirkliche Bühne zur Verfügung. Meistens wird ein ganz normaler Raum umfunktioniert: Die Stühle werden an die eine Seite gestellt mit Blickrichtung auf die freie andere Seite, die dann die Bühne darstellt.

Beim Psychodrama handelt es sich um Rollenspiele, häufig mit mehreren Teilnehmern, die zum Ziel haben, etwas sichtbar zu machen, das vorher verborgen oder verdrängt war. Dabei können neue Gefühle, Themen und Zusammenhänge in den Vordergrund kommen. Rollenspiel bedeutet im Grunde, so tun als ob: Da verwandeln sich schnell ein paar Mädchen in Pferde, in eine Prinzessin, in eine böse Frau oder in einen Zirkusdirektor, einfach so, unbeschwert von Rolle zu Rolle.

Wenn Erwachsene es schaffen, ihre Ängste und Sorgen in Bezug auf sich selbst und auf das Urteil anderer abzulegen, und einfach in eine Rolle hineingehen, dann wird es leicht und fließend, mit der Technik des Psychodramas zu arbeiten.

Wie das Psychodrama in die Gestalttherapie mit einbezogen werden kann

Ich leite häufiger Gruppen mit dem Titel „Körperarbeit und Gestalttherapie“. In der Regel kennen sich die Teilnehmer der Gruppe vorher nicht, aufgrund der allabendlichen Treffen wird die Vertrautheit und Nähe in der Gruppe aber täglich größer. Am letzten Tag der Gruppe setze ich mich gerne mit allen zusammen und gebe ihnen die Aufgabe, sich einen Ort zu überlegen, an den ihrer Meinung nach die Gruppe gut passen würde. Vorschläge könnten sein: auf einem Schiff, auf einer einsamen Insel, auf einer Alm, in einer Kneipe, in einem Museum etc.

Ich sammele alle Vorschläge und bitte dann um Handzeichen, wem was gefällt, wobei auch Mehrfachnennungen möglich sind. Vielleicht gibt es auch noch eine Stichwahl zwischen zwei oder drei Orten, bis das Ergebnis, demokratisch gewählt, feststeht.

Nehmen wir an, die Teilnehmer haben sich auf den Ort „Schiff“ geeinigt. Zuerst wird die Bühne im Raum klar markiert. Ich persönlich bin auch sehr dafür, einen „Eingang“ zu schaffen, durch den alle auf die Bühne treten und später auch wieder hinausgehen. In unserem Beispiel ist dieser „Eingang“ die Brücke, die vom Ufer auf das Schiff führt.

Die Teilnehmer sollen sich überlegen, was sie zuerst auf dem Schiff machen möchten. Wem etwas einfällt, der tritt durch den Eingang auf die Bühne und erzählt dabei laut den anderen, was sie oder er nun macht auf diesem Schiff, beispielsweise: „Ich will mich ausruhen, ich gehe aufs hintere Deck und lege mich in die Sonne“, „Ich bin der Steuermann, ich gehe direkt mal ans Ruder“, „Ich gehe an die Bar, ich brauche einen kühlen Drink“ oder „Ich mache Musik an, ich will tanzen, ich habe keine Lust rumzuhängen.“

Nacheinander füllt sich so die Bühne, das Schiff. Unentschlossenen hilft es oft, die Ideen der anderen zu sehen und sich vielleicht einfach anzuschließen: „Ich gehe auch an die Bar.“

Wenn alle Teilnehmer in einer Rolle sind, kann das Spiel, die „action“ beginnen: Alle sollen das machen, wozu sie Lust haben. Sie können reden oder nicht, sie können herumlaufen auf der Bühne, sie können andere Rollen einnehmen.

Der Therapeut beobachtet alles, als Intervention kann Folgendes infrage kommen:

Für den Therapeuten gilt es, die Gruppendynamik im Auge zu behalten und die möglichen Themen, die sich aus dem Spiel auf der Bühne ergeben können, eventuell anzusprechen und zu bearbeiten. Vielleicht ist es auf unserem Schiff so, dass sechs Akteure gemeinsam an der Bar sitzen und sich amüsieren, während einer alleine das Ruder hält und ein anderer alleine auf dem Sonnendeck liegt. Der Therapeut kann die beiden Einzelnen fragen, wie es ihnen geht und ob sie vielleicht lieber etwas anderes machen möchten. Und wie fühlt sich die Gruppe an der Bar? Wären die beiden Einzelnen bei ihnen willkommen, oder wollen sie unter sich bleiben?

Das Psychodrama bietet unglaublich viele Möglichkeiten des Arbeitens. Ein meiner Meinung nach hervorragendes Buch dazu stammt von Eva Leveton, Mut zum Psychodrama (2000), in dem die Grundlagen einfach erklärt werden und viele Übungsbeispiele die genaue Vorgehensweise verdeutlichen (s. a. „Weiterführende Literatur“).

5.2 Systemische Therapie

Als Begründerin der systemischen Therapie gilt Virginia Satir (1916–1988), Lehrerin, Sozialarbeiterin und Psychoanalytikerin, die sich vor allem mit der Familientherapie auseinandersetzte. Besondere Bedeutung hatte für sie die Förderung des Selbstwertes. Zu diesem Zweck baute sie einige Institute und Netzwerke auf, die auch finanziell weniger gut Gestellten Beratung und Therapie anbieten konnten.

Die Haltung von Virginia Satir kann gut durch ein Zitat verdeutlicht werden (Satir, 2004):

„Alle Bestandteile, die in einer Familie Geltung haben, sind veränderbar und korrigierbar – der Selbstwert des Individuums, die Kommunikation, die Regeln – und zwar zu jeder Zeit. In der Tat möchte ich so weit gehen zu sagen, dass jedes Teilchen eines Verhaltens in einem Moment das Ergebnis einer vierfachen Wechselwirkung ist, nämlich zwischen dem Zustand des Selbstwertgefühls der Person und dem Zustand ihres Körpers zu diesem Zeitpunkt, sowie zwischen ihrer Interaktion mit ihrem System und Standort in Bezug auf Zeit, Raum und Situation. Wenn ich das Verhalten der Person erklären soll, muss ich etwas über all diese Tatsachen sagen, nicht nur über eine, und muss gleichzeitig darauf achten, wie diese Teile sich gegenseitig beeinflussen.“ (S. 9)

Kurz gesagt: Die systemische Therapie nimmt das ganze System eines Klienten in den Blick. Für die Arbeit mit einer Einzelperson bedeutet dies, folgende Aspekte mit zu berücksichtigen:

Familienstruktur

Standort

Persönlichkeit

Die systemische Therapie versucht alle Faktoren mit in den Blick zu nehmen und das Individuum als Teil eines Ganzen zu sehen. Von diesem humanistischen Standpunkt aus betrachtet, „vertragen sich“ die Gestalttherapie und die systemische Therapie sehr gut. Ich persönlich kenne etliche Gestalttherapeuten, die eine systemische Zusatzausbildung absolviert haben und die die systemische Arbeit mit in die Gestalttherapie einbauen. Für meine Person kann ich sagen, dass der Übergang von systemischen und gestalttherapeutischen Techniken oft fließend ist. Eine klassische Arbeit mit dem Leeren Stuhl kann schnell dazu führen, sich das ganze Familiensystem anzuschauen. Stellt ein Klient beispielsweise den Leeren Stuhl für seinen Vater, und selbst auf dem Stuhl sitzend spürt der Klient, dass die Mutter auch eine wesentliche Rolle spielt, dann kann die Mutter, ebenfalls mit einem Stuhl, noch dazugestellt werden. Vielleicht tauchen auch noch andere wichtige Familienmitglieder im Laufe der Arbeit auf, vielleicht die Großeltern. Und so hat sich aus der ursprünglichen Stuhlarbeit von Klient und Vater eine Aufstellungsarbeit der ganzen Familie entwickelt.

Als weiterer wichtiger Vertreter der systemischen Therapie sei an dieser Stelle Bert Hellinger erwähnt. Er hat Philosophie, Theologie und Pädagogik studiert und 16 Jahre als Mitglied eines katholischen Missionsordens in Südafrika gearbeitet. Danach wurde er Psychoanalytiker und kam über verschiedene therapeutische Verfahren zu der ihm eigenen System- und Familientherapie. Bekannt geworden ist seine Methode als „Familienaufstellungen nach Hellinger“, eine bis heute viel diskutierte Methode, einerseits hochgelobt, andererseits völlig niedergemacht. Aus dem katholisch-theologischen Bereich kommend, wurden ihm, besonders zu Anfang seiner Aufstellungsarbeit, starke Stringenz, mangelndes Einfühlungsvermögen und Frauenfeindlichkeit vorgeworfen. Ich persönlich kann sagen, dass die Grundprinzipien seiner Arbeit, die er „Ordnungen der Liebe“ nennt (wie sein gleichnamiges Grundlagenwerk), im therapeutischen Kontext sehr hilfreich sind. Wie diese Grundlagen in der praktischen Arbeit dann vom jeweiligen Therapeuten mit Leben gefüllt werden, ist sehr individuell. Als Gestalttherapeutin ist es für mich sehr gut machbar, beim Familienstellen meine Haltung von Würdigung und Eigenverantwortlichkeit dem Klienten gegenüber beizubehalten und zwischendurch nachzufragen, wie es ihm geht, was er spürt und ob innere Widerstände existieren.

5.3 Verhaltenstherapie und kognitive Verhaltenstherapie

Es gibt zwei zentrale, polare Ursprünge aller heute existierenden Therapieverfahren: die Psychoanalyse auf der einen und die Verhaltenstherapie auf der anderen Seite. Während die Psychoanalyse davon ausgeht, dass der Mensch durch seine inneren Konflikte gesteuert wird, vertritt die Verhaltenstherapie den Standpunkt, dass das gesamte Verhalten gelernt wurde – und somit auch „umgelernt“ werden kann.

Die Gestalttherapie hat sich zwar unter anderem aus den Wurzeln der Psychoanalyse entwickelt, allerdings ist die kognitive Verhaltenstherapie, auch Kognitive Therapie genannt, vor allem von Aaron Beck entwickelt, ein Verfahren, das sich sehr gut mit der Gestalt in Einklang bringen lässt.

Der Begriff „Verhaltenstherapie“ bezeichnet nicht eine einheitliche Methode, sondern kann als Überbegriff für verschiedene psychologische Ansätze verstanden werden, auf die folgende Aspekte zutreffen:

Darüber hinaus werden bei der Verhaltenstherapie neben dem beobachtbaren Verhalten des Klienten auch emotionale, kognitive, biologische und psychologische Bedingungen und Zusammenhänge berücksichtigt.

Der Ursprung der Verhaltenstherapie findet sich bei den Forschungen und Erkenntnissen von Professor Iwan Pawlow (1849–1936), der mithilfe von Tierexperimenten herausfand, dass ein Verhalten konditioniert werden kann.

Die Forschungsergebnisse von Pawlow wurden dann von J. B. Watson (1878–1958) in die Verhaltenstherapie beim Menschen übertragen. Watson wurde unter anderem durch einen Versuch an einem wenige Monate alten Säugling bekannt, eine Art Experiment am „kleinen Albert“, das heute undenkbar wäre: Watson konditionierte bei dem kleinen Albert eine Mäusephobie, indem er, wenn Albert eine Maus sah und darauf zukrabbelte, den Kleinen mit einem sehr lauten Geräusch erschreckte. Schon nach wenigen Durchläufen hatte der kleine Albert Angst vor der Maus, später entwickelte er auch Ängste vor Kaninchen und sogar vor Pelzkragen an Kleidungsstücken. Diese Ausdehnung des Angstverhaltens auf mehrere Reize nennt man Reizgeneralisierung.

Nun besteht natürlich der Sinn von Therapien darin, Ängste abzubauen und nicht zu erschaffen. Eine Technik der Verhaltenstherapie, vor allem bei einfachen Phobien, ist die Reizkonfrontation, bei der der Klient sich dem Angstreiz aussetzt, bis eine Gewöhnung, eine Habituation, eintritt und die Angst abgebaut wird. Durch die Gewöhnung verringern sich die Reaktionen des Körpers auf den Reiz. Reizkonfrontationen können sowohl innerlich in der Vorstellung des Klienten durchlaufen werden als auch konkret in der Realität.

Frederick Skinner (1904–1990) entdeckte dann, dank der Vorarbeit von Pawlow und Watson, das sogenannte „operante Konditionieren“. Bei dieser Technik wird eine Belohnung oder eine Bestrafung gezielt eingesetzt, um Verhalten steuern zu können. Beispielsweise kann etwas Positives gegeben werden, um ein bestimmtes Verhalten zu verstärken. In der Praxis würde ein Kind einen Lutscher von den Eltern bekommen, wenn es vorher seine Bauklötze in die vorgesehene Kiste geräumt hat. Da der Lutscher für das Kind etwas Positives ist, wird es dieses Verhalten öfter zeigen. Das Ganze wird „Positive Verstärkung“ genannt.

Die Verhaltenstherapie arbeitet mit folgenden Hauptverfahrensweisen, die hier zwar benannt, aber nicht weiter ausgeführt werden können, ausgenommen die systematische Desensibilisierung (siehe unten).

Hauptverfahrensweisen der Verhaltenstherapie

Als Gestalttherapeutin nutze ich aus der Verhaltenstherapie vor allem die Hausaufgaben. Alles, was in der Gestalttherapie erarbeitet wurde, kann dem Klienten als Hausaufgabe mitgegeben werden – zur Übung und inneren Festigung.

Ein Klient hat große Probleme, sich verbal gegen seine Schwägerin, die Schwester seiner Frau, durchzusetzen. Er sagt über sich selbst, dass er sich kaum traue, ihr zu widersprechen.

Gemeinsam mit dem Therapeuten sucht der Klient ein konkretes Beispiel: Die Schwägerin hatte vor ein paar Tagen zum Klienten gesagt: „Das stimmt doch gar nicht, was du da sagst“, woraufhin er verstummte.

Therapeut: Was hätten Sie denn an dieser Stelle gerne zu ihrer Schwägerin gesagt?

Klient: Nun, es gibt ja immer mehrere Blickwinkel.

Therapeut: Wie wäre also ihre Antwort gewesen, wenn Sie sich nicht zurückgehalten hätten.

Klient: Ich hätte gesagt: Das ist vielleicht deine Meinung, aber nicht meine.

Therapeut: Schließen Sie doch bitte mal die Augen und stellen Sie sich Ihre Schwägerin vor ... Und jetzt stellen Sie sich die eben beschriebene Situation vor ... Und nun sagen Sie bitte noch mal laut Ihren Satz: „Das ist deine Meinung, aber nicht meine.“

Klient (etwas zaghaft): Das ist deine Meinung, aber nicht meine.

Therapeut: Gut. Versuchen Sie den Satz noch etwas lauter. Spüren Sie dabei Ihre eigene Kraft und dass Ihnen Ihre Meinung wichtig ist.

Klient (setzt sich aufrechter hin): Das ist deine Meinung, aber nicht meine.

Dies kann noch ein paarmal wiederholt werden, und der Klient bekommt als Hausaufgabe mit, innerlich diesen Satz zu üben. Vielleicht ist es dem Klienten auch möglich, den Satz zu Hause laut vor sich hin zu sagen und dabei seine Kraft zu spüren.

Systematische Desensibilisierung

Darüber hinaus nutze ich bei Ängsten die sehr effektive Technik der systematischen Desensibilisierung (SD), die ich kurz beschreiben möchte: Die SD ist eine der ältesten Methoden der Verhaltenstherapie und wurde in den 50er-Jahren von Joseph Wolpe entwickelt. Sie hat sich bis heute nicht wesentlich verändert:

  1. Der Klient stellt eine persönliche Angsthierarchie auf. Dabei soll er zehn verschiedene Angstsituationen finden und auf einer Skala von 10 bis 100 einordnen, wobei 10 das Leichteste darstellen sollte und 100 das Schwierigste. Es ist sinnvoll, dass der Therapeut alles genau mitschreibt.
  2. Der Klient lernt erst einmal unabhängig von seinen Ängsten ein Entspannungsverfahren. Vor allem Progressive Muskelentspannung und Autogenes Training kommen dafür infrage (s. a. Abschnitt 5.8).
  3. Der Klient konfrontiert sich zunächst einmal in der Vorstellung mit der für ihn leichtesten Angstsituation und wendet gleichzeitig eine Entspannungstechnik an. Durch die körperliche Entspannung kann die Angst dann gelöscht bzw. desensibilisiert werden. Wenn der Klient dank der Entspannungsübung keine Angst mehr empfindet, wird er dazu aufgefordert, ein individuelles „Ruhebild“ für sich zu finden, eine schöne Situation an einem angenehmen Ort. Der Klient soll dieses „Ruhebild“ laut beschreiben, eventuell kann der Therapeut durch gezieltes Nachfragen dieses Bild vom Klienten noch konkretisieren und ausschmücken lassen, damit es sehr klar und greifbar wird.
  4. Wenn die leichteste Angstsituation auf diese Weise gelöscht wurde, kann man sich der nächsten Angstsituation, die auf einem höheren Level liegt, zuwenden.
  5. Wenn die Angst beim Klienten nicht verschwindet, wird wieder zu einer leichteren Angstsituation zurückgegangen.
  6. Nachdem in der Vorstellung des Klienten alle Angstsituationen bewältigt wurden, soll dies auch mithilfe des Einsatzes der gelernten Entspannungsübung in der Realität ausprobiert werden.

Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) entstammt der Zusammenführung der Ansätze der Verhaltenstherapie und der kognitiven Therapie. Vor allem die kognitive Therapie beschäftigt sich im Wesentlichen mit dem Einfluss, den unsere Gedanken, Fantasien und Einstellungen auf unsere Gefühle und damit auf unser Verhalten haben. Ziel der kognitiven Therapie ist es, negative Denkmuster und dysfunktionale Grundüberzeugungen zu verändern.

Aaron Beck (geb. 1921) gilt als Begründer der Kognitiven Verhaltenstherapie. Er hat einmal gesagt, dass all das, was einen Menschen von seinen Problemen weg hin zu seinen Zielen bringt, seiner Meinung nach Kognitive Verhaltenstherapie sei (Willson & Branch, 2007, S. 125).

In den 50er-Jahren fand er heraus, dass äußere Ereignisse nicht zwangsläufig zu ganz bestimmten emotionalen Reaktionen führen, sondern dass die Gefühle durch die individuelle Bewertung der Ereignisse bestimmt werden. Somit geht der kognitive Therapieansatz davon aus, dass ein Individuum keineswegs das „Opfer“ seiner Umweltbedingungen und seiner Vergangenheit ist, sondern dass jeder Mensch durch seine eigene Art des Denkens, Fühlens und Bewertens seines Lebens selbst für sein Wohlergehen verantwortlich ist. Dieser Aspekt des Menschenbildes ist dem der Gestalttherapie sehr ähnlich, die ebenfalls die Bewusstheit und Selbstverantwortlichkeit der Klienten fördern möchte.

Aaron Beck erforschte vor allem sogenannte „logische Denkfehler“, die bei Menschen wie ein Filter wirken und durch den der Klient seine Umwelt verzerrt wahrnimmt. Als Denkfehler gilt beispielsweise das Schwarz-Weiß-Denken, bei dem es ausschließlich die Kategorien „Gut“ oder „Schlecht“ gibt, aber nichts dazwischen. Auch das Minimalisieren des eigenen Erfolges oder das Überbewerten von Misserfolg gehört für Beck zu den „logischen Denkfehlern“.

Neben Aaron Beck ist auch Albert Ellis zu nennen, der im Rahmen der Kognitiven Verhaltenstherapie die Rational-Emotive Therapie (RET) entwickelte. Ellis betont dabei vor allem den Einfluss der negativen Gedanken auf die eigenen Gefühle. Wenn eine Person unangemessene Gedanken hat, beispielsweise „Ich muss es allen recht machen“, dann führt dies in Interaktion mit der Umwelt zu Selbstzweifeln und Angst vor Ablehnung. Die Person kommt von alleine nicht auf die Idee, dass der Anspruch „Ich muss es allen recht machen“ generell nicht zu erfüllen ist.

Die Gestalttherapie ist diesem Ansatz inhaltlich sehr nahe mit dem Aspekt der Selbstverantwortung der Klienten, auf den viel Wert gelegt wird. Es liegt beispielsweise in der Entscheidung jedes Einzelnen, ob immer wieder negative Erlebnisse aus der Vergangenheit gedanklich und mit allen dazugehörigen Gefühlen durchlebt werden, oder ob stattdessen an etwas Schönes gedacht wird.

Von Albert Ellis stammt auch das ABC-Schema:

Activating events (auslösende Ereignisse) führen zu Beliefs (Überzeugungen, Gedanken) und diese wiederum haben als Consequence (Konsequenz) negative Gefühle für die betreffende Person.

Ein Beispiel: Ein Mann geht in einen Club und sieht dort eine attraktive Frau (auslösendes Ereignis), er würde gerne mit ihr in Kontakt treten, traut sich aber nicht, weil er denkt, er sei nicht interessant oder attraktiv genug (Überzeugungen, Gedanken).

Der Mann geht nach Hause, er fühlt sich frustriert und minderwertig (Konsequenz). Vielleicht wird er auch gar nicht mehr in einen Club gehen, um in Zukunft solche Situationen zu vermeiden.

Die Kognitive Verhaltenstherapie legt sehr viel Wert darauf, dass die Ziele der Klienten konkret formuliert werden. Meiner Meinung nach gelten die folgenden Aspekte aber nicht nur für Therapeuten der Kognitiven Verhaltenstherapie, sondern generell für Therapeuten, die eine Zielsetzung mit ihren Klienten erarbeiten wollen. In der Gestalttherapie wird zwar bei der Arbeitsweise Wert auf den Prozess gelegt, der sich im Hier und Jetzt abspielt, dennoch haben die Klienten in den meisten Fällen selbst ein Therapieziel vor Augen. Zur Bestimmung dieses Zieles können die folgenden Punkte sehr hilfreich sein. Sie werden nach den jeweiligen Anfangsbuchstaben zusammengefasst „SPORT“ genannt (nach Willson & Branch, S. 125):

5.4 Klientenzentrierte Gesprächstherapie nach Carl R. Rogers

Carl R. Rogers (1902–1987) entwickelte 1948 die klientenzentrierte Gesprächstherapie, die heute als dritte Hauptrichtung neben tiefenpsychologischen und verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren zu finden ist.

Zu den tiefenpsychologischen Verfahren werden hauptsächlich die klassische Psychoanalyse nach Freud (1856–1939) gerechnet, außerdem die analytische Psychotherapie nach Carl Gustav Jung (1875–1961) und die Individualpsychologie nach Alfred Adler (1870–1937).

(Informationen zu verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren finden sich in Abschnitt 5.3)

Carl Rogers gilt mit seiner klientenzentrierten Gesprächstherapie als der Begründer der humanistischen Therapien, die den Menschen als eine Persönlichkeit betrachten, die sich entwickeln möchte und dafür bereits alle Anlagen in sich trägt. Der Therapeut unterstützt und fördert dabei die Entwicklung des Klienten und steht hilfreich zur Seite, um innere Blockaden auf dem Weg der Selbstentfaltung zu bearbeiten.

In diesem Sinne ist die klientenzentrierte Gesprächstherapie ein stützendes Verfahren, im Gegensatz zu tiefenpsychologischen Therapieformen, die aufdeckend arbeiten.

Die Verhaltenstherapie wiederum geht bereits von völlig anderen Grundannahmen aus, nämlich dass jedes Verhalten erlernt wurde und auch umgelernt werden kann, und damit ist der Fokus nicht auf die Möglichkeiten und Ressourcen des Klienten gelenkt, sondern fast ausschließlich auf das in Interaktion mit der Umwelt Gelernte.

Rogers nannte die Menschen, die zu ihm kamen, auch nicht mehr „Patienten“, sondern „Klienten“. Während er den „Patienten“ eher als Gegenstand in der Behandlung durch einen Arzt oder Therapeuten sieht, stellt für ihn der „Klient“ eine gleichberechtigte Person dar, die mit jedem Anliegen zur Therapie kommen kann.

Die drei wichtigen Basisvariablen in der Therapie nach Rogers sind:

  1. Bedingungslose Wertschätzung des Klienten

    Der Therapeut akzeptiert den Klienten so, wie er ist. Dabei erfährt der Klient Wertschätzung vonseiten des Therapeuten, ohne dass er etwas dafür tun oder leisten muss.

  2. Empathie

    Der Therapeut versetzt sich in den Klienten hinein und versucht die Welt quasi mit den Augen des Klienten zu sehen.

  3. Echtheit und Kongruenz

    Der Therapeut verhält sich dem Klienten gegenüber authentisch und ist sich seiner Gefühle gegenüber dem Klienten bewusst. Dazu gehört auch, Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene wahrzunehmen und entsprechend in den Therapieverlauf zu integrieren.

Alle drei Basisvariablen, die Rogers entwickelte, gelten ebenso für die Gestalttherapie. Vor allem mit Echtheit und Kongruenz stellen sich Gestalttherapeuten im Sinne einer dialogischen Arbeit ganz dem Klienten als Person zur Verfügung.

Neben der Gestalttherapie nach Fritz und Laura Perls gehören zu den humanistischen Therapieverfahren noch die folgenden:

Allen humanistischen Verfahren ist gemeinsam, dass sie sich als eine Art „Geburtshelfer“ verstehen, die den Klienten dabei unterstützen, sein Entwicklungspotenzial voll zu entfalten.

Als humanistische Therapieform ist das Verhältnis zwischen Gestalttherapie und klientenzentrierter Gesprächstherapie von Sympathie gekennzeichnet, obwohl auch Konkurrenz und Kritik existieren. Die Gestalttherapie kritisiert an Rogers Ansatz, dass der Therapeut „nur“ als Spiegel für den Klienten diene und es mit dieser Technik zu keinem wirklichen Gespräch kommen könne, da es sich um eine passive Haltung handele. Die Gestalttherapie dagegen fördert den aktiven Prozess, beispielsweise mit dem Leeren Stuhl oder der Aufforderung zu anderen „Experimenten“.

Auf der persönlichen Ebene gibt es einige Beispiele für große Sympathie zwischen Gestalttherapeuten und Vertretern der klientenzentrierten Therapie. So war Carl Rogers mit den Gestalttherapeuten Erving Polster und Barry Stevens befreundet. Sie wirkten sogar gegenseitig in ihren jeweiligen Trainingsprogrammen mit.

5.5 Hypnotherapie und hypnotische Kommunikation

Der Amerikaner Milton H. Erickson (1901–1980), Arzt und Psychotherapeut, entwickelte aus seiner psychotherapeutischen Arbeit heraus in den 50er-Jahren die Hypnotherapie. Aufgrund einer Polioinfektion in der Jugend war Erickson sowohl am Bewegungsapparat behindert als auch beim Sehen und Hören eingeschränkt, was ihn allerdings nicht davon abhielt, in seiner Arbeit eigene therapeutische Wege zu gehen. Dabei betonte Erickson stets, dass die Menschen sehr individuell und vielfältig seien und sich nicht durch zu viele Regeln selbst beschneiden sollten. Erickson brachte eine solche Fülle an Ideen und ungewöhnlichen, teils auch humorvollen Techniken hervor, dass erst seine Schüler, die bekanntesten sind Paul Watzlawik und Jay Haley, diese Fülle ordneten und die Methoden klar formulierten.

Viele dieser ungewöhnlichen Vorgehensweisen sind aus Ericksons Arbeit mit der Hypnose hervorgegangen, die er als wissenschaftliche Heilmethode quasi „wiederentdeckte“ und sie aus dem Bereich der Mystik und des Okkulten herausholte, sodass Hypnose nicht mehr als „großer Hokuspokus“ galt, sondern als ernst zu nehmende Therapieform und Heilmethode.

Bei der therapeutischen Hypnose, klar abzugrenzen von der Showhypnose, wird ein Zustand von Trance erzeugt. Bei dieser Trance handelt es sich nicht um einen passiven oder gar schlafähnlichen Zustand, sondern sie ist im Gegenteil gekennzeichnet durch innere Konzentration und einen aktiven, aber mühelos ablaufenden Prozess.

Die Trance an sich ist übrigens ein völlig normaler Zustand, der dem Gehirn ein paar Ruhephasen verschaffen soll, wie beispielsweise bei unseren Tag-Trancen oder Alltags-Trancen: Dies sind die Situationen, in denen wir „vor uns hin träumen“, einfach aus dem Fenster schauen, nichts tun, tief in Gedanken, in uns versunken sind, aber dennoch nicht schlafen. Wenn genau dieser Zustand mit voller Konzentration nach innen gerichtet und kanalisiert wird, dann spricht man von Hypnose.

Als Kurzdefinition könnte man auch sagen: Hypnose ist nach innen gekehrte, fokussierte Konzentration.

Dies beinhaltet auch, dass der hypnotisierte Klient nicht „weggetreten“ ist und nur vom Hypnotiseur wieder „zurückgeholt“ werden kann. Das Gegenteil ist der Fall: Der Klient weiß während der Hypnose genau, dass ein Teil von ihm den Worten des Hypnotiseurs folgt und das Unbewusste damit mehr in den Vordergrund treten kann, ein anderer Teil von ihm ist sich aber auch bewusst, wo und wann in der Realität er sich gerade befindet.

Die Hypnotherapie vertritt die Grundeinstellung, dass jeder Klient individuell und einzigartig ist und somit für jeden einzelnen Klienten auch ein eigenes Verständnis entwickelt werden sollte. Darüber hinaus gilt auch für die Hypnotherapie der humanistische Ansatz, dass jeder Mensch alle Fähigkeiten in sich trägt, die er braucht, um sein Leben gut meistern zu können. Außerdem ist es Sache des Therapeuten, flexibel zu sein und sich auf den Klienten einzustellen, und nicht umgekehrt!

Bei der hypnotischen Kommunikation im Gespräch miteinander bemerkt der Klient oft gar nicht, dass beispielsweise „Pacing“ , das heißt einfühlsames Begleiten und „Spiegeln“, angewandt wird. Es beginnt schon damit, dass der Therapeut eine ähnliche Körperhaltung wie der Klient einnimmt, ihn quasi „spiegelt“. Dies wiederum gibt vielen Menschen unbewusst Sicherheit, sie fühlen die Aufmerksamkeit und Zugewandtheit ihres Gegenübers.

Zum Zeitpunkt meiner einjährigen Zusatzausbildung in Hypnose war ich bereits 13 Jahre als Gestalttherapeutin tätig und wunderte mich über die vielen Parallelen in beiden Therapierichtungen:

Auf mich persönlich hatte diese Ausbildung einen äußerst bereichernden Effekt: Meine Fantasiereisen und Entspannungsübungen, die ich schon Jahre lang anleite, wurden intensiver, ruhiger und eindringlicher. Meine Wortwahl und meine Formulierungen wurden differenzierter. Außerdem habe ich mit der Hypnose eine Technik gefunden, die es erlaubt, in Trance mit dem Unbewussten eines Klienten zu kommunizieren, was oft hilfreich ist.

Darüber hinaus sind viele Hypnosetechniken mit Methoden aus dem NLP (s. Abschnitt 5.6) kombiniert oder verknüpft, sodass ich auch noch jede Menge über NLP gelernt habe.

5.6 Neurolinguistisches Programmieren

 ), die vor allem die sprachlichen Interventionen von Erickson analysierten und nachfolgend weiterentwickelten.