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Was ist Gastlichkeit ? Von alters her ein Laboratorium des Guten und Menschlichen, ein heiteres Spiel des Gebens und Nehmens, eine Atmosphäre von Respekt, Großzügigkeit und Freundschaft. Im schönsten Falle gewinnen der Gastgeber und seine Gäste ein neues Zutrauen: zum Leben, zum anderen und zu sich selbst.

 Eine Betrachtung deutscher Gastlichkeit von den Urzeiten bis zum heutigen Tag gab es bislang nicht. In seinem Buch Die Verfeinerung der Deutschen hatte Erwin Seitz das Thema der Gastlichkeit bereits berührt. Mit diesem neuen Werk aber rückt er es ins Zentrum: in zweiundzwanzig Kapiteln, die auch einzeln vergnüglich zu lesen sind.

 Indem europäische Traditionen und frühe orientalische Einflüsse mit in den Blick geraten, bekommt das Land nördlich der Alpen in Sachen Gastlichkeit ein so eigenes wie übernationales Gesicht. Seitz erkundet die musisch-zivile Entwicklung der Deutschen und erweist sich dabei wiederum nicht nur als Kulturhistoriker, sondern auch als »Gastrosoph« reinsten Wassers, als Kenner von gutem Essen und Trinken. Entschieden serviert er Zeitgenössisches, fragt nach den Rezepten, die heute und morgen Gastlichkeit beleben. Wie etwa wird der Tisch gedeckt, wie schaut ein Menü aus, wie unterhalten sich die Leute? Kurzum: Worauf kommt es eigentlich an, wenn Gastlichkeit entzücken soll?

 

Erwin Seitz, geboren 1958 in Wolframs-Eschenbach,Klosterschule in Plankstetten, lernte Metzger und Koch, studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin und Oxford und promovierte mit einer Arbeit über Goethes Autobio-graphie. Seitz war von 2002 bis 2008 Herausgeber von Cotta's kulinarischem Almanach und lebt als freier Journalist, Buchautor und Gastronomiekritiker in Berlin.

 

Zuletzt erschienen:

Butter, Huhn und Petersilie. Anregungen für eine bessere Küche, 2011

Die Verfeinerung der Deutschen. Eine andere Kulturgeschichte, 2011

 

 

Erwin Seitz
Kunst der Gastlichkeit

22 Anregungen
aus der deutschen Geschichte
und Gegenwart

Insel Verlag

 

 

eBook Insel Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2015

© der deutschen Ausgabe Insel Verlag Berlin 2015

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

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Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Umschlaggestaltung: hißmann, heilmann, hamburg / Simone Andjelkovic

Umschlagabbildung: The Bridgeman Art Library, Berlin

 

eISBN 978-3-458-74299-9

www.suhrkamp.de

 

 

 

Meiner Mutter
Franziska Seitz

Inhalt

 

 

 

An den Leser

EINLEITUNG

Erfindung der Gastlichkeit

AUS DER DEUTSCHEN GESCHICHTE UND GEGENWART

 1 Ursprüngliche Verzauberung

 2 Himmlische Festtage

 3 Mehr Glanz und Glitzer

 4 Sinn für Gemütlichkeit

 5 Muße, Kunst und warme Bäder

 6 Klösterliche Gastfreundschaft

 7 Pracht des Staatsbanketts

 8 Urbane Eleganz

 9 Verfeinerung des Bürgers

10 Erlesenes Menü

11 Liebenswürdiger Gastgeber

12 Erstes Haus am Platze

13 Arkadisches Landhaus

14 Lust der Gärten

15 Galante Seidenstoffe und Porzellan

16 Charmanter Service

17 Gedeckter Tisch

18 Kunst des Tischgesprächs

19 Hinaus ins Grüne

20 Naturnahe Küche

21 Bier wie Wein

22 Atmosphäre, Witz, Geschmack

 

ANHANG

 Literatur

 Dank

An den Leser

 

 

 

Von alters her ist Gastlichkeit ein Laboratorium des Guten und Menschlichen. Leute, die sich mehr oder minder nahe sind, lassen sich für eine Weile aufeinander ein – ein heiteres Spiel, ein Geben und Nehmen, nicht frei von Überraschungen. Unerwartete Freude mag einem der Gastraum bereiten, die Folge der Speisen und das Gespräch. Gast wie Gastgeber erleben wonnige Momente, Freimütigkeit, Geborgenheit. Jeder fühlt sich irgendwie verwandelt und kann sagen: Hier darf ich Mensch sein.

Gastlichkeit ist ein Geschenk des Gastgebers, für das sich der Gast auf irgendeine Art bedankt. Es entsteht eine Atmosphäre des gegenseitigen Wohlverhaltens; alle sollen sich als Gemeinschaft empfinden und sich miteinander einen guten Tag machen. Tatsächlich gehen bedeutende Dinge vor sich, indem der Gast mit Grundgütern des Lebens versorgt wird: Er erhält Nahrung und ein Dach über dem Kopf; er erlebt Respekt, wenn nicht Großzügigkeit und Freundschaft. Alle Beteiligten können ein neues Zutrauen gewinnen: zum Leben, zum anderen und zu sich selbst.

In frühgeschichtlicher Zeit, als noch nicht so viele Menschen unterwegs waren, fand Gastlichkeit fast nur privat oder öffentlich bei Hofe statt; sei es aus religiös gebotenem Mitgefühl für den mittellosen Fremden, sei es aus Diplomatie gegenüber einer hohen Standesperson. Im beginnenden Mittelalter gab es hierzulande kaum Schenken und Herbergen. Die Reisenden erhielten entweder in fürstlichen Pfalzen und ländlichen Herrenhöfen oder in Klöstern entsprechende Verpflegung und Unterkunft. Erst mit wachsendem Wohlstand nahm neben der mildtätigen Gastfreundschaft oder höfischen Bewirtung die gewerbliche Gastlichkeit zu und eröffnete neue Möglichkeiten.

Der Blick in die Geschichte kann die Merkmale der Gastlichkeit besser erhellen als abstrakte Definition. Was sich in ihr, der Historie, bewährt, kann so falsch nicht sein. Das Buch schildert weniger das moralische Gebot der Gastlichkeit, als vielmehr ein ästhetisches Phänomen: die Kunst der Gastlichkeit, das Können des Connaisseurs, überhaupt das Delikate und Entzückende. Das Augenmerk richtet sich nicht so sehr auf ältere Normen höfischer Bewirtung; es liegt vielmehr auf Entwicklungen, die zu bürgerlicher Gastfreundschaft führen sowie zu gewerblicher Gastronomie. Es geht nicht um eine erschöpfende Geschichte des Themas, sondern um Stichproben, die lohnend sind.

Eine Betrachtung deutscher Gastlichkeit von den Urzeiten bis heute gibt es bisher nicht, vielleicht auch deshalb, weil diese Tradition unterschätzt wird. Immerhin war in jüngerer Zeit das Motto der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland 2006, »Die Welt zu Gast bei Freunden«, ersonnen von dem Österreicher André Heller, ein gelungener Coup. Der Begriff des Deutschen soll hier nicht allzu eng gemeint sein, sondern auch die Vor- und Frühgeschichte einbeziehen, um die allmähliche Entfaltung des Gastlichen nördlich der Alpen vor Augen zu führen und dem Land in dieser Sache eine Geschichte zu geben: Anregungen, die über die Zeit hinaus reizvoll sind.

Das Buch ist sowohl eine Kulturgeschichte – eine Erkundung der musisch-zivilen Entwicklung der Deutschen – als auch eine Gastrosophie: eine Lehre von gutem Essen und Trinken und von Geselligkeit. Eingeschlossen ist eine Hommage an Europa und an die frühen Einflüsse aus dem Vorderen Orient. Gastlichkeit ist kein Phänomen, das sich nur national erklären ließe. Dahinter steckt auch eine menschheitsgeschichtliche, anthropologische Dimension.

Die Darstellung entwischt aber auch der Geschichte und geht auf die Praxis der Gegenwart ein, schlägt Brücken von der Vergangenheit ins Heute und Morgen, schaut sich um, was im Augenblick passiert, wie der Tisch gedeckt, wie das Menü komponiert wird, wie sich die Leute unterhalten, kurzum, worauf es denn eigentlich ankommt, wenn Gastlichkeit entzücken soll.

Mein Buch »Die Verfeinerung der Deutschen« hat das Thema der Gastlichkeit bereits berührt, rückte es jedoch nicht ins Zentrum. Es ergab sich wie von selbst, das Profil dieses Stoffes in einem neuen Buch zu schärfen. Der eine oder andere Gesichtspunkt findet sich da wie dort, doch stets in etwas anderer Beleuchtung. Verfeinerung und Gastlichkeit lassen sich halt nicht ganz voneinander trennen.

 

Erwin Seitz        Berlin, im Sommer 2015

Einleitung

 

Erfindung der Gastlichkeit

Seit sich die Spezies des Menschen entwickelt, rangeln zwei starke Gene in der menschlichen Brust: das eigensüchtige – und das soziale. Das erstere rührt daher, dass der Mensch seinem Ursprung nach ein wildes Tier ist, das auf die Jagd geht und Beute macht. Auch das Zusammenleben untereinander war von Strategien des Hetzens bestimmt: Konkurrenz, Gewaltbereitschaft, Überleben des Stärkeren. Steven Pinker zeichnet in seinem Buch über »Gewalt« ein solches Bild – und ein Gegenbild.

Der moderne Mensch, der Homo sapiens, wörtlich der wissende Mensch, trat vor rund zweihunderttausend Jahren auf die Bühne und erreichte seine jetzige äußere Form: den aufrechten Gang für die gute Übersicht, ein hochgebautes Gehirn für neue Denkmöglichkeiten, verbesserte Stimmbänder, die eine komplexe Sprache erlaubten, und geschickte Hände für das Handwerk. Neben dem ichbezogenen Gen festigte die Natur im Homo sapiens mehr und mehr das soziale, weil es sich immer häufiger als lebenstüchtiger erwies: mit Fähigkeiten wie Einfühlungsgabe, Selbstbeherrschung, Mäßigung, Verständigung, Verfeinerung.

Vor rund hunderttausend Jahren wanderte der Homo sapiens von Afrika über den Nahen Osten auch nach Europa aus. Die Einwanderer waren noch Steinzeitmenschen und erlebten in den nördlichen Breiten die letzte Eiszeit. An den Randzonen von Eis und Schnee gab es kurze Sommer und üppige Graslandschaften, wo man Mammuts oder Rentiere jagen konnte, auch hierzulande auf der Schwäbischen Alb. Dortige Höhlenfunde, die rund vierzigtausend Jahre alt sind, bezeugen die ersten figürlichen Kunstwerke: etwa geschnitzte Mammuts aus Mammutelfenbein, ebenso Flöteninstrumente. Man veranstaltete vermutlich frühe Feste mit Musik und Tanz. Rhythmische Klänge, vergorene Beerenfrüchte und reichliches Mammutfleisch dürften so besänftigend wie berauschend gewesen sein und das Gemeinschaftsgefühl gestärkt haben.

Überschaubare Gruppen von zwanzig bis zweihundert Menschen schlossen sich mit Hilfe gastlicher Rituale zu größeren Verbänden zusammen. Der Bau der berühmten Kultanlage von Göbekli Tepe im Osten der heutigen Türkei wurde vor rund zwölftausend Jahren von Jägern und Sammlern begonnen. Unmöglich, dass eine einzelne Sippe in der Lage gewesen wäre, diese kolossale Kultstätte auf einem Höhenkamm emporwachsen zu lassen: mit Kreisen aus meterhohen Steinpfeilern. Die Bildreliefs darauf lassen noch keine Haustiere erkennen, sondern wilde Tiere und Fabelwesen.

Bereits dieser Beginn der Künste: der Steinbaukunst, der bildenden Kunst, der Kunst der Gastlichkeit, der Musik und des Tanzes, kam einer Zäsur in der menschlichen Entwicklung gleich – und mit dem Ende der letzten Eiszeit, als die Kultanlage von Göbekli Tepe fertig wurde, erfolgte die nächste Umwälzung: die Erfindung der Landwirtschaft mit Haustieren und Ackerbau.

In Göbekli Tepe pflegten die Jäger und Sammler bei Festen üppig zu schmausen, wie es Berge von Tierknochen bezeugen. Es blieb gar nichts anderes übrig, als mit der Zeit wilde Tiere zu zähmen und zu züchten, um den großen Bedarf an Fleisch bei bestimmten Feierlichkeiten zu decken. Der sogenannte Fruchtbare Halbmond wurde zum Ursprungsgebiet von Viehzucht und Ackerbau: mit Mesopotamien, dem Land zwischen Euphrat und Tigris im heutigen Irak, mit dem östlichen Teil der Türkei, Syriens und Palästinas, sich ausdehnend bis nach Ägypten. Die wichtigste Frucht des Ackers stellte das Getreide dar: für Getreidebrei, Brot und Bier.

Eine weitere Umwälzung ließ nicht lange auf sich warten. Auf der Grundlage reicherer Ernährung und vielseitigerem Handwerk entstanden in Mesopotamien vor rund fünftausend Jahren die ersten wirklich großen Städte und Königreiche. Es gab auf diese Art nicht zwei, sondern drei menschliche Urveränderungen: erstens den Beginn von Kunst und Gastlichkeit vor rund vierzigtausend Jahren; zweitens die Erfindung der Landwirtschaft mit Viehhaltung und Ackerbau vor rund zwölftausend Jahren; drittens die Gründung von Städten und Stadtstaaten vor rund fünftausend Jahren.

Weiter im Osten, zwischen dem Jangtse und dem Gelben Fluss im heutigen China, passierte dasselbe, nur ein wenig später. Jan Morris stellt in seinem Buch »Wer regiert die Welt?« diese zwei zivilisatorischen Ur-Pole vor und vergleicht sie miteinander: den »Westen«, der aus dem Fruchtbaren Halbmond hervorgeht, und den »Osten«, der sich zwischen dem Jangtse und dem Gelben Fluss herausbildet, ohne dass dabei allzu große Unterschiede bemerkbar wären. Die Menschen waren in unterschiedlichen Regionen der Welt ähnlich einfallsreich, wenngleich zeitlich leicht versetzt. Hermann Parzinger dehnt in seinem Buch »Die Kinder des Prometheus« den Blick auf alle Kontinente aus, um die vor- und frühgeschichtliche Entwicklung der Menschheit zu erkunden.

Der Prozess der Befriedung und Zivilisation erfuhr mit der Gründung der ersten Städte in Mesopotamien einen entscheidenden Schub. Uruk wurde zur ersten großen Stadt im »Westen«, es folgten Ur, Babylon, Assur. Die Gastlichkeit bildete von nun an feinere Formen aus und wurde regelrecht zu einem Instrument der Staatskunst. Ein beeindruckendes Zeugnis davon gibt die »Standarte von Ur«, die im Grab einer Königin aus der Zeit zwischen 2600 und 2400 v. ‌u. ‌Z. gefunden wurde und sich heute im Britischen Museum in London befindet. Es handelt sich um eine Holztafel, die auf beiden Seiten mit Mosaiken bebildert ist. Die zwei Seiten der Tafel verdeutlichen die wesentlichen Züge königlicher Herrschaft: hier militärische Gewalt – dort höfische Kultur.

Auf der einen Seite marschiert in drei Reihen die Armee auf, angeführt vom König. Auf der anderen Seite erscheinen in zwei Reihen die Bürger, die Steuern und verschiedene Naturalien, Ziegen, Schafe und Rinder, am königlichen Hof abgeben. Darüber, in der dritten Reihe, thront der König und veranstaltet für sein nächstes Gefolge, wohl vornehme Krieger, Beamte und Priester, ein Gastmahl. Niemand trägt irgendwelche Waffen, alle erscheinen in Zivil, sitzen bequem auf Stuhlsesseln, erhalten von Dienern die Trinkbecher, während ein Musiker auf der Leier spielt. Die Herren prosten sich zu und entfalten eine kultivierte Aura. Ähnliche Szenen erlebt man heute noch bei einem Staatsbankett: Der Gastgeber erhebt das Glas, alle Gäste erheben ebenfalls das Glas und bekunden ihre Verbundenheit. Man trinkt gemeinsam und fühlt sich beschwingt.

Mit solchen Vergnügungen band seinerzeit der Herrscher seine Gefolgschaft an sich und hielt sie bei guter Laune. Noch war es offenbar bloß die höfische Gesellschaft, welche die neuen Güter der Zivilisation verschmausen konnte; doch der Kreis der Leute, die Gastlichkeit pflegten, wuchs. Es war von Anfang an nicht nur der Königshof, sondern auch der Kommerz, der den Prozess der Befriedung und Zivilisation voranbrachte. Obwohl alle Bewohner des Landes unfreie Untertanen des Königs waren, gab es in den Städten schon so etwas wie eine bürgerliche Oberschicht.

Ein Handelsarchiv aus Tontafeln, das aus der Zeit um 2000 v. ‌u. ‌Z. in der vorderasiatischen Stadt Kanīš gefunden wurde, gibt Aufschluss über die Gruppe der Fernkaufleute. Händler aus Assur am Tigris unterhielten in Kanīš, rund tausend Kilometer vom Heimatort entfernt, eine Handelsstation, geschützt von den lokalen Machthabern. Aus den Befunden geht hervor, dass die Geschäftsleute ihren Handel privat und auf eigenes Risiko betrieben, ohne durch irgendeinen Palast gedeckt zu sein. Neben Handelsbriefen und Transportverträgen gab es auch bereits Krediturkunden.

Die Kaufleute wollten ihre Handelspartner zufriedenstellen und auf Dauer gute Geschäfte machen. Es kam darauf an, Einfühlungsgabe zu entwickeln, sich Manieren anzueignen, Vertrauen zu schaffen und aufgeschlossen gegenüber dem Fremden zu sein. Die Händler aus Assur heirateten schließlich auch Frauen aus Kanīš und trugen so oder so das ihrige zu friedlichen Verflechtungen bei. Neben der höfischen Gesellschaft war es von jeher die wohlhabende bürgerliche Schicht, die den Vorgang der Verfeinerung förderte: sei es im Hinblick auf das soziale Verhalten, sei es im Hinblick auf die materielle Kultur. Wo die Fernhändler auftraten, blühte die private wie die gewerbliche Gastlichkeit auf, entstanden Schenken und Herbergen.

Etwa in derselben Periode, in der die Standarte von Ur gefertigt wurde, regierte in Uruk König Gilgamesch, wie es aus Königslisten hervorgeht. Er war vermutlich die historische Ursprungsgestalt für das Gilgamesch-Epos: das erste Epos der Weltliteratur. Vorläufig wohl nur mündlich überliefert, konnten aus der Periode zwischen 1800 und 1600 v. ‌u. ‌Z. bereits größere Fragmente in Keilschrift gefunden werden, während der Haupttext zwischen 700 und 600 v. ‌u. ‌Z. in Ninive niedergeschrieben wurde.

Auch dieses Werk beleuchtet die eminente Rolle der Gastlichkeit bei der Entstehung der Zivilisation, eng verknüpft mit der Galanterie. König Gilgamesch und sein Gefährte Enkidu sind die männlichen Helden: ruhm- und ehrsüchtige Kraftprotze. Sie werden, soweit möglich, von Frauen gezähmt und gemäßigt: bemerkenswerterweise auch von einer Dirne und einer Schenkin, wobei die Grenzen zwischen Priesterin, Palast- und Haremsdame, Kultdirne, Dirne und Schenkin fließend waren.

Schamchat, die Dirne am königlichen Hof in Uruk, wird in die Steppe geschickt, um den wilden Enkidu für die Zivilisation zu gewinnen, damit er der Beschützer des Königs werde. Schamchat schafft es, indem sie sage und schreibe sieben Tage und Nächte lang mit diesem Kraftpaket schläft und die Liebe genießt. Zu guter Letzt macht sie ihm die Vorzüge des städtischen Lebens schmackhaft: »Komm, Enkidu, zum Hürden-Uruk, / wo die jungen Männer (schon schöne) Gürtel tragen. / Tagtäglich wird dort ein Fest gefeiert, / wo ständig die Trommeln laut dröhnen / – und die Dirnen sind von vollkommener Schönheit, / geschmückt mit Liebreiz, voll der Freunden.«

Uruk, die erste größere Stadt der Menschheit, lockt mit ungeahnter materieller Kultur und raffinierten Vergnügungen: mit Palästen und Bürgerhäusern, Sälen und Schlafgemächern, duftendem Zedernholz und Gold, bequemen Sesseln und weichen Betten, Badehäusern und wohlriechenden Ölen, Festgewändern und Gürteln, Schmuck aus Bernstein und Elfenbein, gebackenem Brot und Butter, geröstetem Fleisch, Körben voll Datteln, Bier und Wein.

Später, als Enkidu stirbt, ist König Gilgamesch außer sich; er will selbst nach dem ewigen Leben und dem Totenreich suchen und unsterblich werden. Er irrt endlos umher, bis an die Ränder der damals bekannten Welt, und trifft schließlich auf Siduri, »die Schenkin, die am flachen Gestade des Meeres haust, / dort wohnt sie in ihrer Taverne«. Es wird erklärt: »Gefäßständer hat sie, Bierfässer und Becher, dicht verhüllt ist sie, und ein Schleier bedeckt ihr Gesicht.« Als ihr Gilgamesch sein Vorhaben erzählt, die Unsterblichkeit zu finden, erklärt sie ein solches Unternehmen für unmöglich. Sie rät ihm, er möge sich als Mensch fassen und an die Freuden des irdischen Lebens halten.

Gegenüber dieser Version der Endfassung fallen manche Worte im älteren Gilgamesch-Fragment aus der Periode zwischen 1800 und 1600 v. ‌u. ‌Z. noch deutlicher aus, um die Vorzüge eines verfeinerten Lebens hervorzuheben. Siduri hält hier den überspannten Plänen des Gilgamesch eine veritable Genusslehre entgegen. Er möge sich an einer reichgedeckten Tafel delektieren, im Hier und Jetzt leben und sich vermenschlichen. Kultivierter Genuss und die Liebe werden zum Zeichen des Humanen: »Tag und Nacht magst du dich ergötzen, / feiere täglich ein Freudenfest, / tanze und spiele bei Tag und Nacht! / Deine Kleidung sei rein, / gewaschen dein Haupt, mit Wasser sollst du gebadet sein! / Schau den Kleinen an deiner Hand! / Die Gattin freue sich oft über deine Umarmung, / denn das ist die Bestimmung des Menschen, / der da lebt auf dieser Welt.«

Das Ziel ist die Selbstverfeinerung des Menschen sowie die Verbesserung der materiellen Güter. Das eine kommt ohne das andere nicht aus. Schamchat, die hier Schamkatu heißt, sagt ihrerseits zu Enkidu, der anfänglich als Wilder in der Steppe die Segnungen des Ackerbaus und des Stadtlebens noch nicht kennt: »Iss Brot, Enkidu, / das gehört zum Leben! / Trink das Bier, wie es Brauch ist im Lande!« Es geht nicht einfach nur um harte Gras- oder Getreidekörner, sondern um fermentierte Dinge: um zauberhafte Verwandlung. Die pflanzlichen Waren werden bearbeitet und gemaischt, bis Hitze und Hefe köstliche Aromen und Wirkstoffe freisetzen. Gegenüber bloßem Getreidebrei sind Brot und Bier von ganz anderer Delikatesse. Die überraschend guten Sachen verwandeln den Helden selbst. Der Dichter sagt: »Da wurde sein Gemüt frei, er singt, / sein Herz jubelt, / sein Antlitz erstrahlt. / Ein Barbier bearbeitet / seinen zottigen Leib. / Mit Öl reibt er sich ein – und / wurde ein Mensch.«

Die natürliche Lust an Essen, Trinken und Sex wird nicht verachtet, sondern genutzt, um ein komplexeres Zusammenleben zu schaffen. Künste der Gastlichkeit wie der Galanterie bändigen das Rohe, Grobe und Gewaltsame. Es kommt nicht mehr nur darauf an, die Grundtriebe des Menschen zu stillen, sondern es geht auch darum, dabei Raffinesse zu entfalten, ein gewisses Maß an Freude und Wonne hervorzurufen und damit das gegenseitige Vertrauen zu stärken.

Elemente der Gastlichkeit wie der Galanterie sind Spiel, Überraschung, Verwandlung: sei es durch Worte; sei es durch Gefälligkeiten und Unternehmungen; sei es durch materielle Anreize. Es sollen nicht irgendwelche sein, sondern solche, die bearbeitet, verfeinert sind, die Auswahl, Stil und Geschmack bezeugen. Brot und Bier oder Badehaus und Barbier waren seinerzeit die Zeichen einer neuen Zivilisation, in welcher die Menschen angenehmer und aufregender lebten als bisher.

Mesopotamische Tontafeln nahmen vorläufig von der benachbarten Hochkultur in Ägypten keine Notiz. Erst nach 1500 v. ‌u. ‌Z. schaute man vom Euphrat aus auch zum Nil. Doch längst schon spielten sich da wie dort parallele Vorgänge ab. Die mesopotamische Zikkurat, die zum Unendlichen hochstrebte, fand ihr Gegenbild in der ägyptischen Pyramide. Desgleichen zählten Brot und Bier am Nil wie am Euphrat zu den Speisen und Getränken, die eines Königs würdig sind.

Pharao Cheops, der etwa von 2554 bis 2531 v. ‌u. ‌Z. regierte, ließ die große Pyramide von Gizeh errichten: das größte Bauwerk der Antike, das zu den Sieben Weltwundern zählte. Als ihm sein Sohn, Prinz Chefren, eine Geschichte über den früheren Pharao Nebka vortrug, war Cheops so bewegt, dass er Nebka umgehend ein Totenopfer als Totenmahl darbrachte: tausend Brote, hundert Krüge Bier, einen Ochsen und Weihrauch, damit der Ahne im Jenseits auf das feinste verpflegt sei. Der Papyrus Westcar mit den »Wundergeschichten vom Hof des Cheops« berichtet darüber.

Die große Zeit der Pyramidenbauten war aber schon bald vorbei. Ähnlich wie das mesopotamische Gilgamesch-Epos dem Herrscher nahelegte, vom Wahn des ewigen Lebens abzulassen und sich lieber den Vergnügungen und Aufgaben der Zivilisation zuzuwenden, rieten ägyptische Weise den Pharaos, sich vom Jenseitskult der Pyramiden zu lösen und das Glück im Diesseits zu suchen.

Ägypten war dafür noch besser geeignet als Mesopotamien. Denn das Land zwischen Euphrat und Tigris lag in einer riesigen Ebene offen da, ungeschützt vor Einfällen benachbarter Stämme und Völker. Mesopotamien war in der Regel politisch zersplittert und häufig von Kriegen heimgesucht; nur ein Babylon oder ein Assur konnten vorübergehend ein übergreifendes Imperium bilden, das vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer reichte. Ägypten war dagegen fast immer unter einem Pharao vereint und genoss den Frieden. Die nährreichen Ufer des Nils besaßen im Osten wie im Westen durch Wüstengebiete einen natürlichen Schutz, der die Feinde einigermaßen fernhielt. Die Ägypter gewannen eine verhältnismäßig hohe politische Stabilität, Lebenssicherheit und Zutrauen.

Obwohl die Ägypter den Begriff der Philosophie noch nicht kannten, besaßen sie bereits, ähnlich wie in Mesopotamien, Denker und Weise, die auf eine magisch-schamanenhafte Sprache verzichteten und sich nüchtern, sachlich und abwägend gaben. Ein Ptahhotep war um 2370 v. ‌u. ‌Z. als Wesir der höchste Beamte der ägyptischen Verwaltung und mit den Verhältnissen im Reich der Pharaonen bestens vertraut. Er fasste seine weltläufigen Erfahrungen in einer »Weisheitslehre« zusammen. Jedenfalls legten ihm spätere Texte, die seit 2200 v. ‌u. ‌Z. entstanden, diese Lehre in den Mund.

Ptahhotep gibt sich biegsam, elegant. Er weiß, dass er selbst nicht alles wissen kann, und lässt auch die Meinung anderer gelten, egal welchen Ranges. Das höfische und städtische Leben sind offenbar längst viel zu vielschichtig geworden, als dass man in solcher Gesellschaft noch länger einfältig oder selbstsüchtig hätte bleiben können: »Sei nicht eingebildet auf dein Wissen, / (sondern) unterhalte dich mit dem Unwissenden wie mit dem Wissenden. / Nie erreicht man die Grenze der Kunst.«

Eine solche Gewandtheit führte wie von selbst auch zur Lehre der Gastlichkeit: zur Gastrosophie. Wenn alle Teilnehmer der Tafelrunde eine vergnügliche Zeit haben sollen, kommt es für den Einzelnen darauf an, sich zu benehmen: »Wenn Du ein Gast bist / am Tische eines, der größer ist als du, dann nimm entgegen, was er dir gibt, was vor dich gelegt wird. / Schau (nur) auf das, was vor dir liegt, / und belästige ihn nicht mit vielen Blicken. / Es verschlägt den Appetit, wenn man ihn stört. / Rede ihn nicht an, bis er das Wort ergriffen hat. – / Man weiß ja nicht, was (er) für Sorgen hat. / Doch rede, wenn er dich dazu auffordert, / und was immer du sagst, soll (ihm) angenehm sein.« Es sind Kernsätze der Gastlichkeit, die bis heute Bestand haben: Achtsamkeit walten lassen; Rücksicht auf den anderen nehmen; ein nettes Gespräch führen; dem anderen eine Freude sein. Gastrosophie, Lebenskunst und Ethik, die Lehre von den Sitten, gehen auseinander hervor.

Theben, das heutige Luxor am Nil, wurde um die Mitte des zweiten Jahrtausends v. ‌u. ‌Z. als neue Residenz der Pharaonen zum Zauberort: beginnend mit der 17. Dynastie, die ab 1625 v. ‌u. ‌Z. regierte, gefolgt von der noch glanzvolleren 18. Dynastie, ab 1540 v. ‌u. ‌Z. Es entstanden keine hohen Pyramiden mehr wie in Gizeh, sondern horizontale Tempel mit königlichen Grablegen: so der beeindruckende Terrassentempel der Königin Hatschepsut.

Auch das »Harfnerlied des Antef« hat seine historische Wurzel in dieser Zeit. Es ist Zeugnis einer Aufbruchsstimmung: weg vom Jenseits, hin zum Diesseits! Es ist, als verkünde bereits ein Horaz: Nutze den Tag! Mache etwas aus deinem Leben und genieße es! Der König soll sein Gemüt nicht länger mit Gedanken an den Tod verdüstern: »Du aber erfreue dein Herz und denke nicht daran! / Gut ist es für dich, deinem Herzen zu folgen, solange du bist. / Gib Myrrhen auf dein Haupt, kleide dich in feinstes Linnen, / salbe dich mit echtem Öl des Gottesschatzes, / vermehre deine Schönheit, lass dein Herz nicht müde werden, / folge deinem Herzen in Gemeinschaft deiner Schönen, / tu deine Arbeit auf Erden ohne dein Herz zu kränken, / bis jener Tag der Totenklage zu dir kommt.«

Wie ein Pharao im Hier und Jetzt verwoben war, wie er die Gemeinschaft seiner Schönen pflegte, deutet ein Bericht des Bürgermeisters Ineni an, in dem er Thutmosis II., den Vorgänger Hatschepsuts, als einen liebenswürdigen Herrscher vorstellt und dabei auch die Speisen der königlichen Küche erwähnt: »Ich war ein Vertrauter des Königs an allen seinen Plätzen. (…) Man ernährte mich von der königlichen Tafel, mit Brot und Frühstück des Königs, Bier gleichfalls, Fleisch, fettes Fleisch, Gemüse, verschiedene Früchte, Honig, Kuchen, Wein und Öl. Man begrüßte mich mit ›Gesundheit, Leben‹, wie Seine Majestät selbst sagte, ›aus Liebe zu mir‹.« Beiläufig zeichnet sich hier eine Menüfolge ab, denn nach einigen herzhaften Speisen werden Früchte und Gebäck serviert. Augenscheinlich gibt es bereits einen Nachtisch, um die Mahlzeit unterhaltsam zu verlängern. Das süß-säuerliche Spiel der Früchte und die Honigsüße des gerösteten Gebäckes bilden den Höhepunkt und Abschluss des Essens! Reifes Obst ist von sich aus schon bunt, weich und saftig, komplex im Aroma. Die Speisefolge erhält im Ansatz eine dramaturgische Struktur: Auftakt, Steigerung, Ausklang.

Die lebensbejahende Art der Pharaonen spiegelt sich auch in der plastischen Kunst. Während mesopotamische Herrscher oft recht grimmig dreinschauen, geben sich ägyptische Pharaonen milder, liebenswürdiger. Einen Höhepunkt ägyptischer Plastik bildet die Darstellung von Thutmosis III. in grüner Grauwacke, heute im Luxor-Museum. Unter ihm erreichte das Reich der Pharaonen zwischen 1459 und 1426 v. ‌u. ‌Z. seine größte Ausdehnung. Er war als Feldherr ein ausgezeichneter Stratege, aber kein Hasardeur, der mit dem Kriegführen nicht aufhören konnte. Thutmosis III. erscheint als eine Figur mit schlankem athletischen Körper und bezaubernd sanftem Lächeln im Antlitz; er ist sich seiner eigenen Kraft bewusst, strahlt Sammlung und Eleganz, Selbstvertrauen und Würde aus. Kaum eine Figur zuvor führte so eindringlich vor Augen, wie schön der Mensch sein kann.

Das alte Ägypten erreichte den Zenit seiner Entwicklung, dokumentiert auch durch die Ausmalung der Grabkammern in Theben-West. Berühmt wurde das Grab des Nacht, eines mittleren Beamten in der Periode von Thutmosis IV. Obwohl es sich um eine Totenstätte handelt, entdeckt der Betrachter an den Wänden ein Fest des Lebens: voll von Bewegung, leuchtenden Farben, kostbarem Grün und Blau, Szenen des Alltags, mit guter Laune in den Gesichtern, mit Freude am Fischfang wie an der Vogeljagd oder an der reichen Ernte landwirtschaftlicher Arbeit. Zu sehen sind ebenfalls vergnügliche Momente beim »Schönen Fest vom Wüstental«; im einzelnen eine feierliche Prozession mit Musik sowie ein Gastmahl mit Verwandten und Freunden. Es geht hier offensichtlich nicht um höfische Repräsentation, sondern um das Wohlleben einer großbürgerlichen Schicht.

Unglaublich ist die Lust am Detail, die auch einiges über Auswahl, Stil und Geschmack der Gastlichkeit verrät. Während beispielsweise die ältere mesopotamische Standarte von Ur stolz große Haustiere vorführte, Ziege, Schaf, Rind, die am königlichen Hof abgegeben wurden, sieht man hier nur junge Tiere, etwa ein Kalb, dessen Fleisch zarter und leichter verdaulich ist als das eines ausgewachsenen Ochsen. Hinzu kommen Fisch und Geflügel, die mindestens ebenso delikat schmecken wie vierbeinige Jungtiere. Solche kleineren Lebensmittel tauchten auf der Standarte von Ur überhaupt nicht auf und erschienen auch in anderen mesopotamischen Dokumenten nur spärlich; an Obst wurden dort oft nur Datteln genannt, während Nacht seinen Gästen reichlich Weintrauben, Feigen und Granatäpfel reicht. Es deutet sich eine neue Ordnung der feinen Küche an: Fisch, Geflügel, junge Haustiere, Obst und Wein – mehr oder minder ein urbaner Stil: jung, zart und mild.

Gastgeber wie Gäste sind im Nacht-Grab sorgsam herausgeputzt, zumal die Frauen. Sie erscheinen teils im strahlenden Weiß der Linnen, teils in gefalteten farbigen Kleidern. Die Haare sind da und dort minutiös zu Zöpfen geflochten, man sieht Ohrringe und Halsschmuck. Besonders elegant ist die Gruppe der drei Musikerinnen, die unterschiedliche Instrumente spielen, Flöte, Laute und Harfe. Die mittlere Figur wendet sich graziös zur hinteren. Linien und Formen bilden harmonische Rhythmen, ganz so, als könne man die Musik noch hören, die damals gespielt wurde.

Allmählich machten auch andere Gebiete von sich reden. Die Grenzregion zwischen Ägypten und Mesopotamien bildete die Ostküste des Mittelmeeres: die Levante. Zeitweise war diese Region von den Ägyptern, zeitweise von den Mesopotamiern beherrscht. Als gegen Ende des zweiten Jahrtausends v. ‌u. ‌Z. die ägyptische Herrschaft über die Levante zerbröckelte und mesopotamische Machthaber nicht gleich nachrückten, bildeten sich hier neue Ethnien und Völker heraus. Nördlich gründeten die Phönizier Städte und Stadtstaaten, südlich machten es die Philister ähnlich, während das bergige Hinterland der Philister zum Kerngebiet der Israeliten wurde.

Israel Finkelstein und Neil A. Silberman schildern in Ihrem Buch »David und Salomo« die frühe Geschichte der Israeliten, indem sie archäologische Erkenntnisse sowie schriftliche Quellen der Ägypter und Mesopotamier mit den Schilderungen der Bibel vergleichen. Vom 15. bis zum 10. Jahrhundert v. ‌u. ‌Z. lebten im felsigen Hinterland der Philister teils umherziehende Nomaden mit Viehherden, teils sesshafte Bauern mit Obst- und Ackerbau, angeführt von Stammesvätern und Patriarchen. Im ersten Buch Mose, der »Genesis«, wird dieses bäuerlich-dörfliche Leben beschrieben, nicht zu vergleichen mit der entwickelten Hochkultur in Ägypten oder Mesopotamien.

Die Genesis liest sich wie eine Einübung in den Gehorsam. Der Text schlägt einen erhabenen, beschwörenden, wenn nicht magisch-schamanenhaften Ton an. Die Menschen sollen das Land kultivieren; aber sobald sie nicht gehorchen, wie Adam und Eva, macht ihnen Gott das Leben schwer: »Und zum Manne sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deines Weibes und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! (…) Dornen und Disteln soll er dir tragen und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.« Arbeit als Fluch und Zwang! Ganz so, als ob es nicht auch anderes ginge. Doch die Leute sollten für Moses genügsame Dörfler sein, während das verfeinerte Leben in den Städten in Bausch und Bogen abgelehnt wurde.

Geschmeidigkeit und Gastlichkeit sind nicht die vorherrschenden Themen der »Genesis«, wenngleich sie auch nicht ganz ausgespart werden und eine eigene Note erhalten. Gott erscheint Abraham im Hain Mamre in Gestalt von drei Engeln. Der Patriarch zögert nicht, die drei himmlischen Wesen, die er als solche erkennt, als Gäste zu bewirten. Er tischt das Beste auf, was er hat: »Und er trug Butter und Milch auf und von dem Kalbe, das er zubereitet hatte, und setzt es ihnen vor und blieb stehen vor ihnen unter dem Baum, und sie aßen.« Es entsteht nicht die typische Tafelrunde, bei der sich Gäste und Gastgeber einigermaßen auf Augenhöhe begegnen, um das Gemeinschaftsgefühl zu heben. Doch wird hier die bedingungslose Form der Gastfreundschaft belohnt, indem Abraham und Sara erfahren, dass sie mit Hilfe Gottes im fortgeschrittenen Alter noch einmal Eltern werden.

Die historischen Wurzeln der »Genesis« reichen ins zweite Jahrtausend v. ‌u. ‌Z. zurück, während die ersten israelitischen Könige erst um die Jahrtausendwende erscheinen: Saul, David und Salomo. Nach Finkelstein und Silberman amtierte Salomo irgendwann im 10. Jahrhundert v. ‌u. ‌Z. Allerdings passen die archäologischen Funde aus dieser Periode nicht zu den Beschreibungen der Bibel.

Salomo wird im ersten »Buch der Könige« wie auch im zweiten »Buch der Chronik« regelrecht zur Gegenfigur des Moses. Er baut Jerusalem zu einer glanzvollen Metropole aus, errichtet einen großen Tempel sowie einen kostbaren Palast, umgibt sich mit Gelehrten und Beamten, fördert Handel und Verkehr, leistet sich ein pompöses Hofleben, einschließlich eines sagenhaften Harems von tausend Frauen. Solche Eskapaden hätte ein Moses nie und nimmer gebilligt.

Nach archäologischer Erkenntnis war Jerusalem im 10. Jahrhundert v. ‌u. ‌Z. bestenfalls ein größeres befestigtes Dorf mit tausend Einwohnern, in dem gerade einmal Salomos Harem Platz gefunden hätte. Erst Ende des 8. Jahrhunderts v. ‌u. ‌Z. wuchs Jerusalem stark an und hatte mit einem Male über zehntausend Einwohner: nach damaligen Maßstäben eine ansehnliche Stadt.

Dieser Vorgang hatte etwas mit überregionaler Politik zu tun. Längst schon gab es das Nordreich Israel und das Südreich Juda. Doch 732 v. ‌u. ‌Z. eroberte der König von Assur das Nordreich und löste es kurz danach auf. Viele Israeliten flüchteten zu ihren Stammesverwandten ins Südreich mit dem Hauptort Jerusalem. Der Untergang des Nordreichs begünstigte den Aufstieg des Südreichs: als ein echtes Königtum mit organisierter Verwaltung und umfangreicher Bautätigkeit. Juda wurde als ein tributpflichtiges, aber halbautonomes Königreich in das assyrische Imperium eingegliedert.

Erst von da an, ab dem 8. Jahrhundert v. ‌u. ‌Z., wurden mündliche Überlieferungen der israelitisch-judäischen Geschichte als das Alte Testament der Bibel schriftlich fixiert. Das biblische Jerusalem von König Salomo ist in Wahrheit das historische Jerusalem von König Hiskia, der von 727 bis 698 v. ‌u. ‌Z. regierte, wenngleich das Bild Jerusalems in der Bibel immer noch groß ausgemalt wurde: als Residenz eines steinreichen, unabhängigen und weisen Königs, gleichrangig neben mesopotamischen Machthabern und ägyptischen Pharaonen – was historisch nie der Fall war.

In die geschichtliche Figur des Salomo lässt die Bibel Erdichtetes, Utopisches einfließen. Er regiert in der Bibel so, wie Hiskia ansatzweise wirklich regierte oder zukünftig regieren wollte. Salomo trumpft als Gastgeber mit assyrisch-babylonischer Üppigkeit auf, ganz so, als herrsche er selbst über ein Imperium: »Und Salomo musste täglich zur Speisung haben dreißig Sack feinstes Mehl, sechzig Sack anderes Mehl, zehn gemästete Rinder und zwanzig Rinder von der Weide und hundert Schafe, ohne die Hirsche und Gazellen und Rehe und das gemästete Federvieh. / Denn er herrschte im ganzen Lande diesseits des Euphrat, (…) und hatte Frieden mit allen seinen Nachbarn ringsum, so dass Juda und Israel sicher wohnten, jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum.«

Es ließe sich die Botschaft daraus ableiten: Je mehr der König ein gastliches Hofleben entfaltet, desto mehr wachsen Frieden und Wohlstand im Land. Tatsächlich hält Salomo in der Bibel viel von Diplomatie. Zu Ehren des Besuchs der Königin von Saba veranstaltet er ein großes Staatsbankett, das Etikette, Ordnungssinn und Stil verrät: »Und als die Königin von Saba die Weisheit Salomos sah und das Haus, das er gebaut hatte, / die Speisen für seinen Tisch, die Rangordnung seiner Großen, das Aufwarten seiner Diener und ihre Kleider, seine Mundschenken mit ihren Kleidern und seine Brandopfer, die er im Hause des Herren darbrachte, da geriet sie vor Staunen außer sich.«

Die Autoren, welche die Bücher der Könige und der Chronik verfassten, dachten in manchem anders als die Autoren der Bücher Mose. Der Ton wird urbaner, menschenfreundlicher. Zivilisatorische Elemente der mesopotamischen wie ägyptischen Tradition machen sich bemerkbar. Ein weiteres Buch der Bibel unter dem Titel der »Sprüche Salomos« ist der »Weisheitslehre« eines Ptahhotop nicht ganz unähnlich und gehört im Kern ebenfalls der Periode von König Hiskia an.

Der biblische Salomo wurde zum Mythos des idealen Herrschers: zum Vorbild, das über Jahrhunderte und Jahrtausende fortwirkte. So ließ Kaiser Otto der Große oder einer seiner Nachfolger im 10./11. Jahrhundert u. ‌Z. auf der Krone des Heiligen Römischen Reiches unter anderem ein Emailbild von Salomo anbringen. Auch der türkische Sultan Süleyman der Prächtige wollte im 16. Jahrhundert regieren wie Salomo, der seinerseits im Koran Süleyman heißt.

Die Menschen der frühen Hochkulturen, die Mesopotamier, die Ägypter, die Israeliten, wurden alle von Monarchen regiert. Demgegenüber wagten die Griechen etwas Neues. Vorläufig unbedroht von einer Großmacht, beschränkten sie sich darauf, Städte und Stadtstaaten zu gründen, ohne ein großes Königreich zu bilden. Selbst die Stadtkönige wurden nach und nach entmachtet und jeweils von mehreren Aristokraten oder Bürgern ersetzt. An einem übergreifenden Machtaufbau war niemand so recht interessiert. Es schien für die führenden Kreise der Griechen lohnender zu sein, in der jeweils eigenen Stadt selbständig zu bleiben und ein Leben in Muße zu führen.

Nicht nur die Monarchie wurde fragwürdig, auch die religiösen Instanzen traten ins Glied zurück. Delphi, das religiöse Zentrum des Landes, machte keine genauen Vorschriften, sondern gab Rätsel auf, verkündete Orakel, deren Deutung den Menschen überlassen blieb. Die Priesterschaft erzog die Leute dazu, selbst nachzudenken. Im delphischen Tempelbezirk wurden berühmte Sprüche eingemeißelt: »Erkenne dich selbst!« und »Nichts zu sehr!« Es sollte heißen: Gedenke, dass Du ein sterblicher Mensch bist, begrenzt in Deiner Kraft; nimm dich nicht so wichtig, sei gefasst, geduldig, gelassen; suche nach Mitte und Maß, bleibe freundlich, nachsichtig, gütig.

Völlig neu mag das alles nicht gewesen sein. Schon den Mesopotamiern, Ägyptern und Israeliten war der eine oder andere dieser Gedanken vertraut. Doch erhoben die Griechen nun das freie Nachdenken über den Menschen, die Natur, die Geschichte und Gesellschaft regelrecht zum Volkssport und erfanden dafür den Begriff des Philosophierens. Wie selten zuvor übernahm eine breitere Schicht von Aristokraten und Bürgern auch das Geschäft des Regierens. Das Gros der Bürger machte sich kundig, was inner- und außerhalb der Stadt vor sich ging, hielt sich auf dem laufenden, urteilte über den Gang der Dinge und fasste Beschlüsse. Der wichtigste Ort dafür war der öffentliche freie Platz, die Agora: Versammlungs- und Marktplatz in einem – Zentrum der Polis.

Waren einst die magischen Orte der Menschen die steinzeitliche Höhle oder die ägyptische Pyramide, so waren es jetzt neben dem horizontalen Tempel auch zivile Bereiche: der freie Platz in der Stadt, wo man sich zeigte, die privaten Säle der Aristokraten und Bürger für Gastmahle und Trinkgelage, das öffentliche Theater und die Sportarena, schließlich das arkadische Landhaus. Die Erfindung von Freiheit und Demokratie hatte viel mit Gastlichkeit, Freundschaft und Muße zu tun.

Etwa in derselben Periode, als in Jerusalem unter König Hiskia der Salomo-Mythos herausgebildet wurde, machte sich, um 700 v. ‌u. ‌Z., in Griechenland ein Homer daran, am Odysseus-Mythos zu arbeiten. Der eine wie der andere, Salomo wie Odysseus, ein Lebemann! Beide der Gastlichkeit wie der Galanterie zugetan! Viel stärker als Salomo durchläuft Odysseus jedoch als Mensch eine Entwicklung. Homer breitet in der »Odyssee« die Welt wunderbar weit aus, lässt seinen Helden das Gebiet des Mittelmeeres durchstreifen, soweit es den Griechen damals bekannt war. Noch nie zuvor wurden Götter, Menschen, Natur oder Güter der Kultur und Zivilisation so ausführlich beschrieben. Mehr als je ein Volk zuvor bemühten sich die Griechen, das Leben zu verstehen.

Odysseus wird zur Gegenfigur des Achill, der sich in der »Ilias« als Mensch nicht fassen kann und in den Tod rast. Auch Odysseus ist anfänglich, wie Achill oder Gilgamesch, ein Kraftprotz, ein Rabauke, übermütig, roh und grob. Doch dank weltläufiger Erfahrungen, des Erlebnisses fremder Sitten, der Vergnügungen der Gastlichkeit wie der Galanterie verwandelt er sich in einen Gentleman und Kosmopoliten. Beraten von den olympisch-delphischen Göttern, gibt er sich mehr und mehr duldend, gleichmütig, gelassen; er redet und handelt überlegt und ist gleichzeitig kühn und mutig.

Circe umgarnt Odysseus mit den Freuden der Tafel und des Bettes, ganz so, als sei sie Schamchat und Siduri in einer Person – oder als seien überhaupt Gastlichkeit und Galanterie ihrem Ursprung nach weiblich. Die schöne Zauberin und Göttin empfängt den Helden mit den Worten: »Lieber, so stecke dein Schwert in die Scheide und lass uns zusammen / Unser Lager besteigen, damit wir, beide versöhnet / durch die Freuden der Liebe, hinfort einander vertrauen!« Auch in der »Odyssee« ist der Liebesakt nicht nur dazu da, um Kinder zu zeugen; die Liebenden sollen sich vergnügen und einander näherkommen. Circe verspricht Odysseus, seinen Freunden zu helfen, und verwöhnt ihn in ihrem Palast. Eine Magd schenkt ihm süßen herzerfreuenden Wein ein; eine andere lässt für ihn ein Bad mit lieblichen Düften einlaufen, wäscht ihm das Haar, salbt ihn mit Öl, zieht ihn an. Dienerinnen tragen im Saal eine goldene Kanne mit Wasser über silbernem Becken auf, damit sich der Gast noch einmal die Hände waschen kann, und servieren das Mahl: Gerichte vom Besten, was die Vorräte hergeben.

Wieder und immer wieder beschreibt Homer solche Rituale der Gastlichkeit und Galanterie. Leitmotivisch lässt er Odysseus sagen: »Weh mir! Zu welchem Volke bin ich nun wieder gekommen? / Sind's unmenschliche Räuber und sittenlose Barbaren / Oder Diener der Götter und Freunde des heiligen Gastrechts?« Die Freuden der Tafel und des Bettes verwandeln die Menschen, besänftigen sie, machen sie gesprächiger. Ebenfalls leitmotivisch heißt es: »Und nachdem er gegessen und seine Seele gelabet, / Da begann er und sprach (…).« Oder: »Jene, nachdem sie die Fülle der seligen Liebe gekostet, / Wachten noch lang, ihr Herz mit vielen Gesprächen erfreuend.«

Homer wird zum ersten Connaisseur und Charmeur in Europa: die »Odyssee« zu einem Grundbuch der Gastlichkeit. Bemerkenswerterweise gehören bereits die Freuden der Körperpflege dazu. Immer wieder wird der Empfang eines hohen Gastes beschrieben, das Baden vor dem Essen, das Einölen, das Umkleiden, dann das Betreten des komfortablen Saales, der Service, das Essen und Trinken, die anschließenden Tanzvorführungen, der Gesang des Dichters und die Gespräche.

Es ist das Ergebnis einer uralten Einübung des Gastlichen, mittlerweile kunstvoll geregelt mit Hilfe von Ritual, Dramaturgie, Szenenfolge, nicht unähnlich den Gewohnheiten des religiösen Kultes, der Mysterienspiele und des Theaters. Homer ist es wichtig, dass sich die Menschen in einem solchen Rahmen näher kennenlernen, mehr voneinander erfahren oder etwas davon hören, was draußen in der Welt vor sich geht. Einmal wird empfohlen, sich beim Gastmahl über Mitternacht hinweg zu unterhalten, weil die Stimmung in diesen nächtlichen Stunden so einzigartig sei.

Es geht nie darum, wahl- und maßlos zu essen und zu trinken oder zu lieben. Ständig herrscht ein Widerspiel: zwischen Hingabe und Verzicht, Sirenengesang und Biedersinn, Ausfahrt und Heimkehr. Der Held soll genießen, aber dem Genuss nicht verfallen. Er soll Auswahl, Stil und Geschmack erlernen. Selbst wenn sich das, was man darunter versteht, von Zeit zu Zeit ein wenig ändert.

Die Trias von gebratenem Fleisch, Brot und Wein wird bei Homer so gut wie immer serviert. Gemüse treten nach wie vor selten in Erscheinung, zumal ein großer Teil der heute bekannten Gemüsesorten noch nicht gezüchtet worden war. Als besondere Delikatessen gelten die Rückenstücke gemästeter Schweine und Rinder, quasi Kotelett, Entrecôte, Rumpsteak, Filet – eher noch ein ländlich-aristokratischer Stil, doch Fleisch kann hier auch schon Fisch oder Geflügel bedeuten, Gans oder Taube, ebenso Wild, Hirsch und Wildschwein, weil das Fischen und Jagen dieser Tiere beschrieben wird. Als besondere Köstlichkeit erscheint das Obst im königlichen Garten: »Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven, / Oder voll süßer Feigen und rötlichgesprenkelter Äpfel.« Herzhaften Gerichten folgen im Menü, wie am Hof der Pharaonen, wohl süße Früchte.

Die Stadt der Phäaken ist im Epos der utopische Ort einer friedlicheren Gesellschaft. König Alkinoos, dem der besagte Garten gehört, ist dort nur noch Erster unter Gleichen und teilt sich die Macht mit Aristokraten und Bürgern, die er täglich zum Gastmahl einlädt. Alkinoos erklärt Odysseus, was die Phäaken unter einem guten Leben, Lust und Freude verstehen: nicht gewaltbereiten Kampf, sondern sportlichen Wettstreit, Lebensart und Muße: »Denn wir suchen kein Lob im Faustkampf oder im Ringen; / Aber die hurtigsten Läufer sind wir und die trefflichsten Schiffer, / Lieben nur immer den Schmaus, den Reigentanz und die Laute, / Oft veränderten Schmuck und warme Bäder und Ruhe.«

Mag Gastlichkeit ein wichtiges Mittel der Kulturbildung sein, der Befriedung und Zivilisation, so ist sie auch ein Wert an sich und kann unbeschreiblich glücklich machen, womöglich glücklicher als alles andere. Es kann sich das Gefühl einstellen, als bleibe der ewige Fluss der Zeit für Momente stehen, als bezaubernder Augenblick, schwebend, transzendent. Odysseus schwärmt: »Denn ich kenne gewiss kein angenehmeres Leben, / Als wenn ein ganzes Volk ein Fest der Freude begeht / Und in den Häusern umher die gereihten Gäste des Sängers / Melodien horchen und alle Tische bedeckt sind / Mit Gebackenem und Fleisch, und der Schenke den Wein aus dem Kelche / fleißig schöpft und ringsum die vollen Becher verteilet. Siehe, das nennet mein Herz die höchste Wonne des Lebens!«